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Deutsehe
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Herausgegeben von der
Ereograplii^lieii Gesellscliaft lu Bremen
durch Dr. M. Lindem au.
Band XII.
Diese Zeitschrift erscheint vierteljährlich.
' Abonnements-Preis 8 Mark jährlich.
BREMEN.
Kommissions- Verlag von G. A. v. Halem.
1889.
*• • •
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• • •••
• • •
15. Zur Entdeckungsgeschichte und Landeskunde in Neu-Guinea. I. Von
A. Oppel 297
16. Ober Landwirtschaft und Kolonisation im nördlichen Japan. Von
Paul Grahner 313
17. Die Republik Chile im Jahre 1889. Von Dr. H. Polakowsky 320
18. Salanga. Von Ernst Hai-tert 352
19. Erinnerungen aus Grönland. Von Signe Rink 357
d
Gröfsere Aufsätze: seit«.
1. über die Aufgaben zoologischer Forschung im nördlichen Eismeere.
Von Dr. Kükenthal 1
2. Die amerikanischen Unternehmungen der Augsburger Welser, 1525 — 1547.
Nach Vorträgen von Hermann A. Schumacher 5
3. Die Entwürfe zur Trockenlegung der Zuiderzee in Holland. Von
P. A. van Buuren. Mit einer Tafel, Figur 1 — 10 21
4. Die Südbahn in Rio Grande do Sul. Von Paul Langhans. Mit einer
Karte 48
5. Der vulkanische See Tritriva auf Madagaskar. Von James Sibree .... 55
6. Die von der Bremer geographischen Gesellschaft veranstaltete zoologische
Forschungsreise in das europäische Eismeer (Dr. Kükenthal und Dr. Walter) 81
7. Terrain und Landschaft, Arbeiten und Pläne des Nicaragua-SchifTskanals.
Von R. E. Peary. Mit einer Tafel 89
8. Kurze Geschichte der Panamakanalgesellschaft (1879 — 1889). Von
Dr. H. Polakowsky 107
9. Das afrikanische Elfenbein und sein Handel. Von Paul Reichard. Mit
einer Karte 132
10. Der VQI. deutsche Geographentag in Berlin. Von Dr. W. Wolkenhauer. 169
11. Die von der Geographischen Gesellschaft in Bremen veranstaltete
Forschungsreise in das europäische Eismeer. IL Reiseberichte des
Dr. Kükenthal 205
12. Der Odenwald. Von Geh. Oberforstrat Wilbrand. (Mit Karte) 216
13. Die Geographie auf der Pariser Allgemeinen Ausstellung 1889. Von
Dr. A. Oppel 238
14. Die dänische Expedition nach Ostgrönland 1883 — 85. Von H. Rink . . . 260
Kleinere Mitteilungen:
1) Aus der geographischen Gesellschaft, 64, 181, 284, 365. 2) Polar-
regionen, 64, 182, 367. 3) Miklucho-Maclay, 68. 4) Die Kolanufs, 68. 5) Beginn
der Arbeiten am Nicaragua - Schiffskanal, 181. 6) Die Andamanen -Inseln, 184.
7) Die Kongo-Eisenbahn, 185. 8) Buchans meteorologische Karten, 185. 9) Staats-
unterstützung für die geographische Gesellschaft in Hamburg, 186. 10) Gold-
gewinnung in Neuseeland, 284. 11) Eskimo-Sagen, 285. 12) Französische
Weine, 289. 13) Die Anden-Eisenbahn, 291. 14) Goldgewinnung in Alaska, 291.
15) Vogelleben auf den ostfriesischen Inseln, 368. 16) Die Arii-Iw&^VoL^ ^<^.
17) Die Amur-Fischereien. 371. 18) Henseii'a 'P\aTLVV.o\i-"^Ti.^^^^VAö\\., *^^
Geographische Litteratur: Seite.
69j 187, 291, 372.
Verzeichniss der noch zur Besprechung vorliegenden Werke 204
Karten :
Tafel 1: Die gntwürfe zur Trockenlegung der Zuidersee, Figur 1 — 10.
Tafel 2: Die Sudbahn in Rio Grande do Sul. Von Paul Langhans.
Tafel 3: Pläne und Profile des Nicaragua-Schiffskanals. Von R. E. Peary.
Tafel 4: Karte der verschiedenen Elfenbein -Arten und -Handelsgebiete in
Afrika. Von Paul Reichard.
Tafel 5: Die Waldungen des Odenwalds. Mafsstab: 1:225,000.
Anlage:
X. Bericht des Vorstandes der geographischen Gesellschaft in Bremen. Vor-
gelegt in der Versammlung der Gesellschaft am 31. Mai 1889.
»"« *• Deutsche »*°* ™-
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr* M. Lindeman^ Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Über die Aufgaben zoologischer Forschung
im nördlichen Eismeere.
Welchen riesigen Aufschwung die Naturwissenschaften in den
letzten Dezennien genommen haben, dies zeigt sich am besten an den
Anforderungen, denen die modernen naturwissenschaftlichen Reisenden
genügen müssen, wenn sie etwas Erspriefsliches leisten wollen. Als
in der Zoologie noch die Systematik der alten Schule dominierte, da
genügte es, wenn eine Anzahl von Tierspezies von der Reise mitge-
bracht wurde, von denen im glücklichsten Falle einige für die
Wissenschaft neu waren; sie wurden bestimmt und in das System
imd eine Sammlung eingereiht. Das Sammeln war damals Selbst-
zweck. Heute ist dies ganz anders geworden, die Erkenntnis des
genetischen Zusammenhanges aller organischen Formen bedeutet eine
ungeheure Erweiterung unsres Gesichtskreises. Alles, was sich in
unsren Tagen mit zoologischer Forschung befafst, -arbeitet mittelbar
oder unmittelbar, bewufst oder unbewufst an der Lösung der Frage :
Welcher Art sind die verwandtschaftlichen Bande, welche die ein-
zelnen Tiere mit einander verknüpfen.
Die Wege, diese Frage im einzelnen zu lösen, sind zweierlei
Art, der eine führt in die Studierstube, wo mit dem Messer und
dem Mikroskop die Körper und ihre Teile in entwickeltem und un-
entwickeltem Zustand verglichen werden, der andre hinaus in die
freie Natur, wo direkte Beobachtung uns dazu verhelfen kann, die
mannigfachen äufseren Einwirkungen und deren Folgen an tierischen
Organismen zu studieren; beide Richtungen aber arbeiten Hand in
Hand.
QeographiBche Blätter. Bremen 1889, "^
Damit ist. für den wissenschaftlichen Reisenden die Methode
gegeben, welche er zu befolgen hat. An Ort und Stelle hat er
Beobachtungen anzustellen, ferner aber auch Material für spätere
Studien zu sammeln.
Die Wahl der Forschungsgebiete für den Zoologen ist vorläufig
noch eine unbegrenzte. Überall, selbst in der Heimat, bietet sich
dem findigen Auge genug des Neuen; unter die Zahl der besonders
interessanten Teile des Erdballes gehört indessen fraglos in erster
Reihe das arktische Gebiet. Wenn bis jetzt an den Polen, mit wenigen
Ausnahmen, eine verhältnismäfsig geringe zoologische Thätigkeit
entfaltet und die Zahl der ungelöst gelassenen Probleme besonders
grofs geblieben ist, so ist dies in erster Linie den Schwierigkeiten
zuzuschreiben, welche die Natur dem Forschungsreisenden in den
Weg legt. Anderseits drängen sich kaum in einem andern Gebiet
so viele wichtige Fragen auf, wie in diesem.
Die Fauna des Eismeeres ist aus zwei verschiedenen Kategorien
von Tieren zusammengesetzt. Die eine enthält die echten, arktischen
Formen, die in ihrem Habitus, wie bekannt, den Formen der Tiefsee
entsprechen, die andre besteht aus Eindringlingen in das polare
Gebiet. Diese Einwanderer sind hier ganz andern Lebensbedingungen
unterworfen, als in ihrer ursprünglichen Heimat. Um sich denselben
anzupassen, mufsten sie mannigfache Veränderungen erleiden, wenn
sie ihre Existenz behaupten wollten, und in der That lassen sich
derartige Veränderungen an einzelnen Formen Schritt für Schritt
verfolgen. Die Neubildung der Arten ist also hier direkt nachweis-
bar, und damit auch der genetische Zusammenhang einzelner Formen.
Die Erkenntnis der Formveränderungen führt uns gleichzeitig zu der
Erkenntnis ihrer Ursachen. Wie auf dem Kontinente die Zugstrafsen
der Vögel verfolgbar sind, so sind im Meere die Bahnen aufzufinden,
auf welchem einzelne niedere Formen in neue Wohngebiete vordran-
gen. Da sind es vor allem die Meeresströmungen, welche aktive
und passive Wanderungen zustande bringen; auch das Ende der
Strafse und die seitliche Ausbreitung läfst sich feststellen. Fast
jeder Form folgen andre, die auf sie in ihrer Existenz angewiesen
sind, seien es Parasiten oder Symbionten, d. h. im Freundschafts-
verhältnis lebende, oder aber, wie in der Mehrzahl der Fälle, solche,
welche dieser niederen als Nahrung bedürfen. So ziehen die niedersten
Formen immer höhere mit sich.
Selbst unter den gröfsten imd ökonomisch wichtigen Tieren
hat eine erhebliche Zahl ihren früher südlicheren Wohnsitz infolge
unablässiger Nachstellungen von selten des Menschen mit den nörd-
liebsten Teilen des polaren Gebietes vertauscben müssen, so z. B.
das Walrofs, welcbes früber an der Nordküste Europas vorkam
(siebe die Weltbescbreibung des Orosius), in den zwanziger Jabren
dieses Jabrbunderts von Keilbau auf der Bäreninsel gefunden wurde,
und sieb jetzt in fast unzugängliebe Eisregionen zurüekgezogen
bat. In vielen Fällen waren solebe Wanderungen nur dadureb mög-
lieb, dafs aueb die Näbrtiere dureb Strömungen u. a. in diese Gebiete
gelangt waren, denn je böber der Organismus entwiekelt ist, desto
sebwerer pafst er sieb neuen Bedingungen, besonders Nabrungsver-
bältnissen an. Die betreffenden Tiere wären der Verfolgung bereits
gänzlicb unterlegen, wenn nicbt dieser Ausweg ibnen ermöglicbt wäre.
Es ist also vor allem eine mögliebst sorgfältige systematisebe
Faunistik zu erstreben. Eine solebe setzt in den Stand, arktisebe
und antarktisebe Meere einmal erseböpfend gegeneinander zu balten,
und, mit dem Parallelvergleieb aller pbysikaliseben Daten, die Gründe
für diese Faunenuntersebiede endgültig zu siebern. Es würden sieb
dabei fraglos unter den Wirbellosen äbnliebe oder vielleiebt besser
noeb illustrierende Ersebeinungen als unter den Vertebraten für sub-
stituirende Formen ergeben, d. b. Formen, die ganz entspreebende
Ausbildung und viele Sondereigenbeiten aufweisen, obgleieb sie im
arktiseben und antarktiseben Gebiete ganz andern Gruppen angeboren.
Diese Vikare liefern aber den besten Fingerzeig für die Herkunft
und Entstebung der beiderseitigen Faunen, wie für Eintritt und Aus-
tritt von Formen in und aus dem gutbegrenzten Gebiete.
Von gleieb bobem Interesse wie die des Polarmeeres ist die
Faima arktiseber Inseln. Die Verbältnisse liegen* bier teilweise sogar
einfaeber, so dafs wir weitere und leiebter erreiebbare Aufseblüsse
zum Vergleieb der zeitlieben Umbildungen um den Nordpol erbalten.
Vor allem ist zu untersueben, ob sieb niebt ein Untersebied zwiseben
früberer und beutiger Wirbeltierfauna aufweisen läfst, wie dies an
der sibiriseben Küste und den ibr benaebbarten Inseln der Fall ist.
Man denke nur daran, dass u. a. die neusibiriseben Inseln an
Fossilien neben Ovibos mosebatus noeb zwei Wildoebsen, eebte
Hirsebe u. a. in Knoebenresten lieferten. Maneberlei Art sind die
Beziebungen, welebe das Inselleben zu dem benaebbarten Festlande
darbietet. Alle Formen, welebe ursprünglieb von dortber stammen,
baben ein abweiebendes Gepräge empfangen, und die Vergleiebung
lebrt uns neue ürsaeben der Umwandlung der Arten erkennen.
Hoebwiebtig ist ferner die so äufserst dürftige Inseklenwelt
des boben Nordens. Die Weebselbeziebungen zwiseben Pflanzen und
Insekten baben mit der Abänderung der ersteren^ ^\ß>\Ä^^ '«»^iö.
Umwandlungen der letzteren hervorgerufen. In dieser Hinsicht hat
vom botanischen Standpunkt aus Professor Warming bereits wunder-
schöne Arbeiten über die Beziehungen zwischen der phanerogamen
Pflanzenwelt und den Insekten auf Grönland geliefert.
Eine Fülle von Detailuntersuchungen läfst sich an diese Frage
allgemeiner Natur anknüpfen, wir wollen uns indessen jetzt dem
zweiten Teil der Aufgabe eines zoologischen Reisenden zuwenden,
nämlich Material zu sammeln für entwickelungsgeschichtliche und
anatomische Studien. Auch in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten
geändert; das Material wurde früher in Spiritus geworfen, dann be-
stimmt und in die Sammlung eingereiht. Heutzutage wissen wir
eine bessere Verwendung dafür. Indem ein jedes Objekt bis in seine
feinsten Teile untersucht wird, beschreiten wir den zweiten Weg,
um zur Erkenntnis des genetischen Zusammenhangs der Formen zu
gelangen. Freilich stellt dafür auch die Wissenschaft andre An-
forderungen an das zu bearbeitende Material. Es soll nicht allein
der äufsere Habitus eines Tieres, sondern auch seine innere Organi-
sation bis zur kleinsten Zelle erhalten bleiben, und diesen Anfor-
derungen ist Genüge zu leisten. Leider herrscht in bezug auf die
beste Art und Weise der Konservierung einzelner Organismen vielfach
eine kleinliche Geheimniskrämerei unter den Zoologen, und manches,
was anderen bereits bekannt ist, mufs man selbst erst nach zeit-
raubenden Versuchen herausfinden, es hat sich indessen dennoch
bereits eine Anzahl von Methoden gefunden, die Allgemeingut ge-
worden sind, und zufriedenstellende Resultate geben. Auf diese
Weise kann ein reiches, hochinteressantes Material gesammelt wer-
den, welches vielen Spezialforschern wichtige Dienste zu leisten im
Stande ist.
Ganz kurz möchte ich zum Schlüsse noch auf die Resultate
hinweisen, welche eines Forschers harren, der sich mit den grofsen
arktischen Säugern beschäftigt. Im hohen Norden sind ja die klassischen
Fangplätze der Wale und wie nirgends sonst hat man hier Gelegen-
heit Material für entwicklungsgeschichtliche und anatomische Studien
an diesen noch wenig bekannten Tieren zu sammehi. Ein gleiches
gilt von den Robben und Walrossen.
Schon aus diesem Grunde allein würde eine arktische Reise
reiche Früchte zeitigen.
Jena, den 16. Januar 1889.
Dr. Kükenthal.
Die amerikanischen Unternelimungen der Augsburger
Weiser, 1525— i547.
Nach Vorträgen von Hermann A* Schnmacher*
Der bremischen Geographischen Gesellschaft hat ihr Ehren-
mitglied, Herr Ministerresident z. D. Schumacher, kürzlich in fünf
Sitzungen (November 19, 23, 26 und 30, sowie Dezember 3) deutsche
Kolonialbestrebungen und Entdeckungsreisen früherer Zeiten ge-
schildert, welche heutzutage, trotz der deutsch und spanisch vor-
liegenden Berichte, fast ganz vergessen oder doch wenig verstanden
sind. Waren schon diese Vorträge Auszüge aus lang angesammelten
und kritisch verarbeitetem Material, so sind die über sie vorHegenden
Berichte wieder nur Auszüge von Auszügen. Ob eine Wiedergabe
so verkleinerter Bruchstücke sich verlohnen würde, könnte als fraglich
erscheinen; aber einenteils treffen wir bereits in den kurzen Über-
sichten so viele neue imd wichtige Thatsachen, dafs eine Bekannt-
gabe angezeigt ist; andemteils erfahren wir, dafs eine vollständige
Bearbeitung des überreichen Stoffes noch ausgedehnte, in Augsburg,
Madrid und London vorzunehmende Studien erfordert, deren Abschlufs
sich gar nicht vo^raussehen läfst; denn die neueste, diese Dinge be-
handelnde Publikation: von Langegg, El Dorado, gerade jetzt, und
zwar nach jenen Vorträgen, herausgegeben, scheint ims die geogra-
phisch-historischen Fragen noch nicht genügend zu fördern.
Jene beiden Bücksichten haben die Redaktion veranlafst, mit
Genehmigung des Herrn Dr. Schumacher die Inhaltsangaben der
fünf Vorträge zu veröffentlichen.
Erste deutsche Faktorei m Amerika. Zu Augsburg findet sich
an einem alten Steinbau der Carolinenstrafse eine Inschrift, die etwa
lautet: „Hier stand ehedem die Wechselbank der Welser, welche
Schiffe nach Indien schickten und in Amerika das Weiserland be-
safsen." Während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren
Bartholmä und Anton Welser die bedeutendsten Träger der grofsen,
selbst mit den Fuggem wetteifernden Augsburger Kaufmannsfirma,
welche nicht blofs ihrer Bankgeschäfte halber, sondern auch wegen
ihres kraftvollen Eingreifens in Schiffahrt, Industrie und Bergbau
denkwürdig ist. Damals hatten die Gebrüder Welser seit Jahren
bedeutende Verbindungen in den französischen und italienischen
Städten; sie betrieben grofsartig den Levantehandel und zählten
zugleich zu ihren Kontoren eine sehr thätige Aivt^^-t^^^ÄX ^-^^^^
Als das Geschäft nach dem alten Indien, nach Asien, das sie von
Lissabon aus gleich nach der Entdeckung des Seeweges begonnen
hatten, immer mehr durch die portugiesischen Behörden sich beein-
trächtigt sah, wurde in dem neuen Indien, in Amerika, mutvoll
eine Faktorei begründet, so dafs nun die überseeischen Unter-
nehmungen nicht mehr ostwärts, sondern westwärts schauten.
Anno 1525 errichteten zwei bewährte Vertreter der Augsburger,
Ambros Dalfinger und Georg Ehinger, in dem damaligen Mittel-
punkte des europäisch-amerikanischen Verkehrs, in Santo-Domingo,
der Hauptstadt von Hispaniola, ein V^elserkontor, welches mit dem
grofsen Indienhause von Sevilla in direkter Verbindung stand. Es
war natürlich, dafs in der bereits organisierten spanischen Kolonie
diese fremdländische Gründung nur langsam zu nachhaltigen Erfolgen
kommen konnte. Die ihr zugehenden europäischen Frachten um-
fafsten freilich sämtliche Lebens- und Kulturbedürfnisse; die durch
besondere Verträge geregelte Zufuhr von Negersklaven sollte Plan-
tagen- und Minenwirtschaft auf der noch für reich geltenden Insel
fördern; den welserischen Zuckerrohrpflanzungen in Maguana schlofs
sich Baumwollekultur an, ihren Goldwäschereien in San Cristoval
mühsamer Bau auf Kupfer, für welchen deutsche Bergleute in Menge
angeworben wurden; die Unkosten des Zwischenverkehrs im grofsen
Golfe, dem „indischen Mittelmeer", wollte man durch Zucht von
europäischen Haustieren decken, besonders durch die von Pferden,
und durch Transport von indischen Leibeigenen, die ebenso be-
handelt wurden, wie die afrikanischen — allein die Verhältnisse
jener Insel wurden sehr schnell viel zu eng und zu klein.
Erwerb am Festlande, Von Dalfinger wurde schon 1526 ein
Teil des riesigen, Santo-Domingo gegenüber liegenden Kontinents
ins Auge gefafst, nämlich das an der atlantischen Seite zwischen
zwei längstbekannten Schififerzeichen, den Vorgebirgen der Hinter-
trosse (Codera) und des Segels (Vela), beginnende, dann durch noch
vöUig unerforschte Gegenden ins Innere sich erstreckende imd
irgendwo an das neue V^eltmeer, die Südsee, reichende Land. Von
diesem Gebiete war damals kaum mehr bekannt, als der kleine Ort
Coro (d. h. Seebrise), in welchem einige Europäer kürzUch sich nieder-
gelassen hatten, und das grofse Gewässer von Venezuela (d. h. Klein-
Venedig), welches seinen auf das adriatische Meer hinweisenden
Namen schon 1490 durch den klugen Seefahrer Juan de la Cosa
erlangt hatte. Solch ungeheures Gebiet „von dem einen ViTeltmeer
bis zum andern", also fast der ganze Norden Südamerikas, wurde
den Herren B. imd A. V^elser infolge der Bemühungen ihrer spa-
Bischen Agenten, Heinrich Ehinger in Madrid und Hieronymus Sailler
in Sevilla, von Karl V. als kastilischem Köni^, nicht als deutschem
Kaiser, zu Lehn vergeben, keineswegs blöfs als Pfand oder dergleichen,
sondern in noch günstigerer Form, als andern überseeischen Be-
lehnungeneigen war; erhielten doch die Welser den Vorzug, die Landes-
hauptmannschaft selbst zu besetzen. Bedurften auch die von ihnen
Ernannten der Kronbestätigung, so empfingen sie dafür seitens der
Krone Gehalt, Hofrang, Gefolge von Militärs, GeistUchen, Beamten
u. a. Analog war es mit dem Generalkapitän und dem Gerichts-
herm, sowie mit etwaigen Festungskommandanten. Jeder der mit
allerlei Freiheiten ausgestatteten welserischen Leute bekam Anbau-
plätze mit einer Bodenfläche von 400 zu 200 Fufs zugesichert,
die Firma selber sollte aufser ihren ünterlehnsrechten zwölf Quadrat-
meilen Grundbesitz als Privateigentum sich aussuchen dürfen imd
im Handelsverkehr allen nationalen Unternehmungen vollständig
gleichgestellt werden. Ihr Lehn wurde zuerst das welserische Indien
oder Deutsch-Indien genannt; später kam mehr und mehr die Be-
zeichnung „Insel Venezuela" auf; denn man glaubte an insulare
Lage wegen der Durchfahrten vom atlantischen zum austraUschen
Ozean, die immer noch gesucht wurden.
Besitzergreifung vom Weiser-Lande. Zum ersten Landeshaupt-
mann in ihrem Lehngebiete ernannnten B. Welser & Co. den höchst
energischen Dalfinger, ihren bisherigen Faktor in Santo-Domingo,
der seine dortige Stelle an Sebastian Rentz übergab. Die Ausfahrt
begann Ende 1527 auf vier Schiffen. Eines derselben besetzten
Kronbeamte und Missionare, unter denen Antonio de Montesinos,
der schon jenseits des Meeres bewanderte Geistliche, hervorragte,
sowie Leute für die seit einigen Jahren notdürftig bestehende
Gubemation Santa-Marta, deren Lehnträger Diego Garcia, einer der
letzten Günstlinge des schon verbHchenen Columbischen Hofstaats,
ein nachbarliches Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen hatte.
Die drei andern Schiffe trugen die wirklich welserischen Mann-
schaften, deren Ausrüstung nach den neuesten Tropenerfahrungen
erfolgt war; es fehlten aber Feuerwaffen und Bluthunde. Die Teil-
nehmer dieser Fahrt, ausschliefslich rüstige, zum Abverdienen ihres
Kostenanteils fähige Männer, gehörten den verschiedensten Volks-
elementen an. Für die Reiterei war Casimir von Nürnberg da; als
Arzt diente Meister Anton von Bilboa ; besonders war auch der Hand-
werkerstand vertreten. Das welserische Geschwader besuchte zuerst
Santo-Domingo, dann Santa-Marta und kam nach ümseglung der
Halbinseln Cocibacoa und Paraguanä am 24. F^\vt\5ÄS. "SSfÄ i^ssss.
— 8 —
überaus ärmlichen Coro mit nicht weniger als 400 Mann und 80
meist auf Hispaniola beschafften Pferden. Nun wurde dort unver-
züglich „dem Meister Ambros als Gubernatoren und Generalkapitän
aus gegebener Gewalt Kaiserlicher Majestät vom Kriegsvolk und
von allen Einwohnern mit Eid gehuldigt und unterthäniget." Aus
den meist falsch beschriebenen oder falsch verstandenen Verhältnissen
ergaben sich zuerst Schwierigkeiten aller Art: des Landes und des
Klimas, der Bevölkerung und der Naturmittel. Trotzdem begann
alsbald Ansiedlung und Kirchengründung in jener Corianagegend,
welche von den Zaquitiern bewohnt wurde, einem ehemals grofsen
Volke, das aber schon durch die im nahen Berglande hausenden,
fremden Stämme sehr zerrissen war. Es lag nahe, dafs letztere
sofort von den Christen für Cariben, d. h. Menschenfresser, erklärt
wurden, für Vogelfreie, die zu Sklaven gemacht werden dürften.
Schon die ersten nach Santo-Domingo zurückfahrenden drei welse-
rischen Schiffe hatten solche aus dem trotzigen Caribengebirge herbei-
geschaffte Sklavenfracht an Bord.
Vorläufige Kundschaftsreisen. Den Zügen in das vom Meeres-
ufer bis tief ins Innere reichende Bergland folgte der Besuch des
kleinvenetianischen Sees, zu dessen Beschiffung eigene Fahrzeuge
erbaut werden mufsten. Der an seiner oberen Seite, im Lande der
Onoter, belegene alte Mefsplatz Maracaibo wurde zum zweiten Stütz-
punkt der Weiserischen ausersehen. Von da aus begann die mühe-
volle Durchforschung des amerikanischen Adriameeres, von deren
vielen Einzelnheiten zwei besonders interessant sind: erstlich eine
Expedition zur Herbeischaffang des berühmten Balsams, der unter
Anrufung der Dreieinigkeit alle sonst so gefährlichen Pfeilgift-
wxmden unschädlich machen sollte — ein Dechant des in Panama
neuerrichteten Domkapitels war der Sachverständige — zweitens die
Anlage einer grofsen Mais- und Kassaveplantage in dem heifs-
feuchten, von ganz nackt gehenden Pemenern bewohnten Axuduara-
Lande, d. h. im Mündungsgebiete des Flusses Motatän — Steffen
Martin war zuerst Geschäftsführer dieses Anbaus. Vom See aus ging
dann ein Zug, den Pedro de Limpias, ein schon gedienter Pfadfinder,
führte, nordwärts nach der Meeresküste und zwar auf heute noch
bestehendem Wege durch das Gebiet der Cocinaer, d. h. Cocibacoa,
bis zum Segelvorgebirge, wo europäische Wrackstücke gefunden
wurden, und von da weiter bis zur Siturma-Gegend, einem alten
Kulturlande am Fufse des Schneegebirges von Santa-Marta. Dalfinger
selbst suchte am Motatänflusse entlang zur Wasserscheide zu kom-
jzien, da die Gebirgswasser, Steilschluchten und Waldgewirre grofse
— 9 —
Hindernisse bereiteten, ohne Pferde ; er ging zuerst durchs Land der
Quiriquier und kam dann ins Gebiet der Jiraharer bis zu den kalten
Bergsteppen, den undurchdringlichen Hochmooren und dem kahlen
Fufs der Schneegebirge. Auf diesem Zuge zeigte sich zuerst das
plötzliche Verschwinden ganzer Bevölkerungen, das seitdem von den
Weiserischen so gefürchtete „Sichverhausen" der Eingeborenen; der
Ort der Umkehr hiefs noch lange das Thal des heiligen Ambrosius.
Als der Landeshauptmann am 3. Mai 1530 wieder nach Coro kam,
hatte er „viel zuvor unbekannte Lande durchreist, von deren Volk,
Sitten und Bräuchen manches sich erzählen liefs." Er war halb-
krank und niedergeschlagen; es fand sich aber in Coro^ein starker
Nachschub der Augsburger Handelsherren vor; den hatten jüngst
drei welserische Agenten gebracht: Georg Ehinger mit dem ersten
Schiff Januar 14, Nicolaus Federmann mit zwei Schiffen März 8
und Hans Seifsenhofer mit dreien April 18. Dalfinger begab sich
nach der Santo-Domingoer Faktorei, zu Rentz, dem bereits in Asien
und Afrika erprobten Kaufmann, der ihm viel neues mitteilte, be-
sonders auch den Plan der Fugger, unterhalb des kürzlich von
Francisco Pizarro in Besitz genommenen Silberlandes Peru einen
grofsen üferstrich des australischen Weltmeeres zu erwerben.
Planmä/sige Steche der Südsee-Küste, Vom kleinvenetianischen
Gewässer sollte nach dem andern Ozean ein ziemlich kurzer Über-
gang führen, ein Gebirgsweg, der mit dem von Vasco Nuöez de
Baiboa vor etwa 17 Jahren zurückgelegten einige Ähnlichkeit haben
mochte. So drang im September 1530 Federmann, Dalfingers Ver-
treter in der Landeshauptmannschaft, durch jenes sehr zerklüftete,
oft dichten Wald, oft kahle Einöden darbietende Caribengebirge,
in welchem Stämme von sehr verschiedener Sprache, Gestaltung und
Kleidung bei einander safsen, von denen einige das Waffengift
kannten. Als er jenseits des Tocuyo-Flusses die Wasserscheide zwischen
jenem See und den südwärts ziehenden Strömen hinter sich hatte,
kam er zu dem meist auf dürrem Boden mit Kakteen bestandenen
Gebiete von Bariquicimeto (d. h. Aschenlande), wo „das Gebirge ein
Ende hat und das ebenste und schönste Land beginnt, das im neuen
Indien zu finden ist" . Dort stimmte mit der Nachricht von unabseh-
baren Gewässern der erste verheifsungsvolle Blick auf die Llanos,
welcher alle die Kämpfe zu belohnen schien, die vorher in dem Hoch-
gebirge mit Ayamaern, Cayonaern, Jä-Aguaem, Cuibaern und andern
Horden zu bestehen gewesen waren. Glücklich drang man durch
die einzige dortige Kordillerenöffiiung nach Süden. Aus dieser Lücke
hervortretend, kam Federmann über Acaxiga^ m ^\w^ ^gol!^ \ä;sä^^^^
— 10 —
Mulde der ungeheuren Grassteppen ; am Cuaheri (Coheres)-Flusse sah
er einen biederen europäischen Haushahn nebst Hennen. Im Hitivana-
lande hörte er sogar von bärtigen und bekleideten Männern, welche
kürzlich im Süden mit einem schwimmenden Hause gesehen worden
seien ; das waren Leute der grofsen Orinokofahrt des Diego de Ordaz
gewesen, aber weder die des jetzt vielgenannten Pizarro, noch die
des unverstandenen Sebastian Cabot. Bald darauf, zu Curahamara,
im Lande der Guayacarier, zeigte sich wirklich ein grofses Meer;
dies Gewässer war überschwemmtes Hochgras der fast endlosen
Steppen; dazwischen inselähnliche Erhöhungen, darüber wogende
Wolken- und Nebelgebilde. Nach solcher Enttäuschung wurde
umgekehrt : erstUch nach der öden Bariquicimeto-Gegend, dann durch
das wahrhaft erquickende, wald- und wiesenfrische Vararidathal, ent-
lang am rheinähnlichen Yaracuy und zurück zum alten Ozean ; schliefslich
gings meist auf der Höhe der Steilküste bis nach Coro. Dort konnte
der Landeshauptmann am 17. Mai 1531 den Bericht von Federmann
entgegennehmen. Jener war währenddem persönlich am Segelvor-
gebirge gewesen, um eine Niederlassung zu versuchen, für die jedoch
das zerrissene, fast nur Disteln und Dornen tragende Terrain so un-
günstig zu sein schien, dafs die einzige Frucht der Bemühungen in
der Kunde von einem grofsen und gut bewohnten, unfern der Meeres-
küste liegenden, nach Süden streichenden Gebiete bestand: dem Eupari-
(Upar)-Thale, in welchem besonders die Pacabuyeer grofse Schätze
besitzen sollten, scheinbar der Südsee nahe Leute, deren Ruf schon
vor Jahrzehnten bisweilen verschollen war. Am 7. Juli 1531 brach
Dalfinger von Coro nach dem kleinvenetianischen See auf, um Mara-
caibo durch einen besseren Hafenort zu ersetzen : dafür war die Macomiti-
Mündung (Sinamaica) ausersehen, allein auch diese Stelle wurde mit
Recht als unbrauchbar befunden. Dann rüsteten die Weiserischen im
September zum Eindringen in jenes offenbar auf die Südsee hinweisende
Euparithal. Sie durchzogen deshalb die Gebiete der nackten Buburer
und Bureder, trafen dann die mit Decken und Mützen bekleideten Coa-
naoer, die tätowierten liriguaner und endlich auch jene Pacabuyeer; diese
erklärten Feinde der grimmigen, in schneebedecktem Gebirge hausen-
den Arhuacoer bewohnten das Tiefland des Jiriri- (Caesar)-Flusses in
gröfseren Ortschaften, z. B. in Paujoto, wo Inigo de Vascufta mit der
ersten erheblichen Goldbeute zurückgesandt wurde, oder in Tamala,
wo nicht weniger als 1000 gute Wohnungen bei einander gesundes
Quartier darboten. Darauf kam der Zond-Aguaer mit seinen Ort-
schaften Compachay und Zomico, wo ein alter, reicher Begräbnisplatz
sieh zeigte. Bald bemach öf&ieten sich immer mehr Seen, bis dafs
— 11 —
endUch das grofse Wasser erreicht war, in welches der Jiriri mit all
seinen Verzweigungen und Nebenflüssen einmündete; es war aber keines-
wegs der australische Ozean, sondern der Juma- (Magdalena)-Strom.
Als Vascuna nichts von sich hören liefs — er ging zu Grunde mit
all seinem Golde in den Wildnissen der Sierra Herrera (Negra) und
deren feuchtheifsen, bis zum kleinvenetianischen Gewässer sich er-
streckenden Niederzügen — da wurde Steffen Martin nach der
atlantischen Küste zurückgeschickt, um Menschen und Geräte für
Schiffs- und Hausbau nach dem Juma-Üfer zu schaffen; denn dort
sollte eine Niederlassung begründet werden; er kam erst im
September 1632 wieder und nur mit ungenügender Ausrüstung.
Erster Ztig über Schneesteppen. Gedrängt von seiner bisher fast
ganz ohne Gewinn gebliebenen Umgebung, gab Dalfinger den An-
siedlungsplan zeitweiUg auf und folgte allerlei verführerischen Gerüchten
an dem rechten Ufer des Juma, meist in Sumpfdickicht stromauf-
wärts weiter ziehend; dann stieg er, als die immer neuen Bedräng-
nisse des Thalgrundes gar zu furchtbar wurden, an dem später nach
Antonio de Lebrija genannten Nebenflusse zum Gebirge hinauf und
endlich entlang an schwindligen Bergabhängen in Schritt für Schritt
gefährlichen Gängen bis zu eisigen Kuppen hinan. Es wurde
die von bekleideten Menschen bewohnte Hochsteppe von Cachiri
erklommen, wo Salzproben wieder trügerische Hofhungen auf ein
nahes Meer erweckten. Durch ein rauhes, zerrissenes Hochgebirge
führte ein langer Marsch, welcher alle bisher von Europäern unter
den Tropen erduldeten Drangsale übertraf, und mit der Wildheit der
Natur wuchs auch die der Bewohner; harte Kämpfe mit Wilden,
die zum Arhuacoerstamme gehörten, mit den Corbagoern, deren
Hauptort Mene (d. h. Erdpech) hiefs, waren unvermeidlich; in einer von
schneeweifsen Bergriesen umstandenen Öde kam es sogar zu schweren
Verlusten und unter den Toten war auch Casimir von Nürnberg.
Auf die vegetationslose Hochsteppe von Cirivitä folgte endlich wieder be-
wachsenes Land, aber endlos scheinender Wald: die Behausung der
Chitarerer. Von den zahllosen Schluchten trug eine den Namen
Ghinäxsota; da empfing Dalfinger bei einem. Kundschafterritt
früh morgens an Seite des wackeren Steffen die Todeswunde durch
vergifteten Pfeil. Die Waldgegend hiefs noch zu Anfang unsres
Jahrhunderts das Ambrosiusthal und der Baum, unter dem Dalfinger
begraben worden, wurde noch 1626 von dem Franziskaner-Provinzialen
Pedro Simon besucht. Der deutsche Fährtensucher starb nach
empfangener letzter Ölung; denn er war ein guter KathoHk und
kein lutherischer Ketzer, wie später DommAkax^^Ti \i^^M:^VÄ^» V^'^sv^
— 12 —
das Andenken der deutschen Unternehmungen zu verdunkehi. Dal-
fingers Leute zogen dann abwärts mit dem wüsten Wasser des Zulia-
stromes. Nachdem am Chamafluss unter den Wilden ein Versprengter
des Vascuiiaschen Zuges aufgefunden worden war, wurde am
29. August 1633 endlich der Anbauplatz Axuduara erreicht; von da
fuhr ein Teil der Schwerheimgesuchten nach Maracaibo hinüber,
während ein andrer nach Coro ging, wo, es war im November 1633,
nur noch wenige Reste einer geordneten Kolonie sich zeigten. Einige
Monate später, Juni 1534, erschien dort der neuernannte Bischof
von Coro, Rodrigo de Bastidas, um in spanischer Weise das Be-
gonnene weiter zu fördern, aber ohne die erforderliche Bevoll-
mächtigung seitens der Herren Welser in Augsburg und auch ohne
Einvernehmen mit ihrer Faktorei in Santo-Domingo.
Gründung einer Seestadt. Etwa zur selbigen Zeit, als die
spanische Regierung von Hispaniola im Weiserlande sich einmischte
(Juni 1634), beschlossen die deutschen Unternehmer durch die bis-
herigen Mifserfolge sich nicht abschrecken zu lassen. Der genannte
Federmann sollte als Landeshauptmann wieder übers Meer gehen;
aber, wie die Kronbestätigung verweigert wurde, trat ein andrer
an seine Stelle: Georg Hohermuth, aus Memmingen gebürtig, der
Speirer genannt. Dieser soUte mit vier Schiffen direkt nach Deutsch-
Indien fahren, während Federmann zuerst in der Faktorei von His-
paniola als neue Agenten Hans Vöhlin und Jakob Remboldt einsetzen
und dann den vom spanischen Indienamte inmier wieder verlangten
Versuch einer neuen Küstenansiedelung vornehmen sollte. Feder-
manns Schiffe fuhren Ende Oktober von Europa ab und suchten von
Santo-Domingo aus das Segel-Kap auf, in dessen Nähe kürzlich Perlen
gefunden waren; zwischen diesem Vorgebirge und dem Axtflufs
(Rio de la Hacha) erfolgte am 17. Februar 1537 die obrig-
keitlich gewünschte Stadtgründung. Der drückendsten Tropenhitze
zum Hohn wurde die Stätte „Mutter-Gottes zum Schnee" ge-
tauft. Ihre Blockhütten fafsten Jahre lang keinen festen Boden;
sie rückten von einer Stelle zur andern und erst spät wurde aus
diesem wandelnden Anbau der jetzige Ort Rio-Hacha, dessen Kom-
munalverwaltung viele lange Jahre hindurch ganz eigenartig geblie-
ben ist, nannte man doch ihre beispiellose Selbständigkeit vielfach
eine „hansische". Irgend welche nennenswerte Blüte hat, wie schon
Dalfinger vorausgesehen, kein Platz am Cocibacoa-Ufer erreichen
können.
Erste Durchforschung der Llanos. Der neue Landeshauptmann
i/er Weiser, Georg Hohermuth, war nach einem Besuch auf Gran-
— 13 —
Canaria, wo der für Santa-Marta neuernannte Gubernator Pedro de
Lugo zur Abreise sich rüstete, und nach einer Landung auf Puerto-
ßico, wo Bischof Bastidas ihn begrüfste, am 6. Februar 1535 wohl-
behalten in Coro angekommen, mit ihm eine grofse Anzahl von Flam-
ländern, Sachsen, Schwaben und andern mitteleuropäischen Stämmen;
auch Griechen, Albanesen und Italiener fehlten nicht, selbst nicht
Kanarier. Die gewichtigsten Persönlichkeiten seiner Umgebung waren
sein Hausmeister Andreas Gundelfinger aus Nürnberg, sein Säckel-
meister Franz Lebzelter aus Ulm und sein Adjutant Junker Philipp
von Hütten aus Birkenfeld. Nachdem jene Federmannsche Ansiedlung
scheinbar gesichert und auch im Corianalande eine von dem Bischof
unabhängige Regierung wieder hergesteUt war, hatte ein schwieriges,
an den Federmannschen Kundschafterzug von 1530 sich anschliefsen-
des Unternehmen begonnen, schon am 13. Mai 1535. Es galt der
weiteren Durchforschung des grofsen Orinoko-Stromgebietes, dessen
Grenzen noch vollständig im Dunkel lagen. Dies Vordringen wurde
zuerst durch die bei allen Eingeborenen ausgebrochene Unruhe un-
gemein erschwert: überall Streit und Kampf, Verhausung oder was
sonst als Friedensbruch erschien. Jenseits von Bariquicimeto wurden
zuerst noch bekannte Orte berührt : auf Acarigua folgte das im Be-
reich der Cuyoner belegene Masparro, dann im Hitivanalande Coativa,
wo eine Krankenstation errichtet werden mufste, welcher Gundelfinger
vorstand, bald ein Opfer des Fiebers. Von da aus begann völlig
neue Fahrt. Sie ist dadurch ausgezeichnet, dafs sie zuerst Europäer
gezwungen hat, im tropischen Tieflande Regenzeitquartiere zu be-
ziehen : kummervolle, Krankheit und Hunger erzeugende Aufenthalte,
aber zeitweilig brauchbare Lager, bisweilen sogar spätere Weg-
stationen, immer nur kurzlebige Gründungen, die viel früher wieder
verschwanden, als der Ruf ihrer dem Festkalender, der Jagdbeute,
der Geschirrerneuerung und andren Dingen entnommenen Namen. So
mühsamer Marsch arbeitete sich zunächst in dichtem Buschwalde
weiter, am Fufse der M^rida-Cordillere, einer gewaltigen, meist die
gewöhnlichen Wolkenschichten überragenden Bergmasse, die von
ihren beschneiten Kuppen fast zu jeder Jahreszeit feuchte Dünste ins
glühende Tiefland hinabschickt. Bald zog kein Strom mehr nach
Süden; alle Wasser flössen ausnahmelos nach Osten, den Reisenden
entgegen. Sie konnten also jenseits der Bergscheide kaum noch den
Venezuela -See vermuten; aber sie wufsten nicht, dafs zu ihrer
Rechten bereits das Juma-Gebiet begonnen habe : das Flufssystem des
Magdalenastromes, obwohl mehrere von ihnen, z. B. Steffen Martin,
bis dicht an den Todesort von Dalfinger gelaa^xv. "Otä ^^^^s^^ässsä.
— 14 —
in welche sie einzudringen suchten, war von Arhuacoern bewohnt,
die hier ebenso kriegstrotzig waren , wie in der Nachbarschaft
des Euparithales. Im heifsen, noch ziemlich bewaldeten und über-
aus wasserreichen Tieflande wurde am 5. Februar 1536 der Apuri
überschritten, dann am 16. der Dacari^ am 2. März der Arauca und am 14.
der Casanari, endlich der Caroni, lauter breite und reifsende Gewässer,
deren tiefe Betten meist baumlose Grassteppen durchbrachen. Beim
Pautostrome traf man auf bearbeitetes Gold, auch auf einen Häupt-
ling, der von glänzenden Metallen, von Tempeln und von lasttra-
genden Schafen (Lamas) erzählte. „Jetzt schien der Weg durch die
grause Wildnis so leicht zu werden, wie eine Heerstrafse zwischen
Valladolid und Medina del Campo." Der CarabofluTs trennte die
Guayacarier von den Macoern. Darauf begann jenseits des Thia das
Land der überaus wehrhaften Guaypier (Vaupes); der dieses durch-
ziehende Opiaflufs war nicht zu bewältigen, so dafs ein Lager bezogen
werden mufste, welches alsbald die den Llanos eigentümlichen
Schrecknisse der Regenzeit zeigte: das Einbrechen der mit den
Wassern kämpfenden Tiere. Hohermuth zählte, als er im September
1536 Musterung hielt, statt 150 Mann 140, statt 49 Pferde 44;
am 1. Dezember gelang endlich der Durchgang durch den weit
ausgetretenen, mächtigen Strom; bald darauf wurden der ümea und
der Guatiqina überschritten. Dann erfolgten zur Zeit der Jahres-
wende drei wichtige Entdeckungen. Als Weihnachtsgabe bot sich
in Guasuriba die Auffindung der ganz einsamen Quellen des längst
berühmt gewordenen, aber noch immer nicht erforschten Meta-
stromes; dazu kam das Erbeuten von Proben 22 karätigen Goldes,
und endlich ein Fund von europäischen Sachen (Pferdegeschirr und
Kommandopfeife), von Resten der in der Wildnis fast ganz vernich*
teten Expedition von Alonso de Herrera, welche kürzlich von dem
einen Nachbarlande des welserischen Indiens ausgezogen war. Am
2. Februar 1537 wurde im Lande der Guaypier ein neues Lager
durch das Maria-Lichtmefs-Fest eingeweiht. „Da liefs der Guber-
nator erstlich eine Messe mit Solemnität feiern, auch mit Prozession;
dann afsen mit ihm am Tisch 102 Christen; endlich gelobten wir
alle fortan keinen Sonntag oder Feiertag zu ziehen." Der Ort
dieses in der Maruachara-Gegend belegenen Lagers, in dem auch ein
tempelähnliches Haus von 200 Fufs Länge sich fand, hiefs noch
lange „Unsere Liebe Frau der Guaypier" und wurde zu einem Haupt-
punkt für spätere Züge. Nach kurzem Weitermarsch liefs Hoher-
muth die Sonnenhöhe nehmen und sein Arzt, Diego de Montes, fand,
dafs man 2^8 Grad vom Äquator entfernt sei. Dann wurde ohne
— 15 —
Unfall der an beiden Ufern starkbewohnte Guaviari überschritten,
ferner der Papamene, wo es hiefs, gegen Süden wohnten Weiber-
völker,, die ohne dauernde Gemeinschaft mit Männern lebten, auf
der andern Seite, im Gebirge Menschen, die niemals stürben; un-
verstanden blieben diese Nachrichten von behaarten Stämmen, deren
weibliche Genossen streitbarer wären als die Männer, ebenso die
von alten Kulturvölkern, die niemals sterbende Priesterkönige kannten.
Die Weiserischen zogen weiter bis zum Putumayo, wo Montes er-
mittelte, dafs der Äquator nur noch einen Grad südlicher sei, und
abermals eine Kunde von dem Lande der lasttragenden Schafe er-
langt wurde, jedoch mit dem Zusatz, dafs dazwischen noch die
Choquer hausten, die schlimmsten unter allen Menschenfressern.
Hier, an einem roten Flusse, schickte Hohermuth zum Wegesuchen
den Steffen Martin ab und zwar mit 50 Fufsknechten, weil alles
umher Wald und Gehölz war, so dafs Pferde nicht durchkommen
konnten; den überrannnten nun die Heiden. Sie töteten zwei
Spanier und verwundeten viele, namentlich Martin selber, der im
Lager nach 20 Tagen starb. Das brachte schweren Schrecken ins
Volk ; denn „Martin war derjenige, der nach dem General das Ganze
regierte: ein Mann, daran viel gelegen war, den man an solchen
Orten um grofses Gut kaufen sollte, da er mit den Indiern um-
zugehen wufste". Trotz solchen Schlages zog die Expedition noch
viele Tage weiter, endlich wurde der Rückmarsch verlangt. Eine
zweite Regenzeit drohte, es waren aber „kaum noch 60 fähig sich
zu vertheidigen ; Hunde und Pferde wurden gegessen, allerlei Häute,
selbst Ungeziefer und sogar im Geheimen auch Menschenfleisch.
Von so bösem, unkräftigem und unnatürlichem Essen, auch von so
langer Anstrengung, vom Liegen in Regen und Wind, von all dem
Elend, sind wir so verschmachtet, dafs uns Gott mit der Rückkehr
nicht geringe Gnade erwies." Diese Rückkehr begann August 23.
1537 am roten Flufs und schlofs Mai 27. 1538 in Coro: Freude
herrschte aber erst beim Ende der unglaublich beschwerlichen Reise.
Am Opiastrom war Weihnachten gefeiert worden; am Darari hatte
man von einem neuen welserischen Zuge 'gehört und am Apuri er-
kannt, dafs dessen Führer kein andrer sein werde, als Federmann,
der Begründer der Hafenstadt beim Segelvorgebirge. Sofort war
Hütten der noch erkennbaren Fährte nachgegangen: allein er hatte
den Apuri nicht zu bewältigen vermocht. Zu solchen Enttäuschungen
kam noch die, dafs jetzt in Coriana dicht bei einander Freunde und
Feinde safsen und gar keine Ordnung herrschte, so dafs die Kirche
schon als Kastell benutzt war.
— 16 —
Zweite detdsche Faktorei in Amerika, Als die Welser beschlossen,
Federmann zu einer Stadtgründung und Holiermuth zu einer neuen
Entdeckungsfahrt auszusenden, hatten sie bereits erkannt, dafs in
dem hergebrachten Ausgangspunkte ihres amerikanischen Lehns, im
armseligen Coro, ein Geschäftskontor errichtet werden müsse. Diesem
stand seit 1536 Heinrich Eemboldt vor, der jedoch kein gesundes
kaufmännisches Getriebe auszubilden vermochte, weil in Coro
selbst, einer von allen Hülfsmitteln entblöfsten Stelle, europäisches
Wesen sich nicht einbürgern liefs und Zwischenstationen für den
Verkehr mit dem Innern noch fehlten ; die Eingeborenen des Coriana-
landes hatten bialpl^r mit den Weifsen sich vertragen, aber sie
schwanden dahin, bedürfnislos und erwerbsunfähig. Ein Tauschhandel
entwickelte sich nicht; die Suche nach Metallen blieb weit und
breit erfolglos, wie denn noch heute die Umgebung des Venezuela-
sees den oftversuchten Bergbau nur ganz selten befriedigt hat.
Remboldt hatte blofs die früheren Anlagen vor vollständigem Ver-
fall bewahren und den Besitzstand der Kolonie gegen die neuen
Eindringlinge verteidigen können, d. h. gegen europäische Nachbarn,
denen es noch schlimmer ging, als den Weiserischen. Sein Nach-
folger in der Faktorei war Melchior Grubel, dessen Name über ein
Jahrhundert lang im Welserlande sich erhalten hat, zuletzt als der
einzige deutsche in dem zum Tokuyogebiete gehörenden Quibor.
Zweiter Ztig über Schneesteppen, Federmannstand, wieHoher-
muth getäuscht zurückkehrte, bereits als erfolgreicher Mann da.
Er hatte in der That, als dieser auf dem Rückmarsch sich befand,
seine junge Stadtanlage an der Cocibacoaküste verlassen und war
nach sehr geschickter Überschiffiing des kleinvenetianischen Sees
weiter nach Süden vorgedrungen, auf ähnlichem Pfade, wie vor
sechs Jahren. Im Dezember 1536 hatte er Bariquicimeto verlassen
und nach langem Irren, bald am Fufse der unwirtlichen Bergmassen
tastend, bald die endlosen Grassteppen weiter durchziehend, im
Februar 1538 jenen Platz der Guaypier erreicht, der ein Jahr
zuvor von Hohermuth nach dem Maria -Lichtmefs -Feste benannt
worden war. Von dort zog er auf Rat des merkwürdigen Pfad-
finders Pedro de Limpias nicht an dem zur Rechten aufsteigenden
Gebirge weiter, sondern unerschrocken hinein in diese unermefslich
ausgedehnte und unermefslich sich erhebende Bergwildnis. Sie
zeigte sich zuerst als ganz unbewohnt ; ein Waldbrand mufste durch
Gegenfeuer bekämpft werden; bald gab es keinen Baumwuchs mehr ;
auf dem gefrorenen Boden liefsen sich die Jagd- oder Kriegspfade
der Eingeborenen nicht mehr erkennen; die Krüppelvegetation bot
— 17 —
natürlich gar keine Nahrung, nur eine ungezählte Kaninchenmenge
bewahrte vor Verhungern. 23 schreckliche Morgen sah man die
Bergkuppen beschneit; endlich zeigte sich das elende Dorf Fosca.
Da erscholl die Kunde von ganz nahen Wohnstätten bekleideter
Menschen, von glänzenden Tempeln und uralten Gottesdiensten.
Die Weiserischen drangen jetzt leichteren Mutes weiter durchs
Hochgebirge, erhielten dann aber in den einsamen Hütten von
Pascua aus spanischem Munde die Nachricht, dafs die sehr bald sich
öffnende schöne Hochebene bereits von Europäern betreten sei ; diese
hätten von einem Orte Bogota Besitz ergriffen und nenneten das
flache, kühle, bergumrahmte Land der vielen kleinen gutgearbeiteten
Anbaue der Eingeborenen wegen „das Thal der Burgfesten." Diese
Konkurrenten von Federmann waren von Santa-Marta im Auftrage
jenes Lugo und unter der Führung von Jimenez de Quesada aus-
gezogen; zugleich mit den Weiserischen kamen dahin Männer von
der vergebens ersehnten Südsee unter dem Kommando von Sebastian
de Belalcazar, dem Vertreter Pizarros. Eine Verständigung wurde
notwendig; von den Weiserischen blieben die meisten an Ort und
Stelle, namentlich auch ihr Geistlicher Juan Verdejo mit seiner
glücklich geretteten Hühnerzucht. Schnell entstanden nun drei An-
siedlungen: zwei in den alten Ortschaften Bogota und Tunja, die
dritte in der neuen Militärstation V61ez. Gemeinsam mit den
Führern der beiden andern Expeditionen schiffte sich Federmann
Mai 12. 1539 auf dem Juma-Strome zu Guataqui ein, reich an
Schätzen, namentlich an Smaragden. Voll neuer Pläne verliefs er
Juni 8. in dem erst kürzlich begründeten Cartagena de Indias die
atlantische Küste und ging nach Jamaica, nicht nach Santa-Do-
mingo, von da nach Antwerpen, nicht nach Sevilla. In Augsburg
wurden die Herren Welser ob solchen Verfahrens mifstrauisch, und
Federmann starb, ohne mit ihnen sich auseinandergesetzt zu haben,
zu Gent. Sein Tod begrub die beste Kunde von dem wunderreichen
Binnenlande, das jetzt Neugranada genannt wurde und offenbar in
die Grenzen des welserischen Lehns fiel.
Zweite Durehf(yi^schung der Llanos, Als Federmann in der
Fremde starb, war Hohermuth auf der jetzt von Franciso Davila
verwalteten welserischen Faktorei in Santo-Domingo, um kräftigst
eine neue Expedition nach dem Süden auszurüsten. Ihm gelang
alles, obwohl er für die Anschaffungen persönlich eintreten mufste,
da aus Augsburg keine Aufträge eingegangen waren. Basch wurde
in Coro die Ordnung wieder hergestellt, so dafs für die dortige
Faktorei einige Aussichten sich darboten — aber plöt-züsJa. ^^^^^bö.
Geographische Blätter. Bremen 1889. ^
— 18 —
den tüchtigen Mann Fieber und Tod und die kleine feste Kirche
von Coro mufste ihm im November 1540 die letzte Ruhestätte ge-
währen; Juan Robledo, der treffliche Dechant, segnete sie mit
Worten, die noch lange Jahre hindurch unvergessen blieben. Nun
war das Welserlehn abermals verwaist und wiederum erschien im
Namen der spanischen Regierung von Hispaniola Bischof Bastidas
als Landpfleger ; wiederum versuchte dieser in seiner Weise die bis-
herigen Ansiedelungsversuche in Gang zu halten. Als man in Augs-
burg endlich die Sache übersehen konnte, erfolgten neue, überaus
energische Schritte. Am 10. März 1541 schrieb der vom Bischof
zum Generalkapitän ernannte Philipp von Hütten : „Vor kurzen Tagen
ist hier des Herrn Bartholmä Welsers Sohn angekommen, ein ver-
ständiger junger Gesell, über dessen Ankunft alle grofse Freude
hegen; ich habe keinen Zweifel, dafs die Herren Welser ihn zum
Landeshauptmann machen, da Gott ihn zu solcher Zeit geschickt
hat." Die Augsburger Firma sandte zur Durchführung ihres grofsen
Planes keinen Geringeren übers Meer als den ältesten Sohn ihres
Chefs, den 28jährigen Bartholmä Welser, der zunächst mit Land
und Leuten sich bekannt machen und dann, praktisch ausgebildet,
die Landeshauptmannschaft übernehmen sollte; mittlerweile empfing
Hütten die Kronbestätigung als Generalkapitän, wie er sich aus-
drückte „von kaiserlicher Majestät". Mit doppeltem Nachdruck suchte
er nun Hohermuths Pläne zu verwirkHchen ; wie er denn auch, nachdem
Franz Lebzelter, um allerlei falsche Gerüchte zu beseitigen, heim-
wärts geschickt war, August 11. 1541 von Coro aufbrach, nicht
blofs mit dem Segen des Bischofs versehen, sondern auch mit aus-
führlicher Weisung über den einzuschlagenden Weg und das Benehmen
gegen andre etwa aufstofsende Europäer. Sein Zug ging zunächst
wieder nach Bariquicimeto, aber nicht durch das Caribengebirge
und über die Wasserscheide beim Tokuyoflufs, sondern an der Küste
entlang bis zur Mündung des Yracuystromes, wo als Ersatz für
die am kleinvenetianischen See und beim Segelvorgebirge aufgege-
benen Positionen eine ständige Niederlassung in einem alten Küstenorte
der Burburer begründet werden sollte. Dieser Marsch war viel
schwieriger als man gedacht hatte, so dafs Bariquicimeto erst nach
Monaten erreicht wurde, erst nachdem ein vorausgesandter Trupp
bereits auf eigenem Wege die Fahrt nach Federmanns neuem Granada
begonnen hatte; ein Vetter des Santa-Martaer Landeshauptmanns
war der Anstifter dieser Desertion: Montalvo de Lugo. Obwohl
durch sie viele Pferde entführt wurden, setzte Hütten seinen Weg
Ms ins Land der Guaypier ziemlich ungestört fort; in dem dortigen
— 19 —
Standlager erfuhr er aber, dafs kürzlich andre Christen durchgezogen
seien; die hätten einen güldenen Prinzen gesucht. Die Nachricht
von einem täglich neu mit Goldstaub sich schmückenden Häuptling
war noch viel verlockender als die von einem Lande lasttragender
Schafe. El Dorado klang noch schöner als El Peru! Die erste
Doradofahrt hatte Gonzalo Pizarro, der Bruder des peruanischen
Landeshauptmanns, Ende Februar 1541 von Quito aus, dem Napo-
strome nachgehend, erfolglos begonnen, die zweite von Tunja aus
Anfang September desselben Jahres, Perez de Quesada, der Bruder
des Entdeckers von Neugranada, zuerst in der Richtung auf jenen
Maria -Lichtmefs 1537 eingeweihten Platz des Guaypier und dann
weiter südwärts, wie es schien, ebenfalls ohne Erfolg. Den Spuren
dieser Expedition folgte Hütten und mit ihm der junge Welser,
der nicht blofs als unerschrockener Mann, sondern sehr bald auch
als Fährtenfinder sich hervorthat. Das welserische Lager empfing
im Lande der Guaypier als Huldigungszeichen Silber- und Gold-
kugeln. Silber war eine durchaus neue Erscheinung, es stanmite
offenbar aus einem grofsen, reichen, jenseits der immer höher
aufsteigenden Gebirge liegenden Lande. Um dieses endUch zu er-
reichen, wurden Monate hindurch die gröfsten Anstrengungen gemacht,
wenngleich der ExpeditionsgeistUche Juan Fructos de Tudela feststellte,
dafs der Äquator bereits im Rücken liege. Nach langen Gebirgs-
märschen wurde 1543 auf einer vereinzelten Erhöhung, der Punta
de Perdaos, das schwerste Winterlager durchgemacht, das die Weiseri-
schen bisher hatten ausstehen müssen: ein erschrecklicher Aufenthalt,
dessen beste Nahrung zuletzt in Ameisen bestand. Ein Zurück-
gehen auf jenes Standquartier bei den Guaypiern wurde notwendig ;
aber sehr schnell erfolgte wieder um so rüstigeres Vorwärtsdringen.
Der breite Montoaflufs wurde überschritten und das Land der Co-
Aguaer, die zu den Choquern gehören sollten, mühevoll durchzogen.
Mehr und mehr ward nun das Weiterkommen unmöglich ; der Ver-
proviantierung halber trennte sich Hütten von Limpias Monate lang.
Jener kam freilich in das Land der am Amazonasstrom hausenden
Hom-Aguaer, deren Ruf schon früher bis nach Coro gedrungen war :
allein es zeigte sich kein güldener Prinz und kein Silberland, sondern
nur Täuschung der aufgeregten Sinne : schien es doch einmal, als
winkte eine Stadt mit Tempeln und Zinnen, während nur das von
Wildbächen zerklüftete, baumlose Terrain am Fufse der Berge den
Formen menschlicher Bauwerke ähnelte. Fast drei Jahre dauerte
der Vormarsch, der endlich aufgegeben werden mufste, mehr als ein
Jahr, die Rückkehr von Standlager zu Standlager. UnvergleickUabL
— 20 —
grofse, bisher unbekannte Gebiete waren durchzogen; auf Grassteppen
war dichter Wald gefolgt, auf feuchtheifsen Sümpfen kaltödes Gebirge
— aber die eingeschlagene Richtung hätte immer nur weiter führen
können in die undurchdringlichen Wildnisse der Amazonas-Quell-
ströme, noch heute fast unbekannte Teile des inneren Südamerikas.
Erst Anfang 1546 zogen Hütten und Welser mit den Resten ihrer
Expedition auf der schon bekannten Fährte vom Apuriübergang
nach der Cuaherimulde und diese hinauf in die Bariquicimetogegend.
Aufgebung des Unternehmens. Die 1541 begonnene Welserfahrt
dauerte infolge der Nachricht vom güldenen Prinzen viel länger, als
vorausgesehen werden konnte und die Abwesenheit der besten
Kräfte erschien der Faktorei in Coro als noch viel, viel länger ; Melchior
Grubel wurde von allen Seiten bedrängt. Zum dritten Male hatte
sigh die königliche Behörde von Hispaniola in die Verhältnisse des
Weiserlandes gemischt, nunmehr nicht blofs durch Bevollmächtigung
des Bischofs, sondern durch die Ernennung eines weltlichen Land-
pflegers. Juan de Caravajal und sein Adjutant Juan de Villegas
machten jenseits Bariquicimeto, im Tokuyothale, als Vertreter jener
Regierung den Weiserischen den Durchzug streitig. Es kam zwischen
ihnen, Hütten und Welser, zu einem Turnier, das abgebrochen werden
mufste, weil die Pferde der Deutschen von der endlosen Reise zu
sehr mitgenommen waren; eine Vereinbarung wurde getroffen und
namentlich frei Geleit bis Coro bedungen; fast die ganze waffen-
fähige Mannschaft unterzeichnete die Urkunde. Die Weiserischen
zogen weiter, wurden aber bei Quibor von ihren Gegnern jählings
überfallen und zur Waffenstreckung genötigt; ihre Führer wurden
in Ketten gelegt und die vier bedeutendsten derselben in der Ort-
schaft Tokuyo hingerichtet: Hütten, der junge Welser und zwei
Spanier. Dieser Blutakt geschah in der Karwoche 1546 (18. — 25.
April) auf eine so erniedrigende und geradezu scheufsliche Weise,
dafs über ihn noch Jahrzehnte lang mit höchster Entrüstung ge-
schrieben und gesprochen wurde; die betreffenden Berichte von jenem
Juan Fructos und andern Weiserischen lebten in der Erinnerung der
späteren Geschlechter weiter und brandmarkten jene Gewaltthat als
die verruchteste Ausschreitung der blutigen Konquistadorenzeit. Von
ihr erfuhr man in Augsburg erst in Jahresfrist; denn er hatte alle
Geschäftsverbindungen durchrissen; die erste Nachricht kam dahin
nur auf privatem Wege durch Hans, den Kistler von Geldern,
der nach Jerusalem pilgern wollte, um alle die Greuel des Tropenlebens
zu vergessen und zu verbüfsen. Freilich liefs Karl V. den Justizmord von
Geriehtswegen sühnen ; freilich wurde jener Caravajal in Tokuyo am
— 21 —
Platze der Hinrichtung Welsers und Huttens auf das Abschreckendste
vom Leben zum Tode gebracht, mit Strang, Schleifung und Vierteilung,
freilich erhielten B. und A. Welser ihre Privilegien bestätigt mit
der dringenden Ermahnung an den Indienrat energisch auf Recht
und Gerechtigkeit zu sehen: die indischen Lehen waren seit 1647
den Augsburger Herren so gründlich verleidet, dafs sie nur noch
hier und da auf Rettung von Anlagekapitalien dachten, aber bald
das Welserland ebenso, wie die Faktoreien in Coro und Santo-
Domingo, verliefsen. Das ungerechte Ende des jungen Bartholmä
Welser, dieses viel versprechenden energischen Erben eines grofsen
Namens, war nicht zu verwinden; solch ein Opfer liefs sich durch
keinerlei Erfolge wieder gut machen und mit ihm enden die
welserischen Unternehmungen in Amerika.
Vorstehende Lihaltsübersichten geben eine Probe aus der über-
reichen Mär vom deutschen Indien, die auch viel erzählt von
deutscher Recken Wagnis und Drangsal und hoffentlich bald in allen
ihren dramatischen Bewegungen und interessanten Einzelheiten dar-
gestellt werden wird.
zur Trockenlegung der ^^Zuiderzee^^
in Holland.
Hierzu Tafel I: Figur 1—10.
Einleitung. — Der Kampf gegen das Wasser in Holland. — Mutmafsliche
Vorteile einer Trockenlegung der Zuiderzee. — Jetztger Zustand der Zaider-
zee. A. Zar See abfliefsende Gewässer. B. Einströmendes Meerwasser. C. Geo-
logische Beschaffenheit des Meeresgrundes. — Übersicht der verschiedenen Entwürfe
zur Eindeichung der Zuiderzee. — Schlufswort.
Der Holländer ist auferwachsen in dem festen Glauben, sein
Boden sei von den Vätern den Wellen entrungen; von der Wiege
an steht kein Glaubensartikel ihm fester als dieser.
Ein Vergleich des heutigen Zustandes mit dem früheren zeigt
uns überall die Spuren des Kampfes gegen das Wasser. Fast ganz
Nordholland, ausgedehnte Gegenden in Südholland sind trocken-
gelegte Moore und Seen; in Seeland, Groningen und Friesland sind
ganze Länderstrecken im Laufe der Jahrhunderte dem Meere ent-
zogen und bildeten nach ihrer Eindeichung die äufserst fruchtbaren
Meexpolder. Auch die jetzige Generation sah das .ftR^xV<«!Oss^K«!^^^ ^
— 22 —
die Polder im ehemaligen Y, und die Polder in der Umgegend von
Rotterdam als Wasseroberflächen verschwinden und ihre Verwandlung
in bebaute und bevölkerte Gegenden.
Eine, in dieser Beziehung bemerkenswerte Schrift wurde 1887
von Herrn Ä, Ä, Beekman, Gynmasiallehrer in Zütphen, unter dem
Titel „Stryd om het Bestaan^ (Streit ums Dasein) herausgegeben;
darin setzt uns der Verfasser in eingehender Weise davon in Kenntnis,
was seit den frühesten Zeiten geschehen ist, um den holländischen
Boden den Wellen zu entringen und ihn trocken zu erhalten.
Indessen hat die Karte von Holland noch eine grofse Bucht
aufzuweisen, die, Nordholland von den östlichen Provinzen trennend,
die Meereswellen tief landeinwärts dringen läfst. Die „Zuiderzee"
war vor vielen Jahrhunderten festes Land und auf diesem Gebiete
hat der Mensch in seinem Streite mit dem Erbfeind des Kürzeren
gezogen, ohne dafs es bis jetzt gelang, ihn aus seiner Eroberung
wieder zu vertreiben.
Es liegt auf der Hand, dafs nach der gut gelungenen Aus-
trocknung von vielen Tausenden Hektaren vorzüglichen Baugrundes
sich das Augenmerk auch auf die Zuiderzee lenkte und die Frage
aufgeworfen wurde, ob es nicht möglich sei, dieses Gebiet als
zwölfte Provinz auf friedlichem Wege zu annektieren.
Es versteht sich von selbst, dafs man bei einem so riesenhaften
Unternehmen aufs genaueste untersucht, ob die finanziellen Opfer,
welche es erheischen wird, zu entsprechendem Vorteil und Gewinn
führen. In mancher Hinsicht sind die Vorteile eines solchen Unter-
nehmens bedeutend gröfser als gerade der reine Gewinn in klingender
Münze. Wenn wir in nachstehendem die Nützlichkeitsargumente
darlegen, welche man zu Gunsten des Unternehmens von mehreren
Seiten geltend gemacht hat, so wird man daraus sehen, dafs der
reine Geldgewinn nicht allein in Betracht kommen darf, sondern
dafs man sich von der Trockenlegung des Meerbusens noch andre
Vorteile versprechen darf.
1) Gewinn an Grund und Boden für Land- und Äckerbau.
Es kann hier auch nicht einmal annähernd die Flächenausdehnung
dieses Areals angeführt werden, weil solche bei den verschiedenen
Projekten sich sehr verschieden stellt.
JSl) Ersparnis an Kosten für Seedeiche, Die Zuiderzee ist fast
in ihrer ganzen Ausdehnung von sehr kostspieligen Deichen umgeben,
weil die Dünen, die unschätzbare natürliche Landwehr gegen die
Nordsee, hier gänzlich fehlen. Hauptsächlich die Deiche an der
Westkäste von Friesland, ausgesetzt den hochgehenden und zwischen
— 23 —
den Inseln kräftig sich aufstatienden Meereswellen, müssen fortwährend
mit bedeutendem Aufwand von Geld, Arbeit und Mühe in Stand gehalten
werden. Sei es nun der Staat, die Provinz oder die Grundbesitzer
innerhalb der Deiche, die das Geld dafür auszulegen haben, bezahlt
mufs es werden, und mit vollem Rechte sieht man in der Trocken-
legung der Zuiderzee ein Unternehmen, das in dieser Richtung ent-
schieden Erleichterung bringen wird.
Je nördlicher man den Abschliefsungsdamm anbringt, desto
vorteilhafter wird es in dieser Beziehung sein, um so mehr, als der
südUche Teil der Wucht der direkt einströmenden Wassermassen
weniger ausgesetzt ist.
3) Geringere Gefahr der Überschwemmung. Ein ausschlag-
gebender Grund, weshalb man in Holland so viele Wasserflächen
trocken gelegt hat, ist der von diesen ihrer Umgegend zugefügte
Schaden. Unter dem Einflufs starker Winde bröckelte das Land an
den Ufern ab, und jagten die Wellen tief ins Land hinein. So war
es z. B. bei dem „Harlemmermeer", welches zum Schrecken der
Umgegend immer drohender um sich griff und förmlich die Küsten
ausfrafs. Auch bei der Zuiderzee droht dieselbe Gefahr. Durch-
bruch oder Überstürzung der Deiche wäre eine Katastrophe, deren
Folgen vielleicht nie wieder ganz zu beseitigen sein würden.
4) Verkehr der nördlichen Provinzen mit Amsterdam, Der
Verkehr mit Schiffen wird öfters auf der beweglichen und hoch-
welligen Zuiderzee gestört und gefährdet. Nach Austrocknung der-
selben wäre eine direkte Eisenbahn möglich, während die wichtigsten
Städte mittelst neu zu grabender Kanäle unter einander zu ver-
binden wären.
5) ErhaUmig des fruchtbaren Flufsschlamms. Alljährlich führt
die Yssel an 200000 cbm Schlamm ins Meer, wo er ohne Nutzen
hegen bleibt ; würde die Zuiderzee blofs abgedämmt, d. h. von ihrer
Verbindung mit der Nordsee abgeschlossen, dann könnte man über
diese Masse Schlamm verfügen zur Düngung und Ausbesserung
trockener und unergiebiger Gründe, wie das häufig in den Moor-
kolonien und in Heidegegenden stattfindet.^)
6) Beschirmung der Nordseeinseln. Jahraus jahrein wird Ab-
schlag und Landverlust an den friesischen Inseln von Texel bis Borkum
konstatiert, der Art, dafs immer mit grofsem Kostenaufwand an diesen
Küsten gearbeitet werden mufs. Das Meer erweitert die Ofi&iungen
zwischen den Inseln immerfort und mancher Einwohner der nörd-
') Vergleiche Bd. X. Heft IV. dieser Zeitschrift, ^a.?,, ^9A.
— 24 —
liehen Provinzen hat schon gewünscht, man möge doch die Insekeihe
durch Dämme mit einander verbinden, damit sie nicht länger der
verheerenden Wirkung der Wellen ausgesetzt blieben.
Nicht bei allen Entwürfen kommen die genannten Hoffnungen
in gleichem Mafse zur Geltung. Öfters gab man bei dem einen
Entwürfe Vorteile auf, die bei dem andern gerade hervorgehoben
wurden, um eben diesen mit Wärme zu empfehlen. Was hier an-
geführt wurde, ist nur ein Resume von einigem, was dazu gedient
hat und noch dazu dient, um die Gemüter für das grofse Unter-
nehmen zu begeistern.
Ob es angebracht sei, die Ausbreitung des zu bebauenden Bodens
auf diesem Wege zu suchen, während noch 71 000 ha Moor und
Heidegrund des Spatens harren, ob es zu verteidigen, Arbeit zu
schaffen, um viele intellektuelle und physische Kiäfte zu beschäftigen,
von alledem ist hier nicht die Rede. Die Idee der Trockenlegung
liegt nun einmal in der Luft, die Pläne sind entworfen, und es wäre
möglich,, dafs das gegenwärtige Geschlecht noch den Anfang dieses
grofsen Werkes sieht.
Wir beabsichtigen nun eine Übersicht zu geben von dem, was
bis jetzt in der Sache gearbeitet und gedacht worden ist, und in
gedrängter Form die heutige Lage der Sache darzustellen. Auf
technische Details wollen wir dabei nicht eingehen und ebenso-
wenig wollen wir scharfe Ejitik üben an Leistungen so vieler tüch-
tiger Techniker.
I.
Die Zniderzee in ihrem gegenwärtigen Znstande.
A. Zur See abfliefsende Gewässer.
Der in Rede stehende Meerbusen ist nicht nur als solcher zu
betrachten, vielmehr mufs man im Auge behalten, dafs die Zuiderzee
fortwährend eine grofse Menge süfsen Wassers in sich aufiiimmt.
Aus den Karten ergiebt sich, dafs der Nordseeküste entlang
von Ymuiden bis Helder keine einzige Schleuse in die Nordsee aus-
wässert; an der Ostküste Nordhollands, der Küste entlang von
Helder über Enkhuizen bis Amsterdam, bringen nicht weniger als
34 Auswässerungsschleusen das Wasser aus den Poldern in die
See, wobei 8 Dampfmaschinen aufs kräftigste mitarbeiten. Das
Regenwasser, welches auf die Oberfläche Nordhollands fällt, und
nicht vom Boden eingesogen wird, mufs, sehr verschiedenen Wegen
folgend, doch schliefslich durch eine dieser Schleusen fortgeschafft
und in das Meer geführt werden. Man darf nicht verwundert sein,
— 25 —
dafs dieser Thatsache Rechnung getragen wird. Eine einfache Be-
zifferung wird beweisen, dafs der Betrag sehr bedeutend sein kann.
Wenn in 24 Stunden nur 1 mm mehr Regen fällt als ver-
dunsten kann, so beträgt die überflüssige Wassermenge auf einen
Hektar schon 10 cbm und diese 10 cbm können bei Regenwetter
täglich um denselben Betrag verstärkt werden. Gelänge es nicht,
das Wasser regelmäfsig abzuführen, so würde es mehr und mehr in
den Gräben steigen und bald das ganze Ackerland überströmen ; man
gedenke dabei, dafs von natürHchem, selbstthätigem Abfliefsen des
Wassers nicht die Rede sein kann, da die Gründe unter dem täg-
lichen Stand der Meeresfläche liegen.
Nun ist Nordholland zwischen Amsterdam und Helder
160 000 ha grofs und also, bei der ausgesprochenen Voraussetzung,
der tägliche Betrag des abzuführenden Wassers 1,6 Millionen cbm,
oder nahezu 20 cbm in der Sekunde.
Die Voraussetzung von 1 mm Unterschied des gefallenen und
verdunsteten Wassers ist aber äufserst gering. Vielfach sind die
Beispiele, dafs Tage hintereinander 10 bis 15 mm Regen nicht ver-
dunsten konnten und also auf künstlichem Wege, durch Wasser-
mühlen oder Dampfmaschinen, fortgeschafft werd^en mufsten; somit
kann man feststellen, dafs tagtäglich viele Millionen Kubikmeter
durch die Schleusen in die Zuiderzee abgeführt werden.
Die genannte Gegend ist jedoch nicht die einzige, welche ihr
Regen- und Polderwasser zur Zuiderzee abläfst. Zwei Neuntel des
Gebiets von Rynland^) bringen ihr überflüssiges Wasser durch
Schleusen bei Schellingwoude dorthin, das ausgedehnte Poldergebiet
der Vechte entlang, ganz Amstelland, welches fast ausschliefslich aus
Poldern und niedrigem Land besteht, die Moorgebiete in Over-Yssel
und nahezu ^/s des Poldergebietes von Friesland machen es ebenso.
Eine Berechnung darüber wäre hier zu weitläufig, aber man wird
einsehen, dafs schon bei ganz gewöhnlichem Zustande die Mengen
süfsen Wassers, welche jede Sekunde in die Zuiderzee abgeführt
werden, viele Tausende Kubikmeter in der Sekunde betragen müssen.
Dazu kommt nun noch eine sehr beträchtliche Menge von
Flufswasser. Kleinere Flüsse wie Eem, Tjonger und Zwarte Water
bei ZwoUe nur erwähnend, finden vm: bei Kampen die Mündung der
Yssel. Dieselbe mufs ^/s des unverteilten Rheines abführen, sowie er
bei Lobith die niederländische Grenze überschreitet, folglich einen
Betrag von:
^ Vergleiche Petermanns Mitteilangen 1884. Band 30 über „Rynland
und dessen Entwässerang.''
5? 5?
— 26 —
pro Sekunde 190 cbm bei niedrigem Wasserstand,
260 „ „ mittlerem Stand,
400 „ „ einem Stand von 1 m über M. R.^)
Sobald jedoch der Rhein über den zuletzt erwähnten Stand
anschwillt, wird die von der Yssel abgeführte Masse bedeutend
gröfser als V», und erhöht sich bis 1300 zu 1500 cbm in der Sekunde.
In ihrem weiteren Laufe nimmt die Yssel mehrere Bäche und kleinere
Flüsse auf, deren jeder das Wasser von ziemlich ausgedehnten Ge-
bieten abwärts führt, ja bei lang anhaltendem Regenwetter aus seinen
ufern tritt. Direkt oder indirekt, oft auf ziemlich langem Wege,
konmit zuletzt das abgeführte Wasser wieder in die Yssel, und
ohne im geringsten zu übertreiben kann man behaupten, dafs in
wasserreichen Perioden (z, B. November und Mai) die Yssel bei
Kampen jede Sekunde bis 2500 cbm Wasser ins Meer ergiefst.
Für einige kleinere Flüsse, die schon oben genannt, kann man
ein Maximum von 400 cbm in Anschlag bringen, und somit für
sämtliches Flufswasser 3000 cbm in der Sekunde feststellen. Selbst-
redend mufs man bei eventueller Austrocknung mit diesen Umständen
rechnen, weil die Interessen von sehr ausgedehnten, gut bebauten
und reich bevölkerten Gegenden aufs engste mit einer regelmäfsigen
und gesicherten Wasserabfuhr verknüpft sind.
Auch ist es unerläfslich, Rücksicht zu nehmen auf die Abfuhr
des Eises, das sich im Winter in den Flüssen bildet, und schon
jetzt, bei offenen Flüssen, oft zu bedenklichem Steigen des Wassers
führen kann.
B. Einströmendes Meerwasser,
Hauptsächlich durch drei Öf&iungen zwischen den Inseln strömt
das Wasser aus dem offenen Meere in den Busen hinein, und zwar
durch den Texelstrom oder das Texelsche Gat (ÖfEnung) ; das Eierland-
sche Gat; den Vliestrom (siehe Tafel I Fig. 1). Die zweite ist von
geringerer Bedeutung, aber die beiden andern sind über 20 m tiefe,
breite Mündungen, durch welche bei Flut jedesmal Millionen Kubik-
meter Wasser eindringen und gewaltig gegen die Küsten Frieslands
heranwallen.
Der Unterschied zwischen hohem und niedrigem Wasser (Flut-
und Ebbestand) ist an den holländischen Küsten am geringsten bei
Helder, und steigert sich nord- und südwärts, wie aus nachstehender
Übersicht zu entnehmen ist:
*) M. R. Mittlerer Stand; Durchschnittshöhe in den 6 Sommermonaten
während der Jahre 1871—1880 inkl.
— 27 —
Calais 6 m
Vlissingen . . 3,5 „
Mündung der Maas. . . 2 „
Helder 1,14 „
Vliestrom , . . 1,68 „
Borkum .... 1,90 ,,
Mündung der Weser. .3 „
Sobald das hereingedrängte Flutwasser in den Raum zwischen den
Inseln und Friesland gelangt, kann es nicht mehr regelmäfsig durch-
strömen, sondern stürzt gegen die Küsten; daraus ergiebt sich auch
eine schwächere Differenz von Flut- und Ebbestand, wie aus folgenden
Ziffern zu ersehen ist:
Westliche Küste: Östliche Küste:
Insel Wieringen .... 0,85 m
Enkhuizen .... 0,55 „
Hoom 0,36 „
Insel Marken 0,30 „
Schellingwoude 0,38 „
Harlingen 1,36 m
Workum 0,67 „
Stavoren 0,52 „
Lemmer 0,10 „
Blokzyl 0,05 „
Elburg 0,23,,
Zu dieser raschen Abnahme trägt auch die sich bei Lemmer jäh er-
weiternde Form des Beckens bei. Bei den Mündungen der Yssel
ist also nur ein geringer Einflufs der Tiden wahrzunehmen und diese
Geringfügigkeit ist für die Auswässerung des Flusses ein wesentlicher
Nachteil. Bekanntlich sind die Ströme, welche an ihren Mündungen
grofse Differenzen im Wasserstand haben, in der günstigsten Lage,
um die Mündungen in bedeutenden Tiefen zu erhalten. Als Belege
für diese Wahrheit kann man anführen, das z. B. Themse und
Scheide tief bleiben, während Nil und Mississippi, deren Wasser-
abfuhr viele Male gröfser ist, an ihren Mündungen versanden und
Deltas absetzen. Deswegen hat man auch Yssel und Zwarte Water
durch überaus lange Stromleitungen, Dänmie aus Reisig und Steinen
bis in genügend tiefes Wasser geleiten müssen, um Sandansetzungen
in den Mündungen selber zu verhindern.
Das hineingestaute Flutwasser füllt nur allmählich das ganze
Becken des Meeres, und weil ein südlicher Ausgang fehlt, ist der
Lauf der Flutwelle äufserst träge. Wenn z. B. bei Helder der höchste
Stand erreicht ist (also nach Beendigung der Flut) 7 Uhr vormittags,
dann werden die höchsten und die niedrigsten Stände an verschiedenen
Punkten erreicht, wie hier folgt:
— 28 —
Flutstand Ebbestand
Helder 7 Uhr — Min. 1 Uhr — Min.
Insel Vlieland 8„ — „ 2„ 7„
Insel Terschelling ..8„ 7„ 2„ 7„
Insel Wieringen. ... 8 „ 18 „ 2 „ 20 „
Medemblick 9 „ 34 „ 2 „ 46 „
Insel ürk 12 „ — „ 5 „ 30 „
Yssehnündung 12 „ 27 „ 6 „ 30 „
Insel Marken 12 „ 27 „ 6 „ 27 „
Schellingwoude .... 1 „ 10 „ 6 „ 45 „
Die Flutwelle braucht also ungefähr 6 Stunden, um bis zum
südlichen Band des Beckens zu gelangen. Weil aber niedriges Wasser
(Ebbestand) bei Helder ungefähr zusammenfällt mit hohem Wasser
(Flutstand) bei Schellingwoude, begegnet das zurücklaufende Ebbe-
wasser die hereinströmende Welle der folgenden Flut in der Mitte
und zwar im weitesten Teil; dieser Umstand trägt wesentlich zum
geringen Einflufs der Tiden bei, der, wie schon erwähnt, bis zu
wenigen Zentimetern herabsinkt.
Jedoch glaube man nicht, die Gewässer der Zuiderzee zeigten
sich immer so ruhig und regelmäfsig, als obige Vorstellung glauben
läfst. Bei Stürmen, zumal wenn diese mit Springflut zusammen-
fallen, kommt in der Zuiderzee ein ganz eigener Vorgang zur Ent-
wickelung, nämlich das Aufwehen des Wassers. Während z. B. bis-
weilen das Wasser von der Süd- und Westseite bis zu 2 m unter dem
gewöhnlichen Stand abweht, steigt es an der Ostküste bis zu
2 ä 2,50 m über den Mittelstand, treibt die Gewässer der Flufsmün-
dungen zurück und überschwemmt die Küstenlande, insoweit sie nicht
von soliden Deichen imigeben sind. Die Strafsen der Städte ZwoUe
und Kampen sind öfters auf kurze Zeit so überschwemmt, dafs man
mit Kähnen darin fahren könnte.
Die Begel ist, dafs Stürme aus dem Südwesten herankommen
und, indem der Wind sich allmählich hebt, durch West nach Nord-
west drehen. Die aufgewehten Gewäfser, welche anfangs schon hoch
gegen die Küsten von Friesland und Overyssel aufgejagt sind, werden
nun nicht nur gehindert, nach Nord abzufliefsen, sondern auch neue
Massen Werden durch die Öffnungen zwischen den Inseln herein-
gedrängt, wobei die Küsten und Deiche oftmals schwer auszuhalten
haben und manchmal hart mitgenommen werden. Hieraus erklärt
sich, warum zumal die Provinz Friesland mit so schwerem Geld und
so mühseliger Arbeit noch immer den Streit ums Dasein hat führen
mässen.
— 29 —
Aus dieser Darstellung ergiebt sich, dafs man bei den ver-
schiedenen Entwürfen zur Abdämmung sich fragen mufs, ob vielleicht
der Einflufs des anzulegenden Dammes auf die Meereshöhe im nicht
abgeschlossenen nördlichen Teil, Nachteile für die Küsten mit sich
bringt, ob es möglich ist, durch zweckmäfsige Abschliefsung die
Differenz zwischen Flut- und Ebbestand zu erhöhen und somit der
Yssel eine kräftige und mehr gesicherte Abströmung zu gewähren.
C. Geologische Beschaffenheit des Meerbodens.
Hierzu Tafel I Fig. 2.
In bezug auf die Art und Weise, wie die Zuiderzee entstanden
ist, giebt es sehr verschiedene Meinungen, die jedoch bei einer Über-
sicht der Pläne zur Trockenlegung nicht eingehend besprochen zu
werden brauchen. Unzweifelhaft steht fest, dafs die Formation des
Hügellandes in Gelderland, welche unter dem Namen Veluwe*) bekannt
ist, sich, wiewohl immer tiefer hinabsinkend, noch weit nach Westen
ausdehnt, und dafs dieser Diluvialboden sich zuletzt unter den Moor-
gründen von Nordholland verliert.
Vor vielen Jahrhunderten durchströmten wahrscheinlich zwei
Rheinarme diese Gegend und trugen ihren Schlick auf; hier wuchsen
nachher ausgedehnte Wälder, die, den bekannten Prozefs einhaltend,
nach abermals vielen Pflanzengenerationen, durch Absterben und
Vergehen der Pflanzen das Waldmoor bildeten.
Bekanntlich hat das Waldmoor wenig Zusammenhang, in der
Weise, dafs es vom Wellenschlag bald gelöst und auseinander-
geschlagen wird. Nachdem das Meer einmal die Inselreihe an der
Nordküste durchbrochen hatte, schlug es allmählich das Waldmoor
weg und breitete sich nach allen Seiten aus, bis es den Bewohnern
gelang, durch Deiche und Dämme den verheerenden Wirkungen
Mafs und Ziel zu setzen.
Durch diesen Vorgang kam der uralte Kleiboden wieder an die
Oberfläche und die Flüsse Vecht, Eem und Yssel fuhren inuner fort
ihren fruchtbaren Schlamm hinzuzufügen; es läfst sich daher schon
im Voraus erwarten, dafs im südlichen Teil des Busens eine
beträchtliche Menge Klei (Flufsschlamm) angehäuft liegt. Im nörd-
lichen Teil, der immer bedeckt von Wasser in starker Bewegung,
und der in unmittelbarer Berührung mit den Wellen des offenen
Meeres steht, läfst sich dagegen mehr Sand vermuten.
*) Veluwe = Vale ouw = Schlechter Grund liegt zwischen der Yssel und
der Zuidersee. Betuwe = Bat ouw = liegt zwischen den beiden Rheinarmen
Bhein und Waal
— 30 —
In den Jahren 1868 — 70 fand eine sehr merkwürdige Unter-
suchung des Meerbodens statt. Der Ingenieur Stieltjes bohrte auf
134 Punkten Grundcylinder auf, jeden zu 1,5 m hoch; er benutzte
dazu ein Werkzeug, das gestattete, die Grundcylinder ohne die na-
türliche Lage der Schichten zu zerstören, an die Oberfläche des
Wassers zu bringen, und bekam also von jeder der 134 angebohrten
Stellen eine Musterkarte nicht nur der obersten Schichten, sondern
von allem, was bis zu 1,5 m Tiefe unter dem Meerboden zu
finden war.
Es ergab sich dabei, dafs im ganzen südlichen Teil fast überall
Klei an der Oberfläche lag, meistenteils zu 1 — 1,5 m mächtig.^) In
der Nähe der Linie Enkhuizen - Kampen wurde die Kleischicht
dünner und war mehr mit Sand durchmischt, während weiter nach
Norden der Sand entschieden das Übergewicht bekam.
Hier und dort fand man Veen mit einer dünnen Kleischichte
bedeckt ; an einzelnen Stellen wurde das alte Veen an der Oberfläche
gefunden. Nordwestlich von Elburg wurde ein Muster versauertes
Veen aufgebohrt, enthaltend Schwefelsäure-Eisenoxydul ; dieser Grund
wurde als giftig und für Pflanzenkultur absolut ungeeignet an-
gemerkt.®)
Die Bohrungen von Stieltjes stellten dar, dafs ungefähr 75®/o
des Bodens aus gutem Kleigrund bestand und eine Untersuchung der
aufgebohrten Muster auf ihre chemischen Eigenschaften leitete zu
der Hofi&iung, dafs der Kleigrund für Land- und Ackerbau den besten
Bodenarten gleich zu stellen sein würde.
15®/o der aufgebohrten Muster enthielten im Obergrund mehr
oder weniger Sand mit Klei oder Veen gemischt. Dergleichen Gründe
sind bekanntlich mit vielem Fleifs und Sachkenntnis fruchtbar zu
machen, sind aber nicht ohne weiteres zu verwenden; Heide und
Veengründe hat man in Holland jedoch so viel, dafs man für die
°) Die Untersuchung beschränkte sich auf den Teil südlich der Linie
von Enkhuizen über die Insel ürk bis zur Mündung der Yssel.
•) Genauere Aufgaben über die Bohrungen sind folgende: In 50 Boh-
rungen guter, fetter Klei in dem ganzen Cylinder, also wenigstens 1,5 Meter;
in 31 Bohrungen weniger schwerer Klei, 1 m dick, darunter Veen oder sand-
artige Grundsorten; in 5 Bohrungen leichter Klei, darunter Sand; in 24 Boh-
rungen Meersand an der Oberfläche ; bei mehreren Bohrungen Meersand in der
zweiten und dritten Schicht; in 5 Bohrungen diluvialer Sand an der Ober-
fläche, gleichartig mit den Sandsorten der Veluwe; in 17 Bohrungen wurde
derselbe Sand in tieferen Schichten vorgefunden, woraus man auf die schon
erwähnte Fortsetzung des diluvialen Sandes unter dem Meerboden schliefsen
ikönnte.
— 31 —
Eroberung solcherlei Länderstrecken nicht nötig hat die Trocken-
legung der Zuiderzee, über die gut konstatierten Kleigebiete hin-
aus zu unternehmen.
In den Jahren 1873 — 77 sind noch von offizieller Seite an
500 Bohrungen vorgenommen worden. Es wäre wahrscheinlich zu
weitläufig, auch von diesen ausführlicher zu sprechen. Im all-
gemeinen kann man sagen, dafs das früher von Stieltjes gefundene
Resultat sich auch bei den späteren Untersuchungen als richtig heraus-
gestellt hat. Von 157000 ha südwärts von der Linie Enkhuizen-
Yssel wurden damals 108 000 ha als Klei und für den Landbau
geeignet beurteilt, also Iff oder nahezu 68 Prozent.
m
n.
Übersicht der verschiedenen Entwürfe zur Eindeichung
der Zuiderzee.
Nicht immer sind es die Fachleute, die zu grofsen technischen
Arbeiten den Hauptanstofs geben, vielmehr sehr oft Dilettanten, die,
wiewohl in Form und Wesen noch fehlerhaft, den richtigen Weg
zeigen, und auf deren Grundidee später die Fachleute fortarbeiten.
So hat z. B. Niederland unter seinen früheren Fürsten einen
aufzuweisen, der, obschon kein Techniker, den richtigen und hohen
Blick hatte für die Verbesserung grofser Verkehrswege. Es war
König Wilhelm I. (1815 — 40), der mit einem Bleistift auf der Karte
die Linie zeichnete, wo, seiner Meinung nach, der Kanal von
Amsterdam nach der Nordsee liegen sollte. Die damaligen Ingenieure
hatten nicht den Mut, um in dieser Weise den Meereswellen den
Eintritt zum Herzen des Landes zu öffnen; sie tracierten einen viel
längeren, buchtigen und kostspieligen Kanal von Helder bis Amsterdam.
Fünfzig Jahre später gab die Geschichte dem Königlichen Dilettanten
das vollste Recht ; der von ihm tracierte Kanal wurde gegraben, und
die gröfsten Dampfböte kommen heute mit voller Ladung in 3 Stunden
aus dem offenen Meere nach Amsterdam.
So wurde auch die Trockenlegung der Zuiderzee zuerst von
zwei Dilettanten besprochen und zwar im Jahre 1848. Ihre Grund-
idee ist nachher Gegenstand scharfer und berechtigter Kritik geworden,
aber sie haben das Verdienst, zum ersten Male die Aufmerksamkeit
auf die Sache gelenkt zu haben.
Sie wollten die ganze Inselreihe von Texel bis zur Ems durch
Dänmie mit einander verbinden, und für die Yssel ein ganz neues
Bett schaffen und zwar mittelst eines Kanals von Arnheim bis Muiden,
an der Südküste der Zuiderzee. Weiter würde von Amsterdam ein
- 32 —
neuer Kanal mit dem obengenannten verbunden, direkt in die Nordsee
fahren. Nachher müfste ein Deich von Enkhuizen bis Stavoren den
südlichen Teil vom nördlichen trennen, und beide Teile nach einander
ausgeschöpft und trocken gelegt werden. Die Idee war riesenhaft.
Nicht nur dafs im offenen Meere an 100 km Deich anzulegen wären,
sondern einem FluTs wie die Yssel einen ganz neuen Lauf zu schaffen,
das war eine Idee, über die selbst die tüchtigsten Techniker staunten
und vor der sie zurückschreckten. Berechnungen und Resultate
einer positiven Untersuchung an Ort und Stelle, aus denen die
MögUchkeit der Ausführung hervorleuchten mufste, fehlten bei dem
Entwürfe, und mit Recht ist den Herren Projektmachern vorgeworfen,
dafs sie wohl sagten, was sie wollten, aber nicht angaben; wie sie
sich die Ausführung vorstellten.
Im Jahre 1849 wurde vom Hauptingenieur Van Diggelen,
einem sehr tüchtigen Techniker, ein Projekt veröffentUcht, welches
man in Fig. 3 in Hauptlinien dargestellt findet. Der Verfasser ent-
warf für das Polder- imd Flufswasser, welches zum Meere abzuführen,
breite Strombahnen, dem Lauf der Küsten folgend, d. h. er dachte
sich in 100 bis 150 m Entfernung von den Küsten Deiche, die mit
der gegenwärtigen Küste eine Art neuen Flufs bilden würden. Die
Strombahnen würden auswässern bei Terschelling und an der Nordsee-
küste; für die westUche Strombahn wurde ein ganz neuer Aus-
wässerungskanal gedacht, etwa von Hoorn nach Petten. Mächtige
Schleusen bei Hoorn, Petten und Terschelling dienten zur Ent-
wässerung.
Die kräftigen Tideströmungen, der Tesselstrom und der Vliestrom,
blieben erhalten und fielen so zu sagen in einander, indem Deiche
von Helder nach Terschelling, und von der Ostseite von Texel bis
der Ostküste von Vlieland faktisch die Abschliefsung des Busens
von dem offenen Meere darstellten.
In den Strombahnen wurden nun die ViTassermassen von
wenigstens 8 Millionen Hektaren Landes angesammelt und mufsten
weiter durch die Schleusen abgeführt werden. Der Pegel dieser
Strombahnen war gedacht auf 1 m unter A. P.') Weil nun aber
der Meeresstand bei TerschelHng und bei Petten fast immer höher
ist (mittlere Flut bei Terschelling + 0,45 m, mittlere Ebbe daselbst
— 1,12 m) war es notwendig, durch Dampfmaschinen nachzuhelfen ;
man findet auch auf der Skizze 3 eine Anzahl dieser Maschinen be-
^ A. P. Allgemeine Vergleichungsebene für Niederland. Bezeichnet:
Amslerdamsch Peil (Pegel) und stimmt genau mit der deutschen NormalnuU
überein.
— 33 —
zeichnet, die fast immer thätig sein würden, um das Wasser der
Strombahnen gegen das höhere Meereswasser aufzupnmpen. Dem
Verfasser entging auch diese Schwierigkeit nicht und deswegen ent-
warf er auch einen ganz neuen Kanal zur Abführung des Wassers von
Zwarte Water und der darin einströmenden kleineren Flüsse.
Aber auch nach dieser Entlastung der Strombahnen blieb noch
das fortwährende Aufpumpen des Wassers, das nie endende Auf-
führen von wenigstens ^/s von allem Bheinwasser eine so mühselige
Arbeit und leitete zu solchen unberechenbaren finanziellen Ausgaben,
dafs man den Plan nie für ausführbar gehalten hat. Auch blieb.es
zweifelhaft, ob es je gelingen würde, die geplanten Dämme hinter
den Inseln entlang durchzuführen, weil sie in sehr bewegtem Wasser
und sehr starken Strömungen errichtet werden mufsten.
Es war ganz natürlich, dafs die grofse Länge der Abschliefsungs-
deiche des van Diggelen manchem als der Hauptübelstand derartiger
Pläne erschien und dafs man bald die Aufmerksamkeit auf die
Meeresenge zwischen Stavoren und Enkhuizen heftete. Im Jahre
1862 wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht angebracht sei, die
Abschlief sung in diese Richtung zu bringen. Allerdings knüpfte
sich an diese Idee sofort die Frage, was mit der Yssel anzufangen
sei. Eine Antwort blieb nicht aus, und dieser Antwort verdankt
man einen Entwurf, dessen Verfasser bis jetzt unbekannt blieb. Er
plante wieder einen ganz neuen Lauf für die Yssel und zwar durch
zwei Paralleldeiche, welche von der heutigen Mündung anfangend,
südwärts nach Amsterdam umbiegend, die Yssel bis dorthin geleiten
würden. Weiter würde der schon früher erwähnte Kanal von Amster-
dam nach der Nordsee ohne Schleusen^ und dessen Deiche mit den
so eben genannten verbunden gedacht. In der Weise führte man
die Yssel an Amsterdam vorbei ins Meer und hofite also vor der
Hauptstadt einen ins Meer abströmenden Flufs darzustellen. Sobald
das erreicht und in derselben Zeit der Damm Stavoren-Enkhuizen
fertig gebracht war, könnte alles Wasser zwischen den genannten
Deichen ausgepumpt und zu Land gemacht werden.
Eine Variation dieses Plans zielte darauf hin, die kostspielige
Ysselleitung noch entbehren zu können. Wenn man doch, so argu-
mentierte der Verfasser des neuen Projekts, nur den Damm zwischen
Enkhuizen und Stavoren darstellt, und zu gleicher Zeit Holland bei
Velsen zur Breite von 200 bis 300 m durchgräbt, dann wird sich
das Wasser der Yssel durch diese neue Mündung ins Meer werfen
und die Zuiderzee wird wirklich eine Binnensee, wodurch ein Flufs
strömt, gleichartig mit dem Bodensee, welchen dftt BJcäsox ^cssxÄör
Geographische Blätter. Bremen 1889. ^
— 35 —
Bekanntlich ist die Durchgrabung von „Holland qp sijn Smalst",
d. h. an der Landenge, wo vormals Nordholland mit dem Rest
des Landes verbunden war, in den Jahren 1864 — 76 ausgeführt
worden. Ein Kanal von damals genügender Breite und Tiefe läuft
nun von Amsterdam zur Nordsee. Die Art der Ausführung fand in
Herrn Hüet stets einen heftigen Gegner, weil seiner Ansicht nach
die Breite ungenügend ist und die Schleusen an dem östlichen und
westlichen Ausgang des Kanals Übelstände sind. Er hatte den Kanal
breiter und gan^ ohne Schleusen gewünscht; die Deiche, welche bei
einer derartigen offenen Durchgrabung jedenfalls unerläfslich waren,
biegen sich nun, der Idee des Herrn Hüet zufolge, nördlich ab und
zwar, die nördliche nach Enkhuizen, die südliche nach einem Punkt
westlich von der Insel Urk, weiter über diese Insel nach der Mündung
der Yssel. Die Insel Schokland wurde durch zwei Dämme mit dem
Festlande verbunden, und nördlich vom Zwarte Water ein neuer
Damm nach der Südküste Frieslands angelegt. Aus der Skizze er-
sieht man, dafs auf diese Weise vier ganz von einander unabhängige
Teile entstehen, die jede für sich auszupumpen und trocken zu legen
wären. Der Yssel wird nicht gewaltsam ein neuer Lauf vorgeschrieben,
sie stürzt sich frei ins Meer, bekommt aber durch die offene Durch-
grabung und deren nördliche Verlängerung eine doppelte Mündung,
durch welche noch immer (den Zeitunterschied in Flut und Ebbe
bei Ymuiden und Helder beachtet) Wasser abfliefsen könnte, wenn
das vielleicht bei Helder durch höheren Meerstand unmöglich wäre.
Mit wie grofsem Geschick und warmer Überzeugung der Verfasser
diesen Plan empfohlen hat (noch vor wenigen Wochen, Ende 1888,
ist in einer Brochüre der Plan wieder von ihm besprochen worden),
so hat er doch die Idee nicht weiter als zu einem Gegenstand des
Studiums bringen können, und sie ist auch nie einer ofßzieUen
Untersuchung unterzogen worden.
Es versteht sich, dafs die Schiffahrtsinteressen der Städte von
Nordholland nicht übersehen werden dürften; daher sind auch, wie
aus der Skizze zu ersehen ist, einige Verbindungskanäle entworfen
und es ist durch einen Bingkanal und Entwässerimgskanäle für die
Wasserabfuhr der umliegenden Gegenden gesorgt.
Die Entwürfe, von welchen bis jetzt die Bede war, sind von
den Verfassern in privaten Broschüren und Denkschriften veröffentlicht ;
sie zielten mehr darauf hin, im allgemeinen die Idee und Richtung
anzugeben, als wohl einen sogenannten technischen Rapport da:
stellen. Wir kommen jetzt zu einem Projekte, das von pf 3r
Seite ins Leben gerufen und auch von Seiten der
offizielle technische Arbeit anexkamit wvxtdL^.
— 36 —
Im Jahre 1865 wurde der Hauptingenieur Beyerinck vom
damaligen Minister des Innern beauftragt, ein Projekt zu entwerfen,
unter Hinzufägung aller erforderUchen Berechnungen und Schätzung
der Kosten, damit die Regierung die Arbeit selber in die Hand
nehmen könnte.
Der genannte Techniker, der schon bei vielen Trockenlegungen
unwidersprechliche Beweise für seine Tüchtigkeit in diesen Arbeiten
gegeben hatte, war eben der Mann, um mit scharfem Blick eine
Wahf aus dem schon vorhandenen Material schriftstellerischer Arbeit
zu treffen, und diese an Ort und Stelle zu vergleichen. Es stand
bei ihm fest, dafs die Mündung der Yssel unter keinem Vorwand
innerhalb der AbschUefsung gebracht werden dürfte. Jede Pfuscherei
an Flüssen war ihm zuwider; „die lassen sich nun einmal nicht
mafsregeln*' , meinte er.
In dieser Überzeugung entwarf er den Hauptdeich, die eigentUche
Abschliefsung von Enkhuizen über Urk nach der südlichen Yssel-
mündung ; alles was sich südlich befand, sollte leer gepumpt werden.
(Fig. 4).
Vier grofse Hauptkanäle, wie sie in der Skizze angegeben sind,
würden Polder« und Flufswasser aus den kleineren Strömen auf-
nehmen und zu den Schleusen führen, die an drei Punkten die Ver-
bindung mit dem Meere darstellen würden. Ein Bingkanal war mit
der Yssel verbunden; mehrere gradlinige Kanäle teilten die ganze
„Droogmakery^ in Polders von 15000 ha ab, und führten das aas-
geworfene Polderwasser den Hauptkanälen zu. Jeder Polder bekam
eine eigene Dampfmaschine.
Der gewöhnliche Pegel des Wassers in sämtlichen Haupt- und
JBiwgfkanälen war festgestellt auf 0,5 m unter A. P. (N. N.) und war
also gleich mit dem Pegel des schon mehrmals besprochenen, damals
in Ausführung begriffenen Nordseekanals. Nicht weniger als 63 Dampf-
maschinen, jede zu 150 Pferdekräften (nom.) muTsten zu der Aos-
pumpung in Betrieb gesetzt werden, und würden auch teilweise
nach beendigter Arbeit zur Trockenerhaltung beibehalten bleiben.
Der Pegel in den Polderkanälen war auf 2,5 m — A. P. gedacht^.
Der Deich zur Abschliefsung läuft durch eine mittlere Tiefe
von 4 m — A. P. und bekommt eine Höhe von 3,5 m + A. P. Der
höchste Stand bei Sturmflut war angenommen auf + 3 m.^) Würde
^ 2,5 m — A P bedeutet 2,5 m unter Normal Null. 3 m + A E bedeutet
3 m oberhalb Normal Null.
*) Vergleiche Figur 9 obschon mit abgeänderten Ziffern. Die Ziffern in
äi^sfir Figur gehören zu einem nachher zu erwähnenden Projekte, skizziert in Fig. 6.
— 37 —
dieser Stand wirklich erreicht, dann sollte der Deich im ganzen
7 m Wasser kehren, und der Entwerfer befürchtete, ein so kolossaler
Druck möchte zu schwer sein und zu Deichsenkungen oder ander-
weitigen Schaden leiten. Er zog es darum vor, den Wasserdruck
durch Anlage eines Kanals innerhalb des Deiches zu verteilen, dessen
Pegel auf 0,5 m — A. P. gedacht wurde. Der Druck von 7 m aufser-
halb erfuhr dadurch an der Innenseite einen Gegendruck von 3,5 m,
und der einwärtige Deich des besagten Kanals kehrte den Rest,
ebenso zu 3,5 m. Diese so einfache und ingeniöse Grundidee wurde
bei allen weiteren Plänen in bezug auf die Deiche beibehalten.
Die Länge der Abschliefsung war 40 km, wofür an zu
gewinnendem Lande 180000 ha gerechnet wurde, also ein sehr
günstiges Verhältnis, da auf jede 5 ha Land nur 1 m Deich zu unter-
halten war. Von den 180000 ha waren annähernd 108 000 ha,
also 60 ®/o, für Ackergrund geeignet.
Diese offizielle Arbeit wurde der amtlichen Prüfung seitens
eines Reichskomitees unterworfen. Es fehlte bei den Berichten
dieses Komitees nicht an mehr oder weniger gerechter Kritik und
in mehreren Hinsichten meinte das Komitee von der Ausführung
des Planes abraten zu müssen. Hauptsächlich waren es drei Übel-
stande, an denen, der Meinung des Komitees nach, der Plan scheitern
müfste, und zwar:
1) Die Kosten waren zu niedrig geschätzt. Der Entwerfer
kam mit seinen Berechnungen auf 84 Millionen Gulden, das Komitee
berechnete 115 Gulden. ^^)
2) Die Höhe des Deiches erschien dem Komitee ungenügend
und sollte auf 5 m + A. P. gebracht werden.
3) Die Gröfse des Busens, d. h. die Gesamtoberfiäche der
Kanäle innerhalb der Abschliefsung, welche bei Beyerinck */2oo
der ganzen „Droogmakery* betrug, war zu gering und sollte wenigstens
^/25 des auszutrocknenden Landes betragen.
^^) Vorübergehend sei hier bemerkt, dafs die Gröfse des
Busens in engster Verbindung steht mit der Möglichkeit der Trocken-
erhaltung. Bekanntlich mufs der Busen das ausgemahlene Regen-
wasser aufnehmen, bis ein niedriger Stand des Meeres gestattet, das
^0) 1 Gnlden = 1,6 Mark oder 100 Mark = 60 Gulden.
^^) Bei Poldern versteht man unter Basen (holländisch Boezem) die samt-
lichen Kanäle und andern Gewässer in die das Regenwasser aus den Gräben
aofgepnmpt wird und aufbewahrt bleibt bis der Busen bei niedrigen Stand
des Meeres diese Wassermenge abführen kann. Gröfse Busen sind darum für
die Polder vorteilhaft, weil sie viel Wasser zeitweilig autt^ViTCÄ^v V<jrss^^^
— 38 —
Wasser des Busens abzuführen. Der Busen ist somit ein Reser-
voir zur vorläufigen Aufbewahrung des Wassers, welches man auf
dem Ackerlande nicht behalten kann. Je kleiner dieses Beservoir,
desto gröfser die Gefahr, die gefallene Quantität nicht rechtzeitig
von dem Lande entfernen zu können; es ergiebt sich daraus, dafs
1 /-. .• . Busenoberfläche . . ..vi _., ij. . -■
der Quotient p . , ^.. , so grofs wie möglich gewünscht wird.
Umstände, die für den deutschen Leser von geringem Interesse,
veranlafsten den Ingenieur Stieltjes in 1870 in Verbindung mit dem
Herrn Beyerinck, den genannten Plan so umzuarbeiten, dafs die
Hauptübelstände beseitigt wurden. Die Umrisse des Projekts Beye-
rinck sind in Fig. 5 (Skizze des Planes Stieltjes) unschwer zu
entdecken. Ins Auge fallen zuerst zwei absichtlich geformte Seen
A und B bei Enkhuizen und bei Urk. Diese beiden waren ent-
worfen an Stellen, die wahrscheinlich zu dem weniger guten Boden
gerechnet werden mufsten, und dienten zur Vergröfserung des Busens ;
die Haupt- und Nebenkanäle waren breiter und erhöhten, mit den
Seen zusammen genommen, den Busen auf einen Gesamtbetrag von
7300 ha, ungefähr ^/23 der ganzen Landesoberfläche.
Die Richtungen der Kanäle waren einigermafsen abgeändert,
damit die Polder nicht so methodisch rechtwinklig und von gleicher
Gröfse ausfielen; dadurch könnte man den Höhenunterschied des
Landes besser ausnützen, und jedem Polder einen Wasserstand und
eine Entwässerung durch Maschinen gewähren, welche für den be-
treffenden Polder am meisten geeignet war.
Der Deich wurde auf die gewünschte Höhe von 5 m + A. P.
gebracht. Über die Einrichtung des Deiches, die Breite des dahinter
befindhchen Kanals, die Böschungen, die Pegel u. a. giebt Fig. 9
einige Auskunft. Zwei Eisenbahnen wurden projektiert zur Ver-
bindung der nördlichen Provinzen mit Amsterdam.
Die Entwässerungspunkte waren bei Enkhuizen mit 24, bei
Urk mit 88 und bei Ymuiden mit 28 m Schleusenbreite und zwei
Dampfmaschinen zu beziehungsweise 800 und 350 Pferdekräfte (nom.)
sollten bei der Entwässerung kräftig mitarbeiten. Man berechnet, dafs
von den Maschinen in den Poldern täglich bis 23 Millionen cbm in den
Busen abgeführt, und die Hälfte davon auf natürlichem Wege
(d. h. durch die Schleusen), die andre Hälfte durch die Maschinen
fortgeschafft werden könnte.
Dieser Entwurf wurde von der Regierung mit einer geringen
Abänderung übernommen und im Jahre 1877 den Generalstaaten
{Kammern) vorgelegt. Ein Ministerwechsel jedoch verursachte^
n n
— 39 —
dafs der Plan weder in Behandlung genommen noch ausgeführt
wurde.
Bis jetzt ist letztgenannter Entwurf der einzige, der ganz aus-
gearbeitet und bei dem alle erforderlichen Nebenarbeiten möglichst
genau festgestellt und geschätzt worden sind. Es erscheint daher
am meisten geeignet, gerade von diesem Plan einiges über die an-
geblichen Kosten mitzuteilen. Jedoch ist hierbei zu beachten, dafs
der Kostenaufwand von dergleichen Arbeiten in den meisten Fällen
die Schätzung bedeutend überragt und dafs auch die Preise von
Materialien und Arbeitslöhnen von einem Jahrzehnt bis zum andern
stark abweichen können.
Es wurden in 1873 geschätzt:
Abschhefsungsdeich auf 26 Millionen Gulden
Ringkanäle um die „Droogmakery* „ 13
Arbeiten bei und auf der Insel ürk „ 1,5
Arbeiten für die Entwässerung Nordhollands » 4
Arbeiten an der Ysselmündung „ 0,5
Dampfmaschinen zur Trockenlegung „ 17
Trockenlegung und Trockenerhaltung während
der Arbeit „ 8 » „
Schleusen , Dämme und Wasserkehrungen,
welche auch nach beendigter Arbeit
beibehalten werden „ 39 „ „
Dampfmaschinen innerhalb der Deiche „ 1,5 „ „
Instandhaltung während des Werkes » 4 „ „
Administration, Beaufsichtigung u. a „ 8,5 ,, „
Total 777! 123 MUlionen Gulden
oder nahezu 200 Millionen Mark.
Zerlegt man die Summe in Kosten für die Hauptabteilungen
der Arbeit, so findet man in Prozentzahlen des Ganzen für den Ab-
schhefsungsdeich 21®/o, für die Trockenlegung und Trockenerhaltung
59 ®/o, für Nebenarbeiten u. a. 20 ®/o. Man sieht, dafs die
Schätzung des Reichskomitees wieder um einige Millionen erhöht
worden war. Teilweise hatte diese Erhöhung ihren Grund in dem
Umfang der Arbeiten, so wie sie das Projekt Stieltjes mit sich
brachte, teilweise in erhöhten Preisen von Material und Arbeitslöhnen.
Es schien, als ob die vielen Streit- und Denkschriften für und
wider den Regierüngsplan, die Erörterungen über nicht weniger als
18 Privatpläne, zeitweilig das Interesse an der Sache völhg erschöpft
hätten; wenigstens von 1877 bis 1882 wurde das ganze Unternehmen
nur vorübergehend erwähnt. Von Thaten war keine Spur.
— 40 —
Im Jahre 1882 yerö£Eentlichte Herr A. Buma, Mitglied des
Abgeordnetenhauses für die Provinz Friesland, eine Schrift, in der
er behauptete, die beste Lösung der Frage sei die gänzliche Ab-
dämmung der Zuiderzee der Inselnreihe an der Nordkäste entlang.
Unter Beigabe einer Karte, welcher wir in Fig. 7 der Hauptsache
nach gefolgt sind, stellte er nachfolgendes Projekt auf.
Zuerst wird ein Damm von Helder nach Texel mit Beibehaltung
eines tiefen und geräumigen Bassins für die Schiffahrt erbaut. Dann
folgt ein durchgehender Damm von Nieuwediep (südUch von Helder)
hinter den Inseln Texel, Vlieland und Terschelling bis nach Ameland,
und zuletzt ist die Verbindung der Inseln unter einander durch
Dämme zu bewerkstelligen. Nachdem in dieser Weise die Abschliefsong
faktisch dargestellt war (der Damm von Ameland nach der frie*
sischen Küste ist schon seit vielen Jahren vorhanden), würde die
Trockenlegung anfangen. Natürlicherweise kam die alte, aber iamier
neue Frage der Yssel wieder aufs Tapet. Bekanntlich sind Linien
auf dem Papier weit schneller und billiger zu beschaffen als die
VerwirkUchung dieser Linien auf dem Terrain, hier m dem Meere.
Der Entwerfer hat das Publikum, dieser Billigkeit wegen, mit genügend
vielen Linien auf dem Papier abgespeist, wie aus der Karte 7 zu ent-
nehmen ist. Yssel, Eem und'Yechte werden durch Kanäle abgeleitet,
und, damit diese Kanäle nicht zeitweilig mit zu vielem Wasser be-
schwert werden, ist, wie schon bei dem Entwürfe Stieltjes erwähnt
wurde, ein Sanunelbecken oder Binnensee bei der Insel Wieringen
geplant. Schleusen werden „in genügender Zahl und Gröfse^, sagt der
Entwerfer, auf und zwischen den Inseln, bei Helder und Wieringen,
gebaut. Die friesischen und holländischen Städte, welche am Meere
gelegen, bekommen Kanäle für Schiffahrt und Entwässerung; nach
Abzug des dafür nötigen Landes bleiben noch 200000 ha Land
übrig, die dem Landbau zu gute kommen würden.
Es ist geradezu unmöglich, in wenigen Zeilen die UnausfÜhr-
barkeit dieses Entwurfes gehörig ins Licht zu stellen. Wir müssen
daher nur kurz den Hauptfehler hervorheben, durch welchen der Plan
mit einem Male ins Reich der Fantasie gebannt wird.
In Fig. 8 sind einige Querprofile gezeichnet über Punkte, wo,
dem Plane zufolge, [Dämme oder Deiche gemacht werden sollten,
während man in derselben Figur in gleichem Mafstabe den Durch-
schnitt findet der gröfeten Tiefe, worin in Holland ein Querdamm
gut gelungen ist, nämlich über einen Arm der Scheide in Seeland.
Vergleicht man nun Breite und Tiefe, dann staunt man über den
Obermuth, der dazu gehört, die Idee eines solchen Unternehmens an die
— 41 —
Öffentlichkeit zu bringen. Und wie ist die Beschaffenheit der Öffiiungen
Z¥rischen den Inseln ! Nicht nnr eine Tiefe von 30 bis 40 m in einer
Breite von 6000 bis 9000 m ist hier auszufüllen, sondern es geht
ein fliegender Strom in diesen öffiiungen; wenn nnr mäfsiger Wind
sich erhebt, ist der ganze Baum von kurzen, hochgehenden Wellen
überdeckt und eine schäumende Brandung ist die unmittelbare Folge
der schroff abfallenden Sandansetzungen in den tiefen Meeres-
strömungen. Und in diesem hochbewegten Wasser wären nicht nur
Deiche zu legen, sondern auch Schleusen zu bauen, deren Schlag-
schwellen 4 m unter dem mittleren Meerestand liegen würden!
Der Herr Verfasser hat nicht berechnet, ¥rie viele Schleusen zu
bauen wären. Ein holländischer Ingenieur hat versucht, diese
Berechnung annähernd auszuführen, und konunt zu dem Ergebnis,
dafs wenigstens 1500 m Schleusenweite und 15000 Pferdekräfte
(nom.) an Dampfkraft erforderlich sind, um tagtäglich das über-
flüssige Flufs- und Regenwasser fortzuschaffen. Mit vollem Rechte
fragt auch dieser Ingenieur in einem von ihm gehaltenen Vortrag'')
„ob es einen Ingenieur unter den Anwesenden gäbe, der selbst mit
unbeschränkten Geldmitteln versehen, es auf sich nehmen dürfe,
diese Schleusenweite in den zerfliegenden Wellen, in den zerstiebenden
Sand, darzustellen.^
Nun bedenke man noch dazu, dafs eine solche Riesenarbeit,
falls sie mogUch, nur dazu dienen kann, neben aimähemd 200 000 ha
Eleiland, auch noch 160000 ha undankbaren, harten Meersand
trocken zu legen, und man wird leicht einsehen, dafs von allen
Entwürfen der jüngste wohl am allerwenigsten zur Ausführung ge-
langen wird.
Die Liste der Pläne, deren Beleuchtung wir vornehmen wollten,
wäre hiermit abgeschlossen, und es erübrigt uns noch, einiges mit-
zuteilen über die Bestrebungen in den letzten zwei Jahren, um das
Interesse an der Sache rege zu erhalten.
In 1886 bildete sich in Amsterdam eine . Gesellschaft, welche
sich den Namen „Zuiderjuee Veremiging^^ beilegte; sie beabsichtigte
auf breiter Grundlage die ganze Sache mit allen in Verbindung
stehenden Fragen von neuem einer eingehenden Untersuchung zu
unterziehen, und namentlich die Frage zu beantworten, ob nicht
eine Abschliefsung, weiter nördlich als der Deich von 1877, mögUch
sei. Ohne Vorliebe für einen oder andern der schon bestehenden
") Ingenieur Weicker. Vortrag gehalten im Königlichen Insti
Ingenieuren. Oktober 1883.
— 42 —
Entwürfe, ohne eine vorher getroffene Wahl oder Voraussetzung,
stellte der Verein sich auf ganz objectiven Standpunkt, und ernannte
zu seinem technischen Ratgeber einen der tüchtigsten holländischen
Ingenieure, Herrn C. Lely.
Seit zwei Jahren gelangen von Zeit zu Zeit dessen sehr eingehende
und sachverständige technische Rapporte in die Öffentlichkeit, und
es möge nun die Trockenlegung zu stände kommen oder nicht,
immer werden diese Rapporte ein Muster bleiben eines gründlichen
umfassenden Studiums.
Aus diesen Rapporten, von denen jetzt drei zur Verfügung stehen j
entnehmen wir einige der Ergebnisse, zu welchen der Herr Verfasser
gelangte. Ein tieferes Eingehen wäre vielleicht für diese Zeitschrift
weniger geeignet, und es wäre schade, die genannten technischen
Rapporte zerstückelt und daher so unvollkommen wiederzugeben,
dafs der logische Gang der Gedanken nicht im vollen Lichte erschiene.
Wir ziehen es darum vor, nur in kurzen Sätzen zu vermelden, zu
welchen Ergebnissen der Herr Lely am Ende seiner drei Rapporte
gekommen ist. (Siehe Fig. 10.)
1) Der Boden des Meeres zwischen Wieringen (Insel) und der
friesischen Küste besteht aus Sand und kann als eine feste und gute
Unterlage zum Bau eines Deiches betrachtet werden.
2) In dem Dreieck Blokzijl-Ürk-Zwartsluis ist sehr guter lüei-
grund in einer Schichte von 0,5 bis 1,5 m Mächtigkeit gefunden.
3) Die Abdämmung darf unter keinen umständen den Texel-
ström oder den Vliestrom durchschreiten, deren Abdämmung wahr-
scheinUch technisch, und unzweifelhaft finanziell unmöglich ist.
4) Es ist in bezug auf die Yssel möglich, den Damm nord-
wärts der Mündung zu legen, aber man mufs die Idee, den Flufs
durch Dämme ins Meer zu geleiten, bestimmt aufgeben. Man führe
die Yssel in ein Wasserbecken, einen Flufssee, der sich zwischen
Wieringen und der östlichen Küste in einer Gröfse von 80000 ha
ausdehnen wird.
5) Eine solche See kann vom Schlamme der Yssel nicht schnell
in dem Mafse ausgefüllt werden, dafs Verkleinerung des Wasser-
beckens zu befürchten wäre. Die jährliche Erhöhung des Seebodens
wird voraussichthch ^U mm betragen. ^^)
6) Bei einer Abschliefsung von Nordholland über die Insel
Wieringen nach Piaam (in Friesland) wird eine gesamte Schleusen-
breite von 300 m genügen, mit der Schlagschwelle auf 4,4 m — A. P.
'^ Es wird angenommen, dafs alljährlieh 200 000 cbm Schlamm von der
FsseJ abgeführt werden.
— 43 —
und bei dieser Einrichtung wird wahrscheinlich nie mehr als 20 cm
über den festzustellenden Normalpegel auf dem gedachten Flufssee
zu erwarten sein.
7) Nach Ausführung der erwähnten Abschliefsung wird bei
Sturm der Stand auf dem Flufssee nie über 1,60 m + A. P. steigen,
und es ist keine Ursache anzuführen, durch welche der Stand auf
dem nicht abgeschlossenen Teil höher als bis jetzt, d. h. etwa
3 m + A. P. steigen wird.^*)
Wie schon gesagt wurde, ist die Untersuchung noch bei weitem
nicht beendigt. Mehrere technische Rapporte stehen noch in Aus-
sicht, und es wäre unbescheiden und vorschnell, schon jetzt Kon-
klusionen zu ziehen oder Anschauungen zu geben über die weiteren
Stadien, welche die Unternehmung durchlaufen wird. Die Unter-
suchungen und Berechnungen des Herrn Lely lassen noch viele sehr
merkwürdige Erläuterungen erwarten, von denen vielleicht nachher
eine miehr vollkommene Übersicht geboten werden kann.
Indessen ist jetzt schon festzustellen, dafs die Untersuchungen
des Zuiderzeevereins zu einer Art Vorprojekt geleitet haben, welches
sich gestaltet wie in Figur 10 angegeben ist. Sehr möglich jedoch,
dafs die weiteren Erforschungen noch zu andern Resultaten führen,
denn man darf bei dem sehr objektiven Standpunkte, auf den der
Verein sich stellte, am allerwenigsten erwarten, dafs er peinlich auf
der einmal aufgefafsten Meinung beharren wird.
HI.
Schlafsbetrachtimgen.
Es ist oftmals die Frage aufgeworfen worden, ob das Werk
der Austrocknung der Zuiderzee von der Regierung unternommen
werden mufs, oder ob es besser den Privatunternehmungen zu über-
lassen wäre.
Die Beantwortung dieser Frage ist mit Kosten und Dauer
der gesamten Arbeiten sehr verknüpft, und einige Erörterungen über
diese Hauptelemente der Sache dürfen hier nicht fehlen.
Wenn eine Gesellschaft oder ein industrieller Verein derartige
Arbeiten unternehmen will, versteht es sich von selbst, dafs haupt-
sächlich die finanzielle Seite des Unternehmens ins Auge gefafst und
in erster Linie gefragt wird, ob Gewinn an Geld sich daraus vorher-
sehen läfst, d. h. ob die zur Verfügung gestellten Kapitalien inner-
halb einer gewissen Zeit mit den Zinsen durch den Verkauf der
^*) Die jüngste technische Note ist von September 18!^,
— 44 —
Ländereien zurückerwartet werden können. Sind noch andre Vor-
teile zu erhoffen, wie deren schon im Anfange dieses Aufsatzes
genannt wurden, dann nimmt zwar eine Privatgesellschaft solche
gern mit in den Kauf, aber der Hauptzweck bleibt doch immer
vorteilhafte Kapitalanlage.
Nun sind, wie schon erwähnt, bei einer Trockenlegung der
Zuidersee nicht nur viele Millionen Kapitals erforderlich, sondern es
kommen auch die Interessen sehr vieler Provinzen, Städte, Polder
und zahlreicher Personen mit derselben in nächster Berührung; es ist
unerläfslich, dafs diese Interessen aufs genaueste gewährleistet werden.
In der Konzession, die allerdings notwendig ist, kann man ja einiges
voraussehen, man kann in dieselbe viele Bedingungen aufiiehmen und
Geldstrafen u. a. auferlegen gegen ungenügende Befolgung dieser
Bedingungen.
Es ist aber rein unmöglich, alles vorauszusehen, und sehr oft
wird es dem Konzessionär möglich sein, sich den Bedingungen, welche
ihm atn schwersten faUen, zu entziehen, wenigstens wird er das oft
versuchen. Daraus folgen dann gerichtUche Untersuchungen und
Aussprachen, die oft lange Zeit erfordern, währenddem die Arbeit
teilweise stille steht oder doch unregelmäfsig fortgesetzt wird.
Der mit der Trockenlegung beauftragte Ingenieur hat nicht
was man nennt »Carte blanche", so wie es der Fall sein würde, wenn
er in einer unbewohnten Gegend eine Lache zu entfernen hätte.
Jeder Zentimeter Wasser, den er zu viel in Polder und angelegenen
Busen schafft, führt Konflikte mit den Eigentümern der um-
liegenden Gegenden herbei; dagegen ist Verringerung der Wasser-
tiefe in Kanälen und Flüssen, sei es auch nur zeitweiUg, eine. Ur-
sache von Schwierigkeiten mit der Schiffahrt u. a. Man sieht
leicht ein, dafs es nicht möglich, in dieser Hinsicht alles voraus-
zusehen und gesetzlich festzustellen und somit mufs vieles an Ort
und Stelle während der Arbeit nach Umständen geordnet werden.
Schreitet man in streng gehaltener Weise zur Anwendung von Geld-
strafen vor, dann könnte dieses zu ungelegener Zeit zur Einstellung
der Arbeit und somit zu unberechenbarem Wirrsal in technischer und
finanzieller Hinsicht führen.
Ist dagegen das Reich der Unternehmer, dann darf man er-
warten, dafs hier der Satz gelten wird:
„Mit gleicher Liebe lieb' ich meine Kinder**.
Der Staat wird weder die Interessen seiner Provinzen und
Poldergegenden, noch die Bedürfnisse der Schiffahrt bei seiner Unter-
nebmung bintametzenj er vergegenwärtigt vielmehr die sämtlichen
— 45 —
Interessen des ganzen Staatswesens; es läfst sich also hoffen, dafs,
wenn auch vielleicht unter nicht unbeträchtlicher Erhöhung der
Kosten, den verschiedenen Interessen Bechnung getragen wird. Der
Staat kann das, auch in finanzieller Beziehung, weit besser als
besondere Gesellschaften es thim können, weil der Staat etwas
Dauerndes ist, und alle Vorteile von der Unternehmung nachher in
die Staatskasse flieCsen, sei es in der Form von Ersparnissen an
Deichkosten, sei es in der Form von Grundsteuern und dergleichen
mehr.
Es erscheint aus den angeführten Gründen am meisten
wünschenswert, dafs das Beich selber die Unternehmung in die
Hand nimmt ; wäre es auch denkbar, dafs vielleicht das Beich etwas
langsamer arbeitet wie eine Gesellschaft, die nur darauf hinzielt, am
schnellsten ihr Kapital zurück zu erlangen, so bliebe doch das
Unternehmen und die vielen damit verknüpften Interessen durch
Staatsarbeit am besten gesichert und garantiert.
Wie lange Zeit wird die Arbeit in Anspruch nehmen? Selbst-
verständlich kann darauf nur annähernd eine Antwort gegeben
werden, weil man mit sehr vielen Unterabteilungen der Arbeit Glück
oder Widerwärtigkeiten haben kann; die betreffenden Schätzungen
sind denn auch nur gegründet auf gleichartige Arbeiten, von denen
man im Laufe vieler Jahre des letzteren Jahrhunderts Kenntnis
erhalten hat.
Der Herr Ingenieur Beyerinck schätzte die Zeit für die Anlage
des Abschlielsungsdeiches in seinem Entwürfe (40 Km) auf 8 Jahre
und für die eigentUche Trockenlegung, mit den weiteren Kanal-,
Deich- und Schleusenarbeiten innerhalb des Deiches, auf abermals
8 Jähre; somit würde in 16 Jahren die Arbeit des Ingenieurs
beendet sein.
Es ist aber nicht daran zu denken, dafs nach diesen 16 Jahren
die Ländereien sofort für den L^mdbau bereit liegen würden; sehr
vieles bleibt nun der Landwirtschaft überlassen. Zuerst ist zu
beachten, dals das Land während vieler Jahrhunderte unter salzigem
Wasser gelegen hat; lange Zeit mufs es dem Einflüsse von Luft
und Begen ausgesetzt bleiben, bevor es den Salzgehalt insoweit
verloren hat, um als • gewöhnlicher Baugrund behandelt werden zu
können. Die Gräben im schlaffen kotigen Boden fallen dicht und
müssen fortwährend wieder aufgegraben werden; die Gemeinschaft
der Äcker mit den angelegten Hauptwegen und Hauptkanälen, ob-
schon im groben und ganzen schon bei der Trockenlegung aus-
geführt, muls noch in mancher Hinsicht ausgebessert und m^\:^^&-
~ 46 -^
kommnet werden, bewohnte Orte müssen auf irgend eine Weise
dargestellt werden u. a. Das alles erfordert viel Zeit, viel
Kapital, obendrein eine grofse landwirtschaftliche Kenntnis und uner-
schöpfliche Aosdauer.
Im allgemeinen besteht bei der landbauenden Bevölkerung in
Holland geringe Neigung nach andern Orten umzuziehen. Als Beleg
hierfür kann beigebracht werden, dafs der Polder Anna Paulovnia
in Nordholland so ungefähr 30 Jahre nach dem Anfang der Trocken-
legung bevölkert zu werden anfing. Und doch waren die Verhält-
nisse dieses Polders weit günstigere, als die der Zuiderzee sein
würden, denn in der Mitte dieses weiten Beckens giebt es Stellen,
die wenigstens 40 km von den nächstliegenden bewohnten Ort^i
entfernt sein werden, und wohin mit sehr vieler Mühe und Kosten
die ersten Lebensbedür&iisse gebracht werden müssen. Schulen,
Kirchen, Läden, Postanstalten und dergleichen mehr werden sich
nur nach und nach bilden, aber während der ersten Zeit wird der
Mangel an diesen Anstalten sich lebhaft fühlbar machen und un-
zweifelhaft einen nachteiUgen Einfiufs auf die Einwanderung in dem
neuen Lande ausüben.
Die Käufer der neuen Ländereien werden dieser Schwierigkeit
Rechnung tragen und darauf bedacht sein müssen, dafs sie im
Anfang gröCsere Arbeitslöhne auszulegen und Vorkehrungen zu treffen
haben für die Anfuhr von allem, was der Landbau erfordert. In-
dessen kommen die Steuer und Beiträge zur Trockenhaltung noch
zu den notwendigen Produktionskosten, so daGs man mit Gewilsheit
sagen kann, die nächstliegende Zukunft der neuen Polder sei nicht
frei von Schwierigkeiten vielerlei Art.
Die hervorgehobenen Umstände bleiben nicht ohne Einfiufs auf
die Preise der zu verkaufenden Gründe, und eine Gesellschaft, die
sich vorrechnete, die neuen Länder schon sofort nach dem 16. Jahre
für Durchschnittspreise verkaufen zu können, würde sehr wahr-
scheinlich ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht haben.
Nimmt der Staat die Arbeit in die Hand, dann bleiben die
Schmerigkeiten in bezug auf die Landpreise zwar bestehen, aber
der permanente Staat ist an sofortigen Verkauf weniger gebunden
als eine Gesellschaft, die das Kapital auf irgend eine Weise hat
flüssig machen müssen und Zinsen vom Kapital zahlen mufs.
Erfahrungsgemäfs darf man die Kaufsummen der neuen aus-
getrockneten Gründe nicht hoch anschlagen; erst in zweiter und
vielleicht dritter Hand kommen die Preise so ungefähr auf Nomud-
höhe. Die Polder Anna Paidowna bei Helder galten 10 Jahre nach
^ 47 ^
dem Anfang der Trockenlegung 100 Gulden für den Hektar, während
damals Mittelpreise für gewöhnliche, gute Ländereien zwischen 1800
und 2500 Gulden für den Hektar schwankten.
Im Harlemmermeer wurden 15 Jahre nach dem Beginn der
Trockenlegung mehrere Hektare sehr guten Baugrundes für 400 bis
500 Gulden für den Hektar erkauft; 25 Jahre später bezahlte man
diese Teile mit 2000 Gulden.
Eine Ausnahme von dieser Regel bildeten z. B. die ausge-
trockneten Polder im ehemaligen Y bei Amsterdam, welche schon
im zweiten Jahre 2000 bis 3000 Gulden für den Hektar einbrachten.
Hier ist aber nicht zu übersehen, dafs die QuaUtät dieser Gründe
vorzüglich war, und dafs sie sehr glücklich gelegen waren in der
Nähe von zwei Eisenbahnen, von 7 gröi£«re^andJkJ[ei2lerellX}rtschaften,
dafs endlich ein sorgfältig gewähltes Netz von Land- und Wasser-
wegen sehr viel dazu beitrug, die Zufuhr von Bedarfsgegenständen
und die Abfuhr von Produkten nach allen Teilen des Landes zu
erleichtern. Im allgemeinen werden die Polder in der Zuiderzee
nicht in so günstiger Lage sich befinden; sie sind höchstens mit
der Lage des Harlemmermeeres einigermafsen zu vergleichen.
Der Begierungsentwurf (1877) war geschätzt auf rund 120 Mil-
lionen Gulden, mit Verlust an 2^insen auf ungefähr 150 Millionen,
indem auf rund 150 000 ha gut verkäuflichen Baugrund gerechnet
wurde. Somit kostet der Hektar nach Beendigung der Arbeit
1000 Gulden. Nach obigen Beispielen ist es fraglich, ob man diesen
Preis erwarten darf, und das umsomehr, wenn innerhalb weniger
Jahre eine so riesige Menge Land angeboten wird, als hier der Fall
sein würde. In Holland wenigstens wäre eine so plötzliche Ver-
grölserung der zum Verkauf anzubietenden Ländereien etwas nie-
dagewesenes.
Das früher genannte Beichskomitee, dals sich auch darüb^
auszusprechen hatte, ob eine Ausführung durch eine Privatgesellschaft
Empfehlung verdiene, meinte dann auch, dafs die Konzessionierung
solcher Gesellschaften unter keinen Umständen anzuraten sei, weil
die Sache keinen finanziellen Ertrag verspreche, dafs vielmehr zu
befürchten sei, dafs entweder untaugliche Arbeit geliefert würde
oder Einstellung der halbvollendeten Arbeit in Aussicht stände.
Welcher Weg nun auch in der Zukunft eingeschlagen Werden
mag, es ziemt sich jedenfalls hier ein ehrendes und anerkennendes
Wort den zahlreichen Männern auszusprechen, welche^ jeder auf
seine Weise, die Sache so gründlich untersucht und zu einem Gegen-
stand eingehenden Studiums gemacht haben. Wenn iemak xxvx. k»&-
— 48 —
führung geschritten wird, kann man nicht umhin, der talentvollen
Ingenieure van Diggelen, Beyerinck, Stieltjes, Hüet und
Lely zu gedenken, und ihre Namen in irgend einem Kanal, einer
Dampfinaschine oder einer anzulegenden Ortschaft zu verewigen.
Wir hoffen sehr, dafs noch einmal die grofse Bucht der Zttider-
zee innerhalb unsrer Landgrenzen zu bescheidenerer Ausdehntmg
zurückgebracht werde.
Herzogenbusch, P. A. van Buuren,
26. Dezember 1888. Hauptmann bei der Infanterie.
Die sudbahn in Rio Grande do Sul.
(Mit 1 Karte auf Tafel H.)
Von Paul Langhaus«
Die brasilische Provinz Rio Grande do Sul ist mit einem seltenen
Reichtum an schiffbaren Gewässern gesegnet; mit nicht erheblichen
Kosten Uefsen sich Wasserstrafsen schaffen, welche den Verkehr bis
tief in das Innere des Landes gestatten würden. Da trat vor un-
gefähr 12 Jahren eine wahre Eisenbahnbauepidemie auf, welche sich
in den seltsamsten Projekten kundgab. Man baute zunächst eine
Bahn von Porto Alegre, der Hauptstadt der Provinz, nach Nen-^
Hamburg, welche sich noch heutzutage ganz einfach deswegen nickt
rentiert, weil ihr zur Seite ein guter V\rasserweg, der Rio dos Sinos,
läuft, welcher den Frachtverkehr viel bilUger vermittelt, als es eine
Eisenbahn jemals thun kann. Dann kam das unsinnige Bahnprojekt
nach der Nachbarprovinz Santa Catharina, eine Lieblingsidee Kaiser
Dom Pedros; seit mehreren Jahren ist bereits eine Eisenbahnlinie
längs des Hauptstromes der Provinz, des Jacuhy, im Betrieb und
zwar vom rechten Ufer des Taquary bis Santa Maria da Boca do
Monte. Glücklicherweise ist die Ausführung der Bahn bis Porto
Alegre unterblieben. Gebaut wird femer noch an der Strecke Santa
Maria bis Gacequy, projektiert ist die Bahn quer durch das Land
bis Uruguayana am Uruguay. Die sogenannte Quarahim - Bahn ist
zum Teil, d. h. auf Strecke Uruguayana-Quarahim provisorisch er-
öfinet. Auch sonst wimmelt es von Eisenbahnprojekten, darunter
ganz aussichtsreichen, wie die Taquarybahn (die Konzession ist aller-
dings von der Regierung wegen Nichtinnehaltung des Kontraktes
wieder annulliert) und die Bahn nach der deutschen Kolonie Santa
— 49 —
Cruz als Zweigbahn der Staatsbahn. Andre weniger gelungene sind
die Bahnen von Rio Pardo nach Sao Feliciano, von einem Punkte
gegenüber Porto Alegre über Santa Louren9o nach Pelotas, von
Maria Gomes nach Jaguaräo. Eine der zukunftsreichsten, zum Teil
bereits im Betrieb befindlichen Eisenbahnen in Bio Grande ist die
sogenannte Südbahn, welche von dem einzigen Hafen der Provinz
Bio Grande do Sul den Süden des Landes durchzieht, um die Quer-
staatsbahn etwa in der Mitte derselben bei Cacequy zu treffen.
Dieser Eisenbahn sollen die folgenden Zeilen gewidmet sein.^)
Bereits Mitte der 60er Jahre traten Projekte auf, im Süden
der Provinz eine Eisenbahn zu bauen. Den Anlafs dazu gab die
Entdeckung und Untersuchung der Steinkohlenlager im Becken von
Candiöta, westlich von Bag6; man beabsichtigte zur Ausbeutung
derselben einen Schienenstrang bis zur Küste herzustellen, nur war
man sich nicht recht einig, welchen Weg die neue Bahn nehmen
sollte. Zuerst wollte man dieselbe von Bio Grande über Santa
Izabel am Gon9alokanal nach Bag^ und von dort dann über Dom
Pedrito, Bosario und Alegrete nach Uruguayana führen. Später
bewarben sich die kleinen Orte Cangussu und Piratinim lebhaft um
die Bahn, auch wollte man gern den ziemUch bedeutenden Handels-
ort Säo Gabriel dem Bahnnetze anschliefsen, kurz eine Masse von
Projekten. Endlich erteilte die Begierung 1874 die Konzession für
den Bau einer Eisenbahn Bio Grande-Alegrete mid zwar durch das
Thal des Piratiny (Piratinim) über Bag^. Der Streit, ob die Fort-
setzung der Bahn über Sao Gabriel oder über Bosario zu erfolgen
hätte, wurde bald zu Gunsten der ersteren Linie entschieden, welche
in die Staatsbahn bei dem neugeschaffenen Orte Cacequy münden
soll. Die Bahn von Bio Grande bis Bag^ ist bereits in Betrieb, für
die Fortsetzung bis Cacequy hat die Begierung 1887 den Kredit
bewilligt. Die Trace der seiner Zeit projektierten Bahn Bag4-Alegrete
ist auf beigegebener Karte noch verzeichnet.
Zur leichteren Übersicht wollen wir die Südbahn in drei Strecken
zerlegen : Bio Grande-Pelotas, Pelotas-Bagö und Bag^Cacequy. Der
erste und kleinste Teil ist von untergeordneter Bedeutung: die
Gegend, durch welche derselbe führt, ist fast ganz unproduktiv, meist
Sandebene. Dazu der von den Dampfern und Segelschiffen vielfach
und regelmäfsig benutzte Wasserweg, welcher der Eisenbahn erheb-
*) Memoria Justificativa sobre os estudos definitivos para a estrado de
ferro do Rio Grande do Snlao entroncamento do Cacequy. Rio 1876. (Nicht
im Buchhandel.)
Geographieche Blätter, llremen 1S89. \.
— 50 —
liehe Konkurrenz macht.^) Hier liegen nur die Haltestellen Vieira
und Povo Novo von untergeordneter Bedeutung. Die Bahn über-
schreitet eine Reihe kleinerer Bäche und dann auf grofser Brücke
den Kanal Sao Gon9alo,'^) um in die Hauptstation Pelotas einzulaufen.
Diese Stadt von etwa 30 000 Einwohnern, darunter zahlreiche Deutsche,
ist in jeder Hinsicht der bedeutendste von der Südbahn berührte
Ort und giebt einen vorzügUchen Stützpunkt für die Eisenbahn ab.
Hier befinden sich auch die Werkstätten und Magazine derselben.
Von Pelotas aus wendet die Bahn sich westwärts und überschreitet
die Arroios do Capäo do Leao und das Pedras in der Nähe der
gleichnamigen Stationen. Der Bio Piratiny oder Santa Maria wird
jenseits der Station Maria Gomes überbrückt. Letztere wird in
Zukunft wahrscheinlich einige Wichtigkeit erlangen; hier treffen
nämlich die Strafsen von Santa Izabel, Arroio Grande, Herval und
Jaguarao zusammen; eine etwa später zu bauende Eisenbahn nach
Jaguarao müTste gleichfalls an diesem Punkte Änschlufs an die Süd-
bahn erreichen. Bedingungen für eine gröfsere Bevölkerung sind
vorhanden, besonders auch Wasser und Holz, zwei sonst in diesen
Gegenden nicht allzureichlich anzutreffende Artikel. Vom Übergang
über den Piratiny folgt der Schienenstrang dem rechten Ufer des-
selben bis jenseits der Station Serro, wo der Piratiny zum zweiten
Male überschritten wird. Dort, wo der Weg von Herval die Bahn
kreuzt, am Ursprung des Piratiny, liegt die kleine Station Nascente.
Die Bahn ersteigt jetzt die Coxilha das Pedras Altas, wo die gleich-
namige Station; auf der andern Seite des Höhenzuges überschreitet
sie den Arroio das Taquaras und tritt somit in das Becken von
Candiöta ein. Hier liegt am Passo real da Candiöta die Station,
welche durch den Steinkohlenreichtum der Gegend wohl noch eine
grofse Rolle spielen wird; die Station Lucas ist minder bedeutend.
Nachdem die Arroios do Ferro und Jaguarao passiert sind, steigt
die Bahn über wohlbebaute Felder an schönen Geländen vorbei auf
die Coxilha Grande, an deren westlicher Seite, an einem Strafsen-
knotenpunkt, die Station Rio Negro liegt. Es läfst sich überhaupt
nicht verkennen, dafs die Wahl der Punkte für die Stationen, auch
für die kleineren, im grofsen und ganzen mit steter Rücksichtnahme
') Über die BinneuschifFahrt in dieser Provinz, welche bei der Beurteilung
der Wichtigkeit der Eisenbahnen nicht übersehen werden darf, siehe meinen
Aufsatz in der ,, Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik ^^^ Vm.,
Heft 12 (mit Karte).
■) Siehe auch meine Karte in Petermanns Geogr. Mitt. 1887, X.
^ 51 —
auf die bestehenden Wegeverhältnisse der Gegend getroffen ist. Im
allgemeinen kann man die Auswahl der Stationen wohl als eine
glückliche bezeichnen. Die Bäche dieser Gegend führen auch zur
Trockenzeit Wasser, so dafs ihre Ufer eine beständige Vegetation auf-
weisen. Nach Überschreitung mehrerer kleinerer Bäche läuft die
Bahn in Bage ein, wo die Strafsen von Säo Gabriel (von Norden),
von Cerro Largo in Uruguay (von Süden), von Sant' Anna do
Livramento (im Westen) und von Pelotas (im Osten) zusammenlaufen.
Die Strecke Pelotas-Bage ist wohl die aussichtsreichste der
Südbahn. Schon jetzt entwickelt sich hier ein ziemlich bedeutender
Verkehr. Von Maria Gomes werden jährlich ungefähr 500- bis
550000 Stück Rindvieh nach Pelotas getrieben, von denen etwa 15000
den Bedarf der Stadt an Fleisch decken, während die übrigen in
den zahlreichen (34) Exportschlachtereien (Xarqueadas) „verarbeitet"
werden, um das in Nordbrasilien vielbegehrte „Xarque", Dörrfleisch,
den Hauptausfuhrartikel dieser Gegend, zu liefern. Vor Eröffnung
der Eisenbahn verkehrten zwischen den beiden Städten Pelotas und
Bage zwei Personenposten, welche jährlich an 1600 Personen be-
förderten; an 40000 Reiter belebten in demselben Zeitraum die
Saumpfade dieser Strecke. Allerdings ist diese Gegend nicht stark
bevölkert: weite Grasebenen mit vereinzelten Weilern und Hütten,
keine eigentliche geschlossene Ortschaft, nur Bauern und gröfsere
Grundeigentümer nutzen die Fruchtbarkeit des Landes aas. Da-
gegen sind die Bedingungen für eine dichtere Bevölkerung vorhanden:
gutes Wasser, fruchtbarer Boden, sehr gesundes Klima und auch aus-
reichend Holz, woran es sonst vielfach auf den brasilischen Campos
mangelt. Besonders fruchtbar sind die Campos zwischen Pelotas
und Maria Gomes, die Campanha von Pelotas ; diejenigen von Orqueta,
südlich von den vorigen, eignen sich besonders für die Pferdezucht;
in diesem rings von Höhenzügen eingeschlossenen Becken wurde die
gegen Oribe, Rosas und Solano Lopes kämpfende brasilische Reiterei
organisiert. Auf beiden Seiten des Santa Maria sind die Ländereien
mit Fazenden besetzt ; jetzt wird hier nur Viehzucht getrieben, doch
in absehbarer Zeit wird sich sicher der Ackerbau des Bodens be-
mächtigen.*) Die Hügel an beiden Seiten des Flusses sind zum Teil
mit einer Schicht von gemischtem Granit und Humus bedeckt,
welche mit der sie überwuchernden Grasdecke vielen Tausend Stück
■
Vieh Nahrung gewährt. Die Bevölkerung zu beiden Seiten der Bahn
*) Über die von der Eisenbahn durchschnittenen Teile des Monizips, siehe
auch Petermanns Geogr. Mitt 1887 p. 332 ff. in „Das südliche KolonietL^<&\^\&V
von Rio Grande do Sul von Dr. H. v. Ihering und P . l»wi^«öa^
— 52 —
ist nur schwach; für den Handel ist diese Bahnstrecke nur von
wenig Bedeutung; bis zum kleinen Orte Säo Joao do Herval wird
das hügelige Land ganz von Estancias eingenommen. Die Anzahl
der Anwohner dieses Teiles der Südbahn mag ungefähr 6000 be-
tragen. Das Becken von Candiöta zwischen der Coxilha das Pedras
Altas und der Coxilha Grande ist für den Ackerbau sehr geeignet.
Dies schöne Land produzierte früher auch viel Weizen, wie überhaupt
der südliche Teil von Rio Grande do Sul. Heute hat der Weizenbau
aufgehört; bedeutende Viehzucht ist an Stelle desselben getreten.
Was aber dem Becken von Candiota so hohe Bedeutung verleiht,
das sind seina Mineralschätze. Auf einem Gebiete von mehr als 24 Dkm
befindet sich hier besonders Steinkohle in zahlreichen Schichten in
jeder Einsenkung des Terrains. Der Engländer Robert Hunt erklärte
die Kohle für good old coal. An vielen Stellen liegt die Steinkohle
offen zu Tage oder ist durch den Eisenbahnbau freigelegt worden. Bei
Candiota finden sich auch Marmorbrüche. Die mineralischen Boden-
schätze dieser Gegend werden jedenfalls in Zukunft bei energischer
Ausbeutung einen wohlthätigen EinfluTs auf den Frachtverkehr der
Bahn ausüben. Trotz dieses Reichtums des Bodens hat die Gegend
nur wenige in Estancias zerstreute Bewohner, nur beim Arroio
Candiota findet sich ein mehr bevölkertes Zentrum. Die Candiöta-
kohle ist jedenfalls ebensowohl wie die bei Santa Jeronymo geförderte
zum Heizen von Maschinen zu gebrauchen und daher ausfuhrfähig.
Die Gegend von Candiota bis Bage ist für Ackerbau sehr geeignet:
die Ebene des Rio Negro enthält den schönsten Boden an der
ganzen Linie, aber nichts ist bebaut, alles von einer kleinen Baumart,
„Xirca**, bedeckt. Von der Umgebung des Arroio das Taquaras bis
vor die Thore von Bage verschwindet der Granit gänzlich.
Bage, die einzige Stadt der Campanha, welche vor Eröffnung
der Eisenbahn regelmäfsige Fahrposten besafs, die nach allen
Richtungen ins Land gehen, ist heute eine wichtige Bahnstation
geworden. Der Ort ist überhaupt ein wichtiges Verkehrszentrum
des Südens der Provinz : von üruguayana und Alegrete fahren Posten
nach Sant' Anna do Livramento, und diese vereinigen sich mit der
nach Bage gehenden, so dafs alle, welche aus dem westlichen Teile
der Provinz nach Pelotas u. s. w. wollen, über Bage müssen. Da in
der Campanha die Wege auf dem Rücken der Höhenzüge (Coxilhas)
laufen, ist Bage sehr günstig gelegen, denn in seiner Nähe stbfsen
diese Höhenrücken fast zusammen. Die Wege laufen deshalb auf
den letzteren, um die Bäche und Sümpfe zu vermeiden, denn
Brücken gehören in Südbrasilien zu den Luxusartikeln. Bag6 ist
_ 53 —
auch in militärischer Hinsicht von Bedeutung: nahe der Grenze
gelegen, ist es ein wichtiges Kriegsdepöt.
Von Bage aus folgt die Südbahn der Coxilha, die die Wasser
des Arroio de Bage von denen des Pirahysinho trennt, welchen
letzteren sie in zwei Bogen von je 10 m Weite überschreitet, um auf
dem Höhenrücken zwischen Pirahy und Ibirä die Station Rodeio
Colorado zu erreichen. Dieselbe liegt nahe am Kreuzungspunkte
der Estrada do Rodeio Colorado, wo sich die Wege von Pedrito und
Santa Anna treffen, doch ist dieselbe wie die nächste, Jaguary, nur
von untergeordneter Bedeutung. Die Station Jaguary soll den Ver-
kehr auf der Estrada do Coxilha, von Lavras und Ca9apava auf-
nehmen. In die Thalebene von Jaguary hinabsteigend überbrückt
die Bahn denselben in einem Bogen von 20 m Weite unterhalb des
Passo do Camargo, sowie mehrere Zuflüsse desselben, welche auf
der Coxilha entspringen, die die Estrada geral trägt, darunter den
Arroio Salso. Längs eines Bergabhanges erreicht die Eisenbahn die
Station Suspiro am Serro da Suspiro für die Bewohner der Gegend
zwischen der Estrada do cima und de beixo, sowie die Anwohner der
Ufer des Rio Santa Maria und Ibicuhy da Armada. Nach Durch-
brechung der Coxilha de Pao Fincado überschreitet die Bahn zweimal
den Rio Vaccacahy, das erste Mal bei der Estancia v. D. Maria
da Gloria, dann beim Passo Geral zwischen dem Karchhof uud der
Stadt Sao Gabriel. Diese, werkthätig und bedeutenden Handel
treibend, ist als Zentrum militärischer Operationen bei Kriegszeiten
zu betrachten, deshalb von kriegspolitischer Bedeutung. Die einzige
Station zwischen Sao Gabriel und Cacequy ist Inhatium, ungefähr
auf halbem Wege zwischen beiden; dieselbe dient den Orten
Rosario und Saicon als Verkehrspunkt. Cacequy selbst ist als Station
der Nordbahn zu betrachten und als solche nur Einmündungspunkt der
Südbahn, wird aber in Zukunft vielleicht das Eisenbahnzentrum der
Provinz werden. Die gröfste Höhe erreicht die Südbahn auf der
letzten Strecke am Jaguary mit 400,40 m, die geringste am
Entroncamento do Cacequy mit 88,40 m. Die Deklination in Bage
betrug 1878: 6® 20' 0. Folgende gröfsere Brücken waren auf der
Strecke Bage-Cacequy zu bauen:
Anzahl Bogenweite
Gewässer: der Bogen: in Metern:
Pirahyzinho 2 10
Jaguary 1 20
Arr. Salso 1 20
Übertrag : 3 Brücken von 4 Bogen mit 50 rsv S^^sMw^^^iw^
— 56 —
äufsersten Norden in einer Ausdehnung von 680 miles, und wahr-
scheinlich würde eine sorgfältigere Nachforschung noch andre Glieder
zeigen, welche die jetzt als isolierte Gruppen erloschener Krater
erscheinenden vulkanischen Erhebungen in engeren Zusammenhang
bringen. In den mittleren Provinzen Madagaskars finden sich zwei
grofse Haufen alter vulkanischer Kegel und Öffiiungen. Der eine
derselben liegt etwa in derselben Breite wie die Hauptstadt (19
Grad S.) aber 50 — 70 miles weiter westwärts davon in der Nähe
des Sees Itäsy, der andre liegt in dem Väkinankäratra genannten
Distrikt, etwa 80 miles Südsüdwest von Antananarivo, südwestlich
der grofsen Gebirgsmasse von Ankäratra.
Diese zweite vulkanische Region erstreckt sich 20 — 30 miles
von Antskabe westwärts nachBetäfo und noch weiter hin, sie ent-
hält zahlreiche hohe erloschene Krater, darunter denlvöko, latsifitra,
Vöhitra, Tritriva und viele andre. Einige derselben wurden in
malerischen Schilderungen des verstorbenen Dr. MuUens in seinen
„Twelve Months in Madagascar" (S. 214 — 219) beschrieben. Er
zählte in dieser südlichen Gruppe etwa 60 Kegel und Krater.
In dieser Väkinankäratraregion befinden sich auch viele heifse
Quellen, die bekanntesten derselben sind diejenigen von Antskabe.
Eine der Quellen von Antsirabe führt grofse Mengen Kalk mit sich.
Dieser Kalk hat sich in einem kleinen flachen Thale, welches etwa
20 F. unter die Höhe der Umgegend des Dorfes hinabgesunken ist,
in grofser Menge abgelagert. Seit langer Zeit hat diese Stelle fast
allen Kalk geliefert, der in der Hauptstadt und in der zentralen
Provinz Imerina für Bauzwecke gebraucht wurde. Aufser dieser Ab-
lagerung, die sich über den ganzen Thalboden erstreckt, zeigt sich
noch eine kompakte, bergrückenförmig gelagerte Kalkmasse von
70 F. Länge und 18—20 F. Breite. Dieselbe ist etwa 15 F. hoch.
AUes dies ist durch die Quelle abgelagert worden, welche einen
Durchgang durch den Kalk offen hielt. Seit den letzten 8 oder 10
Jahren ist aber die Quelle aufgegraben und zwar durch Absenkung
eines Schachtes von geringer Tiefe einige Yards weiter nördlich,
über welchem von der norwegischen Lutherischen Mission ein grofses
Badehäus errichtet ist; hierher kommen viele Besucher, um in dem
heifsen Mineralwasser zu baden, welches als sehr wohlthätig bei rheu-
matischen und andern Beschwerden befunden wurde. In geringer Ent-
fernung weiter südwestlich ist noch eine Quelle, die jedoch nicht
heifs, sondern milchwarm ist, das Wasser derselben wird von denen
getrunken, die in der andern Quelle baden. Dieses Wasser hat sich
in Bezug auf seine chemischen Bestandteile fast identisch mit dem
— 57 —
berühmten französischen Vichyvvasser erwiesen. In dem ganzen
Thale kommt an verschiedenen Stellen das Wasser zu Tage, und
etwa eine halbe Mile weiter nördlich sind einige fernere Quellen,
die noch etwas heifser sind als die eben erwähnte, und die von den
Eingeborenen viel zu Heilbädern benutzt werden.
Während der behufs Grundlegung des Badehauses vorge-
nommenen Ausgrabung entdeckte man die Skelette verschiedener
Arten einer ausgestorbenen Hippopotamusgattung, die Schädel und
Hauzähne derselben sind vollkommen erhalten. Einige derselben
sind jetzt im Museum in Berlin, das schönste Exemplar wurde an
das Universitätsmuseum zu Christiania gesandt. Dieses Hippopotamus
von Madagaskar war eine kleinere Gattung als die jetzt in Afrika
lebende und ist wahrscheinlich nahe verwandt, wenn nicht identisch
mit einem andren Hippopotamus (H. Lemerlei), von welchem im
Jahre 1868 Herr Grandidier in den Ebenen der Südwestküste Über-
bleibsel fand. Ich erfuhr von dem Volke, dafs überall, wo man in
diesen Thälern den schwarzen Schlamm bis zu einer Tiefe von 3
oder 4 Fufs aufgräbt, Knochen zu finden sind. Eine Reihe von
Ausgrabungen würde wahrscheinlich die Üeberbleibsel von Tieren,
Vögeln und Reptilien zu Tage fördern, die früher in Madagaskar
lebten. Aus der inneren Struktur der Zähne und Knochen der
Hippopotamusse, welche in Antsirabe entdeckt sind und an denen
noch Spuren des Knochenleims sichtbar, geht deutlich hervor, dafs
die Tiere in einer noch nicht lange verflossenen Zeitepoche lebten.
Gelegentlich wurden unbestimmte Gerüchte laut von der Existenz
eines grofsen Tieres in den südlichen Teilen der Insel. Möglicher-
weise ist das Hippopotamus doch nicht ganz ausgestorben, und
vielleicht sind die halb mythischen Erzählungen vom Songömby,
Tökandia, Lälomena und andern wunderbaren Geschöpfen, welche
unter den Bewohnern im Umlauf sind, Traditionen aus der Periode,
wo diese riesigen Pachydermen noch in den Seen und Sümpfen
Madagaskars zu sehen waren.
Wenige Meilen von Antsirabe sind zwei Kraterseen. Der nähere
und gröfsere derselben heifst Andväikiba und liegt etwa 4 miles gerade
nach Westen. Es ist dies ein hübsches Wasserbecken, blau wie der
Hinmiel und an Gestalt ein unregelmäfsiges Viereck, mit runder
Krümmung nach Nordwesten, wo es immer seichter wird und sich
zuletzt in einen Sumpf verflacht, der schliefslich in Reisfelder über-
geht. Der See soll sehr tief sein, aber die ihn umgebenden Berge sind
nicht sehr hoch, sie erheben sich nur bis zu 200 F. über die
Oberfläche des Wassers und fallen steil iw d^.%^^V(^^ XsassS^, ^\^<^^
— 58 —
und Wasser vögel, wie auch Krokodile sollen sehr reichlich in und auf
seinen Wassern sein.
Die interessanteste Naturmerkwtirdigkeit, welche in der Nähe
von Ants\rabö zu sehen, ist der Kratersee von Tritriva. Er liegt
etwa 10 miles südwestlich und ist in einer ailgenehmen zwei-
stündigen Palankintour zu erreichen. Man schlägt zuerst eine west-
liche Richtung ein, dann wendet sich der Weg mehr nach Südwest
und läuft am südlichen Fufse des alten schon erwähnten Vulkans
Vöhitra hin. Nachdem man eine oder 2 miles südlich auf dem
hohen Terrain, welches die südlichen Gestade des Andräikibasees
umgiebt, gewandert ist, steigt der Berg allmählich zu einer hohem
Landfläche hinauf, und in Zeit von etwa IV2 Stunden befindet man
sich ungefähr in der Höhe der Spitze des Vöhitra, wahrscheinlich
etwa 600 Fufs hoch. Sobald wir einen zwischen zwei gröfseren
Bergen sich hindurchziehenden Gebirgsrücken erreichen, sehen wir
zum ersten Male den Tritiva, welcher jetzt etwa 2 — 3 miles ent-
fernt vor uns liegt. Von hier aus erscheint er sehr deutlich als ein
ovalftr Hügel, dessen längster Durchmesser von Norden nach Süden
vorläuft und der in der Mitte eine starke Senkung hat; die nord-
rt»tli(ihe Kante des Kraterwalls ist der niedrigste Teil desselben,
und von da aus erhebt er sich allmählich nach Süden und Westen ;
(llti wt^htUche Kante ist in der Mitte 2—3 mal so hoch wie die
^^NÜIciht^ Seite. Nördlich liegen zwei viel kleinere becherförmige
llUgel, welche so aussehen, als ob die vulkanischen Kräfte, nachdem
d«r Hauptkrater gebildet war, schwächer und so unfähig geworden
wären, sich länger durch den alten Ausweg zu ergiefsen und des-
halb zwei kleinere niedrigere Auswege gebildet hätten.
Wenn man von dem eben erwähnten Rücken ein wenig herab-
steigt, überschreitet man ein Thal mit ziemlich vielen zerstreuten
Dörfchen, und in weniger als ^/2 Stunde ist man am Fufse des
Hügels. Nachdem man einige Minuten einen ziemlich sanften Ab-
hang von vielleicht 200 F. Höhe hinaufgestiegen ist, kommt man
zum Gipfel an der niedrigsten Stelle des Kraterrandes, und nachdem
man den Bergrücken erreicht hat, liegt der Krater des alten
Vulkans und sein See vor, oder vielmehr unter uns. Die Landschaft
ist jedenfalls auTsergewöhnlich und einzig in ihrer Art. Die innern
Kraterabhänge steigen von allen Seiten sehr steil in einen tiefen
Schlund hinab, und hier befindet sich, durch senkrechte Klippen
rundherum — mit Ausnahme der südlichen Spitze — scharf ab-
gegrenzt, tief unter uns ein eigentümlich aussehender, dunkelgrüner
See, Der Spiegel desselben liegt wahrscheinlich 200 — 300 F.
— 59 —
tiefer als der Punkt, auf dem man steht, also auch tiefer als
das umgebende Land. Der See, welcher unmittelbar durch die
Klippen des ihn umgebenden Kraters eingeschlofsen ist, hat keine
blaue Farbe, wie der Andraikiba, obwohl er unter einem hellen
wolkenlosen Himmel liegt, sondern ein tiefes und etwas schwärz-
liches Grün. Unter einem stürmischen Himmel oder im Abend-
schatten mufs er wie Tinte aussehen.
Wir setzen uns nieder, um auszuruhen und alle Einzelheiten
dieses neuen Bildes in uns aufzunehmen. Es ist unzweifelhaft ein
alter Vulkan, in den wir jetzt hinabsehen. Der Platz, auf welchem
wir ausruhen, ist nur wenige FuTs breit, und wir können sehen,
dafs diese schmale, messerscharfe Kante sich um den ganzen Krater
herum gleich bleibt. AuTserhalb derselben ist der Abhang ziemlich
sanft, innen aber steigt er steil, hier und da fast senkrecht zu dem
Klippensaum, welcher die gegenwärtige Öf&iung und ebenso scharf
den See, welchen die Klippen einschliefsen, begrenzt. Blicken
wir nach Süden, so steigt die Kraterkante allmählich auf, indem
sie sich um die südliche Seite herumwindet und an der westlichen,
gegenüber liegenden Seite, wo der Kraterwall sich 200 — 300 F.
höher, sls auf der östlichen Seite, auftürmt, so weit man sehen
kann, fortwährend steigt. Der See ist nach unsrer Schätzung etwa
800—900 F. lang und 200—250 F. breit und büdet ein längliches
Oval mit spitz zulaufenden Enden. Die ihn einschliefsenden Klippen
scheinen 40 — 50 F. hoch zu sein, sie sind von weifslicher Farbe,
jedoch da, wo der mit Kohlensäure durchtränkte Regen reichlicher
heruntergeflossen ist, mit schwarzen Streifen versehen. Diese Klippen
sind vertikal, ragen an einigen Stellen über das Wasser und bestehen
in ihrer augenscheinlich horizontalen Schichtung ohne Zweifel aus
Gneis. Als ich den Berg heraufkam, bemerkte ich einige kleine
Klumpen Gneis unter den basaltischen Lavakieseln. Die gröfste
Eigentümlichkeit des Tritriva ist die scharf bezeichnete vertikale
Offiiung des Ausgangs, welche aussieht, als ob die Felsen mit einem
riesigen Meifsel sauber durchschnitten wären, und als ob sie unter den
düstern grünen Wassern sich in unergründliche Tiefen hinabsenken
müfsten, was ohne Zweifel auch der Fall ist. Am nördlichen Ende
des Sees ist ein tiefer Schlund oder Spalt, teilweise mit Gebüsch
oder Pflanzen gefüllt. Südlich davon, an der östlichen Seite, sind
die Klippen noch hoch und ragen über das Wasser, aber nach etwa
einem Drittel der Länge des Sees nehmen sie allmählich an Höhe
ab, und am südlichen Punkte senken sie sich bis zur Oberfläche des
Sees hinab, so dafs man sich nur hier dem Wasser xv^Jäätsv Väjksv.
— 60 —
An der Westseite halten sich die Klippen in einer ziemlich gleich-
bleibenden Höhe in der ganzen Länge des Sees.
Der innere Abhang des Kraterwalls ist so steil, dafs wir ein
etwas luftiges Gefühl empfanden, als wir den an der Kante hin-
laufenden Fufsweg dahingingen, denn nur sehr wenige Fufs davon
würde ein Fehltritt einen zum Hinabrollen bringen, und man würde
dann ohne Unterbrechung zu der Klippenkante und darauf in die
tiefen Wasser unten geraten. Und doch hatte die Szene einen eigen-
tümlichen Zauber, und die Mannigfaltigkeit, der Kontrast wie die
Tiefe der Farben würde den Titrivasee und seine Umsäumung zu
einem eindrucksvollen Vorwurf für ein Gemälde machen. Als wir
ankamen — es war noch 1^/2 Stunde vor Mittag — hellte die Sonne
die grauweifsen Felsen der westlichen Klippen auf, aber die Schatten
wurden mit jeder Minute, wie die Sonne sich dem fast vertikalen
Stande näherte, stärker. Weit unten war der tiefgrüne ovale See,
darüber die geschichteten Gneisklippen mit ihren schwarzen Streifen,
hier und da durch Flecken grünglänzenden Gebüsches unterbrochen.
Von ihren Kanten schiefsen dann wieder die graugrünen Abhänge
des Kraters in die Höhe, welche in dem hohen westlichen Rücken
uns gegenüber ihren höchsten Punkt erreichen, und über allem der
blaue mit Federwolken gefleckte Himmel, — es ist in der That eine
Szenerie, wie ich sie nie anderwärts in Madagaskur noch in irgend
einem andern Lande gefunden habe.
Nachdem wir uns den Anblick von Nordosten aus eingeprägt
hatten, gingen wir auf dem Kraterrande weiter nach Süden zu dem
höheren südöstlichen Teile, von wo der Ausblick ebenso überraschend
ist; die Tiefe der grofsen Kluft scheint hier noch unergründlicher.
Wir verweilten hier einige Zeit, während der gröfsere Teil unsrer
Leute zu einem der Dörfer im östlichen Teile der Ebene hinabstieg,
um sein Mahl einzunehmen. Dieses Verlangen wurde den Leuten
aber nur ungenügend erfüllt. Auf unsern Wunsch, das Wasser des
Tritriva zu schmecken, nahm einer unsrer Träger ein Glas und ging
einen halsbrechenden Pfad hinab, um etwas Wasser aus dem See
zu holen. Er blieb so lange aus, dafs wir schon unruhig wurden,
aber nach einer Viertelstunde erschien er wieder mit dem Wasser,
welches ganz süTs und gut schmeckte. Er unterhielt uns auch mit
einigen der Legenden, welche an einem so wild aussehenden Orte
notwendig entstehen mufsten. Indem er auf zwei oder drei kleine
Büsche hinwies, die auf den Klippen nahe dem Nordpunkt des Sees
standen, erzählte er uns, dafs dieselben in Wirklichkeit ein junger
Bursche und ein Mädchen wären, die sich ineinander verliebt hatten.
— 61 —
Da aber die hartherzigen Eltern des Mädchens mit der Heirat nicht
einverstanden waren, nahm der Jüngling sein Lendentuch, band es
um seine Geliebte und sich und stürzte sich mit ihr in das dunkle
Wasser. Sie wurden, so wird erzählt, in zwei nebeneinander stehende
Bäume verwandelt, und haben nun Nachkommenschaft, denn ein
junger Baum wächst in ihrer Nähe auf, und zum Beweise der Wahr-
heit dieser Geschichte sagte er, dafs, wenn man die Zweige dieser
Bäume drückt oder bricht, anstatt des Saftes Blut herausschwitzt!
Er schien vollständig an die Wahrheit dieser Geschichte zu glauben.
Er erzählte mis auch, dafs die Bewohner eines Klans mit
Namen Zänatsara, welche in der Nachbarschaft wohnen, einige be-
sondere Rechte an den Titrivasee beanspruchen, und wenn einer aus
ihrer Mitte krank ist, schicken sie jemand um nachzusehen, ob das
gewöhnlich klare Dunkelgrün des Sees braun und trübe wird. Wenn
dies der Fall ist, so glauben sie, dafs das eine Vorhersage für den
Tod des Kranken ist.
Eine andre Sage macht den See zur früheren Heimat der
mythischen Ungeheuer des madagassischen Folk-lore, der Lanänim-
pito-löha oder „siebenköpfigen Schlange". Aus irgend einem Grunde
wurde dies Ungeheuer seiner Wohnung überdrüssig und siedelte zu
den geräumigeren und glänzenderen Wohnungen für siebenköpfige
Geschöpfe über, welche der andre vulkanische See, der Andräikiba,
bietet.
Derselbe Träger versicherte uns, dafs in der Regenzeit — im
Gegensatz zu dem, was man vermuten sollte — das Wasser des
Sees sich vermindert, und dafs es in der trockenen Jahreszeit sich
wieder vermehrt. Er erzählte uns ferner, dafs es einen Ausweg für
das Wasser giebt, welcher im Norden des Berges eine Quelle speist.
Ich entdeckte etwa einen oder zwei FuTs über der Oberfläche des
Wassers rund um den Fufs der Klippen herum eine weifse Linie,
welche auf eine höhere Durchschnittshöhe des Wassers als sie augen-
blicklich war, schliefsen läfst. Der See ist ohne Zweifel sehr tief.
Man erzählte mir, dafs vor einigen Jahren M. J. Parrett ihn mit
einer 500 Fufs langen Leine auspeilte, in dieser Tiefe aber noch
keinen Grund antraf.
Wenn man zu dem südlichen Ende des Kraterrandes herumgeht,
so hat der See, welcher hier verkürzt ist, eine ziemlich grofse
Ähnlichkeit im äufseren Umrifs mit dem galiläischen Meer, wie es
auf den Karten dargestellt wird, aber ich mufs bekennen, dafs der
erste Blick in seine tiefe Kluft mich viel mehr an den andern See
in Palästina erinnerte, das tote Meer in seinem tiefen SchlsssBL^^
— 62 —
zwischen den Hügeln von Judäa und dem moabitischen Hochlande.
Nachdem ich eine oder zwei flüchtige Bleistiftskizzen genommen
hatte, ging ich weiter den viel höheren eingesattelten Bergrücken
auf der westlichen Seite hinauf. Hier scheint der See in seiner
Gröfse bedeutend vermindert zu sein und tief unten in einem schauer-
lichen Abgrunde zu liegen^ Man gewinnt hier einen prächtigen und
weiten Ausblick auf die Umgegend : die langen flachgipfligen Hügel-
linien, die im Osten sich viele miles von Nord nach Süd erstrecken
und in gerader östlicher Linie von zwei regelmäfsigen Kegeln (alten
Vulkanen, Vötovörona und Ihankiana) überragt werden, der gespitzte
und gezackte Höhenrücken Völombörona im Südosten, die riesige
Masse des Ibity im Süden, und dann im Westen eine flache von
schroff aufsteigenden Hügeln durchsetzte Gegend. Im Nordwesten
liegen die dichtbevölkerten Thäler gegen Betäfo, mit vielen becher-
förmigen Hügeln und Bergen, welche alte vulkanische Ausbruch-
wege bezeichnen, jenseits davon ist eine hohe Landmasse mit gegen
den Himmel sich zackenförmig abhebenden Umrissen, welche den
Distrikt Vävaväto und die Piaks von lävohäika erkennen lassen,
und endlich gerade im Norden die mannigfaltige Gruppierung der
Hügel, welche das südliche Ende der zentralen Bergmasse von
Ankäratra bilden. Zwischen diesen und den eben erwähnten Hügeln liegt
die ausgedehnte Ebene von Antsirabe, mit den weifsen Mauern und
Giebeln der Kirche und der massigen Häuser im hellen Sonnenschein
deutlich sichtbar, obwohl 10 oder 11 miles entfernt. Alles das bildet
zusammen ein Panorama, dessen man sich lange erinnert. Von diesem
Punkte aus erkennt man auch klar die Bedeutung und Geeignetheit
des Namens, den man dem alten Vulkan gegeben hat: Tritriva ist
eine Zusammensetzung von tritri — einem Worte, welches zur Be-
zeichnung der Erhöhung auf dem Rücken des Chamäleon oder eines
Fisches benutzt wird — und iva-niedrig, tief, so dafs der Name eine
treffende Bezeichnung des langen steilen westlichen Bergrückens oder
Kraterwalls und der von ihm hinabschiefsenden tiefen Kluft ist.
Es sei noch erwähnt, dafs sowohl die äufseren wie die inneren
Abhänge des Kraters mit Rasen bedeckt sind, welcher auf einem
dunkelbraunen vulkanischen Erdreich wächst, das mit gerundeten
Kieseln grünlicher oder purpurner Lava gemischt ist, die sehr
kompakt und von dichter Struktur ist und sparsam zerstreute kleine
Kristalle enthält. Ganze Blöcke dieser Lava findet man ab und zu
um den Rand des Kraterwalls, und derselbe Fels tritt an vielen
Stellen an den steilen inneren Abhängen zu Tage. Bläschen- oder
SchJackenlava fand ich nicht, und ich war überrascht, an einem
— 63 —
kleinen Wohnsitz unweit des nordöstlichen Fufses des Tritriva den
hädy oder Graben bis 12 oder 14 F. tief fast nur durch den roten
Lehm oder Erde gegraben zu finden, der in den zentralen Regionen
der Insel überall angetroffen wird. Der dunkelbraune vulkanische
Boden, dessen Durchschnitt man hier sieht, schien nur etwa 18 F.
tief zu sein. Er ist mit Lagern kleiner Kiesel untermischt. Der
Auswurf des vulkanischen Staubes und der Asche scheint sich dem-
nach bis zu einer geringen Entfernung vom Berge erstreckt zu haben,
wenigstens scheint die Ablagerungsschicht sehr dünn gewesen zu
sein, wenn nicht in der Folge eine starke Abtragung stattgefunden hat.
Es ist aber dabei zu berücksichtigen, dafs dieser Punkt an der dem
Winde zugekehrten Seite des Hügels liegt; im Westen des Vulkans
ist der vulkanische Grund wahrscheinlich tiefer. Die weit bedeuten-
dere Höhe des westlichen Kraterwalls ist ohne Zweifel eine Folge
der vorherrschenden östlichen Winde, welche die Hauptmasse des
Auswurfs nach Westen führten und sie doppelt bis dreifach so hoch
wie an der Ostseite aufhäuften. Nachdem ich die Menge von
Gneisfels gesehen hatte, welche aus dem Kraterloche ausgeworfen
sein mufs, erwarteteich viel bedeutendere Mengen und gröfsere Blöcke
davon zu finden, traf aber nur wenige und kleine Bruchstücke an
den äufseren Abhängen. Der gröfsere Teil liegt indessen wahrschein-
lich unter den Mengen von vulkanischem Staub und lapillis verdeckt,
welche später ausgeworfen wurden.
Aus dieser kleinen Skizze wird man entnehmen, dafs der
Tritriva für Freunde der Geologie und physikalischen Geographie
ein sehr interessanter Gegenstand ist, während seine eigentmnliche
und etwas schauerliche Schönheit ihn eines Besuches des Künstlers
und Liebhabers des Pittoresken ebenso würdig macht. Jedenfalls
haftet seine Szenerie in unserm Gedächtnis so scharf, dafs sein Bild
für lange Zeit unserm Geiste vorschwebt.
Antananarivo, den 22. Mai 1888.
James Sibree jun.
— 64 —
Kleinere Mitteilungen.
§ Ans der Geogrraphisclien Gesellncliaft in Bremen« Za unserer
Freude können wir mitteilen, dafs unsere Gesellschaft durch die Opferwilligkeit
Ton einer Anzahl Mitglieder in den Si and gesetzt ist, dieses Jahr wiederum eine
Forschungsreise in die Polarregionen zu veranstalten. Herr Privat-
dosent Dr. W. Kükenthal aus Jena, Mitglied unserer Gesellschaft, wird Anfang
März sich nach dem nördlichen Norwegen begeben, um von dort aus eine
von unserer Gesellschaft ausgerüstete Expedition zu zoologisch-geographischen
Zwecken auszuführen. Das Ziel der Reise ist das nördliche Eismeer, insbesondere
der Norden und Nordosten Spitzbergens. An der Expedition nimmt Herr
Dr. Alfred Walter aus Jena teil. Welche Aufgaben im einzelnen zu lösen, ergiebt
der in diesem Heft enthaltene Aufsatz des Herrn Dr. Kükenthal.
Auch in diesem Winter veranstaltet die Gesellschaft in bisheriger Weise
Vorträge. Der Hauptinhalt der Vorträge, welche Herr Ministerresident Dr.
Schumacher im November und Dezember v. J. im Kreise der Gesellschaft
kielt, ist in dem bezüglichen Aufsatze dieses Heftes wiedergegeben.
Am 2. November v. J. hielt in einer gemeinschaftlichen Versammlung der
Geographischen Gesellschaft und der Bremischen Abteilung der Deutschen
Kolonialgesellschaft Herr Hauptmann Wifsmann einen Vortrag über die Araber
in Ostafrika.
Polarregrioiieii* Die beiden Briefe, welche der Norweger Nansen und
Min Reisegeföhrte Sverdrup über ihre Reise über das grönländische
Binneneis nach Europa sandten, enthalten, obwohl sie, um eine Verspätung
au vermeiden, in aller Hast hingeworfen wurden, so viel bemerkenswertes, daüs
lie hier wörtlich folgen mögen. Nansen meldet unterm 4. Oktober aus Godthaab
(Westküste von Grönland) an Herrn Augustin GamM in Kopenhagen — der
einen Teil der Kosten des Unternehmens hergegeben — , dafs er nur in Eile einige
Zeilen hinwerfen könne, die von Kajak- (Grönlands-Einrudererboot) Leuten nach
Ivigtut, von wo gerade ein Dampfer mit Kryolith nach Kopenhagen abgehe,
gebracht würden. Er schildert sodann die grofsen Schwierigkeiten, welche die
Expedition zu bestehen hatte. Am 17. Juli verliefs Nansen mit seinen Gefährten
in zwei Böten den Dampfer „Jason", voll Hoffnung, die Ostküste von Grönland
auf 65V«* n. B- z^ erreichen. Statt dessen \\'urden die Böte von dem an der
Küste herabgehenden Treibeisstrom erfafst, Rudern war unmöglich, ebenso
wenig konnten die Böte über die Schollen geschleppt werden. Ein Boot wurde
halb eingedrückt, konnte aber glücklicherweise wieder hergestellt werden.
12 Tage hindurch trieben die Böte im Eis mit der Schnelligkeit von V'i See-
meilen in der Stunde, oft in Maelströmen. Einmal waren die Böte nahe daran,
mitten in den Eispressungen zerquetscht zu werden. Endlich gelang es, bei
der Insel Anoretok auf 61* und einige Minuten n. B. nahe unter die Küste zu
kommen. Nun wurde längs der Küste gerudert und Umivik, von
wo am 15. August die Reise über das Binneneis begann, erreicht. Zunächst
wurde die Richtung auf Christianshaab an der Westküste genommen. Schwere
Schneestürme und harter Grund. Um nun noch zu rechter Zeit an die West-
küste zu gelangen, wurde der Kurs auf das um mehr als 4® n. B. südlicher
als Christianshaab gelegene Godthaab genommen. Die Expedition erreichte die
Höhe von 10 000 Fufs ü. M. und die Lufttemperatur war zu Zeiten 40— 50° C.
— 65 —
unter Nall! Während mehrerer Wochen war die Expedition in einer Höhe
von mehr als 9000 Fufs ü. M. Das Fortkommen war oft, wegen schrecklicher
Stürme und losen Neuschnees, furchtbar schwer. Endlich, Ende September,
wurde die Westseite, über Godthaab, erreicht. Der Abstieg über zerklüftetes
Eis war gefährlich, doch gelangte die Expedition wohlbehalten an den Ameralik-
Fjord. Aus dem Fufsboden des Zeltes, den Kisten, Barabusstöcken und Weiden-
zweigen wurde eine Art Boot gezimmert. In diesem gebrechlichen Fahrzeug
gingen Nansen und Sverdrup zu Wasser und erreichten glücklich Godthaab
am 3. Oktober. Die vier andern Mitglieder der Expedition wurden am Fjord
mit etwas Proviant zurückgelassen, um später von Godthaab aus abgeholt zu
werden. Sverdrup giebt in dem kurzen Brief an seinen Vater an, dafs die
Reise über das Inlandseis von Ost zu West 46 Tage dauerte. Die Landung
an der Ostküste erfolgte 300 miles südlicher als beabsichtigt. Der Aufstieg von
der Ostküste zum Eis hinauf war verhältnismäfsig leicht. 4 Tage lang safs
die Expedition im Schnee fest. Nachdem der Abstieg vom Binneneis an der
Westküste gelungen war, hatte die Expedition eine Strecke von 90 miles öden
Landes, dessen Hälfte an einem Fjord lag, vor sich. Die Fahrt vom Ufer des
Ameralik-Fjords nach Godthaab währte vier Tage. In Godthaab wurde den
kühnen Reisenden von der ganzen Kolonie der herzlichste Empfang zu teil.
Zwei Böte gingen sogleich nach dem Fjord, um die dort Zurückgelassenen zu
holen. Sverdrup schreibt seinem Vater, dafs er auf der ganzen, an Gefahren
und Anstrengungen reichen Reise sich stets ausgezeichnet wohl befunden habe.
Diese Briefe wurden mit Kajak, wie gemeldet, nach Ivigtut — 300 miles Ent-
fernung — gebracht, um von da mit dem Dampfer „Fox" nach Kopenhagen
befördert zu werden. Der Kapitän konnte nicht warten, um die Reisenden
noch mitzunehmen. Bemerkenswert ist, dafs dieser Dampfer „Fox** dasselbe
Schiff ist, welches den berühmten Polarfahrer M'Clintock vor 30 Jahren auf
seinen Entdeckungsreisen getragen hat. Es ist noch jetzt in der Polarfahrt
und zwar für die Dänische Kryolith-Kompanie. Der Güte des Herrn Dr. R i n k ,
Ehrenmitgliedes unsrer Gesellschaft, verdanken wir nachstehenden Auszug aus
seinem den Gegenstand betreffenden Aufsatz im 1. Heft 1889 der Zeitschrift
der Königl. dänischen geographischen Gesellschaft.
,,Bei der Betrachtung der Resultate, die von Dr. Nansens Grönlandsreise
zu erwarten sind, dürfte es am nächsten liegen, die Bedeutung derselben für
die neuesten dänischen Untersuchungen in Erwägung zu ziehen. Eine
Hauptaufgabe der letztern war Erforschung des Binneneises, die Bestimmung
seines Randes und die Messungen der aufserordentlichen Bewegungen, mit
welchen derselbe in die Eisfjorde hinausgeschoben wird und welche Kräfte
Yoraussetzen, die vom Innern ausgehend sich auf diesen Punkt kon-
zentrieren. Diese weitläuftige Arbeit hat für die ganze Ausdehnung
des Randes von 67** n. B. auf der Ostküste bis 75^ n. B. auf dei* Westküste
im Jahre 1887 einen vorläufigen AbschluXs gefunden. Um aber die genannten
Wirkungen bis auf ihren Ursprung zurück zu verfolgen, muTste noch wo-
möglich die Wasserscheide im Innern des Randes erreicht werden. Hierher
hatte noch Niemand seinen Fufs gesetzt, und seit dem Bestehen der alten
Kolonien bis jetzt waren diese unbekannten Regionen ein Feld verschiedener
Vermutungen gewesen. Die Mittellinie Grönlands, also auch die Wasserscheide,
ist ja denn nun überschritten, allerdings nur im südlichen, (schmaleren ToiV\
aber doch innerhalb des Bereiches wirklicher EiaQotdft xitlÖl ^\^ '^"wö;:^\.^^^'^^'^>
Geographiaehe Blätter. Bremen 1889. ^
_ 66 --
ZU welchen diese Veranlassung geben, dt^rften wohl jetzt durch die von Nansen
gewonnenen Erfahrungen beantwortet werden können.
Erst nach einer äuTserst gefahrvollen Bootsreise glückte es der Expedition
liand zu erreichen und am 15. August die eigentliche Wanderung anzutreten.
Vom grönländischen Sommer war dann nur noch V« zurück, und um sich
einen Begriff von diesem Sommer und den darauf folgenden Herbsttagen
zu bilden, genügt es zu erfahren, dafs die ganze Wanderung 46 Tage dauerte
und dafs man in 3 Wochen sich in einer Höhe von 9 bis 10000 Fufs befand
und oft eine Temperatur von -r 45 bis -f- 50 • C. observierte. Man wird hieraus,
und besonders durch Vergleiche mit den gleichzeitigen Observationen in der
Kolonie Godthaab gewiTs interessante und für die arktische Meteorologie wichtige
Schlüsse ziehen können, auch wird die genauere Form der Oberfläche dieses
Tafellandes von grofsem Interesse für die Gletscherkunde sein. Die bisherigen
Berichte sind zu spärlich und unsicher, um weitere Schlüsse zu ziehen. Jeden-
falls ist das Resultat aber genügend, um diese Wanderung zu einer der
merkwürdigsten in der Reihe der arktischen Thaten zu machen, besonders
wenn man den Abschlufs derselben, die fast unglaublich scheinende Befahrung
des Ameralik-Fjordes mit dem, an einem Tage gebauten Boote aus Segeltuch
mit in Rechnung bringt.
Wenn beim Vergleich der Expedition mit früheren Versuchen, so weit wie
möglich ins Innere vorzudringen, auch die vom Kapitän Jensen 1878 geleitete
genannt wird, beruht dieses auf einem Mifsverständnis, da dieselbe für diesen
Zweck weder bestimmt noch ausgeführt war. Wenn man femer Nansen und
seine Begleiter als die ersten „Europäer", oder die ersten, welche „in neuerer
Zeit* Grönland überschritten haben, bezeichnet, können diese Zusätze ohne
Bedenken ausgelassen werden. Man darf mit Sicherheit behaupten, dafs weder
die eskimoischen, noch die alten skandinavischen Einwohner Grönlands diese
Wanderung ausgeführt haben."
Unterm 20. Dezember v. J. brachte die dänische Zeitung „Dannevirke*'
folgende Mitteilung: „Die unschätzbare Bedeutung der Konserven für
l|angere Reisen in den arktischen Gegenden geht offenbar aufs
neue in hervortretender Weise bei der Grönlandsfahrt des Dr. Nansen hervor.
Man weifs jetzt, dafs er Proviant für zwei Monate mit sich geführt hat, und
dafs dieser Proviant wesentlich aus Fleischkuchen, konzentrierter Suppe, Fleisch-
extrakt, Leberpastete, Pemmikan (Dörrfleisch) und Chokolade bestand. Die
Expedition hat aufserdem einen vorzüglichen Kochapparat und 20 Pott Sprit
gehabt. Der Kochapparat enthielt zwei Abteilungen, die untere für das Kochen
des Fleisches und der Suppe, die obere zum Schmelzen des Schnees. Da die
Expedition etwa 2V« Monate unterwegs gewesen ist, hatte sie, nach erfolgter
Landbesteigung im südlichen Grönland, während des Marsches in nördlicher
Richtung längs der Ostküste wesentlich von Wild und Eiern, die dort im Juli
zahlreich gefunden werden, gelebt, um den mitgenommenen Proviant aufzusparen.
Dennoch mufs es augenscheinlich notwendig gewesen sein, beim Marsche im
Innern Grönlands die Rationen abzuknappen. Wäre der Proviant durch ein
unglückliches Ereignis, z. B. durch Hinunterrutschen der Schlitten in einen
Abgrund, zu jener Zeit verloren gegangen, als die Expedition ungefähr vierzig
geographische Meilen von der nächsten Wohnung oder eskimoischen Erdhütte
entfernt war, würde sie verloren gewesen sein, denn alle vorhandenen Berichte
aber das Innere Grönlands stimmen darüber überein, dafs in einer Entfernung
^ 67 — .
von ungefähr 10 Meilen von der Küste weder Vögel noch Sängetiere gesehen
worden sind. Es wird interessant sein, im nächsten Sommer zu erfahren,
welche Gefühle hei Dr. Nansen und seineu Gefährten entstanden sind, als sie sich
mit knappem Proviant in ihnen gänzlich unbekannten, an jedem Pflanzen- und Tier-
leben baren Alpenregionen befanden und eine Temperatur ertragen mufsten, welche
selbst den Lappländern in der 6 Monate langen Wintemacht im Nordlande und
Finnmarken ungewohnt ist. Die vor kurzem heimgekehrten Europäer, welche
sich im verwichenen Sommer in Godthaab aufgehalten haben und darunter
namentlich der dänische Maler Riis Carstensen, haben Mitteilungen über die
Reihe von Expeditionen gemacht, welche namentlich Ende August und Anfang
September von den dänischen Kolonien ausgesandt wurden, um der Nansenschen
Expedition auf die Spur zu kommen. Es geht ferner aus diesen Mitteilungen
hervor, dafs Dr. Nansen in Godthaab wahrscheinlich beim dortigen dänischen
Inspektor, J. P. Rydberg, die andern Mitglieder der Expedition in den andern
dort vorhandenen vier europäischen Häusern Unterkunft gefunden haben. Das
Leben in Godthaab ist verhältnismäfsig billig, wenn man die Ausgaben für
Kolonialwaren, Butter und Wein ausnimmt. Fische und Wild liefern die Eskimos
zu sehr geringen Preisen. Ein grofser Dorsch kostet zur Zeit in Godthaab
4 Ore (5 Pfennige), ein grofser Lachs 12 Ore, ein Schneehuhn 6 — 8 Ore, ein
Rentierbraten 12 Ore. An Nahrungsmitteln wird es somit nicht gebrochen
haben und Steinkohlen sowie auch Holz sind reichlich vorhanden. Die Kolonie
Godthaab hat gegenwärtig 496 Einwohner und darunter 32 Europäer^.
Im Sommer 1888 bereiste der durch seine Forschungen in Lappland be-
kannte französische Geograph Rabot die Westküste von Grönland. Nach einem
kurzen Bericht, der in dem Compte rendu No. 14, 1888, der französischen geo-
graphischen Gesellschaft veröffentlicht, besuchte er als Passagier auf dem der
dänischen Grönlandskompanie gehörenden Dampfer „Hvidbjörn'^ die Kolonien
Godhavn, Jakobshavn, Egedesminde und Sukkertoppen. Von Jakobshavn be-
suchte er den in den gleichnamigen Fjord mündenden Gletscher und brachte
auf verschiedenen Landausfiügen naturwissenschaftliche Objekte mancherlei Art
zusammen. Das genannte, von Kapt. Jensen, dem bekannten Grönlandsforscher,
befehligte Schiff soll in diesem Frühjahr so zeitig als möglich nach Godthaab
gesandt werden, um Nansen und seine Gefährten heimzubringen.
Auch im vorigen Sommer wurde noch ein Versuch gemacht, die Jenissej-
Mündung durch das Kara-Meer zu erreichen. Anfang August traf Dampfer
^Labrador" in Vardoe ein und fuhr zum Kara-Meer. Letzteres war jedoch
wegen Eises unpassierbar und so kehrte jenes von Kapt. Wiggins geführte
Schiff unverrichteter Sache nach Norwegen und England zurück.
Im Eismeer nördlich der Beringstrafse war der Walfang der Amerikaner
im vorigen Sommer sehr ergiebig. Die Zahl der bis Oktober gefangenen Wale
wird auf 256 angegeben, welche 48000 Pfund, Barten und ebensoviel Barrel
Thran liefern dürften. Die amerikanische Regierung plant die Errichtung von
Hülfs- und Rettungsstationen an geeigneten Punkten der Küsten,
welche in der Nähe der Fanggebiete der den arktischen Ozean befahrenden
amerikanischen Walerflotte gelegen.
^^
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Nacliträgliclies zu ^^Nicolaus Yon Miklucho - Maclay^s^ Reisen und
_ •
Wirken**« Von Dr. 0. Fi n seh. Der Güte dcH Herrn Barons von Osten-Sacken
in St. Petersburg verdanke ich einige briefliche Mitteilungen über den Reisenden,
die leider für die Publikation (Heft 3 u. 4 dieser Zeitschrift, Bd. XI. 1888,
S. 270 — 309) zu spät kamen und zur Vervollständigung nachträglich Platz finden
mögen, v. Miklucho-Maclay starb am 14. April (n. St.) 1888 nach langen, schweren
Leiden — „beständige Fieber und gänzlicher Kräfteschwund" — in der Klinik
des Baronets Wylie in St. Petersburg im Alter von 42 Jahren und wurde am
19. April auf dem Wolkowokirchhof zur Ruhe bestattet. Einige wenige
Freunde und Bekannte, darunter hervorragende Gönner, wie Geheimrat P. von
Szemenow, Vizeadmiral Kopytow und Kontreadmiral Nasimow, sowie mehrere
Professoren der militärisch-medizinischen Akademie folgten dem Sarge, welcher
mit Kränzen geschmückt war. Einer der letztern trug die Inschrift „Dem
unvergefslichen Nikolaus Miklucho-Maclay, dem Menschenfreunde, von seinen
Freunden und Verehrern". Am Grabe hielt ein Professor eine Rede, in welcher
das humane Verfahren des Entschlafenen gegenüber den Eingeborenen (Wilden),
zugleich aber auch betont wurde, „dafs M. es war, der die russische Fahne
hoch hielt an einer Küste, welche den Europäern ganz fremd war und von
welcher in der letzten Zeit, sehr entgegen den Bemühungen des Verstorbenen,
die Deutschen Besitz ergriffen".
Meine Befürchtung, dafs durch den Tod des Reisenden die so lange
verzögerte Herausgabe seiner Werke überhaupt in Frage gestellt werden könne,
hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. „Der erste Band seiner Forschungen
ist druckfertig und befindet sich in der Geographischen Gesellschaft", schreibt
mir Baron von Osten-Sacken und nach einer andern Quelle „ist auch der
zweite Band im grofsen und ganzen durchgearbeitet". Ober den Inhalt der-
selben verlautet bisher nichts; die wissenschaftliche Welt wird daher der end-
lichen Publikation mit um so gröfserer Spannung entgegensehen.
Von den „nicht unbedeutenden" Sammlungen ist ein Drittel (Ethno-
graphie) in Besitz der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gelangt, zwei
Drittel (Ethnographie und Anthropologie) sind der Kaiserl. Geographischen Ge«
Seilschaft übergeben worden. Der Bruder des Verstorbenen ist gegenwärtig
beschäftigt, über diese Sammlungen einen Katalog zusammenzustellen unter
Benutzung der nachgelassenen Notizen des Reisenden, eine Arbeit, die ohne
Zweifel vielen willkonmien sein und das beste Bild über v. Ms. Thätigkeit als
wissenschaftlicher Sammler geben wird.
Die Beweise Kaiserlicuer Huld, welche dem Verstorbenen wiederholt zu
teil wurden, sind in hochherziger Weise auch auf dessen Witwe übertragen
worden, indem ihr der Kaiser eine lebenslängliche Pension bewilligte.
Die Kolana fs. Ein Artikel in der Genfer Zeitschrift: Les archives des
sciences physiques et naturelles, Band 19, über die Kolanufs stellt eine baldige
Veröffentlichung eines Verfahrens in Aussicht, um aus der Kolanufs ein den
besseren Kakaosorten vergleichbares Nahrungsmittel darzustellen. Zugleich
werden Analysen mitgeteilt von Benue-Kola und Kamerun-Kola, welche sowohl
untereinander als auch von bereits bekannten Befunden hinsichtlich des Ge-
baltes an Cellnlose ahweichen. Wir finden Benue-Kola mit nur 8.67 ^ o. Kamerun-
— 69 —
Kola mit 15,14 *^/o verzeichnet ; ältere Befunde haben 20 % und 29,8 °/o. Da der
Verwendbarkeit der Kola als Genufsmittel im Vergleiche mit Kakao hauptsächlich
ihr hoher Cellulosegehalt im Wege steht, so wäre es von Wichtigkeit fest-
zustellen, durch welche Umstände solche enorme Differenzen in der Zusammen-
setzung bedingt werden. Dr. H.
Geographische Litteratur.
Europa.
Das Erzgebirge. Eine orometrisch-anthropogeographische Studie
von Dr. Johannes Burgkhardt. Mit einer Karte. Stuttgart, J. Engelhorn.
1888. (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, im Auftrage der
Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland, her-
ausgegeben von Professor Kirchhoff in Halle. Dritter Band. Heft 3.) Man nimmt
allgemein an, dafs sich in einem Gebirge die Zahl der Menschen, sowohl
die absolute als auch die relative, gleich derjenigen aller andern organischen
Wesen mit der Höhe über dem Meeresspiegel vermindere. Bisher hat man sich
nur mit der Feststellung der Thatsache dieser Bevölkerungsabnahme eines
Gebirges begnügt, aber noch nicht versucht, einen genauen Nachweis derselben,
also einen ziffermäfsigen Ausdruck für die Dichte der menschlichen Ansiedelungen,
für die Zahl und Gröfse der Ortschaften u. a. in verschiedener Höhe zu
geben und so die Wirkung jener die Existenz des Menschen, je höher, desto
mehr erschwerenden Einflüsse durch Zahlen nachzuweisen. In der vorliegenden
Arbeit ist nun versucht worden, die Bevölkerung des Erzgebirges nach der
Höhe ihrer Wohnorte auf Höhenschichten zu verteilen, weil gerade dieses Ge-
birge allgemein als das stärkstbevölkerte angesehen und in vielen Lehrbüchern
der Geographie als solches bezeichnet wird. Die Arbeit zerfällt in einen oro-
metrischen und einen anthropogeographischen Teil. Im ersteren wird die
mittlere Kammhöhe nach Karl von Sonklar^s Methode bestimmt und der
Flächeninhalt der Höhenschichten (Jsohypsen von 100 m) und damit zugleich
der des ganzen Gebirges gesucht, endlich auch das Volumen des Gebirges und
die Höhe seines ausgeebneten Plateaus ermittelt, während im zweiten die
Verteilung der Bevölkerung und ihrer Wohnorte auf diese Schichten und ihr
gegenseitiges Verhältnis betrachtet werden. Die Tabellen unterscheiden 11 Höhen-
schichten von 200—1300 m. Die dritte Höhenschicht (300—500 m) ist auf
beiden Seiten des Gebirges dem Flächeninhalt nach am ausgedehntesten. Mit
gröfstem Interesse liest man die in einer Reihe Tabellen und Erläuterungen zu
denselben dargestellten Ermittelungen bezüglich der Bewohnung an der Nord-
west- und an der Südostscite; leider können wir nicht näher hierauf eingehen,
doch wollen wir hier beispielsweise die folgenden Ergebnisse verzeichnen. Die
Anhäufung der Menschen und ihrer Ansiedlungcn ist in der mittleren Höhe
des Gebirgsfufses (391 m) am stärksten. Auf den ihm benachbarten Höhen-
stufen, also der zweiten und dritten, wohnen 59,5t •/o sämtlicher Gebirgs-
bewohner und liegen 53.3? ^'o aller Ortschaften ; von den Städten gehören 56,« •/«
den beiden Stufen an. Der Flächeninhalt der Nordwestscite ist 76,6«, der der
Südostseite 23,4* •>; 8G,8r ^'o der Bevölkerung kommen ^\xl \«^^, \Ä,\^^\^
— 70 —
auf diese. Die Zahl der Ortschaften in Prozenten ist dort 7d,o4, hier 26^9« V«*
Darch die starke Bevölkerung der Nordwest- im Gegensatz zu der dünneren
der Südostseite wird eine mittlere Dichtigkeit für das ganze Oebirge erzengt,
welche derjenigen des Königreichs Sachsen sehr nahe kommt, die des Thüringer-
waldes jedoch weit überragt. Bezüglich der Dichtigkeit der Bevölkerung des
Oebirges mufs man einen oberen und unteren Teil, welche durch die 700 m
Isohypse getrennt wird, unterscheiden; beide verhalten sich hinsichtlich der
Dichte ihrer Bevölkerung wie 1 : 9,ii, in Bezug auf Flächenraum wie 1 : 3,s.
Die höchste geschlossene Ortschaft des Erzgebirges liegt zwischen 10 — 1100 m
und ist merkwürdigerweise eine Stadt, nämlich das böhmische Oottesgab mit
1225 Einwohnern. Sachsens höchster bewohnbarer Punkt ist ein „Neues Haus*
genanntes Oebäude in der Höhe von 1080 m am Fichtelberg.
Die Kurische Nehrung und ihre Bewohner, von Dr. Ad albert
Betzenberger, Professor an der Universität zu Königsberg inPr. Mit einer
Karte und acht Textillustrationen. Stuttgart, Verlag von J. Engelhom, 1889.
(Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, im Auftrage der Zentral-
kommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland herausgegeben
von Dr. A. KirchhofT, Professor der Erdkunde an der Universität Halle. Dritter
Band, Heft 4.) Die vorliegende wertvolle Arbeit über jenes merkwürdige,
abgelegene und öde Stück deutscher Küste und ihre Bewohner wäre wohl
schwerlich ohne die dem deutschen Geographentage zu dankende Förderung der
deutschen Landeskunde zu Stande gekommen. Mit grölster Teilnahme haben
wir die Schrift gelesen. Nachdem uns der Verfasser ein geographisches
Gesamtbild der 96,976 km langen Kurischen Nehrung gegeben, geht er näher
auf die geologische Entwickelung, auf die Dünen, deren Entstehung, Wanderungen
und künstliche Befestigung, auf die Bewaldung und die Ursachen der Versandung,
auf die Dörfer und Ortschaften wie deren Geschichte, endlich auf die Bewohner»
deren Abstammung, Sitten, Sprache und Erwerb ein. Die Bevölkerung der
11 Ortschaften der Nehrung beträgt noch nicht 3000 Seelen; die geringen
Steuererträge zeigen, dafs hier das Leben im vollsten Sinne des Worts nur ein
Kampf ums Dasein ist. Die Familiensprache ist teils deutsch, teils lettisch, teils
litauisch. Die Angaben über den Erwerb sind im wesentlichen nur statistisch»
Fischerei ist die Hauptsache, neben ihr treten Landbau, Jagd, Handel zurück.
Die Bemsteingewinnung ist Regal, sie liefert allein von Schwarzort jährlich
JL 200000. Der Verkehr auf der Nehrung scheint gleich Null zu sein, eine
früher kursirende Personenpost ist eingegangen, Boten und die Memel-Kranzer-
Dampfer befördern postalische Sendungen. Das liebevolle, auf sorgfaltigsten
Studien beruhende Eingehen des Verfassers auf alle Seiten des Themas berührt
wohlthuend, nur die Erwerbsverhältnisse hätten eine ausführlichere Darstellung
verdient.
Das Mittelmeer. Von A. Freiherr von Schweiger-Lerchen-
feld. Mit 55 Illustrationen und einer Karte, (ülustrirte Bibliothek der Länder-
und Völkerkunde.) Freiburg i. B. Herdersche Buchhandlung 1888. Der Verfasser
wurde, wie er im Vorwort bemerkt, zu dieser Arbeit durch die groCse
geschichtliche und kulturgeschichtliche Bedeutung des Mittelmeers und seiner
Uferländer angeregt. Er behandelt sein Thema historisch-geographisch. Im
1. Abschnitt werden die physikalischen Verhältnisse, die vorgeschichtliche
— 71 —
Qestaltong des Mittelmeerbeckens, die Umwandlung der Küstenumrisse in
geschichtlicher Zeit, Hydrographie, Klima und Yegetationsverhältnisse dargelegt.
Der 2. Abschnitt ist den Völkerbewegungen gewidmet, er führt uns von der
Eroberung des Mittelmeers durch die Phöniker zu der Hellenen-, Römer-
und Araberherrschaft, zu den Kreuzzügen und bis in die letzten Jahrhunderte.
Der 3. Abschnitt bietet eine Oberschau über die heutigen Völker am Mittelmeer.
Der 4. Abschnitt fahrt uns Charakterlandschaften der europäischen, asiatischen
und afrikanischen Küsten vor. Der 5. Abschnitt endlich entrollt ein Bild des
Handels und Verkehrs, welcher sich am Mittelmeer entwickelte, von den Zeiten
der Phöniker an bis auf den modernen Verkehr, wie er sich infolge der
europäischen Kulturfortschritte mit der DampfschifiEfahrt und der Eröffnung
des Suez-Kanals entwickelt hat. Neben den zahlreichen Holzschnitt-Illustrationen
gewährt das den Verkehr im Mittelmeer darstellende, mit Plänen wichtiger
Verkehrshäfen ausgestattete Kärtchen ein gutes Bild von der heutigen Benutzung
des Mittelmeers für die Handels- und Verkehrsbeziehungen Europas, des Orients,
Nordafrikas und weiter Indiens und Ostasiens.
Afrika.
— Vicomte Ch. de Foucauld, Reconnaissance au Maroc, 1883 bis
1884. Ouvrage illustr6 de 4 Photogravures et de 101 dessins, d'apr^s les croquis de
Tauteur. Atlas. Paris, Challamel etCie., Sditeurs. 1888. Der Verfasser trat seine Reise
am 31. Juni 1883 von Tanger aus an. Über Tetuan kam er nach Fes (Fas) ,
von hier zog er über Meknas in die von wilden Stämmen bewohnte Region
Tadla. Durch den mittleren erreichte er den grofsen Atlas und stieg den süd-
lichen Abhang des letztern hinab in den oberen Teil des Wad Dra. Über den
kleinen Atlas gelangte er in die Sahara, einige Oasen der letztern im Norden
des Wad Dra besuchte er und kam in 20 Tagen nach Mogador, wo er sich
über IVs Monate, nämlich bis zum 14. März 1884 aufhielt. Von da zog er
wieder in die Sahara; nachdem er nochmals den kleinen und grofsen Atlas
durchkreuzt, und weitere Streifzüge gemacht, betrat er in LallaMarnia, einem
Grenzort der Provinz Algerien, französischen Boden. Im Gebiet des Sultans
von Fes reist der Europäer ziemUch sicher, das ist aber nur ein Fünftel dessen,
was auf den Karten als Kaisertum Marokko dargestellt wird. Die vier Fünftel
werden bekanntlich von wilden unabhängigen Stämmen bewohnt, die in mon-
archischer oder republikanischer Verfassung lebend, die gröfsten Verschieden-
heiten in Sprache, Sitten und Gewohnheiten zeigen. In diesen Gebieten kann
der Europäer nur verkleidet und mit gröfster Lebensgefahr reisen. Wird er
erkannt, so droht ihm als einem Spion der Tod. Schon von Tanger an reiste F. in
Verkleidung und zwar als marokkanischer Israelit unter dem Namen Rabbi
Joseph. Er betete und sang in den Synagogen, oft von Eltern angefleht, ihre
Kinder zu segnen. Den Marokkanern gegenüber stellte er sich als ein bettelnder
Rabbi dar, während er den Juden erzählte, dafs er weither, von Jerusalem
komme, um seine Glaubensgenossen aufzusuchen. So mufste er denn barfufs
die Städte durchwandern, oft von Scheltworten, Flüchen und selbst Steinwürfen
verfolgt. Der Verkehr mit den verachteten marokkanischen Juden brachte ihn
in die mifslichsten Lagen; immerhin war es ihm weit leichter als Jude denn
als Muselmann, die Zwecke seiner Reise zu verfolgen. Vor allem koimte er nur
als Jude allein oder in Gesollschaft eines andern Juden reisen. Mit (i^l-^Icct
— 72 —
seines Lebens machte er eine ganze Reihe astronomischer Beobachtungen,
ebenso war die Entwerfung zahlreicher Skizzen, mit denen das Werk geschmückt
ist, mit den gröfstcn Schwierigkeiten verbunden. Der dem Werke beigegebene
Atlas enthält eine Übersichtskarte und in einer Reihe von Blättern das Itinerar
des Verfassers.
— Das Klima des anfsertropischen Südafrika, mit Be-
rücksichtigung der geographischen und wirtschaftlichen Be-
ziehungen nach klimatischen Provinzen dargestellt von Dr.
Karl D V 0. Mit drei Kartenbeilagen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.
18H8. Im Vorwort sagt der Verfasser, ein Enkel des berühmten Meteorologen,
u. a. folgendes: „Zu den aufsereuropäischen Ländern, in welchen im Laufe der
Iftt/AtfU boidon Jahrzehnte ein umfangreiches meteorologisches Beobachtungs-
fnatftfial govammelt wurde, gehört auch das südliche Afrika. Es schien mir
lohnondo Aufgabe, dasselbe in einem klimato-geographischen Bilde gröfseren
K rf^iftou zugänglich zu machen, zumal seit eine erfolgreiche überseeische Politik
df^tii deutHchon Volke einen nicht unbeträchtlichen Anteil an jenen weiten Ge-
h\viiM\ gesichert hat. Auch in den englischen Kolonien und in den Republiken
dor Doorou haben sich zahlreiche Deutsche dem Handel und dem Ackerbau
gewidmet.'' Doves Arbeit verfolgt nächst der wissenschaftlichen Darstellung des
NÜdafrikauischen Klimas den praktischen Zweck, dem Leser vor Augen zu
fiihrnn, wie dasselbe noch eine bedeutende Entwickelung dieser beiden Zweige
mensclilicher Thätigkeit begünstigt. In der ersten, der allgemeinen Abteilung,
worden die allgemeinen meteorologischen Verhältnisse Südafrikas auf Grund
düH vorliegenden Beobachtungsmaterials erörtert und beleuchtet. Dieser Ab-
teilung ist eine Karte der Jahresisothermen beigegeben. Der Verlauf der
lii( Thermen ergicbt, dafs im westlichen Südafrika die Temperatur der Küste
eine relativ kühle ist und dafs die Wärme schnell in der Richtung nach dem
Innern zunimmt. In der Mitte des Gebiets reichen, dem kontinentalen Charakter
des Landes entsprechend, die Linien gleicher jährlicher Wärme am weitesten
nach Süden, besonders in den von Karoolandschaften erfüllten Gegenden. Die
zweite Abteilung ist bezeichnet: die klimatischen Provinzen des subtropischen
Afrika. Die Grandlage für die Einteilung in solche Provinzen giebt die Ver-
teilung des Regens auf die Jahreszeiten ab. So unterscheidet der Verfasser
in diesem Abschnitt, dem ebenfalls eine Karte beigegeben ist, folgende klima-
tische Provinzen des subtropischen Südafrika: A. Gebiet der Winterregen.
I. die Südwestprovinz, II. die westliche Karoo und Klein-Namaqualand. B. Über-
gangsgebiet mit vorwiegenden Frühlings- und Herbstregen. IQ. die Südküste.
IV. die Südkaroo. V. die Nordkaroo. VI. das südöstliche Bergland. C. Gebiet
intensiver Sommerregen: VH. der Osten, VIQ. das Hochland des obem Oranje.
IX. Nordtransvaal. X. Kalahari. XI. Grofs-Namaqua und Damaraland. D. Xü.
die Westküste. In der dritten Abteilung wird die wirtschaftliche Entwickelung
und Kulturfähigkeit Südafrikas auf Grund klimatischer Bedingungen erörtert.
Zu letzteren gehört zunächst die Wärme. Der Verfasser unterscheidet in dieser
Beziehung zwei Regionen, die eine begreift alle Landschaften in sich, welche
mindestens sieben Monate des Jahres eine mittlere Temperatur von weniger
als 20^ besitzen, neben dieser gemäfsigten hat die halbtropische Region
mindestens 6 Monate im Jahr eine Mittelwärme von 20 und mehr Grad. Für
die Kultur der Dattelpalme und ihren mutmafsUchen Erfolg in Südafrika, be-
— 73 —
sonders auch in unsern südwestafrikanischen Schutzgebieten, ist trockene
Hitze und eine möglichst geringe relative Feuchtigkeit der Luft Haupt-
bedingung, der Erfolg ist dann gewährleistet. Eine zweite klimatische Be-
dingung für die wirtschaftliche Entwickelung ist die jährliche Regenmenge.
Hierzu gehört die dritte Karte, welche die Linien gleicher jährlicher Regen-
mengen veranschaulicht. Der Verfasser unterscheidet 1. das Steppengebiet mit
weniger als 300 mm Regenhöhe (für Schafzucht geeignet) ; 2. das Gebiet mit
300 bis 600 mm Regenhöhe (Grasebenen für Rinder-, Pferde- und Schafzucht)
3. Gebiet mit mehr als 600 mm Regenhöhe (Regenwälder, Getreidebau ohne
künstliche Bewässerung). Schlief slich wird die Austrocknungsfrage erörtert.
Eine Verschlechterung des südafrikanischen Klimas ist unleugbar. Zwar ist
es nicht erwiesen, dafs jetzt weniger Regen fällt, als früher, aber die zunehmende
Unregelmäfsigkeit der Niederschläge übt böse Folgen. Die heillose Entwaldung
hat diese Unregelmäfsigkeit bewirkt. Als Gegenmittel bezeichnet der Verfasser
die Wiederbewaldung von Bergen und die Anlage künstlicher Wasserreservoirs.
Afrika.
AuCongo et au Kassa i. Conferences donn^es a la societe beige
des ing^nieurs et des industriels par M. le capitaine Thys, avec trois cartes.
Bruxelles, P. Weifsenbruch, 1888. Der Verfasser wurde von der Compagnie du
Congo pour le commerce et Tindustrie im Januar 1887 nach dem Congo ge-
sandt, um die Eisenbahnfrage, sowie die mit derselben zusammenhängenden
Verhältnisse des Verkehrs und der Produktion zu studieren und darüber einen
Bericht zu geben, welcher nun hier gedruckt vorliegt. Alles in allem ist
Kapitän Thys, der den Congo bis Bangala und den Kassai bis Luebo bereiste,
ein warmer Freund des grossen Unternehmens des Königs der Belgier, er glaubt
an eine zukünftige reiche Entwicklung des Congostaates und sucht im ein-
zelnen die Bedingungen solchen Gedeihens, die Ausführbarkeit der bereits in
Angriff genommenen oder geplanten Mafsregeln zur Hebung des Verkehrs, der
Produktion und der Ausfuhr, besonders auch der Eisenbahn, welche unter Um-
gehung der Kataraktenregion den Wasserverkehr auf dem unteren und oberen
Congo verbinden soll, nachzuweisen. Seit der Veröffentlichung dieses Buchs
erschien im Mouvement geographique der Bericht des Ingenieurs J. Cambier,
welcher über die Recognoscirung behufs Anlage der Eisenbahn am Südufer
des Congo zwischen Vivi und Stanley-Pool detaillirte Nachweise enthält. Neben drei
eingehefteten Karten ist beigegeben : Karte vom Kassai von Kwamouth bis
Luebo nach den Aufnahmen des Kapitän Thys an Bord des Dampfers „Stanley".
Verlag des Institut national de geographie in Brüssel, 1888.
Amerika.
Guatemala. Vor kurzem hat das statistische Bureau von Guatemala
seinen Bericht für das Jahr 1887 veröffentlicht unter dem Titel „Informe de la
Direccion General de Estadistica**.
Den Eingang des 300 Seiten starken Bandes bilden kurze Angaben über
Geschichte, Produkte, Tier- und Pflanzenwelt und die physikalische Beschaffen-
heit der Republik. Es folgen dann Daten über die politischen Einrichtungen,
sowie ein Auszug aus der Konstitution, von welcher der folgende, mit Dekret
vom Oktober 1885 neuerdings sanctionierte Artikel 5 besonderes Interesse für
Ausländer beanspruchen dürfte: Staatsangehörige sind alle P^x^oitvfc^^ ^'^^'^
— 74 —
anf dem Gebiet der Republik geboren sind oder noch geboren werden, welches
immer die Nationalität ihres Vaters sei, mit Ausnahme der Eünder der
diplomatischen Beamten.'' Diesen einleitenden Bemerkungen über das ganze
Land schliessen sich die detaillierten statistischen Angaben über die einzelnen
Departemente des Landes (zur Zeit 22) an, welche aufser der allgemeinen
Schilderung der Beschaffenheit und Produktion der einzelnen Bezirke die ta-
bellarischen Zusammenstellungen über die Schulen, die Bevölkerungsbewegung, die
Staats- und Gemeindesteuern, sowie den Konsum an Fleisch, Mehl und Branntwein
enthalten. Unter dem Titel „Resümenes" sind den Detailangaben 61 (nicht
paginierte) zusammenfassende Übersichtstabellen (Cuadros) beigeheftet und ein
Katalog der Bibliotek des statistischen Bureaus von Guatemala schlief st,nach Ländern
geordnet, die Arbeit ab. Den „Resümenes" entnehmen wir folgende Angaben: Der
Bevölkerungszuwachs geschah im Berichtsjahr in einer Proportion von 1: 38, so dafs
die gegenwärtige Gesamtbevölkerung Guatemalas sich auf 1 394 233 Köpfe be-
ziffert. Ehen wurde blofs 5337 (1 : 255 Einw.) geschlossen, wovon fast *ls auf
die übrigens auch numerisch stärkere indianische Bevölkerung fallen. Die
Mehrzahl der Männer heiratete zwischen 20 — 30 Jahren, die Mehrzahl der Frauen
zwischen 15 und 20 Jahren. — Die Geburten ergaben die Proportion von 1 ; 23.
In der Kriminalstatistik, welche übrigens für einzelne Departements unvoll-
ständig ist, weisen, wie gewöhnlich, die Verbrechen gegen die Person (Ver-
wundungen im "Streit, Todtschlag), gegen die Sittlichkeit, das Eigentum und
die Ehre die grössten Ziffern auf. Charakteristisch für die Leichtigkeit, mit
der auch der arme einheimische Mann bei gutem Willen in Guatemala sein
Auskommen finden und seine Bedürfnisse an Hunger und Liebe befriedigen
kann, ist der Umstand, dafs als einziger Fall von Selbstmord das Conamen
suicidii eines 25 — 30jährigen Indianers verzeichnet ist, der noch dazu im Zustand
der Trunkenheit handelte.
Die Staatseinnahmen betrugen $ 6 398 727
Die Staatsausgaben betrugen $ 6 320 705
Saldo $ 78022
Die innere Schuld beträgt $ 7 659 396
Die äufsere Schuld beträgt $ 4 541 460
Gesamtschuld $ 12 200856
Eine sehr ins einzelne gehende Statistik ist dem wichtigsten Landesprodukt
Guatemala^s, dem Kaffee, gewidmet, aus welcher hervorgeht, dafs im Berichts-
jahr 665.075 quintales Kaffee produziert wurden. Unter den Ausfuhrprodukten
stehen die folgenden obenan:
Rehhäute mit $ 12 782
Wollstoffe . „ „ 12031
ZarzapaiTilla , 10536
Cochenille ... 10 376
Kaffee .. mit $ 8 137 479
Zucker . . „ „ 303 387
Rindshäute „ „ 240813
Kautschuk „ „ 129 366 ^^ ^. . „
Bananen . . „ „ 65 213
Die übrigen Produkte, wie Kakao, Pferdehaar, Zigarren, Kokusnüsse,
Schildpatt, Homer, Mahagoni (Caoba), Bohnen (Frijoles), Wolle, Schnitzereien,
Tabak bewegen sich blofs in Wertziffem von $ 100—2500. Der Export hat
gegen das Vorjahr erheblich zugenommen. Die Werte betrugen
im Jahre 1886 $ 6 719 503
im Jahre 1887 $ 9 039 391
— 75 —
In bescheidenerem Mafse hat sich auch der Import gehoben. Er betrug
im Jahre 1886 $ 3537 399
im Jahre 1887 $ 4 241 407
Die gröfste Schiffs- und Güterbewegung hat, wie immer, San Jos6, der
Hafenplatz für die Landeshauptstadt, aufzuweisen. Dann folgt Champerico, der
Hafenplatz für die zweite Hauptstadt des Landes, Quezaltenango und die
Kaffeeländereien des nordwestlichen Gebirgsabhanges, femer Livingston, der
einzige Hafen für die atlantische Seite des Landes, und endlich Ocos, der neu-
gegründete Hafen für die pacifischen Grenzgebiete im Norden. Es ist klar, dafs die
Statistik eines Landes wie Guatemala, dessen innere Verhältnisse sich so vielfach von
denjenigen europäischer Länder unterscheiden, zur Zeit noch nicht von ganz erheb-
lichenFehlerquellen frei sein kann. Angesichts der grofsen Schwierigkeiten, zuver-
lässiges statistisches Material in einem Lande zu gewinnen, dessen Bewohner
zu mehr als der Hälfte Indianer sind, müssen daher die Bemühungen der
mit der Ausarbeitung des „Informe'' betrauten Beamten um so rückhaltloser
anerkannt werden. 0. St.
E. W. Nelson: Report upon Natural History collections
made in Alaska 187 7 — 1881, zugleich No. IH. der „Arctic Series of
Publications", die von dem U. S. Signal Service ausgegeben werden. —
Die Hauptaufgabe des Vei*f assers während seines vierjährigen Aufenthalts in
Saint Michaels (Noi-ton Sund, Alaska) bestand darin, als Beamter des U. S.
Signal Service eine ununterbrochene Reihe von meteorologischen Beobachtungen
zu Stande zu bringen und erst in zweiter Linie Sammlungen und Beobachtungen
betreffend die Geographie, Ethnologie und Zoologie des Landes zu machen.
Dafs dies letztere dem Verfasser in dem reichen Mafse, von welchem der stattliche
vorliegende Band Zeugnis ablegt, gelungen ist, verdankt er besonders dem
bereitwilligen Entgegenkommen von Seiten der Händler und Beamten der in
Saint Michaels etablierten Handelsgesellschaften, die ihn für kürzere oder
längere Zeit bei der Austeilung der täglichen Beobachtungen vertraten. —
Während auf drei grösseren, oft äusserst beschwerlichen Schlittenexpeditionen
nach dem Kuskoquim, nach dem mittleren Jukon und nach der Nordwestküste
des Norton-Sundes hauptsächlich geographische und ethnographische Zwecke
verfolgt wurden, galt ein vierter Ausflug nach dem Delta des Jukon namentlich
dem Studium der Vogelwelt. Die bekannte Kreuze des „Corvin" unter Kapt.
Hooper, die der Verfasser nach Beendigung seiner Aufgabe in Saint Michaels
als Naturforscher mitmachte, verschaffte ihm erwünschte Gelegenheit, den Kreis
seiner Beobachtungen und Sammlungen zu erweitern ; ebenso hatte er während
eines kürzeren Aufenthalts auf den Aleuten jede sich darbietende Gelegenheit
in demselben Sinne ausgenutzt.
Der erste von Nelson selbst (teilweise mit Unterstützung von H. W.
Henshaw) bearbeitete Teil des vorliegenden Berichtes enthält auf S. 21 — 226
nicht blos eine Beschreibung der vom Verfasser mit besonderer Vorliebe
gemachten ornithologischen Sammlungen, sondern ist in der That eine möglichst
vollständige Omis von Alaska, in der die Arbeiten seiner Vorgänger volle
Berücksichtigung finden. Saint Michaels ist eine interessante Lokalität für den
Omithologen und der Verfasser hat die Vorteile eines mehrjährigen Aufenthaltes
daselbst aufs beste auszunutzen verstanden. — Bedeutend weniger umfangreich,
aber durch die Masse der von Nelson gelieferten zuverlässigen Beobachtungen
über Lebensweise und Vorkommen ebenfalls sehr viwVnq^ *\^V ^^"c tw^^^«^
— 76 —
Über die Säugetiere des nördlichen Alaska von F. W. True (S. 229 — 293).
Der dritte Teil über die von Nelson gesammelten Fische von T. H. Bean
(S. 299—322) und der vierte über die Lepidopteren von W. H. Edwards
(S. 327 — 330) bringen ebenfalls manchen schätzenswerten Beitrag zur Kenntnis
der arktischen Fauna. Eine Reihe von 21 vorzüglich ausgeführten zum Teil
kolorierten Tafeln veranschaulichen bemerkenswerte oder neue Formen der
Vögel und Fische. A. K.
— Turner, L. M. Contributions to the Natural History
o f Alaska. Results of investigations made chiefly in the Yukon District and
the Aleutian Islands. Nr. II, Arctic Series of publications issued in connection
with the Signal Service, ü. S. Army. With 26 Plates. Washington Gov. Print.
Off. 1886, 4**, 226 p. Diese Mitteilungen sind Ergebnisse der Beobachtungs-
thätigkeit des Verfassers aus den Jahren 1874 — 1881. In der Stellung eines
Signal-Officers hielt er sich von 1874 — 1877 im Yukon Distrikt, vorzugsweise
in St. Michaels auf, in gleicher Stellung von 1878 — 1881 an verschiedenen
Punkten der aleutischen Inseln. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über
die Natur des Landes giebt der Verfasser zunächst einen Auszug aus den
meteorologischen Beobachtungen ; dann folgt eine Aufzählung der Pflanzen nach
Rothrocks Sketch of the Flora of Alaska mit Einfügung der von Turner neu
beobachteten, gröfstenteils von Asa Gray bestimmten Formen. Von der Tier-
welt werden zunächst die Fische aufgeführt. Einige neue Arten werden be-
schrieben und durch Abbildungen erläutert, aufserdem über Vorkommnisse,
Lebensweise, Fang verschiedene Mitteilungen gemacht. Den gröfsten Teil des
Werkes nimmt die Aufzählung der Vögel ein; eine Anzahl hübsch kolorierter
Tafeln veranschaulichen einige der bemerkenswerten Formen. Den Schlufs
bildet eine kurze Obersicht über die Säugetierfauna. A. K.
— Geological and Natural History Survey of Canada. Aiinual Report.
New Series Vol. II 1886. Montreal, 1887. Auch dieser starke Band legt wie
seine Vorgänger von dem rüstigen Fortschritt in der Erkemitnis der Boden-
beschaffenheit Kanadas ein rühmliches Zeugnis ab. Er enthält 13 besonders
paginierte Abhandlungen, welche als Broschüren mit den begleitenden Karten
und Illustrationen auch einzeln erschienen sind. Im ersten Bericht giebt
Selwyn eine Obersicht über die während des Jahres 1886 ausgeführten
Arbeiten, wobei er auch der Ergebnisse der Londoner Kolonialausstellung ge-
denkt, welche zu mehrfachen Anknüpfungen in gewerblicher Beziehung geführt
hat. Es folgt dann eine Arbeit von Dawson über eine geologische Unter-
suchung des nördlichen Teiles der Vancouver-Insel und des anliegenden Fest-
landes, in der namentlich die der Kreidoperiode angehörigen Kohlenlager eine
eingehende Besprechung finden. McConnell beschreibt einen geologischen
Durchschnitt durch die Rocky Mountains in der Nachbarschaft der kanadischen
Pacificbahn; Tyrrell giebt einen 172 Seiten langen Bericht über einen Teil
des Nordwestterritoriums (zwischen 51 und 54 Grad nördl. Breite und von
110** bis 115° 15' westlicher Länge), welcher die hohe Kulturfähigkeit dieses
Gebiets hervorhebt. Low berichtet über eine Erforschung des Landes zwischen
Winnipegsee und der Hudson-Bai, Bell über eine Untersuchung der Flufs-
läufe des At-Ta-Wa-Pish-Ka und Albany, Ells über die Geologie einiger öst-
licher Grafschaften. In einer Arbeit über die Oberflächengeologie des nörd-
7yt7Äßo JVfJizbraunschweig und südöstlichen Quebeck beschreibt Ch almers die in
— 77 —
diesem Gebiete auftretenden Glacialcrscheinungen. Über geologische ünter-
sucfiungen in Noubraiinschweig berichten ferner Bailey und Mein n es, über
Forschungen in Neuschottland Fletcher und Faribault. — Dawson ver-
öffentlicht eine geologische Obersichtskarte von dem nördlichen Teil von
Kanada östlich vom Felsengebirge mit ausführlicher Darlegung der für die
Konstruktion derselben vorhandenen Materialien. Coste giebt eine lehrreiche
Zusammenstellung der nutzbaren Mineralien Kanadas, der wir entnehmen, dafs
die Gesamtproduktion im Jahre 1886 einen Wert von 10 V« Millionen Dollars
hatte, darunter Kohle mit 5 Millionen, Gold mit Via Millionen. — Den Schlufs
bildet ein von G. C. Hoff manu abgefafster Bericht über die chemische Unter-
suchung verschiedener Mineralproben. A. K.
Brasilianische Reiseskizzen aus dem Jahre 1887 von Moritz
Schanz. Leipzig, Rofsberg, 1889. Der Verfasser lebt als Kaufmann in Rio
and bereiste das Innere des grofsen Reichs, in dem Wunsche es näher kennen
zu lernen, als es durch den Aufenthalt in Rio und Umgebung möglich, und
zwar besuchte er die Provinz Rio und sodann die Südprovinzen Paranä, Santa
Catarina und Rio grande do Sul, besonders die von Deutschen bewohnten
Gegenden. Er veröffentlichte darüber Berichte in der Deutschen „Rio-Post",
welche in der brasilianischen Hauptstadt erscheint, und diese sind es, welche
hier in Buchform vorliegen. Das mufs man dem Verfasser Dank wissen, denn
überall tritt uns ein kundiger, gut beobachtender, unbefangen urteilender Mann
entgegen, dem es darum zu thun ist, Menschen und Verhältnisse so darzustellen
wie sie sind, ohne Schönfärberei oder Schwarzmalerei und frei von Interesse
für irgend welche Kolonialbestrebungen.
Australien und Polynesia.
gSamoafahrten. Reisen in Kaiser Wilhelms-Land und Englisch-Neu-
Goinea in den Jahren 1884 und 1885 an Bord des deutschen Dampfers „Samoa*'
von Dr. Otto Finsch. Mit 85 Abiidungen nach Originalskizzen von Dr. Finsch, ge-
zeichnet von W. Hoffmann und A. von Roessler und 6 Kartenskizzen. Leipzig,
Ferdinand Hirt & Sohn 1888. Der Verfasser war schon lange durch tüchtige geo-
graphische und naturwissenschaftliche Arbeiten, besonders auf dem Gebiete der Or-
nithologie, Anthropologie, Ergebnisse des Selbststudiums und ausgedehnter Reisen
nach Nordamerika, Sibirien und der Südsee bekannt, als er von einem BerUner
Finanzmann dem Geheimen Kommerzienrat Adolph von Hansemann und einigen
gleichgesinnten Männern in Berlin den Auftrag erhielt, eine Untersuchungsfahrt nach
dem östlichen Teil von Neu-Guinea zu unternehmen und dort womöglich
Land als deutsche Kolonie oder wie es später genannt wurde, deutsches Schutz-
gebiet zu erwerben. Bekanntlich gelang dem Dr. Finsch die Lösung der inmier-
hin schwierigen Aufgabe in vollem Mafse und wir haben bereits in Band VIII,
188Öy nach den vorläufigen Berichten eine jener von Dr. Finsch ausgeführten
ergebnisreichen Entdeckungsfahrten, welche er damals längs der Nord- und
Nordostküste Neu-Guineas unternahm, unter Beigabe einer Karte schildern
können. Der in Sydney gekaufte, unter Führung des Kapitäns Dallmann aus
Bltimenthal bei Bremen gestellte und überhaupt mit einer Ausnahme, mit
deutschen Seeleuten besetzte Dampfer „Samoa'' ging im September 1884 von Sydney
nach Mioko, um sich von dort aus der Lösung seiner Aufgabe zu widmen, welche
Dr. Finsch in folgenden Worten zusammenfafst : „Untersuchung d«t x5cc&is?BÄSss!i«s«^
— 78 —
oder weniger bekannten Küsten Neu-Britanniens, sowie der Nordküste Neu-»
Guineas bis zum 141. Meridian, um Häfen ausfindig zu machen, mit den Ein-
geborenen freundlichsten Verkehr anzuknüpfen und Land im weitesten Umfang
zu erwerben.*' In Zeit von neun Monaten wurden sechs Reisen nach Neu-Guinea
unternommen, die Nord- und Südküste Neu-Britanniens, sowie Neu-Irland wieder-
holt besucht. Von den nahezu 1000 Meilen Küste, welche die „Samoa'' in Neu-Guinea
besuchte, gehörten nur 260 Meilen zu den besser bekannten. Eine fast ebenso
lange Strecke konnte als zugänglich für die Schiffahrt nachgewiesen werden.
Sieben Häfen und ein schiffbarer Strom wurden entdeckt, ferner ausgedehnte
Striche fruchtbaren Landes für Kulturen, Viehzucht, wie für Ansiedlung
überhaupt geeignet befunden, zum Teil gleichzeitig erworben und überall mit
den Eingeborenen friedlicher und freundlicher Verkehr eröffnet. Als das deutsche
Kriegsschiff anfangs NoTember 1884 im Archipel von Neu-Britannien im Namen
Seiner Majestät des deutschen Kaisers die Reichsflagge hifste, konnte es diesen
Akt auch gleich in Neu-Guinea vollziehen. Die nach Verständigung zwischen Grofis-
britannien und dem deutschen Reich über die beiderseitigen Grenzen dem
letzteren zugewiesenen, in Verwaltung und Besitz der Neu-Guinena-Kompagnie
in Berlin übergegangenen Schutzgebiete umfafsen als „Kaiser Wilhelms-Land'' und
als „Bismarck-Archipel" 231,427 Dkm (= 4203,i3 d. g. DMeilen). Als Zweck
seines Buchs bezeichnet Dr. Finsch : die Erlebnisse, Ergebnisse und Entdeckungen,
welche er auf seinen Reisen mit dem D. „Samoa" bestanden und erzielt, in
zusammenhängender Form durch Wort und Bild zu schildern. „Es wird", so
äufsert sich Dr. Finsch in der Einleitung, „nach den unmittelbaren Eindrücken
und Beobachtungen, wie ich sie an Ort und Stelle niederschrieb, ausgearbeitet,
zum ersten Male über Land und Leute längs wenig bekannter, zum Teil neu
erschlossener Küsten eingehendere Kunde bringen, und so manches Stück ernsten
und heitern Südseelebens kennen lehren.'* „Wenn," sagt Dr. Finsch weiter, „die
Rekognoszierungsfahrten der „Samoa" somit wesentliche Lücken der Kenntnis
Neu-Guineas ausfüllen helfen und schon dadurch allgemeines Interesse bieten,
so im besonderen für Deutschland, das bisher über die drittgröfste Insel der
Welt und ihr dortiges Besitztum kein Originalwerk besafs." Dem ist voll-
ständig beizupflichten. Die Schilderungen der Natur, besonders der Küsten-
szenerien, des Lebens und Treibens der Eingeborenen, der Beschäftigungen,
Sitten und Gebräuche der verschiedenen Stämme, an sich lebhaft und an-
sprechend, werden durch die beigegebenen trefflichen Illustrationen noch gehoben ;
besonders wohlthuend berührt es, wie schnell sich Dr. Finsch mit den Ein-
geborenen auf freundschaftlichen FuTs zu stellen wufste. Trotz der Kleinheit
des Dampfers und der geringen Zahl der Bemannung hat keine feindliche Be-
gegnung stattgefunden, selbst nicht in der Humboldt-Bai, deren Anwohner von
früheren Besuchern als hinterlistig und verräterisch geschildert werden. Finschs
Reisewerk wird gewissermafsen das Stammwerk für das deutsch gewordene Neu-
Guinea bilden; die Erforschung desselben im Dienste der Neu-Guinea-Kompagnie
hat inzwischen immer weitere Fortschritte gemacht, und es wäre daher für eine
neue Auflage des Werks die Beigabe eines reicheren Kartenmaterials erwünscht.
Die Entdeckungsgeschichte von ganz Neu-Guinea und die Kunde seiner Bewohner
ist bekanntlich von Dr. Finsch schon vor 20 Jahren bearbeitet worden. Bei den
grofsen Fortschritten, welche seitdem durch zahlreiche Reisen und Forschungen an
fast allen Punkten der grofsen Insel gemacht, wäre eine Neubearbeitung dieses
Stoffs, sowie eine neue Karte der ganzen Insel recht erwünscht.
^ 79 —
Ethnologrie«
Ferdinand Hirt's geographische Bildertafeln, herausgegeben
unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten von Dr. Alwin Oppel (Bremen)
und Arnold Ludwig (Leipzig). Dritter Teil: Völkerkunde. Dritte Abteilung:
Völkerkunde von Afrika und Amerika mit 311 Holzschnitten und einem General-
register. Breslau, F. Hirt.
Mit dieser dritten Abteilung gelangt das bereits früher (Band X dieser
Zeitschrift S. 360 u. 361) von uns besprochene Werk zum Abschlufs. Die dort
ausgesprochene Anerkennung können wir mit bezug anf den vorliegenden Band
nur wiederholen. Im wesentlichen ist der früher beobachtete Plan auch bei
diesem Bande festgehalten worden. Einige Abweichungen in Einzeltieiten waren
durch die besonderen Verhältnisse begründet, welche jeder Erdteil aufweist;
der Grundgedanke des Werkes, von den so zahlreichen und verschiedenartigen
Erscheinungsformen der Erde und ihrer Bewohner nur das Wesentliche,
Charakteristische und Typische auf einem bestimmten Raum durch Bild und
Wort zur Darstellung zu bringen, ist auch in diesem Bande vollständig zur
Geltung gekommen. Der erläuternde Text des vorliegenden Bandes ist aus-
schlielslich von Herrn Dr. Oppel verfafst, der es sich hat angelegen sein lassen,
Knappheit des Textes mit sorgfältiger Benutzung der besten Quellen zu verbinden.
Von den Illustrationen, die bewährten Kräften anvertraut waren, ist nur rühm-
liches zu sagen. Das beigegebene Generalregister erleichtert die Benutzung des
lehrreichen Werkes sehr.
Inf ernationales Archiv für Ethnographie, herausgegeben
von Bahnsen in Kopenhagen, Cora in Turin, Dozy in Noordwijk, Petri in St
Petersburg, Schmeltz und Serrurier in Leiden. Redaktion von Schmeltz
Konservator am ethnographischen Reichsmuseum in Leiden. Verlag von F.
M. Trap in Leiden. Band I Heft H — VI. Diese im Text reichhaltigen, durch
die trefflichsten meist in Farbendruck ausgeführten Illustrationen ausgestatteten
5 Hefte treten dem seiner Zeit von uns eingehend (Band XI, Heft I, Seite 101)
besprochenen Heft I würdig an die Seite. Von den vielen bedeutenderen
Arbeiten, welche uns liier geboten werden, heben wir die folgenden hervor : Die
Eingebornen von Liberia, von Büttikofer; Opfergebräuche in Borneo, von
Grabowsky; das Betelkaucn bei den malayischen Völkern, von demselben;
über Pfeile aus der Torresstrasse, von ühle ; Waffe, Signalrohr oder Tabakspfeife,
von Joest; Beiträge zur Ethnographie Mexiko^s, von von Breker; Einiges
über die Bewohner der Mentawei-Inseln, von von Rosenberg ; Ethnographie der
Bewohner der Umgegend am Finschhafen von Schellong; Ethnographie von
Surinam, von ten Kate; das geistige Leben der Pfahlbautenbewohner, von
Messikomer u. a. Nächstens erscheint als Supplement zu Bandl: Dr. 0. Stoll,
Ethnographie der Indianer von Guatemala. Wiederholt sei diese wertvolle
Zeitschrift der allgemeinen Beachtung empfohlen.
Verschiedenes.
§ Die Verkehrswege im Dienste des Welthandels. Eine hi-
storisch-geographische Untersuchung samt einer Einleitung für eine Wissenschaft
von den geographischen Entfernungen. Von Dr. Wilh. Götz, Dozent an der
technischen Hochschule München, mit fünf Karten in Farbendruck. Stuttgart,
F. Enke. 1888. In gründlichster Weise behandelt der Verfasser in diesem, 800
Seiten umfassenden und mit 5 Karten in Farbendruck a\iÄ%<fc^l%.V\.^\«ö. ^«^^
- 80 —
die Geschichte der Eutwickelaug des internationalen Verkehrs. Wie nmfassend
es angelegt ist, auf welche Fülle von Thatsachon es sich stützt, wird am besten
aus einer Obersicht des Inhalts klar: Nach einer theoretischen EUnleitnng, in
welcher der Verfasser die Forderung einer „ geographischen Entfemungs-
wissenschaft' begründet, behandelt er seinen Stoff, die Verkehrswege im Welt-
handel, nach sechs Entwickelungsphasen, die jede für sich beleuchtet und in
ihren Ergebnissen dargelegt werden, nämlich: 1. Periode, 3000 — 3Ö0 v. Chr.,
die Lander mit der frühesten Förderung des Verkehrslebens und: östliche
KoHurheimstätten. Die 2. Periode, 850 — 264 v. Chr. umfafst die assyrischen
und babylonischen Gebiete, die Länder des Perserreichs und Alexanders d. Gr.,
den arabischen Küsten- und Binnenverkehr, Phönike, die Länder des Nilgebiets,
die Gebiete am Ägäischen Meer, das punische Afrika, Italien und seine Nachbar-
gebiete in NW. und N., den Verkehr nach Mitteleuropa, China und Indien.
Die 3. Periode, 264 v. Chr. bis 400 n. Chr. betrifft die Handelsgebiete des
römischen Reichs und zwar sowohl den Festlands- wie den Seeverkehr, Indien,
China und Innerasien. Die 4. Periode, 400 — 1493 n. Chr. zerfallt in folgende
Abschnitte: L Europa (Mittel-, Nord- und Osteuropa), 11. die Länder des Mittel-
meers (Binnen- und Seeverkehr), in. den Verkehr vom Rothen Meere und
Euphrat zum Grofsen Ozean (Vorderasien, Seeverkehr im Indischen Ozean und
mit China, China und Innerasien). Die 5. Periode. 1493 — 1819 behandelt: L
Amerika, IL Ozeanschiffahrt, IIL Asien, IV. Afrika, V. Europa. Endlich 6. die
Periode 1819 — 1887 giebt eine Darstellung der Entwickelung des modernen Welt-
verkehrs in folgenden Abschnitten : Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien.
Während die früheren Perioden eine staunenswerte Fülle an Stoff wohlgeordnet
und kritisch beleuchtet darbieten, scheint uns die Entwickelung des modernen
Seeverkehrs (6. Periode) nicht ausführlich genug behandelt, freilich ist
das Material teilweise schwierig zu erlangen und an sich lückenhaft. Alles in
allem ist das Werk von Götz eine auTserordentlich fleifsige und tüchtige Arbeit.
Die jeder einzelnen Periode beigegebenen Verkehrskarten (Isohemerenskizzen)
sind originell erdacht und instruktiv. Die Ausstattung des Buchs ist tadellos.
Zur Besprechung liegen femer vor:
Boguslawski, Handbuch der Ozeanographie, Band U. Stuttgart, Engelhom.
W. Marschall, die Tiefsee und ihr Leben. Leipzig, F. Hirt & Sohn.
F. Borsari, Geografia «tnologica e storica della Tripolitania Cirenaica e Fezzan.
Turin, Neapel und Palermo, bei E. Loescher, L. Pierro und L. Pedone-LaurieL
A. Burdo, am Niger und Benue. Deutsche Ausgabe von P. Haichen. Leipzig,
B. Bauer.
V. Wislocki, Sitte und Brauch der Siebenbürger Sachsen,
£. Paul, das russische Asien und seine wirtschaftliche Bedeutung.
£. Hammer, Nullmeridian und Weltzeit, drei Broschüren, erschienen in der
Verlagsanstalt und Druckerei A. G. (vormals J. F. Richter). Hamburg, 1888.
Reise S. M. Schiffes .Albatros^ nach Süd-Amerika, dem Kaplande und West-
Afrika 1885 — 86, verfafst von Freiherm J. von Benko, k. k. Korvetten-
Kapitän. Pola, C. Gerolds Sohn 1889.
P. Schwatka, the Chfldren of the Cold. Newvork. Cassel & Co.
-j
Dmck Ton Carl Schünemann. Bremen.
Heft 2. Ti ± V. Band Xn.
Deutsche
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr. M« Lindeman, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Die von der Bremer geographischen Gesellschaft
veranstaltete zoologische Forschungsreise in das
nördliche Eismeer.
(Dr. Kükenthal und Dr. Walter.)
I. Torbereitangen und Abreise. Aufenthalt in Norwegen und
an der Murmanküste. Abfahrt von Tromsö ins Eismeer.
Bereits im 1. diesjährigen Heft dieser Zeitschrift konnten wir
mitteilen, dafs unsre Gesellschaft durch die Opferwilligkeit einer
Anzahl ihrer Mitglieder in den Stand gesetzt worden ist, in diesem
Jahre die von ihr stets verfolgte und gepflegte Polarforschung
wiederum dadurch zu fördern, dafs auf Kosten der Gesellschaft in
diesem Sommer eine zoologische Forschungsreise in das nördliche
Eismeer unternommen wird.
Die Ausführung der jetzigen Expedition wurde unserm Mit-
gliede Herrn Privatdozenten Dr. W. Kükenthal in Jena übertragen
und nimmt an derselben ferner Herr Dr. Alfred Walter aus Jena Teil.
Am 27. Februar abends waren die Freunde und Förderer des
Unternehmens im gastlichen Kreise eines unsrer verehrten Vorstands-
mitglieder mit den beiden Herren zusammen und sprachen den
Scheidenden die besten Wünsche des Erfolgs der Forschungsreise
für die Wissenschaft, wie insbesondere für unsre Gesellschaft aus.
Welche Aufgaben die Expedition sich stellt, darüber hat sich Herr
Dr. Kükenthal in seinem in Heft 1 veröffentlichten Aufsatze: über
die Aufgaben zoologischer Forschung im nördlichen Eismeere, und
femer in einem am 27. Februar gehaltenem Vortrage eingehend
ausgesprochen und sei hierauf verwiesen.
Hier sollen nun die von Herrn Dr. Kükenthal bis zur Abreise
der Herren ins Eismeer, welche von Tromsö am 2, Mai ^-Ä^^^^
eingegangenen Nachrichten ihrem Hauptml[ia\txiac\iTDÖL\.%^^<s^ ^r««.^««^^
Qeoßraphiache Biätter. Bremen 1889.
— 82 —
Vorab mag daran erinnert werden, dafs unsre Gesellschaft,
damals unter dem Namen Komitee, beziehungsweise Verein für
die deutsche Nordpolarfahrt, einen hervorragenden Anteil an der
Ausführung der deutschen Ostgrönlandexpedition, 1869/70, besonders
auch an der Bearbeitung und wissenschaftlichen Verwertung der Er-
gebnisse derselben gehabt hat, und dafs sie seitdem zwei weitere
wissenschaftliche Eeisen veranstaltete, nämlich 1876 nach West-
sibirien (die Herren Dr. Finsch, Dr. Brehm und Graf Waldburg-Zeil)
und 1881/82 nach der Tschuktschen-Halbinsel und dem südlichen
Teil von Alaska (die Herren Gebrüder Dr. Arthur und Aurel Krause).
Die Herren Dr. Kükenthal und Dr. Walter verliefsen Hamburg
am 1. März.
Herr Dr. Kükenthal schreibt:
An Bord des „Olaf Kyrre".
Bergen, den 6. März 1889.
Anbei folgt die versprochene Liste der Ausrüstungsgegenstände,
die indes noch durchaus nicht vollständig ist.
Unsre Reise ging bis jetzt glatt von statten. An der Eib-
mündung lag noch ziemlich viel Treibeis und die Nordsee zeigte sich
von einer sehr unliebenswürdigen Seite. Jede Sturzsee, die über
Deck kam, überzog dasselbe mit einer neuen Eiskruste, und machte
im Verein mit ziemlicher Kälte den Aufenthalt auf Deck ungemütlich.
Desto schöner verlief bis jetzt die Küstenfahrt. Das Land ist fast
schneefrei, die vereinzelten Massen, welche sich noch vorfanden, sind
durch den Einfiufs der feuchten Seewinde in klares Eis verwandelt
worden, welches in dem hellen Sonnenscheine, den wir ununter-
brochen gehabt haben, prächtig glitzert.
Seit gestern liegen wir im Hafen von Bergen vor Anker um
zu löschen und neue Ladung einzunehmen. Diese Zeit habe ich
benutzt, um das reichhaltige Material des hiesigen Museums, besonders
an Walfischpräparaten, kennen zu lernen und bin von diesen Studien
sehr befriedigt.
A. Wissenschaftliche Ausrüstung.
I. Physikalisch -meteorologische
Untersuchunoen.
1 Aräometer
1 Maximamthermometer
1 Minimumthermometer
1 Lufttbermometer
1 Wasserthermometer
1 Aneroidbarometer
Diverse Lote mit 1000 m Lotleinen
(Sextant, Chronometer u. a. werden vom
Schiffe ans gestellt.)
2. Zoologische Untersuchungen.
a. Fangapparate.
\ 5 Schiepißii^ti^ "q^t^Ooi^^^ivQt ^x^^
83
8 Schwebenetze von 40—80 cm Durch-
messer, mit Reservenetzen
1 Schliefsnetz neuester Konstruktion
(nach Professor Thuns Angaben.)
600 m starkes Tau
Reservenetze für Schleppnetze
Beutel für das Schliefsnetz nebst um-
gebendem Fischemetz
Fischemetze für Dredgen
Drahtsiebe
Glasröhren.
b. Konserviergefäfse.
30 Blechkisten bis etwa 60 1 Inhalt,
mit Deckeln
3 Zinkkästen
2 Lötkolben
3 Lote
Salmiak, Salzsäure, Zink
1 kleine Schmiede
1 Sack Holzkohlen
Für grössere Präparate dienen Tonnen
und Holzkisten
2 Porzellanschalen
3 Spirituslampen
700 Glastuben
150 Gläser mit Körken und Gummikitt
2 Standgläser
2 Einmachegläser mit Patentverschlufs
Meiszylinder, Glasnäpfe, Uhr-
schälchen u. a.
Pergamentpapier, Gummischläuche
1'/« Ries Pfianzenpapier u. a.
c. Instrumente.
1 grofses Präparierbesteck für anatomi-
sche Untersuchungen an Walen, Wal-
rossen u. a. mit Sägen, Knochen-
zangen u. a., nach eigenen Angaben
angefertigt
1 kleineres Präparierbesteck für ge-
wöhnliche zoologische Untersuchungen
1 kleines Besteck für anatomische
Untersuchungen
Diverse grobe Instrumente
Mikroskop von Zeifs mit sämtlichem
Zubehör
2 Präparierlupen.
d. Chemikalien.
1 kg Chromsäure
1 kg Sublimat
100 gr Sublimat
3 kg Alaun
Aethyläther
Essigsäure
Osmiumsäure
Chloroform
Chloralhydrat
Jod in Jodkali
Carbolsäure
Benzin
Vt kg Kali bichromicum
15 kg Kali bichromicum
1 S Naphtalin
Va S Tannin
Picrinsäure
Schwefelsäure
2 kg Glycerin
Knochenöl
Vaselinöl
8 U Arsenikseife
96 1 Alkohol in Blechkanistern
136 1 Alkohol im Fafs
e. Karten.
1 grofse englische Admiralitätskarte
1 Karte von Spitzbergen
Geologische Karte von Spitzbergen,
mit Instruktionen von Professor Kal-
kowsky, Jena.
B. Jagdaasrüstung.
2 Lancasterbüchsfiinten von J. MefTert
in Suhl nach eigenen Angaben gebaut
1 Lancasterjagdgewehr
Doppelte Reservetheile
Munition nebst sämmtlichem Zubehör
mir Anfertigung von P&tronen
20 8* neues MiUtärschiefspulver
Patronengürtel
Tyroler Rucksäcke
Blei, Schrot u. a.
^«^
84
C. Persönl
I. Reiseapotheke.
Sublimatpastillen
Morphiamsolution
Opiumtinktar
Sassaparillepillen
Jodoform
Verbandwatte
Zinksalbe
Heftpflaster
Vaseline
1 8* Zitronensäure
2. Proviant.
25 Büchsen Erbsen
30 Büchsen Schnittbohnen
20 8* Kakao
Snppentafeln
25 U Pflaumen
25 8* getrocknete Äpfel
1 Fafs Multebeeren
Der übrige Proviant wird vom
SchifT aus gestellt.
iche Ausrüstung.
3. Kleidung.
2 Paar Oelkleider mit Südwester
2 Paar Seestiefeln
2 Paar Komager (Lappenschuhe)
Jagdschuhe,gewöhnlichesSchuhwerka.a.
2 Paar dicke Leder- Wollenschuhe
2 Paar dickste Jagdwollstrümpfe
26 Paar Wollstrümpfe
7 Paar gestrickte Wollkappen
Wollenes Unterzeug (Jäger-Normalkleid)
Wollene Kleidung
6 Paar dicke Handschuhe
1 Strohsack
3 dicke Wolldecken
4. Zeichenutensiiien.
2 grofse Skizzenbücher für Aquarelle
1 kleineres für zoologische Zwecke
1 Kasten mit feuchten Aquarellfarben
Buntstifte, Bleistifte
4 Tagebücher in Segeltuch
Federhalter, Federn, Tintenfösser n. a.
Tromsö, den 25. März 1889.
Obwohl wir schon vor einigen Tagen hier angelangt sind, habe
ich doch noch etwas gezögert Ihnen zu schreiben, da ich erst meine
Dispositionen den Verhältnissen gemäfs treffen mufste.
Der Beiseplan ist folgender: Heute Abend begeben wir uns
mit einem Teil unsrer Ausrüstung an Bord des Dampfers „Lofoten**,
mit welchem wir nach Vardö reisen. In Vardö bleiben wir einige
Tage, teils um Studien an Walen zu treiben, teils um den Dorsch-
fang genauer kennen zu lernen, und womöglich selbst mit dabei zu
sein, da beim Heraufholen der Angelschnüre oft die seltensten Sachen
an das Tageslicht gebracht werden. Dann begeben wir uns weiter
ostwärts an die Murmanküste. Der Direktor eines russischen Wal-
etablissements hat uns nämlich dringend eingeladen, ihn zu besuchen
imd wir haben auf diese Weise die beste Gelegenheit, die äufserst
interessante, bis jetzt noch wenig bekannte Fauna dieses Küsten-
streifes kennen zu lernen. Die einzige Schwierigkeit ist nur dorthin
zu gelangen, da keinerlei Schiffsverbindung besteht. Entweder werden
wir auf einem Walfänger dorthin fahren oder Rentierschlitten be-
nützen. Ende April kehren wir nach Tromsö zurück, um sofort die
Spitzbergenfahrt anzutreten. Der Vertrag mit Schiffer Nils Johnson
ist abgeschlossen. Auf seiner Jacht „Bemtine^ begeben wir una
entweder zunächst an die Ostküste , oder g\^\e\i ä^^lsi 6i<^ Westküste
— 85 —
Spitzbergens entlang nach Norden. Bis Juli werden wir wahrscheinlich
an der Nordküste liegen, dann wird der Versuch gemacht, um das
Nordkap Spitzbergens herum das Nordostland zu erreichen, vielleicht
auch die „syv 0er ne** zu besuchen. Kommen wir zum Nordostlande,
so ist Johnson sicher, einen guten Fang an Walrossen zu machen,
wir eine ausgezeichnete wissenschaftliche Ausbeute zu erhalten.
Jedenfalls werden wir auch die Hinlopenstrasse besuchen. Die
Erreichung des Nordostlandes und eventuell der östlich davon ge-
legenen noch fast unbekannten Inselgruppen ist keineswegs leicht.
Selbst wenn wir günstige Eisverhältnisse antreffen, so ist doch die
Eückkehr eine unter Umständen sehr schwierige, da die enge Passage
zwischen den sieben Inseln und dem Nordkap in kurzer Zeit sich
wieder verschliefsen kann, so dafs wir alsdann gefangen wären. In
diesem Falle müfste versucht werden, die Ostküste zu umsegeln, und
vielleicht die Hinlopenstrafse wieder hinauf zu fahren. Indessen ist
keine grofse Hoffnung vorhanden, diesen Plan auszuführen.
Doch das wollen wir der Zukunft überlassen. Sie ersehen
jedenfalls hieraus, dafs insofern die Verhältnisse sich glücklich ge-
fügt haben, als unser Schiffer die feste Absicht hat, möglichst weit
nach Nordosten vorzudringen. Wie weit wir kommen werden, das
hängt natürlich vom Eise ab.
Unsre Reise bis Tromsö hinauf war eine ganz angenehme,
ein paarmal hatten wir hohen Seegang, auf den Lofoten starke
Schneeböen und kaltes Wetter, sonst aber bei einigen Graden Kälte
Sonnenschein, und günstige Aussichten auf Meer und Gebirge. Die
Zeit in Tromsö haben wir hauptsächlich zur Vollendung unsrer
Ausrüstung benutzt. Die Kleidungsstücke, welche wir angeschafft
haben, sind meist solche, wie sie die Lappen im Winter tragen,
namentlich das Schuhwerk, welches für derartige Beisen besonders
sorgfältig gewählt werden mufs. Vielfach war unsre Zeit auch durch
gesellschaftliche Verbindlichkeiten in Anspruch genommen worden,
schon durch frühere Beziehungen war ich genötigt, beim deutschen
und beim österreichischen Konsul, sowie bei einigen andern Herren
Besuche zu machen, und wir fanden überall eine ungemein herzliche
Au6iahme, besonders da wir nun als Vertreter einer Bremer wissen-
schaftlichen Expedition "auftreten können.
Gestern unternahmen wir einen sehr interessanten Ausflug auf
Schneeschuhen in die Berge hinein. Der Schnee liegt durchschnittlich
6 — 7 F. tief, an manchen Stellen aber noch bedeutend tiefer, so
dafs Schneeschuhe das einzige Mittel sind, vorwärts zu kommen.
Es ist auch durchaus nicht so schwer, als es ausai^kt.^ t^Os>l ^\sl
paar Standen ging es schon ganz leidlich. Mau \w:^ksäJöX. \ckKt. ^Sa.
— 86 —
gewöhnlich ganz lange (bis 10 F. lange) Schneeschuhe aus
elastischem Holz, und nur bei weichem Schnee kürzere, breitere, mit
Seehundsfell beschlagene.
Hammerfest, den 27. März 1889. Wir sind auf dem Wege
zur Murmanküste. Das Wetter ist prächtig, mäfsig kalt, und
Sonnenschein. Eine treffliche Statistik des Eismeerfanges erhielt
ich durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Konsuls Aagard. Nun
leben Sie wohl ! Herzliche Grüfse von Walter und Ihrem ganz erge-
benen Eükenthal.
Port Vladimir, 13. Aprü 1889.
Da morgen der Dampfer, von Vardö kommend, unsre Station
berührt, so benütze ich die Gelegenheit Ihnen Nachricht zukommen
zu lassen. Schon über acht Tage geniefsen wir die Gastfreundschaft
des Direktors des hiesigen Waletablissements, der uns mit der
gröfsten Liebenswürdigkeit aufgenommen hat.
Von Tromsö reisten wir früh am Morgen des 26. März ab,
nachdem alle die Spitzbergenfahrt betreffenden Anordnungen ge-
troffen waren, und kamen bereits am andern Morgen in dem Hafen
von Hammerfest an. Ein paar Stunden Spazierengehens machten
uns mit dem Städtchen bekannt. An einem niedrigen, aber steilen
Felsrücken entlang zieht sich die Hauptstrafse, auf der Landseite
zu begrenzt von kleinen, sauberen Holzhäusern, auf der andern von
Speichern, aus deren Innerm unbeschreibliche Gerüche von ge-
trocknetem Fisch quellen. Die Weiterreise war ziemlich eintönig,
nur der riesige Vogelberg Sveerholtklubben gewährte willkonmiene
Abwechslung. Eine hineingefeuerte Rakete liefs die ungeheuren
Mövenscharen herausschwärmen, aus allen Schluchten und Bissen
quollen dichte Schaaren hervor, die buchstäblich den Himmel ver-
dunkelten. Fast jede Nacht hatten wir Nordlicht in den verschie-
densten Modifikationen, fast immer begann es als gelbgrünlicher
Lichtstreifen, der sich von West nach Ost durch den Zenith hin-
durchzog ; aus demselben entwickelten sich allmählich breite Bänder,
die in wallende Bewegung gerieten, sich aufrollten und verschwanden.
Stundenlang dauerte dieses wechselvolle prächtige Schauspiel. In
der Nacht zum 30. März kamen wir in Vardö an. Die Stadt
zeichnet sich besonders durch einen guten geräumigen Hafen aus,
in dem auch eine ziemliche Anzahl Schiffe lagen. Die Häuser selbst,
durchgängig von Holz gebaut, sind meist klein und unansehnlich,
eine Ausnahme macht allein das Gebäude der Branntweinverkaufs-
gesellscbatt, in dessen Parterre grofse Verkaufsräume, sowie eine Art
Bodega, in dessen erstem Stock "MLagislx^W mtA ^«tvOc&sScrosÄaÄis
— 87 —
sich befinden. Es wird in Vardö wohl ebensoviel rassisch als
norwegisch gesprochen, auch finnische, lappische, schwedische Laute
sind sehr häufig. Dafs man sich an der Grenze befindet, merkt
man aufserdem an dem Vorhandensein einer Festung, die indes
wohl kaum praktische Bedeutung besitzt. Auf den Rasenwällen,
die einige kleine Häuser umschliefsen, liegen einige Kanonen von
recht verschiedenem Kaliber. Die Besatzung besteht aus Komman-
dant, Leutnant und 16 Mann, und selbst dann, wenn im Falle
eines Krieges „Vardöhuus" eine Besatzung von 500 Mann vom Süden
herbekäme, wie man mir mitteilte, würde sie kaum den modernen
Schiffsgeschützen ernstlich widerstehen können. Schon am ersten
Tage unsrer Ankunft unternahmen wir, nachdem wir am Vormittage
ein paar Besuche gemacht hatten, eine Bootfahrt auf zwei gegen-
überliegende Inseln zu. Aus den grofsen Vogelscharen, welche diese
vom offenen Meer umspülten Inseln bewohnen, schössen wir zwei
Kormorane, eine Alca torda, eine Uria grylle, sowie von Möven
Larus Tridactylus, marinus, argentatus und glaucus heraus. Derartige
Ausflüge machten wir mehrere, so auch einen zu einem benachbarten
Waletablissement, dessen Einrichtung uns von dem Direktor bereit-
willigst gezeigt wurde. Der Walfang hat eben begonnen, es sind
aber erst zwei Finnwale bis jetzt erlegt worden. Am Morgen des
2. April begaben wir uns an Bord des russischen Dampfers „Tschit-
schoff", der uns nach zwei Tagen Fahrt hierher nach „Port Vladimir*,
oder „Jeredike" brachte. Die Küste ist entsetzlich öde, nur nackte
Klippen, von Stürmen reingefegt, selten einmal ein paar Fischer-
hütten dazwischen. Die Dampferfahrt war überdies nicht sehr be-
haglich dadurch, dafs es ein Transportschiff war und mit uns gegen
300 russische Fischer fuhren; wir waren froh, als wir am 4. April
an das Ziel unsrer Reise kamen und von Kapitän Hörn herzlich
bewillkommt wurden. Der Aufenthalt hier ist in jeder Hinsicht
lohnend zu nennen. Schon ein paar Tage nach unsrer Ankunft
wurde ein mächtiger Finnwal (Balaenoptera Musculus) heranbugsiert,
an dem ich, bereitwillig von der Mannschaft unterstützt, meine
Studien machen konnte. Es war für uns sehr interessant zu sehen,
in welcher Weise ein solcher Wal nutzbar gemacht wird, in diesem
Sommer wird sogar eine Leimfabrik eingerichtet werden. Das
schöne, verhältnismäfsig milde Wetter gestattete uns gegen zwanzig
Mal zu dredgen, wobei wir eine Fülle interessanter Tiere erhielten ;
leider ist seit gestern die Kälte so intensiv geworden, dafs das
Seewasser in den Gefäfsen sofort gefriert, so dafs wir diese Arbeit
vorläufig aufgeben müssen und uns auf Jagda\\s&^^<&iv «vs\ ^^^ ^^^
der Vogelfauna machen. Sehr interessant iür d\^ \j[\^%\^^ Qtsää \^
— 88 —
das Vorkommen von MergtQus alle, von dem wir zwei Stück schössen,
(die finnische Expedition an diese Küste hatte, nach Mitteilung des
Ornithologen Kapitän S0strand, den wir hier kennen lernten, kein
Exemplar von hier erhalten können), femer haben wir eine seltene
Anthusart, sowie manches andre erbeutet. Am 17. denken wir
über Vardö nach Tromsö zurückzukehren, um unverzüglich unsre
Eismeerfahrt anzutreten. Ich werde von dort aus noch einmal
berichten.
Tromsö, den 1. Mai 1889.
Hiermit erhalten Sie die letzte Nachricht vor unsrer Abreise.
Morgen segeln wir ab. Die Verzögerung ist dadurch entstanden,
dafs zwei von unsrer Mannschaft mit dem erhaltenen VorschuTs das
Weite gesucht haben. Die Leute werden schon im Herbst geheuert,
erhalten einen oft beträchtlichen VorschuTs, sind aber trotzdem häufig
kontraktbrüchig. Dieses Jahr ist es eine wahre Kalamität. So liegt
ein Schiff noch immer im Hafen, welches am 10. April aussegeln
sollte, weil ein Teil des geheuerten Fangsvolkes nicht gekommen ist.
Meinen letzten Brief von Port Vladimir haben Sie hoffentlich erhalten.
Die Rückreise nach Tromsö war von gutem Wetter begleitet. Am
Nordkyn angelten wir vom Dampfer aus in einer Stunde 90 Dorsche.
Die meisten bissen gar nicht an, sondern wurden einfach durch die
starke Angel erfafst und heraufgerissen. Der Tierreichtum in Finn-
marken ist ein enormer. So sahen wir zwischen Vardö und Vadsö
einen Zug von Eiderenten, der nicht nach Tausenden, sondern nach
Hunderttausenden zählte, darunter unzählige Prachteider (Somateria
spectabilis). In Tromsö angekommen, haben wir unsre Ausrüstung
vollendet und behielten so viel Zeit übrig, gröfsere Ausflüge, teils
zu Fufs, teils zu Boot, zu machen. Von den erbeuteten Vögeln
erregte unser Interesse besonders die Lerche (Alauda arvensis), von
der wir drei Exemplare schössen. Dieselbe ist 1876 einmal hier
beobachtet worden, sonst nicht. Der Vogelzug beginnt allmählich,
freilich ist der Artenreichtum nicht grofs; Gänse, FuUgulaarten,
Harelda glacialis, Numenius, Austerfischer und einiges mehr. Die
weiten Fjorde sind bevölkert von Eidervögeln und Möven. Das
Wetter ist köstlich, die Luft weich und mild, ununterbrochener
Sonnenschein, um Mitternacht nur leichte Dämmerung; ringsherum,
so weit das Auge reicht, ein prächtiges, alpines Panorama. Doch
schmilzt der Schnee nur langsam weg. Vor neuen Schneefällen ist
man indes keineswegs sicher. Die Tromsöer haben im vorigen Jahr
am Johannistag noch grofses Schneeschuhwettlaufen gehabt, ja der
Schnee bat bis in den Juli hinein in Massen gelegen.
— so-
was nun die Ausbeute bis jetzt betrifft, so kann ich sehr zu-
frieden sein. Meine Anwesenheit in Finnmarken trägt mir bereits
Früchte, da ich von dem Direktor eines Vardöer Waletablissements
einen prächtigen kleinen Finnwalembryo bekommen habe, dem bald
mehrere nachfolgen werden. In einem andern Etablissement wird
ebenfalls für mich gesammelt und präpariert, so dafs ich wohl sagen
kann, dafs meine Erwartungen noch übertroffen wurden. Unsre
Aufnahme war überhaupt während der ganzen Reise eine sehr herz-
liche. Wohin wir auch kamen, überall trat uns die weitgehendste
Gastfreundschaft entgegen, alles wetteiferte, uns behülflich zu sein.
Die Wissenschaft steht hier bei diesen einfachen Leuten im höchsten
Ansehen. Nils Johnson wird versuchen, von vornherein die Nord-
küste Spitzbergens zu erreichen, was uns natürlich nur recht sein kann.
Terrain und Landschaft, Arbeiten und Pläne des
Nicaragua - Schiffskanais.
Von B. £. Peary, Ingenieur der Vereinigten Staaten Kriegsmarine.
Hierzu Tafel 3: Pläne und Längenprofile des Nicaragua-Schiffskanals.
Obschon die nachfolgende Beschreibung einen geographischen
Charakter trägt, so dürfte es doch am Platze sein, einen kurzen
geschichtlichen Ahrifs vorauszuschicken.
Unmittelbar nach der Entdeckung von Amerika hat Nicaragua,
wegen seines grofsen Inlandsees und anderer physikalischer Merk-
würdigkeiten und mit seinen natürlichen Vorzügen, die Aufmerksam-
keit von Männern mit weiter Umsicht und hellem Scharfblick ange-
zogen und gefesselt, namentlich da es grofse Vorteile für eine
Wasserverbindung zwischen zwei grofsen Ozeanen darbietet. — Die
spanischen Entdecker, vom Stillen Ozean zu diesem grofsen Inland-
see kommend, bemerkten eine Hebung und Senkung seines Niveaus,
welche durch die Wirkung des Windes auf seine ausgedehnte Wasser-
fläche erzeugt ward, und nahmen fälschlicherweise an, dafs diese
Schwankungen das Ergebnis von Ebbe und Flut seien, sie glaubten
sicher, dafs eine unterirdische Wasserstrafse diesen See mit dem
Nordmeere verbinde. Als später Machuca den grofsen Flufs, den
Ansflufs dieses Sees, entdeckt hatte, und das ruhelose Forschen
andrer Endeckungsreisender jeden Einlafs und jede Bucht zu
beiden Seiten des amerikanischen Isthmus axjia^^^sxsoA^^^d^^ ^"^ciks^^^
— 88 —
das Vorkommen von MergtQus alle, von dem wir zwei Stück schössen,
(die finnische Expedition an diese Küste hatte, nach Mitteilung des
Ornithologen Kapitän S0strand, den wir hier kennen lernten, kein
Exemplar von hier erhalten können), ferner haben wir eine seltene
Anthusart, sowie manches andre erbeutet. Am 17. denken wir
über Vardö nach Tromsö zurückzukehren, um unverzüglich nnsre
Eismeerfahrt anzutreten. Ich werde von dort aus noch einmal
berichten.
Tromsö, den 1. Mai 1889.
Hiermit erhalten Sie die letzte Nachricht vor unsrer Abreise.
Morgen segeln wir ab. Die Verzögerung ist dadurch entstanden,
dafs zwei von unsrer Mannschaft mit dem erhaltenen Vorschufs das
Weite gesucht haben. Die Leute werden schon im Herbst geheuert,
erhalten einen oft beträchtlichen Vorschufs, sind aber trotzdem häufig
kontraktbrüchig. Dieses Jahr ist es eine wahre Kalamität. So liegt
ein Schiff noch immer im Hafen, welches am 10. April aussegeln
sollte, weil ein Teil des geheuerten Fangsvolkes nicht gekommen ist.
Meinen letzten Brief von Port Vladimir haben Sie hoffentlich erhalten.
Die Rückreise nach Tromsö war von gutem Wetter begleitet. Am
Nordkyn angelten wir vom Dampfer aus in einer Stunde 90 Dorsche.
Die meisten bissen gar nicht an, sondern wurden einfach durch die
starke Angel erfafst und heraufgerissen. Der Tierreichtum in Finn-
marken ist ein enormer. So sahen wir zwischen Vardö und Vadsö
einen Zug von Eiderenten, der nicht nach Tausenden, sondern nach
Hunderttausenden zählte, darunter unzählige Prachteider (Somateria
spectabilis). In Tromsö angekommen, haben wir unsre Ausrüstung
vollendet und behielten so viel Zeit übrig, gröfsere Ausflüge, teils
zu FuTs, teils zu Boot, zu machen. Von den erbeuteten Vögeln
erregte unser Interesse besonders die Lerche (Alauda arvensis), von
der wir drei Exemplare schössen. Dieselbe ist 1876 einmal hier
beobachtet worden, sonst nicht. Der Vogelzug beginnt allmählich,
freilich ist der Artenreichtum nicht grofs; Gänse, FuUgulaarten,
Harelda glacialis, Numenius, Austerfischer und einiges mehr. Die
weiten Fjorde sind bevölkert von Eidervögeln und Möven. Das
Wetter ist köstlich, die Luft weich und mild, ununterbrochener
Sonnenschein, um Mitternacht nur leichte Dämmerung; ringsherum,
so weit das Auge reicht, ein prächtiges, alpines Panorama. Doch
schmilzt der Schnee nur langsam weg. Vor neuen Schneefällen ist
man indes keineswegs sicher. Die Tromsöer haben im vorigen Jahr
am Johannistag noch grofses Schneeschuhwettlaufen gehabt, ja der
Schnee hat bis in den Juli hinein in "MLaÄS^n %^\^%^\i.
— so-
was nun die Ausbeute bis jetzt betriifft, so kann ich sehr zu-
frieden sein. Meine Anwesenheit in Finnmarken trägt mir bereits
Früchte, da ich von dem Direktor eines Vardöer Waletablissements
einen prächtigen kleinen Finnwalembryo bekommen habe, dem bald
mehrere nachfolgen werden. In einem andern Etablissement wird
ebenfalls für mich gesammelt und präpariert, so dafs ich wohl sagen
kann, dafs meine Erwartungen noch übertroffen wurden. Unsre
Aufnahme war überhaupt während der ganzen Reise eine sehr herz-
liche. Wohin wir auch kamen, überall trat uns die weitgehendste
Gastfreundschaft entgegen, alles wetteiferte, uns behülflich zu sein.
Die Wissenschaft steht hier bei diesen einfachen Leuten im höchsten
Ansehen. Nils Johnson wird versuchen, von vornherein die Nord-
küste Spitzbergens zu erreichen, was uns natürlich nur recht sein kann.
Terrain und Landschaft, Arbeiten und Pläne des
Nicaragua - Schiffskanais.
Von B« £. Peary^ Ingenieur der Vereinigten Staaten Kriegsmarine.
Hierzu Tafel 3: Pläne und Längenprofile des Nicaragua-Schiffskanals.
Obschon die nachfolgende Beschreibung einen geographischen
Charakter trägt, so dürfte es doch am Platze sein, einen kurzen
geschichtlichen Ahrifs vorauszuschicken.
Unmittelbar nach der Entdeckung von Amerika hat Nicaragua,
wegen seines grofsen Inlandsees und anderer physikalischer Merk-
würdigkeiten und mit seinen natürlichen Vorzügen, die Aufmerksam-
keit von Männern mit weiter Umsicht und hellem Scharfblick ange-
zogen und gefesselt, namentlich da es grofse Vorteile für eine
Wasserverbindung zwischen zwei grofsen Ozeanen darbietet. — Die
spanischen Entdecker, vom Stillen Ozean zu diesem grofsen Inland-
see kommend, bemerkten eine Hebung und Senkung seines Niveaus,
welche durch die Wirkung des Windes auf seine ausgedehnte Wasser-
fläche erzeugt ward, imd nahmen fälschlicherweise an, dafs diese
Schwankungen das Ergebnis von Ebbe und Flut seien, sie glaubten
sicher, dafs eine unterirdische Wasserstrafse diesen See mit dem
Nordmeere verbinde. Als später Machuca den grofsen Flufs, den
Ausfluls dieses Sees, entdeckt hatte, und das ruhelose Forschen
andrer Endeckungsreisender jeden Einlafa wnA. ^^öä ^xvsävÄ» t»^
beiden Seiten des amerikanischen IsthmuB awsg^xxxvÖÄÖKv^^^^» ^^^^^
— 90 —
verlöschte für immer das ignis fatuus (das Geheimnis des Engpasses).
Gomara bezeichnete diese Gegend als eine der günstigsten
Lokalitäten für eine Verbindung zwischen dem Nord- und Südmeere.
Indessen erst im Jahre 1851 wurde eine genaue und wissenschaft-
liche Vermessung für die Boute eines Schiffskanals gemacht (von
dem Obersten 0. W. Chields).
Diese Vermessung, welche ergab, dafs der See Nicaragua nur
107 Fufs über der Meeresiläche liege und dafs die Maximalerhöhung
zwischen dem See und dem Stillen Meere nur 41 Fufs betrage, legt
die Vorzüge dieser Linie in so unwiderlegbarer Weise dar, dafs es
bis jetzt nicht möglich gewesen ist, sie unbeachtet zu lassen.
Im Jahre 1870, unter der Verwaltung des Präsidenten General
Orant, begann die Vereinigte Staaten Regierung eine Reihe syste-
matiHch durchgeführter Vermessungen aller Routen über den ameri-
kaninchen Isthmus, und zwar von Tehuantepec bis zu dem oberen
Tftil der Gewässer des Rio Strato, und 6 Jahre später unterzog
eine Kommission, bestehend aus dem Oberingenieur der ünions-
armee, dem Superintendenten der Küstenvermessung und dem Chef
des Bureaus für Schiffahrt in der Vereinigten Staaten Marine, die
angefertigten Pläne und Resultate aller dieser vermessenen Linien
einer unparteiischen Kritik; sie gab ihre Entscheidung zu gunsten
der Nicaragua-Route ab.
Dem Internationalen Kanalkongrefs , welcher in Paris im
Jahre 1879 abgehalten wurde, lagen so überzeugende Beweise von
den Vorzügen der Nicaraguaroute vor, dafs er trotz aller sich
geltend machenden Vorurteile genötigt war, offen zuzugestehen,
dafs die Vorzüge der Nicaraguaroute für die Anlage eines Schleusen-
kanals allen andern Routen über den amerikanischen Isthmus vor-
zuziehen sei. Sowohl im Jahre 1876 wie auch im Jahre 1880 hat Zivil-
ingenieur A. G. Menocal von der Vereinigten Staaten Marine, welcher
der Oberingenieur der vorher erwähnten Vermessungen der Regierung
war, einzelne Teile dieser Route von neuem vermessen und revidiert,
und im Jahre 1885 hat derselbe Ingenieur mit dem Schreiber dieses
als Assistenten, eine ganz neue Linie an der caraibischen Seite und
zwar von Greytown bis zu dem San Juanflufs, nahe der Mündung
des San Carlosflusses in denselben, gemessen. Diese Vermessungen
an der östlichen Seite des Nicaraguasees waren meistenteils gänz-
lich auf den San Juanflufs selbst und seine unmittelbaren Ufer be-
schränkt, während die Gegenden an der andren Seite, jenseits dieser
schmalen Grenze, bis zum Jahre 1885 gänzlich unbekannt waren.
Es waren jene Gegenden, wo scharfspitzige, vulkanische Hügel und
scbmale Bergrücken^ bedeckt von lioYieii ^\^acvi öä«.^^^^^.^ ^di
— 91 —
erheben, wo breite, flache Thäler sich öffiien, tiberzogen mit ver-
schiedenartig schattiertem Grün, das hier und da im Frühling von
scharlachroten Massen des blühenden Ibo durchsetzt wird; die leb-
haft grünen saccato- Wiesen und Lagunen werden oft von Vögeln
besucht, die sich im Glanz der Tropensonne wiegen.
In jenem Jahre 1885, in welchem der Schreiber dieses ein
thätiger Teilnehmer war, wurde eine ziemlich direkte Linie über die
Gegend, von einem Punkte am San Juanflusse, nahezu 3 miles
unterhalb der Mündung des Rio San Carlos, bis Greytown, eine
Entfernung von 31 miles, vermessen. Vergleicht man diese Linie mit
den beiden andern und zwar zuerst mit der den Flufs entlang ge-
nommenen, welche 56 miles, und derjenigen der früher projektierten
Eanallinie, welche 42 miles beträgt, so ergiebt sich, dafs die Erstere
vorzuziehen ist.
Die Pläne für einen Schiffshanal^ welche das Ergebnis dieser
letzten Vermessungen bildeten, waren so befriedigend vollständig
und dabei ökonomisch, und auf so sorgfältige Ermittelungen gestützt,
dafs sie sofort die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zogen.
Nachdem eine Konzession von der Regierung von Nicaragua erlangt,
wurde der Schreiber dieses als Chef mit einer endgültigen Ver-
messung betraut und begab sich derselbe mit einigen 40 Ingenieuren
und Assistenten und 150 Arbeitern von Newyork aus zu solcher
Nachvermessung und endgültigen Aussteckung des Kanals, der Vor-
bereitung für den Bau selbst, nach Nicaragua.
Die Kenntnis von dem Lande, welche ich durch eigene An-
schauung und Erfahrung bei den vorhergehenden Vermessungen
erworben hatte, ermöglichten es mir, ohne viel Zeitverlust die ver-
«
schiedenen Teile der letzten Aufnahme sofort aufzufinden, dieselben
in der vorteilhaftesten Weise zusammenzustellen, und so die Arbeiten,
soweit es sich mit der Genauigkeit vertrug, rasch zu fördern.
Die Expedition nahm die Linien der früheren Vermessungen
vorläufig wieder auf, mafs und nivellierte dieselben nochmals sorg-
faltig nach; Seitenlinien wurden gelegt und gemessen, die lokalen
Verhältnisse, welche man dabei kennen lernte, wurden dabei fest-
gestellt; die Linien wurden weiter ausgedehnt und auf dem Terrain
abgesteckt. Querprofile von 300 F. Länge an jeder Seite wurden
so gelegt, dafs dieselben über die äufsersten Böschungen des Kanals
sich erstreckten und zwar waren dieselben 100 F. von einander
entfernt. Häufige Bohrungen zur Untersuchung des Bodens innerhalb
dieser Profillinien wurden vorgenommen und alle Flüsse ausgemesaen.
Das Ergebnis aller dieser Arbeiten, welches a.\xX. äOääxI Yöto^^^^^^^^
Daten beruhte, die durch die angewandleu \iv&\.txwcÄ^^ ^^^^sssässö.
— 92 —
wurden, sowie detaillierte Karten und Profile, welche die ganze
Linie von Greytown bis Brito umfafsten, konnte am Ende des achten
Monats nach Newyork versandt werden, wo die Berechnungen der
Quantitäten und der Kosten vorgenommen wurden.
Die erste grofse natürliche Formation von Nicaragua, welche
die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, ist der grofse See, Dieser See
mit einem Flächeninhalt von über 3000 Quadrat miles und einem
Entwässerungsgebiet von über 8000 Quadrat miles löfst nicht nur
gleich von vorn herein die Frage der Wasserversorgung für den
Kanal, sondern ist einzig in seiner Art in dem Gröfsenverhältnis
seines eigenen Flächeninhaltes zu demjenigen seines Entwässerungs-
gebiots.
Das Verhältnis erhellt sofort in den sehr allmählichen Ver-
ändorung(ui dos Niveaus des Sees, Veränderungen, die auf sehr
enge» (Jronaou boschränkt sind. Der Unterschied des Niveaus des
SooM am Sohlufs eines ausnahmsweise trockenen und eines unge-
wHhnlioh nassen Jahres beträgt nicht mehr als 10 Fufs und das
gowOlmliohi^ jährliche Steigen und Fallen ist nahezu 5 Fufs.
Dlo nächsten Tatsachen, welche die Aufmerksamkeit anregen,
Nittd (lor m\it schmale Streifen von Land zwischen dem westlichen
tlft^t* Am Süos und dem Stillen Ozean, und das gänzliche Fehlen
V(m Ntutlichen Zuflüssen irgend welcher Bedeutung in der oberen
Itülftn des San Juanflusses. Dieser Flufs ist in der That das, was
tif ursprünglich genannt wurde, einfach der Desaguadero, d. h. der
Abloitungsflufs des Sees. Die Länge dieses Flusses ist vom See
bli zum Garaibischen Meere 120 miles und sein gesamtes Gefälle
Mwischen 100 und 110 F. Er ist von der Natur in zwei nahezu
gleiche Teile zerlegt, welche einen scharf ausgeprägten verschiedenen
Charakter haben.
Von dem See bis zur Einmündung des San Carlosflusses, eine
Entfernung von 61 miles, eine Strecke, in welcher verschiedene
Stromschnellen vorkommen, ist das gesamte über diese Länge sehr
ungleichmäfsig verteilte Gefälle 50 F. Die Geschwindigkeit des
Abflusses an der Oberfläche wechselt deshalb; so dafs auf einer
kurzen Strecke, in den Stromschnellen von Castillo, dieselbe
83,88 Zoll auf die mile beträgt, während diejenige unterhalb der
Machucastromschnellen durch die Agua Muerte oder das tote Wasser
nur 0,9 Zoll auf die mile ist.
Die durchschnittliche Weite des Flusses im oberen Teil ist
700 F., seine geringste Weite 420 F. ; die durchschnittliche Tiefe bei
niedrigem Wasserstand ist 17 F. In gewissen Teilen der Agua Muerte
beträgt die Tiefe bO F., ja an manchen S\Ä\!L«ti äo%%.x IQ ^ . \sl
— 93 —
diesem Teile des Flusses sind sehr wenige Inseln; seine Ufer sind
mit hohen Bäumen bewachsen, welche durch Schling- und Lauf-
pflanzen scheinbar zu einem Ganzen verbunden sind. Durch die
ganze untere Hälfte dieses Teiles von den Toro-Stromschnellen
bis zur Einmündung des San Carlos ist der Flufs zwischen steilen
Hügehi und Bergen eingezwängt. Da in diesem TeUe, wie bereits
bemerkt wurde, erhebliche Zuflüsse fehlen, so ist das Steigen und
Fallen des Stromes nahezu gleich dem des Sees, es findet folglich
wie in diesem allmählich statt und ist in seinem Umfang beschränkt.
Der geringste Abflufs des Stromes (das Mittiöl von 6 Messungen,
welche am Ende eines ausnahmsweise trockenen Jahres vorgenommen
wurden) betrug 12.286 Kubikfufs in der Sekunde.
Der gröfste Abflufs ist sehr verschieden gefunden worden, dürfte
aber wohl nicht weniger als 20.000 Kubikfufs in der Sekunde sein
und würde demnach mit dem Geringsten in dem Verhältnisse von
1 : 1.63 stehen. Der San Juan-Flufs ändert seinen Charakter unter-
halb des San Carlos-Flusses gänzlich. Seine durchschnittliche Breite
ist 1250 F. und seine durchschnittliche Tiefe im Thalweg beträgt
8 F. bei niedrigem Wasserstande. Sein Boden ist sandig. Er
hat zahlreiche Inseln, und sein Fall, welcher beinahe gleichmäfsig
ist, beträgt einen Fufs auf die mile. Der Zuflufs in diesem Teil,
von den beiden grofsen Nebenflüssen San Carlos und Sarapiqui,
welche von den steilen Abhängen der Costa Rica Vulkane herab-
kommen, verursacht ein weit rascheres und beträchtlicheres Steigen
und Fallen des Niveaus, als in den oberen Teilen dieses Flufses. .
Nach den gemachten Aufzeichnungen betrug der Unterschied zwischen
dem niedrigsten und gröfsten Wasserstand, unterhalb der Mündung
des Sarapiqui 25 F. Zwischen diesen beiden Extremen lag ein
Zeitraum von 15 Jahren.
Der Wechsel vom niedrigen Stand zu einem hohen und um-
gekehrt wird schwerlich 15 F. übertreffen, wenn überhaupt diese
DifEerenz erreicht wird; das plötzliche Steigen und Fallen,
welches in einem Zeitraum von 24 Stunden vorkommt, überschreitet
kaum 6 F. Der geringste Abflufs in diesem Teile des Stromes
ist beinahe 16,770 Kubikfufs in der Sekunde und der gröfste Ab-
flufs ist nicht weniger als 54,000 Kubikfufs in der Sekunde, ein
Verhältnis wie 1 : 3.22.
Alle diejenigen, die mit dem Klima der tropischen Länder ver-
traut sind, können sich leicht vorstellen, dafs die Ausführung einer
Vermessung in diesen Gegenden eine mit grofsen SchwierigkeitA\\.
verbundene Arbeit ist. Die Erlebnisse der lagemevÄ^ \i^%\ÄXÄföö. -»»ä
einer Beibenfolge von Überraschungen, welche gfeN^^\fl^'^ ^ÄÄXi%«wäD^
— 94 —
waren, und welche immer unerwartet kamen. In keinem andern
Lande des Erdballs findet der Reisende, der Naturforscher und der
Ingenieur solche fortwährend wechselnde Schwierigkeiten seiner
Unternehmungen, als hier. Nur durch Übung, Kenntnis und bestän-
dige unermüdliche Energie, gestützt aufserdem auf Monate lange Er-
fahrung, kann der Chef einer Abteilung eine Linie von einer Mile-
Länge als von seiner Partei in einem Tage vermessen bezeichnen.
Jeder topographische Charakterzug dieses Landes ist versteckt unter
tropischem Wuchs grofser Bäume, welche so dicht mit ('em Unter-
holz verwachsen sind, dafs es eben für einen Mann, der mit weiter
nichts als seiner Büchse versehen ist, unmöglich wird, seinen Weg
durchzuzwingen ; er mufs sich mit einem kurzen und schweren Messer
oder Schwert den Weg durchhauen. Unter solchen Umständen
wird oftmals der kundigste Jäger und routinierteste Ingenieur auf
100 Schritte am Fufs eines beträchtlichen Hügels passieren, ohne die
entfernteste Ahnung von dessen Vorhandensein zu haben; an einer
andern Stelle wird er vielleicht vom Rande eines Abhangs entfernt
sein, an dessen Fufse ein bedeutender Flufs sich befindet, von dessen
Nähe er nichts wissen konnte.
Unter schwierigen Verhältnissen mufste die Topographie dieses
Landes ausgefunden werden; es war eine ähnUche Aufgabe, wie,
wenn sich jemand in der Dunkelheit mit der Ausstaffierung eines ihm
fremden Zimmers genau bekannt machen wollte. In Rekognoszierungs-
und Vorbereitungsarbeiten wird der erfahrene Ingenieur in vielen
Fällen fähig sein, Hindernissen aus dem Wege zu gehen, ohne dadurcli
das Resultat seiner Arbeit zu beeinträchtigen, allein in der endlichen
Bestimmung der Grenzen, der vollständigen Aussteckimg von Kurven
und in der Weiterführung der Tangenten, welche tausende von Fufsen
das Land durchkreuzen, ist kein Ausweichen oder Umgehen möglich.
Auf den Bergen und erhöhtem Terrain kann der Ingenieur, vergleichs-
weise, sehr bequem fertig werden, weil seine hauptsächlichste Plage
einesteils der unebene Charakter des Bodens ist, welcher ihn nötigt,
sein Instrument öfter aufzustellen, und er andernteils hier und da ge-
zwungen wird, einige Riesenbäume, die ihm in den Weg treten, aus dem
Wege zu schaffen. In den Thälern und niedrigen Landstrichen ist
ein beständiger Wechsel von Hindernissen. Die Linie mag manchesmal
auf einige Entfernung über ziemlich wagerechten Grund gehen, mit
verhältnismäfsig offenem Gebüsch ; da mit einem Male, ohne vorheriges
Anzeichen, liegt der Rumpf eines gefallenen Baumes im Weg, und
Stunden vergehen, bevor ein Weg über die gebrochenen Äste und
den in Stücke zerfallenen Rumpf, ein durch Ranken und Schling-
gewäcbae vereinigtea Ganze, gebahnt weid^ii Yasfli, ^\ä ^\sv vrenig
— 95 —
weiter und man durchkreuzt einen Flufs, welcher vielleicht innerhalb
der nächsten tausend Fufs vier- bis fünfmal dieselben Hindernisse
bildet. Der Ingenieur mufs entweder steile Hügel hinabsteigen, da
die Flüsse sich gewöhnlich tief in dem harten Lehme dieser Thäler
durchgegraben haben, dann hat er den Flufs zu überschreiten und,
auf der andern Seite angekommen, wieder den Hügel hinaufzuklettern,
oder er mufs einen Baum über den Flufs von Ufer zu Ufer legen
und dann auf diesem schlüpfrigen Rumpf, oft 20 bis 25 Fufs über
dem Wasser gelegen, das jenseitige Ufer zu erreichen suchen. Ent-
weder in der unmittelbaren Nähe des Ufers oder nicht weit vom
Flusse entfernt, kann man fast immer sicher sein, auf eine saccate,
ein abgeholztes Stück Land, zu stofsen. Dieses mag entweder nur
ein- oder zweihundert Fufs, oder es kann auch eine halbe mile
breit sein ; im ersteren Falle ist das Gras der saccate 10 bis 15 Fufs
hoch und so verwickelt und gleichsam verwoben mit Schlinggewächsen
und Domsträuchem, dafs man, ähnlich wie durch eine Hecke, einen
Tunnel durchhauen mufs.
Wenn diese saccate grofs, so ist man genötigt, einen Weg
durch das zähe drahtartige Gras, ^yelches nicht höher als Mannes-
höhe ist, durchzuhauen. Die Sonne, welche senkrecht in diesen
durchgehauenen Weg scheint, erhitzt denselben so fürchterlich, dafs
die Klingen der Machetes, welche zum Durchhauen benutzt werden,
fast glühend werden und nicht mehr in den Händen gehalten werden
können.
Aber weit schrecklicher als alles, was bis jetzt erwähnt wurde,
sind die „Silico" oder schwarzen Palmemümpfe. Einige derselben,
in den gröfseren Thälern und nahe der Küste gelegen, haben eine
Ausdehnung von mehreren miles. Diese Sümpfe, welche aus-
schliefslich von niedrigen Silicopalmen eingenommen werden, sind in
der Regenzeit vollkommen unpassierbar, ausgenommen für Affen
und Alligatoren; und sogar am Ende der trockenen Jahreszeit
betritt der Ligenieur einen solchen Sumpf mit gesunkener
Stimmung, nein mit sinkenden Füfsen, und müde und abgespannt
am ganzen Körper verläfst er ihn wieder. Es ist hier mit den
gröfsten Schwierigkeiten verbunden, einen Platz für die Aufstellung
eines Instrumentes zu finden. Gewöhnlich sucht man eine Erhöhung,
die aus einer Gruppe Wurzeln dieser Palmen gebildet wird; so
gehend von einem Punkt zu dem andern, ist man gezwungen, bis
zum Knie, oder gar bis Schulterhöhe in den schwarzen Morast oder
auch im Wasser zu waten. Sogar allgemeine Rekognoszierungen,
welche von hohen Bäumen aus auf erhöhtem Tetx^AiL NOt^^CLWcmÄö^
werden^ und welche einfach genug in Theorie eiadcievxiea, «oAm «oä^o^
— 96 —
Lande, das so verborgen und geheimnisvoll ist, wie dieses, bei weitem
nicht so leicht; noch sind deren Resultate, ohne den Aufwand von
Zeit, Arbeit und Geduld, zuverlässig. Auf ebenem oder allmählich sich
abflachendem Terrain sind die Gipfel der Bäume, obgleich 150 F.,
von dem Grund entfernt, hoch, so eben, wie der obere Teil einer
verschnittenen Hecke. Sogar ein vereinzelter Berg, rund in seiner
Grundform, bietet schwerlich gröfsere Erleichterungen, weil die Bäume
an dem Fufse und den Seiten, in ihrem Bestreben dem-6onnenlichte
näher zu kommen, gröfseren Wuchs haben, denn jene, die auf der
Kuppe stehen, und es existiert in Wirklichkeit kein einziger Baum,
der die andern beherrschte.
Wenn immer ein isolierter Berg von einigen hundert Fufc
Höhe gefunden wird, so werden seine verlängerten Seiten in eine
scharfe Spitze endigen. Drei oder vier kräftige mit Beilen versehene
Männer, welche die nahestehenden Bäume aus dem Weg zu räumen
haben, werden mit einer Tagesarbeit den Weg bahnen, der fär ein
Studium der allgemeinen Erhebung ui'd Ortsbestimmung des an-
Hegenden Terrains hinreicht. Wenn der Beobachter glaubt, nachdem
diese Vorbereitungen vollendet siad, dafs er nur den Baum zu er-
klettern und zu verzeichnen braucht, was er von da aus sieht, um
zuverlässige Kenntnis des umhegenden Terrains zu bekommen, so
wird er oft auf die unangenehmste Weise überrascht.
Wenn er die Besteigung um Mittag macht, so wird er, nachdem
er sich von der erschöpfenden Anstrengung ausgeruht und abgekühlt
hat, vor sich eine schimmernde Landschaft ausgebreitet sehen, in
welcher der einförmig grüne Teppich, verbunden mit dem Strahlen-
lichte der vertikalen Sonne, alle Unterschiede, mit Ausnahme der
hervorragenden Ungleichheiten des Terrains, verwischt und Berge
und Gebirgsketten, von welchen die eine oft mehrere miles hinter
der andern Hegt, zu einem Ganzen verschmolzen erscheinen, von
dem sich nur das Profil im Luftraum abhebt.
Unter solchen Umständen können natürlich Schätzungen der
Entfernungen nur innerhalb einer Wahrheitsgrenze von 100 ®/o liegen.
Es sind zwei Wege, um zuverlässige Auskunft dieser Bekognoszierungen,
welche von den Gipfeln der Bäume aus gemacht werden, zu gewinnen.
Wenn dieselben in der Regenzeit vorgenommen werden, so mofs der
Beobachter für die Arbeit eines ganzen Tages, den er zur Benutzung
auserkoren, vorbereitet seia, und wenn er des Morgens den Baum
besteigt, nimmt er eine leichte Schnur mit sich hinauf, mit der er
seinen Kaffee und das Essen nach Bedarf hinaufziehen hann. ünter-
stützt durch die auf einander folgenden Regengüsse, welche über die
Landschaft streichen und die T\iä\ei YimaxÄ %«\^.^ n^^xärpcl^ die Ober-
— 97 -
reste in den Hohlwegen zurücklassen und die verschiedenen Berg-
ketten mit grauen Wänden umkleiden, ist die erste Errungenschaft
dieser und dann jener Richtung der Sektion durch Schätzung gemacht
und eine ziemlich akkurate Skizze kann nach und nach angefertigt
werden. Die Übergangszeit eines solchen Regengusses von einer
Bergspitze zur andern, oder nach dem Beobachter hin, mag ebenfalls
als ein nicht zu unterschätzender Hinweis für die Bestimmung von
Entfernungen» verwertet werden. In der trockenen Jahreszeit kann
der Beobachter von der Zeit vor Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
auf seiner Vogelposition auf dem Baume bleiben, oder er kann zwei-
mal den Baum erklettern ; thut er das Letztere, so hat er das erste
Mal sehr früh des Morgens und das andere Mal des Nachmittags den
Weg zum Gipfel zu machen. In diesem Falle werden die am Morgen
langsam sich verziehenden und die beim Sonnenuntergang allmählich
sich sanmielnden Nebel zusammen mit dem sich immer verändernden
Licht und Schatten bei Sonnenauf- und Untergang das Relief des
Terrains herausheben, indem diese Veränderungen die entfernten
Bergketten und den Lauf der gröfseren Flüsse in hellerem Lichte
darstellen. Diese Arbeit kann nicht einem jeden übertragen werden,
da aufser der anstrengenden Leistung, die durch das Besteigen der
höchsten Bäume bedingt ist, auch andre ernstliche Beschwerden
damit verbunden sind. Der Besteiger des Baumes kann beinahe
mit Gewifsheit darauf rechnen, dafs ein giftiges Insekt, welches er
gestört hat, sich durch einen grausamen Stich, den er ruhig erdulden
mufs, revanchieren wird. Oder er wird an einigen dornigen Schling-
pflanzen seine Kleider zerreifsen und seine Haut verletzen ; oder eine
andere Schlingpflanze, die er in seiner Kletterarbeit gequetscht hat,
wird durch ihren Saft ihn auf eine lange Zeit tättowieren. Es mag
sonderbar erscheinen, dafs weder eine Fliege, Moskito noch auch
andre Insekten am Fufse des Berges sich aufhalten, während um
den Gipfel desselben Myriaden von winzig kleinen schwarzen Fliegen,
welche Hände und Gesicht gleichsam bedecken und äufserst belästi-
gend sind, kreisen.
Anderseits mag der Beobachter durch den Wohlgeruch einiger
prächtiger Orchideen, die in einem ihm nahe schwebenden Aste blühen,
und wodurch seine Geruchsorgane mit Wohlbehagen erfüllt werden, ent-
schädigt werden ; auch seinen Blicken bieten sich Genüsse, wenn er die
Regengüsse verfolgt, wie sie über die grünen Teppiche dahinfliegen.
Lauschend vernimmt er das Getöse, mit welchem die grofsen Regen-
tropfen auf die Baumwipfel einfallen; und wenn endlich der Regen
den Baum erreicht hat, auf welchem sich der Beobachter befindet^
gieht er, wie die Zweige des alten Riesen. xm^atTCÖCkfexiA.^ \i^^ \i^Ä.^
GeograpbiBcbe Blätter. Bremen 1889. 1
— 98 —
bald her geworfen werden, schwindelig schwankend mit ihm bald
vor-, bald rückwärts, mit den blendenden Schaumgebilden, die weit
Überhängen.
Die Arbeiten, welche dem Schreiber persönlich zufielen, waren
durchweg Rekognoszierungen, bestehend in der Untersuchung (mittelst
eines kleinen Bootes) aller derjißnigen Flüsse, die in der Umgebung
der projektierten Kanallinie lagen, d. h» der Bestimmung ihrer Quellen,
des Charakters ihrer Thäler und der ungefähren Wasserscheide; so-
dann galt es, mit Kompafs und Aneroid schnell gerade Linien zu
verfolgen, die einen Flufs oder den obersten Teil eines Thaies mit
einander verbanden, und welche dann eine Basis für einen allgemeinen
Skizzenplan dieses Thaies bildeten ; und endlich handelte es sich um
das Erforschen weiter gelegenen Terrains von hohen Baumwipfeln aus.
Das Letztere ist bereits beschrieben worden, bei der andern Aufgabe war
das Verfahren sehr ähnlich demjenigen der Partie, welche die Haupt-
linien vermafs. Bei dieser Gelegenheit begleiteten mich drei oder
vier abgehärtete „huleros" (Gummijäger), von denen zwei die wol-
lenen Decken, die Moskitonetze und den Proviant für einige Tage
zu tragen hatten, während einer oder zwei den am leichtesten
und brauchbarsten Weg durchzuhauen und dabei sich auszeichnende
Bäume zu markieren hatten. Bei einem solchen Tagesmarsch von
fünf bis acht miles Enfernung — das war die höchste Tagesleistung
selbst einer so leichten, rastlos thätigen und erfahrenen Partie —
wurde alle mögliche oder unmögliche Art des Vordringens versucht
und allmählich fanden gänzlich ermüdete Männer in ihren harten und
engen Betten Ruhe.
Die Rekognoszierungen mit kleinen Böten waren angenehmer,
doch waren auch einige recht unangenehme Eindrücke mit genuls-
reichen verbunden. Das Durchfahren der unteren Abteilungen der
seitlichen Nebenflüsse des San Juan, obschon weniger mühsam als
dasjenige nahe an ihren Quellen, gehört, abgesehen von ausnahms-
weise günstigen Verhältnissen, nicht zu den Annehmlichkeiten. Die
unzähligen Stämme umgefallener Bäume, welche den Flufs versperren,
und über oder durch welche das Boot in Wirklichkeit gehoben
werden mufs, sodann das geradezu unvermeidliche Umstürzen des
Bootes früher oder später, ferner die monotonen roten Ufer zu
beiden Seiten und die Notwendigkeit, des Nachts sich in einem Bett
niederzulegen, welches die Herden der diese Thäler bewohnenden
wilden Schweine in den lehmigen Boden niedergetreten haben, gehören
nicht zu den angenehmen Vorkommnissen. Von da aus, wo die
Schiffahrt der kleinen Böte in diesen Nebenflüssen aufhört, bis zu
deren Quellen ist der Charakter deraeüöen ^tozXiek xou dem ujiteni
— 99 —
Teile verschieden, der Schreiber dieses hat sowohl im Jahre 1888,
als auch früher in 1885 dieselben weit hinauf bis auf die Kuppe
der Berge verfolgt und ihre Schönheit lebt noch frisch in seinem
Gedächtnis, als wäre es erst gestern gewesen.
Die Bemannung des Bootes bei diesen Rekognoszierungen be-
stand gewöhnlich aus drei auserlesenen Leuten, und nachdem das
Boot, soweit als es der Flufs gestattete, stromaufwärts gefahren
war, wurden zwei von ihnen bei dem Boote gelassen, während der
dritte und beste, nachdem derselbe die Decken, die Stangen, ein
wenig Kaffee, Zucker und Milch auf seinen Rücken geladen hatte,
dem Schreiber dieses folgte. Watend durch das niedrige Wasser
aufwärts in der Thalsohle des Flusses, und während ich die Lage
des Landes skizzierte und Entfernungen schätzte, war mein „hulero"
auf der Wacht, einige schlaftrunkene Fische in dem klaren Wasser
zu erschlagen. Die Quelle des Flusses wurde gewöhnlich nach Ab-
lauf des Tages erreicht. — Wir trafen niemals Vorbereitungen, um
in einem Bett zu schlafen, dieses lieferte vielmehr der reinliche gelbe
Sand, der in Zeiten der Überschwemmungen vom Flusse ausgewaschen
wurde; aber was ich zu beschaffen hatte, war ein fetter Truthahn,
welcher von meinem Gürtel herabhing, während mein Gefährte ein
bis zwei Bündel der schönsten Fische zur Zubereitung niederlegte.
Der grofse See, welcher die Quelle des San Juanflusses bildet, und
derjenige Teil von Nicaragua, welcher westlich des Sees liegt, sind
vermutlich hinreichend bekannt, und ich werde meine Mitteilungen
deshalb hauptsächlich auf die nach dem Caraibischen Meere zu gelegenen
Gegenden beschränken, d. h. die Region, welche sich von Osten nach
Westen bis zurück zu der Bergkette erstreckt, durch welche der
San Juanflufs sich seinen Weg gebahnt hat, bevor er sich mit dem
San Carlosflusse vereinigt, und diese Regionen bilden eben jene un-
bekannten Strecken, deren Topographie bei den beiden letzten Ex-
peditionen ermittelt worden ist. Beinahe 3 miles unterhalb der
Mündung des San Carlosflusses in den San Juanflufs tritt der Caüo
Machado in den San Juanflufs ein, und zwar am nördlichen Ufer
desselben. Dieser Flufs, beinahe 100 F. breit und 8 — 10 F. tief,
ist der letzte der reifsenden Bergnebenflüsse, die in den San Juan-
flufs fliefsen. — Man kann kaum sagen, dafs der Flufs ein Thal hat,
er nimmt vielmehr als sein Bett eine unebene Kluft ein, welche sich
einige miles nördlich und nordwestlich in die östliche Flanke der
Gordillera erstreckt. Alle Arten von durch vulkanische Bildung
erzeugten Felsarten kann man in dem Bett dieses Flusses finden,
von dem leichten porösen Bimstein bis zu dem dicht ^jCÄ'^'JiSadckfeTL
grünlich-schwarzen Basalt. Achate sind geviÖVixKi^ NOfÄ^axAsö. ^xsÄ.
1*
— 100 —
häufig Massen von Jaspis. Weiter hinauf kommen Ausbrüche von
Trapp im Liegenden vor, an einigen Stellen mit unzähligen Adern
von Achaten durchzogen.
Zwölf miles unterhalb des Machado fliefst der San Frcmdsco
in den San Juan. Dieser Flufs entwässert mit seinen Nebenflüssen
ein grofses sumpfiges Thal, in welchem in unregelmäfsiger Verteilung
kleine Anhöhen und Hügel hervortreten. Mehrere miles aufwärts
vom San Juan ist es ein zwischen schlüpfrigen Ufern langsam
fliefsender trüber Flufs; dann wird das Flufsbett allmählich kiesig,
darauf felsig und endlich verwandelt es sich in tiefe, mit mächtigen
Steinblöcken gefüllte Schluchten. Der Hauptarm des San Francisco
kommt von NW. Ein grofser Nebenflufs indessen entspringt östlich
in einem Höhenzug, welcher das Flufsgebiet des San Francisco von
der caraibischen Wasserscheide trennt. Ungleich dem schon be-
schriebenen besteht dieser Höhenzug aus einer ununterbrochenen Masse
von dichtem, homogenen Hypersthen-Andesit, und Trapp tritt sowohl
auf seinem östUchen als auf seinem westlichen Abhang nur fragmen-
tarisch auf. Dieser Höhenzug endigt an der Tamborcitobiegung
des San Juan, vier miles unterhalb der Mündung des San Francisco;
es ist der letzte östliche Ausläufer von dem Hauptgebirge im Innern.
Zwischen denselben und der Küste sind Gebirgsmassen von gleicher
und auch von gröfserer Erhebung, insbesondere der 1500 F. hohe
El Gigante und der SiUcoberg ; dies sind isoliert stehende Berge, deren
unzählige Ausläufer entweder in Sümpfen oder am Flufsufer endigen,
Die Gewässer, welche den östlichen Abhang dieses Höhenzuges
hinabfliefsen, sind von ihren Quellen bis zur Niederung von beinahe
idyllischer Schönheit : im Anfange kleine rauschende Bäche, die über
schwarzen Felsen in V förmigen Schluchten hinunter schäumen, ge-
winnen sie rasch an Stärke und fliefsen in einem in schwarzem
Trapp glatt eingeschnittenen Bette dahin, hin und wieder Wasser-
fälle von 20 bis 25 Fufs Höhe, auch hier und da tiefe grüne Weiher
bildend, um endlich, am Fufse angelangt, auf breiten und flachen,
aus gelbem Kies bestehenden Lagern dahinzugleiten. Das Wasser
dieser Flüsse ist kühl, klar und schäumend, wie das eines Alpen-
flusses ; die Insektenplage der Tropen ist in den hochgelegenen Teilen
der Thäler dieser Gewässer unbekannt, wie ich denn mehr als
einmal am Ufer eines dieser Flüfschen 300 F. hoch über dem
Meere, ohne den Schutz eines Moskitonetzes sanft und süfs geschlafen
habe, eingewiegt von dem Murmeln des Baches, mit welchem sich
das Bauschen der Baumwipfel im Passatwinde, und der leise, durch
diesen beraufgetühite Widerhall der fernen Brandung des Caraibischen
Meeres mischte.
— 101 —
Der Boden dieses Höhenzuges besteht bis zu einer Tiefe von
10 bis 40 F. aus verschiedenen Arten Thon, worunter der rote
vorherrscht. In den Thälern ist dieser Thon beinahe stets von sehr
dichter Beschaffenheit und tief roter Farbe. Von dem FuTs des
Höhenzuges bis zur Küste erstreckt sich in einer Ausdehnung von
12 miles eine flache hier und da von Lagunen und Sümpfen unter-
brochene Niederung.. In der Nähe der Berge, wo die Höhe des
Bodens über dem Meere 15 F. beträgt, besteht derselbe beinahe
ganz aus jenem roten Thon, und hier und da finden sich kleine Er-
höhungen desselben Materials. Etwa 6 miles von der Küste ver-
schwindet der Thon allmählich unter einer Sanddecke, welche wiederum
von einer mehrere Fufs mächtigen Humusschicht bedeckt ist. Von hier
bis zur Küste ist die durchschnittliche Erhebung ungefähr 5 F.
über dem Meere und nur Sand und Humus werden hier angetroffen.
Nicht weit von der Küste verschwindet auch der letztere, und es
bleibt nur der in unbekannte Tiefe reichende und sich in das Meer
hinaus erstreckende Sand.
Viel ist über das Klima von Nicaragua und über seinen Ein-
flufs auf die hieher kommenden Bewohner nördlicher Länder gesagt
worden ; es scheint, dafs man diese Frage angesichts der zahlreichen
Expeditionen der Vereinigten Staaten und der Berichte der denselben
zugeteilten Ärzte nunmehr als endgültig erledigt betrachten kann.
Selbst für jene hartnäckigen Zweifler, welche nicht begreifen können,
dafs zwei einander so nahe liegende Landstriche wie Panama und
Nicaragua dennoch ein grundverschiedenes Klima haben können,
selbst für diese Zweifler müssen die Erfahrungen der jüngsten Ver-
messungsexpedition überzeugend sein.
Nur fünf der Mitglieder dieser Expedition waren je vorher in
einem tropischen Klima gewesen; die Kettenzieher und sonstigen
Gehülfen waren junge Leute, welche eben die Universität verlassen
hatten und weder je vorher Handarbeit verrichtet, noch auch eine
Nacht im Freien geschlafen hatten. In Greytown noch während der
Regenzeit angekommen, bestand ihre erste Arbeit darin, Vorräte und
Ausrüstung an die Stelle der verschiedenen Lagerplätze zu schaffen.
Dies mufste mit kleinen Böten geschehen und zwar auf Flüssen,
welche vielfach durch gefallene Bäume gesperrt waren. Einige Partien
brauchten eine Woche zur Erreichung ihres Bestimmungsortes, bei
Tage wateten und schwammen sie, schoben und trugen dabei ihre
Böte über Hindernisse, bei Nacht schliefen sie auf dem Boden unter
freiem Himmel. Eine Partie arbeitete 6 Monate in der sumpfigen
Region gerade hinter Greytown und mehrei^ axv&t^ ^^^^ä^äw ^<sö.
80 lange in den ebenso unangenehmen Sräcipt^Tv ^^% ^^^ ^xw^^^a^^-
— 102 —
thales. Mehrere der Teilnehmer dieser Arbeiten sind noch jetzt
dort so gesund und frisch wie jemals. Bei Gelegenheit seiner In-
spektionstouren hat der Schreiber dieses verschiedentlich mehrere
auf einander folgende Tage und Nächte in den Wäldern zugebracht,
und zwar mit der unausbleiblichen Zugabe von Sümpfen und Regen,
des Nachts lag er dabei in seine Decke gewickelt auf dem Boden
des Bootes. Ungeachtet aller solcher Strapazen ist nicht nur kein
Todesfall, sondern sogar kein einziger ernstUcher Krankheitsfall vor-
gekommen und die bis jetzt zurückgekehrten Mitglieder der Expedition
erfreuen sich der besten Gesundheit!
Natürlich war die Ausrüstung und Versorgung mit Proviant
und sonstigen Bedarfsgegenständen ohne Rücksicht auf den Kosten-
punkt die denkbar beste, und es wurde streng auf die Innehaltung
gewisser sanitärer Vorschriften gehalten, namentUch in bezug auf
den Morgenkaffee, auf das gehörige Baden, auf trockene Nacht-
wäsche, Moskitonetze u. a. ; dennoch ist das ausgezeichnete ge-
sundheitliche Resultat zweifellos im wesentlichen dem vorzüglichen
Klima zuzuschreiben.
In den Wäldern giebt es überall viel Wild^ und jede Partie,
welche einen guten Schützen unter ihren Mitgliedern zählte, konnte
auf immerwährenden Vorrat von wilden Schweinen (Dicotyles
tajassu),*) wilden Truthähnen (Crax globiura), **) Wachteln, Schnepfen,
Hirschfleisch u. a. sicher rechnen. Für die Eingeborenen waren
Affen, Jaguars u. a. in Fülle vorhanden.
Die Partien in den unteren Gebieten der verschiedenen Flüsse
hatten zwei oder drei Arten sehr schmackhafter Fische als fernere
Bereicherung ihrer Tafel; selten wurden die Fische übrigens mit
der Angel gefangen, vielmehr entweder geschossen oder durch einen
gewandten Eingeborenen aufgespiefst. Diese Partien fanden auch
zuweilen einen „danta" (tapir) oder ein manati. — Femer wurden
auch mitunter Enten geschossen.
Die verschiedenen Formen des pflanzlichen Lehens wurden
noch zahkeicher gefunden als jene des tierischen. Der Eindruck
dieser wunderbaren Wälder ist unbeschreiblich und obgleich schon
so mancher Schriftsteller eine Schilderung derselben versucht hat,
so habe ich doch noch keine gelesen, welche dem Gegenstand voll-
ständig gerecht wird. Hier soll nur einfach versucht werden, dar-
zulegen, aus welchen Bäumen und überhaupt Pflanzen ein solcher
nicaraguanischer Wald besteht.
*) Das Bisamachwem Südamerikas, vrei£&&cbiLauzig, in giolsen Rudehu
**) Höckerbuhn, Hokko in Südamerika, 1''\%Y, ^tqV&.
— 103 —
Die grofse Masse des Waldes besteht aus mächtigen Ahnendro,
Havilan, guachipilin, cortes, Zedern, Cottonwood (BaumwoUbaum,
Bombax ceiba), palo de leche-Bäumen (Kuhbaum, Galaktodendron
americanum) und andern, welche 150 bis 200 F. in den leuchten-
den Sonnenschein emporragen. Das ganze Blattwerk dieser Bäume
ist oben, ihre mächtigen Stämme stehen säulengleich 100 und mehr
Fufs in die Höhe empor ohne Zweig und ohne Blatt. Einige stehen
gerade, glatt und senkrecht wie wirkliche Säulen, andre senden
dünne tiefreichende Stützen aus, wieder andre erinnern an den
muskulösen Arm eines Titanen, der mit weitgreifenden Fingern in
den Erdboden hineinpackt.
Aber wie immer auch die Form der Stämime sein mag, — die
dünne Erddecke auf den Hügeln und der sumpfige Boden der
Niederungen hat, wenn man so sagen darf, ihnen allen gelehrt,
dafs ein weites und breites Fundament mehr Sicherheit gewährt als
ein tief eindringendes und so sehen wir denn beinahe ausnahmslos
eine grofse Ausbreitung der Wurzeln an oder nahe der Oberfläche.
Unter dem schützenden Dache dieser Waldespatriarchen gedeihen
zahlreiche Arten von Palmen, manche, die eines Tages selbst Riesen
sein, andre, die nie eine bedeutende Grofse erreichen werden, heute
aber alle gleichmässig geschützt wie in einem Gewächshause, vor
brennender Sonne sowohl als vor brausenden Winden.
Noch weiter hinunter finden wir kleinere Palmen, Farrn,
dichtes Unterholz und zahllose Schlingpflanzen. Die letzteren be-
schränken sich aber keineswegs auf das Unterholz, sondern viele
von ihnen klettern in die Gipfel der höchsten Bäume, schlingen
sich um ihre Stämme, verbinden sie mit andern Bäumen und be-
decken auch den Boden mit zähen und unzerreifsbaren Banken.
Mit wenigen Ausnahmen sind diese Schlingpflanzen für den Reisen-
den äufserst lästig, da gerade sie dem Tropenwald seine sprich-
wörtliche Undurchdringlichkeit verleihen. Von allen Gröfsen und
80 zähe wie Hanfstricke kriechen sie am Boden dahin und fängt
sich der Fufs des Reisenden in dem untentwirrbaren Labyrinth ihrer
Maschen, so kann nur das Messer ihn befreien. Sie binden und
weben das Unterholz zu einer zähen elastischen Matte zusammen,
welche beim Durchpassieren hinter jeden hervorragenden Teil der
Kleidung und Ausrüstung hakt, den Revolver aus dem Gürtel
schleudert, die Büchse aus der Hand, den Hut vom Kopfe reifst.
Eine der oben erwähnten Ausnahmen ist der „Bejuco de agua"
oder Wasserpflanze. Dieses Rankengewächs, welches wie ein altes
abgenutztes Manillaseil aussieht, hängt von fast jedeiDL ^ofe»<5w^«xxssÄ
auf höher gelegenem Boden herab und bietet ÖLßta xe^T^idösßa^dc^^ö^^^
— 104 —
Reisenden einen köstlichen, kühlen und klaren Trunk. Aus dem
abgehauenen Ende fliefst nämlich sogleich ein Strahl klaren und ge-
schmackfreien Wassers, den ma'h in einem untergehaltenen Gefafs,
oder noch einfacher mit dem Munde auffangen kann. Ein Stück von
3 F. Länge und 2 Zoll im Durchmesser liefert wenigstens ein halbes
Quart Wasser. Das Stück mufs in der Weise abgetrennt werden, dafs
man zuerst den untern, dann den obem Schnitt macht. Geschieht
dies nicht, so wird sich kein Wasser in dem abgetrennten Stück
finden.
Es ist fast unmöglich, das Alter der beschriebenen Waldes-
riesen abzuschätzen. Voll eigener innerer Kraft und aufserdem noch
durch die zahlreichen Schlinggewächse mit ihren Nachbarn zu einem
wind- und sturmfesten Ganzen verbunden, haben ihre mächtigen
Stämme eigentlich nur das eigene Gewicht zu tragen und so fallen
sie selten, ehe die letzten Stadien des Vermorschens erreicht sind.
Dann mag ein tropisches Regenschauer, oder der Sprung eines
Tigers, oder der eilende Durchzug einer Affenschar zu viel für einen
der morschen Aste sein und ihn unter der Last seiner Parasiten
und Schlinggewächse zu Falle bringen. Dabei wird dann das Netz
der letzteren vielfach zerrissen und der altersschwache Baum so
seiner Stützen beraubt» Das Gewicht der noch stehenden Äste zieht
ihn nach ihrer Seite hinüber, die noch gebliebenen SchUnggewächse
sind dem Ungeheuern Zug nicht gewachsen und reifsen, und unter
donnerndem weithin vernehmbaren Getöse stürzt der Riese des
Urwaldes. Ein Stücklein blauer Himmel oben und ein unentwirrbarer
Trümmerhaufen unten werden noch jahrelang sein Grab bezeichnen.
Zuweilen stürzen die Bäume in den Flufs und bilden dann ein
Hindernis, durch welches man sich mit oft stundenlanger Arbeit nur
schwer hindurch arbeitet.
Was die Insekten- und jRep^iüien-Plage anbelangt, so geht des
Schreibers Erfahrung dahin, dafs darüber viel Übertriebenes gesagt
und geschrieben worden ist. Es giebt Moskitos, Fliegen verschie-
dener Gröfse, Wespen und stechende Ameisen, die ersteren stellen-
weise in grofser Zahl; aber für einen einigermafsen abgehärteten
Menschen sind es keine Schrecknisse, sondern nur kleine Unannehm-
lichkeiten. In unserem Hauptlager auf der Insel San Francisco
hatten wir von Sonnenaufgang zu Sonnenuntergang keine Moskitos,
und selbst nach Sonnenuntergang waren sie nicht besonders zahlreich.
In einem andern einige miles entfernten Lager waren nur schwarze
Fliegen, dagegen keine Moskitos, in einem dritten waren beide
Arten Insekten, während in den in den Hügeln gelegenen Lagern
überhaupt keine derartige Plagen voikameu.
— 105 —
Nur in den nassen Niederungen und in der Nähe von Sümpfen
wurde diese Insektenplage unerträglich und selbst hier litten nur
diejenigen am meisten, welche im Lager blieben, während die Leute
im dichten Unterholz wenig belästigt wurden.
Die Gefahr, von Schlangen gebissen zu werden, ist äufserst
gering. Von den mehreren hundert Leuten, welche an Expeditionen
nach Nicaragua teilgenommen haben, ist keiner gebissen worden,
und der Schreiber, der hunderte von miles weit die Wälder des
Landes, teilweise allein, teilweise in Begleitung von Eingeborenen,
durchstreifte, hat nie an eine solche Gefahr gedacht. Die Giftschlangen
sind alle träge, und wenn sie überhaupt eine Bewegung machen,
wird es stets ein Fluchtversuch sein, es sei denn, man habe auf sie
getreten. Die einzige agressiv veranlagte Schlange ist nach des
Schreibers Erfahrung eine lange, schwarze, nicht giftige Schlange,
welche einem Eindringling zuweilen mit aufgerichtetem Kopfe ent-
gegengeht.
Der Blumenschmuck der Wälder ist darnach angethan, jene
zu enttäuschen, welche denselben nur aus Büchern kennen. Hier und
da eine Passionsblume, die wohlriechende Flor del Toro, einige un-
bedeutende aber wohlriechende Sträucher; und nahe den Flufsufern
wilde Kallas, — das ist ungefähr alles^ was der nicht botanisch ge-
bildete Wanderer im tiefen Walde findet, unter dessen dichten Wipfeln
nicht genug Licht für Blumen ist; diese suchen deshalb gleich den
kleinen Vögeln die Spitzen der Bäume und die Ufer der Flüsse, wo
sie Sonnenlicht und Luft finden.
In den Baumwipfeln treiben die Orchideen und andere blühende
Parasiten ihr Wesen. Viele der Bäume tragen selbst farbenreiche
Blüten; und wenn man im März oder April auf die Wipfel eines
Waldthals hinabblickt, so sieht man die grüne Fläche belebt durch
glänzende Flecken von Rot, Gelb, Purpur, Rosa und Weifs. An den
Flufsufern findet man vorzüglich die blühenden Schlinggewächse und
dort bilden sie grofse von den Bäumen hinabhängende farbige Gardinen,
glänzend in Gelb, Rot und Weifs gemustert. Die rasenbedeckten
Ufer und Inseln, sowie die flachen, sandigen Zungen sind der Wohn-
ort unzähliger Arten von Wasserpflanzen.
Anhang.
Im Zusammenhange mit den beigegebenen Plänen und Profilen
mögen die nachstehenden kurzen Erläuterungen von Interesse sein.
Das Querprofil des Nicaraguakanals, wie es projektiert ist, variiert
von 2 400 Quadratfufs bis 5000 Quadratiufe. T^\^ ^e\Aföxv^^\v ^^x^«^^
zwischen den Scbleusenthoren gemessen, 6bO Y . \"a."vv^ ^^^^-^ ^^^^
— 106 —
eine lichte Weite von 70 F. erhalten und sind dieselben alle auf
solidem Felsen fundiert.
Die Wasserversorgung ist bei weitem mehr denn hinreichend.
In seinem niedrigsten Wasserstande am Ende der trockenen Jahres-
zeit fliefsen aus dem See durch den San Juanflufs 984 000 000 Kubik-
fafs Wasser in einem Tage. Dieses repräsentiert beinahe das achtfache
von demjenigen, welches als Maximum von den Schleusen verbraucht
wird. Es ist ein Überflufs des prächtigsten Konstruktionsmaterials
längs der Linie des Kanals, bestehend aus Bauholz aller Art,
Kalkstein, Sand, Kies, Lehm und Steinen für Stampfmauerwerk u. a.
vorhanden. Die Kapazität des Kanals wird sicher nicht weniger als
20 000 000 Tonnen des Jahres sein. Die veranschlagten Kosten
belaufen sich in runder Sunrnie auf 66 000 000 Dollars. Diese
Summe schUefst die 25 Prozent der unvorhergesehenen Ausgaben
ein und wurde basiert auf eine vollständige und akkurat ausgeführte
Vermessung mit den besten Instrumenten, aufserdem fanden über
400 Bohrversuche statt. Obige Summe schliefst ferner ein :
Die Beleuchtung des Kanals durch elektrisches Licht, die
Bojen fiir den See, den Flufs und die Häfen, die Eisenbahn für die
Konstruktionsarbeiten, die Telegraphen und alle die notwendig
werdenden Hülfsmaschinen, welche für ein so grofses Werk gebraucht
werden. Der Umfang des Verkehrs, welcher den Kanal benatzen
wird, und der aus zuverlässigen Statistiken entnommen wurde, kann,
sobald der Kanal offen ist, auf mindestens 6 000 000 Tonnen jährlich
angenommen werden. Die Erfahrung, welche wir durch den Suez-
und St. Maryskanal gemacht haben, unterstützt uns, wenn wir
uns eine Vorstellung von der Zunahme des Verkehrs machen wollen.
Das jährliche Tonnenmafs, welches durch den Suezkanal im
Jahre 1870 ging, war weniger als eine halbe Million, während im
Jahre 1883 dasselbe nahezu 6 000000 betrug.
Das Tonnenmafs, welches durch den St. Maryskanal im
Jahr 1881 befördert wurde, betrug 1 500 000 Tonnen, während es
im Jahre 1887 5 500 000 Tonnen betrug.
107
Kurze Geschichte der Panamäkanal-Gesellschaft.
(1879—1889.)
Von Dr. H, Polakowsky.
Eine 1880 gebildete, internationale (heute fast rein französische)
Gesellschaft, an deren Spitze bis zum Zusammenbruche der berühmte
Erbauer des Suezkanales, Herr Graf Ferdinand von Lesseps, stand,
arbeitet bekanntlich seit 1881 an der Durchstechung des Isthmus von
Panama. Alle deutsche Zeitungen haben seit dieser Zeit mehr oder
weniger ausführhche Angaben über den Stand der Arbeiten, die
finanzielle Lage u. a. gebracht, welche Artikel und Notizen zwar oft
unrichtig und voller Widersprüche, aber im allgemeinen dem unter-
nehmen und speziell Herrn von Lesseps günstig, wohlwollend ent-
gegenkamen.
Heute, wo die „Gompagnie Universelle du Canal Interoc^anique
de Panama" bankerott und Herr von Lesseps von der Leitung der
eventuellen Fortsetzung des Eanalbaues hofiTentlich definitiv zurück-
getreten ist, wo die Arbeiten auf dem Isthmus eingestellt sind, scheint
es mir angezeigt, einen kurzen AbriTs der Geschichte der mehr als
achtjährigen Thätigkeit der „Compagnie Universelle du Canal Inter-
oc^anique de Panama'^ zu geben.
Man glaubte seit Ende der sechsziger Jahre dieses Jahrhunderts
in immer weitern Kreisen (besonders in Frankreich), dafs die 2ieit
gekommen sei, wo die Interessen des Welthandels und Weltverkehrs
die Durchstechung des Isthmus von Amerika — von welcher bekanntlich
seit der Entdeckung desselben gesprochen und geschrieben worden
ist — gebieterisch fordern und fordern können, da die sicher zu
erwartenden Zolleinnahmen zur Verzinsung der Kosten genügen
dürften. Im Jahre 1876 bildete sich in Paris ein internationales
Komitee zur Prüfung der Kanalfrage. An die Spitze desselben wurde
von Lesseps gestellt. Zur selben Zeit entstand in Paris die „Societe
civile internationale du Canal Interoc^anique". (Präsident: General
tt Türr), welche 1876—1878 zwei Expeditionen unter Luc. N.-B.
Wyse und Arm. Beclus nach Darien und dem Isthmus von Panama
sandte. Durch diese Expeditionen ist die Losvm% öäx ^^Äosifea.^
wenig gefordert, wobl aber unsre Kennlma evue^^ ^«Äs nox^. \i^^ssv
— 108 ~
und seiner Bewohner vermehrt worden. ^) Verschiedene Darienprojekte
wurden für wertlos erklärt und die nur sehr flüchtig besuchte Panama"
route wurde als die beste aller möglichen Routen von Herrn Wyse
empfohlen. Das wertvollste Resultat dieser Expeditionen war der
Kontrakt, welchen Herr Wyse im Namen der genannten Society
civile am 20. März 1878 mit dem colombianischen Minister Enst.
Salgar abschlofs, welcher Kontrakt am 18. Mai desselben Jahres
vom Kongresse Colombias genehmigt und als Gesetz publiziert wurde.
Herr von Lesseps und das genannte „Comitö fran9ais pour
l'etude du per9ement d'un Canal Interocöanique", dessen Mitglieder
waren : de la Ronciere- le Noury, Meurand, Daubröe, Levasseur,
Delesue, Foucher de Careil, Malte-Brun, Cotard, Maunoir, Hertz und
Bionne, bestimmten nun die Geographische Gesellschaft in Paris, zum
Mai 1879 einen Internationalen Kongrefs nach der Hauptstadt Frank-
reichs zu berufen, welcher die verschiedenen Kanalprojekte kritisch
prüfen und das beste Projekt bezeichnen sollte. Auf dem Kongresse,
der am 15. Mai eröffiiet wurde, dominierte das französische Elenient
und besonders machte sich eine Herrn von Lesseps unbedingt er-
gebene Gruppe in auffallender Weise bemerkbar. Wyse und Reclus
traten für das Panamaprojekt ein. Das Material, welches sie der
technischen Kommission vorlegen konnten, war sehr dürftig. Sie
änderten während der Verhandlungen und auch gleich nach SchluGs
derselben ihren Kostenanschlag. ^) Die Kosten des Niveaukanales
(mit 7200 m langem Tunnel) schätzten Wyse und Reclus auf 475
Millionen Franks, der Kongrefs aber auf 1050 Millionen (bei einem
6 km langen Tunnel).
Die wichtigsten Resultate der sehr eingehenden Verhandlungen
des grofsen Kanalkongresses sind folgende. Es zeigte sich, dafs nur
überhaupt vier Projekte als brauchbar zu betrachten sind. Es sind
dies die Nicaraguaroute, die von Panama, die von San Blas und die
von Selfridge empfohlene Linie Atrato-Napipi-Chirichiri. Das letztere
Projekt ist als das wertloseste zuerst auszuscheiden, da hier mindestens
4 Schleusen und aufserdem ein 3 km langer Tunnel erbaut werden
mufs. Die Gesamtlänge des Kanales würde 290 km betragen, die
^) Die wichtigste Litteratur über diese Expedition ist : B. Wyse, Rapport sur
les 6tudes faites en 1876—1877. Paris, 1877. Chaix et Comp. B. Wyse, Reclus
et Sosa, Rapport etc. en 1877 — 1878. Paris, 1879. Lahure. Arm. Reclus, Panami
et Danen. Voyages d'exploration. Paris, 1881. Luc. N. — B. Wyse, Le Canal
de Panama. Paris, 1886.
^) In einem „Devis rectifie". der gleich nach Schlufs des Kongresses
gedruckt nnd nur in wenigen Exemplaren verteilt wurde, berechnen Wyse und
Reclna die Kosten des Niveaukanales oYine Tuim^\ ^ev ft,^ m Tiefe und 22 m
Sohlenbreite) auf 780 Millionen Franks.
— 109 —
Kosten wurden auf über 1500 Millionen Franks geschätzt. Dabei
ist der Hafen an der pacifischen Seite sehr schlecht, das zu durch-
stechende Terrain sumpfig, völlig unbewohnt, mit überaus dichter
Vegetation bedeckt und sehr ungesund.
Die San Blasroute bietet viele Vorteile, würde aber einen
12 bis 16 km langen Tunnel erfordern. Da die Natur, die Trag-
fähigkeit des Gebirges nicht genügend bekannt, wurde dies Projekt
verworfen. Die Kosten wurden auch auf über 2 Milliarden geschätzt.
Der Nicaraguakanal, für welchen besonders die Amerikaner mit Eifer
eintraten, wurde unbedingt als der beste aller Schleusenkanäle er-
kannt und die Panamaroute als die einzige Stelle bezeichnet, wo es
möglich sei zu erträglichen Kosten einen Kanal ohne Schleusen und
ohne Tunnel zu erbauen.
Der Kongrefs entschied sich mit 78 Stimmen gegen 8 für die
Erbauung eines Niveaukanals zwischen der Limonbai und Panama
mit einem 6 km langen Tunnel. 12 der bedeutendsten Mitglieder
des Kongresses (darunter Ammen, Campuzano, de Garay, Menocal)
enthielten sich der Abstimmung, 19 andre verliefsen den Saal vor
derselben. Die Mehrzahl der Kongrefsmitglieder (besonders die See-
leute) war entschieden gegen jeden Schleusenkanal. *) Ganz be-
sonders eiferte Herr von Lesseps gegen denselben. Es scheint mir
angezeigt, heute und an dieser Stelle an einen Brief von Marius
Fontane, Generalsekretär der Suezkanalgesellschaft, vom 17. Mai 1879
zu erinnern, welcher damals durch viele Zeitungen und Zeitschriften
ging. Der berühmte Autor spricht darin seine feste Überzeugung
aus, dafs ein jährlicher Transit von 6 Millionen Tons und darüber
nur in einem Kanäle möglich sei, den 50 Schiffe pro Tag passieren
können. Das sei selbst bei einer Schleuse nicht mögUch.
Die sonstigen Momente, welche zur Annahme der Panamäroute
bestimmten, waren: die relativ geringe Erhebung der Gebirgsmassen
(bis 1(X) m) auf der Landenge von Panama^), die Nähe der Panama-
bahn, die Kürze der Linie (73 km), die Gröfse der Baien an beiden
Enden, in denen leicht gute Häfen geschaffien werden können, die
verhältnismäfsige Erschlossenheit und Kultur eines Teiles des Isthmus
und die Hilfsmittel, welche die Stadt Panama selbst und durch ihren
Verkehr mit allen Hafenplätzen der Welt bietet. Dazu kam der
^) Siehe Congres International d'feudes du Canal InterocSanique. Compte
rendu des Seances. Paris, 1879. 668 pag. 4*
*) Über die geologischen Verhältnisse auf dem Isthmus siehe : M. Wagner^
Petermanns Geographische Mitteilungen, Ergänzungakfeft 5 ^^^V^ wsA*.'^.^^'^««.
Naturwissenschafifeliclie Reisen im tropischen A.iiienliLSi,. ^tvxil^'wc^., \^^»
— 112 —
ist. Es ist widerwärtig, alle die weitern „Ersparnisse" durchzugehen
und begnüge ich mich damit anzuführen, dafs er nur 658 Millionen
für die Gesamtarbeitskosten herausrechnet. — Dafs Herr von Lesseps
das Gutachten der kompetenten Personen, abgegeben auf dem Kon-
gresse von 1879 und durch die Kommission von 1880, so einfach
beiseite schob, seine Laienansicht als unbedingt richtig dekretierte,
war sein Fehler, der sich schwer an dem Unternehmen und am Rufe
des Herrn von Lesseps rächen mufste und — seit Ende 1888 rächt !
Dabei beliebt es Herrn von Lesseps, sich noch heute als Opfer seiner
Feinde, seiner Neider zu gerieren ! Dafs ihm mindestens ein grofser
Teil der Gesamtschuld an dem schrecklichen Fiasko zufällt, sieht er
nicht ein, obgleich es französische Zeitungen aller Art und aller
Parteien ihm seit Jahren klar gemacht haben. „Le grand fran9ais"
wird „le grand mangeur" genannt! Die Finanzwissenschaft und die
Technik (die Ingenieure) sind am Zusammenbruche des Panamä-
unternehmens nicht Schuld ! Beide haben die Situation von Anfang an
richtig erkannt und gewarnt, von Lesseps hat in unverantwortlicher Ver-
blendung und Überhebung die Wahrheit nicht hören und sehen wollen!
Auf der ersten Generalversammlung vom 31. Januar 1881 sagt
Herr von Lesseps: Eine Summe von 600 Millionen Franks wird
notwendig sein, um in spätestens 7 oder 8 Jahren die Eröf&iung
des Panamakanals für die grofse Schiffahrt zu erreichen. Schon
hier begann Herr von Lesseps seine vertrauensseligen Zuhörer und
Anhänger mit der Geschichte des Suezkanales zu unterhalten. Dafe
er zu Beginn des Panamäunternehmens auf den Erfolg des Suez-
kanales mit Genugthuung hinwies, war gewifs berechtigt, dafs er
aber bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit vom Suez-
kanale statt von dem von Panama redete und schrieb, auf allen
Generalversammlungen das verlockende Bild der Erträge des Suez-
kanales ausmalte, wurde bald komisch und zuletzt direkt widerwärtig.
Welcher fundamentale Unterschied zwischen dem Kanäle von Suez
(der nur 330 Millionen Franks gekostet) und dem von Panama
besteht, brauche ich den Lesern nicht zu sagen.
Auf der zweiten Generalversammlung (3. März 1881) wurde die
Gesellschaft endgültig begründet und Herr von Lesseps erklärte, dafs
das Werk sicher im Jahre 1888 vollendet sein werdet Das Problem
der Durchstechung des amerikanischen Isthmus wird weiter als
verhältnismäfsig einfach geschildert. Die Gesamtkosten bis zur Voll-
endung und Eröffnung des Kanales für den Weltverkehr seien „von
den Herren Couvreux und Hersent und kompetenten Personen" auf
Ö12 Millionen Franks geschätzt. Die Arbeiten hätten am 1. Februar
1881 begonnen. Ea war also Hexin votil^^^ae^^ Ivict G^^ld und gute
— 113 —
Worte gelungen, ein Paar „Ingenieure und Unternehmer*' zu finden,
welche nicht erröteten, einen noch billigeren Kostenanschlag zu
machen. Alle anständigen und kompetenten Leute, die über das
Panamäunternehmen geschrieben, verurteilen diesen Koup auf das
Schärfste. Die Folgen desselben fielen schwer auf die Gesellschaft
und auf die Urheber zurück.
Auf der Generalversammlung vom 29. Juni 1882 erklärte Herr
von Lesseps, dafs sich die Lage in günstiger Weise geklärt habe,
da die Erdschicht, welche die Felsen bedecke und leicht durch Erd-
scharrer zu entfernen sei, stärker sei, als man zuerst angenommen
habe. — Das ist für mehrere Stellen der Tra9e richtig, dafür stellte
sich aber heraus, dafs die Felsen viel härter waren, als man zuerst
angenommen hatte. — Der vierte grofse Fehler war, dafs man die
Arbeit viel zu früh, mit ungenügenden Bohrversuchen und nicht
definitiv abgesteckter Tra9e begann und dann die leitenden Ingenieure
und Arbeitspläne (bis Ende 1885) oft wechselte. Dadurch sind etwa
2 Jahre und über 200 MilHonen Franks vergeudet worden. Auch
wurde das Geld auf dem Isthmus in sündhafter Weise für Luxus-
wohnungen der Ingenieure u. a. verausgabt. - — Über den Gesundheits-
zustand der Arbeiter wurden sehr günstige Angaben gemacht und
die Ausgabe von 250 000 Obligationen beantragt, um 68 475 von
den 70 000 Aktien der Panamäeisenbahn, die zum Preise von je 250
Dollar angekauft seien, zu bezahlen. Begeistert stimmte die Ver-
sammlung allen Vorschlägen des grofsen Mannes zu. ^)
Vierte Generalversammlung vom 17. Juli 1883. Bis zum 30. Juni
1882 waren verausgabt 58 731 651 Franks. Die Einnahme (zwei
Raten des Aktienkapitals und Zinserträge) betrugen 150 662 025 Franks.
Die zwei Jahre der Organisation seien abgelaufen, die Herren Couvreux
und Hersent hätten erklärt, dafs sich verschiedene Unternehmer zur
Ausführung der Arbeiten auf verschiedenen Abschnitten der Tra9e
gemeldet haben und hätten Couvreux und Hersent ihren so wertvollen
Rat im Interesse der Gesellschaft (?) beim Abschlüsse der bezeich-
neten Verträge mit diesen Unternehmern erteilt. Was die Herren
Couvreux und Hersent thatsächlich geleistet haben, wird nicht näher
angegeben und ebenso schweigt der Bericht über die Summe, welche
dieselben für ihre Leistungen erhielten. Selbst die französische Re-
gierung hat nie in dieser Sache klar sehen können. Die glücklichen
und schnellen Wirkungen der Neuerung, dafs verschiedene Unter-
nehmer an die Stelle der Herren Couvreux und Hersent getreten
^ Hier ist zu bemerken, dafs — wie L. Wyse in seinem 1886 erschienenen
Buche überzeugend nachweist — diese Aktien früher viel bvlVv^fex XsäXXätv ^t^w^^^
werden können.
Oeograpbiscbe Blätter. Bremen 1889. ^
— 114 —
seien, werden gerühmt und abermals versichert von Lesseps, dafs
der Kanal 1888 vollendet sein werde. (Es ist hier natürlich immer
der Niveaukanal ohne Tunnel gemeint.) Vom Januar bis April 1888
hätten 4901 — 6312 Mann am Kanal gearbeitet und nur 60 seien
gestorben. — Die 250 000 Obligationen (5 ®/o) seien dreifach über-
zeichnet; die Erdarbeiten seien an 23 Stellen der Route in Angrifi
genonmien worden. Über die voraussichtlichen Kosten des Werkes
wird nichts gesagt.
Fünfte Generalversammlung vom 23. Juli 1884«®) Herr vonLesseps
spricht seine Genugthuung über die Ruhe und das Vertrauen aus,
welche die Aktionäre den verschiedenen gegen das Unternehmen
gerichteten Angriffen entgegengesetzt hätten. Zugleich lobt er die
französische Presse, welche es unterlassen, die falschen Nachrichten
über den Stand der Arbeiten weiter zu verbreiten. Abermals wird
versichert, dafs der Vollendung des Kanals bis Januar 1888 nichts
entgegenstehe. Bis zum 30. Juni 1883 waren für die eigentlichen
Arbeiten 108 418 097 Franks und für Materialien und Immobilien,
für den Ankauf der 68 534 Aktien der Panamäbahn und für ver-
schiedene einmalige Ausgaben 120 291 228 Franks ausgegeben. Die
Einnahmen betrugen 416 655 760 Franks. Inzwischen sei „dem
Programm gemäfs" und mit vollständigem Erfolge eine neue Anleihe
(3 ®/o Obligationen) gemacht worden. Es arbeiteten vom Januar bis
Mai 1884 14 608 bis 19 063 Mann am Kanal und es starben in
dieser Zeit 334. Die auszuhebenden Erd- und Felsmassen schätzt
Herr von Lesseps jetzt auf Grund eines Gutachtens der Oberaufsichts-
kommission, der ein Bericht von Dingler vorgelegt worden, auf
120 Millionen Kubikmeter (wobei nur 10 Millionen Kubikmeter auf
die Ableitung der Flüsse kommen). Zum Schlüsse führt Herr von
Lesseps spezieller aus, wie durch die Maschinen die Arbeit bis Ende
1888 bewältigt werden könne. — Die Berichte über den Stand der
Arbeiten auf dem Isthmus, welche das „Bulletin" alle Monat publi-
zierte, übergehe ich hier, da dieselben den Stempel des unerlaubten
Optimismus (ganz gelinde gesagt) an der Stirn tragen. Die ameri-
kanischen bis zu dieser Zeit publizierten Berichte verfielen wieder
in das Gegenteil, waren meist vom Hasse gegen das französische
Unternehmen diktiert und übertrieben pessimistisch gehalten.
Sechste Generalversammlung von 29. Juli 1885. Hier erklärte
Herr von Lesseps — da es wohl doch nicht mehr opportun schien,
die Wahrheit ganz zu verhüllen — dafs mit den 600 MilUonen, von
®) Siehe znr Ergänzung and zum Verständnisse der folgenden Auszüge
aas den Oeneralberichten meine gröfseie Arbeit über ^Zentralamerika und der
Panam&kanal'' in Eevae Colon. Internat. kmaieiÖLam \^Ä^. T^m. \5l»
— 115 —
denen er 1881 gesprochen, nur die eigentlichen Arbeiten bezahlt
werden könnten und dafs für Zinsen, Amortisationen, Ankauf von
Grundstücken, Gebäude, Verwaltung u. a. andre 600 Millionen not-
wendig seien. Er klagt jetzt bitter über die Angriffe und Verleum-
dungen, unter denen das Unternehmen zu leiden habe und stellt fest,
dafs dieselben meist in Frankreich ihren Ursprung haben. ^) (Von
dieser Zeit an schwieg das Bulletin jede unbequeme, noch so wohl-
wollende und objektive Kritik tot.) Es starben vom April 1885 bis
einschliesslich März 1885 1145 am Kanalbaue beschäftigte Personen,
darunter 323 Europäer. Im April 1884 waren über 17 000, vom
Oktober 1884 bis März 1885 über 20 000 Arbeiter am Kanal thätig.
Die verschiedenen am Kanäle thätigen Unternehmer hätten sich ver-
pflichtet, über 62^/2 Millionen Kubikmeter für 220 Millionen Franks
auszuheben. Hierzu kommen 480 Millionen, welche die zwei Unter-
nehmer erhalten sollen, die die Vollendung des Kanals (auf 9 m
Tiefe und 22 m Sohlenbreite) übernommen haben. Die reinen Arbeits-
kosten werden hier also bereits auf 700 Millionen Franks geschätzt.
Eine neue Anleihe von 387 387 Obligationen (zu 4 ^/o) war gemacht,
aber nur 318 245 waren faktisch gezeichnet worden.
Weiter teilte Herr von Lesseps mit, dafs er unter dem 27. Mai
1885 ein Schreiben an den Minister des Innern gerichtet habe, in
dem er um die Genehmigung zur Ausgabe von Lotterieobligationen
in Höhe von 600 Millionen Franks ersucht. In diesem Briefe wird
konstatiert, dafs 102 116 der Aktionäre und 217 623 der Obhgationen-
inhaber Franzosen seien.
Die siebente Generalversammlung (vom 29. Juli 1886) ist als der
Wendepunkt, als die Ankündigung des unvermeidlichen Zusammen-
bruches zu betrachten. In einem offenen Schreiben vom 9. Juli,
gerichtet an die Aktionäre und Obligationeninhaber, hatte Herr von
Lesseps gesagt: „Ich persönlich glaube, dafs mit den 600 Millionen der
Lotterieobligationen die Vollendung des Kanals vor Ende des
Jahres 1889 gesichert ist." — Verausgabt waren bis zum 30. Juni 1885
471 132 816, eingenommen dagegen 713 104 368 Franks.
Auf den Brief des Herrn von Lesseps vom 27. Mai 1885 ^^) war
bis zum November keine Antwort eingegangen. Da richteten zahl-
reiche französische Aktionäre eine Petition an die Deputiertenkammer,
in welcher sie um Bewilligung des Gesuches ihres Präsidenten baten.
Eine Petition prüfte die Kommission und sprach sich für Annahme der
selben aus. Die französische Regierung hatte inzwischen Herrn
•) Sehr natürlich, denn das Ausland nahm schon damals kein Inteteaa^
an der Sache mehr.
'^) Siebe Bulletin du Canal Interoc^anique pag. \^^ i.
— 116 —
Rousseau nach dem Isthmus geschickt und nach Emgang der Berichte
dieses bedeutenden Ingenieurs legte die Begierung der Deputierten-
kammer am 17. Juni 1886 einen Gesetzentwurf vor, welcher die Er-
laubnis zur Ausgabe von 600 Millionen Franks in Lotterieobligationen
erteilen sollte. ^^) Eine neue Kommission wurde zur Prüfung dieses
Gesetzes ernannt und diese beschlofs, die Entscheidung bis zum
Oktober oder November (nach den Ferien des Parlaments) aufzu-
schieben. Jetzt zog Herr von Lesseps sein Gesuch zurück ^^) und
dekretierte (alles ohne die Aktionäre zu fragen) die Ausgabe von
500 000 Obligationen (Obligations Nouv. I. Serie), auf welche je 440
Franks eingezahlt wurden, die mit 6 ^/o verzinst und in 42 Jahren
mit 1000 Franks zurückgezahlt werden sollen. Trotz dieser abnorm
günstigen Bedingungen (über 9^2 ^/o für Zinsen und Amortisation)
wurden von den aufgelegten 500 000 Obligationen nur 458 802
gezeichnet. Der Kredit der Compagnie Universelle war erschöpft.
Was später noch aufgetrieben wurde, ist den letzten Anstrengungen
der unglücklichen Aktionäre und Obligationsinhaber zu verdanken,
welche ihre Ersparnisse retten wollten.
Der vierte grofse Fehler (rect. Unrecht) des Herrn von Lesseps
war die oben angedeutete intime Verbindung mit den Herren Couvreux
imd Hersent, der fünfte die Ausgabe dieser Obligationen Nouv. mit
den ruinösen Bedingungen und der sechste die von dieser Zeit an
mit aller Macht betriebene Verschleierung der wahren Sachlage.
Herr von Lesseps sagt in seinem Bericht vor der siebenteu General-
versammlung weiter: „Ich, Ihr Präsident, glaube heute mehr als je,
dafs das auf dem Isthmus aufgestellte Material nach einem Jahre seine
Macht in einer solchen Weise dokumentieren wird, dafs auch nicht mehr
der geringste Zweifel über die Möglichkeit der Erbauung des Niveau-
kanals in der festgesetzten Zeit und mit den veranschlagten Kosten
(also 1 200 000 000 Franks) existieren wird. " Zum Schlüsse werden aber
bereits dunkle Andeutungen gemacht, dafs der Kanal eventuell
1889 mit geringerer Tiefe oder mit sonstigen Modifikationen dem
Verkehr übergeben werden solle. Ausgehoben waren pro Monat:
1882 = 16 245 kbm, 1883 = 215 300 kbm, 1884 = 617 054 kbm,
1885 = 658 708 und in den ersten sechs Monaten von 1886 =
1 079 737 kbm. Seinen vertrauensseligen Zuhörern macht nun Herr
von Lesseps klar, dafs im Jahre 1887 je zwei Millionen kbm und
im Jahre 1888 und 1889 je drei Millionen kbm pro Monat aus-
gehoben werden müfsten, um den Kanal bis zum 1. Juli 1889 fertig
") Siehe Bulletin du Canal Interoc^aniqoe, pag. 1547 f.
^5^ Brief vom 9. Juli 1886. Abgedr. Bulletin du Canal Interoc6aniqae
pa^. 1668.
— 117 —
za stellen. Die „Gläubigkeit" der Aktionäre u. a., welche alle
derartige „Berechnungen" mit begeistertem Beifalle begrüfste, erregte
mehr und mehr die Heiterkeit und das Mitleiden der verständigen
und unabhängigen Presse Frankreichs. Einzelne Opponenten wurden
auf den Versammlungen niedergeschrieen und gepfiffen; der offizielle
Bericht schwieg derartige unangenehme Zwischenfalle einfach tot,
alle Anträge wurden nach dem Bulletin angenommen.
An dieser Stelle will ich kurz auf einige Berichte über den
Stand der Arbeiten auf dem Isthmus hinweisen, da näheres Eingehen
mir der Baum nicht gestattet. Vom 17. Februar bis 3. März 1886
war Herr von Lesseps mit verschiedenen Ingenieuren auf dem Isthmus
zur Besichtigung der Arbeiten. In seiner Begleitung befand sich
auch Herr Wasserbauinspektor (jetzt Baurat) Pescheck, technischer
Attache der deutschen Botschaft in Paris. Die Berichte desselben
datieren vom 13. und 16. April und 21. Mai 1886 und sind dieselben
an den preufsischen Minister der öffentlichen Arbeiten^^) gerichtet.
Gleichfalls sehr interessant ist der Bericht von Boux, Abgesandter
der Handelskammer von Marseille*^). Über das ganz unverständliche
Benehmen des Herrn von Lesseps gegen den Minister und die
Deputiertenkammer im Juli 1886 giebt ein weiterer Bericht des Herrn
Pescheck (vom 14. August 1886) Aufschlufs. — Herr von Lesseps
und die ihm ergebene Presse warfen der betreffenden Kommission
Mangel an Patriotismus u. a. vor. Darauf antworteten die Mitglieder
derselben und schreibt Herr Pescheck: „Der AusschuTs der Abge-
ordnetenkammer habe sich deshalb (das heifst um klar sehen und
urteilen zu können) nochmals an die Gesellschaft gewandt, mit dem
Ersuchen um Aushändigung: 1. der laufenden Unternehmerverträge;
2. des alten Vertrags mit dem Unternehmerhause Couvreux und
Hersent ; 3. der Abrechnung mit denjenigen Unternehmern, an deren
Stelle die jetzigen grofsen Unternehmer getreten sind ; 4. der Recht-
fertigung der Berufung derjenigen Generalversammlung, welche für
die Losobligationen gestimmt hat; 5. des Bechnimgsabschlusses
der Gesellschaft für den 30. Juni 1886".
„Auf diese Forderungen habe Herr von Lesseps mit demjenigen
Schreiben geantwortet, in welchem er die Zurückziehimg seines
Antrags anzeigt. — Der Ausschufs erklärt weiter, dafs er deshalb
auf die Vorlage der Regierung nicht antworten konnte, und dafs
'") Eingehend behandelt in meiner Arbeit: Zentralamerika nnd der
Panamakanal in Revue Colon. Internat. 1886 n. pag. 181, 304, 372, 481.
^^) Roax, Le Canal de Panama en 1886. Mit «ixx^t '^L^tX.^. l!k»x%«^^^
188ßs — Bulletin du Canal Interoceanique No, 163.
— 118 —
der Vorwurf, er habe absichtlich die Abgabe seiner Entscheidung
aufgehoben, nicht genau sei."
In dem 1886 erschienenen bereits zitierten Buche von Wyse
und in den Berichten von Pescheck und Roux findet der Leser
spezielle Angaben über die Arbeiten auf dem Isthmus, das Leben
und den Verdienst der Arbeiter, die angewandten Maschinen u. a. —
Bis Ende 1886 hatte sich weiter gezeigt, dafs ein Niveaukanal
wegen der Beschaffenheit des Gesteins der zu durchstechenden
Gebirgsmassen unmöglich, respektive ungeheuer kostsjpielig sein würde!
Die Durchstiche (Seitenwände) erreichen nämlich auf etwa
500 m eine Höhe von über 80 m und auf einer Strecke von 5 km
eine solche von 50 — 80 m. Man hatte angenommen, dafs das
Gestein feststehend sei und waren deshalb sehr steile Wände
projektiert und in Rechnung gesetzt. Aber schon 1885/86, als die
Einschnitte erst eine mäfsige Höhe erlangt hatten, zeigte es sich,
dafs das Gebirge zum Rutschen neige! Wyse schreibt hierüber:
„Bis jetzt (Oktober 1885) kann man nur an zwei Stellen, in der
Nähe des oberen Laufes des Rio Grande und bei der pazifischen
Ablenkung der Eisenbahn, gröfsere Erdrutsche vorher sagen ; aber an
andern Stellen sind zerfliefsende Thone, welche durch richtige
Ableitungsgräben und Drainage von dem sich an der Oberfläche
ansammelnden Wasser befreit werden müssen, um Infiltrationen und
ihre vernichtenden Folgen zu vermeiden."
Durch die Arbeiten ist der Lauf vieler Flüsse und Bäche ab-
geleitet und unterbrochen, sie haben sich neue Wege gesucht und
haben sich Pfützen und kleine Seen an vielen Stellen gebildet.
Wyse tadelt es, dafs für Ableitung dieser stehenden Wasser und
eine vorläufige Regulierung des Chagres und seiner Nebenflüsse,
zum Schutze der Arbeitsplätze in der Regenzeit so wenig geschehen
sei. Schwer hat sich diese Unterlassung im Dezember 1888 bei
den starken Regengüssen gerächt, durch welche grofse Strecken
der Tra^e überschwemmt und ungeheuerer Schaden angerichtet worden
ist. — Leutnant Rogers war im Januar 1887 im Auftrage des
Marineministers der Vereinigten Staaten auf dem Isthmus zur Besich-
tigung der Kanalarbeiten. Er schreibt (und verschiedene andre
Berichte bestätigen dies) : „Im letzten Jahre sind etwa 78 000 kfam
Erdmassen in den Kanal gerutscht (fliefsendes Gebirge) und es ist
als sicher anzunehmen, dafs sich derartige Rutschungen wiederholen
werden." — Pescheck schreibt in seinem Bericht vom April 1886:
;, Von dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gefahrlicher
BatschHächen könnte das Schicksa\ öl^x ^^?M»«tv ^-auTi^i^aK^TS^^
— 119 —
abhängen." — Doch kehren wir zur Geschichte der Kanalgesellschaft,
an der Hand der Berichte des Herrn von Lesseps, zurück.
Achte Generalversammlung vom 21. Juli 1887. Bis zum
30. Juni 1886 waren 601 726 410 Franks verausgabt. Die Einnahmen
betrugen 734 098 628 Franks. Eine zweite Serie von Obligations
Nouv. sollte am 26. Juli zur Ausgabe gelangen, von Lesseps meint,
dafs die Angriffe gegen sein Werk und seine Leitung nur bezweckten,
den Kurs der Aktien herabzudrücken, damit die Feinde und Ver-
leumder billig in den Besitz derselben gelangen könnten. Man wolle
die französische Gesellschaft stürzen und auf ihren Ruinen irgend-
welche kosmopolitische Gesellschaft errichten. Er giebt endlich zu,
dafs es nicht gelungen sei, die notwendige Anzahl von Arbeitern
zu beschaffen und dafs es nicht gelingen werde, wie berechnet war,
im Jahre 1887 24 Millionen Kubikmeter auszuheben. Durch Nacht-
arbeit bei elektrischem Lichte und Einstellung einer gröfseren Anzahl
von Maschinen solle die Arbeit beschleunigt werden, auch solle die Tiefe
des Kanals vorerst eine geringere sein, um die Eröffnung desselben
im Jahre 1889 zu ermöglichen. Zum Schlüsse wird gesagt, dafs
ein Gutachten der Oberaufsichtskommission über verschiedene Pro-
jekte zu einem Schleusenkanale eingeholt worden sei. Dieser even-
tuelle Schleusenkanal solle aber auf alle Fälle nur ein provisorischer
sein und allmählich in einen Niveaukanal umgeändert werden.
Vorläufig solle der Bau, um die Kosten zu sparen und die
Eröffiiung zu beschleunigen, vereinfacht werden. Zunächst solle die
Flutschleuse bei Panama fortfallen. F. von Lesseps, der überhaupt
oft andre Ansichten als die Fachmänner, welche die technische
Oberaufsichtskommission bilden, hat, und — wie aus den Berichten
von Rousseau und Pescheck heraus zu lesen ist — die Forderungen
derselben nicht immer beachtet, war stets ein Gegner dieser Schleuse.
Die Flutschwankungen in beiden Ozeanen sind sehr verschieden und
dürften die daraus resultierenden Strömungen den Verkehr sehr
erschweren. Herr von Lesseps legte diese Frage der Academie des
Sciences vor und Bouquet de la Grye erstattete am 31. Mai 1887
vor derselben Bericht^^). V\feiter soll die 5 km lange Erweiterung
des Kanales in seiner Mitte (um das Ausweichen zu ermöglichen)
fortfallen. Die Hafenanlagen auf beiden Enden sollen auf das not-
wendigste beschränkt werden. Der Damm von Gämboa soll kleiner
als ursprünglich geplant angelegt werden. Die Tiefe des Kanals
soll nur 6 — 8 m betragen. Mit den Überschüssen der Einnahmen
dieses halbfertigen Kanales (welche Überschüsse nur in der Phan-
") Comptes rendus des s6ances de rAcademie de^ ^<i\ft,XiR,^'&. lorss^.. ^^1?^ «
Siehe auch „Zentralbhü der Bau Verwaltung" Jahigaa^ ^TL., "^^^ ^^-
— 120 —
tasie des Grafen von Lesseps existieren) solle dann der Kanal ver-
tieft, erweitert, verbessert werden.
Charles A. de Lesseps, der älteste Sohn des Grafen Ferdinand
von Lesseps, hatte im Frühjahre 1887 den Isthmus in Begleitung
der Herren CoUu und Hutin (Chefingenieur das Kanalbaues) besucht.
Charles de Lesseps erstattete hierüber vor dem Verwaltungsrate
am 6. Mai 1887 einen sehr optimistisch gehaltenen Bericht^^. —
Von den ausgelegten 500,000 Obligations Nouv. 2. Serie wurden
trotz aller Anstrengungen nur 258,887 Franks gezeichnet.
Neunte auTser ordentliche Generalversammlung vom 1. März 1888.
Über die Hälfte der Berichte erfüllen Anklagen gerichtet gegen die
Gegner und Verleumder der Kompanie. Nur diese hätten es ver-
schuldet, dafs es nicht gelungen sei, 1200 Millionen Franks zu 5 bis
6 ^/o einschliefslich Amortisation aufzutreiben. Mit dieser Summe wäre
der Kanal „dem Programm gemäfs" erbaut worden. Das Gesuch
um Bewilligung der Ausgabe von Lotterieobligationen sei erneuert ^^
und durch zahlreiche Petitionen, gerichtet an viele Mitglieder der
Deputirtenkammer, unterstützt worden. Die geringen Arbeitserträge
des Jahres 1887 werden durch den Arbeitermangel, abnorme Regen-
fälle, Mangel an Vertrauen und Energie verschiedener Unternehmer
u. a. erklärt^®).
Am 25. September 1887 seien dem technischen Oberaufsichts-
rate folgende zwei Fragen vorgelegt : 1) Ist es möglich im zentralen
Gebirgsstocke ein Scheitelbecken anzulegen, welches die Fortsetzung
der Arbeiten am Niveaukanale durch Baggerung gestatten würde?
2) Wird es möglich sein, ohne Unterbrechung der Vertiefungsarbeiten
den maritimen Verkehr zwischen beiden Ozeanen zu eröffnen?
Herr von Lesseps behauptet, der Aufsichtsrat habe beide
Fragen einstimmig bejaht. Ich habe dagegen die Zeugnisse einer
ganzen Beihe der tüchtigsten Ingenieure publiziert gefunden, welche
die praktische Durchführung dieser Idee für unmöglich halten.
Selbst Eififel, der Erbauer des Schleusenkanals, ist der festen Über-
^*) Nach den offiziellen Angaben der Compagnie Universelle wurden bis zum
1. August 1887 ausgehoben etwa 38,000,000 kbm meist Erde, Sand, Schlanun.nnd
wenig hartes Feld. Für den ursprünglich geplanten Kanal wären also noch
mindestens 82, wahrscheinlich (nach unsrer heutigen Kenntnis der Gebirge, der
zahlreichen, unbedingt notwendigen Abzugsgräben für die Flüsse) aber bis 100 kbm
auszuheben gewesen. Genaue offizielle Daten über die Arbeitsleistungen bis
Ende 1887 fehlen. Dieselben betragen nicht eine Million Kubikmeter pro Monat.
Vom Januar bis August 1888 wurden je l,o bis 1,8 Millionen Kubikmeter pro
Monat ausgehoben.
^9 Balletin du Canal Interoc^anique No. 203.
^9 Einen Auszug bringt das BuUetm, ^^%, AÄW xiikÖL \^% l.
— 121 —
Zeugung, dafs derselbe als definitiv zu betrachten sei, eine Tiefer-
legung enorme Kosten erfordern und den Verkehr im Kanäle unter-
brechen würde *^).
Die erste Schleuse solle bei km 22,? (vom Atlantischen Ozean an
gerechnet) liegen. Zwei Schleusen mit Gefälle von je 8 m und drei
Schleusen mit Gefälle von je 11 m führen zum Scheitelbecken
empor. Dasselbe liegt 52 m über dem Niveau der Ozeane zur Zeit
der Ebbe. Nach der pazifischen Seite steigt der Kanal durch vier
Schleusen mit je 11 m und eine Schleuse mit 8 m Gefälle herab.
Für diesen Kanal seien nur noch 34 Millionen Kubikmeter auszu-
heben und könne der Kanal bis zum 1. Juli 1890 fertig sein. Die
Möglichkeit der Tieferlegung des Scheitelbeckens und der Fort-
lassung der beiden obersten Schleusen wird bereits angedeutet. Die
Kosten für diesen Kanal (einschl. Zinsen und Amortisation) werden auf
654 Millionen Franks berechnet.
Zur Deckung dieser Ausgaben und der Verzinsung der neuen
Lotterieobligationen seien vorhanden 110 Millionen, über welche die
Gesellschaft am 1. Januar 1888 zu disponieren hatte, und — 600
Millionen Franks als Ertrag der Ausgabe der „Obligations ä lots" ^®).
Bei einem Transit von 7,5 Millionen Tons (Zollgebühr 15 Franks
pro Ton) würde dieser Kanal rentieren, einen Üeberschufs von
21 Millionen Franks bringen. — Durch einen Brief von 15. November
1887 ^*) hatte Herr von Lesseps den Gründern, Aktionären u. a. der
Compagnie Universelle angezeigt, dafs er am selben Tage mit Herrn
Eiffel den Vertrag zur Erbauung des Schleusenkanals unterzeichnet
habe. Das „Journal Officiel" vom 9. Juni 1888 veröfientlicht das
vom Senate und der Deputiertenkammer angenommene und vom
Präsidenten Carnot genehmigte Gesetz, welches die Compagnie
Universelle, du Canal Interoceanique de Panama autorisiert, bis zu
720 Millionen Franks Lotterieobligationen auszugebend^).
Da es schon vorher an Geld fehlte, hatte die neunte General-
versammlung die Genehmigung zur Ausgabe einer 3. Serie von
Obligat. Nouv. erteilt. Der Erfolg dieser Anleihe war ein überaus
**) Siehe Paponot, Achevement du Canal de Panama. Paris, 1888. —
Zentralblatt der Bauverwaltung, 1888, No. 48. — „Deutsche Bauzeitung ", 1888,
No. 60. Hier finden sich auch nähere Angaben und Pläne über die geplanten
Schleusen.
^) Für Zinsen und Amortisation der Aktien der drei Serien alter
Obligationen und der zwei Serien Obligations Nouv. mufste die Gesellschaft
Ende 1887 bereits 72 Millionen Franks pro Jahr ausgeben.
'*) Bulletin du Canal Interoceanique 15 o. 1%.
'^ Siebe Bulletin du Canal Interoceanique "SÄo. ^VÄ.
— 122 —
kläglicher. Das Bulletin macht keine bestimmten Angaben. Der
Kredit der Gesellschaft war eben vollständig erschöpft. Die Stücke
der Obligat. Nouv. 3. Serie konnten später gegen Obligat, ä lots
umgetauscht werden. Von diesen wurden am 26. Juni 1888 2 Millionen
Stück zur Zeichnung ausgelegt.
Zehnte Generalversammlung vom 1. August 1888. Herr von
Lesseps sagt, dafs die Kassen der Gesellschaft vor Publikation des
Gesetzes vom 8. Juni 1888 (über die Lotterieobligationen), leer
waren. Eine kleine Gesellschaft von „patriotischen und ausdauernden
Freunden" schofs in dieser Not 30 Millionen Franks vor, und die-
selben Herren halfen wieder, als der Erfolg der Ausgabe der Lotterie-
obligationen ein ungünstiger war und die vom Gesetze geforderte
Kaution nicht eingezahlt werden konnte. Die Gesamtausgaben be-
trugen bis zum Juni 1887 = 799,666,436 Franks, die Einnahmen
über 957,6 Millionen Franks. Die voraussichtlichen Ausgaben bis
zum 1. Juli 1890 (vom 1. Juli 1888 an), wo der famose Schleusen-
kanal fertig sein soll, werden auf 607,200,000 Franks berechnet,
wovon 333,6 Millionen auf die Arbeiten, 24 Millionen auf die Ver-
waltung auf dem Isthmus, 4 Millionen auf die in Paris, 203 Millio-
nen auf Verzinsung und Amortisation gerechnet werden.
Mit wahrhaft verblüffender Kühnheit, um nicht einen andern,
richtigem Ausdruck zu gebrauchen, wird dann gesagt: Woraus
resultiert, dafs mit dem Produkte der Anleihe vom 26. Juni (Lotterie-
obligationen) und dem disponiblen Kapitale von 157,9 Millionen
Franks, die am 30. Juni 1887 baar vorhanden waren oder noch
ausstanden, der Zeitpunkt der Eröffiiung des Seekanals, der 1. Juli 1890,
erreicht werden kann, und alle Ausgaben bis dahin bestritten werden
können. Womit sollen die Ausgaben vom 1. Juli 1887 bis 1. Juli 1888,
die mindestens 220 Millionen betragen, gedeckt werden?
über den Stand der Arbeiten zum Schleusenkanale werden
folgende Angaben gemacht. Die erste Sektion der Kanaltra9e be-
ginnt bei der neuen Stadt Christophe Colomb beim alten Colon
(Aspinwall) an der Limonbai und geht bis 22,5 km. Hier werden
die Erd- und Schlammmassen fast ausschliefslich durch Bagger aus-
gehoben. Die „American Contracting and Dredging Company" hat
diese Arbeiten in Entreprise und hatte dieselbe am 1. Januar 1888
noch 7,290,000 kbm auszuheben; die „Entreprise Jacob", welche
gleichfalls einen Teil dieser Sektion übernommen hat, hatte noch
1,8 Million kbm fortzuräumen. Etwa 18 km dieser Sektion waren
mit einer Tiefe von 7 — 8 m schon Mitte 1888 fertig. Die zweite
Sektion geht bis 26,35 km. ünteinehmer : Artigue und Sonderegger.
-Es waren nur noch 675,000 k\)m tax >ö^^*^\a%%\i ^QascBjfiaL am
— 123 —
1. Januar 1888 gemeint). Dritte Sektion bis 44 km. Unternehmer:
Vignaud, Barbaud, Blauleuil & Compagnie. Es waren noch 7,884,000 kbm
auszuheben. Die Unternehmer sind kontraktlich verpflichtet, vom
1. März 1888 an pro Monat 400,000 kbm auszuheben und erklärt
Herr von Lesseps hier und an verschiedenen andern Stellen seines
Berichts, dafs die Gesellschaft streng auf Erfüllung der Kontrakte
halten und die Unternehmer für alle Verzögerungen verantwortlich
machen würde (durch Verlust der gestellten Kautionen).
Vierte Sektion bis 53,6 km. Unternehmer: „Societe de Traveaux
publics et Constructions". Es waren noch 4,800,000 kbm aus-
zuheben. Hier — und in der folgenden, kürzesten, bis 55,45 km
reichenden Sektion — sind nur Felsen fortzuräumen. Diese werden
erst durch Minen (Dynamit mit Pulver gemischt) oder Steinbohrer
zertrümmert und dann in Terrassen abgebaut. Unternehmer der
fünften Sektion sind die Herren Artigue und Sonderegger. Es waren
noch etwa 6,000,000 kbm fortzuräumen. Hier liegt im Cerro de la
Culebra der Scheitelpunkt der Route in über 100 m. Sechste und
siebente Sektion gehen bis 62,2 km und sind in denselben Händen wie
Sektion fünf. In der sechsten Sektion waren noch 450,000 kbm,
in der siebenten noch 1,550,000 kbm fortzuräumen. Achte Sektion
bis 68,1 km ist den Herren Baratoux, Letellier & Compagnie über-
tragen und waren hier noch 3,050,000 kbm fortzuräumen. Die sechs
letzten Kilometer des Kanals im Pazificozean selbst werden von der
Compagnie Universelle durch Bagger hergestellt. 2,i km waren
bereits bis auf 8 m (zur Zeit der Ebbe) ausgehoben. Herr Eiffel
hat sich verpflichtet, die Schleusen bis zum 30. Juni 1890 her-
zustellen und wird seit Februar 1888 mit grofsem Eifer an denselben
gearbeitet.
September bis November 1888 bereisten die Herren Ferdinand
und Charles A. de Lesseps einen grofsen Teil Frankreichs, obgleich
die physischen und geistigen Kräfte des ersteren seit Anfang 1888
eine merkliche Erschlaffung zeigten. Charles de Lesseps hielt
überall Vorträge über den Stand der Arbeiten, die RentabiHtät des
Kanals u. a. und — forderte zur Zeichnung von Lotterieobligationen
auf! Aber alle Mühe war umsonst, die Sparbüchsen der Aktionäre
und Obligationsinhaber waren leer. Es gelang nur 800 000 der
Loosobligationen unterzubringen.
Unter dem 29. November richtete von Lesseps ein überaus
phrasenreiches Schreiben an die Union der Aktionäre und ObUgations-
inhaber, worin er den Wunsch derselben, sich an die Spitze der
„Union" zu stellen, erfüllt. Weiter erklärt er^. da.fe ^t \^^^<^^
der mcht gezeichneten Lotterieobligationeiv avxsX^^'^^ xxnv ^^ tvx^'®^^'«^
— 124 —
ohne Unterbrechung fortsetzen zu können. Zugleich kündigt er die
Absicht an, die früheren Anleihen mit ihrer drückenden Zinsenlast
zu konvertieren.
In einem Briefe vom 14. Dezember 1888 zeigte Herr v. Lesseps
den Aktionären u. a. an, dafs das von ihm angegebene Minimum
von 400 000 Lotterieobligationen (11. Emission) nicht gezeichnet
sei^^), und stelle er deshalb die eingezahlten Gelder wieder zur Ver-
fügung. Zugleich wird bekannt gemacht, dafs vom 14. Dezember 1888
ab die Zahlung der Coupons und die Büelcaahlung der ausgeloosten
ObligcUionen eingestellt tverde! Nur die Verzinsung und Tilgung der
ObligcUionen Nouv, 3. Serie und der Obligationen ä lots, garantiert
durch ein Depositum in französischer Rente, sollten fortgesetzt
werden. Der Anfang vom Ende, vom Zusammenbruche der Compagnie
Universelle beginnt hier. Sehen wir nun zunächst, welches die
faktischen Einnahmen der Gesellschaft waren, wie dieselben ver-
wendet worden und worin die heutigen Aktiva derselben bestehen.
Die Compagnie Universelle du Canal Interoceanique de Panama
nahm ein aus:
I. Aktienkapital; 580 000 Aktien ä 500 Frks.,
eingezahlt in vier Raten, die letzte am
30. September 1886. Während der Bauzeit
mit 5 ®/o verzinst. Brachten ein 290 000 000 Frks.
IL 250 000 Obligationen; ausgegeben Septbr.
1882, Nennwert 500, verzinst mit 5^/o,
brachten ä 437 109 375 000 „
III. 600 000 Obligationen; ausgegeben Oktbr.
1883, Nennwert 500, verzinst mit 3®/o,
brachten ä 285 171 000 000 „
IV. 458 277 Obligationen; ausgegeben Septbr.
1884, Nennwert 500, verzinst mit 4 ^/o,
brachten ä 333 144819000 „
V. 458 802 Obligationen Nouv. 1. Serie; aus-
gegeben 1886, Nennwert 1000, verzinst mit
30 Franks, brachten ä 450 206 460000 „
VI. 258 887 Obligationen Nouv. 2. Serie; aus-
gegeben 1887, Nennwert 1000, verzinst mit
30 Franks, brachten ä 440 110 000 000 „
VII. Obhgationen Nouv. 3. Serie; ausgegeben
1888. Fehlen alle genauen Daten. Zum
Transport 1 031 654 000 Frks.
^ Es waren nur gegen 200 000 gezeichnet.
— 125 —
Übertrag 1 031 654 000 Frks.
gröfsten Teile gegen Obligationen ä lots
umgetauscht.
Vin. 800 000 Obligationen ä lots; ausgegeben
Juni 1888. Bringen 15 Franks Zinsen und
werden durch Gewinne(500 000 bis 1000 Frks.)
oder zu je 400 Franks zurückgezahlt.
Brachten ä 350 Franks 280 000 000 Frks.
Totalsumme der Einnahme : 1 311 654 000 Frks.
Dabei waren von VIII bei Eintritt des Zusammenbruches, der
Zahlungseinstellung, erst drei Raten, also etwa die Hälfte des Kapitals,
eingezahlt. Zur Disposition der Compagnie Universelle haben also
faktisch nur gestanden : 1 171 654 000 Franks. Als ganz unkontrollierbar
sind hierbei die Einnahmen nicht in Rechnung gesetzt, welche für
die Gesellschaft aus der Anlage der vorhandenen Kapitalien (vor
definitiver Ausgabe derselben) erwuchsen. Dieselben können etwa
auf 100 Millionen gerechnet werden. Wir hätten also den Verbleib
von 1 271 654 000 Franks zu kontrolieren.
Nach der letzten offiziellen Abrechnung, vorgelegt der zehnten
Generalversammlung, bestanden die Aktiva in:
1. Palais der Compagnie Universelle in Paris mit
Möbeln und Büreaueinrichtung 2 025 072 Frks.
2. Immobilien, Ländereien und Gebäude auf dem
Isthmus 37 811 450 „
3. Möbel und Büreaueinrichtung 523 318 „
4. Maschinen und sonstige Werkzeuge und Mate-
rialien 90 068 153 ,
5. Vorräte und Proviant 6 855 466 „
6. Aktien der Panamaeisenbahn 93 878 225 „
7. 255 000 ha Urland, von denen 125000 in Darien liegen, und
zwar 100000 zwischen dem Rio Paya und Rio Mangle und zwischen
dem Rio Marca und Rio Pirri, und 25 000 zwischen dem Rio
Yape und Rio Pucro. Die restierenden 130 000 ha liegen in
zwei Komplexen in Chiriqui, der eine zwischen dem Rio Sigsola
und dem Rio Robalo, der andre zwischen dem Rio Catabella und
dem Rio San Pedro. ^^)
8. Die ausgehobenen Erd- und Felsmassen. Dieselben betrugen bis
Ende 1887 etwa 42 Millionen kbm. Dazu kommen pro 1888
12 695 107. Summa : 54 695 107 kbm.
'^) Hier ist zu bemerken, dais der Rio Sigsola ganz in unzweif&lk^^
costaricanischem Gebiete und weit vom Rio Robalo U^^l. C»o^W^vi.^ \3äK. wköo.
heraus gegen diese Bestimmung^ die übrigens nocli mc\it ^fe^saHxH *\^\., \ftö^sÄ^5Äx\.
— 126 —
Wieviel hiervon auf den eigentlichen Kanal und auf notwendige
FluTsableitungen, und wieviel auf zwecklose, durch mangelnde Ordnung
und das Fehlen klarer Pläne während der ersten Jahre verschuldete
FortschaflFung und Hin- und Herförderung von Boden kommt, l&fst
sich nicht angeben.
Die Aktien der Panamabahn sind zum teil verpfändet, das
Material (Eisenbahnen, Lokomotiven, Erdwagen und Karren, Bagger,
Erdbohrer u. a.) verliert enorm an Wert, sobald es unbenutzt bleibt.
Schon bis Ende 1888 waren viele der unbenutzten, unbrauchbaren,
oder einer auf dem Isthmus nicht ausführbaren Reparatur zu unter-
werfenden Maschinen verrostet und verkommen, im Schlamme ver-
sunken. Da bisher jede Abrechnung über die Zeit von Mitte 1887
an fehlt, überhaupt auch nie spezielle Daten über die Gehalte der
höheren und höchsten Leiter publiziert sind, so ist eine Kontrolle der
Geldverwertung unmöglich.
Wenn man bedenkt, dafs Urland in Colombia fast keinen Wert
hat, überall (®/io des ganzen Gebiets sind noch Staatsbesitz) zum
Preise von 5 bis 10 Franks pro Manzana (= 10 000 Qdr. Varas
ä 0,8 m) zu haben ist und vergebens angeboten wird, so erschrickt
man vor dem geringen Werte der faktisch vorhandenen Aktiva.
Doch kehren wir zur Geschichte des Zusammenbruches zurück.
Bereits am 14. Dezember 1888 legte der Finanzminister Peytral
der Deputiertenkammer einen Gesetzentwurf vor, für welchen er die
Dringlichkeit forderte und welcher besagt: Die Compagnie Universelle
du Canal Interoceanique de Panama ist autorisiert, vom 14. Dezember
1888 an ihre Zahlungen, auch die der Koupons der Aktien und
Obligationen und der Amortisation der letzteren, für drei Monate ein-
zustellen. Die Lotterieobligationen, ausgegeben auf Grund des Gesetzes
vom 8. Juni 1888, sind hierbei nicht eingeschlossen. ^^) Die Kammer
nahm die Dringlichkeit an und ernannte eine Kommission von 22 Mit-
gliedern zur Prüfung des Gesetzentwurfs. Diese beantragte Ablehnung,
und am 15. Dezember beschlofs die Deputiertenkammer mit 256 gegen
181 Stimmen, nicht in die Beratung zu treten.
Graf Ferdinand von Lesseps und die Mitglieder des Aufsichts-
rats legten am 14. Dezember ihr Amt nieder und beantragten beim
Präsidenten des Zivilgerichts des Departements der Seine die Er-
nennung von provisorischen Administratoren, um die Rechte der
Aktionäre und Obligationsinhaber zu wahren und die Fortsetzung
der Arbeiten zu sichern. Der Präsident ernannte sofort zu Admini-
^^ An dieser Stelle sei bemerkt, dafs Regierung und Parlament Frank-
reicha der Compagnie Universelle stets das giöl&te Wohlwollen bezeigt haben
ohne sieb und den Staat zu kompromittieren sich mc\it '«eilet em\iflkS^OQATiVstsä(«&
— 127 —
stratoren mit den weitgehendsten Vollmachten die Herren Denormandie,
früherer Direktor der Bank von Frankreich, Baudelot, früherer Prä-
sident des Handelsgerichts der Seine, und Hue. Die am 15. Dezember
gezogenen Lose der Obhgations Nouvelles, Serie 1 wurden nicht
mehr ausgezahlt.
Elfte Generalversammlung vom 26. Januar 1889. Der Bericht
der Administratoren, verlesen von Herrn Baudelot, zeigt vorsichtige
Ruhe und trägt den Stempel der Wahrheit. Er sticht also überaus
wohlthuend gegen alle vorige Berichte ab.
Zuerst gaben die Administratoren näher die ihnen vom Gerichte
erteilten Vollmachten an und hoben hervor, welche ungeheure Ver-
antwortung nach dem Beschlüsse der Deputiertenkammer vom
15. Dezember auf ihren Schultern geruht habe. Sie hätten den
Premierminister — als am 16. und 18. Dezember alarmierende
Depeschen vom Isthmus ankamen — ersucht, sofort einige Kriegs-
schiffe nach Panama und Colon zu dirigieren. Um die Fortsetzung
der Arbeiten wenigstens für die nächste Zeit zu sichern, suchten die
Administratoren eine Anleihe zu machen. Sie waren nicht kompetent
in der Frage der Bildung einer mit der Vollendung des Kanales
betrauten Gesellschaft. Die vergeblichen Verhandlungen, um eine
Anleihe zu Stande zu bringen, werden geschildert. Sie scheiterten
daran, dafs die grofsen, im Prinzipe zur Hilfe bereiten französischen
Bankhäuser und Kreditinstitute verlangten, eine von ihnen ernannte
Konmiission von Ingenieuren und Kaufleuten solle nach dem Isthmus
gehen und genauen Bericht über den Stand der Arbeiten erteilen.
Hierfür verlangten sie sechs Monat Zeit und verpflichteten sich während
derselben, um die Arbeiten nicht ganz abzubrechen, pro Monat
2 Millionen Franks vorzuschiefsen.
Die Administratoren antworteten auf diese Vorschläge: Es sei
dies eine viel zu geringe Summe für eine Gesellschaft, welche (Ende
1888) allein 90 Millionen Franks für Zinsen und Amortisation zu
zahlen habe. Aufserdem verlangten die Darleiher, dafs ihnen für
diese 12 Millionen das ganze bewegliche und verkäufliche Besitztum
der Gesellschaft verpfändet werde. Wenn nach Ablauf der sechs Monate
die neue Gesellschaft zur Vollendung des Kanals nicht gebildet sei,
trete die Compagnie Universelle wieder in ihre vollen Rechte ein.
Die Gegenvorschläge der Administratoren wurden nicht angenommen.
Endlich gelang es denselben durch direkte Verhandlungen mit den
Unternehmern die Fortsetzung der Arbeiten bis zum 15. Februar 1889
zu sichern. Zur Beschaffung der hierfür notwendigen G^VAst tksä^^xw
— 128 —
33,500 der Aktien der Panamäbahn deponiert und verpfändet werden^^.
Da die Versammlung nicht genügend besucht und also nach
dem Statute nicht beschlufsfähig war, konnte sie nur Beschlüsse in
Form von Ratschlägen erteilen. Sie konnte also nicht (wie beab-
sichtigt) die Auflösung der Compagnie Universelle bestimmen, Liqui-
datoren ernennen und diesen die Vollmacht zur Übertragung des
ganzen Besitzes der alten Gesellschaft oder eines Teiles desselben
an die neue erteilen.
Hierauf nahm Herr von Lesseps das Wort. Seine Bede ist
phrasenreicher und mehr mit Widersprüchen und trostlosen Angaben
gespickt, als alle vorhergehenden. Er teilt mit, dafs er die Bildung
einer neuen Gesellschaft zur Vollendung des Kanals in die Hand
genommen habe. Bereits am 20. Januar war ein provisorisches
Abkommen zwischen den Administratoren, den Präsidenten der alten
Gesellschaft und Herrn Werbrouck im Namen der Banque Parisienne
getroffen worden. — Frühere Verhandlungen mit dem Credit Poncier,
Credit Lyonnais, Comptoir d'Escompte und andern grofsen Finanz-
instituten, unternommen vor Ankündigung der Zahlungseinstellung,
blieben resultatlos, trotz des besten Willens dieser Institute, da
dieselben zunächst einen genauen Bericht unabhängiger Ingenieure
über den faktischen Stand der Arbeiten verlangten.
Die Bedingungen der neuen Anleihe, respektive bei der Bildung
der neuen Gesellschaft, waren folgende : Das Aktienkapital derselben
(„Compagnie Universelle pour l'achevement et l'exploitation du
Canal Interoc6anique de Panama") ist auf 30 Millionen in Aktien
ä 500 Franks festgesetzt, kann aber bis auf 60 Millionen Franks erhöht
werden. Die Einzahlung geschieht in drei Raten innerhalb fänf
Wochen. Während der Bauzeit erhalten diese Aktien 5*^/o Zinsen. —
Nach Eröffnung des Kanals sollen die Einnahmen dienen: Zur Bezahlung
der kontraktlichen Rate an die Regierung von Colombia, zur Ver-
waltung des Kanals, zur Verzinsung der Anleihen der neuen Gesell-
schaft und zur Verzinsung der Aktien derselben (mit 5®/o). Von
dem dann verbleibenden Ueberschusse erhält die alte Gesellschaft
(Compagnie Universelle du Canal Interoceanique de Panama) 80 ®/o,
die neue Gesellschaft 20 ^/o, von denen 16 ^/o als Dividende an die
Aktionäre verteilt werden. Wie man sieht, ist von Verwendung der
Ueberschusse zur Vertiefung des Kanals, zur Umwandlung desselben
in einen Niveaukanal, gar nicht mehr die Rede ! Die Listen für diese
neue Zeichnung sollten bis zum 2. Februar 1889 ausliegen.
^') 7. Lesseps und Genossen traten also erst zurück, als die Kassen gans
geleert, der Kredit völlig erschöpft, aWea ^erVor^a, mcNiV^ m^x T^i'K^VsiOLwarl
— 129 —
Die 60 Millionen waren übrigens eine lächerlich geringe Summe,
durch welche nur die ersten, dringendsten Ausgaben hätten gedeckt
werden können. Auch war es thöricht, zu dieser zweiten Gesell-
schaft einzuladen, ehe das Schicksal der alten entschieden war. Es
wurde weniger gezeichnet, als selbst die gröfsten Pessimisten erwartet
hatten. Man stiefs sich am Namen des Leiters und Machers der
neuen Gesellschaft. Aber selbst die Realisierung aller Pläne des
Herrn von Lesseps und Genossen mit Werbrouck, d. h. Unterbrin-
gung beider Aktienserien und der noch nicht plazierten 1 200 000
Obligationen ä lots, hätten nur 360 Millionen Franks eingebracht.
Davon hätten höchstens 300 Millionen Franks für die Arbeiten ver-
wendet werden können, was völlig ungenügend. Zahbeiche franzö-
sische Zeitungen tadelten es ganz offen, dafs man den Mann und
seine Clique, welche den vollständigen Ruin der Compagnie Univer-
selle verschuldet hätten, wieder an die Spitze stelle.
Weiter sagte Herr von Lesseps in seiner letzten Rede, dafs
noch 450 Millionen Franks für die Fertigstellung des Schleusen-
kanales notwendig seien, die beiden obersten Schleusen fortfallen
sollten und noch 35 Millionen Kubikmeter auszuheben seien. Selbst-
verständlich wird die Fertigstellung des Kanales für das folgende
Jahr zugesagt und versichert, dafs dieser Schleusenkanal nur als
Provisorium zu betrachten sei. Lauter Beifall belohnte diesen
„Bericht". Ein Aktionär bat danach ums Wort und versuchte ver-
nünftige Ansichten zu vertreten. Er bemerkte, dafs, wenn der Kanal
nach diesem neuen Anschlage wirklich fertiggestellt würde, er vom
ersten Jahre an mit einem Defizit von mindestens 24 Millionen
m
arbeiten müfste. Beim Worte „Defizit" wurde der Unglückliche
durch wütenden Lärm, Pfeifen und Zischen der fanatisierten oder
bezahlten Zuhörer oder unverbesserlichen Optimisten unterbrochen,
ihm das Wort entzogen. Die Aktien der alten Gesellschaft können nach
dieser Generalversammlung als ziemlich wertlos betrachtet werden.
Sie standen Ende Februar und Anfang März etwa 50, während sie
am 15, Januar noch mit 115, am 30. November 1888 mit 230 ver-
zeichnet waren. Ausgehoben waren im November 773 486 kbm, von
denen über 80 000 auf die Schleusen kamen, an denen Herr Eiffel
mit grofser Energie arbeiten Uefs.
In der letzten Nummer des Bulletin du Canal Literoceanique
vom 2. Februar wird bekannt gemacht, dafs von jetzt ab diejenigen
Nummern der Obligationen ä lots, die gezogen aber nicht abgesetzt
(gezeichnet) seien, nicht wie bisher wieder in die Trommel geworfen
würden, sondern dafs diese Gewinne der Compagnie Univet^eUfe t»^
gute kämen. Durch Gerichtsbefehl der ZmWLamm^x öäx 'Si^soiÄ ^wsv
QeographiBcbe Bl&iier. Bremen 1889. ^
— 130 —
29. Januar wurde Herr Hue zum Sequestrator der Compagnie Uni-
verselle ernannt und forderte er auf, die weiteren Einzahlungen auf
die Obligationen ä lots an von ihm errichtete (und bezeichnete)
Kassen zu leisten. Viele französische Zeitungen rieten energisch
hiervon ab, da die Gesellschaft bereits bankerott sei.
Wie unabhängige, kompetente Männer über die Sachlage
dachten, zeigt ein Artikel des berühmten Nationalökonomen Leroy-
Beaulieu im Economiste fran9ais vom 28. Januar 1888. Herr Leroy-
Beaulieu ist ein Anhänger des Panamäkanals und wurden seine
Urteile früher oft vom „Bulletin" zitiert. Es schreibt: Der Panamä-
kanal drohe Frankreich so viel als die an Deutschland gezahlte
Kriegsentschädigung zu kosten, ohne irgend welche Chancen ernst-
hafter Erträge und Verzinsung dieses Kapitals zu bieten. Die ein-
zige ökonomische Folge dieser Geldausgabe würde für Frankreich
sein, dafs die amerikanischen Fabrikate an den vom Pacific be-
spülten Küsten einen Vorteil über die französischen erlangen würden.
Leroy-Beaulieu erinnert an die früheren Versicherungen des Herrn
von Lesseps und seine Proteste gegen jeden Schleusenkanal. Die
Lotterieobligationen hält er nur für eine Erfindung, um Regierung
und Parlament mit der ganzen Angelegenheit zu beschäftigen. Die
Erträge dieser Losausgabe würden gering sein und würde die Ge-
sellschaft immer zur Ausgabe von Anleihen zu 8 — 9% ihre Zuflucht
nehmen müssen. Der Schleusenkanal würde noch fünf Jahre und
1^/2 Milliarden erfordern. Bis Ende Januar 1888 habe die Gesellschaft
etwa 42,000,000 kbm fortgeräumt und dafür 867 Millionen aus-
gegeben, = 20,6 Franks pro kbm im Durchschnitt. Die noch zu
bewältigenden 40,000,000 kbm würden also 800 Millionen kosten.
Die Arbeit sei jetzt besser organisiert und also billiger wie zu Be-
ginn des Baues, dafür seien aber auch fast nur noch Felsen aus-
zuheben. Ein Schleusenkanal werde nie einen Transit von über
6 Millionen Tons bewältigen können.
Am 10. Februar 1889 brachte die Zeitung „Le Temps" einen
Brief des Herrn von Lesseps vom 9. Februar, worin er den Zeichnern
der Aktien vom 2. Februar anzeigt, dafs er jetzt nicht im stände
sei, die neue Gesellschaft für die Vollendung des Panamäkanals zu
gründen, da das Gesetz für die Konstituierung der Gesellschaft die
Einzahlung des vierten Teils der ganzen ausgegebenen Aktien fordere,
welche Bedingung nicht erfüllt werden konnte. Er stellt deshalb
den Zeichnern die eingezahlten Summen zur Verfügung und verweist
die Interessenten an den Liquidator.
Die Bankerotterklärung der Compagnie Universelle wäre die
einzige Möglichkeit^ einen Teil der GeVdex ÖL\xie\i 'S ^xVwi 4«t Aktiva
— 131 —
(Einlösung der verpfändeten Aktien der Panamäbahn) zu retten,
Auflösung der Gesellschaft und Ernennung eines Liquidators kann
die Sache nur verzögern und durch neue, nutzlose finanzielle Operationen
verschlechtern. Auf dem Isthmus erlahmte die Energie der Unter-
nehmer seit August 1888, als es bekannt wurde, dafs der Kredit der
Compagnie Universelle erschöpft sei. Viele Arbeiter wurden entlassen,
einige Unternehmer setzten die Löhne herab. Überschwemmungen
zerstörten im Dezember viel Materialien und einen Teil der Bauten,
Dämme und Gräben. Die chilenischen und costaricanischen Arbeiter
sind bereits auf Kosten ihrer respektiven Regierungen in ihre Heimat
befördert worden. Anfang Februar kam auch ein Beamter der Re-
gierung von Jamaica nach Colon, um die Rückreise der Jamaicaneger,
welche etwa ^/s aller Arbeiter bilden, zu ordnen und Unruhen und
Blutvergiefsen zu vermeiden. Mitte März wurden die Arbeiten voll-
ständig eingestellt, Herrn Eififel forderte die Compagnie selbst hierzu auf.
Durch Urteil des Appellationshofes vom 8. März 1889 wur
der unerquickliche Kompetenzkonflikt zwischen dem Zivil- und
Handelsgerichte definitiv dahin entschieden, dafs die Panamäkanal-
gesellschaft als Zivilgesellschaft zu betrachten sei und also nicht
vom Handelsgerichte in Konkurs erklärt werden könne. Die Liqui-
dation der Gesellschaft (gerichtlicher Liquidator Advokat Brunes,
früherer Unterrichtsminister) nimmt also ihren Fortgang.
In der Deputiertenkammer schwiegen die Vertreter der Regierung,
als am 7. März der Antrag von einem Deputierten gestellt wurde : die
Regierung möge der Gesellschaft zu Hilfe kommen. Diese Interpellation
vnirde durch einfache Tagesordnung erledigt. Auf dem Isthmus sind
die Arbeiten seit dem 15. März völlig eingestellt. Die Magazine sind
verschlossen, die Zahl der Wächter und Soldaten, welche zum Schutze
der Materialien auf der Linie zurückgelassen worden, scheint ungenügend
zu sein, hört man doch bereits von verschiedenen Diebstählen.
Bleiben die Arbeiten sechs Monate lang ganz ruhen, so hat die
Regierung von Colombia das Recht (Artikel 22 Absatz 5 des Ver-
trages vom 18. Mai 1878), den Vertrag mit der Compagnie Universelle
zu lösen. Sie würde dann wahrscheinlich zunächst mit amerikanischen
Kapitalisten in Verhandlung treten. Diese halten sich bisher sehr zurück,
warten den Erfolg der Nicaragua Compagnie ab. Jede Hoffnung auf
Beschaffang neuer Kapitalien in Frankreich ist heute als eitel zu be-
trachten. Die Initiative zur Fortführung und Vollendung des Panamä-
kanals liegt bei der Regierung von Colombia oder bei den Regierungen
der europäischen Seemächte. Einer Vereinigung dieser gegenüber würde
die Eifersucht der Vereinigten Staaten sich als olaiffl[va.c)cÄ;\% ^t^n^kv^^t^.
Abgeschlossen Ende April 1889.
132
Das afrikanische Elfenbein und sein Handel.
Hierzu Tafel 4: Karte der verschiedenen Elfenbein-Arten und -Handelsgebiete.
Von Panl Beichard«
Inhalt: Herkunft des Elfenbeins. Zusammensetzung. Gewicht. Arten des
Elfenbeins : weich, hart, halbhart. Verbreitungsgebiet. Die Hauptausfuhrhäfen des
Elfenbeins und die Handelsgebiete. Gefundenes Bein. Die Elefantenjagd. Vor-
bereitung, Zaubermittel, Ausrüstung. Das Jagen. Jägergebräuche. Die Zähne. Das
Fleisch des Elefanten. Jagdgesetze und Reclitsgrundsätze. Beschädigte Zähne.
Rückkehr. Kostüm und Tänze. Matumera. Handel. Geschichtliches. Verwendung.
Betrieb des Handels an der Ostküste. Der frühere Handel. Wanjamuesi. Der
Mdäwa. Karawanenüberfälle. Ankunft an der Küste. Gebräuche dort. Die Inder.
Umständlicher Handel, Tauschwaaren. Rückkehr der Wanjamuesi. Eindringen der
Araber. Tabora. Arabische Emigranten. Ihre Handelszüge weiter ins Innere.
Ugogo. Politische Verhältnisse dort. Handelsabschlüsse mit den Eingebomen.
Handel am Nyassa, in Massai und an der Kapkolonie. Westküste. Tauschwaaren.
Elfenbeinmärkte. Gesamtausfuhr und Wert. Schlufs.
Im folgenden sollen keineswegs statistische oder kommerzielle
Betrachtungen angestellt werden, sondern es ist die Absicht, die
Herkunft des kostbaren Elfenbeins, die Art der Erbeutung und des
Handelsbetriebes mehr vom ethnographischen Standpunkte aus zu
behandeln.
Das Elfenbein bildet bekanntlich die grofsen Stofszähne des
Elefanten (Elefas afrik. L). Da diese Zähne ihren Sitz in dem
Zwischenkieferknochen haben, so entsprechen sie den Schneidezähnen,
nicht Eckzähnen, der Säugetiere. Sehr häufig hört man, so unglaublich
es auch kHngen mag, die Ansicht aussprechen, dafs der Elefant
seine Stofszähne öfters abwerfe, etwa so wie der Hirsch jährlich sein
Geweih. Das ist keineswegs der Fall, sondern der wurzellose Zahn
wächst ununterbrochen, so lange das Tier lebt und wird von einer
sehr grofsen Pulpa aus ernährt. Von der Alveola ausgehend, füllt
sie die spitz zulaufende Zahnholung in einem drittel bis halber, selbst
dreiviertel Länge aus. Es kommen aufser den nur nach Gramm
abzuwiegenden kleinen Milchzähnen, welche gewechselt werden,
Zähne in jedem Gewicht bis zu 50, 60, selbst 80 und 90 kg vor.
Das Elfenbein des Elefanten hat keinen Schmelz, sondern besteht
nur aus dem Zahnbein und Zement und enthält höchstens 50 — 60 ®/o
Mineralsubstanz. Das übrige ist Leimsubstanz als Bindemittel.
Der europäische Elfenbeinhändler unterscheidet nach Aussehen
und Eigenschaften drei Arten von Efenbein : das weiche, das harte oder
transparente und das halbweiche Elfenbein, während der afrikanische
diese Unterscheidung nicht kennt. Chemisch unterscheiden sich dieselben
wohl nach dem Prozentsatze der Mineral- und Leimbestandteile.
Etwaige chemische Untersuchungen darüber sind dem Verfasser nicht
bekannt gewoiden und wahrschein^cVi ii\i%^xÄs y^^"^^^*
— 133 —
Über das Aussehen und die Eigenschaften, wodurch sich die ver-
schiedenen Arten unterscheiden und was die Benutzung betrifft, läfst
sich im allgemeinen folgendes sagen : Das weiche Elfenbein hat eine
milchweifse Farbe, ist nicht durchscheinend, weniger spröde und
hat ein spezifisches Gewicht von 1,75. Es wird hauptsächlich zu
Klaviaturbelegen und zerschnitten am teuersten bezahlt. Das harte
oder transparente Elfenbein ist vor allem schwach durchscheinend
und hat in sehr leichtem Schimmer einen warmen gelblichen, rötlichen
oder grünlichen Ton und macht es dadurch besonders zu Schnitzereien
geeignet. Aufserdem findet es zu Messerheften Verwendung. Das
spezifische Gewicht des harten Elfenbeins beträgt 1,85.
Das halbharte Bein steht bezüglich aller Punkte zwischen den
beiden ersteren. Aus dünnen schlanken Zähnen aller drei Arten
von Elfenbein werden Billardbälle auf gewöhnUchen Handdrehbänken
von sehr geübten Drechslern ausgestochen. Man nimmt zu Billard-
bällen nur die dünnen Zähne, da dabei am wenigsten Material
verloren geht. Diese verschiedenen Elfenbeinsorten entstammen
derselben Elefantenart, werden aber von verschieden scharf abgegrenzten
Lokalitäten produziert. Es liefern so diejenigen Elefanten das weiche
Elfenbein, welche Länder Afrikas bewohnen, deren Flora dem
sogenannten Pori oder der lichten trockenen Waldregion und den
Savannen mit niederem Graswuchs und Knüppelhölzern angehören.
Die Elefanten mit hartem Elfenbein bewohnen ausschliefslich die
Eegionen der feuchten Urwälder und Savannen mit hohem Graswuchs.
Das halbharte Elfenbein wird von solchen Elefanten produziert,
welche Gegenden durchziehen, deren Flora beide obengenannte
Vegetationsformationen gemischt aufweisen.
Man kann also den Schlufs ziehen, dafs die Nahrung des
Elefanten von direktem Einflufs auf die Substanzbildung seiner
Stofszähne ist, da er in den aufgeführten Gebieten verschiedene
Nährpfianzen aufnehmen mufs.
Das Verbreitungsgebiet des Elefanten ist ein sehr grofses.
Der Riese der Tierwelt kommt in ganz Afrika südlich der Sahara-
gebiete vor, früher bis zum Kap. Jetzt ist er in dem Küstengebiet
auf einem Gürtel, dessen Breite zwischen 50 und 200 km wechselt,
vollständig ausgerottet, ebenso in der Kapkolonie. Auf der beige-
gebenen Karte ist dieses Gebiet farblos gelassen. Ferner zieht
sich von der Ostküste gegenüber Sansibar ein Streifen von wech-
selnder Breite quer durch den Kontinent, innerhalb dessen auf der
Karte ebenfalls weifs gelassener Fläche das edle Tier so gut wie
ausgerottet ist, so dafs nur einzelne Exemplare od^t y^vcÄ ^'st.^^s^
dort eilig durchziehen, nie sich aber auftiaU^iv Yöxov'evv.^ öä. tcäsn. ^^
— 134 —
mit der Feuerwaffe sofort vertreibt. Bei Witu an der Ostküste
kommt es dann zuweilen noch vor, dafs sich Elefanten bis an die
Küste verirren. Die Gebiete des harten und weichen Elfenbeins
sind ziemlich scharf getrennt durch einen mächtigen Bogen, welcher
sich von der Westküste unterm 15. ^ südl. Br. flach bis zum 2. oder
3.^ nördl. Br. in die Nähe des 24. — 25.® östlich von Greenwich
nach Osten dehnt, dann annäherend steil bis zum 10.® nördl. Br.
erstreckt, von da in scharfem Knie nach W. bis zum südlichen
Tsadsee, von da in flachem Bogen in ungefährer westlicher Richtung
und mehreren grofsen Krümmungen nach der Westküste zu verläuft.
Das Gebiet östlich dieser Grenzlinie gehört dem weichen,
das westlich liegende dem harten Elfenbein an. Nördlich vom Gebiet
des harten Elfenbeins etwa zwischen dem 15 ® östlich von Greenwich
bis 5 ® westlich von Greenwich in einer annähernden Breite von
20 Breitengraden, zwischen dem Tsadsee und Timbuktu südlich von
der Wüste, findet sich ein Streifen Gebietes mit halbhartem Elfen-
bein, und zwischen dem 1.® westlich von Greenwich und dem 5.®
von Greenwich, dem 5.® und 10.® nördl. Br., um Akra herum,
ein inselartiger zweiter Komplex halbharten Beines.
Wie schon erwähnt, werden durch diese Grenzlinien zugleich
Vegetationsformationsgrenzen gezogen. Selbstredend sind die Grenzen
nur annähernd damit gegeben. Die ungefähre Dichtigkeit des Vor-
kommens der Elefanten ist auf der Karte durch Farbenabtönung
dargestellt derart, dafs die dunkelsten Stellen die elefantenreichsten
angeben.
Die meisten Elefanten kommen vor östlich und nordöstlich
vom Victoria Nianza nach den Somali-, Galla- und Massailändetn zu,
dann an einem kleinen Fleck zwischen Tanganika und Bangueolosee
und im Norden des grofsen Kongobogens, in den noch gänzlich
unerforschten Ländern.
Sehen wir nun die grofsen Ausfuhrhäfen rings an der afrika-
nischen Küste an, so werden wir finden, dafs das dort exportierte
Elfenbein genau die vorausgegangenen Ausführungen bestätigt.
Beginnen wir mit Mogador an der Nordwestküste. Das dort
vorkommende Elfenbein ist nur halbhartes, das von Timbuktu her
durch die Wüste direkt nach Mogador kommt aus dem Gebiet
nördlich des harten Beins. Über dies hinaus geht das Handelsgebiet
von Timbuktu nicht.
Tripolis mit halbhartem aus dessen Gebiet am Tsadsee und
etwas wenigem weichen aus dem Bar el Gasalgebiet, auch einiges
aus den Haussaländern, wohin das Handelsgebiet von Tripolis sich
ausgedehnt hat Nach Alexandria komml ias\> ivxvt \q^\ricÄ^ xrod sehr
— 135 —
wenig hartes Bein. Das Handelsgebiet der ägyptischen Elfenbein-
händler im Innern ist sehr ausgedehnt und wurde vor den Unruhen
und Kämpfen im Sudan und Wadelei von ihnen bereist. Das ganze
Gebiet des Bar el Gasal bis zum Tsadsee, das ganze Nilquellgebiet
mit Ausnahme von Abessinien bis zum Mutansige und Victoria Nianza.
Der Karawanenweg für dieses Elfenbein führt den Nil hinunter.
Alles Elfenbein, welches nach Mogador, Tripolis und Alexandria
kommt, ist stark gerissen und zwar, weil es auf den langen Wüsten-
reisen schutzlos den glühenden Sonnenstrahlen während des Tages
und der oft unter Null herabsinkenden nächtlichen Temperatur aus-
gesetzt ist.
Abessinien produziert nur weiches Bein, welches bis zum Aus-
bruch der abessinischen Wirren von Massaua aus exportiert wurde.
Die Somaliländer exportieren gar kein Elfenbein, trotzdem sie,
besonders gegen den Victoria Nianza hin, neben den unerforschten
Nordcongoländern vielleicht die elefantenreichsten Länder sind.
Den Hauptelfenbeinhafen ganz Afrikas bildet Sansibar mit
hauptsächlich weichem und wenig hartem Bein. Das Handelsgebiet
Sansibars erstreckt sich weit nach allen Seiten über sämtliche inner-
afrikanische Seen, den Victoria Nianza, Mutansige, Tanganika, Meru
und Bangueolosee, sowie die nördliche Hälfte des Nyassasees ; ferner
zieht es sich über das Congoquellgebiet und den mittlem Congo. Im
Norden greift es zum Teil zwischen Victoria Nianza und Mutansige
in das Gebiet der ägyptischen Händler, im Süden in das vonMosam-
bique und Ealimani, somit in das Sambesigebiet, selbst in die
Kapregionen. Alles Elfenbein des Sansibargebietes kommt im
Innern in Tabora zusammen. Die am meisten begangenen Karawanen-
wege führen von Niangue über Ujiji nach Tabora und aus Uganda
ebendahin. Dort müssen nämlich neue Träger angeworben werden,
um das Elfenbein zur Küste zu bringen und zwar nach Mombas,
Fangani, Bagamoio und Dar es Salam. Nur das von Nyassa
kommende wird direkt nach der Küste bei Mosambique transportiert.
Mosambique und Kilimani an der Sambesimündung weisen nur
weiches Bein auf. In Mosambique kommt hier und da, wenn auch
selten, einiges hartes zur Küste. Das portugiesische Handelsgebiet
bei der Hafenecke greift im Norden in das der Araber von Sansibar,
im Westen in das der Westküstenhändler und im Süden in das
Kaphandelsgebiet ein.
Nun folgen die beiden Ausfuhrplätze Port Natal an der Ost-
küste und Kapstadt an der Westküste. Beide liefern nur weiches
Bein von sehr schöner weifser Farbe und sehr gesuchter Quali.tä.t».
Die Zähne dieses sogenannten Kapbeines amöi ^Ä.^ ^V-a^i^K. ^^Jkcqskss!^^
— 136 —
Das Handelsgebiet umfafst die nördlichen Kapländer, die Ealahari-
wüste und die Ngamiseeregionen.
Die grofse Strecke zwischen Kapstadt und Benguela ist ohne
Ausfuhrhafen für Elfenbein. Von hier beginnt mit der Angolaküste
die Region des harten Beines.
Benguela liefert meist hartes und noch einiges weiche Elfen-
bein, welches dem portugiesischen und Sansibar-Handelsgebiete
entstanmit.
Daran schliefsen sich San Paolo de Loanda und Ambrize mit
nur hartem Bein. Der Handel in den drei letztgenannten Orten
liegt hauptsächlich in den Händen der Portugiesen. Das Handels-
gebiet reicht weit nach dem Innern, besonders da der Elefant hier
bis weit landeinwärts ganz ausgerottet ist. Für dieses Handelsgebiet
spielt die jeweilige Residenz des Muata Jamvo dieselbe Rolle, wie
Tabora an der Ostküste, dort strömen alle Elfenbeinvorräte des
Innern zusammen, um von da aus nach Benguela, Loanda und
Ambrize dirigiert zu werden.
Die Congomündung hat erst in jüngster Zeit begonnen eine
Rolle als Elfenbeinplatz zu spielen und wird der Handel dort ent-
schieden stets wachsen, wie die Vermehrung der Waffen- und Mu-
nitionseinfuhr beweisen dürfte. Die ausserordentlich optimistischen An-
gaben Stanleys von dem ungeheuren Elfenbeinreichtum sind ent-
schieden übertrieben. Die Araber des Congo haben begonnen ihr
Elfenbein an Händler von der Westküste zu verkaufen, denn sie sind
dieser jetzt näher gerückt wie der Ostküste.
Der Westküste weiter folgend konmit Gabun an der Gabun-
mündung mit besonders schönem Schnitzbein und zwar nur hartem,
dann Kamerun mit ebenfalls nur hartem Elfenbein. Die Handek-
gebiete dieser beiden Häfen dehnen sich über die unmittelbar da-
hinter liegenden Länder und wahrscheinlich nicht sehr weit nach
dem Innern. Der Handel wird nur durch schwarze Händler ver-
mittelt, welche eifersüchtig ihr Monopol wahren. Das Elfenbein
des Niger -Benue wird auf der Wasserstrafse zur Nigermündung
gebracht und ist nur hartes mit einigem halbharten. Nach Lagos
kommt nur hartes Elfenbein, während Akra ausschliefslich halb-
hartes ausführt, umschlossen von dem inselartigen Gebiet des halb-
harten Beines.
Die Senegalmündung exportiert nur hartes Bein, welches zum
Teil auch auf dem Transport zur Küste Risse bekommt, dieses ist der
letzte Ausfuhrhafen und halten wir damit unsern Rundgang vollendet.
Kleinere Ausfuhrplätze, wie Liberia und Monrovia an der
Westkäste, kommen wenig in Betracht xmöi ÖL\ft\öa^'^Ä^^ ^<^ \kks1i
— 137 —
zu nennen ist, und welche dasselbe Elfenbein wie Tripolis ausführt,
ist eigentlich mehr eine Zwischenstation, wie denn überhaupt nur
die bedeutendsten Häfen genannt wurden.
Von allen den grofsen Quantitäten Elfenbein, welche aus Afrika
ausgeführt werden, ist der verbreiteten Ansicht entgegen nur ein
ganz verschwindend kleiner Prozentsatz gefundenes und dies erklärt
sich sehr leicht. Ist ein Elefant verendet, so werden die Fleisch-
teile in der kürzesten Zeit durch Raubtiere und Raubvögel verzehrt
sein. Die Knochen und Zähne werden dann vom Grase überwuchert.
Dieses trocknet im Mai und Juni vollständig aus und dann ziehen,
Ende Juli bis August, durch ganz Afrika die durch die Schwarzen
angelegten Grasbrände hindurch, natürlich auch über die Knochen-
reste des Elefanten. Ein einziger solcher Brand des nicht allzu
mäfsigen Grases genügt vollkommen, die sehr leicht zerstörbare
Masse des Elfenbeins bis auf einen schwachen Kern zu kalcinieren
und der im nächsten Jahr sich wiederholende Grasbrand zerstört
den Zahn vollständig, so dafs er nach einigen Regengüssen total
zerfällt und vielleicht nur ein weifser Streifen die Stelle bezeichnet,
wo das Werk der Vernichtung vor sich gegangen ist. Das dritte
Jahr hat dann alle Spuren verwischt.
Dabei kann es nun vorkommen, dafs der eine Zahn des stürzenden
Tieres unter Umständen in regendurchweichten Boden eingedrückt
oder durch Regengüsse in Erde und Sand eingebettet wurde. Diesem
können die Grasbrände vorläufig nichts anhaben und erst, wenn der
Schädel durch Feuer und Witterungseinflüsse zerstört wurde, wird
der nun blofsgelegte Teil des Zahnes ebenfalls zerstört. Die geschützten
Teile dagegen bleiben wohl erhalten, und derartig halb eingebettete,
halb verbrannte Zähne sind es auch, welche in der That gefunden
werden.
Wird ein solcher Zahn aber durch Wasser mit Erde und Sand
ganz verschüttet, oder zufällig vielleicht beim Kampf der Raubtiere
um den Kadaver aus der Kinnlade gelöst und verschleppt und eben-
falls verschüttet, so bleibt der Zahn, in letzterm Fall vollständig,
erhalten, ist aber ganz und gar verloren, da er dem menschlichen
Auge unsichtbar, nicht gefunden werden kann und nur durch Erosion,
die Hacke eines Eingeborenen und in spätem Zeiten vielleicht durch
den Pflug eines Kolonisten wieder zu Tage gefördert werden könnte.
Ist ein Elefant im feuchten Urwald eingegangen, wo Grasbrände
niemals durchziehen, so werden die Überreste bald von abfallenden
Blättern begraben sein oder dieselben versinken allmählich im Schlamm
und selten nur werden solch versunkene Zä\vive öixxtdsv Tjx&aÄ. «xä
Licht kommen.
— 138 —
Nur in einem Falle bleiben die Zähne sicher an der Erdober-
fläche erhalten ; wenn nämlich das Tier in einem trocknen Urwald-
streifen der Flufsuferwälder lichter Waldregionen verendet. Dorthin
dringen weder Grasbrände, noch vermag der Schädel mit den Zähnen
zu versinken.
Die Neger, welche jetzt in allen Teilen Afrikas, wo Elfenbein-
händler hinkommen, die Wälder fortwährend nach allen Seiten durch-
streifen, lassen übrigens kaum jemals einen kranken Elefanten dazu
kommen, eines natürlichen Todes zu sterben und aus diesem Grunde
allein kommt es jetzt selten vor, dafs Elfenbein gefunden wird.
Als der Wilde den Elefanten nur um seines Fleisches willen
jagte, liefs er die Zähne meist liegen, da er keine Verwendung dafür
kannte. Höchstens verarbeitete er kleinere Zähne zu Trompeten oder
Mehlstampfern. Mit dem Eindringen der das Elfenbein begehrenden
Händler dagegen erinnerte man sich, früher da und dort einen Ele-
fanten getötet zu haben und holte die Zähne, um sie zu verkaufen,
soweit sie noch aufzufinden waren. So kam es auch, dafs, als vor
10 bis 15 Jahren die mittlem Congogebiete dem Elfenbeinhandel
erschlossen wurden, noch vielfach gefundenes Elfenbein auf den
Markt kam. Dies dürfte jetzt aber fast ganz aufgehört haben.
Heutzutage wird der Elefant wohl nur noch in den un-
erforschten Ländern im Norden des grofsen Congobogens aus-
schliefsUch um seines Fleisches willen gejagt, während man im
ganzen übrigen Afrika eifrigst bemüht ist, das edle Wild um seiner
Zähne willen auszurotten.
Vor Einführung der Feuerwaffen wurde der Elefant allgemein
mit dem Speere oder vergifteten Pfeilen gejagt. Livingstone war
noch Zeuge solcher mit Speeren ausgeführten Jagden im südlichen
Seengebiete, wo jetzt nur noch mit dem Gewehr durch die Ein-
geborenen gejagt wird. Mit vergifteten Pfeilen jagen die Warua,
die Neger der Congowälder und an der Ostküste der Jägerstanun
der Wandorobo. Die Massai gehen den mächtigen Tieren mit blanker
Waffe zu Fufs zu Leibe, indem sie dieselben stellen und zu 20 bis
30 mit Schwert und Lanze töten, wobei ihnen ihre grofse Fertigkeit
in andauerndem Schnelllaufen sehr zu statten kommt.
Die Somali, Galla und Abessinier jagen zu Pferd und durch-
hauen mit einem Hieb mittels breiter arabischer Schwerter die
Achillessehne des Tieres, welches sich auf drei Beinen nicht bewegen
kann. Die Haussa jagen den Elefanten mit vergifteten Pfeilen,
welche sie aus Gewehren schiefsen. Einige Niassastämme jagen den
Elefanten mit gioken Hundemeuten, welche die Tiere einzeln stellen
and werden sie dann von den Jägern m\l LaivLcrv xäA^I^^^ti ^\&^8t
— 139 —
In sehr alten Zeiten sollen sie auch in Fallgruben gefangen
worden sein. Doch scheint dies nirgends mehr gebräuchlich und
wird der vorsichtige Elefant sich schwer so fangen lassen.
Für den afrikanischen Jäger erfordert die Jagd auf Elefanten
eine Menge Vorbereitungen. Er betreibt übrigens diese wie alle
Jagden durchaus nicht als Sport, sondern als eine Arbeit, und nur
um der Beute willen. Wie sollte auch der fortwährend mit der
Natur in engster Berührung stehende und mit ihr im Kampfe liegende
Wilde gerade in einer dieser Xampfarten ein Vergnügen finden und
als Erholung betrachten, was ihm anderweitig überall als eine Wider-
wärtigkeit erscheint!
Die Haupt Vorbereitungen für die Jagd beziehen sich auf Amulette
und Fetische. Alle alten erfahreneu Elefantenjäger verstehen sich
auf Herstellung derselben. Es wird unter anderm ein Absud von
Kräutern mit geheimnifsvoUen Zaubermitteln gemischt und diese in
Hauteinschnitte des Körpers hineingerieben, also eingeimpft und zwar
an Körperteilen, welche beim Gebrauch der Wafifen am meisten in
Mitleidenschaft gezogen werden: der Fundi (Meister) ritzt vier- bis
fünfmal dem betreffenden Jäger die Haut der Schläfe in der Nähe der
Augen und bringt die Uganga (Kiunjamuesi) Dana (Kisuaheli) in die
Wunde, um dem Auge'Schärfe zu geben. Dann werden eben solche
Impfungen an der Aufsenseite des Unterarms und besonders in die
Haut, welche sich auf der äufsern Hand über das dritte Daumen-
und Zeigefingerglied spannt und zwar an beiden Händen vorgenommen,
um diesen möglichste Sicherheit bei Handhabung der Waffen zu geben.
Auf diese Impfungen wird bei Elefantenjagden ein grofser Wert
gelegt und niemand würde es wagen, ohne solche Vorbereitungen
einen Jagdzug zu unternehmen, zumal diese Uganga (Zaubermittel)
nicht nur Erfolge sichert, sondern auch den Jäger vor den Gefahren
der Elefantenjagd schützt.
Der Verfasser hat in allen von ihm bis zu dem Congoquell-
gebiet durchreisten Ländern dieselbe Sitte gefunden. Über dies-
bezügliche Gebräuche andrer Stämme ist noch nichts bekannt ge-
geben worden. Die auf Jagd bezüglichen Sitten entstammen wahr-
scheinlich meist den Makoa von Lufidji, welche mit Ausnahme der
Wandorobo als die besten Elephantenjäger gelten können und welche
allenthalben bis über die Seen nach Westen hinaus diesem Hand-
werk obliegen, so dafs Makoa und Elefantenjäger synonyme Worte
geworden sind. Nur der Elefantenjäger als solcher besitzt die Mittel
zur Herstellung dieser angeblich äufserst wirksamen Zaubermedizin.
Der Jägermeister verkauft nun das eben ai^^^iöJatk.^ \s!K^\xs^j^'^
entweder, oder aber er impft es seinen GeYiüVteiv waöi ^^'täöxXÄTö. «av.
— 140 —
nur um sichern Beistand zu haben. In ersterem Falle gehört die
Jagdbeute dem Käufer der Medizin, doch mufs er dem Verkäufer
einen grofsen Teil der ersten mittelst der Zaubermittel errungenen
Beute abtreten, da man den Hersteller selbst nach dem .Verkauf in
einem gewissen geheimnisvollen Zusanmienhang mit seinem Mittel
glaubt. Die Bedingung wird stets erfüllt, da man im andern Falle
auf seinen Jagden für sein Leben besorgt sein mufs, oder vom Fundi
einen Waidmann gesteckt bekommt und so nicht mehr im stände ist,
etwas zu schiefsen. Etwaiger Verantwortung für die Wirkung seiner
Mittel entzieht sich der Verkäufer sehr schlau dadurch, dafs er stets
irgend einen Grund aufzufinden weifs, welcher ihn entschuldigt, z. B.
ungenaue Befolgung seiner Instruktionen oder das Verschulden eines
andern, der durch sein Verhalten die Wirkung der Medizin aufhebt.
Ein ziemlich unentbehrlicher Gegenstand für den Elefantenjäger
ist auch die Kimanda: die Schwanzquaste einer Antilope, am besten
vom Oreas, Kiunjamuesi Nimba, wird an der kurz behaarten Seite
auf 20 — 30 cm Länge durch häkelwerkartiges Umspinnen mit weifsen
Baumwollfäden mit einem handlichen Griff versehen und in diesen
das Hörnchen irgend einer Zwergantilopenart mit der Spitze ein-
gefügt. Die Höhlung füllt der Fundi entweder mit einer Mischung
aus Rufs, Wachs, Rizinusöl und geheimgehaltenen Zaubermitteln,
oder statt des Rufses mit rotem geriebenen Holz. Die Kimanda wird
vom Jäger mittelst eines dünnen Riemens am Handgelenk getragen
und dient zugleich zum Abwehren der Mücken und Stechfliegen.
Um den Hals auf der Brust trägt der Jäger ein Amulett,
welches in ein Stückchen dünnen Felles oder in ein Baumwollstoff-
päckchen eingenäht ist, an welchem seitwärts halbmondartig nach
unten gekrümmt zwei Löwen- oder Panterklauen befestigt sind. Als
kostbarstes Jagdamulett für den Jäger gilt ein vom Löwen her-
stammendes. Es geht nämlich die Sage, dafs sich der Löwe auf
seinen Streifzügen ebenfalls der Amulette bedienen müsse und er
infolge seines Lebenswandels eine grofse Praxis in der Herstellung
wirksamer Zaubermittel erlangt habe. Merkwürdigerweise mufs er
aber, ehe er ein Wild annimmt, gerade dieses sein Jagdamulett
irgendwo ablegen, da ihn mit dem Amulett am Körper selbst die
kleinste Zwergantilope bewältigen könnte. Wohl dem nun, der ein
solches auf kurze Zeit abgelegtes Amulett findet, er wird damit auf
der Jagd ein eminentes Glück haben. Ein solches kostbares Löwen-
amulett fand einst einer der schwarzen Begleiter des Verfassers. Es
war weiter nichts als ein abgefallener verfilzter Haarklumpen aus
der Mähne des Königs der Tiere.
Doch nicht nur der Körper des 3*ag>«ta \ä^ t^w ^öcääjiätl ^wad
— 141 —
gegen Gefahren zu feien, auch die Waffe selbst, sei sie Lanze,
Bogen oder Gewehr, mufs mit einer üganga (Medizin) versehen
werden und zwar meist in Gestalt zweier dicht neben einander
gereihter kleiner Holzzylinder von höchstens Bleistiftdicke und
1 — 1^/2 cm Länge vom Holze eines durch den Blitz getroffenen
Baumes. Auf der Schnur sind noch weifse Perlen oder Kauri-
muscheln aufgereiht und diese am Schaft der Lanze, des Gewehres
oder am Bogen befestigt. Einige Tage vor Antritt des Jagdzuges
mufs sich der Jäger allen geschlechtlichen Umganges mit Weibern
enthalten, welche auch hierbei, wie überall, eine wichtige Rolle
spielen. Sie dürfen übrigens den Jäger nicht auf seinem Jagdzuge
begleiten. Untreue des Weibes während der Dauer des Jagdzuges
giebt dem angeschossenen Elefanten Gewalt über seinen Verfolger
und dieser wird entweder getötet oder schwer verwundet. Sobald
daher der Elefantenjäger Kunde von der Untreue seines Weibes
erhält, zieht er heimwärts, selbst die vielversprechendsten Jagdgründe
verlassend. Der Verfasser lernte im Lande Ugunda in Unjamuesi
einen Elefantenjäger vom Stamme der Makoa kennen, welcher sich
während des Aufenthaltes des Verfassers auf einen Jagdzug auf
Elefanten begeben hatte und nicht zu Schufs kommen konnte. Als
ihm ein Sklave die Nachricht von der Untreue seiner im Heimats-
dorfe zurückgelassenen Weiber hinterbrachte, trat er sofort den
Rückweg an. Während desselben wollte er sein Gewehr durch
Ausbrennen mit Pulver reinigen. Durch eine übermäfsige Pulver-
menge brachte er dabei die Waffe zum Springen und zerschmetterte
sich den Daumen. Auch dieses Unglück setzte er auf Rechnung
seiner untreuen Weiber und verstümmelte, zu Hause angelangt, zwei
derselben auf solch bestialische Weise, dafs sie kurz danach den
Geist aufgaben.
Die Ausrüstung des Jägers besteht neben den Waffen aus
Lebensmitteln in Gestalt von Mehl, so viel jeder zu tragen vermag,
einem Kochtopfe, einer Matte zum Schlafen und einigen eisernen
Hacken zum Einkauf von Lebensmitteln. Bekleidet ist er mit zwei
kleinen Wildkatzenfellen zur Bedeckung der Blöfsen und höchstens
noch mit einem grofsen weichen Baumwollstoff zum Schutz gegen
nächtliche Kälte.
Die Waffen bestehen in langen Feuersteingewehren, andrer'
bedient sich der Jäger nicht, da er bei dem grofsen Kaliber
derselben sehr starke Pulverladung verwenden kann. Als Geschofs
verwendet er eiserne selbstgeschmiedete Kugeln, welche etwa drei-
viertel des Kalibers stark hergestellt werden, also den L^.\ii \Asakv-
rollen. Es werden stets drei bis vier ILxigeViv %Äa.ÖÄ\i \aA T.^'Kt
— 142 —
ganz lose, denn das Feststampfen der Ladung ist dem Neger unbe-
kannt und unbequem. Die Güte des Laufes erkennt der Neger mit
Recht daraus, ob er im stände ist, denselben mit seinen Zähnen
anzugreifen. Im andern Fall ist das Metall spröde und reifst oder
zerspringt leicht bei den ungeheuren Ladungen. Das Pulver wird
in den kleinen Fässern, in welchen es importiert wird, mitgeschleppt.
Zur Jagd mit Bogen und Pfeil bedient man sich der in dem
betreffenden Stamme allgemein gebräuchlichen. Die Lanzen för
Elefantenjagd sind abweichend von den Kriegswaffen gestaltet. Die
2^/2 Finger breite myrtenblattförmige Klinge ist in ein ^(2 bis
^U m langes und rundes Eisen von Kleinfingerdicke ausge-
schmiedet und steckt in einem 1^/2 m langen Schaft aus zähem
Holz von über Daumendicke. Das untere Ende ist in etwa 30 cm
Länge faustdick verstärkt, als Gegengewicht der schweren Klinge.
Als Zwinge für diese dient ein Stück Büffel- oder Antilopen-
schwanzhaut, welches ohne Naht aufgezogen, getrocknet, das Auf-
reifsen des Schaftes verhindert. Die Lanze hat eine ziemliche
Schwere, 8 bis 10 Pfund.
Wenn alle Vorbereitungen getroffen sind, wird ein Medizin-
mann befragt wegen eines günstigen Tages, denn nicht jeder ist
glückbringend. Ist ein solcher mit Sicherheit ermittelt, durch ganz
kindische Manipulationen, so mufs dem Jagdmsimu (Fetisch) ein
Opfer gebracht werden in Gestalt von einigen Prisen Mehl und
Pombe, das ist Bier, welch letzteres die Weiber in grofsen Quanti-
täten zu diesem Zwecke brauen müssen. Das Bieropfer besteht jedoch
darin, dafs dem armen Msimu eine ganz winzige Kalabasse voll
Bieres, vom Inhalte etwa eines Weinglases, vorgesetzt wird, während
das übrige Bier in grofsen Quantitäten in den durstigen Kehlen und
weiten Mägen der Jäger, deren Genossen, Anverwandten und Weibern
verschwindet.
Als die Elefanten noch zahlreicher in den Wäldern hausten,
brauchte man nur wenige Tagereisen vom Dorfe aus zu marschieren,
um gute Jagdgründe zu erreichen, tötete zuweilen sogar Elefanten
in den Feldern der Dörfer, wo sie eingebrochen waren. Damals war
es noch mögUch die Jagd mit dem Speer zu betreiben und oblagen
besonders die Wagalla, ein Mjamuesistamm, der etwa 14 Tagereisen
östlich vom Tanganika sitzt, dieser Jagd und zwar noch vor etwa
15 bis 20 Jahren.
Der Jagdzug, aus 20 — 30 Mann bestehend, von denen etwa
10 — 15 mit je zwei oder drei der schweren Jagdspeeren ausgerüstet waren,
folgte einer frischen Elefantenfährte *, die mächtigen Tiere pflegen im
Gänsemarsch ziemlich dicht hinteTeinandex z\x TCi-ax^ÖDAst^Ti xosÄ oo
— 143 —
entsteht, wenn nur drei bis vier Elefanten einander folgen, ein etwa
30 — 40 cm breiter Pfad, auf dem, wenn die Herde grofs war, noch
nach Jahrzehnten kein Gras spriefst.
Leise, mit schnurrendem Geräusch,- wie auf Zehen schleichend,
ziehen die Tiere durch den lichten Wald, hier und da einen Ast ab-
reifsend oder mit den Stofszähnen die Bastrinde eines Baumes
ablösendy um diese zu verzehren. Meist sind sie während der Nacht
unterwegs und ruhen am Tage im Schatten vom üferurwald oder in
Urwaldregionen an einer beliebigen Stelle. Es ist anzunehmen, dafs
die Elefanten meist im Stehen schlafen, denn nur sehr selten findet
man eine Stelle, wo ein liegender Elefant einen Abdruck hinterlassen
hat. Der Verfasser fand auf seinen zahlreichen Jagdstreifereien
immer nur Ruheplätze, nach welchen man hätte annehmen müssen,
dafs die Tiere während des Schlafes teilweise im Wasser gelegen
haben. An trockenen Stellen fanden sich niemals Anzeichen, dafs
ein Elefant auf der Erde liegend geruht hätte, während solche vom
Rhinozeros sehr zahlreich zu finden sind und diese Tiere oft im
Schlaf liegend getötet werden. Selbst die Eingeborenen wissen
nichts von liegend schlafenden Elefanten zu berichten und nur höchst
selten soll man solche gesehen haben. Der Betreffende, welcher
einen schlafenden Elefanten gesehen hat, mufs dann ungesäumt
die Hülfe eines Fetischmanns in Anspruch nehmen, wenn er nicht
nach dem Aberglauben eines elenden Todes sterben will. Ist eine
Jagdgesellschaft in die Nähe einer Herde gelangt, so postiert sich
ein Teil mit den Lanzen auf Bäumen in 2 — 4 m Höhe, während
die andern die Tiere durch kaum hörbares Anklopfen an Bäume
und leises Astknicken auf die auf den Bäumen Lauernden zutreiben,
ohne dafs die Tiere merken dürfen, dafs man sie treibt. Von den
hohen Sitzen herab schleudern dann die Jäger dem unten vorbei-
ziehenden Tiere die haarscharfe Lanze in den Körper, so dafs oft
schon ein Stich genügt, eine tötliche Verletzung herbeizuführen.
Zuletzt verblutet der Riese, von allen Seiten mit leichteren Speeren
beworfen.
Wird der Elefant mit vergifteten Pfeilen beschossen, so genügt
ein einziger gut sitzender Schufs, um bald den Tod eintreten zu
lassen und warten die Jäger einfach die Wirkung ab.
Bei der Jagd mit Feuerwaffen folgen die Jäger in geringer
Anzahl, oft nur zu drei oder vier, manchmal tagelang den immer
seltener werdenden Elefantenherden unter unsäglichen Anstrengungen
im Eilmarsche, denn die Tiere marschieren ohne die geringste An-
strengung sehr schnell.
Auf höchstens 10—20 Schritte schleicht Ä\Äi d.^x ^OdSäjiä ^tj.
— 144 —
das Tier und giebt mit festangelegtem Gewehr, dabei den linken Arm
gewaltsam nach vorne streckend, den mit ungeheurer Pulverladung
versehenen Schufs ab. Man zielt dabei entweder auf das Blatt, die
Ohren oder ein Bein, die Knochen sind sehr spröde und daher
der letztere Schufs ein ziemlich guter. Wie schon früher erwähnt,
vermag das schwere Tier nicht auf drei Beinen zu marschieren.
Der Schufs ins Auge wird ungern angebracht, weil dadurch leicht
der bis an die Nähe desselben reichende Zahn beschädigt und auf-
gerissen werden kann, ebenso vermeidet man den Schufs spitz von
vorne, die Kugel ricochettiert meist am zurücktretenden Schädel oder
verliert ihre Kraft, wenn sie den Rüssel passieren mufs. Ist das Tier
nicht im Feuer gestürzt, so mufs es oft auf grofse Strecken hin verfolgt
werden. Mit weitern Kugeln wird es dann abgefangen. Die Jagd ist
immer sehr gefährlich, da der Elefant, wenn er nicht sehr krank ge-
schossen oder n!it Speeren schwer verwundet ist, fast immer den Jäger
annimmt und ihn zu töten sucht, sich dabei aber nie seiner Stofs-
zähne bedient, sondern ihm einen Rüsselhieb versetzt und dann zertritt.
Diejenigen, welche noch keinen toten Elefanten oder überhaupt noch
keinen gesehen haben, dürfen sich bei den Elefantenjägern Ostafirikas
nur mit einem grünen Zweig in der Hand dem toten Tiere nähern, weil,
wie sie sagen, „der Elefant ein grofses Tier ist." Es dürfte die
Sitte also als eine Ehrfurchtsbezeugung aufzufassen sein. Derjenige,
welcher zum ersten Male einen Elefanten erlegt hat, wird von den
andern feierUch auf den Kadaver hinauf gehoben (Kisuaheli knpan-
discha temboni) und mufs dort einen Kriegstanz auffuhren (Kutammba).
Die Erlaubnis, wieder herabsteigen zu dürfen, erkauft er sich mit
einem Geschenk oder dem Versprechen, Bier für die Jagdgenossen
zu kaufen. Die Jagdgenossen, welche zur Stelle sind, besteigen dann
ebenfalls den Kadaver, wie auch nochmals der Jäger und machen
sich dann jeder einige kleine Einschnitte in die Zehen, um die Wunde
dann mit Pulver einzureiben. Die Bedeutung dieser Zeremonie ist,
um etwaigen bösen Zauber, der vom Elefanten ausgeht, zu paraly-
sieren und dann auch, um dieselbe Fähigkeit im Laufen wie der
Elefant zu erlangen. Man nimmt an, dafs derselbe im Besitze starker
Zaubermittel ist und auch eine Art bösen Blickes habe, denn es ist
miko (schlecht mit mysteriöser Nebenbedeutung), wenn man von einem
Elefanten, der die Front zukehrt, angeblickt wird. Die Erklärung
dafür dürfte einfach die sein, dafs dann fast immer Lebensgefahr vor-
handen ist, weil der Elefant bei seinem schlechten Gesicht schon ziem-
lich nahe sein mufs, um jemanden zu erblicken.
Der glückliche Schütze schneidet nun die Schwanzquaste ab,
als Beleg, dah das Tier wirklich eT\egt \a\> xvaöi 7ÄSL^^\a\i ^vaen Au»-
— 145 —
weis über die Anzahl der erlegten Elefanten zu haben. Aus einigen
der stricknadeldicken Schwanzhaare legt er sich einige- Ringe um
den Hals, um dieselben im Lager zu vermehren und dort mit kunst-
gerechten Knoten zu schliefsen, und um die Knöchel ebenfalls einige
zu legen.
Nun geht es an das Ausbrechen der Zähne, welcher Prozedur
nur zünftige Jäger zuschauen dürfen. Diese Arbeit erfordert grofse
Vorsicht und Geschick. Zunächst wird das den Zugang zur Kinn-
lade versperrende Muskelfleisch weggeschnitten und dann mit Beilen
die Knochen sorgfältig und behutsam weggehauen, damit der Zahn
nicht verletzt wird. Die Pulpa wird sodann herausgenommen und
vergraben und duldet besonders hierbei der Elefantenjäger keinen
unberufenen Zuschauer. Den Grund des Geheimhaltens der Pulpa
konnte der Verfasser nicht ausfindig machen.
Die Zahnhölung wird mit frischem Mist des Tieres ausgefüllt, um
ein langsames Trocknen herbeizuführen und ein Einreifsen des Zahnes
an den Höhlungsrändern und im Innern zu verhindern. Sonst werden
keine Vorsichtsmafsregeln getroffen und nur die Haussa der Westküste
nähen die Zähne zum Schutze gegen Witterungseinflüsse in Häute.
Der Rüssel mit dem besten Fleisch gehört dem Jäger und dörrt
sich die Jagdgesellschaft so viel Fleisch wie möglich, um es zu
verkaufen und selbst zu verzehren. Den Rest des Kadavers verkauft
man an Eingeborene und schenkt dem Häuptling des Landes einen
Teil des gerösteten Fleisches.
Die Haut der riesigen Ohren wird sorgfältig abpräpariert und
werden damit Trommeln überzogen, die einen sehr lauten hellen
Klang geben. Aus dem Zwergfell bereitet sich der Jäger einen
Mantel und aus der Harnblase mehr des Spafses halber eine Mütze.
Die Warna schneiden aus der oft drei fingerdicken ovalen Fufssohle
feine flache Riemen, die sie, zu vier bis sechs nebeneinandergesetzt,
zu Gürteln verwenden. Es bleibt also vom Elefanten aufser den
Knochen und Kauzähnen nichts unbenutzt.
Es gilt nun der Grundsatz, dafs die Zähne demjenigen gehören,
der Pulver und Gewehr geliefert hat. Als die Elefanten noch zahl-
reich waren und gemeinsam Jagd gemacht wurde, gehörten sie dem
Stammes- oder Ortshäuptling. Ferner, dafs demjenigen Häuptling,
auf dessen Gebiet der Elefant verendet, der Zahn gehört, welcher
die Erde berührt, der andre dem Jäger. Dasjenige Gebiet, in
welchem er nur angeschossen wurde, kommt nicht in Betracht.
In dem seltenen Fall, wo der Elefant zusammengebrochen ist,
ohne auf die Seite gefallen zu sein und die Jäger nicht vermochten
ihn umzuwerfen, so dafs vielleicht beide Zahxiö öiexi 'äoöä\i \i^'r5^K:t«^^
Geograph lache Blatter. Bremen 1889. ^^
— 146 —
beansprucht er auch beide und nimmt sie in Empfang, wenn er in
der Lage ist, seine Ansprüche durchzusetzen. Im andern Fall, wo
durch einen Zufall keiner der Zähne den Boden berührt, beanspruchen
die Jäger beide. Sehr oft entstehen Kriege erlegter Elefanten und
des Elfenbeins wegen, besonders da, wo keine festgelegten Landes-
grenzen bestehen.
Die Häuptlinge haben das Monopol des Elfenbeinhandels ziemlich
an sich gerissen, seitdem es von Händlern so sehr begehrt wurde
und seitdem ein lebhafter Waffen- und Munitionsimport begonnen
hat. Es bedarf für einen Freien oder emporgekommenen Sklaven
schon eines sehr bedeutenden Einflusses und geradezu einer Macht-
stellung, um es wagen zu können, selbst Elfenbein zu erwerben, zu
jagen und dann zu verkaufen. Der in Afrika allenthalben herr-
schenden Unsicherheit wegen wird das Elfenbein, welches dort die
Rolle des Goldes spielt, aus Furcht vor der Habgier des lieben
Nächsten und aus Furcht vor Diebstahl aufs sorgfältigste versteckt.
Das im Kriege erbeute Elfenbein gehört immer und unter allen
Umständen dem kriegführenden Häuptling und wird mit seltener
Gewissenhaftigkeit abgeliefert und zwar deshalb mit so grofser
Gewissenhaftigkeit, weil auf Veruntreuung derselben Todesstrafe steht
und man es anderseits nicht zu verkaufen vermöchte, ohne dafs es
sofort allgemein bekannt würde.
Westlich vom Tanganika im Gebiete der feuchten Urwälder
pflegt man es allgemein im Schlamm von stagnierenden Gewässern
oder sonst in Gewässern zu verstecken, welche nicht von fliefsendem
Wasser berührt werden. Das von dort stammende Elfenbein nimmt
von dem schwarzen beizenden Schlamm oder dem eisenhaltigen Wasser
eine dunkelbraune bis schwarze Farbe an, welche jedoch nicht in
den Zahn eindringt. In Gegenden mit sehr eisenhaltigem Wasser
scheinen sich die Zähne auch schon am lebenden Tiere dunkel zu
färben.
Ostlich von Tanganika, wo solche Wasserplätze selten sind
und zu oft besucht werden, gräbt man die Zähne ein. Entweder
in der Hütte oder im Walde ganz versteckt werden tiefe Gruben in der
Nacht ausgehoben. Am Boden derselben werden Holzgabeln angebracht,
so dafs ein Zahn auf zwei Gabeln aufliegend frei in der Luft schwebt
und sich ausgezeichnet konserviert. Quer gelegte, mit feinen Zweigen
und Blättern bedeckte Hölzer verhindern das Eindringen der Erde
und das sorgfältige Verwischen aller Spuren läfst das Elfenbein un-
auffindbar machen. Nur der Besitzer oder höchstens sein Haupt-
lieblingsweib wissen darum.
Als im Jahre 1882 der bexücVitig^e Ti:a\iXi^x\v^\r^\\\^^ Simba in
— 147 —
Ukonongo im Lande ünjamuesi von dem ebenso berüchtigten Häupt-
ling Mirambo geschlagen wurde, gelang es ihm mit Hülfe seines
Hauptweibes und einiger Sklaven seine Elfenbeinvorräte zu retten
und im Walde zu vergraben. Um aufser dem Weibe keine Mit-
wisser zu haben, tötete er einen der Sklaven nach dem andern.
Nur der ganz mächtige Häuptling, welcher äufsere Feinde nicht zu
fürchten hat, pflegt es nicht zu vergraben oder ins Wasser zu ver-
senken, hält es aber dennoch für geraten, den Ort der Aufbewahrung
zweifelhaft erscheinen zu lassen.
Die Raubkriege, welche in Afrika immer wüten, seien sie unter
den Eingeborenen oder durch Araber unternommen, werden immer
in allererster Linie wegen des Elfenbeins ausgeführt und erst in
zweiter Linie kommt die Absicht auf Sklaven. Mancher Tropfen
Menschenblutes klebt so an dem Elfenbein. Doch nicht nur Menschen
stellen demselben nach; es wird auch vielfach von einem grofsen
Nager zerstört, wahrscheinlich nur zum Abnützen der übermäfsig
schnell wachsenden Nagezähne. Die Spuren an dem zernagten Bein
weisen immer auf dasselbe Tier. Wahrscheinlich ist es Cricetomys
gambianus, Waterhouse. Diese riesige Ratte kommt vom Tanganika
bis zur Westküste häufig vor. Der Verfasser sah in den Gebieten
östlich des Tanganika nie zernagte Zähne, der Nager scheint dort
nicht vorzukommen. In Ugunda am Victoria Nianza soll die Ratte
auch vorkommen.
Das Elfenbein weist auch neben Rissen oder Beschädigung durch
Brand, oder von Ratten zernagten abgebrochenen Zähnen Stellen
krankhafter Entartung auf.
Der Zahn ist seiner ganzen Länge nach vom sogenannten Kern
durchwachsen d. i. die bis zur Spitze reichende Pulpa, welche vom
Hohlungsende nach der Spitze zu beim normalen Zahn fadendünn
beginnt, verläuft immer feiner als schwarze Linie, verschwindet zu-
letzt entweder ganz in der Struktur oder ist bis zur Spitze als
feine schwarze Linie sichtbar. Bei kranken Zähnen kann es vor-
kommen, dafs der Kern als kleinfingerdicke Höhlung bis zur Spitze
läuft oder aber, dafs der Kern bis zur Spitze von sogenannten
Pocken durchschossen ist. Es sind dies dicht aneinander und
nebeneinander gereihte runde Knollen mit maseriger Struktur von
gelblicher und bräunlicher Färbung, Stecknadel- bis erbsengrofs.
Auch kommen tiefe Längsfurchen vor oder das Bein ist durch die
eisernen Kugeln stellenweise beschädigt, dabei kommt es vor, dafs
solche Kugeln mitten in das gesunde Bein eingewachsen, voll-
ständig unsichtbar werden. Alles dies verringert Ti'aiöa\\dö. öätl^^^V
des Zahnes,
— 148 —
Die Massai pflegen Elfenbein einfach in der Erde zu vergraben
und gehören die Zähne dort immer dem Jäger, d. h. demjenigen, der
dem Tier den ersten Schwerthieb oder Lanzenstich versetzt hat.
Häuptlinge erkennen die Massai bekanntlich nicht an.
Ist die Unsicherheit in den Ländern, welche man mit dem
Elfenbein zu durchziehen hat, zu grofs, so vergräbt man es im Walde
und überbringt vorläufig nur die Schwänze als Beleg dem Eigentümer.
Ist dieser ein Häuptling, so wird er zuerst begrüfst, im andern Falle
der Jagdfetisch, vor welchem man einige Fleischstückchen opfert
und dem Mfumu des Fetischs eine gröfsere Quantität überreicht.
Zuweilen auch hängt man dort die Schwanzquasten auf und hier
und da die mächtige Kniescheibe eines Elefanten. Mit Freuden-
schüssen und unter Trommelklang rücken die Jäger ein und wenn die
Weiber das Bier in den nächsten Tagen gebraut haben, beginnt ein
grofses Trinkgelage, welches wiederum mit einem minimalen Opfer
für den Msimu eingeleitet wird. Die Elefantenjäger sind bei einiger
Übung sehr leicht aus der Masse des Volkes herauszufinden, da sie
ein sehr charakteristisches Aussehen haben. Es widmen sich dem
gefährlichen mühevollen Handwerk nur energische willenskräftige
Männer, und diese Eigenschaften prägen sich dem Gesichte auf. Die
blitzenden Augen entsprechen gut den ernsten Zügen und die scharf
vortretende Muskulatur der meist schlanken Gestalt machen den
Eindruck von Kraft und Ausdauer. Es ist eine bis zum Congo-
quellgebiet ziemlich allgemein verbreitete Sitte, dafs die Elefanten-
jäger ihre Haare zu beiden Seiten des Schädels wegrasieren und nur
einen drei fingerbreiten Streifen Haare stehen lassen, der, von der
Stirn nach dem Nacken ziehend, allmählich schmäler wird und so
genau wie die Helmraupe des alten bayrischen Helms aussieht. Um
den Hals und die Knöchel einen dicken Wulst jener aus Elefanten-
schwanzhaaren hergestellten Ringe, um die Lenden den zweimal den
Leib umziehenden Gürtel mit Patronentaschen und dem hinten be-
festigten Pulverhorn, vorne und hinten ein kleines FeU irgend einer
wilden Katzenart, das lange Feuersteingewehr und die Kimanda in
der Hand, erscheint frisch am ganzen Körper geölt die dunkelbraune
Gestalt des Jägers beim Zechgelage, welches schon am Morgen be-
ginnt. Am Nachmittage werden dann ganz eigne Elefantenjägertanze
ausgeführt, zu Ehren der Fetischs, zum Schalle kleiner Tronuneln,
die aus zwei Kegeln bestehen mit einander zugekehrter Spitze, und
aus einem Holze gehöhlt sind. Mit Elefantenohrhaut überzogen,
geben sie zu drei und vier abgestimmt, eigentümlichen Ton von sich,
wenn sie in wahnsinniger Begeisterung von dem einen Teil der Jftger
zwischen den Knieen gehalten, mit der ?LacJ[i«u^^.xA m \Ädös!L ^äi^gsBr
— 149 —
tümlichem Takte bearbeitet werden. Der andre sehr tanzkundige Teil
der Jäger führt unter den tollsten Arm- und Beinverrenkungen und
kreisförmigen Bewegungen der Schulterblätter und des Unterleibs
merkwürdige Tänze auf, bei denen die gröfste Ausdauer von dem
Publikum mit den meisten Perlen, dünnen Kupfer- und Eisenringen,
oder hier und da einem Tuchfetzen belohnt wird. Die Tänze werden
stundenlang ohne Unterbrechung von denselben schweifstriefenden
Gestalten ausgeführt. Das Fest endet meist mit einem grofsen Rausch
der Beteiligten und oft findet die aufgehende Sonne noch die Zecher
trunken in ihren Hütten.
Die Erfolge der Elefantenjagden hängen selbstverständlich von
der Geschicklichkeit des Jägers und vom Elefantenreichtum ab, der
bei dem allgemein geführten Vernichtungskrieg immer geringer wird.
Als in Ostafrika vor etwa 20 — 25 Jahren noch zahlreiche Ele-
fantenheerden die lichten Wälder durchzogen und bewohnten, waren
es vor allem die Makoa von Lufidji, welche der edlen Jagd in grofsem
Mafsstabe oblagen. Drei und vier, selbst zehn und zwölf Elefanten
fielen an einem Tage den Jägern zur Beute. Unter diesen war es
besonders einer Namens Matumera, der so reich geworden war, dafs
er ein Gefolge von etwa 1000 Gewehren hatte. Wenn er nicht selbst
dem Waidwerk oblag, so thronte er in seiner ambulanten Lager-
residenz wie ein König, angethan mit den kostbarsten golddurch-
wirkten arabischen Seidenstoffen und reichgesticktem Tuchkaftan.
Er trug nur Hemden vom feinsten Batist. Die arabischen Händler
versorgten ihn mit den auserlesensten Leckerbissen ihrer Heimat und
fortwährend hielt er öffentliche Gastmahle, bei denen jeder willkom-
men war. Kaffee und Datteln waren auf der Veranda stets für den
Fremdling bereit.
Seine Heeresmacht liefs ihn Krieg und Frieden diktieren und
da, wo er erschien, war er unumschränkter Herr und Gebieter, der
nicht nach Häuptling und landläufigem Gesetz fragte.
Als aber die Elefanten immer seltener wurden, besonders in
Uhäha, wo er die Tiere fast ausrottete, sank sein Ansehen und
seine Macht, da er alles, was er eingenommen, sofort wieder ver-
prafst hatte. Als ihn der Verfasser im Jahre 1882 kennen lernte,
war der einst so reiche Jäger ganz in Schulden geraten und als
alter Mann lebte er von der Gastfreundschaft der Araber mit seinem
kleinen Gefolge.
Die arabischen Händler kamen zu diesen Makoajägern und
jetzt noch zu den Elfenbein besitzenden Häuptlingen, um dort die ZäibsNi^
axdzakauten und so wären wir bei dem zwevl^iv T^SX. \3CftÄ\^x ^Jäcäsät
— 150 —
lung angelangt, dem Elfenbeinhandel selbst. Es wäre wohl nicht
uninteressant, mit dem Beginn desselben anzufangen.
An der Ostküste Afrikas trieben die Araber schon seit den
allerältesten Zeiten Handel. So wurde um das Jahr 1000 v. Chr.,
wahrscheinlich unter arabischer Führung, auf Salomos und Hiriams
Befehl, das Goldland Ophir, vermutlich Sofala, von hebräisch syrischen
Schiffen besucht.
Die erste ümschiffung Afrikas fand auf Befehl des ägyptischen
Königs Nechos zwischen 617 — 601 v. Chr. statt und zwar durch
phönikische Seefahrer. Die Nachrichten über das dem Altertum
bekannte Afrika wurden immer spärlicher und versiegten ganz, bis
Mohammeds Lehre sich verbreitete und von da an durch die Araber
genauere und etwas regelmäfsigere Aufzeichnungen gemacht wurden.
Die Araber trieben unter Benützung der Monsume, welche 47 n. Chr.
entdeckt wurden, einen regelmäfsigen Handel mit der Ostküste.
Die Westküste blieb nach wie vor unbekannt und erst als
Bartolomeo Diaz 1486 — 87 das Kap umschiffte , breitete sich die
portugiesische Herrschaft an den afrikanischen Küsten aus, bis im
Laufe der Jahrhunderte die heutige Gebietsverteilung herbeigeführt
wurde.
Der Handel an der Ostküste in den Händen der Inder und
Araber hatte in früheren Jahrhunderten ein Hauptaugenmerk auf
das Gold der Ostküste gerichtet und hatten arabische Livasionen
auch vielfach aus politischen Gründen stattgefunden. Elfenbein wurde
natürlich ebenfalls gekauft, doch war der Verbrauch wohl nicht
nennenswert und beschränkte sich in Europa auf die Elfenbeinschnitz-
waren, Pulverhörner und Waffengriffe. Indien und China konsumier-
ten schon von altersher Elfenbein, Indien hauptsächlich för Arm-
ringe und China für seine tausenderlei Schnitzwaren. Der Handel
wurde durch Araber über Bombay von der afrikanischen Ostkütse
aus vermittelt. Der Elfenbeinbedarf wurde für Europa erst erheblich,
als das im 16. Jahrhundert in ItaHen erfundene Billard zu Ende
des 17. Jahrhunderts und nach den französischen Kriegen zu Anfang
unseres Jahrhunderts von Frankreich aus allgemeinere Verbreitung &nd.
Besonders noch steigerte sich der Elfenbeinbedarf, als an Stelle des im
17. Jahrhundert erfundenen Klaviers, das im Anfang des 18. Jahr-
hunderts erfundene Fortepiano mit seiner grofsen Klaviatur trat.
Die immer allgemeiner werdende Verbreitung von Billard und
Fortepiano verlangte immer mehr Elfenbein für die Billardbälle und
die Tastenbeläge.
Die Ostkäste war und blieb bis h^ute für den Elfenbeinhandel
äjn bedeutendsten und liefert doppelt so xAsX'E&.^t&^YDL ^% ^os^'V^A-
— 151 —
küste. Letztere erschlofs ihre Küstenplätze erst im Anfang unseres
Jahrhunderts in ausgedehnter Weise dem Elfenbeinhandel. So wurde
z. B. der schifibare Eingang in den Niger erst in den 20er Jahren
unseres Jahrhunderts entdeckt und erst 30 Jahre später legte man
dort die ersten Faktoreien an. In den 40er Jahren fuhren die ersten
englischen Rheder den Niger hinauf.
Über die Art des Betriebes des Elfenbeinhandels in Afrika und
die dabei vorkommenden Manipulation ist noch nirgends eingehenderes
berichtet, sind noch keine Details bekannt gegeben worden und soll
daher grade über dieses gesprochen werden. Der Verfasser hat eigene
Beobachtungen in dieser Beziehung vielfach gemacht und ist er mit
Elfenbeinhändlern der Ostküste und im Zentrum Afrikas mit Westküst-
händlern in Berührung gekommen. Bei allen fand er die fast genau
gleiche Geschäftsgebarung und diese Gleichmäfsigkeit entspringt der
Gleichmäfsigkeit des Negercharakters. Was in ziemlich ausführlicher
Weise über die Geschäftsmanipulationen der Händler der Ostküste
im Folgenden gesagt werden soll, dürfte daher ein ziemlich anschau-
liches Bild geben, welches sich in grofsen allgemeinen Zügen allent-
halben wieder so zeigen dürfte.
Vor 80 — 90 Jahren bewohnte der Elefant noch die Küsten-
gebiete bis fast zum Meere und fanden Elefantenjagden noch allent-
halben dort statt. Besonders jagte man den Elefanten an der Ost-
küste Afrikas. Die Araber unternahmen Reisen von nur wenigen
Tagen in den Küstenländern, um Zähne einzuhandeln. Das meiste
damals in den Handel vorkommende Elfenbein brachten jedoch die
Eingeborenen selbst aus dem Innern, die Wagogo, Wahähä und ganz
besonders die Wanjamuesi, der grofse Stamm, welcher westlich
des mittleren Tanganika ein Gebiet so grofs wie Bayern bewohnt.
Besonders waren es Angehörige des letzgenannten Stammes, welche
alljährlich noch bis vor 50 — 40 Jahren in grofsen Karawanen das
Elfenbein zur Küste brachten. Inder und Araber zahlten es schlecht
und dies hatte zur Folge, dafs es im Innern für den Besitzer nicht
den hohen Wert besafs wie jetzt allenthalben. Es konnte damals
noch der freie unabhängige Mann Elfenbein im Innern erwerben
und verkaufen, ohne vom Häuptling gleich das Schlimmste befürch-
ten zu müssen.
Die Elfenbeinbesitzer, Häuptlinge oder der Freier zogen damals ent-
weder selbst zur Küste, die Zähne von ihren Sklaven tragen lassend,
oder sie vertrauten sie einem sogenannten Mdäwa an. Der Mdäwa
war ebenfalls ein Freier, welcher oft mehrere Dörfer besafs. Er mufste
sich als Karawanenführer durch grofse Ehrlichkeit a\is7iei\c.\vcÄTv. \»A
da er als Besitzender stets Garantien bot, so \i^ÖL\xtl\,^ ^"^ \i^^ '"isa^
— 152 —
nur der Kaltblütigkeit, Besonnenheit und diplomatischer Grabe, um zu
dem schwierigen Amt eines Mdäwa befähigt zu sein. Seinen Mit-
bürgern, wie auch dem Häuptling gegenüber, besafs er EinfluTs und
ein gutes Gedächnis ermöglichten ihm, sich all der zahlreichen Auf-
träge zu entledigen, welche man ihm gegeben hatte und die er
neben dem Verkauf seines eigenen Elfenbeins besorgte.
Die Zeit der Wanderung zur Küste war abhängig vom Feld-
bau, welchen die Wanjamuesi mit grofsem Eifer betrieben. Waren
die Feldarbeiten Anfang April beendet und die Maisernte eingebracht
so dafs die Instandhaltung der Durrafelder den Weibern überlassen
werden konnte, so war der Zeitpunkt der Abreise gekommen. Zu-
nächst mufsten Träger angeworben werden, welche alle, selbst im
Falle sie Sklaven waren, bezahlt sein wollten. Die ungeheure Wan-
derlust der Wanjamuesi erleichterte diese Arbeit sehr und nachdem
man sich mit Mehlvorräten für etwa 10 — 15 Tage, ebenso mit
eisernen Hacken, welche zum Eintausch von Lebensmitteln unterwegs
sowohl als zu Tributentrichtungen an die Wagogo dienten, versehen
hatte, wurde das Abschiedspombe (Bier) gebraut und eine winzig
kleine Quantität dem Msimu (Fetisch) des Hauses geopfert, nebst
etwas Mehl. Zuletzt befragte man den Mganga (Zauberer) wegen
eines günstigen Tages und zog dann die Karawane, im Falle alle
Leute glücklich beisammen waren, ab.
Der Führer der Karawane mufste ein wegekundiger Mann sein,
der genau den Verlauf der nur fufsbreiten Pfade kannte. Er war
immer ein kräftiger Mann, der eine sehr schwere Last zu tragen
vermochte, 90 bis 100, selbst 120 Pfund; er erhielt dann doppelte
Ration und doppelten Lohn. Oft waren es drei bis vier solcher
Führer, Kirangosi genannt.
Sämtliche Führer trugen grofse rote Umhängetücher, eine
Kimanda, dasselbe Instrument wie schon vom Elefantenjäger beschrie-
ben. Die Führer hatten noch für die Beschaffung des Karawanen-
hahnes zu sorgen, welcher sorgfältig von Mganga ausgewählt wurde
und der die Aufgabe hatte, des Morgens das Nahen des Tages durch
Krähen zu verkünden. Auf sein Benehmen wurde in kritischen Lagen
besonders geachtet und Schlüsse bezüglich des Schicksals gezogen.
Der vorderste Führer band ihn an einem Beine fest, so dafs er
auf der Last sitzend mitgetragen wurde.
Dem Führer voraus gingen einige Leute mit eisernen im Lande
selbst gefertigten Doppelglocken, Kigerengere, die ein ähnliches Geläute
wie Schweizer Kuhglocken ertönen liefsen. Später wurden diese
ganz und gar durch die aus Uganda kommewdeu Tronmieln, inganda
genannt, verdrängt und sind die jelzi ^)\%«mam %^\%?sxääfiiäeKSS&
— 153 —
Fahnen an der Ostküste durch Araber eingeführt. Neben Glocken
sorgten Trompeten aus Antilopenhörnern für Hervorbringung möglichst
grofsen Lärms.
Der Mdäwa sowohl wie die Führer mufsten aufser dem Ver-
lauf der Pfade noch genau die Wasserplätze kennen, unterrichtet
sein über die Sicherheit des zu durchziehenden Gebietes und ob auf
der gewählten Route genügende Lebensmittel vorhanden waren. In
langen Reihen zogen so die Träger, einer hinter dem andern, belastet
mit Elfenbein von 20 — 80 fi einher. Grofse Zähne wurden einzeln,
kleine zu Bündeln mittels Häuten zusammengeschnürt. Zuletzt
marschirten Weiber, welche stets zahlreich die Karawanen begleiteten
und den Schlufs bildete der Mdäwa mit seinem Gefolge, würdevoll
einherschreitend.
Bewaffiiete begleiteten die Züge zum Schutz der sehr wertvollen
Karawanen nie, sondern die Träger waren dem gröfsten Teil nach
mit Lanze, Bogen und Pfeil, einige wenige mit Feuersteingewehren
bewaffnet. Streitigkeiten mit den Eingeborenen vermied man aufs
sorgsfältigste aus Rücksicht auf den Zweck der Reise und erkaufte
sich den Frieden mehr wie einmal durch Abgaben, wobei anderseits
die Eingeborenen, welche an der regelmäfsigen Karawanenroute wohn-
ten, ebenfalls klug genug waren, die Vorteile, welche ihnen die all-
jährlich auf dem Hin- und Rückwege begriffenen Handelszüge brachten,
zu wahren.
Bei Überfällen, welche meist an denselben Orten stattfanden,
z. B. der Marenga makali, einer unbewohnten Wildnis, warf man
die Lasten zusammen und verteidigte sich, so gut es gelang. Oder
die Träger entflohen, wenn sie sich einer Übermacht gegenüber
sahen, ihre Lasten preisgebend. Es kamen übrigens verhältnis-
mäfsig selten Überfälle vor, bei denen ganze Karawanen verloren
gingen. Meist begnügten sich die Räuber damit, ermüdete Nachzüg-
ler auszurauben.
In ügogo mufste an die einzelnen Häuptlinge Tribut bezahlt
werden und zwar auf dem Wege zur Küste in Gestalt von eisernen
Hacken, welche hauptsächlich in Usukuma, im Süden des Victoria,
von den Eingeborenen aus Rasen eisenstein hergestellt wurden und
noch werden.
Hatte die Karawane Ugogo durchschritten, so harrten derselben
in üsagara am Wege Abgesandte von Indern mit Geschenken. Auf
dem Arm ausgebreitet trugen sie bunte Stoffe in grellen Farben,
Schirme, Messer, Mützen, Zucker, und versuchten den Mdäwa oder
kleinere Elfenbeinbesitzer zur Annahme dieser G^^cNi^tJkä txjl ^^A^'^^'^^
sie zu überreden, als Gast bei ihrem Heiin emz.xxk'^x^Tv« ^^ ^^x^^
— 154 —
sie gut aufnehmen und für ihren Unterhalt in dem betreffenden
Küstenplatze sorgen, welcher das Ziel der Karawanen war, damals
meist Sadani oder Dar es salam. Bagamoio (auf Deutsch wörtlich
„beruhige das Herz"), welches heute der Hauptkarawanenort ist,
war früher noch ein unbedeutender Ort. Der Mdäwa hatte nun
schon meist seinen Gastgeber, bei dem er einkehrte, aber trotzdem
versuchte es jedesmal die Konkurrenz, den Mdäwa zu sich hinüber
zu ziehen, was ihr auch hier und da gelang.
Das Verabreichen von Geschenken und Anbieten der Gast-
freundschaft an Leute, welche man meist nicht kannte und denen
man auf 10 — 14 Tagereisen entgegen zog, entsprang jedoch nicht
etwa den idealen Bestrebungen, den Schwarzen ein gutes angenehmes
Unterkommen zu schaffen, sondern dem reinsten Geschäftsinteresse.
Hatte ein Elfenbeinbesitzer oder Mdäwa nämlich das sogenannte
Geschenk angenommen, so war er dem Geber verpflichtet, d. h.
geradezu verkauft, indem der Nehmer damit eine Schuld konstrahiert
hatte. Wollte sich der „Hereingefallene" den unangenehmen Kon-
sequenzen entziehen, welche die Annahme des Geschenkes nach sich
zog, so konnte er dies unter keinen Umständen, selbst nicht durch
Zurückgabe des Geschenkes, dessen Wiederannahme man unter den
nichtigsten Vorwänden verweigerte. Man wies z. B. irgend einen
Fehler oder Flecken nach, der dem Stoff oder einer sonstigen Gabe
schon immer angehaftet haben mochte und behauptete, dafs es nun
nicht mehr derselbe Gegenstand sei, welchen man gegeben. — Hatte
der Nehmer schon etwas verbraucht z. B. Zucker, so konnte von
Rückgabe überhaupt nicht die Rede sein, selbst wenn das Doppelte
des Wertes geboten wurde. Bei Streitfällen aus solchem Anlafs
waren alle Inder solidarisch und die arabischen Gouverneure
gekauft, so dafs demjenigen, der unterwegs Geschenke angenommen
hatte, nichts übrig blieb, als sich dem edlen Gastfreund auf Gnade
oder Ungnade zu ergeben. Der Zweck dieser sonderbaren Geschäftts-
manipulation war der, den Elfenbeinbesitzer dazu zu bestimmen, als
Gast bei dem Geber einzukehren, d. h. sein Elfenbein in seinem
Hause bis zum Verkauf aufzuheben und ihn dann noch neben der
Annahme der Geschenke dadurch ganz und gar haftbar zu machen^
dafs man ihm und seinem Gefolge täglich einige Kupfermünzen zum
Unterhalte auszahlte. Die Leute kamen immer hungrig an der Küste
an und waren daher sehr leicht zur Annahme des Geldes zu bewegen.
Dem Mdäwa, der mit grofsen Vorräten an Elfenbein kam, wurde
ein -s-cieunenartiges Haus für sich und seine Weiber angewiesen, ihm
eine Mahlzeit bereitet aus Reis und Z\e.»exÄd§»dv \ixid das Elfenbem
sicher unter Verschlufs gebracht.
— 155 —
Die Elfenbeinkarawanen wurden jedoch nicht ohne weiteres
in die Orte an der Küste eingelassen, wo sie ihr Elfenbein zu verkaufen
beabsichtigten. Die Ansprüche der zahlreichen „Jumbe", wie die
Häuptlinge dort genannt werden, mufsten vorher befriedigt werden.
Der Karawanenführer mufste eine Abgabe an diese Jumbe entrichten
und zwar zunächst für die Erlaubnis, das Land überhaupt betreten
zu dürfen, dann dafür Holz zu sammeln und Feuer anzuzünden.
Ferner mufste die Erlaubnis erkauft werden, Bedürfnisse auf dem
betreffenden Grund und Boden zu verrichten. Allen diesen Anfor-
derungen vermochte aber der Neger, aus dem Innern kommend, nicht
zu genügen, der sich lieber eine Hand würde haben abhacken lassen,
als von seinem Elfenbein für solche Abgaben auch nur den klein-
sten Zahn zu geben und wie auch sollte er den Tribut bezahlen,
wenn er z. B. nur einen grofsen Zahn besafs. Wer von der grofsen
Karawane sollte die Zahlung leisten, der Jumbe verlangte nur die
besten Stoffe und rote Perlen, welche letzteren noch heute in San-
sibar selbst auf dem Markte als Zahlung genommen werden; das
alles besafs der Schwarze aus dem Innern nicht und so mufste der
Inder, der edle Gastfreund, für ihn einspringen. Die Karawanen
mufsten daher so lange an der Grenze der betrefienden Orte lagern,
bis die Jumbe, deren stets mehrere in einem Orte wohnten, befrie-
digt waren. Dem Eingeborenen aus dem Innern war also von vorne
herein die Möglichkeit genommen, selbständig und unabhängig
seine Geschäfte abzuwickeln. Den Klauen der sanften Inder konnte
er niemals entkommen, mochte er sich drehen und wenden wie er
wollte.
Der Inder beeilte sich keineswegs die Geschäfte schnell abzu-
wickeln und liefs er seinen Gast 8 — 10 Tage warten, ehe er sich auch
in ein Gespräch wegen des Elfenbeins einliefs. Jeder Versuch des
Besitzers, das Thema darauf hinzuleiten, wurde mit einem kurzen
„kescho", morgen, abgebrochen. Merkte man, dafs der Mann etwas
mürbe geworden war, so fragte man den Eingeborenen, was er für
sein Elfenbein verlangte, nachdem es der Inder zuvor genau ange-
sehen hatte. Der Besitzer nannte dann immer einen ungeheuerlichen
Preis, indem er sich einbildete, mit seinem Elfenbein die Welt kau-
fen zu können.
Der Handel mit dem schwarzen Elfenbeinbesitzer aus dem Innern,
an und für sich sehr schwer wegen des Charakters der Schwarzen,
wurde nun dadurch ganz besonders erschwert, dafs er sich oft mo-
nate-, selbst jahrelang vorher alles ausgedacht, wie viel und welche
Arten von Tauschwaren er für sein Elfenbem, öia^ %t %o \vö05\ \J<öföt-
Bchätzte, verlangen sollte. Für eine Waiengattvaift ü^evsi YjqtkssX»
— 156 —
man ihm nie etwas abkaufen. Vor allen stand sein Sinn nach Gewehr
und Pulver. Dann kommen weifse und blaue Baumwollstoffe, Perlen,
Messingdraht, bunte Taschentücher und buntgewobene arabische und
indische Tücher oder Imitationen derselben.
Jeder verlangte andre Muster, immer aber mufste von allem
etwas dabei sein und dies komplizierte den Handel sehr. Gegen-
stände jedoch, wie falschen Schmuck, Spielzeug, nicht gangbare Perlen
oder Dinge, welche der Eingeborene nicht wieder als Zahlung geben
konnte, nahm er nur als Geschenk.
Alle obengenannten Tauschwaren wurden und werden auch
heute zum grosfen Teil aus England importiert. Aus Deutschland
kommt nur Pulver, jetzt einige Steingutwaren und in letzter Zeit
leider auch Branntwein aus Hamburg. Dieser bisherigen Nichteinfnhr
von Schnaps an der Ostküste hatte man zum guten Teil die erträg-
lichen Zustände zu danken, welche Mifsstände, wie sie an der West-
küste vielfach auftreten, nicht einreifsen liefs.
Aus Deutschland kommen noch Perlen aus Nürnberg hinzu.
Imitationen von arabischen und indischen Stoffen werden in der
Schweiz und in letzter Zeit auch in Fürth in Bayern fabriziert.
Es beginnt nun ein Feilschen und Schachern, von dem sich der
europäische Kaufmann gar keinen Begriff zu machen im stände ist.
Der Inder betrügt dabei den Schwarzen am Gewicht und dieser hat
in die Höhlung des Zahnes Erde, Baumrinde oder Eisenstücke fest-
gekeilt oder Kupfer und Blei hineingegossen um das Gewicht zu
erhöhen. Der Inder findet Risse im Innern und will der Neger die för
das Elfenbein dadurch herbeigeführte Wertherabminderung nicht an-
erkennen. Der Schwarze verlangt das zwanzigfache vom Werte des Elfen-
beins in Europa. Die Qualität des vorgezeigten Stoffes sagt ihm
nicht zu oder er wünscht ein Muster, welches schon seit Jahren
nicht mehr fabriziert wird. Die Verhandlungen sind schon dem Ab-
schlüsse nahe, als plötzlich der Neger mehr verlangt wie zuvor. Nun
geht der Inder seinerseits unter sein erstes Gebot. Der Neger droht
es wieder mit ins Innere zu nehmen, worauf der Inder seine Auslagen
zurückfordert.
Der Eingeborene versucht nun, sein Elfenbein bei einem andern
Inder zu verkaufen, indem er das Mafs der Zähne, Länge und um-
fang, mit zwei Strohhalmen mifst und das angebliche Gewicht vom
Gastfreunde erfahren hatte. Da aber das Elfenbein in sicherm Ge-
wahrsam des edlen Gastgebers ist, so läfst sich niemand auf den
Handel ein oder jeder Versuch wird dadurch einfach abgewiesen,
dafs man unter allen Umständen mehi löi^leiv würde wie ein etwaiger
andrer Liebhaber.
— 157 —
Endlich ist man handelseinig geworden, was die Quantität der
zu gebenden Tauschwaren betriflPt. Aber es entstehen bezüglich der
Qualität neue Schwierigkeiten. Alles ist zu schlecht, die Muster
gefallen nicht, das taugt nichts, das Gewehr ist zu alt, die Pulver-
fäfschen sind zu leicht. So geht es Tage und Wochen lang. Ist
ein Zahn klein unter einem Frassila = 35 Pfund englisch, so geht
es schneller, ist der Zahn 70 bis 80 und mehr Pfunde schwer, so
kann der Handel monatelang dauern. Es kam sogar vor, dafs aus-
nehmend grofse Zähne, welche von zwei Leuten geschleppt werden
müssen, 160 bis 180 Pfund englisch, bei einem Inder deponiert wurden
und der Handel erst im folgenden Jahre perfekt gemacht wurde.
Jedenfalls aber könnte ein Europäer krank durch die Aufregung und
den Arger werden. Läuft doch selbst dem geduldigen Inder die
Galle manchmal über.
Endlich glaubt der Inder sein Ziel erreicht zu haben und er
beginnt dem Verkäufer seine Tauschwaren zu übergeben, als dieser
plötzlich erklärt, vielleicht aufgestachelt durch einen andern, mehr
haben zu wollen und verweigert den Handschlag, welcher den Kauf
besiegeln soll. Neues Schachern beginnt, neues Streiten, Trotzen,
Schmollen, neuer unsäglicher Ärger auf beiden Seiten, neue Beratung
der Schwarzen unter sich. Alles hilft nicht, keiner will nachgeben,
das Geschäft droht ganz in die Brüche zu gehen, bis zuletzt der
Inder mehr bewilligt, was er ganz gut kann, da er so wie so keinen
zu hohen Preis bezahlte.
Ist jetzt alles geordnet, so wird der Kauf unwiderruflich ab-
geschlossen. Der Inder hat das Elfenbein definitiv an sich genommen.
Schreckliche Abrechnung wird nun gehalten. Der Inder erklärt:
„Ich habe Dir Geschenke bei Deiner Ankunft übergeben, macht so
und so viel, nicht zu vergessen des Tributs, den ich für Euch an
den Jumbe bezahlte, und Du verfluchter Heide wirst doch nicht
glauben, dafs ich Dich mit Deiner ganzen Gesellschaft während
mehrerer Monate umsonst beköstige." Dies alles geht vom Kaufpreis
ab und erstaunt, enttäuscht, wütend sieht der nunmehrige Tausch-
warenbesitzer ein Stück nach dem andern verschwinden von dem
nicht allzugrofsen Tauschwarenhaufen, der den Kaufpreis seines
Elfenbeins ausmachte, so dafs er bedeutend kleiner wird. Doch der
redegewandte Inder weifs schliefslich alles plausibel zu machen
und versüfst die Bitterkeit und Enttäuschung dadurch, dafs er die
geforderten Geschenke für den Verkäufer und dessen ViTeiber in
Gestalt eines Kastens, einiger bunter Perlen und Stoffe bewilligt.
Der Inder hatte es so ganz in der Hand^ \Aaiet\voSo ^^^wsassKt
Grenzen den Preis fär das Elfenbein seööst z\x \i^^^v£OMÄXL. ^^sÄa^^-
— 158 —
gewöhnlich billige Preise liefsen sich aber dennoch nicht erzielen,
da man sich trotz aller Solidarität dem Schwarzen gegenüber dennoch
gegenseitig kontrollierte und allzu grofsen Gewinn nicht gegönnt
hätte.
War alles Elfenbein verkauft, so brachen die Karawanen späte-
stens Ende August nach dem Innern auf, um zu Beginn der Begenzeit,
Ende Oktober und Anfang November, das Feld wieder zu bestellen.
Mit dem neuen bunten Fetzen behangen, knallend und singend
zogen sie von der Küste ab und durchschritten wieder die Küsten-
landschaften. In Ugogo mufste dann Tribut in Stoffen, Perlen und
Pulver bezahlt werden und die Träger, welche diesmal in Stoffen
ausgelohnt wurden, verzehrten meist alles bis auf den letzten Faden
in Ugogo, wo immer Überflufs herrscht, und kamen ebenso arm in
der Heimat an, wie sie ausgezogen.
Der Mdäwa lieferte zu Hause die eingetauschten Waren,
soweit sie nicht ihm gehörten, an die respektiven Besitzer ab. Bei
einem grofsen Pombe- (Bier-) gelage feiert man alsdann fröhliche
Rückkehr.
Doch nicht alle, welche ausgezogen, sahen die Heimat wieder.
Blattern und Dysenterie rafften alljährlich eine Menge von Trägern
dahin. In Ugogo wurden viele von den blutgierigen Wagogo
ermordet und notorisch frafsen sich dort alljährlich 1 — 2®/o buch-
stäblich zu Tode und mancher, der ermüdet als Nachzügler der
Karawane folgte, wurde aus dem Hinterhalte niedergemacht. All
dies sind übrigens Zustände, welche sich bis auf den heutigen Tag
erhalten haben.
Während noch die Eingeborenen selbst das Elfenbein zur Küste
brachten, waren die Elefanten an den Küstenregionen immer seltener
geworden. Die Araber hatten ihre Züge immer weiter ausdehnen
müssen und aus Unjamuesi flofs immer weniger Elfenbein zur Küste.
Bis dahin waren es meist Inder, welche sich mit Elfenbeinhandel
abgaben, da sie die kapitalkräftigen waren. Die Araber betrieben
Plantagenbau. In den zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts wurde
auf Sansibar die Gewürznelkenkultur eingeführt und deckten nun
die Küstenlandschaften den erhöhten Sklavenbedarf nicht mehr.
Die Araber sahen sich genötigt, weiter ins Innere einzudringen. Im
ungastlichen Ugogo mit seinem rauhen Klima und räuberischen
Bewohnern waren die Elefanten auch fast ausgerottet und so fand
man erst in Unjanjembe einen geeigneten Platz, eine dauernde
Niederlassung zu gründen, zumal dort auch Sklaven in grofiser
Menge sieb vorfanden. Die ersten Araber erschienen in Unjaigembe
vor 60 — 70 Jahren und gründeten den \9i\nk. NetÄdtL^xsßÄKOfisfiL Ost
— 159 —
Käse, in dessen Nähe das heutige Tabora angelegt wurde. Be-
sonders kam dieser Gegend zu gut, dafs sie von einem eifrig acker-
bautreibenden Volksstamm bewohnt wurde, der bei grofser Reise-
und Wanderlust den beschwerlichen Trägerberuf mit einer Art
Passion betrieb. Den Arabern gelang es bald, mit dem ihnen
eigenen Geschick eine derartig einflufsreiche Stellung einzunehmen,
dafs die einheimischen Häuptlinge von Unjanjembe sich dem ara-
bischen Gouverneur unterordneten.
Die Eingeborenen gewöhnten sich allmählich daran, ihre
Elfenbeinvorräte in Unjanjembe zu verkaufen, so dafs der Handel
mit diesem Artikel in den Händen einiger grofser Araber bald
solchen Aufschwung nahm, dafs der reiche Gewinn immer mehr
Araber nach Unjanjembe lockte. Besonders stark wurden die Züge
dorthin, als im Jahre 1863 der Sklavenhandel an der Küste auf
Pression Englands hin aufgehoben wurde und die Plantagenbesitzer
Sansibars aus nun eintretendem Arbeitermangel allmählich zu Grunde
gingen. Am schnellsten wurden die Sklavenhändler ruiniert. Der
Araber, der fatalistisch in den Tag hineinlebt, vermag kein Kapital
zu erwerben und es nutzbringend anzulegen, besonders da er nach
Koranvorschriften Zinsen weder geben noch nehmen darf. Als daher
die Quelle seines Reichtums, der mittelst zahlreicher billig erwor-
bener Sklaven betriebene Gewürznelkenbau nicht möglich war,
mufsten sich die Araber anderweitig einen Lebensunterhalt suchen
und verfielen naturgemäfs auf Elfenbeinhandel. Die einsichtsvolleren
derselben hatten sich, noch im Besitz des baren Geldes, sogleich
nach dem Innern aufgemacht und gelang es ihnen, nach der damals
so günstigen Lage, wohlhabend zu werden. Sie waren es auch,
welche dem Handel mit Elfenbein einen so hohen Aufschwung gaben,
so dafs immer mehr Araber in Unjanjembe erschienen. Die meisten
derselben besafsen kein eignes Kapital und entliehen solches bei den
Indern oder Banianen Sansibars. Zuletzt kamen alljährlich mit dem
Nordostmonsum zahlreiche Araber aus Maskat, welche sich entschlossen
hatten, in Afrika Handel zu treiben. Mit wenigen Ausnahmen waren
es Leute, welche in ihrer Heimat infolge zu grofsen Aufwandes in
Schulden geraten waren. Durch Vermittlung ihrer Freunde in
Unjanjembe entliehen sie ebenfalls bei Indern und Banianen Kapital,
welche dabei einea ganz unerhörten Wucher treiben. Sagen wir,
der Inder oder Banian strecke dem Araber ein Kapital von 4000
Dollar vor. Davon erhält der Araber höchstens 2 — 300 Dollar in
bar ausgezahlt, den Rest in Stoffen, wobei diese dem Araber mit
einem Aufschlage von etwa 100 ^/o angerechnet werden.^ und dföt
Bedingung, eine bestimmte Quantität E\£exi\>«vii^ \xv ÖÄfc^^-ojL ^'Äi^^
— 160 —
80 Frassila ä 35 Pfund engl, zu liefern. Der Inder rechnet sich dabei
das Frassila durchschnittlich mit 50 Dollar an, während es in
Sansibar 70 — 100 wert ist. Träger sind für ein solches Unternehmen
bei einem Kapital von 4000 Dollar etwa 20 — 30 notwendig k
20— 25 Dollar, welche der Inder ebenfalls anwirbt. Diese kosten
ihm vielleicht pr. Mann 8—10 Dollar. Den Gegenwert nimmt er
von den Tauschwaaren des Arabers zuiück, wobei er dieselben für
höchstens die Hälfte des angerechneten Wertes berechnet und auf
diese Weise dem Araber eigentlich nur der vierte Teil des gelieferten
Kapitals zur Verfügung steht. Aufserdem sichert sich der Inder
sein Kapital wenn möglich durch Schuldverschreibungen auf Liegen-
schaften.
Im Falle des Gelingens der Expedition verdient der Inder
300 — 400 ®/o. Liefert der Araber nur den vierten Teil des bedun-
genen Quantums, so verdient der Wucherer immer noch wenigstens
100 o/o.
Der gewöhnliche Verlauf derartiger Unternehmungen ist aber
folgender : Der Araber zieht nach dem Innern und kommt in Tabora
an. Hier erholt er sich zunächst von den ungewohnten Reise-
anstrengungen und giebt mehr Stoffe aus, als es sein Vorrat erlaubt.
Entweder handelt er für den Rest gleich in Tabora Elfenbein ein
und ist dann der Klügere : er wird wenigstens in der Lage sein,
seine Schuld mit geringem Nutzen zu decken, oder aber er dringt
weiter ins Innere vor und handelt das Elfenbein ein. In den meisten
Fällen ist es ihm nicht möglich, das bedungene Quantum zu er-
langen. Er mufs sogar oft auf dem Rückwege in Tabora Elfenbein
verkaufen, um die Küste zu erreichen. Hierbei gewinnt er zwar,
aber sein Elfenbein, welches er dem Gewicht nach liefern muls,
wird weniger.
In Sansibar ist er genötigt, wiederum Geld bei seinen Gläubigem
zu entnehmen, um seine Schulden abtragen zu können und zwar
zu den früheren Bedingungen. Mit geringeren Mitteln zieht er zum
zweiten Male aus, oft mit demselben Erfolg wie früher, oft gelingt
es ihm, durch Erfahrung klüger gemacht, seine Schulden zu tilgen. —
Ein andrer Teil der Araber jedoch vermag den Verlockungen eines
üppigen, ausschweifenden Lebens im Innern nicht zu widerstehen
und gelangt auf den Punkt, eines Tages dem Nichts gegenüber zu
stehen, ohne einen einzigen Zahn gekauft zu haben. Vorläufig
kann er nicht daran denken, seine Gläubiger in Sansibar zu befrie-
digen, und hat nun die Wahl, sich dort ins Schuldgefangnis werfen
2;u lassen oder im Innern zu bleiben. Natürlich zieht er letzteres vor.
In Tabora leiht er nun bei emem. kt^iX^^T ^\TVb Y^^xeli^ Summe,
- 161 -
kauft sicli in der Umgegend einige Sklaven und bebaut etwas Feld,
dessen Erträge er an die Araber oder durchziehende Karawanen
verkauft. Gelingt es ihm, ein kleines Kapital zu ersparen, so kauft
er Elfenbein und arbeitet sich vielleicht wieder in die Höhe. Oft
aber gerät er auch in Tabora so tief in Schulden, dafs dort seines
Bleibens nicht länger ist, und dann zieht er sich nach Ujiji zurück,
wo er dasselbe Manöver wiederholt und schliefslich wandert er nach
Nyangwe in Manjema, wo er sich oft mit Leib und Seele einem
grofsen Araber verkauft, d. h. dieser übernimmt seine Schulden
wenigstens zum Teil. Solche Expeditionen verlaufen folgendermafsen :
Der Inder wirbt die Träger an, welche jetzt auch noch alljährlich
zur Küste kommen unter Führung eines Mdäwa, entweder ohne
Lasten oder mit Elfenbein beladen. Dies Elfenbein gehört jetzt aber
immer Arabern, welche vollständig an Stelle der Eingeborenen aus
dem Innern getreten sind, indem sie ausschliefslich die eingehandelten
Zähne der Küste zuführen. Der Mdäwa ist heutzutage nichts weiter mehr
als ein Trägerführer, welcher durch Geschenke verpflichtet wird,
dem Inder seine Leute zur Verfügung zu stellen und höchstens
hier und da Tauschwaren im Dienste eines Arabers oder Inders
ins Innere bringt. Diese Träger, ganz in Händen der Inder, vermag
der Araber nicht anzuwerben und wegen der grofsen Umständlichkeit
und Unannehmlichkeiten überläfst selbst der reiseerfahrenste Araber
gern dem Inder das Zusammenstellen der Karawane. Die Träger
aus dem Innern kommen niemals nach der Insel herüber. Aufser
diesen Trägern aus dem Innern machen jetzt immer mehr frühere
Sklaven von Arabern auf Sansibar die Reisen als Träger und besonders
als Askari (Bedeckungsmannschaften) mit.
Die Träger begeben sich truppweise, so wie sie angeworben
wurden, mit ihrer Last ein bis zwei Tagereisen weit zu einem Rendezvous-
platz voraus und hat sich der Araber mit seinen Sklaven und
schwarzen Weibern endlich entschlossen aufzubrechen, so zieht die
Karawane langsam in kleinen Tagemärschen, jeden zweiten oder dritten
Tag Rast haltend, weiter ; da die Träger immer nur im Mai und Juni zur
Küste kommen, so brechen naturgemäfs alle die zahlreichen Karawanen
zu derselben Zeit auf, marschieren jedoch durch die Küstenländer Ukami
und Usagara getrennt, um sich nicht gegenseitig die Lebensmittel
durch zu grofse plötzliche Nachfrage zu verteuern. An der Grenze
Ugogos vereinigen sich die kleinen Karawanen zu 2000 und
3000 Kopfstärke, einmal der von da bis Tabora herrschenden Un-
sicherheit halber und dann auch, um die Tributangelegenheiten
gemeinsam zu ordnen, indem die Händler vereinigt den Hon^o (Jl^^kw^
aji die zahlreichen ifänptlinge entricliteTi xxtvöl äLaxav xäääx i\öö. "sööt
GßographiBch« Bl&tUr, Bremen 1889. ^^
-^ 162 —
rechnen. Zum Durchzug durch Ugogo, welches von Briefboten in
8 — 10 Tagen durcheilt wird, brauchen Karawanen der Tribut-
entrichtungen wegen 1 — 1^/2 Monate. Die Wagogo stellten in den
letzten Jahren immer höhere Forderungen an die Araber, so dafs die
Händler dort oft 10 — 20 ®/o ihrer Tauschwaaren einbüfsten. Sie
konnten solche unverschämte Forderungen leicht durchsetzen, da sie
nach Lage der Verhältnisse stets im Vorteil waren, und die Araber
nicht wagten, gewaltsam Abhülfe zu schaffen, welches ihnen, wenn
nur die Machtfrage in Rechnung zu ziehen gewesen wäre, den
Wagogo gegenüber ein leichtes gewesen wäre. Von der Ostgrenze
Ugogos bis nach Tabora ist eine Wegestrecke von 20 — 30 Tagen.
Von dieser Strecke ist das Land von der Westgrenze Ugogos bis
nach Unjanjembe eine menschenleere Wildnis, welche aufserdem noch
im August, September und Oktober fast wasserlos ist. Ein Krieg
mit den Wagogo würde unter allen Umständen den Weg nach dem
Innern verlegen. Verliefe er erfolglos, d. h. zu Ungunsten der Araber,
so würden die Wagogo den Durchzug entweder gar nicht mehr oder
unter noch ungünstigeren Umständen gestatten. Endete er mit der
Unterwerfung der Wagogo, so würde das Land vollständig entvölkert
werden und dann eine menschenleere Wildnis von Usagara bis
Tabora geschaffen sein, welche Strecke als Wildnis ihrer Ausdehnung
wegen für Trägerkarawanen vollständig unpassierbar wäre. Oder es
fänden vom Süden her Invasionen statt in die entvölkerte Gegend durch
Wahähä oder von Norden durch Massai, zwei wilde Volksstänime,
welche Ugogo ebenfalls unpassierbar gemacht hätten. Die Stärke
der Wagogo basiert auf der Würdigung dieser Verhältnisse. Said
Bargasch, der verstorbene Sultan von Sansibar, hatte den Versuch
gemacht, durch allmähliches Vordringen von Westen nach Osten die
Wagogo zu unterwerfen und setzte an die Westgrenze des Landes
einen Gouverneur. Derselbe vermochte jedoch keine Erfolge zu
erzielen und machte von der Erlaubnis seines Herrn, ebenfalls einen
Durchgangszoll erheben zu dürfen, so umfassenden Gebrauch, dafs
es die arabischen Karawanen vorzogen, seinen Sitz ganz zu meiden
und den Bestrebungen Said Bargaschs in dieser Richtung gar keinen
Vorschub leisteten. Sie zahlten lieber an die Wagogo, als in Zukunft
an arabische Gouverneure noch höhere Zölle. Von Tabora aus
breiteten sich arabische Handelsbeziehungen nach allen Richtungen,
zuerst nach dem Südende des Tanganika vor 20 — 30 Jahren. Dann
um dieselbe Zeit nach Uganda am Victoria Nianza und erst vor
10 — 15 Jahren drangen die Araber in die mittleren Congoregionen.
Die Handelsabschliisse mit den Eingeborenen im Innern ver-
laufen ähnlich wie früher an der Küste. \u "I^Jö^t^ ^^%<i^<^TSsE!&sstt^
— 163 —
mufs der Händler neue Träger anwerben, da diese niemals weiter
wie bis Unjamuesi von der Küste aus ziehen. In der Regenzeit
während des Feldbaues hält dies natürlich schwerer, als während
der Trockenperiode. Sind die Träger angeworben, so zieht man,
wie auch an der Küste, von einem Rendezvousplatze zuerst langsam
und dann in grofsen Märschen dem Ziele zu. Bei dem elfenbein-
besitzenden Häuptling wird Standquartier aufgeschlagen und erhält
der Araber, wenn die Karawane nicht allzu grofs, d. h. etwa 40 — 50
Mann stark ist, bereitwilligst Unterkunft in den Hütten des Dorfes.
Der Handel wickelt sich niemals sofort ab. Der Häuptling betrachtet
den Araber als seinen Gast, doch mufs er dem Gastgeber zuerst ein
Geschenk verabfolgen, um diesen zu veranlassen, dafs er seinen
Unterthanen die Erlaubnis erteilt, Lebensmittel an die Karawane zu
verkaufen. Ein weiteres Geschenk erwidert der Häuptling mit einem
Huhn, einer Ziege, oder auch nur Mehl. Unter allerlei Ausflüchten,
dafs z. B. der Araber erst ausruhen müsse, oder er, der Häuptling,
dringende Regierungsgeschäfte zu erledigen habe, wird der Händler
hingehalten, bis der Häuptling seine Habgier doch nicht mehr zu
zügeln im stände ist. Der Häuptling verkauft sein Elfenbein nie
öffentlich aus Furcht vor mächtigen Nachbarn und auch um seine
Leute nicht zu Betteleien nach abgeschlossenem Kauf zu reizen.
Geheimnisvoll kommt ein Abgesandter des Häuptlings des Nachts
in das Zelt des Arabers und überbringt diesem zwei Strohhalme,
deren einer die Länge und deren andrer den Umfang des Zahnes
an der dicksten Stelle bedeuten. Man versucht den Araber nach
diesen Mafsen zum Kauf zu bewegen. Der Zahn sei zu weit vom
Ort vergraben, und da man nicht wisse, ob der Kauf zum Abschlufs
komme, wolle man sich der mühsamen Arbeit des Ausgrabens nicht
unterziehen. Der Araber kann auf solches Ansinnen nicht eingehen
und in der nächsten Nacht entbietet der Häuptling den Händler in
seine Hütte, wo man ihm den zu verkaufenden Zahn zeigt. Der
Araber unterwirft ihn genauer Prüfung. Er ist übrigens ein schlechter
Elfenbeinkenner und taxiert den Wert nach sehr allgemein gehaltenen
Wertbemessungen. Nach der Besichtigung wird das Elfenbein wieder
sorgfältig verborgen und bringt der Häuptling alsdann ein Bündel
kurzer Strohhalme von verschiedener Länge in den schwachen
Schimmer des glimmenden Feuers und legt sie neben einander auf
den Boden. Diese etwa fingerlangen Halme repräsentieren gewisser-
mafsen die Buchführung des Häuptlings oder das Inventar seines
Elfenbeinreichtums, wobei er aber immer den Fehler begeht, sein
Besitztum zu hoch aufzunehmen. Im Laufe öict Ti^\\. \svsääX. ^«t
Elfenbeinbesitzer immer mehr StroliliälmcbLeTi zAXÄaTMftfe^vxMx^^^wfi^^^^s^
^ 164 —
in solcher imaginären Weise seinen Reichtum. Jeder der abgeschnittene^
Hahne hat nach verschiedener Länge verschiedene Bedeuttlng. Die
kürzesten bedeuten weifse und blaue Baumwollstoffe. Als Einheit
wird dabei im Innern die „Armlänge" vom Ellbogengelenk bis zur
Spitze des ausgestreckten Mittelfingers angenommen. Andre längere
Stücke bedeuten bunte Taschentücher, einige Perlen, die gröfseren
bunt gewebte Stoffe, die noch gröfseren Gewehr, Pulver, Feuerirtein
und jetzt Zündhütchen. Die grofse Anzahl der Strohhalme, d. h.
des eingebildeten Reichtums, bleibt aber immer nur ein fromnier
Wunsch, welcher meist nur zum dritten Teil erfüllt wird. Die For-
derungen sind oft von solch unverschämter Höhe, dafs selbst dem
in Geschäftssachen sehr geduldigen Araber die Galle überläuft und
er für den Moment allen Ernstes an den Abbruch der Unterhand-
lungen denkt. Andernfalls beginnt dasselbe Manöver , wie es
früher schon bei dem Elfenbeinverkauf an der Küste geschildert
wurde, und dauert der Handel hier ebenso lang, oft länger, da der
Häuptling gar keinen Grund zur Eile hat, es sei denn, er benötige
Pulver für Krieg. Der Abschlufs wird überhaupt nur dadurch herbei-
geführt, dafs es dem Araber gelingt, dem Häuptling andre Begriffe
vom Werte der Tauschwaren geläufig zu machen. Er wird schneller
zum Ziel gelangen, wenn er die Hauptbetonung auf den hohen Wert
seiner Artikel legt und nicht den Wert des Elfenbeins herabzusetzen
versucht.
Eine ausschlaggebende Rolle beim Handel spielen hierbei die
Weiber, deren unabwendbare Einmischung den Abschlufs des Geschäfts
sehr in die Länge zieht und deren Begierde mit jedem Zugeständnis
nur noch mehr gereizt wird. Der Häuptling wagt erst durch Hand-
schlag den Kauf zum Abschlufs zu bringen, wenn er der Zustinuniing
seines Lieblingsweibes sicher ist. Wie denn überhaupt der Neger
der denkbar gröfste Pantoffelheld ist.
Sind bei einem Häuptling die Geschäfte abgeschlossen, so werden
noch einige Geschenke für diesen und dessen Weiber verabreicht.
Der Häuptling erwidert dieselben natürlich minderwertig in Natu-
ralien, Geflügel, Kleinvieh oder eisernen Hacken. Ebenso werden
die beiderseitigen Wanjampara (Hauptleute, Ratgeber) beschenkt und
nachdem sich der Händler mit Lebensmitteln versehen hat, zieht
die arabische Karawane weiter, um anderweitig Elfenbein zu kaufi^,
für den Fall die Tauschwaren noch in genügender Menge vorhändmi
sind. Zuweilen schliefsen der Händler und der Häuptling Blutsbrüder-
schaft, jeder in der stillen Hoffiiung, dadurch gröfsere Vorteile vom
andern zu erlangen. Da aber diese ^oftwvxiv^'e^ v^^%en der fekeheA
Voraussetzung nie verwirklicht werden, so \vä.\> xr»». ^^St^vSäaäbJ
— 165 —
den auch nicht immer zweifellosen Vorteil, Yon seinem Blutsbruder
Feindseligkeiten nicht befürchten zu brauchen.
- Ein Araber, Abdalla bin Nasib, der von Unjanjembe nach dem
damals noch sehr elefantenreichen Ugalla gezogen war, hatte mit
dem damaligen Häuptling Taka, welcher sehr viel Elfenbein besafs,
Blutsbrüderschaft geschlossen. Er liefs hierauf durch einen seiner
Leute Streit mit den Eingeborenen provozieren, rief dann seinen
neuen Blutsbruder zu sich ins Zelt und schofs ihn nieder, unter
dem Vorwande, da£s Taka die Blutsbrüderschaft durch den Streit
seines Untertanen mit des Arabers Trägern gebrochen habe. Der
Blutsbruder ist verantwortlich für die Thaten seiner Leute.
Abdalla bin Nasib bemächtigte sich sodann des Elfenbeins seines
ermordeten Blutsbruders. Die Folge war eine ungeheure Erbitterung
der Wagalla und durfte es während 10 bis 15 Jahren kein Araber
wagen, Ugalla zu betreten. Der ehrenwerte Abdalla bin Nasib
wurde später Gouverneur von Tabora, um dann durch Said Bargasch
vergiftet zu werden.
Hat der arabische Händler auf seinem Zuge die Tauschwaren-
yorräte gegen Elfenbein eingehandelt, so zieht er mit einem kleinen
Best derselben, welcher zum Einkauf des Unterhalts auf dem Rück-
wege dienen mufs, heimwärts. Oft hat er noch einige Sklaven ein-
gehandelt, welche an der Stelle entlaufener Träger Lasten schleppen
müssen. Häufig kommt es vor, dafs die ganze Karawane, selbst der
^Händler inbegriffen, auf dem Rückwege Hunger leiden mufs.
Zuweilen ist der Araber genötigt, unterwegs Zähne mit Ver-
lust zu verkaufen, um Lebensmittel einzuhandeln.
Die Händler, welche voii Unjanjembe nach Uganda am Victoria
Nianza ziehen, müssen dort oft lange warten, manchmal 50 bis 100
an der Zahl, bis dem Häuptling von Uganda Lust und Laune an-
wandelt, Geschäfte abzuschliefsen.
In Tabora kaufen es zuweilen andre Araber auf, oder der
Araber zieht selbst zur Küste, um es seinen Gläubigern abzukaufen.
Der Durchgangszoll in Ugogo wird für Elfenbeinkarawanen in eisernen
Hacken erlegt, welche in Tabora von Wasukama verkauft werden.
Von Kiloa aus ziehen alljährlich ebenfalls viele arabische Händler
nach dem Nyassa, um westlich desselben Elfenbein zu kaufen. Diese
kehren, ohne Unjanjembe zu berühren, nach der Küste zurück. Sie
treiben Elfenbeinhandel mehr als Nebenzweig des Sklavenhandels.
Den Elfenbeinhandel mit den Massailändern vermitteln aus-
schliefslich Wasuaheli von Pangani. Träger und Führer stammen aus
Pangani und Umgebung. Sie haben es bis heute verataxvdftxs.^ ^^
Emdringen der Araber zu verhindern. V^\^A.e>i\Lo\\Ä ^^^^^^s2ö& ^^^os.
— 166 —
Araber, selbst dort Elfenbein zu kaufen, mifsglückten, da dieselben
als hellfarbige bärtige Menschen zu grofsen Mifshandlungen durch
die Massai ausgesetzt waren. Die Strapazen und Gefahren, welchen
die Panganihändler sich dort aussetzen, sind allerdings sehr grofs,
werden jedoch in Erzählungen vielfach übertrieben, um andre Unter-
nehmungslustige abzuhalten, und ist es nicht unmöglich, dafs die
Mifshandlungen der Araber durch die schwarzen Händler veranlaCst
wurden.
Es kommt häufig vor, dafs ein Massai einen Kauflustigen weg-
führt und zwar allein zu einem angeblich eingegrabenen Zahn, um
ihn dann aus reiner Mordlust niederzustechen. Die Massai erkennen
keinen Häuptling an und jeder der einen Zahn findet und einen Ele-
fanten erlegt, kann frei über das Elfenbein verfügen.
Als Tauschwaren haben dort nur Wert einige wenige
blaue Baumwollstoffe, welche um den Hals gewickelt getragen
werden, und hauptsächlich Eisen und Messingdraht. Pulver und
Gewehre kauft der Massai gar nicht, da er nur blanke Waffen fuhrt,
Speere, Schwerter, Schild und Wurfkeulen. Der Massai verkauft
sein Elfenbein ganz offen, hält es aber für unter seiner Würde, den
Zahn selbst zu berühren. Er läfst ihn von einem Sklaven eingraben
und vom Händler selbst ausgraben und ins Lager schleppen. Ist
der Handel abgeschlossen, so spucken beide Teile auf Elfenbein und
Tauschwaren und jeder Widerruf ist ausgeschlossen. Das Kapbein
wird von weifsen Jägern gejagt und nach Port Natal und Kapstadt
gebracht. Manche der Jäger sind reich geworden.
Von Benguela und Loanda an der Westküste aus ziehen
schwarze Elfenbeinhändler oder Mischlinge nach dem Innern, welche
von Portugiesen Kapital entleihen, oder mit eignem Kapital arbeiten.
Da die Elefanten dort aber bis weit landeinwärts, wie auf der Karte
angegeben ist, ausgerottet sind, so sind sie jetzt genötigt, weit zu
reisen und zwar in das Lundareich des Muata Jamvo nach dessen
jeweiliger Residenz. Die Reise dorthin dauert drei bis vier Monate.
Der Muata Jamvo des Lundareiches gestattet den Küstenhändlern
nicht, über seine Residenz hinaus zu ziehen imd Elfenbein zu kaufen,
da er selbst nach allen Richtungen hin durch seine Untergebenen
Elfenbein aufkaufen läfst. Diese seine Leute dringen selbst bis zum
Merusee vor, woher sich auch erklärt, dafs weiches Elfenbein in
Benguela und Loanda an die Küste kommt. Aus Furcht, sein
Handelsmonopol zu verlieren, wollte Muata Jamvo, wie der jeweihge
Herrscher von Lunda heifst, selbst Forschungsreisende, Dr. Buchner
und Dr. Pogge, nicht weiter nordwärts dringen lassen.
Den Handel in. Ambrize veximtleVn. väa ^.\xK\i ^^ öät Q^^i&Ar
— 167 —
und Sklavenküste ausnahmslos schwarze Zwischenhändler, Angehörige
von Stämmen, welche entweder unmittelbar an der Küste oder dicht
dahinter sitzen. Sie haben den Handel vollständig in Händen imd
es bis heute verstanden, jedem Händler oder Forschungsreisenden
das Eindringen unmöglich zu machen. Die Ursachen aller Streitig-
keiten imd Kämpfe an der Westküste sind auf die Intriguen jener
Zwischenliändler zurückzuführen.
Auf kleinen oder grofsen Handelsexpeditionen kaufen sie das
Elfenbein auf, um es dann an deutsche, englische, französische,
holländische und auch portugiesische Faktoreien abzulassen.
An der Westküste werden als Tauschwaren eingeführt: Glas-
perlen aus Nürnberg und Venedig, Baumwollstoffe aller Art fast
ausschliefslich aus England, welches viel billiger wie Deutschland
produziert. Pulver und Branntwein hauptsächUch aus Deutschland,
wie auch Solinger und westfälische Stahlwaren. Steingut und Glas-
waren aus Deutschland und England, Tabak aus Bremen, Gewehre
aus Deutschland, England und Belgien.
An der ganzen Gold- und Sklavenküste werden aufserdem
Kaurimuscheln in sehr grofsen Mengen eingeführt. Hamburger und
französische Schiffe bringen sie auf der Rückkehr nach Europa aus
Sansibar dorthin.
Die Händler aus den nördlichen Häfen ziehen durch die Wüste
und kaufen Elfenbein am Südrand der Sahara von Händlern ein. Die
ägyptischen fahren den Nil hinauf und kommen selbst bis Uganda.
Doch nicht allein auf dem friedlichen Wege des Handels wird
Elfenbein im Innern erworben. Die Häuptlinge führen erbitterte
Kiiege zur Erlangung desselben und die Araber fallen mit Kriegs-
macht über die Eingeborenen her, um ihnen das Elfenbein abzu-
nehmen. Oft werden sie dabei von eingeborenen Häuptlingen unter-
stützt, welche die Hülfe der Araber in ihren Fehden in Anspruch
nehmen.
Von den verschiedenen Ostküstenplätzen kommt das Elfenbein
nach Sansibar, wo an den Sultan ein Zoll von 12 Dollar per 36 Pfund
englisch gezahlt wird. Dieser Zoll war bisher an Inder verpachtet.
Er sollte an der Küste im vorigen Jahre in die Hände der ost-
afrikanischen Gesellschaft übergehen und fühlte dies bekanntlich zum
Ausbruch der Unruhen.
Die Inder Sansibars verkaufen das Elfenbein zum grossen Teil
an deutsche oder amerikanische Häuser oder aber es geht nach
Bombay. Von dort gelangt der gröfste Teil auf die Märkte von
London, den bedeutendsten Elfenbeinmarkt der W^lt, "S^^^q^^^ ^^^^
nach Amsterdam und Hamburg. Indien, selbst koxvsxxnmX* ^^^ ^\<ä^^>&s5ö.-
— 168 —
bein. Es wird hauptsächlich zu Armringen filr die Eingebomen
dort verarbeitet. Eine grofse Quantität Hohlungstücke, welche auf
der ganzen Länge den entsprechenden Durchmesser haben, gehen
von Europa nach Indien zurück, um dort ebenfalls zu Ringen ver-
arbeitet zu werden. Der groXse Konsum von Armringen erklart sich
daher, dafs dieselben nach dem Tode des Trägers zerschlagen werden.
Von Sansibar gehen jährlich sehr grofse Quantitäten nach Bombay,
von dort nach Europa und hielt man früher dieses Bein für indisches.
China kauft sehr viel minderwertiges Elfenbein, welches schon
in Sansibar von den Indern zu diesem Zweck aussortirt wird. Dar-
unter hauptsächlich das angebrannte und stark verwitterte Bein.
Das Elfenbein hält alljährlich hundert- und aber hundertausend
Menschen in Atem, es werden Kriege um seinetwillen geführt,
Menschen getödet, gefahrvolle mühsame Reisen zur Erlangung des-
selben unternommen, Geld aufs Spiel gesetzt, Schiffe befrachtet,
Existenzen hängen davon ab, so dafs man glauben könnte, es handle
sich dabei um ungeheure Werte und doch beträgt nach Westendatp
die jährliche Ausfuhr aus ganz Afrika mit seinem unermefslichen von
Elephanten bewohnten Gebiete nur 848000 kg im Werte von
15 — 17 000000 Mark, ein jedenfalls verschwindend kleines Quantum
von verschwindendem Werte im Vergleich zu dem unendliche
Aufwand an Arbeit und Mühe. Es wäre lächerUch im Hinblick
auf jene Werte das Elfenbein als treibenden Faktor bei kolonialeii
Unternehmungen in Rechnung zu ziehen. Zu bedauern iist nur dßß
nicht aufzuhaltende Aussterben, der Elephanten. Westendarp nimmt
das durchschnittliche Gewicht eines Zahnes zu 13 kg an und würden
darnach jährUch 65 000 der edlen Tiere hingeschlachtet. Diese
jährlich getöteten Elephanten repräsentieren, nutzbar gemacht, eine
ganz ungeheure Arbeitskraft und einen ungleich höhern Wert wie
das gewonnene Elfenbein , bei welchem die zu seiner Erlangung
aufgewendete Mühe in gar keinem Verhältnis zu dem gewonnenen
Resultate steht.
Die Elfenbeinausfuhr wird sich vielleicht innerhalb der nächsteü
40 — 50 Jahre stetig langsam steigern, um dann immeji^ melur ^
sinken und die Zeit, wo in Afrika der letzte Elephant nieder-
geschossen wird oder elend in irgend einem zoologischen Garten au
Grunde geht, dürfte nicht weiter wie 150 — 200 Jahre vor uns lieg«i,
wenn es nicht möglich gemacht wird, durch Jagdgesetze sein Aus-
sterben hinzuziehen öder den Elefanten nutzbar zu machen. Dok^
sind dazu leider sehr wenig Aussichten.
169
Der Ylll. deutsche Geographentag in Berlin
Von Dr. W. Wolkenhaner«
Nach Beschlufs des VII. Geographentages in Karlsruhe zu
Ostern 1887 sollte die nächste Versammlung in der Osterwoche des
Jahres 1888 in Berlin stattfinden. Die tiefeingreifenden Ereignisse,
welche zu dieser Zeit ganz Deutschland schwer betrafen, veranlafsten
jedoch das Organisationskomitee, die Abhaltung des VIII. Geographen-
tages auf das Jahr 1889 zu verlegen. In der Osterwoche, am 24.,
25. und 26. April, hat derselbe nun in der deutschen Reichshaupt-
stadt Berlin in hergebrachter Weise getagt und es soll über den
Verlauf desselben hier in Kürze berichtet werden.
Die Zahl der Teilnehmer an der diesjährigen Versammlung
betrug nach der Präsenzliste, die allerdings leider nicht vollständig
ist, 476; die Mehrzahl stellte natürlich auch hier der Versammlungsort,
Berlin selbst, nämlich 309; 167 Teilnehmer ware^ von auswärts
{aus 89 verschiedenen Orten nach meiner Zählung) gekommen.
Hiemäch wäre die Zahl der Teilnehmer an den Geograf)heh-
tagen in Frankfurt mit 504 und Hamburg mit 633 Besuchern eine
stärkere als in Berlin gewesen. Dafs die Beteiligung trotz des
diesmaligen schönen Frühlingswetters und der Anziehungskraft, die
man doch von der Reichshauptstadt erwarten durfte, nicht gröfser
gewesen ist, mag wohl einen Hauptgrund in dem bereits einge-
tretenen Schlufs der Osterferien an den meisten höheren Lehranstalten
to Reiche gehabt haben. Städte, die aufser Berlin durch wenigstens
drei Teilnehmer vertreten waren, sind: Halle a. S., Hamburg, Wien,
Gotha, Bonn, Potsdam, Leipzig, Königsberg, Rostock, Stettin, Weimar,
Stralsund, Breslau, Dresden, Greifswald, Magdeburg, Hannover,
Bremen, Braunschweig, Weimar, Marburg, München, Prag. Das
Ausland, die Schweiz, Holland, besonders aber Österreich-Ungarn,
war diesmal wie auf den meisten der früheren Geographentagen
vertreten. Da die deutsche meteorologische Gesellschaft ebenfalls,
wie schon vorher in Karlsruhe, ihre Hauptversammlung in Berlin
zu gleicher Zeit abhielt — die dritte Sitzung des Geographentages war
sogar eine gemeinsame mit dieser — , so nahmen die meisten der
Mitglieder auch am Geographentage teil ', in dct lA\\.^\ftftÄt&!^^ %s!Äss«^
wir deshalb auch die Namen der bekannten '^ft\.^oto\o%%w^\x:^^'^^^^^
— 170 "
V. Bezold, Neumayer, v. Bebber, Asmann, Hellmann, Sprung,
Schreiber u. a. Es würde zu weit führen, die Namen der auf
geographischem Gebiete bekannteren Teilnehmer alle aufzufuhren,
es genüge einige zu nennen. Die deutschen Hochschulen waren
diesmal besonders zahlreich vertreten; es waren gegenwärtig:
V. Richthofen-Berlin, Kirchhoff-Halle, Wagner-Göttingen, Rein-Bonn,
Hahn-Königsberg, Fischer - Marburg, Günther - München, Lehmann-
Münster, Credner-Greifswald und eine gröfsere Anzahl Privatdozenten
und angehende Geographen ; das Gothaer Institut hatte Prof. Supan,
H. Wichmann, Dr. Hassenstein, C. Vogel und H. Habenicht gesandt ;
aus Wien war Professor Penck, aus Graz Professor Richter und aus
Prag Professor Lenz erschienen. Der Lehrerstand ^) war ebenfalls
durch eine Reihe auf geographischem Gebiete bekannter Schukäte,
Direktoren und Lehrer vertreten. Von den anwesenden bekannteren
Reisenden seien genannt : Professor Bastian, Dr. von den Steinen, Dr. Paul
Güfsfeldt, Hofrat Gerhard Rohlfs, Paul Reichard, Missionsinspektor
Büttner, Dr. v. Danckelman, Dr. W. Joest. Einen besonderen Glanz
erhielt die diesjährige Versammlung dadurch, dafs eine gröfsere Zahl
hoher Staatsbeamten und Offiziere und eine Reihe von hervorragenden
Gelehrten, deren Wissenschaftsgebiete der Geographie nahe stehen,
vielfach den Verhandlungen und geselligen Zusammenkünften bei-
wohnten. Das Ehrenpräsidium der Versammlung hatte der preufsische
Unterrichtsminister Dr. von Gofsler selbst in entgegenkommender
Weise übernommen.
Wir geben nun zunächst eine kurze Übersicht über den Gang
der Verhandlungen, den Inhalt der Vorträge können wir dabei selbst-
verständlich nur hier und da andeuten^). An den drei Versammlungs-
tagen wurden in 6 Sitzungen aufser den Einleitungsreden und geschäft-
lichen Verhandlungen 17 Vorträge gehalten. Diese betrafen haupt-
sächlich Fragen der physikalischen Erdkunde; einer gehörte der
Völkerkunde an, zwei behandelten die geographische Litteratur, einer
die wissenschaftliche Landeskunde und zwei pädagogische Fragen.
Eine eigentliche Diskussion schlofs sich nur an wenige Vorträge an.
Die Verhandlimgen wurden am Mittwoch Vormittag einhalb elf Uhr
in dem schönen Philharmoniesaale in Gegenwart einer stattlichen
Versammlung von Ehrengästen, aus Gelehrten, hohen Staatsbeamten,
Militärs und Marineofffizieren bestehend, durch eine nach Inhalt und
*) Von den 167 auswärtigen Teilnehmern gehörten gegen 80, soweit dies
festzustellen war, diesem an.
^ Bekanntlich ei*scheinen die Verhandlungen der Geographentage im
Verlug von D. Reimer in Berlin im Druck; mv vi^\s^Ti ^^ l?Y^\mde der Geographie
beJ dieser Gelegenheit noch besonders aui Oaea^Wj^u \iml.
— 171 —
Form vortreffliche Ansprache des Ehrenpräsidenten, des Herrn
Kultusminister Dr. von Gofsler, eröffnet. Dieselbe bekundete vor
allem in hocherfreulicher Weise, dafs man den Bestrebungen der
deutschen Geographentage an leitender Stelle ein tiefes Verständnis
entgegenbringt. Ganz besonders wies der Minister auf die Beziehungen
des Geographentages zur Entwickelung des geographischen Unter-
richts hin. „Nicht allein die auf Anschauung und Zeichnen ge-
gründeten Methoden und die aus Ihrem Kreise hervorgegangenen
Lehrbücher haben Einzug in die preuTsischen Schulen gehalten, vor
allem die Heranbildung der Lehrer in einer ihren Vorschlägen ent-
gegenkommenden Weise ist im Laufe des letzten Jahrzehnts gesichert.
Jede preufsische Universität erfreut sich eines eigenen Lehrstuhles
für Geographie, ihre Vertreter sind als gleichberechtigte Mitglieder
in die wissenschaftlichen Prüfungskommission eingetreten, bei der
Prüfung ist die Geographie als selbständiges Lehrfach anerkannt und
Fürsorge getroffen, dafs selbst der geringste Grad von Lehrbefähigung
nicht ohne ein gewisses Mafs zuverlässiger Kenntnisse in der
physischen und mathematischen Geographie gewonnen werden kann.
Indem die Geographie in der Prüfung als ein Hauptfach sowohl mit
den sprachlich-geschichtlichen, wie mit den naturwissenschaftlich-
mathematischen Fächern sich verbinden läfst, ist sie in den Unter-
richtsplan unserer höheren Lehranstalten als ein Bindeglied zwischen
die beiden grofsen Gruppen der Disziplinen gestellt worden, erfüllt
mit der hohen Aufgabe, in bevorzugtestem Mafse an der harmonischen
Ausbildung unserer Jugend mitzuwirken und in dem jugendlichen Geiste
die Einheit des Wissens zu vermitteln." Nachdem hierauf Geh. Rat
Dr. Hardeck (Karlsruhe) die Teilnehmer und Ehrengäste des Geographen-
tages im Namen des Zentralausschusses und Professor Freiherr von
Richthofen dieselben im Namen des Ortskomitees in einer längeren Rede
begrüfst hatte und das Bureau für die Tagung gewählt war, hielt Herr
Dr. von den Steimn (Berlin), der bekannte Brasilienreisende, einen mit
reichem Beifall aufgenommenen Vortrag über „Erfahrungen zur Ent-
wickelung der Völkergedanken". Es war dieser Vortrag der einzige,
der für einen weiteren Kreis von allgemeinem Interesse war, alle übrigen
Vorträge waren fast ausschliefslich fachwissenschaftlicher Natur. So
der Vortrag vom Geh. Admiralitätsrat Dr. Neumayer (Hamburg),
der unter Vorlegung von ihm bearbeiteter Karten „über das gegen-
wärtig vorliegende Material für erd- und weltmagnetische Forschung"
berichtete. Nach einem Überblick über die zahlreichen Reisen,
welche in der letzten Zeit gerade diesen Teil der Wissenschaft
gefördert haben, führte er an der Hand des \oi\Ä%'ewiÄ\v "^^«»s^^
am, dafs die bisherigen, von Gauts, Weber xaväL^Eisasi^Ä
— 172 —
Theorien übör Isogonen, Isoklinen und Isodynamen mit deh
24 Gaufs'schen Konstanten nicht ganz in Einklang zu bringen- Beien^
und dafs an der Hand neuen Materials diese Theorien zu prüfen sei^a.
In der zweiten Sitzung, Mittwoch Nachmittag, machte, Prof essor
V. Bichtho/en zunächst nähere Mitteilungen über ein DenkmaJ
för Dr. Gustav Nachtigal. Bekanntlich sollte ein solches auf Kap
Palmas errichtet werden, doch nahm man davon Abstand, als die
Gebeine Nachtigals nach Kamerun überfährt wurden. Von den in
Berlin vorhandenen Geldern im Betrage von rund 12 000 Jt>. will
man nun 7600 A für eine durch den Bildhauer Büchting anzu-
fertigende Büste Nachtigals verwenden, die in der afrikanischen
Abteilung des Völkermuseums aufgestellt werden soll. Femer soll
die Stadt Stendal, der Geburtsort Nachtigals, welche bisher 8000 Jd,
für ein dortiges Nachtigaldenkmal bereit hat^ den noch zur Errichtung
dieses Denkmals fehlenden Teil erhalten und der dann ver-
bleibende Rest soll zur Herausgabe eines die nordafrikanischen
Sprachen behandelnden litterarischen Nachlasses von Dr. Nachtigal
durch seinen Neffen Dr. Prietze benutzt werden. Der Geographentag
stimmte diesem Antrage in einer späteren Sitzung zu.
Hierauf erstattete Professor jfiTircMojf (Halle) den alljährlichen
(diesmal für die letzten 2 Jahre) Bericht über die Thätigkeit der
„Zentralkommission für wissenschaftUche Landeskunde von Deutsch-
land^. Die Arbeiten haben hiernach infolge erfreulicher Unterstfttzimg
des preufsischen Unterrichtsministeriums einen eben so b^nedigenden
als finanziell gesicherten Verlauf genommen. In ununterbrochenem
Fortgange sind die bibliographischen Zusammenstellungen zur Landes-
und Volkskunde von Mitteleuropa. Von den „Forschungen*^ sind
bereits mehrere Hefte des HL Bandes erschienen; von der „Bibliothek
der Handbücher zur deutschen Landes- und Volkskunde" ist kürzlich
die vortreffliche „Anleitung zur Landes- und Volksforschnng im
aufseralpinen Deutschland" ausgegeben, welche der unmittelbar«!
Anregung zu werkthätiger Anteilschaft an der Heimatsforschung dienen
soll. Die Kommission hat ferner jetzt eine systematische Zusammen-
stellung aller auf das heutige deutsche Reich bezüglichen Bücher und
Karten durch Bibliothekar Küster (Dresden) in Angriff genommen. Eine
sehr bedeutsame Arbeit ist auf Anregung der Zentralkommiasion durch
Herrn Dr. Eschenhagen in der erdmagnetischen ErforscHung und
Kartierung des Harzgebirges ausgeführt worden, und die deutsche
Admiralität hat darauf hin die Ausdehnung derselben Messunga-
arbeiten auf das west- und ostdeutsche Küstengebiet angeordnet.
Die gute Verwaltung ihrer besc\iiänkteiv Geldmittel ermöglichte: üs
der Zexiiralkommission, sogar diieVAÄ G^Ä^xsÄW^^&aBOÄagaek .i
173
Förderung heimatkundlicher Arbeiten zu bewilligen; sie konnte zwei
jungen Forschem Stipendien für geophysikalische Aufnahmen (Unter-
suchungen über die hinterpommerschen und ostpreufsischen Seen) ver-
leihen. Ferner beabsichtigt die Kommission, sich als Ratgeber an der
kartographischen Aufnahme der deutschen Länder durch die deutsche
Militärbehörde in der Weise zu beteiligen, dafs sie ihre Mitwirkung
bei der Feststellung der Ortsnamen auf der Generalstabskarte zur
Verfügung stellt. Es soll daher das gemeinsame Bemühen dahin
gehen, eine einheitliche, wissenschaftlich begründete Namens-
schreibung herbeizuführen, und die Zentralkommission hat für die
beste Arbeit auf diesem Gebiet, welche bis zum 1. Mai 1890 ein-
geliefert wird, einen Preis von 400 Jk. ausgesetzt.
Herr Professor Dr. Supan aus Gotha sprach hierauf „über spezial-
geographische (landeskundliche) Litteratur". Er beklagte vor allem
die Yernfichlässigung der speziellen Geographie gegenüber den ein-
seitigen Fortschritten der physischen und allgemeinen. Man hat die
Spezialgeographie nicht nur in litterarischer Hinsicht stiefmütterlich
behandelt, sondern man hat auch ihre Stellung in der Wissenschaft
verschoben ; sie ist nicht mehr die ebenbürtige Schwester der allge-
meinen Geographie, sondern ihre Dienerin. Diese Erscheinung findet
in der naturwissenschaftlichen Richtung unsrer Zeit ihre Erklärung.
Ein weiterer Grund ist in der Verschiedenheit der wissenschaftlichen
Thätigkeit selbst zu suchen, welche sich in die lehrende und in die
fördernde teilt. Die Spezialgeographie ist in erster Linie eine lehrende
und sofern sie sich nicht auf die kartographische Darstellung eines
Landes beschränkt eine wesentlich kritische Wissenschaft, die jede
Theorie, wenn sie nicht auf dem Boden eigner, sicherer Beob-
achtung steht, rasch beseitigt. Der Redner erörterte sodann umständlich
das Verhältnis der Spezialgeographie zur allgemeinen Geographie und
trat mit lebhaften Worten für die bessere Pflege und den sorgfältigeren
Anbau dieser lehrenden Spezialgeographie ein, die an wissenschaftlichem
Reiz allerdings der physischen Geographie nachsteht, die aber sehr
wohl den Rang einer vollen Wissenschaft nach wie vor be-
haupten wird.
Den Schlufs der Sitzung bildete ein Vortrag von Professor
Dr. Richter (Graz) über eine sachgemäfse Stoff- und Arbeitsteilung
unter den deutschen geographischen Zeitschriften. Er beklagte nicht
sowohl den Mangel, sondern vielmehr die zu grofse Fülle an geo--
graphischen Zeitschriften. Aber nach der Ansicht des Redners liegt
der hauptsächliche Fehler in der allzugrofsen Zerstreutheit des
Materials, in ihrem Stoffgemenge und StoffgejXÄSÄx^ \«A ^^ ^%:t^
äßher eine grötaexe Zusammenfassung der \\ttÄt«iX\^dtL«^ ^^sl^^^^^
— 174 "-^
sehr zu wünschen; auch findet sich in ihnen allzuviel Bekanntes,
zum Teil aus den Tagesblättern Nachgedrucktes vor. Hierin kann
also eine Besserung erzielt werden, wenn die Zeitschriften sich eine
gröfsere Beschränkung auferlegen und hierzu könnten, nach des Redners
Meinung, 'die geographischen Gesellschaften schon ziemlich viel bei-
tragen, wenn sie das Gebiet der Forschung unter sich verteilten, so
dafs jede einzelne ein abgeschlossenes Gebiet für sich erhält. Der
Redner schlägt die Annahme einer Resolution des Inhaltes vor,
dafs der Geographentag eine zweckmäfsigere Stoffverteilung in den
geographischen Zeitschriften für notwendig hält. Nach einer längeren
Debatte, in der die Schwierigkeiten hervorgehoben wurden, in dieser
Richtung eme Änderung herbeizufuhren, zog der Vortragende seinen
Antrag zurück.
Die dritte Sitzung am Donnerstag Vormittag, den 25. April,
begann mit einem Vortrage des Professors Dr. A. Penck (Wien)
über das Endziel von Erosion und Denudation, der wegen der
Exemplifikationen auf Rhein und Weichsel zum Teil von allgemeinem
Interesse war.
Die weiteren Vorträge behandelten sämtlich die Frage der
Klimaschwankungen und der Abnahme des Wassers. Professor
Dr. Brueckner (Bern) erörterte zunächst, inwieweit das heutige
Klima beständig sei. Er zeigte, dafs der Wasserstand im Schwarzen
und Kaspischen Meer, in der Ostsee u. a. Schwankungen unterworfen
sei, welche denen der Gletscher, der Regenfälle entsprechen, und diese
Schwankungen müfsten nach umfang und Charakter nicht als solche
der Witterung, sondern des Klimas bezeichnet werden. Die gleich-
zeitigen Schwankungen des Regenfalls, der Temperatur und der Zeit
der Weinernte hatte der Vortragende auf einer grofsen Karte graphisch
in Form von chronologisch geordneten Kurven dargestellt, welche
den Hörern seine Ausführungen deutlich veranschaulichten. In Zu-
sammenhang stehen diese Schwankungen mit denen des Luftdruckes,
welcher sich in trockenen Jahren verschärft und die ozeanische
feuchte Luft nicht vordringen läfst. Im einzelnen sind die Er-
scheinungen verschieden; im ganzen aber gilt für den Erdball das
Gesetz, dafs das Klima schwankt und mit ihm Seen, Flüsse und
Gletscher, Jedenfalls sind diese Klimaschwankungen von hoher
praktischer Bedeutung, denn mit dem Steigen und Sinken der Flüsse
und Seen, mit Regenarmut und Regenreichtum hängen Handel und
Verkehr, Hungersnot und üppiger Ertrag eng zusammen. — Professor
Dr. Part seh (Breslau) sprach sodann „über Klimaschwankungen in
den Mittelmeerländem^ , Redner exöTtiett^ ^ dÄ.Cß zur Erforschung
dieses Gegenstandes die modernen meileoxo\o^\Ä^^%\v ^Oöwäofe««^^
— 175 —
nicht ausreichen, da sie sich über einen zu kurzen Zeitraum er-
strecken. Als Ersatz müssen demnach historische Aufzeichnungen
dienen, die für die Mittelländer Jahrtausende umspannen ; doch dürfen
auch diese Zeugnisse nur mit gröfster Vorsicht benutzt werden.
Sicherer ist die Kunde, die wir aus eigentümlichen Vorkommnis-
änderungen von Pflanzen und Tieren ableiten können. Wichtig für
Beantwortung der vorliegenden Frage ist, dafs der Ölbaum, die
Dattelpalme und der Weinstock, drei uralte Kulturgewächse, noch
heute genau dieselben Verbreitungsgrenzen haben wie vor zweitausend
Jahren. Im allgemeinen ist es also unwahrscheinlich, dafs in
historischer Zeit eine klimatische Veränderung in den Mittelmeer-
ländern stattgefunden hat, doch tausend Jahre sind in der Geschichte
der Erde ein Tag. Dr. Götz (München) führte noch kurz in seinem
Vortrage „über die dauernde Abnahme fliefsenden Wassers auf dem
Festlande" aus, dafs eine sehr langsame aber stetige Abnahme des
Wassers stattfinde. Atmosphärische Gründe, wie zum Beispiel
stärker gewordene Verdunstung, austrocknendere Wirkung der Luft-
strömungen, ferner die Verschiebung der Baumgrenze und endlich
oft auch die Kulturarbeit des Menschen, dessen Wohlbeackerte Felder
immer mehr Feuchtigkeit brauchen, bewirken eine Verringerung der
Bäche und Quellen. Unsere Bäche werden schwächer, unsere Quellen
minder zahlreich, minder perennierend; aber die Erdoberfläche hält
von dem aufgenommenen Wasser eine hinreichende Menge fest, dafs
die Gefahr, wir könnten austrocknen, auf Jahrtausende hinaus noch
fernliegt.
Die am Nachmittag desselben Tages stattfindende vierte Sitzung
ward sodann vorwiegend den mit den grofsen Veränderungen des
Klimas in enger Verbindung stehenden Erscheinungen der Eiszeit
gewidmet. Dr. Wahnschaffe (Berlin) behandelte „die Bedeutung des
Baltischen Höhenrückens für die Eiszeit", Dr. A. Sclienh schilderte
Glacialerscheinungen in Südafrika und Dr. van Drygalski (Berlin)
sprach über die Bewegungen der Kontine zur Eiszeit und ihren Zu-
sammenhang mit den Wärmeschwankungen der Erdrinde. Die beiden
letzten Vorträge behandelten pädagogische Fragen. Dr. Hotz-Linder aus
Basel sprach über „Verwertung der Schulausflüge". Wie der Zoolog und
Botaniker, soll auch der Geograph mit seinen Schülern „Exkursionen"
unternehmen. In der Schweiz gebe es Stiftungen für Schülerausflüge.
Dort ziehe öfter ein Lehrer mit den Schülern für 8 bis 14 Tage auf den
Gipfel einer Alpe, wo man Wirtschaft führe, von Milch und Brod lebe und
Ausflüge unternehme. Doch auch in bescheidenerem Mafsstabe lasse
sich viel erreichen. Auf Spaziergängen a\\!c\v m mvsA<Kt ^o^ ^«^
Natur hegänatigten Gegenden könne der Lehret ^u ^\\>Sä&x&Kö. ^^«^
an Berg und Thal, an Seen und Sümpfen seinen Schülern das in ^
klemem Mafsstabe zeigen, was sich in der Natur oft in so gewaltigen .
Kräften äufsert. Wegen vorgerückter Zeit konnte sich leider an.
diesen Vortrag keine Besprechung knüpfen.
Hierauf sprach noch Professor Penck (Wien) über die Not-^
wendigkeit geographischer Bildersammlungen, wobei er die von.
Professor Friedr. Simony in Wien ausgeführten und zu einem Atlas
vereinigten Photolithographien, Lichtdrucke und Phototypien geo-
graphisch interessanter Ansichten des Dachssteingebietes vorlegte
und den Wunsch aussprach, dafs diese Publikation den Anfang einer
Reihe ähnlicher Werke bilden möge, bis das endgiltige Ziel erreicht
sei, nämlich die Vollendung eines geographischen Bildermuseums,
auf welches sich der Lehrer der Erdkunde ebenso stützen könne,
wie der der Naturkunde auf die bestehenden naturhistorischen
Museen.
Die fünfte Sitzung am Freitag Vormittag beschäftigte sich
mit Vorträgen über Geologie und Höhenmessung. Herr Professor
Beyer (Wien) sprach über die einfachsten Typen der Eruptivmassen
und Gebirgstypen und erläuterte an zahlreichen Modellen und
Experimentfiguren, wie man die in der Natur vorkommenden
Quetschungen, Zerreifsungen und Faltungen der Gebirgsmassen durch
Experimente versinnbildlichen kann. Als Arbeitsmaterial für diese
Modelle hatte er dünnbreiige Seifenmasse benutzt, die durch Elin-
mengung verschiedener Chemikalien und Farben zur Eruption
gebracht wurden bezw. nach der Erstarrung die Schichtung der
Lagen in deutlichster Weise illustrierten. An diesen Vortrag knüpfte
Oberberghauptmann Dr. Hnyssen (Berlin) Mitteilungen über die von
der preufsischen Bergverwaltung seit 20 Jahren angestellten Versuche
zur Erforschung der inneren Erdwärme, die manche der bisherigen
Annahmen richtig gestellt haben.^) Zunächst ist konstatiert worden,
dafs die Zunahme der Wärme in einer gewissen Tiefe nicht
aufhöre, wie man bisher glaubte. Als vorläufiges Besultat der
Untersuchungen ist femer anzunehmen, dafs die durchschnittliche
Temperaturzunahme um 1 ^/o R. nicht in Tiefen von je 40, sondern
von je 46 m stattfindet. Eine allgemeine Formel aber für die, wie
sich erwiesen hat, stetige Zunahme zu finden, ist nicht gelungen.
Professor Dr. Jordan (Hannover) sprach sodann „über die Methoden
und Ziele der verschiedenen Arten von Höhenmessung^. Das
Nivellement, die trigonometrische und die barometrische Methode
wurden nach ihrer Entwickelung, nach ihren Vorzügen und Naeh-
') Angefahrt sei hierbei, da(s das BoVucYocb. in Sperenberg b«i B«rim
Jetzt 1273 m, das in Seckenwitz 1338 m, das *m ^cYAa^<i>öaOa.Vl^m'^MAÄ\Mil.
teilen ausfohrlich geschildert, und mannigfache Beispiele von in
Deutschland ausgeführten Vermessungen wurden zur Verdeutlichung
der Ziele der verschiedenen Arten der Höhenmessung heran-
gezogen. In der anschliefsenden Erörterung äufserte Professor
Wagner verschiedene Wünsche, u. a., dafs auf unsern sonst so
vortrefHichen Karten, z. B. im Stielerschen Handatlas, bei Städten
u. s. w. auch die Höhenlage durch Zahlen angegeben werden niöge,
und erklärte, dafs die ganze Angelegenheit einer besonderen Sitzui^
während des nächsten Geographentages wert sei.
Im Anschlufs an eine Einladung zum Besuche der Zentral-
betriebsstation (am Stadtbahnhof Börse gelegen) der Gesellschaft
zur einheitlichen R^elung der Uhren erklärte Professor Fersten*
(Berlin), dafs demnächst, dank der durch die ReichspostverwaLtuug
gestatteten Benutzung des Telephonnetzes, in ganz Deutschland eime
einheitliche Regelung der Zeit zu erhoffen sei. Diese Angelegenheit
stehe in Verbindung mit der Frage der Weltzeit, welche hoffefitlicii
auf die Tagesordnung des nächsten Geographentages kommen werde.
Den letzten Vortrag hielt sodann Dr. Böhm (Wien) über die
Genauigkeit orometrischer Mafsberechnungen.
Damit war die wissenschaftliche Tagesordnung erledigt. Die
Teilnehmer des Geographentages begaben sich nunmehr nach dem
Museum für Völkerkunde unter Führung des G«h. Rat Prof. Bastian
und des Direktors Vofs. Die Museumverwaltung hatte in entgegen-
kommender Weise für die Gäste einen speziellen, mit Karten aus-
gestatteten übersichtUchen Abrifs der Sammlungen drucken lassen.
Viele Besucher dieses in seiner Art einzigen Museums werden mit
dem Berichterstatter nur lebhaft bedauern, dafs ihnen zur ein-
gehenden Betrachtung der hier in vorzüglichster Weise aufgestapelten
Schätze leider die Zeit zu kurz war. Einen Bremer mufste es aber
bei dieser Gelegenheit mit grofser Befriedigung erfüllen, die von unsrem
Dr. Finsch gesammelten reichen Schätze zu betrachten und dieselben
von Professor Bastian (bekanntlich ein Bremer!) rühmen zu hören.
Die Schlufssitzung am Freitag Nachmittag war lediglich geschäft-
lichen Angelegenheiten gewidmet. Zunächst wurde betreffs des
Nachtigaldenkmals, wie oben schon erwähnt, beschlossen, eine Büste des
grofsen Afrikareisenden in einem der Säle des Museums für Völker-
kunde aufzustellen und ein öffentliches Denkmal in der Vaterstadt
des Verstorbenen, in Stendal, zu errichten. In das Ausführunga-
komitee wurden die Herren Bastian, Bütow, Güfsfeldt, v. Richthofen
gewählt. Langwierige Beratungen wurden durch die eingebrachten
Anträge auf Statutenänderungen veranlafst. D\ft R^xm^V's^äc^«».^^^
]Bß in der Erörterung der Frage, ob xegÄraÄfajv^ ^\äöÄfiö.%^^^
Geographische BlätUr, Br«men 1889. ^^ *
— 178 —
bisher, Geographentage abgehalten werden sollten oder nicht. Man
einigte sich zuletzt dahin, einen zweijährigen Turnus einzuführen,
indessen dem Ausschusse, der das Recht der Selbstergänzung haben
solle, anheimzugeben, erforderlichen Falls auch wieder einmal zwei
Geographentage alljährlich aufeinander folgen zu lassen. Im kommenden
Jahre fällt jedoch derselbe aus, und im Jahre 1891 wird der
Geographentag einer Einladung nach Wien folgen. Für die schul-
geographischen Verhandlungen soll in Zukunft mindestens eine der
Nachmittagssitzungen ausschliefslich anberaumt werden. Ferner wurde
der Ausschufs ermächtigt, der Zentralkommission für wissenschaft-
liche Landeskunde jeden etwaigen Überschufs aus den laufenden
Jahreseinnahmen behufs Vollendung seiner umfassenden bibliogra-
phischen Arbeiten zu überweisen. Endlich wurde auch infolge eines
Antrages dem Ausschusse aufgegeben, die nötigen Vorarbeiten zur
einheitlichen Rechtschreibung aller fremdsprachlichen geographischen
Bezeichnungen zu treflfen.
Da Berlin an und für sich des Sehenswerten für den Fremden
in reichem Mafse bietet, so hatte das Ortskomitee von einer geo-
graphischen Fachausstellung für diesmal mit Recht abgesehen, doch
hatte dasselbe in dankenswertester Weise in einem Saale des Völker-
museums eine Sonderausstellung veranstaltet, welche sich auf die
Ausführungen von Höhenmessungen, sowie auf deren Verwertung bei
graphischen und plastischen Darstellungen bezog. Das von den
Herren v. Danckelman und Hellmann besorgte Verzeichnis zählte
153 Nummern. Die erste Abteilung umfafste Instrumente zur
Höhenmessung auf Reisen (ReisetheodoUte, Tachymeter, Aneroide,
Nivellirinstrumente, Hypsothermometer u. a.), die zweite Niveau-
karten bez. Originalaufnahmen, die dritte Höhenschichtenkarten,
Profile und Reliefs und die vierte endlich Schriften über Höhen-
messungen.
Von besonderem Interesse waren die beiden diesmal mit dem
Geographentage verbundenen Ausflüge, die gesellige und vor allem
geographisch-geologische Anregung in hohem Mafse boten. Am
Sonnabend, den 27. April, vereinigten sich etwa 150 Teilnehmer
(darunter auch etwa 30 Damen) unter Leitung des Landesgeologen
Dr. Wahnschaffe (Berlin) und des Bergrates von der Decken (Rüders-
dorf) zu einem Ausfluge in die etwa 30 km östlich von Berlin
belegenen Kalkberge von Rüdersdorf. Die Dampferfahrt über den
Flaken- und Kalksee bis in den Rüdersdorfer Kalkbruch, die
Besichügung des Bruchs, wobei ein ansehnlicher Bergsturz, wie er
woIiJ kaum von einem der TeilnelimeT ^e^ g^aehen war, vorgef&hft
wurde, sowie die Wanderung über den ^ö\i«tmx%^ xxni ^ ^Stt^aale
— 179 —
erscheinungen im Alvenslebenbruche zu besichtigen, das gemeinsame
Mittagsessen im Garten des Gasthofes „Zur goldenen Traube" werden
den Teilnehmern dieses vom schönsten Frühlingswetter begünstigten
Ausfluges gewifs eine der angenehmsten Erinnerungen an den Berliner
Geographentag bleiben. Am Sonntag, den 29. April, ist dann noch
unter Führung des Landesgeologen Professor Dr. Berendt ein Ausflug,
an dem sich etwa 100 Personen beteiligt haben, nach der End-
moräne bei Chorin und Joachimsthal ausgeführt. Da ich an dem-
selben nicht teilnehmen konnte, so kann ich darüber nur nach einem
Zeitungsbericht mitteilen, dafs auch dieser Ausflug zur hohen Zu-
friedenheit der Teilnehmer ausgefallen sein soll.
Zum Schlufs noch ein kurzes Wort über die geselUgen
Zusammenkünfte, die zur Erleichterung und Anbahnung des persön-
lichen Verkehrs der Teilnehmer unter einander nicht nur eine an-
genehme Zugabe, sondern für viele, insbesondere die ständigen Teil-
nehmer, ein wichtiger Bestandteil des Geographentages sind. Schon
am Vorabend des Eröffnungstages, Dienstag, den 23. April, trafen
sich viele Teilnehmer im „Frankenbräu", Unter den Linden Nr. 27,
und auch an den folgenden Abenden fanden sich die Teilnehmer
hier meist zum geselligen Zusammensein ein. Natürlich zogen auch
viele der sehenswerten reichshauptstädtischen Bierpaläste die
fremden Teilnehmer oft noch zu später Abendstunde zum Kemien-
lernen an. Der Abend des zweiten Sitzungstages versammelte
eine grofse Zahl der Teilnehmer (etwa 250) zu einem Festmahl
im Hotel Imperial, Unter den Linden No. 44, an dem unter
andern hohen Staatsbeamten auch der Kultusminister Dr. von Gofsler
und aufser drei andern Mitgliedern unsrer Bremer Geographischen
Gesellschaft auch Herr Konsul H. H. Meier teilnahmen. Lebhaft
zu bedauern bleibt nur, dafs diesmal die Präsenzliste erst so spät
(am späten Abend des zweiten Sitzungstages) erschien; für das
gegenseitige Finden solcher Teilnehmer, die sich auf dem Geographen-
tage persönlich kennen lernen wollen, ist eine möglichst frühe
Ausgabe derselben für die Zukunft dringend erwünscht. !
Als vor acht Jahren, in der Pfingstwoche 1881, in Berlin
Vertreter der geographischen Gesellschaften, Lehrer und Freunde
der Erdkunde unter Gustav Nachtigals Vorgehen zum ersten Geo-
graphentage zusammentraten, war die Zahl der Stifter klein, unsicher
der Anfang. Aber wie der Sohn der Erde in der hellenischen Sage,
wie der Kultusminister Dr. v. Gofsler in seiner Einleitungsrede
treffend ausführte, so haben auch die deutschen Geographen durch
ihre Berührung mit der Erde immer neue KiäÄÄ %<k^^"«s\k^ ^«Ä.
h&mtene Jünger der Wissenschaft, wie waimeYxevjjvÖÄ wj^'siSL^t^^^^
18Ö —
der Gebildeten haben sich auf den Geographentagen immet mehr und
mehr eingefunden. Die Gunst der Umstände, eigene ernste Arbeit mit
neugesteckten Zielen, die Änderungen auf dem Gebiete des höhten
Unterrichtswesens, haben den geographischen Bestrebungen Nahrimg,
Richtung und Erfolg verliehen. Und so darf denn insonderheit die
Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, aus deren Mitte heraus der erste
und achte deutsche Geographentag vorbereitet wurden, mit Genüge
thuung auf ein wohlgelungenes Werk zurückblicken. Den Teä-
nehmern des diesjährigen Geographentages aber werden die anregeiulen
und schönen Tage noch lange eine angenehme Erinnenmg bleiben!
181
Kleinere Mitteilungen.
Befiiui der Arbeiten am Nicarasrua-Schiffskanal. Mit Bezug auf den
in diesem Heffc enthaltenen Aufsatz des Marineingenieurs Peary wird folgende
briefliche Mitteilung, welche uns kurz vor Abschlu{s dieses Heftes zuging, von
Interesse sein: Philadelphia, den 23. Mai 1889. Zu der Zeit, zu welcher Sie
diesen Brief erhalten, wird der Bau des Nicaragua-Schiffskanals bereits in
Angriff genommen sein. Die erste Flotille mit Arbeitern und Baumaterial geht
morgen von Newyork in See. Die Kompagnie hat vom Kongrefs Korporations-
rechte erlangt und besteht die zuversichtliche Erwartung, dafs der gesamte
Bau in 5 Jahren vollendet werden wird.
§ Ans der ipeoffFaiüiisolieii Oesellschaft in Bremen« Der Bericht des
Vorstandes über die Wirksamkeit unsrer Gesellschaft ini vorigen
Jahre liegt diesem Heft bei, i|i demselben si^id alle über unsre Gesellschaft zu
gebende Nachrichten enthalten und wir besphränkep uns daher hier nur noch auf
ein Referat über den am 27. Februar d. J. im Kreise der Gesellschaft gehaltenen
Vortrag des Herrn Dr. Kükenthal über zoologische Forschungs-
reisen in den Polarregionen. In der Anleitung verglich der Redner die
früheren und die heutigen Methoden naturwissenschaftlicher, besonders zoolo-
giseher Forschung. Es komoie jetzt auf das Sti;dium der verwandtschaftlichen
Beziehungen und überhaupt der Lebonsbedingiuigen der einzelnen Tierarten
an ; besonders wichtig sei das Stadium des höheren und niederen Tierlebens, in
Rücksicht anf die Veränderungen, welchen dasselbe im Laufe der ^eit unterlegen,
m der Folarwelt. In erster Linie stehen die verschied^en Walarten, die Robben
nnd die Walrosse. Die an sich einfache Fanna des Nordens sei nach älteren
nnd neueingewMiderten Formen zu unterscheiden ; dabei kommen die durch die
Mearessirönmngen bedingten Zugstrafsen in Betracht. Für das Studium der
sogenannten Symbionten, der im Freundschaftsverhältnis zu einander lebenden
Tiere, führte der Redner ein interessantes Beispiel an. Eine Krebsart trägt
anf ikrem lUioken eine Seerose, die dem Tiere Schutz gewährt, anderseits durch
das Wandern des Siebses in neue Nahrungsgebiete gebracht wird. Den niederen
Tierf(Mrmen folgen höhere. Der Redner legt die zahlreichen wichtigen Aufgaben,
deren Lösnng der J^ojoge in den arktischen Gebieten zu suchen habe, mit
Rücksicht anf die Funde von Resten ausgestorbener Tiere, auf die Fauna der
arktischen Inseln and auf die Vogelwelt näher dar und ging dann zu einer
Besehreibnng der Apparate zum Fang der niederen Meerestiere in verschiedenen
Tiefen, des Sehwebe-, des Seharmetzes u. a. ein. Die vor 2 Jahren von ihm
ausgeführte und hier in einem Vortrage im November 1887 geschilderte Reise
nach Spitzbergen habe ihm gezeigt, welche reiche Ausbeute dort den Zoologen
ervarte, da ungefähr 40 pCt. allein von einer Tiergruppe neue Formen waren,
vie 4ie inzwischen eiiolgte Bestimmung der mitgejarachten Objekte ergab.
Zum Schlufs ging Redner näher auf die jetzt von ihm anszufühi-ende arktische
Reise 9UL £r gedenke sich Ebide April auf einem der Fangschiffe, die von
Tromsö aiiegehen, ins Eismer zu begeben. Von dem Kur^«, ^^\&VkK^ \^6& %<(^^ks&
einschJa^e^ irerde es abhängen, in welchen Gö\i\^\«Ä \ie^ ^^\\a\i«t^j!cw ^^ 'ossN.
— 182 —
seinem Reisegefährten Dr. Walter seine Forsclinngen anstelle. Einige dieser
Schiffe gehen nach Spitzbergen, wo die Leute die Rentierjagd betreiben, sowie
Holz nnd Eier sammeln. Andre gehen nach Nowaja Semlja, ins Karische
Meer oder in die Gewässer vor Ostgrönland. Wieder andre, die kühnsten,
gehen tief ins Treibeis hinein, um Walrosse zu töten. Die Führer dieser
Schiffe kennen die Verhältnisse des Eismeeres aus eigener langjähriger Erfahrung.
Eine reiche zoologische Ausbeute sei gewifs, ob auch geographische Resultate
erzielt werden, werde davon abhängen, ob die Eis- und Fangverhältnisse ein
Vordringen östlich von Spitzbergen gestatten. Im Oktober hofft Redner zurück-
zukehren und dann in der Gesellschaft Bericht über seine Reise zu geben.
§ Folarregionen. Am 21. Mai dieses Jahres trafen Dr. Nansen und
seine fünf Gefährten mit dem Dampfer „Vidbjömen*' aus Grönland in Kopenhagen
ein und wurden enthusiastisch begrüTst, sie waren dort die Gäste des bekannten
Förderers skandinavischer Polarforschung, des Etatsrats Gam^l. In Heft 1,
S. 61 und 65 dieser Zeitschrift haben wir den Hauptinhalt der Briefe mitgeteilt,
welche die Reisenden im vorigen Herbst nach glücklich vollbrachter Reise durch
Grönland an Herrn Gam^l richteten. Vergleicht man damit das, was jetzt
Kopenhagener Zeitungen aus den mündlichen Mitteilungen Nansens berichten,
sowie einen von Nansen in der „Times" vom 25. Mai veröffentlichten Brief
über seine Reise, so ergiebt sich, dafs vorläufig nur noch das Folgende nachzu-
tragen ist.
Am 10. August vorigen Jahres erreichte die Expedition, zu Boot längs der
Ostküste Grönlands fahrend, ümivik; von hier zog sie mit fünf Schlitten am
15. August von einem hohen Gletscher landeinwärts. Vier Schlitten waren jeder mit
reichlich 200 Pfund Gepäck, der fünfte mit doppelt so viel beladen. Nach
zwei Tagen mufste man wegen heftigen Regens und Nordsturms drei Tage im
Zelt liegen. Sodann machte man gute Fortschritte bei härter werdendem
Schnee; am Tage, wo es im Anfang sehr heifs war, wurde geruht. Später
wurde der Schnee massenhaft und am 27. August wurde beschlossen, nicht
das weitere Christianshaab, sondern Godthaab zum Ziel zu nehmen. Die Ex-
pedition befand sich zu dieser Zeit 40 miles von der Ostküste in einer Meeres-
höhe von 7 000 F. Der veränderte Kurs gestattete während drei Tagrai die
Schlitten mit Segel vorwärts zu bringen. Anfang September erreichte
man ein 8 — 9000 F. hohes, nach Norden dem Anschein nach,
noch bedeutend ansteigendes ausgedehntes Plateau, das
einem gefrorenen Ozean glich. Die nächtliche Kälte auf dem Plateau schätzt
Nansen auf 45—50 ^ C. Am 19. September trat wieder sehr günstiger
Segelwind ein, die Berge der Westküste zeigten sich von Feme; nun ging es
rasch vorwärts. Am 26. September war das innere Ende des AmeralikQordes
erreicht. Die auf dem Inlandeis zurückgelegte Strecke schätzt Nansen auf
260 miles.
Am 24. Juni wird Nansen auf erfolgte Einladung in der Londoner
geographischen Gesellschaft einen ausführlichen Vortrag über seine Reise und
deren wissenschaftliche Ergebnisse halten.
Der Empfang Nansens in Christiania war ein grofsartiger. In seiner An-
spracbe druckte Nansen die Hof&xung aus, da£« Norwegen demnächst eine
gröfsere Polarexpedition aussenden werde.
— 183 —
unter der Überschrift : „Lappland nnd Sibirien anf dem Seewege" enthält
das Aprilheft der stets sehr inhaltreichen Zeitschrift der Königlichen schottischen
Geographischen Gesellschaft: „The Scottish Geographical Magazine" einen im
Februar d. J. in dieser Gesellschaft gehaltenen Vortrag von Philip Sewell, einem
der Teilnehmer der im vorigen Sommer, wie wir bereits in Heft 1 S. 67 mel-
deten, unter Führung des Kapitäns Wiggins unternommenen Fahrt des
Dampfers „Labrador". Dieses von der Phönix-Company in London aus-
gesandte Schiff sollte Güter, hauptsächlich englische Manufakturwaren, nach der
Mündung des Jenissej bringen, dort auf einem Dampfer den Flufs herabgebrachte
sibirische Güter in Empfang nehmen und sie nach England führen. Dampfer
„Labrador", in Begriff, den norwegischen Hafen Yardö zur Fahrt nach dem
Jenissej zu verlassen, wurde durch ein aus England eintreffendes Telegramm
zurückgehalten, wonach der Dampfer „Phoenix", welcher die sibirischen Güter
auf dem Jenissej zu dessen Mündung bringen solle, an Grund gerathen sei und
deshalb nicht rechtzeitig werde bei dem Seedampfer anlangen können. Die
engUsche Kompagnie sandte nun eiUg einen neuen Flufsdampfer aus , der mit
Dampfer „Labrador" die Jenissejmündung erreichen und von hier die europäischen
Güter stromaufwärts bringen sollte. Darüber verging kostbare Zeit, beide
Dampfer gingen endlich von Vardö aus, verloren sich aber im Sturm. Der
Flufsdampfer und, da er denselben verloren hatte, auch Dampfer „Labrador"
kehrten nach Vardö unverrichteter Sache zurück. Bei der Rückkehr nach
England fanden sie die Nachricht vor, dafs der Jenissej dampf er „Phoenix" bald
wieder flott geworden und doch noch — nun vergeblich — die Flufsmünduiig
erreicht habe. Dampfer „Phoenix" kehrte wohlbehalten nach seinem Winter-
quartier in Jenisseisk zurück. Über die Eisverhältnisse in der Karasee berichtete
der Redner, dafs es dem Kapitän Wiggins glückte, das in südwestlicher Richtung
sich erstreckende Packeis zu umfahren. Leute von einem schiffbrüchigen nor-
wegischen Walrofsfänger, welche der Dampfer „Labrador" aufnahm, erzählten, sie
seien bis auf 75 ® nördl. Br. gewesen und hätten offenes Wasser jenseits des
losen Packeises angetroffen, dessen östliche Grenzen der Dampfer „Labrador"
antraf.
DieEisverhältnissederKara-See waren am 8. Mai in der Königlich
schottischen geographischen Gesellschaft in Edinburgh Gegenstand eines Vortrags,
welchen der dänische Marineleutnant Hovgaard hielt. Bekanntlich brachte
Ho Vgaard, Befehlshaber der „Dymphna", den Winter 1882/83 zwischen den Eis-
schollen der Kara-See treibend beziehungsweise besetzt, zu. Nach der Auffassung
Hovgaai'ds ist die Kara-See thatsächlich vom nördlichen Ozean isoliert, alles Eis,
das sich darin bildet, schmilzt auch daselbst. Die Bewegungen des Eises sind
vom Winde abhängig. Sehr oft findet sich im Sommer mitten in der Kara-See
und der Waigatschstrasse eine Anhäufung von Eis, während die Kara-See sonst
besonders in der Nähe der asiatischen Küste eisfrei ist. um einige Sicherheit
in das rechtzeitige Passieren der Kara-See durch Schiffe zu bringen, hält der
Redner die Legung eines Telegraphenkabels von der Karastralse nach Archangel
für notwendig. Wenn ein Schiff einmal eine der beiden Strafsen passiert habe,
sei die Schifffahrt nach Sibirien ungehindert. (Dieser Behauptung steht jedoch
die Erfahrung einzeker friiherer Reisen entgegen. D. Red.) In Übereinstimmung
mit seinem für die damalige „Dymphna"-Reise aufgestellten Plan hält Hovgaard
an der Meinung fest, dafs von dem sibirischen Kap Tscheljuskin der beste Weg
zur Erreichung des Nordpols sei. Ein von jenem Kap aus VQYdxm%<ssväÄ^ "^Oöä.
wmäe gewissermahen die Trift der Yerunglückieix ^^^^.Xkfc^X.^'*^-'^'«:^^^^'^^ "^ssA. ^<«k
— 184 —
ans den sibirischen Flüssen kommenden (bekanntlich anch an den Küsten Ost-
Qrönlands angetroffenen) Treibholzes fortsetzen.
Während der Robbenfang bei Labrador, welcher durch Ton Nen-
Fondland and Schottland aasgegangene Dampfer in diesem Frühjahr betrieben
warde, günstige Ergebnisse geliefei-t hat, ist die darch einige Dampfer aus Dundee
betriebene Jagd auf jange Robben aaf dem Treibeis bei Jan Mayen mifsglückt.
Sie begann am 3. April, war aber schon nach wenigen Tagen vorüber. Die
Mannschaften der Schiffe machten dann Jagd aaf alte Robben and wollen später
noch den Bottlenos- und Black-Walfang betreiben.
§ Dit Andamanen-Inseln. Ober diese im Indischen Ozean südwestlich
von der südlichen Spitze Hinderindiens zwischen dem 10. and 15. ^ nördl. 6r.
belegene Inselgrappe, welche unter britischer Hoheit steht und als Strafkolonie
dicQit, machte kürzlich Oberst Cadell, längere Zeit Chief Commissioner der
Inseln, in der Schottischen geographischen Gesellschaft einige Mitteilungen, denen
das Folgende entnommen ist. Er begann damit, die Reize und Anmut der
UndBchafÜichen Szenerie, welche sich dem zwischen den Inseln Hindurchsegelnden
erschliefsen, zu schildern. Dieselben seien nicht zu beschreiben : Das Wasser tief
und klar wie Krystall, auf beiden Seiten der Küste erjieben sich stolze Bäume
bis zur Höhe von 200 F., einige dieser Baumarten ragen kerzengerade mit
silberweifsen, von einem schirmartigen Blätterdach gekrönten Stämmen auf;
aadre Bäume sind vom Fufs an mit Schlinggewächsen umwoben, die sie wie
FestoBS zieren. Prächtige Palmenarten heben sich besonders hervor. Aus dem
Qrunde des Meeres scheinen in den wunderbarsten Formen und Gestalten reiche
Korallengebilde herauf. Die Bevölkerung der Inseln ist leider in der Abnahme
begriffen, das ist im Lauf der Jahre, in denen Herr Cadell auf den Inseln weilte,
unzweifelhaffc festgestellt. Die Ursache sind verheerende Krankheiten, haupt^
sächlich Syphilis und Lungenleiden. Unter zwölf Frauen gebar nur eine Kinder,
und unter den Kindern herrscht dazu eine grofse Sterblichkeit. So ma£s man
voraussehen, dafs in 25 bis 30 Jahren die Bevölkerung der Inseln ausgestorben
sein wird, abgesehen von der Insel Klein-Andaman , deren Bevölkerung sich
bisher noch frei von den verhängnisvollen Einflüssen der Zivilisation erhalten
hat. Die Berührung mit der letztern ist für die harmlose liebenswürdige Be-
völkerung der Inseln nachteilig gewesen. Ursprünglich waren die Insulaner auf-
richtig und ehrlich, gut gesinnt und selbst aufopferungsfähig. Die See und der
Wald lieferte ihnen, was sie brauchten : der letztere efsbare Wurzeln und Früchte,
die Fleischnahrung bestand aus Fledermäusen, Ratten, fliegenden Füchsen,
Eidechsen, Käfern, Schlangen, Mollusken, wilden Schweinen und Schildkröten. In
Port Blair, an der Ostküste der Insel Süd-Andaman, ist die Strafkolonie,
vielleicht die gröfste der Welt, denn im Durchschnitt beträgt die Zahl der hier
detinierten Strafgefangenen 12,000. Drei Vieriel der Gefangenen sind für das
ganze Leben hierher verbannt, die übrigen für sieben Jahre und länger. 65 */o der
Strafgefangenen sind Hindus, 25 ®/o Muhamedaner und die übrigen meist Bad-
dhisten von Birma. Aus allen Teilen Indiens und Birmas kommt hier der Ab-
Bchanm von 250 Millionen Menschen zusammen! In der Verschiedenheit der
Kasten, Naiionalitäten und Sprachen liegt d\^ BicVkÄt^V,^ Bu\^schaft gegen eine
aJJgemeine Fenscliwörung.
— 185 —
g Die Kongro-Eisenbahn. Es scheint, als ob der Bau der Eisenbahn, welche
am linken Ufer des Congo von dem Endpnnkt der Schiffbarkeit des untern
Stromes bis zum Stanleypool, wo die Schiffbarkeit des oberen Stromes beginnt,
gefahrt werden soll, gesichert sei. Die zunächst erforderlichen Mittel -^ 25 MiUionen
Franks — sollen beschafft sein und werden, wie man berichtet, die Arbeiten noch
im September dieses Jahres beginnen. Die Bahn beginnt Vivi gegenüber bei
Matadi. Der Bahnbau bietet wegen der Oberbrückung einer Reihe von Zuflüssen
des Congo grofse Schwierigkeiten und hat die Bestimmung der Route viele
Untersuchungen und Studien erfordert. Die Arbeiten soUen mit dem Beginn
der trockenen Jahreszeit begonnen werden. Schwierigkeiten wird hierbei die
Beschaffung der Arbeiter verursachen ; hauptsächlich sollen die intelligenten und
geschickten Bangalas, doch auch Piemontesen und chinesische Kulis, besonders
für die Erdarbeiten, verwendet werden. Zur Leitung des Bahnbaues, der Erd-
arbeiten, Maurerarbeiten u. a. sind zahlreiche Weifse erforderlich; die Er-
richtung der grofsen Brücken erheischt die Anstellung vieler Facharbeiter. Im
Übrigen sind auch umfassende Anordnungen zur Sicherung der Gesundheit der
Weissen zu treffen, da das an sich schon gefahrvolle Congoklima durch die aus
den £rdau{igrabungen aufsteigenden Dünste noch reichlichere Veranlassung zu
Fieberanfallen geben dürfte. Trotz aller Schwierigkeiten scheint die Congo-
regierung entschlossen zu sein, das geplante Unternehmen mit Nachdruck zu
verfolgen, um durch dasselbe die Lebensfähigkeit des jungen Staates thunlichst
zu kräftigen. Von wie grofser Wichtigkeit die Bahn für die Handelsinteressen
des Landes, sowie überhaupt für die innere Entwickelung desselben ist, kann
schon daraus entnommen werden, dafs die Zurücklegung der 420 km langen
Strecke zwischen Matadi am Untercongo und Stanleypool am Obercongo auf
dem Karawanenwege etwa 17 Tage erfordert, während die Bahnstrecke, selbst
bei Verwendung von Lokomotiven von verhältnismäfsig geringer Leistungs-
fähigkeit, binnen 18 bis 20 Stunden durchfahren werden kann.
§ Bnchans meteorologische Karten. Am 6. Mai hielt in einer Vei-
sammlung der Königlichen Gesellschaft von Edinburg Dr. Buchan, Sekretär der
meteorologischen Gesellschaft von Schottland, einen Vortrag über die meteorolo-
gischen Ergebnisse der Challengerexpedition, indem er zugleich eine Reihe von
ihm entworfener Karten vorlegte, in welchen die Linien gleicher Lufttemperatur
(Isothermen) und gleichen Luftdrucks (Isobaren) für die ganze Erde eingetragen
waren, im ganzen 52 Karten (zwei Paar Karten für jeden Monat und zwei Paar
für die mittleren Jahreswerte). Jedes Paar Karten besteht aus einer modifi-
zierten Mercatorkarte für die heifse und für die gemäfsigte Zone und einer
Karte der arktischen und subarktischen Region mit dem Nordpol in der Mitte.
Die Beobachtungen für die entsprechende Südpolarkarte fehlen zur Zeit noch.
Seit Doves vor etwa 50 Jahren veröffentlichten Karten ist dies das bedeutendste
Werk dieser Art. Es entstand aus den Beobachtungen [der Challengerexpedition
und wird in dem Werke über die Ergebnisse dieser grofsen Unternehmung ver-
öffentlicht werden. So weit es sich um die wichtigeren meteorologischen Elemente
der Lufttemperatur und des Luftdrucks handelt, kann die Arbeit Buchans, an
welcher als Gehülfen seine Nichte Fräulein Buchan und Herr Dixon teilnahmen,
als eine graphische Darstellung der meteorologischen Verhältnisse der ^tSÄXw».
Welt bezeichnet werden. Eine der interessantesUii '^\v^\ä%.Oräiv ^ ^^OtsA ^^
Karten ergehen, besteht in der Existenz eiaex B.%^\oTi VoVsää \isxVÄ3csvs3«Ä \ssv
— 186 —
Westen eines jeden Kontinents während der heifsen Jahreszeit. Dies tritt
besonders im Westen von Südamerika, Südafrika und Australien hervor; es
sind Stiltenregionen, welche die Schiffahii gewohnheitsmäfsig meidet, für welche
daher Beobachtungen dringend notwendig wären. In dieser wie in jeder andern
Beziehung sind die Kurven völlig abhängig von der gegenwärtigen Verteilung
von Land und Wasser auf der Erde. Zwölf Karten zeigen die monatlichen
Veränderungen des Luftdrucks durch die einfache Verwendung von zwei Farben.
Der Vollendung dieses Werkes werden die meteorologischen Kreise aller Nationen
mit lebhaftem Interesse entgegensehen.
Edinburg, den 14. Mai 1889. Dr. C.
§ Staatsantersttttzang^ f är die Geogrraphisclie Gesellschaft in Hamliiirgr.
Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat unterm 12. Mai an die
dortige Bürgerschaft folgenden Antrag gerichtet : „Die Geographische Gesellschaft
hierselbst hat für den von ihr verfolgten Zweck, die geographische Wissenschaft
zu fördern und das Interesse für dieselbe zu beleben, bisher keine andern Geld-
mittel zui* Verfügung gehabt, als die zur Zeit gegen JL 5800 betragenden Jahres-
beiträge ihrer Mitglieder. Trotzdem hat sie während ihres sechzehnjährigen
Bestehens nicht nur durch regelmäfsig wiederkehrende, mit wissenschaftlichen
Vorträgen verbundene Versammlungen und durch Publikation wissenschaftlicher
Abhandlungen ihrer Mitglieder, sondern auch durch materielle Unterstützung
geographischer Entdeckungsreisen ihre Aufgabe in anerkennenswerter Weise zu
lösen gesucht. Durch die Opferwilligkeit einzelner Mitglieder haben sogar zwei-
mal selbständige wissenschaftliche Expeditionen von hier aus in überseeische
Länder entsendet werden können. Die Erfolge waren nur dadurch zu erreichen,
dafs einzelne Mitglieder nicht nur ihre Jahresbeiträge weit übersteigende
pekuniäre Zuschüsse leisteten, sondern auch die umfangreichen Geschäfte und
Arbeiten der Gesellschaft ohne jegliches Entgelt durch Mitglieder derselben
erledigt wurden. Der Vorstand erachtet es jedoch für unumgänglich, dafs die
Gesellschaft in die Lage versetzt werde, einer für die Führung der umfangreichen
Sekretariats- und Redaktionsgeschäfte geeigneten Kraft ein angemessenes Honorar
aussetzen, und gleichzeitig auf selbständige wissenschaftliche Arbeiten und Ent-
deckungsreisen mehr regelmäfsige Geldmittel als bisher verwenden zu können.
Die Gesellschaft hat bei dem Senat daher eine staatliche Unterstützung zunächst
auf fünf Jahre erbeten. Der Senat ist bereit, auf diesen Antrag einzugehen und
indem er einen Jahresbeitrag von JL 5000 als angemessen erachtet, beantragt
er, die Bürgerschaft wolle es mitgenehmigen, dafs der hiesigen Geographischen
Gesellschaft für die nächsten fünf Jahre eine jährliche Unterstützung von U4 5000
aus Staatsmitteln bewilligt und die erste Jahresrate nachträglich in das Aus-
gabenbudget für 1889 eingestellt und der aus Überschüssen früherer Jahre zu
entnehmende eventuelle Fehlbetrag des Jahres 1889 um Ji 5000 erhöht werde.^
Die Zustimmung der Bürgerschaft zu diesem Antrage ist zur Zeit, das wir dies
schreiben, noch nicht definitiv erfolgt, die Annahme des Antrags in erster
Lesung mit einer nur kleinen Mehrheit bedingte eine zweite Lesung.
■ ♦ ■
187
Litteratur.
Europa.
§ Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde.
Im Auftrage der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von
Deutschland herausgegeben von Professor Dr. A. Kirchhoff. Stuttgart,
J. Engelhorn. Dritter Band, Heft 1 : Die Verbreitung und wirtschaftliche
Bedeutung der wichtigeren Waldbaumarten innerhalb Deutschlands. Von Ober-
forstmeister Dr. Borggreve in Münden. In einer Einleitung begründet der
Verfasser die GUederung seines Themas in: I. AUgemeines über Verbreitung der
Pflanzen und Bildung natürlicher Pflanzengemeinden, ü. natürUche geographische
Verbreitung der Waldbäume, III. natürliche örtliche Verbreitung derselben,
IV. thatsächliche Verbreitung derselben in Deutschland, V. Waldgebiete Deutsch-
lands, VI. wiiischaftliche Bedeutung der deutschen Waldbäume. Der Verfasser
unterscheidet in seiner klar und mit grofser Sachkenntnis geschriebenen Schrift
folgende deutsche Waldgebiete: 1. das nordostdeutsche Kieferngebiet, 2. das
norddeutsche Heidegebiet, 3 das niederrheinisch-westfälische Eichengebiet, 4. das
westdeutsche Buchengebiet, 5. das mitteldeutsche Fichtengebiet, 6. das süd-
deutsche Tannen- und Fichtengebiet, 7. das pfälzische Buchen- und Kieferngebiet
8. das Aue-Laubwaldgebiet im Oberschwemmungsterrain der Weichsel, Oder,
Elbe, Weser, Donau, wie des Rheines und ihrer Nebenflüsse, soweit dasselbe
überhaupt bewaldet geblieben. Dem Abschnitt 6 : über die Wirtschaftliche
Bedeutung der deutschen Waldbäume, auf den wir besonders verweisen, ent-
nehmen wir, dafs nach der Reichsstatistik von 1884 von der Gesamtfläche
Deutschlands 25,78 °/o mit Wald bestanden sind und zwar entfallen von diesem
Wald 65,5 °/o auf Nadel- und 34,5 **/o auf Laubholz. Mehr als die gesamte
Waldfläche Preulsens, fast die Hälfte derjenigen Deutschlands, nimmt die Kiefer
ein, namhafte Prozente der Fläche beherrschen in reinen Beständen die Buche,
die Tanne und die Fichte. Fast überall kommen, auf kleineren Flächen wenig-
stens, noch herrschend, meistens nur eingesprengt, vor : die Eiche, Hainbuche,
Birke und Espe.
Dritter Band, Heft 2: Das Meifsnerland von Dr. Max Jäschke.
Mit einer Figurentafel. Als innere Charakterzüge für das von ihm nach dem
beherrschenden Berge, dem Meifsner, das Meifsnerland genannte Stück des
hessischen Berglandes, welches zwischen der Werra- und Fuldaebene von
Seulingswalde bis Münden reicht, hebt der Verfasser in dieser seiner geologischen
Abhandlung zunächst hei*vor, dafs nirgends mehr in Hessen eine solche Anzahl
verschiedener geologischer Formationen von gröfserem Umfang zusammen-
gmppiert liegen. Dadurch werde ein mannigfacher Wechsel in den Oberflächen-
typen bedingt. Auch hydrographisch bilde das Gebiet durch die Werra und
Fulda eine geschlossene Einheit. Nach einer allgemeinen geologischen Skizze
werden die einzelnen orographischen Glieder des Meifsnerlandes : Die Hoch-
fläche von Lichtenau, der Kauffunger Wald, die Söhre, die Spangenberger
Hügelketten, das Richelsdorfer und Sontraer Zechsteingebirge, der Ringgau, das
paläozoische Werragebirge, der Meifsner und Hirschberg, das Fulda- und das
Werrathal, endlich die Wasserscheide zwischen Werra und Fulda, eineahawl
behandelt. Die Figurentafel veranschaulicht Qxxet- \>^i.\^\i^3C!\%«^«^sÄ V&äj^^'^^^Sä
rersciuedener Oebirgs- beziehungsweise Tenaixia\)&0[»ÄU«.
— 188 —
Dritter Band, Heft 5: Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpen-
lände r ^ insbesondere Steiermarks, Kärntens und Krains, nach ihren geschicht-
lichen und örtlichen Verhältnissen von Dr. Franz von Krön es, ordentlicher
österreichischer Professor an der Universität Graz. Als zeitschriftliche Monographie
angelegt, hätte diese — der Verfasser sagt es selbst und wir stimmen ihm bei —
mühselige, redlich gemeinte Arbeit durch den angesammelten reichen Stoff ein
umfangreiches Werk werden können. Immerhin bietet das an 150 Seiten starke
Heft einen wesentlichen und wertvollen Beitrag zur Geschichte deutscher Be-
siedlung des Ostalpenlandes. „Das weitaus gröfsere Gebiet der Ostalpen von der
Drau im Süden bis nordwärts zum Donaustrome, von den Enns- und Drauquellen
bis zur ungaiischen Ebene hat der Deutsche auf friedlichem Wege durch Kultur-
arbeit zu seinem Eigentum gemacht und auch im Süden, zwischen der Drau,
Save und Kulpa, in Südkärnten, in Krain und in der windischen Mark Herr-
schaften gegründet, gröfsere G(emeinwesen und Ansiedlungen geschaffen. Selbst
im Lande des Isonzo, des Tagliamento, der Livenza, Piave und Brenta, im
Görzischen und in Oberitalien vererbte er unvertilgbare Gedenkzeichep seines
geschichtlichen Daseins.
Der Grundcharakter dieses deutschen Ansiedlungswesens ist und bleibt
der bayrische, denn das, was an schwäbischen, fränkischen und sächsischen
Stammelementen in die Kolonisation einflofs, konnte sich in scharfer Geschieden-
heit und Ausprägung nicht behaupten.
Anderseits erlebte aber dieses deutsche Volkstum eine wesentliche Ein-
wirkung nicht blofs durch die mächtigen Einflüsse des GebirgsbodeiiK, dtr
Atmosphäre und des Wassers, der von ihm bedingten Arbeits- mid jSr9äl^:QI^;8-
verhältnisse, eine Einwirkung, deren öiiliche Nachteile für die physische «nd
geistige Entwickehmg der deutschen Alpenbewohner nicht unterschätzt werden
dürfen, sondern auch durch das früher sefshafte, mit ihm gemischte, in ih|s
aufgegangene, oder neben ihm noch bestehende Slowenentum, wie sieh 4im
besonders im körperlichen Typus, in der Sprache und Namenbildqjag dw
Deutschkärntners und Deutschkrainers noch bis auf den heutigen Tag )u}ii4giBbt.^
§ Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Q^aqs-
gegeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt. Neunter Jahrgang 1888. Berlin
1888. Puttkammer & Mühlbrecht. Als neue Gegenstände der Beichsstatifltik
erscheinen zum ersten Male die Unfallversicherung und die öffentliche Armen-
pflege. Der Gesamtinhalt des Bandes gliedei*t sich in folgende Abselnitle :
I. Flächeninlialt , Stand der Bevölkerung. Hier erscheinen zum ersten Male
Nachweisnngen über die Vei'schiedenheit der Berufsverhältnisse der Bevölkenmg
verschiedener Orts-Gröfsenklassen. II. Bewegung der Bevölkerung. IH. Bodmi-
benutzung und Ernten. IV. Viehstand. Hier erscheinen zum ersten Male Naeh-
weisungen über den Verkaufswei-t von Pferden und Rindvieh in den Staat^i bbA
gröfseren Landesteilen des Reichs nach der Schätzung filr die Viehzähbuig vom
Jahre 1883. V. Bergwerks-, Salinen- und Hüttenbetrieb. VI. Gewerbe. Hier
erscheinen zum ersten Male Nachweisungen über die Anzahl der gewerbthätigea
Personen in Klein-, Mittel- und Grofsbetrieben, sowie über die Benutzung ▼©»
Motoren nach der Aufnahme vom 5. Juni 1882. VU. Handel des Deutseheii
Zollgebiets. VHI. Verkehr und Verkehrsstrafsen. Hier wird zum ersten Male
eine Nachweisung über den Güterverkehr auf den deutschen EisenbiJuien (1886)
gegeben. IX. Geld- und Kreditwesen und Preise. X. VerbrauehsberechnuyilgeB.
XI, Die Wahlen zum Deutschen Reichstag l^v ^^ ^i^b^u. Le^slatacperiodiMi.
XII. Justizweaen. XJH. Medizinal^reBen, TLran^wi- \jjsA \iTÄa3ö««wäfcL««aiit 12H»
'-^ m —
ttriegsw«sett. XV. Finanzwesen. XVI. Öffentliche Armenpflege. Dem Jahrbuch
sind dieses Mal sehr instruktive kartographische Darstellungen betreffend die
Statistik der öffentlichen Armenpflege im Jahre 1885 beigegeben. Die eine dieser
Karten veranschaulicht in 9 Farbentönen die Zahlen der in den verschiedenen
Teilen des Deutschen Reichs von den Ortsarmenverbänden unterstützten Personen
(von 0,77 bis 12,io auf 100 Einwohner), Selbst- und Mitunterstützte zusammen.
Die andre stellt in 9 Farbentönen den verschiedenen Aufwand der Ortsarmen-
verb&nde von 0,n bis 7,i5 M. auf einen Einwohner dar. In der ersten Karte
finden wir die ungünstigsten Verhältnisse im Butjadingerland, bei Lübeck und
im benachbarten Teil des Grofsherzogtums Schwerin, in Mecklenburg-Strelitz,
in Schlesien zwischen der sächsischen Grenze und Liegnitz, in den den Boden-
see begrenzenden Teilen des Grofsherzogtums Baden, im westlichen Teile von
Lothringen, am linken Ufer des Niederrheins bei Düsseldorf und in Westfalen
westlich und südwestlich von Münster. Die höchsten Unterstützungen auf je 100
Einwohner fallen nur zum Teil auf dieselben Gegenden.
Länderkunde von Europa. Herausgegeben unter fachmännischer
Mitwirkung von Alfred Kirchhoff. Erster Teil, zweite Hälfte. Wien und
Prag: F. Tempsky; Leipzig: G. Fi-eitag. 1889. Der erste dieser auf zwei
Teile berechneten Länderkunde von Europa, der seit Ende des Jahres 1886 in
66 Lieferungen erschien, liegt seit kurzem vollendet vor. Die erste Hälfte (Band)
des Werkes enthält bekanntlich eine Einleitung über Europa im allgemeinen
von Professor A. Kirchhoff und eine Darstellung des deutschen Reiches von
Proffessor A. Penck, auf die wir schon früher an dieser Stelle empfehlend hin-
wieisen. Die zweite vorliegende Hälfte (Band) bietet eine eingehende L^derkunde
der Österreich-Ungarischen Monarchie von Professor A. Supsm, der Schweiz von
Professor J. Egli und der Königreiche der Niederlande (mit Luxemburg) und
Belgien von Professolr A. Penck. Bekanntlich beabsichtigt diese Länderkunde
nicht nui* für den Geographen von Fach, sondern, wie wir hier besonders betonen
wollen, auch für den weiten Kreis der Gebildeten unsren Erdteil nach der
Mallhigfaltigkeit seiner Ländergestalten, umrifsweise, doch streng wissenschaftlich
zu äcMldern, wobei am meisten das Beispiel von der in ihrer Art so vorzüg-
lichen „Geographie universelle ** von Elis^e Reclus vorschwebte. Selbsverständlich
steht das Werk in allen Teilen auf der Höhe der Wissenschaft und tritt uns
in der Darstellungsweise überall die Auffassung der modernen Erdkunde ent-
g^g^n. J^des dör Länder ist dabei von einem kundigen Beobachter bearbeitet
worden, der es aus eigener Anschauung kennen gelernt hat. Was dem Werke
dabei Unvermeidlich an einer gewissen Einheitlichkeit mangelt, kommt ihm durch
die Verläfslichkeit und Lebendigkeit seiner nicht auf blofsem Bücherstudium
beruhenden Schilderung wiedet zu gute. Zur Erleichterung des Vetständnisses
dient eine reichliche Beigabe von Karten, Ansichten, Profilen, Tabellen u. a.
Die Ausstattung des ganzen Werkes ist eine elegante. Natürlich hat ein solches
Unternehmen die Unterstützung von seiten des gebildeten Teils der Nation nötig ;
es ist deshalb gewifs zu hoffen, daüs diese Kirchhoffsche Länderkunde auch in
dem Kreise unsrer Bremer Handelshen*en recht viele Abnehmer finden möge.
W. W.
Asien.
-^ GalNuel Bonvalot, du Caucase aux Indes k travers le P ami r, ouvrage
oni4 de 860 desflins et croquis par Albert P^pin, avec une carte intin^raire du
Töt^g«. Pwfis, E. Plön, Nonrrit & Comp. Da» uAöCtWÄ t«v<^ xöA NxvSSasäö.,
MmentUch durch höchst charakt^nsüaclik« l)a»U\^x>B% ^qiil'^^^^
— 190 —
und Standestypen illustrierte, anziehend geschriebene Werk enthält die Dar-
stellung einer kühnen an Widerwärtigkeiten, Anstrengungen und Entbehrungen nicht
armen Reise, welche der Verfasser und seine zu Zeiten zahlreiche und wiederum
auf wenige zusammenschmelzende Begleitung zunächst zu Schiff von Marseille
nach Batum, dann durch den Kaukasus und die ethnographisch interessanten Gebiete
von Lenkoran und Talich durch das nördliche Persien (Rescht, Teheran, Mesched)
über Merw durch die Turkmenenwüste nach Buchara fühi*te. Von da dringt
er ostwärts noch bis weit über Kokan hinaus, aber die weitere Reise durch
Zentralasien wird ihm durch unüberwindliche Hindemisse versperrt. So ent-
schliefst er sich zur Reise südwärts im Winter über das Pamir-Plateau und
durch die schwierigen Gebirgspässe des Hindu-Kusch; wohlbehalten erreicht er
endlich das britisch-indische Gebiet und Rawal Pindi, eine Station der von
Labore nach Peschawur führenden Eisenbahn. Bonvalot versteht zu schildern,
mit dramatischer Lebendigkeit weifs er uns seine Reiseszenen vorzufuhren.
Unter den 15 Kapiteln sind die vier, welche die winterliche Reise über das
Pamir-Plateau behandeln, mit die interessantesten. In Ferganah wird ihm von allen
Seiten der Versuch einer winterlichen Überschreitung des „Dachs der Welt,"
des Pamir-Plateaus, schon wegen der zu erwartenden ungeheuren Schneemassen,
als gewisser Tod bezeichnet, nur ein paar höhere russische Beamte halten das
Unternehmen für ausführbar. Von den drei Pässen über den Pamir wird
der Taldikpafs gewählt, nachdem verschiedene Khans der Kara-Kirghisen
Mannschaften und sonstige Hülfe zugesagt. Zur Ausrüstung werden Bergpferde,
ein Winterzelt, Proviant, Spiritus und Petroleum zur Feuerung, Kleidungsstoffe,
Thee und Zucker als Geld u. a. angeschafft. Anfang März setzt sich die Kara-
wane zu Pferde in Bewegung. Von nun an gleicht die Reise einer Nordpol-
expedition mit ihren Reizen: der winterlichen Schneelandschaft, den sich auf-
türmenden Eisgebirgen, der durchsichtigen Luft, dem auf Schneefeldem glitzernden
Sonnenschein, aber auch mit ihren düstern Seiten: den Schneewehen and
Schneestürmen, der unendlichen Schwierigkeit des Vorwärtsdringens, der be-
sonders im nächtlichen Zeltlager empfundeneu strengen Kälte, der Schneeblind-
heit u. a. ; nur der Unterschied besteht, dafs in den höher gelegenen Teilen des
Gebirges flüchtige Herden Bergschafe, in den niederen einzelne versprengte
Kirgisen erscheinen. 78 Tage währt die eigentliche Gebirgswanderung; der
Hindu-Kusch wird ohne Führer passiert, in Guilquil, das im Quellgebiet eines
der Zuflüsse des Indus gelegen, werden sie von den Tschatrals 49 Tage ge-
fangen gehalten, bis sie endlich eine Botschaft des britischen Vizekönigs aus
Simla befreit und Schutz und Geleit gewährt zur Rückkehr über Indien.
— Indische Reiseskizzen von Richard Garbe. Berlin, Gebrüder
Paetel. 1889. Der Verfasser machte mit Unterstützung des Preufsischen Staats
zum Zweck von Studien indischer Sprachen eine Reise nach Indien ; er verweilte
in Bombay, besuchte die indischen Prachtstädte und blieb ein ganzes Jahr
in dem Mittelpunkt des Hindutums, Benares ; auch eine Sommerfrische im
Himalaya und eine Erholungsreise nach Ceylon war mit einbegriffen. Von diesen
letztern Glanzpunkten seiner Reise entwirft er ein lebhaftes Bild, andrerseits, r-r
und dies wissen wir ihm in Rücksicht auf manche andre optimistisch gefärbte
Schilderungen besonders Dank, — führt er uns auch die Beschwerden des
Lebens in Indien und viele Schattenseiten in grofser Objektivität vor. Hoch-
interessant sind besonders die Mitteilungen aus dem längeren zum teil intimen
Verkehr, welchen der Verfasser geraume Zeit mit gelehrten Bramanen pflegte;
hlnsJcbilich des Buddhismus und der B.eAig>oivsp\ö\oÄO^V\fe ^«t ^voj^iocL. klSrt
er uns über manchea bisher Verworxeiie gründUc^i wai.
— 191 —
§ unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost von
1880 bis 1883, Reisen von Paul Pogge und Hermann Wifsmann. Mit
einem Titelbilde und vielen Abbildungen nach den Skizzen Hermann Wifsmanns,
ausgeführt von Rudolf Hellgrewe. 4. Auflage. Berlin 1889. Walther & Apolant.
Erst 5 Jahre nach Beendigung dieser Reise, der ersten deutschen Durch-
kreuzung Äquatorialafrikas von West nach Ost, erscheint Wifsmanns Werk über
dieselbe. In der Zwischenzeit machte er zwei neue Reisen in Afrika, es waren dies
die Erforschung des südlichen Congobeckens 1883 — 85 und die Reise von der
Mündung des Congo zum Zambesi 1886 — 87. Als Wifsmann zu dieser seiner dritten
Reise aufbrach, waren seine Begleiter auf jener Forschungsreise im südUchen Congo-
becken bereits nach Deutschland zurückgekehrt und hatten die Bearbeitxmg der
gemeinsamen Beobachtungen und Erfahrungen begonnen. So entstand zunächst
das Werk über die zweite und dritte Reise unter dem Titel „Im Innern Afrikas" *)
und erst später das vorliegende. Dasselbe zerfallt in zwei Teile; der erste ent-
hält in 9 Kapiteln die Schilderung der gemeinschaftlichen Reise Wifsmanns und
Pogges von Loanda bis Nyangwe, wo sie sich trennten und Pogge wieder west-
wärts zog, ferner die an Ereignissen und Erlebnissen so reiche weitere Reise
Wifsmanns bis zur Ostküste, welche Ende 1883 glücklich erreicht wurde. Der
zweite Teil enthält Pogges Rückreise, sein Leben in der Station am Lulua u. a. ^
bis zu seinem am 17. März 1884 in Loanda erfolgten Tod, zum Teil auf Grund
der an die Deutsche afrikanische Gesellschaft in Berlin erstatteten Berichte, zum
Teil nach den Tagebüchern des Reisenden von Dr. v. Danckelman in Berlin
bearbeitet. Als Anhang sind beigegeben : 1. Praktische Winke zum Reisen und
Aufenthalt im äquatorialen Afrika (mit Skizze). 2. Meteorologische Beob-
achtungen. 3. Höhenmessungen. 4. Astronomische Beobachtungen. Am Schlufs
finden wir zwei Karten: 1. ünsre Kenntnis von Zentralafrika nach Stanleys
Reise 1874—77 und vor der Wifsmannschen Expedition. Mafsstab 1 : 10000000.
2. Karte der ersten deutschen Durchkreuzung von Äquatorialafrika. Nach den
Aufnahmen von Hauptmann Wifsmann. Mafsstab 1:5000000. Das Werk ist
sehr reich durch Vollbilder, Lichtdrucke nach Ölgemälden, Photochemigraphien
und Autotypien, sowie durch zahlreiche Textbilder illustriert. Wifsmann, der
jetzige Kommissar des Deutschen Reichs in Ostafrika, ist wohl der populärste
Afrikareisende; gerade diese Reise, eine Leistung ersten Ranges, hat den Grund
zu seiner Berühmtheit gelegt und bei der Darstellungsgabe, welche Wifsmann
eigen, ist es kein Wunder, dafs das Werk, welches er pietätvoll dem Andenken
seines Reisegefähi'ten und Freundes Paul Pogge gewidmet hat, bereits mehrere
Auflagen erlebte. Ein Wunsch mag der Verlagshandlung oder Redaktipn für
etwaige fernere Auflagen ausgesprochen werden: der häufige Mangel der Bei-
fügung der Monats- und Jahreszahlen bei den zitierten Daten erschwert die
Obersicht und könnte leicht beseitigt werden.
§ImHerzenderHaussa-Länder. Reise im westlichen Sudan nebst
Bericht über den Verlauf der deutschen Niger-Benue-Expedition, sowie Abhand-
lungen über klimatische, naturwissenschaftliche und ethnographische Beobachtungen
in den eigentlichen Haussaländern von Paul Staudinger, Überbringer der
Briefe und Geschenke S. M. des hochseligen Kaisers Wilhelm I. an die Sultane
von Sokoto und Gandu. Mit einer Karte. Berlin 1889. Adolph Landsberger.
Ein sehr umfangreicher Reisebericht aus dem Niger- und Benuegebiet, wie aus
den Haussaländern, der um so willkommener ist, als der uns leider durch den
Tod entrissene deutsche Afrikareisende Robert Flegel nicht da.7.^3L %<i\LWfissÄ^S^^
*) Leipzig bei Brockhaas 1888.
die Ergebnisse seiner Reisen in einem zusammenhängenden Werke niederzulegen»
Der Schwerpunkt des Staudingerschen Werkes liegt in der ausführlichen Sc)iilderang
und Darlegung der Verhältnisse der Haussaländer. Nach Erkrankung oder ander-
weiter Verhinderung der ursprünglich dazu bestimmten Mitglieder jener letzten
unglücklich verlaufenen Expedition von Flegel fiel Staudinger und Hartert die
Aufgabe zu, die Geschenke unsres Kaisers an die Sultane von Sokoto und Qaadu
zu überbringen. Die so gebotene Gelegenheit, die Haussaländer kennen zn
lernen, benützte Staudinger gründlich und gewissenhaft, dabei begünstigt Ton
einem kräftigen Körper, der die unvermeidlichen Fieberanf alle meist rasch über-
wand. Man könnte meinen, daXs die eigentliche Reiseerzählung, — gegen 500
Druckseiten in zwölf Kapiteln, — fast zu ausführlich gehalten sei, dem ist
jedoch nicht so, bei der Spärlichkeit unsrer deutschen Reiselitteratur, welche
die von dem Verfasser bereisten Gebiete zum Gegenstand hat, wissen wir dem
Verfasser für seine Ausführlichkeit Dank. Der, welcher sich nur für die aUge-
meinen Verhältnisse interessiert, findet im zweiten Teil, in den „wissenschafÜidim
Ergelmissen*', reichen Stoff, der, an 150 Druckseiten umfassend, die klimatischen
und geograplnschen Verhältnisse der Haussaländer, die Ethnographie in viel-
seitigstem Sinne des Worts, Botanik und Zoologie bekifiPt. Die beigegeben«, im
Mafsfftab von 1 : 1,000,000 nach den Tagebüchern der Reisenden von Wfflielm
Erman konstruierte und gezeichnete Karte enthält die Ronte Staodingers
und Harterts von Loko am Benue nach Kano, Sokoto und Gandn. Noch
möchten wir bemerken, dafs die von dem bescheidenen Verfasser gescluridi>eme
Vorrede manches Beherzigenswerte über Afrikareisen enthalt.
Am Niger und Benue. .Sechs Monate im Hinterlande von Kanoenm.
Von Adolph Burdo. Deutsche Ausgabe von Paul Heichen. Leipzig 1886. B.
Bauer. Das Schriftchen verhält sich zu dem vorstehend erwähnten Werk wie
ein ZeitungsfeuiUeton, es ist gut und lebendig geschrieben. Der V^rfosser, em
Belgier, bereiste im Auftrag der Internationalen afrikanischen Gesellschaft den
unteren und mittleren Niger, sowie einige üfergegenden des unteren Bemie.
Dr. Wilhehn Junkers Reisen in Afrika 1875—1886. Wien ond
Olmütz, Eduard Hölzel. Während die rein wissenschaftlichen Ergebnisee von
Dr. Junkers Reisen gegenwärtig als Ergänzungshefte zu Petermanns Hitteihui|i^n
erscheinen, wird in olHgem Verlage ein alle Reisen Junkers in Afrika nmfiMseades
Werk herausgegeben, das den bezeichneten Titel führt und von Dr. Junker unter
der Mitwirkung von Richard Buchta verfafst wird. Es ist auf 3 Bände oder
etwa 50 Lieferungen berechnet. Nach den im Prospekt gegebenen Proben und
den uns vorliegenden ersten acht Lieferungen zu urteilen, ist die Awstathmg
des Werks mit Originalillustrationen eine aufsergewöhnlich reiciie und auch
qualitativ ganz vorzügHche, dieselben stammen von Ludwig Thomas Fischer,
Richard Buchta, Professor Schweinfurth, F. Rheinfelder u. a. Selbstverständlich
werden auch zahlreiche Originalkarten beigegeben. Die rühmlichst bekannte
Verlagshandlung hat überhaupt keine Mittel gescheut, um das Werk nach dem
heutigen Standpunkte der Technik in bester Weise auszustatten. Der Preis
einer Lieferung ist 50 Pfennige und so ist eine grofse Verlnreitung des Wevks
nicht allein zu wünschen^ sondern zu erwarten.
Was nun den Inhalt der vorliegenden acht Lieferungen betrifft, so
werden uns hier folgende Reisen geschildert : in die Libysche Wüste während der
JiSonsite November und Dezember 1875, in das südlich von Suakin sich er-
äUhende Bärakatbal bis Kassala im Maxz IST^ \md ein Teil von Junkers
allster grofser bis 1878 wähi'ender SudanxeVae, \iSimeik\>2ki(^ ^ "^«asa "amSii ^»a
- 19ä -
blauen Nil and nach Chartum und diejenige nach Seunar und dem Sobat.
Die anziehende Erzählungsweise, die lebhafte reizvolle Schilderung mufs noch
besonders hervorgehoben werden: so wird die Lektüre des Werkes zu einem
wahren Vergnügen, während die langweilige, trockene Darstellung früherer
Werke berühmter Deutscher Afrikareisender das Durchlesen zu einer wahren
Arbeit machte. Dem Text stehen wie gesagt unterstützend die trefflichen
Illustrationen zur Seite, manche derselben sind wahre Kunstwerke. Die vor-
liegenden 8 Lieferungen enthalten folgende Karten: 1. über die Reise in der
Libyschen Wüste, 2. über die Reise nach Kassala, 3. Obersichtskarte von Junkers
Reisen in Nord- und Zentralafrika im Mafsstab von 1 : 20 000 000, 4. Plan von
Chartum und Umgebung 1876; sämtlich von Dr. B. Hassenstein gezeichnet.
§ The Story of the Uganda-Mission and the Church Missionary
society's work in Eastern Equatorial Africa. With 21 Illustrations and a map.
London 1889, Church Missionary House. Für die Entdeckungsgeschichte des
Gebiets um die grofsen ostafrikanischen Seen ist eine historische Darstellung
des Missionswerks der Church Missionary Society von Wert; dieselbe wird uns
hier von ihrem Beginn bis zur Austreibung und Gefangennahme der Missionare
durch arabische Händler im Februar d. J. geboten. Unsern deutschen Lands-
leuten, den Württembergern Krapf und Rebmann, — bekanntUch die Pioniere der
schottischen Mission in Ostafrika, — wird hier volle Ehre und Anerkennung ihres
Wirkens zu teil.
§ F. Borsari, Geografia etnologica e storica della Tripolitauia, Cirenaica
e Fezzan. Con cenni sulla storia di queste regioni e sul silvio della Cirenaica.
Napoli, 1888. Pierro. Der Verfasser hat den zwischen dem Mittelmeer und
der Sahara, Tunis und Ägypten gelegenen Teil Nordafrikas zum Gegenstand
seiner besonderen Studien gewählt, in der Voraussicht, dafs früher oder später
eine Zeit kommen werde, wo Italien, sei es in Rücksicht auf seine geographische
Stellung, sei es aus maritimen, kommerziellen oder politischen Gründen, in
irgend welcher Weise einen zivilisatorischen Einflufs dort ausüben werde. Im vor-
liegenden Heft behandelt der Verfasser unter, wie es scheint, gründlicher
Benutzung der einschlägigen freilich ziemlich lückenhaften Litteratur die Ethno-
graphie und Geschichte; eine Darstellung der geographischen und wirtschaft-
lichen Verhältnisse behält er sich für später vor.
Amerika.
K. Martin, Bericht über eine Reise nach Niederländisch
West in dien und darauf gegründete Studien. II. Geologie.
1. Lieferung: Cura^ao, Aruba und Bonaire. 140 S. gr. ^ Mit 3 kol.
Karten, 2 Tafebi und 36 Holzschnitten. Leiden (G. J. Brill) 1887.
Der Verfasser giebt nach Aufzählung der wenigen geologischen Litteratur-
uotizen aus früherer Zeit zunächst an der Hand eines Holzschnittes eine oro-
graphische Übersicht von C u r a 9 a o , dessen bis 376 m hoher westlicher Teil
von dem nur bis etwa 100 m ansteigenden östlichen durch einen kaum
*/i geogr. Meile breiten, nur bis 78 m hohen Landstrich getrennt ist; dieser
wird als eine Art von ovalem Kesselthal bezeichnet, in welches jene Küsten-
gebirge, von wenigen, kurzen, engen Querthälern zerlegt, steile Abstürze bilden,
wie auch nach dem Meere hin. Westcura^ao enthält die Gipfel: ChristofPel
(376 m) im NW., Antonieberg im SO. und St. Hieronimo (218 m) zwischen
jenen beiden in Ostcura^ao ist Ostseinpost der höchste Gipfel, ^^w Ht^VOöKov wis^
südöstlich, an der Fuikbai, sich eine größere ¥»\^eii.e \^x\^\..
J5i 18 Tagen konnte die nur im W. teWvvfeiae Öl\c\\V^u ^'^äxoä^^^
haltende Jmel gröktenteih genauer geologiscYi vmV^tsueW >K«t^^^- ^^>^^.'
cura^ao ist körniger Diabas, wahrscheinlich deckenförmig vorherrschend,
mit schwach geneigten Oberflächenformen und gelbbrauner Zersetzungsdecke;
im S. und 0. wird er überlagert von quartären Diabaskonglomeraten und Ko-
rallenkalken, welche den erwähnten Steilabsturz des „Gebirges* bedingen. Im
N. und W. ist noch Kreide in geringer Mächtigkeit zwischengelagert.
Letztere ist dagegen bedeutend in Westcuragao, mit Rudistenkalken von
etwa 20 m Stärke und mächtigen unterlagemden Kieselschiefem teilweise von
Linsenstruktur, welche den Christoffelberg bilden, und Sandsteinen mit Fora-
miniferen, sowie Konglomeraten. Von Wichtigkeit und weiterem auch geo-
graphischen Interesse ist aber die mitgeteilte Thatsache, dafs diese Schichten
stark gefaltet sind, was im Verein mit ähnlichen Verhältnissen in Venezuela und
Jamaika u. a. lehrt, dafs parallele, postkretacische, geotektonische Hebungs-
linien jene Punkte durchziehen, welchen also zunächst die Inseln ihr Dasein
verdanken.
Der Diabas auf Westcuragao ist teilweise quarz- und kupferhaltig und
geht bis zu 207 m Höhe; auch Diorit kommt vor.
Die Insel Aruba hat keine Höhenkette, sondern einen Stock an der
Nordostküste, mit dem Jamanota (183 m) und Ariekok (167 m) als höchsten
Hügeln, an welchen im W. ein niedriges Plateau, von einem Felsenmeer bedeckt,
grenzt; SW. von diesem liegt der Kegel des Hooiberges (175 m). Ein ähn-
liches Plateau zieht sich nach der Südostecke Arubas. Eine zehntägige geo-
logische Untersuchung des gröfsten Teiles der Insel, welcher nicht durch Ge-
strüpp schwer zugänglich ist, lieferte folgendes :
Das Hauptgestein ist ein oft augithaltiger kömiger Quarzdiorit, welcher
die Felsenmeere bildet, stellenweise reich an Homblendekonkretionen, ist be-
sonders am Hooiberg und an der Küste zu grofsen Blöcken mit Höhlen aus-
gewaschen; auch Gabbro kommt vor. Diabas wie auf Cura^ao, mit untcor-
geordnetem Konglomerat bildet vorzugsweise den erwähnten „Gebirgsstock*^
von Aruba und hat auch hier den Ureinwohnern als Material für Steinwerk-
zeuge gedient. Mit dem Diabas stehen steil aufgerichtete Grünschiefer in
Konnex, welche Martin für archaeisch hält; Granitgänge treten in demQoarz-
diorit auf.
Pyrithaitigen Quarzgängen der Grünsteine gegen 200 an der Zahl in
allen Richtungen der Windrose, entstammte das bekannte Arubagold, das be-
sonders als Waschgold gewonnen wurde und noch jetzt eine „Aruba Company'^
in wenig lohnender Thätigkeit hält.
Bonaire ist seinem bergigen Teil nach, welchem sich im 0. ein
meridional gerichteter ebener anschlielst, von NW. nach SO. gestreckt, wie
Cura^ao und Aruba ; in ersterem reicht der steile Braudarisberg von dem Meer
aus mit seinem unteren Teil, einem Kegelstumpf bis 177 m, mit seiner auf
letzteren aufgesetzten Spitze 254 m Höhe, südöstlich davon sind der Juwa und
Makaku gegen 200 m hoch. Diese und viele kleinere Gipfel im NW. einer an
das Siebengebirge erinnernden Form bestehen aus säulig abgesondertem Glimmfir-
porphyrit und Orthoklasporphyr, mit welchen Tuffe postkretacischen
Charakters verbunden sind; das niedrigere Land enthält, wie auf Curare,
Diabase und Kieselschiefer, Sandsteine und Mergel der Kreide.
Den drei Inseln Cura^ao, Aruba und Bonaire gemeinsame £r-
scheinungen bebandelt ein besonderer Abschnitt: die älteren, von Martin itr
unterpUstocaen gehaltenen Korallenbauten, d\xtc\iäc!\Dc^l\)iiODL^mTcd^^ haben
teilweise geneigte Lagerung, der ursprungAicliWi «a^-a^T^ODiWi^, xjä^ ^3MA»afi^^
»usbeifsend, keilförmiges Profil; die mchügeu PYloä^^iotvX.^, XäJw^ä^j^ wä"
— 195 —
morphose von Riffkalken durch Guano entstanden und reich an Mollusken- und
auch Wirbeltierresten, sind weit verbreitet und oft viele Meter mächtig. Es
giebt marine und Höhlenphosphate.
Solche Höhlen, 2 — 4 m hoch und bis etwa 90 m lang, sind besonders
zwischen Diabas und hangendem Riffkalk auf Bonaire häufig und eine sehr be-
merkenswerte Wirkung mariner Erosion; grofse Flächen sind in dieser Weise
untergraben. Gehobene Strandlinien, bis zu 3 an der Zahl regelmäfsig über-
einander, sind am ausgedehntesten auf Cura^ao zu finden; auch an seltsamen
durch Meereserosion isolierten Felsgestalten fehlt es nicht.
Regen und Quellen sind spärlich auf den Inseln, wolkenbruchartige Nieder-
schläge sind äuTserst selten; gleichwohl wird das Innere des Landes durch die
Atmosphäiilien in langen Zeiträumen mehr und mehr weggeschwemmt, während
die Küsten durch Anschwemmungen sich erweitem, besonders durch die
Korallenbauten und die letzteren emporbringenden positiven Bodenbewegungen ;
letztere betragen seit Beginn der plistocaenen Zeit mindestens 218 m Höhe,
wie aus der jetzigen Lage älterer Riffkalke zu entnehmen ist. Die neueren
Anschwemmungen und Riffbildungen der Küste bedingen die Häufigkeit von
Lagunen oder Haffs an den Inseln, von welchen die älteren, weit landeinwärts
sich erstreckenden „Binnenwaters" zu unterscheiden sind; in letzteren wird
Salz in Pfannen bereitet und können teilweise keine Organismen mehr leben.
Die jüngeren Korallenriffe sind nur durch das niedrigere Niveau von den
älteren zu unterscheiden und enthalten gleich diesen viele Konchylien luid
Kalkalgen. Auch eine 6 m dicke Süfswasserablagerung mit Landschnecken und
vereinzelte Dünenbildungen sind vorhanden.
Der durch gute Holzschnitte, teilweise nach Photographien, erläuterten
Beschreibung sind eine Liste der untersuchten Gesteine, 2 Tafeln mit Figuren
von Vertebraten- und Korallenresten und 3 geologische Kartenskizzen im Mafs-
stab 1 : 150 000 beziehungsweise 1 : 100 000, je mit entsprechendem Profil, bei-
gegeben. Dr. Pohlig.
— K. Martin, geologische Studien über Niederländisch
Westindien auf Grund eigener üntersuchungsreisen. 2. Lieferung:
Holländisch Guyana. 105 S. gr. ®. Mit 1 kol. Karte und Titelbild. Leiden,
G.J. Brill, 1888 (Separatausgabe des 2. Teiles der vorher besprochenen Schrift).
Nachdem in einer kurzen Litteraturübersicht das Verdienst von F. V o 1 1 z
um die Geologie Surinams betont ist, wird das Ergebnis einer zwanzigtägigen
Bergfahrt Martins auf dem Surinamflufs darlegt. Nahe der Mündung sind
die Ufer flach, teilweise von Laterit bedeckt. Weiter aufwärts kommen fein-
und grobkörnige Granite, Gneisgranite, aufgerichtete Gneise, dunkle Glimmer-
schiefer mit kleinen Granaten und Quarzitschiefer vor, mit nordöstlich ge-
richteten Strichen eine Strombarriere bildend, — sowie die Zersetzungsprodukte
jener Gesteine; auch Diabas tritt auf, welcher weiter oberhalb, bei Bergendaal,
gröfsere Verbreitung hat, Quarzgänge und Zersetzungsprodukte von der Be-
schaffenheit des Latentes enthält. Landeinwärts folgen grüne chloritische von
Martin für archaeisch gehaltene Massen.
Bei Brokopondo zeigen sich die ersten Strudellöcher und Stromschnellen
von Bedeutung, deren eine auf dem Titelbild dargestellt ist, verursacht durch
quer den Strom durchsetzende aufgerichtete Bänke archaeischer Schiefer, die
teilweise etwa meridional streichen. Der grünliche Glimmerschiefer hat gold-
führende Quarzgänge; auch Muskovitschiefer, dem Itacobimit ^\ssäxOsv^ tk^.
Qnarzitbänken^ ist vertreten, ferner porphyroidiacYiw Qi\\TMKi«t^OBx^"lföt «Ä^'bx ^xä>&
Strahlsiemschiefer und Chioritschiefer, mit ^oxvi\eg,«QÄ. »i<cv^"^\.Qit\^«a^ ^\x«sRfes?
i^.
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Oberhalb von Sarakreek hören die archaeischen Schichten, als Hom-
blendegesteine entwickelt, bald auf und grauer Granit mit Obergängen in Diorit
und mit Amphibolitschlieren tritt in zahllosen Rundhöckem in und an dem
Flusse allein auf. Weiter oberhalb sind wieder Diabase verbreitet, welche den
Granit durchbrochen haben.
Bedeutend sind die lehmartigen Flutablagerungen des Surinam, mit
welchen mehrfach goldführende Geröllstreifen wechsellagern; erstere werden
durch die weit landeinwärts dringende Flutwelle des Meeres gestaut und bilden
an den Ufern senkrechte Wände bis zu 8 m Höhe über dem Wasser. Sehr
verbreitet sind Stromschlingenbildungen.
Aus den von Martin im Auszug mitgeteilten Briefen von Voltz erhellt,
dafs auch am Maroni, Coppename, Nickerie und an der Wayombo, wie am
Surinam granitische Gesteine vorherrschend sind und mehrfach ebenfalls mit
granatführendem Gneis und Glimmerschiefer, mit Grünstein und Quarzit u. a.
abwechseln. Die Schiefer betrachtet M. als huronisch und als Spender der
erwähnten Goldvorkommnisse.
Den Surinam gliedert M. zusammenfassend in einen Unterlauf bis
Gelderland, mit flachen Alluvialufern, in den Mittellauf bis zum Sarakreek,
mit geringem Gefälle, wenigen Inseln und schmalem Bett in Diabas- und Schiefer-
gebiet, — und in den Oberlauf im Granitgebiet mit vielen KUppen und
Stromschnellen, ähnliche Verhältnisse sind wahrscheinlich auch an den übrigen
Flüssen des Landes entwickelt, nur dafs die Granite im Süden mehr der Küste
genähert sind und die Schiefer und Grünsteine im Norden jener einen breiten,
OW. ziehenden Strich bilden. Dementsprechend hat das Alluvium umgekehrt
im N. die weiteste Oberflächenverbreitung zwischen der Schieferzone und
der Küste.
Entsprechend den Erscheinungen auf Curatjao u. a. hat auch Surinam
seine gehobenen Strandlinien mit Molluskenresten recenter Arten, deren
Bänke selten mehr als 12 m stark werden und die Stadt Paramaribo gröfsten-
teils tragen.
Soweit die dürftige Litteratur über Britisch und Französisch Guyana
nach Martin erkennen läfst, haben diese eine ganz ähnliche geologische Zusammen-
setzung wie Surinam, nur dafs letzterem die wahrscheinlich cretarische Sand-
steinbildung der englischen Besitzung zu fehlen scheint. In einem Rückblick
auf die Inseln Cura^ao, Aruba und Bonaire weist schliefslich Martin auf die Ähn-
lichkeit dieser in dem geologischen Aufbau mit Venezuela, vielleicht auch mit
Guyana hin, und erklärt erstere als abgelöste Splitter des südamerikanischen
Kontinents.
Ein Anhang giebt die Liste der aufgefundenen Gesteine und der auf den
Inseln, sowie in Surinam von Martin vorgenommenen Höhenmessungen^ welchen
noch eine Notiz über eine bis zu mehr als 30 m gehobene Muschelbank mit
Resten recenter Arten an den archaeischen Klippen von Kap Blanco in
Venezuela folgt. Dr. Po hl ig.
§ Reise S. M. Schiffes „Albatros" unter Kommando des K. K. Fre-
gattenkapitäns Arthur Müldner nach Südamerika , dem Caplande und
Westafrika. 1885 — 86. Auf Befehl des K. K. Reichskriegsministeriums, Manne-
sektion, unter Zugrundelegung der Berichte des K. K. Schiffskommandos, verfiafst
von J. Freiherrn von Benko. Herausgegeben von der Redaktion der „Mitthei*
langen ans dem Gebiete des Seewesens". Mit einer orientierenden Reiseskizze. "
PoJa, Kommissionsverl&g von Carl Gerolds ^o\m m '^*\«w. \^Äa. ^^^ä*. lOAlifizii
JO Jabrea besieht in der österreicbiBcliQiv ILnegam^ma ^^ val ^voK^Q^fiMak.
— 197 —
Befehl fufsende Einrichtung, dafs aUjährlich im Herbst ein entsprechend grofses
Schiff der Flotte eigens zu dem Zweck in Dienst gestellt wird, um mit den
eben aus der K. K. Marineakademie als Seekadetten ausgetretenen Zöglingen
eine auf die Dauer eines Jahres berechnete überozeanische Reise zu vollführen.
Mit dieser jährlichen Instruktionsreise wird jedesmal nach Einholung der etwaigen
besonderen Wünsche der beiden Handelsministerien auch der Zweck verfolgt,
die kommerziellen Interessen der österreichischen Monarchie zu fördern. Im
Herbst 1885 wurden in dieser Weise die Korvetten „Zrinyi'* nach Westindien,
^Frundsberg'' nach Ostindien und das Kanonenboot „Albatros" nach dem östlichen
Südamerika, dem Kaplande und der Westküste Afrikas entsendet. Der Bericht
über die Reisen der „Zrinyi" in den Jahren 1885 und 1886 erschien schon vor
einiger Zeit und haben wir denselben in Band X d. Zeitschr., S. 346 und 347,
näher besprochen. Auch der vorliegende Bericht ist sehr inhaltreich. Auf der
über 15 Monate währenden Reise wurden folgende Länder beziehungsweise
Häfen besucht und dort kürzere oder längere Zeit verweilt: Marokko (Tanger,
Mogador), im Ozean Santa Cruz de Teneriffa und Madeira, BrasiUen (Pernam-
buco, Bahia, Rio de Janeiro, Paranaguä und Antooiua), Uruguay (Montevideo),
Ai'gentinien (Buenos-Aires), Kapland (Kapstadt), Westafrika (Portugiesisch Nieder-
Ouinea, Congomündung, Sierra Leone); von einzelnen Punkten machte der
Schiffskommandeur kürzere oder längere Ausflüge ins Land, so besuchte er
z. B. die europäischen Kolonien in den brasilianischen Südprovinzen. Die
Heimkehr von Westafrika erfolgte über Dakkar, Funchal, Tanger, Gibraltar
und Palermo.
Polar regionen.
— J. A. D. Jensen: „Om Indlandsisen i Grönland.'* Verlags-
bürcau in Kopenhagen 1888. Unter diesem Titel hat der durch seine
vielen grönländischen Reisen rühmlich bekannte Kapitän in der dänischen
Flotte, Jensen, eine mit vielen sehr guten Bildern ausgestattete kurze
Beschreibung von Grönland, vornehmlich aber von dem Inlandseise
herausgegeben. Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt. In dem ersten
findet man eine kurze Beschreibung der eisfreien Küstenstrecke, deren
Gröfse der Verfasser an 10,000 geographische Quadratmeilen anschlägt. Aul
dieser Strecke lebt eine Bevölkerung von 10,122 Menschen (1. Januar 1888).
Der eigentümliche Charakter des Landes ist in Jensens Buch sehr lebhaft ge-
schildert; man merkt, der Verfasser beschreibt, was er selbst gesehen hat.
Jensen tritt entschieden gegen die Vermutung auf, dafs die in den letzten
Dezennien starke Verminderung der Rentiere dadurch zu erklären sei, dafs
diese Tiere sich nach vermuteten Oasen in dem Inlandseise zurückgezogen
haben. Der Grund ist vielmehr nach der Meinung Jensens ganz einfach darin
zu suchen, dafs, nachdem die meisten Grönländer mit Stutzen versehen worden
sind, die Jagd aufserordentlich rücksichtslos getrieben wird. Jensen hat oft
getötete Tiere gefunden, von denen man nur das Fell abgezogen hatte, während
das Fleisch den Füchsen und Raubvögeln überlassen wurde. In der zweiten
Abteilung ist eine Übersicht unsres Wissens von dem Inlandseise gegeben.
Der Verfasser giebt hier eine kurze Übersicht von seinen Arbeiten und von den
Reisen, die auf dem Eise gemacht sind. Wie bekannt ist Jensen selbst Leiter
einer solchen gewesen. Diese Abteilung ist mit manchen sehr interessanten
Abbildungen versehen, von denen die meisten von des Verfassers Eisreise her-
rühren. Alles, was von besonderem Interesse ist, wvtd \v\fe\ ^mxOcl ^^?J«^^»sssi?3«».
illustriert, so z. B. die Eisbrunnen, die SpaVteiv d^^ ^v&^ä, ^v'b ^^xxOkv^^^^^^^^'^
rerarsacbten Löcher u. a. Alle diese l\\ufti£a\\oti«SL «oA \i»J^ ^"^"^ ^^^«s^
— 198 —
gezeichnet. Der dritte Abschnitt ist Dr. Nansen und seiner Expedition gewidmet.
Eigentlich Neues von Nansens Expedition kann man natürlich nicht hier finden,
da bisher kein Mensch, seitdem das Dampfschiff ,,Fox*' Nachrichten über den
glücklichen Erfolg der Expedition Nansens brachte, Nachrichten aus Grönland be-
kommen haben kann. Man findet in dieser Abteilung lUnstrationen von den
Gegenden an der Ostküste, wo die Expedition nach ihi*em Treiben der Küste
entlang endlich das Land erreichte, so wie auch von dem Punkte, wo die Be-
steigung des Inlandseises anfing.
Das Buch Kapitän Jensens empfiehlt sich einem jeden, der eine kurze
und klare Darstellung der Eigentümlichkeiten Grönlands zu lesen beabsichtigt.
Geschrieben im Februar 1889. A. P.
— Charts showing the monthly and annual Temperaturen
of Hudson^s Bay region and eastern Canada, by Andrew R.
Gordon. September 1884 bis October 1885 und October 1885 bis September
1886. Mortimer & Co., lith. Ottawa. Die beiden vorliegenden Hefte einer
längeren Reihe von Temperaturbeobachtungen aus dem Nordosten Nordamerikas
zeigen den Verlauf der Isothermen für die Zeit von September 1884 bis Sep-
tember 1886, und zwar sowohl deren Verlauf für die einzelnen Monate als auch
die Jahresisothermen der beiden behandelten Jahre. Jedes System ist auf einer
besonderen grofsen Karte dargestellt und man erhält auf diese Weise eine recht
anschauliche Übersicht der Lagerung der in jene Gegenden fallenden Temperatur-
minima. Wenn auch die beiden behandelten Jahre an und für sich ziemliche
Abweichungen untereinander zeigen — die zweite Jahresperiode erscheint im
allgemeinen erheblich wärmer und gleichmäfsiger bezüglich der räumlichen
Temperaturverteilung gewesen zu sein — so stimmt doch der Verlauf der Monats-
isothermen sehr gut mit der physikalischen Beschaffenheit der Labradorhalb-
insel, wie sie von den verschiedenen Reisenden geschildert wird, nämlich mit
der völligen Verglctscherung der nicht direkt an der Küste gelegenen Teile des
Landes. Eine Vergleichung mit den Beobachtungen während der Epoche 1882/83
(Internationale Polarforschung) zeigt eine nahe Übereinstimmung in den in Be-
tracht kommenden Orten Nain, Hoffenthai, Rama, Zoar, Okak und Hebron,
welche allerdings ausschlieXslich an der Ostküste Labradors gelegen sind. —
Die Wärmeverteilung ist den Karten zufolge nur in den Monaten August und
September eine einigermafsen gleichmäfsige, während in den Wintermonaten
die Isothermen schon nahe der Küste stark nach Süden abfallen und in den
Sommermonaten nach Norden ansteigen. — Über die Grundlagen und die
Stationen, auf deren Beobachtungen die Karten beruhen, ist leider aus den
letzteren selbst so gut wie nichts zu ersehen; es wäre daher ein wenn auch
ganz kurz gehaltener Text wünschenswert gewesen. L. A.'
Report of the Select Committee of the Senate appointed
to inquire into the resources of the Great Mackenzie Basin.
Session 1888. Ottawa. Es ist dies der dritte Bericht einer aus 24 Mitgliedern
bestehenden Senatskommission, welche mit der Untersuchung der Hülfequellen
des Mackenziebeckens beauftragt war. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Unter-
suchung sind in einem kurzen Bericht des Vorsitzenden, John Schultz, voran-
gestellt. Das ganze Gebiet wird auf 1 260 000 D -Meilen geschätzt, von diesen
werden 860000 als Acker- oder Weideland bezeichnet, 400000 D -Meilen als
„harren grounds". Es wird auf die grofse Ausdehnung schiffbarer Seen und
Flufsläufe hingewiesen, welche mit nur zwei Unterbrechungen eine znsammen«
hängende Fahrstrafse von 6500 Meilen Lang^ \>Mft\i. Tiwt Yv^<3tvxfeViVi\im der
Gewässer dürfte in Zukunft von Bedeuinng weiden. \ä ^e^w^ w>i ^^u^^^i^^wpr
..^ 199 --
tina Walfischfang an den Küsten wird vorgeschlagen, Mafsregeln zu treffen, durck
welche der Betrieb geregelt und die fremden Walfischfänger von der Hudson-
Bai, Boothia-Bai und andern Busen und Kanälen fem gehalten würden. Grofse
Hoffnungen werden auf den Reichtum des Gebietes an Erdöl gesetzt. Der
Bericht befürwortet 40000 D -Meilen der Petroleumländereien vorläufig vom
Verkaufe auszuschliefsen, um erst ihren Wert feststellen zu lassen. — Das gold-
führende Gebiet an den Quellfiüssen des Peace-, Liard- und Peal-Bivers wird
150 000—200000 n -Meilen grofs geschätzt. Den gröfsten Teil des 310 Seiten
langen Berichtes nehmen die mündlichen oder schriftlichen Aussagen der ver-
schiedenen von der Kommission befragten Personen ein. Es ist ein buntes Durch-
einander von zuverlässigen und unzuverlässigen, wertvollen und minder wert-
vollen Nachrichten, aus denen allein man schwerlich ein klares Bild von der
wahren Natur des Gebietes erhält. Immerhin mögen sie bei kritischer Benutzung
ein schätzbares Material darbieten. Der Bericht wird begleitet von einer Karte
des nordwestlichen Canada und Alaska mit den eingezeichneten Routen von
McClure, Dease & Simpson, des Plover, Kapt. Collins und John Franklin, femer
vier Skizzen des Mackenziebeckens mit Angabe der schiffbaren Flufs- und See-
strecken, der Kulturfähigkeit des Bodens, der Verbreitung der Pelztiere und der
nutzbaren Mineralien. A. K.
Den 08tgr0nlandske Expedition, udf0rt i Aarene 1883 — 85
under Ledelse af G. Holm. Kopenhagen, Königliche Hof buchdruckerei
von Bianco Lunos (F. Dreyer). Unter diesem Titel ist der vollständige Bericht
der letzten dänischen üntersuchungsreise nach Ostgrönland in 3 Bänden er-
schienen, indem diese zugleich Band IX nebst dem Doppelbande X der „Meddelelser
om Grönland" ausmachen. Der erste B and ** enthält folgende Abschnitte:
1. Ober die 0sterbygd von K. J. V. Steenstrup; dieser, die Lage der
Kolonien nach alten Urkunden und Karten besprechende Teil war schon früher
als ein Separatabdruck erschienen, dessen Inhalt in dieser Zeitschrift Heft 3,
Band IX, 1886, Seite 245 mitgeteilt wurde. 2. Der Reisebericht von
Holm und Garde, dessen Hauptinhalt ja auch schon aus verschiedenen Zeit-
schriften bekannt ist. 3. Holm und Garde: Ober die geographischen
Verhältnisse des dänischen Ostgrönlands. Die Küste ist bekanntlich ärmer
an Pflanzenleben und reicher an Schnee und Eis als die Westküste zwischen den-
selben Breitengraden. Bei diesem öden Charakter bietet sie auch verhältnismäfsig
nur wenig Abwechselung dar. Doch haben unsre Reisenden, indem sie dieselbe
ihrer Natur nach in fünf Gebiete teilen, es verstanden, ein recht anschauliches
Bild des Ganzen zu entwerfen. Von Süden ausgehend, bilden die Teile 1, 3 und
5 einen entschiedenen Gegensatz zu den dazwischen liegenden Teilen 2 und 4.
Der Hauptunterschied wird durch die Höhe der Gebirge, die Tiefe der Einschnitte
des Meeres und die Entfernung des Binneneises bedingt. In den Gebieten 1,
3 und 5 sind die Fjorde länger und zugleich von höheren Bergen umgeben.
Die Gebirgsrücken, von 5 bis 7000 F. Höhe, bilden einen Wall gegen das Vor-
dringen des Binneneises, welches nur durch schmale Thäler seine Arme ins
Innere der Fjorde ausbreiten kann ; dabei findet sich doch unter den Berglehnen
etwas niedriges Vorland, auf welchem ein, den Umständen nach üppiger Pflanzen-
wuchs hat gedeihen können. Auch giebt es hier häufiger Inseln und der
Strand ist reicher an guten Landungsplätzen. Von hohen Punkten aus betrachtet,
bilden diese Fjorde grofsartige malerische Landschaften. An den Stränden d^r
beiden nördlichen Gruppen derselben, näinVic\i Asi^ic^^^^^^ ^"cÄl '\\a.^pa55:t\sisss^.,
Uogen auch flämtliche Wohnplätze der ieingftu ^Vsiv^oW« '«Ät^^^'^'^^^ "^"^^ ^^^^
tüdUcbsten, dem Lindenowgord, findet bIc^ die ömÄs,^\A%\^^'i^'^^'^^»=^^^ "^
^ ^00 --
kuine auf der Ostküste; von demselben aus hat man nur eine Wanderung Vöil
Vji bis 2^2 Meilen zu den beiden südlichsten Fjorden der Westküste. Im Gegen-
satz zu den hier beschriebenen Gegenden findet sich in den Abteilungen 2 und
4 fast alles Ungemach vereinigt, welches die Ostküste in so reichem Mafse dar-
bietet. Hier hat das Binneneis sich über die Halbinseln hinaus bis an die Seiten
der Fjorde, teilweise auch bis an die offene Meeresküste fortgewälzt und sendet
mit wenigen Unterbrechungen seine Gletscher halb oder ganz bis in die See
herab. Freilich sind denn auch die Küstenberge hier niedriger, allein zugleich
häufig mit steilen unzugänglichen Wänden aiA Meere endigend. Da es femer
auch an schützenden Inseln fehlt, haben Reisende in ihren ärmlichen Fellböten,
einerseits von dem Treibeise der See, anderseits von überhängenden Gletschern
oder jedenfalls Schnee- und Eismassen der Uferkante bedroht, häufig viele Meilen
weit keinen Flecken, um den Fufs ans Land setzen zu können. Das schlimmste
Stück dieser gefährlichen Strecken war für die Expedition der IkersuakQord,
das letzte, ehe sie ihr Ziel für den Winter, Angmagsalik, erreichten. Dasselbe
war auch das Hindernis, welches Kapitän Graah zum Umkehren zwang, und
häufig hat es reisende Eingeborene genötigt zu überwintern, ehe sie ihren
Heimatsort erreichen konnten.
Nach diesen Hauptabschnitten enthält der erste Band noch: 4. Über
die geologischen Verhältnisse, vonKnutsen undEberlin. Die
ganze Küste bietet dasselbe Urgebirge dar wie das südliche Westgrönland, den-
selben, mehr oder weniger Hornblende enthaltenden Gneifs, der einerseits
schiefrige Struktur annimmt, anderseits in massigen Granit übergeht. Dabei
giebt es zahlreiche, sehr verschiedenartige Gänge und eruptives, syenitisches
Gestein in gröfseren Ansammlungen. Die südliche Hälfte der Küste hat am
besten untersucht werden können, weil sie von beiden genannten Forschem
zusammen bereist wurde. Die Beobachtungen sind deshalb auch hier von
Eberlin durch Signaturen auf der Karte angedeutet. 5. Bemerkungen über
die eingesammelten? flanzen, von Johann Lange. Dieser Botaniker
hat die, von Knutsen und Eberlin mitgebrachten Sammlungen bestimmt, und
mit dem früher bekannten Material von der Ostküste verglichen. 6. Meteo-
rologische Observationen. Diese sind nach der Rückkehr an das meteo-
rologische Institut abgeliefert, von dem Unterdirektor desselben, W. Jantzen,
berechnet und mit gleichzeitigen Observationen auf Island und in Westgrönland
verglichen worden. Seine Resultate werden hier mitgeteilt. 7. Magnetische
Beobachtungen, nebst denen über Nordlicht und Wasserstand.
8. Liste über Ortsnamen im dänischen Ostgrönland.
Der zweite Band handelt von den Einwohnern Ostgrönlands. Es ist
für die arktische Ethnographie ein günstiges Zusammentreffen der Umstände
gewesen, dafs die Angmagsaliker einen Winter hindurch so scharfe und fieissige
Beobachter, wie unsre Reisenden, gehabt haben, während sie sonst noch von
fremdem Einflufs so gut wie unberührt waren. In Westgrönland existieren aller-
dings die alten Fanggerätschaften und Reisemittel, Fellböte u. a. noch, ganz
einfach aus dem Grunde, weil die Zivilisation ihnen nichts besseres hat bieten
können als diese uralten Erfindungen, von denen ihr unmittelbarer Lebensunter-
halt abhängig ist ; aber in allen andern Beziehungen sind die halbzivilisierten
Westgrönländer von den Sitten ihrer Vorväter mehr oder weniger abgewichen.
Auch ßnden wir ja allerdings bei Egede und Cranz ziemlich vollständige Be-
Schreibungen der Grönländer in ihrem \irap\'\L\i^c\v«vi XxxsUÄde, aüein diese
Berichte können sich nicht mit der umstäudWciViöu ^c\Äöi«t\ia% \s«Ä&«ft., ^fS»^^
^olm uns in diesem Bandß bietet. FolgeuaieÄ NÄTx<t\OQaai% ^«^ \söbä^sä ^
— 201 —
zeigen, dals kein Zweig der Ethnographie dabei unberührt blieb. 1. Beitrag
ziirAnthropologie der Ostgi'önl ander, nach den Sammlungen und Messungen,
welche die Expedition geliefert hat, ausgefühi*t von Sören Hansen. 2. „Ethno-
logische Skizze" der Angmagsaliker, von G. Holm, wie folgt: Be-
schaffenheit und Produkte ihres Landes im allgemeinen. Name, Gestalt, Kleidung,
Wohnung, Gerätschaften und Erwerb — Soziale Verhältnisse, häusliches Leben,
Geburt, Kindheit, Ehe, Todesfall — Glaube, Geister, Amulete, Zauberformeln,
Angakoks, llisitsoks — Astronomie, Geographie, Geschicklichkeit, Kunstsinn, Trom-
melspiel und Tanz — Gasterei, Wintervorrat, Hungersnot — Verhalten der Ang-
magsaliker gegen die Reisenden, Züge ihres Charakters. — 3. Liste der Be-
wohner der Ostküste 1884 — 1885, vom eingeborenen Katecheten Johannes
Hansen verfafsfc und von Holm mit Anmerkungen versehen. 4. Der ostgrön-
ländische Dialekt, nach Johannes Hansens Bemerkungen zu Kleinschmidts
Wörtei'buch, zusammengestellt von H. Rink. 5. Sagen und Erzählungen
von Angmagsalik, gesammelt von G. Holm, mit einigen Bemerkungen ver-
sehen von H. Rink. 6. Verzeichnis der ethnographischen Samm-
lung aus Angmagsalik.
Der dritte Band endlich enthält 41 Tafeln mit Illustrationen und eine
Karte, speziell als Zulage zum zweiten Bande. Allein auch aufserdem sind die
beiden ersten Bände reichlich mit Illustrationen und Karten versehen. Darunter
finden sich die zwei Hauptkarton, die des nördlichen und die des südlichen
Teils, und 7 Tafeln mit Kopien alter Karten von Grönland, zu Steenstrups :
„0sterbygd". Wie alle Teile der „Meddelelser" sind auch diese mit einem
französischen Rcsume von Johnstnip versehen. Dr. Rink.
Meereskunde.
§ DieTiefsee und ihr Leben. Nach den neuesten Quellen gemein-
fafslich dargestellt von William Marshall, Professor an der Universität
Leipzig. Mit 4 Tontafeln und 116 Abbildungen im Text. Leipzig, Ferdinand
Hirt & Sohn. Die treffliche Arbeit des in weiteren Kreisen durch seine erfolg-
reiche Mitarbeit an Berghaus' physikalischem Atlas bekannten Verfassers kommt
gerade zur rechten Zeit. Denn in diesem Sommer wird, nachdem S. M. Kaiser
Wilhelm H. und die Humboldtstiftung die erforderlichen Mittel dargeboten, eine
grofse deutsche Tiefseeforschungsexpedition in den nordatlantischen Ozean aus-
gesandt werden, an welcher sich neben Professor Hansen als Leiter, eine Reihe
namhafter deutscher Gelehrter, nämlich Professor Krümel, die Zoologen Professor
K. Brandt und F. Dahl und als Botaniker Dr. F. Schutt beteiligen werden.
Schon lange aber hat sich die deutsche Wissenschaft um die zuerst von den
Amerikanern und Engländern begonnene Tiefseeforschung grofse Verdienste er-
worben. Ohne Namen einzelner Gelehrter zu nennen, erinnern wir nur an die
Kieler Kommission, die von ihr veranstalteten Fahrten (mit der „Pommerania") und
herausgegebene Arbeiten, an die trefflichen Leistungen unsrer Kriegsmarine
bezüglich Ermittelung der hydrographischen Verhältnisse, namentlich der Nord-
see, an die „Gazellen" reise unter Vizeadmiral Freiherrn von Schleinitz, an die
deutschen Polarexpeditionen u. a. Nicht viele Gebiete des menschlichen Wissens
haben, wie im Vorwort des vorüegenden Werkes gesagt wird, in den letzten
20 Jahren eine so grofsartige Bereicherung erfahren wie die Naturgeschichte
des Meeres. Durch die Tiefseeforschungen ist eine neue wunderbare Welt, be-
völkert mit neuen wunderbaren Gestalten, dem staunenden Auge der Menschheit
erschlossen worden, eine Welt, die wohl im stände ist, e\\i^\i. \^^^\!l ^ssj^'soää^
Menschen anregend zu interessieren und dauernd zxi I^^^^tl. '^^'s» "^^ Vssr^^«^-
Ij'cbe und geistige Kraft von hunderten tücVili^et Utoxi^Tt , ^^^ ^Os^Oo^kq.
— 202 —
Matrosen bis zur Koryphäe der Wissenschaft, mit mühseliger Arbeit und auf-
opferndem Fleifse der geheimnisvollen Tiefe abgerungen hat, das gebildeten
Landsleuten übersichtlich vorzuführen, ist gewifs eine lohnende Aufgabe. Popu-
läre Werke dieser Art sind in Frankreich, Amerika, England erschienen, wir er-
innern nur an Wyville Thomsons schon vor 16 Jahren herausgegebenes Werk:
„theDepths of theSea", welches vorzugsweise die Ergebnisse der ersten englischen
Tiefseeforschungsreisen, der Schiffe „Lightning" und „Porcupine" darlegte.
Bei uns in Deutschland, wo doch in Wahrheit das Interesse für Naturwissen-
schaften nicht minder grofs ist als in irgend einem andern Kulturlande, fehlte
bisher ein Werk, das die überraschenden und wichtigen Erfolge der unterseeischen
Forschungen dem gebildeten Laienpublikum, das gewifs ein Recht auf Belehrung
auch in dieser Hinsicht hat, in gedrängter Kürze und ausgestattet mit den un-
erläfslich nötigen erläuternden Abbildungen übermittelte. Diesen Mangel l>e-
seitigt das vorliegende Werk in würdiger und vollkommener Weise. Es zerfällt
in zwei Teile. Im allgemeinen Teil, Tiefseekunde, werden die Tiefen, Boden-
beschaffenheiten und Druck Verhältnisse, die Chemie des Tiefseewassers, die Ein-
wirkung des Lichtes auf letzteres, endlich die Lotapparate erörtert. Der zweite '
Teil behandelt in 11 Kapiteln das so reiche und mannigfaltige Tierleben der
Tiefsee. Besonders anzuerkennen ist, dafs der Verleger keine Schwierigkeiten
gemacht hat, eine so grofse Zahl von Abbildungen, die zwar kostspielig aber für
das Verständnis durchaus notwendig, zu geben. Sonach dürfte der Leserkreis
des anziehenden Werkes ein zahlreicher sein.
Lehrbücher.
Professor H. C. E. Martus, Direktor des Sophien-Realgymnasiums
in Berlin: Astronomische Geographie. Ein Lehrbuch angewandter
Mathematik. Mit 100 Figuren im Text. Zweite Auflage. Mit vielen Zusätzen.
Leipzig, 1888. C. .A. Kochs Verlagsbuchhandlung. In dem uns vorliegenden
Werke hat Professor Martus es versucht, die hauptsächlichsten Lehren und
Resultate der Astronomie darzulegen, soweit dieselben auf die Kenntnis unsrer Erde
direkt oder indirekt Bezug haben, auf Grund der in den oberen Klassen eines Real-
gymnasiums vorzutragenden mathematischen Disziplinen. Es ist das ein recht
erfreuliches Vorgehen, namentlich wenn es mit so grofser Sachkenntnis geschieht,
wie im vorliegenden Falle. Die uns vielfach so nahe berührenden Fragen über
Gestalt, Gröfse und andei*^'eitige Beschaffenheit unsres Wohnplatzes im grofsen
Weltgebäude bieten für jeden, der sich nur einigermafsen für solche Dinge
interessiert oder dessen Interesse dafür geweckt werden soll, so viel des Be-
merkenswerten und damit einen so reichen Stoff für die Anwendung des mathe-
matischen Kalküls, dafs kaum ein geeigneteres Thema für die Verwendung
des an sich immerhin, vornehmlich in dem in Rede stehenden Stadium, etwas
trockenen theoretischen Formel- und Lehrsatzsystems sich darzubieten scheint.
Der Verfasser war gezwungen, etwas weit auszuholen, um überhaupt erst
eine Reihe von Begriffen definieren zu können, die er bei den Schülern der
oberen Klassen höherer Lehranstalten nicht von vom herein als bekannt voraus-
setzen durfte.
Deshalb ist der erste Abschnitt zunächst den rein astronomischen Betrach-
tungen gewidmet, und es wird dort nach Erläuterung der gebräuchlichen Ein-
teilungen des Sternenhimmels auf die Methoden eingegangen, durch die mau
einen Ort am Himmel festzulegen pflegt, sowie die dazu benutzten kleinereu
Insti-umente und. deren Prinzip kurz beschrieben.
Hieran knüpft sich die geograpliiscVie 0T\&\i^Ä\.\\svm\3ji^ ^\)i dat Erde and
die Einteilung der Zeit nach den in der A8txoiioixn^\OTVQmm^TL^«ü.^^TÄÖDa.^«M^
— 203 —
Jahren, Tagen, Standen u. a. Eine kurze Theorie der Refraktion ist mit einge-
flochten. Der zweite, bei weitem umfangreichere Abschnitt beschäftigt sich mit
der Erde selbst und zerfällt in vier Kapitel. Das erste Kapitel behandelt die
Kugelgestalt der Erde. Der Verfasser zeigt, wie man zu der Annahme der
Kugelgestalt durch die verschiedensten Gründe gezwungen wird und versucht
dieselben überall durch rechnerische Beispiele, wie sie meist dem gewöhnlichen
Leben entnommen werden können, zu erläutern und zu belegen. Daran schliefst
sich die Beschreibung der praktischen Ausführung einer geographischen Orts-
bestimmung nach Länge und Breite auf der Erde (Beispiel: Länge zwischen
Göttingen und Berlin) mit den dabei in Betracht kommenden Fragen über
persönliche Gleichung u. a. Den Schlufs dieses Kapitels bildet die Verwertung
der so erlangten Resultate zur bildlichen Darstellung der Erdoberfläche auf
geographischen Karten in den verschiedenen üblichen Projektionsarten. Kapitel 11.
enthält in seiner Gesamtheit alles, was sich auf die Bestimmung der Gröfse der
Erde bezieht, also Erläuterung der sogenannten Gradmessungsarbeiten. In
besonderer Ausführliclikeit ist hier die praktische Anordnung der betreffenden
Operationen besprochen, da sich dieser Gegenstand ganz ausnehmend gut zur
rechnerischen Behan<jlung in den ins Auge gefafsten Klassen behandeln läfst
und demnach sofort zu greifbaren Resultaten von beträchtlicher Schärfe führen
kann. Nach allen möglichen Richtungen sind sodann die gewonnenen Sätze
auf praktische Beispiele angewandt. Zuletzt ist auch an der Hand astrono-
mischer Messungen noch gezeigt, wie mit Hülfe der Kenntnis der Dimensionen
der Erde die Entfernung der uns nahe kommenden Planeten und namentlich
die des Mondes gefunden werden kann.
Das ÜL Kapitel handelt von der Bewegung der Erde und zwar erstens
von der Drehung um ihre Axe und sodann von derjenigen, welche sie bei ihrem
Umlauf um die Sonne ausführt. Für erstere Bewegung sind die verschiedenen
Beweise angegeben und durch rechnerische Beispiele, welche meist den Original-
werken entlehnt worden, erläutert. Anhangsweise wird die Rotation der
Sonne um ihre Axe besprochen und auf die Dauer derselben, wie sie aus der
Beobachtung der Sonnenflecke sich ergiebt, etwas näher eingegangen.
Die Paragraphen, welche der Revolution der Erde gewidmet wird, beginnen
mit den Angaben über Form, Lage und andre Eigentümlichkeiten der Bahn, und
erst die folgenden beschäftigen sich mit den Beweisen für das Vorhandensein
einer solchen Bewegung. Hier wäre vielleicht eine uixigekehrte Reihenfolge
das Natürlichere gewesen; aber es thut diese Umstellung der Sache an sich
keinerlei Eintrag. Von der Erde selbst geht der Verfasser auf die übrigen
Planeten des Sonnensystems ein, um an der Hand der so gewonnenen An-
schauungen die mathematischen Prinzipien der Planetenbewegung behandeln zu
können. Die Ableitung, (soweit elementar möglich) der drei Keplei-schen Gesetze
mit ihren Folgerungen und weiterhin die Bestimmung der Entfernung der Erde
von der Sonne und die des Mondes von der Erde, sowie die durch denselben
bei seinem Umlauf um die Erde hervorgerufenen Phenomene, als Sonnen- und
Mondfinstemisse, bilden den Schlufs dieses Kapitels.
Li einem eigenen Kapitel, dem IV., geht der Verfasser noch besonders auf die
Abweichung der Erdoberfläche von der Kugelgestalt ein und erläutert die
damit im Zusammenhang stehenden Erscheinungen und Thatsachen. Die ver-
schiedenen Arten der Gradmessungsarbeiten werden nochmals im Speziellen
behandelt und auf ihre Verwertung zur Bestimmung, d.«t ^^^Vö^Jl ^'irt '^^^^ ^^«ss^
dnrchgenommeo, und in ihrem ZableniiiateTia\, sovjevX. i^^q^jäv^Xs^t^Ovä^^^ ^«^-
getragen. Nach verschiedenen praktischen ^c\i\xxUlo\^'5rc^3-^%«^ ^"^^ ei\sÄ^^
— 204 —
Messungen geht der Verfasser zu den namentlich in neuerer Zeit wieder in
Aufnahme gekommenen Pendelbeobachtungen und zu deren Benutzung zur
Bestimmung der Erdgestalt über. Nach ausführlicher Besprechung der Methoden
und der erlangten Resultate wird in einem Schlufsparagraphen noch der Begriff
der Lotablenkung und deren Bedeutung für die Kenntnis der genauen Oberflächen-
beschaffenheit unsrer Erde durch Behandlung mehi*f acher Beispiele vor Augen
geführt. In seiner Gesamtheit kann das Werk nur als eine sehr beachtenswerte
Erscheinung auf dem Gebiete der Lehrbücherlitteratur bezeichnet werden ; aber
auch noch darüber hinaus gewährt es vielfaches Interesse durch die reichen
Literaturangaben und die häufigen Mitteilungen aus den Originalwerken und
biographischen Daten, so dafs es nicht nur dem Lernenden, sondern auch dem
Lehrenden die mannigfaltigste Anregung in der behandelten Disziplin bietet.
. L. A.
Schulgeograp'hic. Coordes, G., Schulgeographisches Namenbuch.
Obersetzung und Begründung der wichtigsten Namen und Bezeichnungen. 144 S.
Metz 1888. Verlag von Georg Lang. Seitdem die geographischen Eigennamen
im Schulunterricht nicht mehr als ein „leerer Schall" gelten, mehren sich auch
die Hülfsmittel zu ihrer Erklärung. Auch die vorliegende fleilsige Arbeit des
Casseler Schulgeographen bietet sich zur Förderung und zur Belebung des
geographischen üntemchts in dieser Richtung an und sei sowohl den Lehrern
als den Freunden der Geographie bestens empfohlen. Die beiden Anhänge:
Namen der vorzüglichsten Sterne und Sternbilder und das vollständige biblisch-
geographische Namenbuch werden gewifs ebenfalls manchem Leser erwünscht sein.
W. W.
Der Redaktion sind ferner folgende Bücher zugegangen, deren Be-
sprechung in einem der nächsten Hefte erscheinen wird:
Essays relating to Indo-China (Trübners Oriental Series). London, Trübner & Co.
1886 und 1887.
F. Engel, die Sierra Nevada de Merida. Hamburg 1884. Verlagsanstalt und
Druckerei. A. G.
H. von Wlislocki, Sitte und Brauch der Siebenbürger Sachsen. Derselbe Verlag.
E. Paul, das russische Asien und seine wirtschaftliche Bedeutung. Derselbe Verlag.
Aus See nach Bremen-Stadt. Wegweiser für Schiffsführer. Herausgegeben auf
Veranlassung der Handelskammer zu Bremen. Nebst zwei Blatt Karten
und Plänen. Bremen, C. Schünemann, 1889.
C. Hefsler, die deutschen Kolonien. Metz 1889. G. Lang.
Hamburgs Handel und Verkehr. Exporthandbuch der Börsenhalle 1888/90.
Hamburg 1889. Verlag der Actiengesellschaft „Neue Börsenhalle."
Internationales Archiv für Ethnographie. Herausgegeben unter Redaktion von
J. D. E. Schmelz. Band II, Heft I und II und Supplement Band I, die
Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala, von Dr. 0. Stell.
Leiden, 1889. Verlag von P. Trag.
Statisticis of the Colony of New Zealand, for 1887. London, Eyrek and Spottiswoode.
0. Baumann, Karte des mittleren Congo, Mafsstab 1 : 400000. Nebst er-
läuternden Bemerkungen.
Bogulawski-Krümmel, Handbuch der Ozeanographie. 2 Bände. Stuttgart,
J. EiJgelhorn, 1887.
="" '■ Deutsche «"»"» ™-
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr. M« Lindeman^ Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Die von der Geographischen Gesellschaft in Bremen
veranstaltete Forschungsreise in das europäische
Eismeer.
(Dr. Kttkenthal und Dr. Walter.)*)
n.
Brief des Herrn Dr. Kükenthal aus Spitzbergen. Nachricht über die Strandung der
.Berntine", durch Telegramm aus Tromsö bestätigt. Fortsetzung der Reise auf der
Jacht »Cecilie Malene". Rückkekr der Herren Dr. Kükenthal und Dr. Walter
nach Tromsö. Berichte des Herrn Dr. Kükenthal über den weiteren Verlauf seiner
Reise und insbesondere über die König Karls-Inseln.
„Whales Point (Stans Foreland), 29. Mai 1889.**)
Vielleicht gelangen diese Zeilen in Ihre Hände. Wir liegen
mit fünf andern Fahrzeugen fest eingeschlossen im Eise an der West-
seite von Stans Foreland, denken jedoch bald loszukommen. Von
Tromsö konnten wir erst am 7. Mai aussegeln, da wir zuerst nicht
volle Besatzung bekommen konnten, und ferner, weil in der ersten
Maiwoche absolute Windstille herrschte. Am 13. Mai kam die Bären-
insel in Sicht, die wir von Osten her an der Nordküste entlang
umsegeln konnten. Festes Eis trafen wir erst auf 75 ® N. 23 ®
0. V. Gr., es erstreckte sich von Südost nach Nordwest. Ein heftiger
Sturm trieb uns zwischen die Untiefen des Südkaps von Spitzbergen,
wir segelten indessen heil hinaus und setzten unsre Fahrt der West-
küste entlang fort. Das bis dahin kalte, stürmische Wetter schlug
um, wir hatten einige Tage lang herrliche Fahrt. Eis war fast gar
nicht' zu sehen, bis auf einige unbedeutende Treibeisstreifen, welche
*) Nr. I s. in Heft 2, S. 81 u. fP.
**) Angekommen in Bremen den 26. Jimi 1^^.
G0ogr, Blätter, Bremen, 1889. '^
— 206 —
wir leicht durchbrachen. Am 21. kam starker Sturm aus Nord, wir
mufsten deshalb in der Magdalenabai vor Anker gehen (79® 36' N.).
Am nächsten Tage kam ein Segelfahrzeug in Sicht, die englische
Flagge am Top liefs keinen Zweifel, dafs wir die Jagdexpedition des
Mr. Pike vor uns hatten, der mit einigen Mann auf Danskoen über-
wintert hat. Die Leute erzählten uns, dafs sie einen abnorm milden
Winter gehabt hätten, um Weihnachten herum hatte es gethant,
die strengste Kälte ist — 28 ® R. gewesen. Starke Nordstürme haben
zuletzt vorgeherrscht. Das Eis, ungewöhnlich starkes Packeis, liegt
bereits dicht an Amsterdamoen, 79® 50', gänzlich undurchdringlich.
Ihre Ausbeute war äufserst gering, nur acht Bären und ein WalroCs,
sowie einige Robben. Wir sahen bald, dafs ein weiteres Vordringen
nutzlos war, denn am nächsten Tage segelten wir nordwärts und
fanden das Eis „dicht wie eine Wand", wie unsre Leute sich aus-
drückten. Die folgenden vier Tage trieben wir in Sturm und Schnee-
treiben zwischen den Eismassen herum. Dann entschlossen wir uns
zur Rückreise, um die Ostküste zu versuchen. In diesen vier Tagen
hatte das Eis infolge des Nordwindes eine Fahrt bis zum Nordkap
von Prince Charles Foreland gemacht, wo wir einen schmalen, aber
dichten Streifen durchbrechen mufsten. Am Südkap hatten wir, wie
es dort gewöhnlich ist, Sturm, dann aber prächtige Fahrt nordost-
wärts. Eis trafen wir erst neun Meilen von Stans Foreland, wir
konnten hindurchsegeln und befanden uns am Abend des 27. Mai
unter Land in der Deeviebai. Hier erlegten unsre Harpuniere zwei
Walrosse; einen Bären, der sich an der Küste zeigte, konnten wir
nicht bekommen, da ein furchtbares Unwetter aus Süd hereinbrach.
Wir gewannen einen kleinen Hafen nördlich von Whales Point.
Heute früh wurde der Wind westlich und bei dem heftigen Sturme
rückten die Eismassen mit furchtbarer Geschwindigkeit heran. Es
war eine bewegte Szene heute Morgen, als die sechs Fahrzeuge bei
dem starken Seegang und dem heranstürmenden Eis sich zu bergen
suchten, es kamen mehrere Kollisionen vor. Unser Heckboot wurde
eingedrückt, das Boot des Engländers zwischen Schiff und Eis wie
ein Strohhalm zerknickt, dann gewannen vmr aber Schutz hinter
drei mächtigen, auf den Strand geratenen Eisblöcken. Glücklicher-
weise war helles Wetter, sonst wäre die Sache nicht so gut abge-
laufen. Von da aus sah man kein Wasser, nur festgekeilte Eis-
massen. Bei hellem Sonnenschein unternahm ich darauf mit Walter
eine Tour ans Land, das hier eine ziemliche Strecke weit iSach ist;
vmr schössen 11 Renntiere, noch im Winterkleide, und wollen ver-
süchen, ein paar FeMe zum Ausstopfen mitzubringen, da in Deutsch-
— 207 —
land wohl kaum ein Museum derartige Exemplare besitzt, ünsre
wissenschaftliche Ausbeute ist natürlich noch nicht grofs, wir haben
viermal dredgen können und prächtige Sachen erhalten. Die Wasser-
temperatur ist aber noch sehr niedrig, wir hatten ein paarmal — 3 ^ R.
Walter hat schöne ornithologische Studien gemacht. Im Juli gehen
wir wieder an die Nordküste. Mit Kapitän und Mannschaft sehr
zufrieden! Beide gesund und guter Dinge. Herzliche Grüfse von
Ihrem ergebenen Kükenthal."
Dies der einzige Brief, den Herr Dr. Kükenthal während seiner
Reise hat befördern können. Anfang August lief folgendes aus
Christiania, den 3. August datiertes Telegramm durch die Zeitungen :
„Aus Tromsö wird telegraphiert, dafs das norwegische Schiff
„Berentine", auf dem sich zwei ungarische (sie!) Forschungsreisende
befanden, an der Westseite Spitzbergens gestrandet ist. Alle an
Bord befindlichen Personen wurden gerettet." Die Gesellschaft hatte
von einem ihr bekannten Herrn in Tromsö die Zusage erhalten, dafs
ihr etwaige wichtige Vorfälle im Eismeer, die dort zur Kunde kämen,
gemeldet werden sollten. Da indessen eine solche Meldung nicht
eintraf und obiges Telegramm mit weiteren offenbar unrichtigen Zu-
sätzen durch die Zeitungen des In- und Auslandes lief, telegraphierte
der Vorstand am 22. August um Auskunft an den ihr befreundeten
Herrn Zollinspektor Pettersen in Tromsö und erhielt am 23. folgendes
die Strandung der „Berentine" bestätigende Antwortstelegramm:
„Dr. Kükenthal von dem Fangschiff „Cecilie Malene" aufgenommen.
Alles gerettet. Pettersen." Ein von demselben Tage datiertes
Schreiben des Herrn Pettersen traf am 3. September bei der Gesell-
schaft ein, es lautete dahin : „In bezug auf die Strandung der Jacht
„Berentine", Kapitän Johnson, meldete ich Ihnen telegraphisch, dafs
die Herren Dr. Kükenthal und Dr. Walter von der Jacht „Cecilie
Malene", Kapitän Arnesen, aufgenommen wurden und dafs sie alles
gerettet haben. Ich habe nun heute hierüber nähere Mitteilungen
vom Schiffer Olsen, der die Nachricht von der Strandung der
„Berentine" mitbrachte, erhalten. Es ergiebt sich daraus das fol-
gende : Die „Berentine" strandete am 12. Juni bei den Rus-Inseln,
welche südlich vor der Deeviebai, Stans Foreland, liegen. Dr. Küken-
thal rettete, wie bemerkt, alles, ausgenommen etwas Spiritus. Von
der „Cecilie Malene" aufgenommen, wird er in dieser Jacht seine
Forschungen bestens fortsetzen können. In den ersten Tagen des
Juli sperrte das Eis bei den Norske 0er (den Norweger Inseln) die
Passage ostwärts, dagegen war das Fahrwasser vom Südkap ostwärts
bis König Karls-Land ziemUch eisfrei. Am, 1. oöäx %• ^xiÄ. ^rxssää ^^
— 208 —
„Cecilie Malene" mit der deutschen Expedition an Bord im Fahr-
wasser zwischen den Ryk-Ys-Inseln und Kong Karls-Land observiert.
Mit besten Grufs hochachtungsvoll Karl Pettersen."
Diesen hocherfreulichen Mitteilungen folgte am 7. September
nachstehendes Telegramm des Herrn Dr. Kükenthal aus Tromsö an
die Gesellschaft: „Beide zurück. Erfreuliche Resultate."
Am 16. September morgens trafen bei der Gesellschaft die
nachfolgenden vom 17. August und 6. September datierten Berichte
des Herrn Dr. Kükenthal ein:
Deeviebai, am 17. August 1889.
Südostküste von Stans Foreland (Spitzbergen Gruppe.)
Da ich wohl annehmen darf, dafs Sie meinen Brief aus der
Whalespointbucht erhalten haben, so will ich den weiteren Reise-
bericht daran anknüpfen. Unsre Gefangenschaft im Eise dauerte
11 Tage, bis zum 8. Juni. Wir benutzten diese Zeit, um Streifzüge
in das Land zu unternehmen und mancherlei zu erbeuten. Am
Abend des 8. Juni hatte sich das Eis so weit verteilt, dafs wir in
den Stor-Fjord hinaussegeln konnten. Die beiden Pfingstfeiertage
hatten wir dichten Nebel, der am 11. Juni von einem Sturme abge-
löst wurde, wie ich noch keinen im Eismeer erlebt habe; als der
Klüver zerrifs, mufsten wir vor den in der Deeviebai gelegenen
Russoernen (den King Louis-Inseln der englischen Karte) vor Anker
gehen. Am nächsten Morgen erschien ein nicht breiter aber dichter
Streifen schweren Eises, der, von der starken Strömung getrieben,
überaus schnell heranrückte, und im Verein mit hoher Dünung aus
Südwest unser Schifif auf Steinklippen trieb. Bald darauf trat Ebbe
ein und das Fahrzeug fiel um. Alle Anstrengungen, mit der nächsten
Flut loszukommen, waren vergeblich ; mit Eisblöcken beladene Sturz-
seen brausten unaufhörlich über Deck, und bald war unsre prächtige
„Berentine" wrack. Über die treibenden Eismassen hinweg erreichten
wir das Land, nur mit dem All ernotwendigsten versehen. Die kleine
felsige tisel, auf welche wir nun angewiesen waren, war noch fast
gänzlich schneebedeckt. Von lebenden W^esen fanden wir drei Eis-
bären vor, die wir erlegten, sowie viele Eidervögel und Gänse.
Glücklicherweise hatte sich mit Eintreten der nächsten Ebbe durch
Einschieben einer Reihe von Eisblöcken zwischen W^rack und L:isel
vorübergehend eine Brücke gebildet, so dafs wir dasselbe erreichen
und noch vieles bergen konnten. Kapitän Nils Johnson war vor
allem bemüht, unsre Ausrüstung zu retten, und zeigte sich auch bei
dieser Gelegenheit als ein wahrhaftet Ehrenmann. Wir erhielten so
— 209 —
ziemlich alles, nur das Spiritusfafs war aus dem mit Eisblöcken und
Wasser angefüllten Schififsraum nicht herauszubringen (einige Tage
später erhielten wir auch dieses) und die bis dahin gesammelten
Vogelbälge, welche von Dr. Walter mit grofser Sorgfalt präpariert
worden, waren durch das auch unsre Kajüte erfüllende Seewasser
vernichtet worden. Leider mufsten wir infolge unsres Schiff-
bruches die metereologischen Observationen 4 Tage lang unterbrechen.
Bereits am Nachmittag des 14. Juni erschienen drei Fahrzeuge,
deren Kapitäne uns aufsuchten. Indem mir nun die Wahl gelassen
wurde, entweder auf der Insel zu leben, auf welcher Johnson mit
einem Teil seiner Leute bis zum Herbst zu verbleiben gedachte und
durch Bootsreisen das Gebiet um die Deeviebai herum genauer zu
erforschen (Kapitän Johnson hatte für diesen Fall seine Mannschaft
sowie ein Fangsboot zu unsrer freien Verfügung gestellt) oder aber
mit einem der drei Fangsschiffe von neuem das Glück zu versuchen,
wählte ich das letztere und Kapitän Magnus Arnesen, Jacht „Cecilie
Malene" von Tromsö übernahm uns unter denselben Bedingungen,
welche wir mit Johnson abgemacht hatten.
Waren wir bis dahin vom Unglück verfolgt worden, so wurden
wir durch die nachfolgende Fahrt reichlich entschädigt, dieselbe ist
ohne Übertreibung als einzig dastehende in diesen Gebieten zu
bezeichnen, zumal wenn man die Jahreszeit berücksichtigt, in welcher
wir die Hauptresultate erreichten. Eine eingehendere Darstellung
derselben will ich mir bis zu unsrer Ankunft in Bremen aufsparen,
und nur einen kurzen Auszug aus meinem Tagebuch geben.
Am 19. Juni begannen wir der Südostküste von Stans Fore-
land entlang zu segeln. Am 21. Juni trafen wir Eis an den Ryk
Ys-Inseln, denen wir uns auf ^k Meile näherten.
Am 24. Juni segelten wir über die Olgastrafse zum Osteis und
bekamen die Ostküste der König Karls-Inseln (von den Fangsleuten
fälschlicherweise als „Gillisland" bezeichnet), in 5 bis 6 Meilen Abstand
in der Richtung nach Nord zu in Sicht. In den nächsten Tagen
folgten wir der 3 bis 4 Meilen breiten Festeiskante der spitzbergischen
Ostküste, lagen am 26. Juni in Ost von der Walter Thymenstrafse,
am 27. Juni vor der ünicornebai, und stiegen am Abend desselben
Tages auf einer der nach Ost vorgeschobenen Bastians-Inseln an
Land. Damit hatten wir den Schauplatz der Thätigkeit der ersten
deutschen Nordpolexpedition vom Jahre 1868 von Osten her erreicht,
eine Thätigkeit, die wir an der aufserordentlich zuverlässigen
Kartierung merken konnten. — Die Gegend wimmelte von E\«Jä^xä^^
auf einer Jagd auf dem Festeise zahVl^ icYi Yl ^^\vd^. ^sö. \äk&&
— 210 —
weniger Wochen hatten wir 18 geschossen, zwei Junge lebend gefangen.
Am 1. Juli waren wir vor der Ulvebai in einer observierten Breite von
79 ® 7 ' dicht unter dem Nordostlande, dessen Südküste nach unsem
Beobachtungen einige Minuten südlicher liegt. Wir folgten am nächsten
Tage der Küste dieses Landes, welches hier einen einzigen unge-
heuren Gletscher bildet, nach Ost und befanden uns bald darauf unterm
Kap Mohn, von wo aus wir nach den König Karls-Inseln segelten.
(Näheres darüber siehe den unten folgenden Bericht.) Am 6. Juli
befanden wir uns dicht unter der Süd- und Siidostküste dieser Inseln.
Bis zum 11. Juli kreuzten wir an der Südmündung der Hin-
lopenstrafse. Am 12. Juli segelten wir nach Nord, die Hinlopen-
strafse hinauf und drangen durch verteiltes Eis bis unter die
Foster-Inseln vor , eine Breite von 79 ® 31 ' erreichend. Nur wenige
Meilen um Verlegenhook herum zur Amsterdam-Insel fehlten uns an
einer vollständigen ümsegelung Spitzbergens, da wir uns bereits am
22. Mai vor Amsterdam befunden hatten. Die nun folgenden Wochen
wurden zu einer möglichst gründlichen Untersuchung der Olgastrafse
und ihrer Küsten benutzt. Gegen hundertmal dredgten wir in
diesem, bisher noch unerforschten Meere, dessen Tiefenverhältnisse
wir durch eine gröfsere Anzahl Lotungen ziemlich genau kennen
lernten. Die gröfste Tiefe von 266 m erreichten wir im Süd der
König Karls -Inseln, 6 Meilen vom Ostkap derselben entfernt. Die
Küstenkonturen wurden, soweit es uns möglich war, aufgenommen
und Landschaftsskizzen von allen Gegenden angefertigt, darunter
einige von den König Karls - Inseln. Ein wichtiges Resultat scheint
uns die Entdeckung eines starken Meeresstromes zu sein, der die ge-
samte Olgastrafse in der Richtung von Nord nach Süd, unter den
König Karls -Inseln nach Südost abbiegend, durchströmt, von Mitte
Juli bis Mitte August war er aufserordentlich stark. Die Ober-
fläche des Stromwassers hatte Ende Juni eine Mitteltemperatur von
+ 1,5 ö C, un Juli bis Mitte August + 2,6 » C. In der Tiefe nahm
die Wasserwärme rasch ab, am 26. Juli z. B. betrug sie mitten in
der Olgastrafse an der Oberfläche + 3,2^ C, in 40 m Tiefe aber
nur noch + 0.3^ C. Diesen Strom beobachteten wir überall und
zu jeder Zeit von Nordostland an bis zu den Ryk Ys- und König
Karls-Inseln, nur an den flachen Küsten wurde er durch die Gezeitfen-
ströme gestört.
Am 30. Juli waren wir auf den Ryk Ys- Inseln. Wir fanden
nur 3 kleine Inseln vor, von den drei weiteren grofsen zusammen
über 3 Meilen langen Inseln, welche auf den Karten verzeichnet
stehen, war nichts zu sehen. üi^seWieiv sind nicht vor-
— 211 —
banden. Die Vegetation war aufserordentlich ärmlich, es fand sich
nicht eine einzige Blütenpflanze vor. Interessant war das Vor-
kommen von Rentierspuren; die Tiere müssen jedenfalls sehr weite
Wanderungen über das Festeis unternehmen. Die Ostküste des
Barentslandes untersuchten wir am 5. August, und fanden sie gleich-
falls in bezug auf Vegetation und Tierleben im höchsten Grade
ärmlich. In rein geographischer Hinsicht ergebnisreich war auch
die Fahrt längs der eisfreien Ostküste von Stans Foreland. Der
gewaltige König Johanns-Gletscher, welcher den gröfsten Teil der
Südostküste bildet, endet nicht mit Stone Foreland, sondern setzt
sich weiter nach Norden und Nordwest fort, um dann plötzlich
scharf westlich und westsüdwestlich umzubiegen. Er bildet dadurch
den Südrand einer Bai, welche an Breite etwa der Deeviebai gleich-
kommt. Sich verlierende blaue Berge, welche sich an der Nord-
westseite tiefer in das Land ziehen, brachten diesem Küstenstrich
von Seiten der Fangsleute den Namen „Blaa-Fjorden" ein. Beim
Näherkommen erwies sich aber, dafs von einem Fjord keine Rede
ist, die Berge begrenzen ein tief einschneidendes Thal, die Küste
selbst wird von ödem, schlammigem Flachland gebildet, welches sich
bogenförmig zum Ende des König Johann -Gletschers zieht. Ein
mächtiger steiler Berg von der gleichen Form, wie der Black Point
der Südküste, bildet den nördlichen Thorpfeiler der neuen Bai, er
liegt ein paar Meilen südlich vom Kap Heuglin.
Am 12. August waren wir zum vierten und letztenmale unter
den König Karls-Inseln und wandten uns dann südwärts, da unab-
sehbare dichte Packeismassen von Norden und Osten vordrangen.
Zugleich schlug das bis dahin ausgezeichnete Wetter um, und da
fast ununterbrochener Nebel eintrat, verliefsen wir die Olgastrafse
und segelten dicht der Küste folgend nach der Deeviebai.
Über die Lufttemperaturen, welche wir im Osten Spitzbergens,
also in der Olgastrafse, gemessen haben, möchte ich folgende An-
gaben machen:
Mitteltemperatur Maximum Minimum
(27. Juni, 8 ühr Ab.) (25, Juni, 8 Uhr Ab.)
Jum 20-30 ^ j 50 c. + 40 C. - 1,2« C.
(23. Juli, 12 ühr Mitt.) (18. Juli, 4 ühr Morg.)
^^ + 2,1« C. + 50 C. — 0,70 C.
(6. Aug., 12 ühr Mitt.) (4. Aug., 4 ühr Morg.)
August 1-15 ^ 2 go c. + 4,30 C. + 1^ C.
Diese auch für einen arktischen Sommer sehr niedrigen Tempera-
turen stehen im grellen Gegensatz vx d^ü^üL öäx. ^^'^öeÄ^^ "^^s^s.
— 212 —
Stans Foreland, wo wir einmal, am 19. August, das Maximum von
11,1 ® C. erreichten. Nachdem wir die Olgastrafse verlassen hatten,
brachten wir drei Tage mit Untersuchungen am Lande, bei Whales
Point zu, blieben noch einige Zeit in Deeviebai, deren reiches Tier-
leben uns viel Material bot und segelten am 24. August nach Tromsö
zurück.
Tromsö, 6. September.
Am 2. September erreichten wir Land zwischen Hammerfest
und Tromsö, mufsten vor Sturm im Kvänangen-Fjord Schutz suchen
und konnten erst heute Abend nach langwierigen Kreuzen hier
anlangen.
Anfang Oktober gedenken wir in Bremen einzutreffen, und
werden Ihnen noch genauere Nachricht geben.
Kurzer Bericht über die König Karls-Inseln.
Die erste sichere Kunde von dem Vorhandensein eines Landes
östlich von Spitzbergen lieferte die dritte schwedische Expedition
vom Jahre 1864. Von dem zwischen Hinlopenstrafse und Helissund
gelegenen weifsen Berge aus hatten die Forscher ein hohes Bergland
mit 2 besonders hervorragenden, abgerundeten Berggipfeln gesehen,
und dasselbe als das etwas sagenhafte Gillisland aufgefafst. Die
Entfernung wurde auf etwa 150 km geschätzt. Li den Karten er-
schien es unter dem Namen „Schwedisches Vorland".
Verschiedene Angaben, hauptsächlich von Fangsschiffern her-
rührend, können wir übergehen, da dieselben weder Sicheres noch
Neues bringen und wenden uns der nächsten etwas ausführUcheren
Mitteilung aus dem Jahre 1870 zu, welche von Heuglin und Graf
Zeil herrührt. Von dem an der Walter Thymenstrafse gelegenen
Middendorfberge aus erbHcken sie ein gebirgiges Land mit zahlreichen
scharfen Spitzen, welches in einer ungefähren Entfernung von 66 km
gelegen, sich vom 78® bis zum 79®, vielleicht bis zum 80® nördl.
Br. erstrecken sollte. Petermann gab diesem Lande den Namen
„König Karls-Land". Man zweifelte nicht, dafs dieses Land mit dem
Schwedischen Vorland in Zusammenhang stand.
.Bestimmtere Mitteilungen wurden erst im Jahre 1872 von
norwegischen Fangsschiffern gemacht, welche in diese Gebiete vor-
drangen. Der Hanmierfester Kapitän Altmann behauptete, dafs
König Karls-Land aus drei grofsen und einigen kleinen Inseln bestehe,
während Kapitän Nils Johnson aus Tromsö der Ansicht war, dafs
König Karls-Land ein einheitliches Ganzes sei, die vermeintlichen Liseln
seien durch Flachland verbunden.
— 213 —
Auf Grund hauptsächlich dieser Mitteilungen wurde die Karte
von König Karls-Land entworfen, wie sie jetzt vorliegt. Eine weitere
Bereicherung erhielt dieses Meeresgebiet durch zwei Inseln, welche
im Jahre 1884 von den Fangschiffern Kapt. Johannesen und Kapt.
Hemming Andreasen im Osten von König Karls-Land entdeckt wurden,
die sich bis ungefähr 79® 20' nördl. Br. und 38 bis 39« östl. Länge
nach Ost oder Ostnordost verschieben sollen. Weitere Angaben liegen
bis jetzt nicht vor. Auf den Karten ist König Karls-Land als zusammen-
hängendes Land dargestellt, östlich davon die beiden Inseln, deren
Nordostpunkt von Schwedisch Vorland etwa 35 geographische Meilen
entfernt liegt. Da wir in diesem Jahre mit der Tromsöer Yacht
„Cecilie Malene", Kapitän Magnus Arnesen, viermal unter den König
Karls-Inseln gewesen sind, so sind wir in den Stand gesetzt, von dem
Bisherigen recht abweichende Mitteilungen machen zu können.
Unsre vier Fahrten nach diesen Inseln verteilen sich auf
folgende Tage. Den ersten Vorstofs machten wir von den Ryk
Ys-Inseln aus und befanden uns an der Eiskante 5 bis 6 Meilen südlich
vom östlichen Punkt der Inseln am 24. Juni. Am 3. Juli segelten
wir, vom Nordostland kommend, mit südwestlichem Kurse auf die
Inseln zu. Bei dem aufserordentlich klaren Wetter vermochten wir
die gesamte Inselgruppe vollkommen zu überschauen. Im Laufe des
Tages kamen wir dicht heran und segelten nun, 3 bis 4 km von dem
teilweise eisfreien Lande entfernt, die Westküste (dem „Schwedisch
Vorland" entsprechend) entlang nach Süd, wo wir gröfsere Massen
Eis antrafen. Am Abend waren wir etwa 5 bis 6 Meilen von den
Inseln entfernt, im Süden derselben, die klare Luft liefs uns den
Inselkomplex auch von dieser Seite überschauen. Eine dritte Fahrt
unternahmen wir ein paar Tage später von Barents-Land aus. Am
6. Juli erreichten wir die Südwestküste und segelten in durch-
schnittlich 4 bis 5 Kilometer Abstand zwischen verteiltem Eis nach
Ost, wodurch uns Gelegenheit wurde, Süd- und Südostküste genauer
kennen zn lernen. Da indes Schneegestöber uud Nebel eintrat und
die Eismassen weiter im Osten dichter wurden, kehrten wir um.
Ein viertes Mal segelten wir über die Olgastrafse am 11. August,
und kamen am Morgen des 12. August wiederum nahe an die West-
küste heran, welcher wir südwärts folgten. Diesmal war die Küste
von einem bis 3 km breiten dichten Packeisgürtel blockiert. Tagelang
andauernde Nebel, sowie die Gefahr, von den aus Ost und Nord
vordringenden Massen schweren Packeises eingeschlossen zu werden,
bestimmten uns zur Rückkehr nach Spitzbergen, so da.t% ^\s. ^^
Ostküste der Inselgruppe nicht eixeicYit \ia\i«iv, t^xxvXi^^HÄXv. q^vs^j^^^vjsö.
— 214 —
wir uns über die West- und Südküste, Nord- und Südostküste
konnten wir wenigstens gut überschauen. Wenn wir das Besultat
ixnsrer Beobachtungen zusammenfassen, so ergiebt sich folgendes:
Von etwa 26^ 20' östl. Länge bis höchstens 30® östl. Länge
in einer Breite von 78® 30' bis höchstens 78® 57' nördl. Br. liegt
eine Inselgruppe, bestehend aus mindestens zwei, wahrscheinlich
aber drei Inseln. Die westliche dieser Inseln erstreckt sich in ihrer
Längsrichtung von Nordwest nach Südost, das Nordkap liegt zwischen
78® 50' und 78® 51' nördl. Br., das Südkap auf etwa 78® 30' nördl.
Br. Ihre gröfste Längsausdehnung beträgt etwa 6^/2 Meilen, an der
Nordküste ist sie etwa 1 Meile, an der Südküste 2 Meilen breit.
Die Nordküste wird eingenommen von einem mächtigen vierkantigen
Berge mit steilem Felsaufsatz, dessen Gipfel ein von Nord nach
Süd sich etwas neigendes Hochplateau darstellt; die Höhe mag
etwa 1200 Fufs betragen. Dieses isoliert dastehende Bergmassiv ist auf
weite Entfernungen hin wahrzunehmen, man sieht es noch, wenn
die sich daran schliefsende Küste bereits verschwunden ist. Ein
schmales Thal trennt es von dem nun folgenden Hochplateau,
welches den ganzen Binnenraum der Insel einnimmt, eine mittlere
Höhe von 500 bis 600 Fufs besitzt und an der Nordseite sowie an
einzelnen vorspringenden Punkten der Westküste etwas ansteigt.
Eine bedeutendere Höhe erreicht es erst im Süden, die 2 Meilen
breite Südostküste wird von dem Steilabfall des hier über 1000 Fufs
hohen Plateaus gebildet. Dem Abfall des Hochplateaus ist an der
Westküste bis zum Südkap ein Flachland vorgelagert, welches über
eine Meile Breite erreichen kann. Dieses Flachland fehlt der Süd-
ostküste vollkommen, an der Nordküste ist es sehr schmal und
etwas höher. Wir bemerkten auf diesen meist terrassenförmig sanft
ansteigenden Küstenstrecken grofse Massen von Treibholz. Es steht
dieses Vorkommen im Einklang mit dem Vorhandensein eines starken
von Norden kommenden Meeresstromes, den wir im ganzen Bereich
der Olgastrafse vom Nordostland an konstatieren konnten, und über
dessen spezielleres Verhalten wir später berichten werden. Am
Südkap war das vorliegende Land vor dem Fjeldabsturz bedeutend
erhöht, ein mächtiger, ganz vereinzeilt dastehender schwarzer Fels-
block ragte hier hoch auf, einer Kirche nicht unähnlich, schon von
weitem ein gutes Merkzeichen abgebend. Der einzige Gletscher,
welchen wir vorfanden, befand sich an der Südostküste, etwa ^/s Meile
vom Südkap entfernt, er war unbedeutend und besafs einen steilen
Abfall. Meeresbuchten waren drei vorhanden, zwei flache an der
Westseite, durch das weit hervoispimg^nöift Süiw^^tkap getrennt,
— 215 —
und eine kleinere aber tiefere an der Südostküste von etwa 1 Meile
Breite und 1 Meile Tiefe, deren Westufer von den nach Norden
umbiegenden Bergabstürzen des Hochlandes, das Ostufer von dem
niedrigen aber steil abfallenden Ostkap gebildet wird. Von der
Ostküste dieser Insel vermögen wir nur über deren nördlichen Teil
etwas auszusagen. Von dem Nordberge streckt sich nach Ostnordost
eine flache Landzunge. Auch die darauf folgende Küste ist Flachland.
Das Gestein, aus welchem die Insel bestand, war im Norden
von rotbrauner Farbe, im Westen und Süden mehr graubraun. Die
gesamte Architektonik war dieselbe wie an der Ost- und Südküste
von Stans Foreland. Nahe an der Küste angestellte Dredgen
brachten ebenfalls dasselbe Gestein, grauen Thonsandstein und
„Hyperit" zu Tage.
Die Vegetation war, soweit wir sie beurteilen konnten, eine
sehr spärliche ; Rentiere konnten wir nicht beobachten, das einzige
Säugetier, welches wir auf der Insel sahen, war ein Eisbär. Noch
am 12. August waren die Bergabhänge fast vollständig, das vor-
liegende Flachland zum guten Teil schneebedeckt.
Der Sund, welcher diese Insel von dem östlich davon gelegenen
Lande trennt, ist an seiner Nordmündung gegen drei Meilen breit.
Die Richtung der Nordküste dieses Landes ist eine ostnordöstliche,
der dem Sunde zugewandten Küste eine südsüdwestliche. Das
Westkap liegt auf 78 ^ 51 ' nördl. Br., das Nordkap auf etwa
78 ^ 57 ' nördl. Br. Ein Bergplateau von etwa der gleichen Höhe
wie das der Westinsel bildet die Westspitze dieses Landes, es fällt
überall steil ins Meer herab. An der Nordküste lassen sich drei
aufeinander folgende Bergvorsprünge bemerken. Es folgt auf dieses
Fjeld nach Osten zu ein breiter schneebedeckter Abhang, der mit
einem schmalen hoch heraufziehenden Felsgrat endigt. In bezug
auf ein darauf folgendes, mehr von Nord nach Süd streichendes
schneebedecktes Küstengebiet, war es uns nicht möglich, zu ent-
scheiden, ob dasselbe mit dem vorhergehenden zusammenhing, oder
durch eine Bucht oder einen Sund getrennt war, ein breites Berg-
plateau begrenzt es im Osten. An dieses schliefst sich flach an-
steigendes Land an, welches von dem Nordostkap, einem Berg mit
abgerundetem Gipfel, begrenzt wird. Östlich von diesem Berge,
den wir noch mit vielen Details erkennen konnten, war nichts mehr
zu sehen. Die Süd- und Südostküste dieses Landes erblickten wir,
als wir am Abend des 3. Juli in Südwest vom Südka.^ 4j«. ^^^-
insel lagen. Bei unsrer Weiterfaliit ivaciVi Sv)A \>x^X> ^'«e^^^^ ^sös^ks.
— 216 —
und mehr hervor, wir vermochten deutlich zu erkennen, dafs sie
von den Abhängen eines Hochplateaus gebildet wird.
So ungefähr ist das Bild, welches wir auf Grund unsrer Beob-
achtungen von dieser Inselgruppe erhalten haben; wir denken es
später durch eine Kartenskizze und einige Aquarelle der Landschaft,
die wir zu entwerfen Gelegenheit hatten, zu vervollständigen.
Unsre Angaben über diese Gruppe mit den bereits vorhandenen zu
vermischen, getrauen wir uns nicht zu übernehmen und wollen dies
gern Berufeneren überlassen.
Vielleicht ist es uns aber gestattet, unsre eigne persönliche
Meinung in einem Hauptpunkte dieser Frage zu äufsern. Aus ver-
schiedenen und, wie wir glauben, schwerwiegenden Gründen, die
hier zu entwickeln indes zu weit führen würde, glauben wir in dem
von uns gesehenen Inselkomplex das auf den Karten verzeichnete
König Karls-Land inklusive der von Johannesen und Andreasen im
Jahre 1884 entdeckten neuen Inseln zu erkennen. Wir sind über-
zeugt, dafs Kapt. Johnson im Jahre 1872 auf dem östlichsten
Punkte der östlichsten Insel gelandet ist und dafs man die Aus-
dehnung der Inseln nach Ostnordost um mindestens 8 Längen-
grade verringern mufs, um der Wahrheit näher zu kommen.
Tromsö, 6. September. Dr. W. Kükenthal.
Der Odenwald/)
Von Geh. Oberforstrat Wilbrand in Dannstadt.
Hierza Tafel 5: Karte der Bewaldung des Odenwaldes.
Landschaftliches. Eisenbahnen und Strafsen. Erklärung des Namens. Geschicht-
liches. Anbauverhältnisse. Forstwirtschaft: Waldarten, Holzarten, Eigentumsverhält-
nisse, Kultivierung, Röderbetrieb, Eichenschälwald- und Hackwald-Betrieb, Erträge.
Jagd und Wilderer. Fischerei. Mineralische Bodenschätze. Wohnweise und Tracht
der Bevölkerung Landwirtschaft und Industrie.
Der Odenwald ist das Bergland zwischen Rhein, Main und
Neckar oder, da dasselbe sich noch etwas über den Neckar hinüber
erstreckt, genauer, das Bergland zwischen Aschafifenburg, Darmstadt,
Heidelberg, Nufsloch, Mosbach, Walldürn, Wertheim und dem Main
zwischen Wertheim und Aschafifenburg.
*) Wir vei*weiseu hierbei auf die früher in dieser Zeitschrift erschienenen
Darstellungen andrer deutscher Waldgebiete, namentlich des Spessarts in
Band IV, des bayrischen Waldes in Band VI und VIII und des Schwarzwaldes
za Band XI, "ö\^ '^^^"öJbüq^i.
— 217 —
Das Gebirge gehört zwei wesentlich verschiedenen geologischen
Formationen an, die denn auch auf die Gestaltung der Landschaft,
auf die Fruchtbarkeit des Bodens, wie auf Wohlstand und Lebens-
weise der Bewohner von mafsgebendem Einflüsse sind. Der nord-
westliche Teil ist Urgebirge, krystallinisches Gestein, vorzugsweise
Granit, Syenit und Gneis. Der südöstliche Teil gehört der Bunt-
sandsteinformation an. Die Bergwand, auf deren Scheitel die Grenze
zwischen den beiden Formationen liegt, folgt ungefähr der Richtung
einer von Heidelberg nach Aschafifenburg gezogenen Linie. Ihr parallel
ziehen die Hauptwasserläufe des Odenwalds : auf ihrer Nordwestseite
die Weschnitz und die Gersprenz, jene in südwestlicher Richtung dem
Rhein, diese in nördlicher Richtung dem Main zufliefsend; auf der
Südostseite der Bergwand flielst die Mümling in gleicher Richtung
wie die Gersprenz.
Die Quellen von Weschnitz und Gersprenz liegen nahe bei-
sammen, die Wasserscheide zwischen beiden wird nur durch einen
flachen Rücken gebildet. Die beiden Flüsse trennen den Odenwald
gleichsam in zwei Teile, der nordwestliche gehört lediglich dem Ur-
gebirge an.
Von diesem letzteren Teile unsres Gebirges ist der schönste
und wohlhabendste die sogenannte Bergstrafse, das ist die Bergkette
zwischen Darmstadt und Heidelberg, welche steil abfallend einen scharf
markierten Abschlufs des Odenwaldes nach der Rheinebene bildet.
Am Fufse der Bergstrafse liegen Dörfer und Städte dicht an-
einander gereiht, den unteren Hang nehmen Weinberge ein, welche
reichlich mit Mandel- und Pfirsichbäumen durchpflanzt sind. Die
Höhen der mit Schlössern und Burgen der Vorzeit reich geschmückten
Berge prangen im Schmucke üppigen Laubwalds. Hervorragend schön
ist der Rundblick von den Höhen der Bergstrafse, insbesondere von
ihrem nördlichsten Vorsprung, dem bei Station Eberstadt der Main-
Neckar-Bahn steil aufsteigenden Waldrücken, welchem die Ruine
Frankenstein den Namen gegeben hat. Von den Zinnen der Burg-
ruine schweifen die BUcke über den wogenden Buchenwald in nörd-
licher Richtung über Darmstadt und Frankfurt hinüber, nach den
lichtblauen Taunusbergen, deren ganze Kette von der Wetterau bis
zum Rheingau aneinander gegliedert liegt. Wo sie im Süden endigt,
schliefst der Hundsrück an, das turmreiche Mainz ist bei heller
Witterung deutlich sichtbar. Drüben im Westen steigt der stattliche
Donnersberg in der bayerischen Rheinpfalz auf und weiter nach Süden
grenzen die malerischen Formen des Hardtgebirgs das breite Thal ab^
aus dessen Mitte hinter sammetdunkelnKieieiiiN<i«\ÖÄTCL\^^^ ^^^ ^s^
— 218 —
berne Band des Rheinstroms herüberblitzt. Auf der Jenseite des Flusses
ist die alte Stadt Worms leicht erkennbar und weiter nach Süden
hinter den Wäldern und Feldern, den Wiesen und Ortschaften bildet
in lichter Ferne der Speyrer Dom dem Auge einen Ruhepunkt. Dann
aber wird dasselbe von unserm Gebirge selbst angezogen und ge-
fesselt, zunächst von dem Wahrzeichen der Bergstrafse, dem am
Rande des Rheinthals steil aufsteigenden turmgekrönten Melibok;as
(im Volksmund „Malchen"). Ostlich von ihm, in der Luftlinie 5 km
entfernt,* liegt der fast gleich hohe Felsberg mit dem sogenannten
Felsenmeer. Auf der Südostseite dieses Berges nahe an seinem
Scheitel liegen wild zusammengeworfen die mächtigsten Felsblöcke,
von welchen viele noch Bearbeitung aus der Römerzeit aufweisen.
Am interessantesten ist die über 9 m lange und über 1 m im Durch-
messer haltende Riesensäule.
Etwas nördlich vom Felsberg steigt der stattliche Bergstock
der Neunkircher Höhe auf, leicht kenntlich an dem fast auf dem
Kamme liegenden Pfarrdorf mit der hellen Kirche, in welche neun
Gemeinden aus den Thälern ringsum eingepfarrt sind. Auf einem
Hügel nördlich der Neunkircher Höhe ragt das alte hessische Land-
grafenschlofs Lichtenberg hervor und gerade im Osten auf einem
Basaltkegel die Veste Otzberg. Die Berge nördlich von Otzberg ge-
hören dem Spessart und die noch etwas weiter nördlich und weiter
zurückgelegenen dem Vogelsberg in Oberhessen an.
Um nun auch zu schauen, wie es im Innern des dem Ur-
gebirge angehörigen nordwestlichen Odenwalds aussieht, treten wir
bei Weinheim an der Bergstrafse in denselben ein. Malerisch über-
ragt von der Ruine Windeck und den Türmen des Schlosses des
Herrn von Berckheim zieht sich das Städtchen, welches seines milden
Klimas wegen das deutsche Nizza genannt wird, am Hange herunter,
gegen Nord- und Ostwinde durch die Berge geschützt. Die Strafse
in das Innere des Odenwalds schmiegt sich dicht an den Lauf der
Weschnitz, denn eng eingeschnitten in die Granitfelsen ist das
romantische Birkenauer Thal, durch welches das frische von Erlen
umsäumte Gebirgswasser über des harte Gerolle hüpfend, der breiten
Rheinebene zueilt. Allmählich treten die Bergwände zurück und
baucht sich das Thal zu einem weiten Kessel aus, in dessen Mittel-
punkt das Städtchen Fürth unweit der Weschnitzquellen gelegen ist.
Von hier läuft noch eine zweite gute Fahrstrafse durch das sogenannte
Kirschhäuser Thal nach der Bergstrafse aus, welche bei Heppenheim
in das Rheinthal einmündet. Nördlich von Fürth ragt am Rande
das Tbalkesaeh auf dem Grate einer stattlichen Gebirgsrippe das
— 219 —
reizende Lindenfels, die Perle des Odenwaldes, die traute Erholungs-
stätte vieler. Ihm ist verliehen, was der Mensch zur Erholung
bedarf, schöner Wald, romantische Erinnerung an die alte Zeit
durch die mächtigen mit der Stadt eng verbundenen Burgruinen und
vor allem der erquickende Blick hinunter in die lachenden Thäler
der Weschnitz und der Gersprenz und hinüber auf die zahllosen
Waldberge, welche die Thäler umsäumen; gute und billige Wirts-
häuser sorgen für des Leibes Notdurft.
Wie bereits bemerkt wurde, ist das Thal der Gersprenz hier
nur durch eine mäfsige Höhe vom Weschnitzthal geschieden. Die
Quellen beider Flüsse liegen nahe bei einander. Eine gute Strafse
führt über die Wasserscheide, so dafs der Übergang vom Weschnitz-
thal in das Gersprenzthal sehr mühelos zu bewerkstelligen ist. Bei
dem Eintritt in das Gersprenzthal rufen die ersten Ortschaften,
welche zu passieren sind, Gersprenz, Pfafifenbeerfurth und Reichels-
heim, die Erinnerung an die Scheffeischen Rodensteinslieder in uns
wach, unweit dieser Orte liegt, im Waldesdickicht versteckt, die
verfallene Stammburg, von welcher der wilde Ritter bei Lebzeiten
zu seinen Saufgelagen ausgezogen ist und von wo er, nach der
Volkssage, mit seiner Geisterschar über das Thal hinüber nach dem
Schnellerts zieht, wenn Krieg droht. Überraschend wirkt es, hier
bei Reicheisheim im Herzen des Odenwalds an der Wasserscheide
seiner Hauptflüsse, Weinberge anzutreffen und zu vernehmen, daf»
dieselben guten Ertrag liefern und in der Neuzeit vergröfsert werden.
Gegen den Ausgang des Gebirgs hin erweitert sich das Ger-
sprenzthal zu einer breiten fruchtbaren Bucht, in deren Ortschaften
ein tüchtiger Bauernschlag wirtschaftet. Auf hohem Basaltkegel
ragt am Rande des Gebirgs die Veste Otzberg, welche ehemals den
Zugang zum Gersprenzthal beherrschen mochte. Jetzt wohnt an
Stelle des Kommandanten ein Forstwart droben, welchem der Schutz
der angrenzenden Waldungen übertragen ist.
Ln Buntsandstein- Odenwald sind die wichtigsten Gebiete die
Thäler der Mümling und des Neckars, Die Mümling entspringt bei
dem Städtchen Beerfelden an einer Hochebene, welche nach dem
Neckar hin steil abfällt. An dem Flüfschen liegt Erbach, der Sitz
des alten Geschlechts der Grafen von Erbach-Erbach. In dem
Schlosse befinden sich interessante, der gräflichen Familie gehörige
Sammlungen. Etwas flufsabwärts folgt Michelstadt mit Fürstenau,
dem Wohnsitz der Grafen von Erbach-Fürstenau. In beiden Orten
haben Staatsbeamte und gräfliche Beamte ihren Sitz und kö^sss»^
dieselben als die eigentlichen Zentialoitö Ölöä Göätl^äöä ^xv^^'e^^^^s«^
— 220 —
werden. Das Mümlingthal ist im allgemeinen nicht breit, die Sohle
wird von Wiesen eingenommen, die nicht sehr hohen, das Thal
umsäumenden Berge sind zumeist bis an den Fufs bewaldet.
Landschaftlich weit hervorragender als das Mümlingthal ist das
Neckarthal. Hier liegt der höchste Berg des ganzen Odenwalds, der
628 m hohe Katzenbuckel, zu dessen Füfsen die gewerbreiche badische
Stadt Eberbach sich am Neckar ausbreitet. In vielen Krümmungen
zwängt sich der Neckar zwischen den ansehnlichen Bergen hindurch,
vorüber an den malerisch gelegenen Städtchen Hirschhorn, Neckar-
steinach und Neckargemünd, bis der Sohn der Schwarzwaldberge
„Altheidelberg die feine, die Stadt an Ehren reich" bespült und
dann hinaus eilt ins Freie, um sich mit dem Rhein zu vereinigen.
Im Süden geht der Odenwald allmählich in ein wellenförmiges
Plateau, das sogenannte Bauland über. Im Nordosten, am Abfall
des Gebirgs nach dem Main, sind namentlich die Städte Amorbach
und Miltenberg von bedeutender landschaftlicher Wirkung.
Durch Eisenbahnen ist der Odenwald gut aufgeschlossen. Die
Main-Neckar-Bahn, Frankfurt-Darmstadt-Heidelberg, läuft nahe an
der Bergstrafse her, die hervorragenden Orte längs derselben sind
sämtlich Stationen dieser Bahnlinie. Von Heidelberg führt die dem
Laufe des Neckars folgende badische Staatsbahn nach Eberbach,
wo dann wieder die sogenannte Odenwaldbahn einmündet. Letztere,
schlägt von Darmstadt, wo sie beginnt, zunächst östliche Richtung
ein, überschreitet bei Reinheim das Gersprenzthal, vereinigt sich bei
Heubach-Wiebelsbach mit einer von Hanau kommenden Bahnlinie,
durchsetzt in einem Tunnel die Bergwand, welche das Gersprenz-
von dem Mümlingthal trennt und folgt nach ihrem Eintritt in das
letztere der Mümling, bis zu ihrem Urspirung in der Nähe von Beer-
felden. Mittelst des nächst dem Gotthardstunnel längsten Tunnels,
welchen Europa aufzuweisen hat, wird sie durch das breite Hoch-
plateau durchgeführt, um bei Eberbach im Neckarthal zu endigen.
Bei Reinheim, wo die Odenwaldbahn das Gersprenzthal über-
schreitet, schliefst eine Nebenbahn Reinheim-Reichelsheim an, welche
dem Gersprenzthal bis fast zu den Quellen des Flüfschens folgt.
Es dürfte wohl nicht lange mehr währen, bis auch im Weschnitzthal
eine Bahn hergestellt wird. Ein Projekt zur Herstellung einer
Bahn von Heppenheim an der Bergstrafse nach Fürth im Weschnitz-
thal ist der hessischen Ständekammer von der Regierung bereits
vorgelegt worden. Sobald diese letztere Bahn ausgebaut ist, kann
jeder wichtigere Ort des Odenwalds von einer Bahnstation aus
Jeicht erreicht irerdeji«
— 221 —
Die Nordostseite des Gebirgs wird durch die von Aschafienburg
über Miltenberg nach Amorbach führende, dem Laufe des Mains
folgende Bahn zugänglich gemacht.
Auch durch Strafsen ist der Odenwald gut erschlossen.
Abgesehen von den Staatsstrafsen längs der Flufsthäler führt von
dem Weschnitzthal und dem Gersprenzthal je eine Staatsstrafse über
den Hauptgebirgskamm, die erstere von Fürth aus über Wald-
Michelbach nach Hirschhorn an den Neckar, die letztere von dem
Dorfe Gersprenz nach Michelstadt im Mümlingthal. Aufserdem
verbindet eine dritte, unweit der Weschnitz- und Gersprenzquellen
die Bergwand überschreitende Staatsstrafse, die Städte Fürth im
Weschnitzthal und Erbach im Mümlingthal mit einander. . Die
einzelnen Ortschaften in den Seitenthälern stehen durch Kreisstrafsen
in Zusammenhang und sind durch solche Strafsen an die Staats-
strafsen angegliedert.
Wie der Namen Odenwald zu erklären sei, steht nicht ganz
sicher. In der Urkunde, durch welche im Jahr 628 der Franken-
könig Dagobert den zum Lobdengau gehörigen Teil des Gebirgs dem
Bistum Worms geschenkt hat, heifst er „Otenwald". Einhart, der
Biograph Carls des Grofsen, nennt unsre Landschaft „Odanwald".
In einer Urkunde Ludwigs des Frommen heifst dieselbe „Odunawald".
Am nächstliegenden ist die Erklärung als ,,öder Wald" (ahd. odi
mhd. oedo ode = unangebaut, unbewohnt). Verständlich wird diese
Bezeichnung durch eine Schilderung des römischen Schriftstellers
Ammianus Marcellinus, welcher im vierten Jahrhundert unser Gebirge
nennt: silvam squalore tenebrarum horrendam, einen durch schreck-
liche Finsternis Schauder erregenden Wald (vergl. Dr. Georg Windhaus,
Führer durch den Odenwald und die Bergstrafse).
Die Geschickte des Odenwalds beginnt mit der Periode, als
derselbe ein Teil des römischen Reichs gewesen ist. Welches Volk
vor der Römerzeit den Odenwald bewohnt hat, darüber giebt es
keine schriftliche Quellen, nur die Gräberfunde können uns in dieser
Hinsicht Aufklärung bringen. Nach allgemeiner Annahme war das
Land in der ältesten Zeit von Kelten bewohnt. Von den römischen
Feldherrn ist Cäsar der erste gewesen, welcher mit den rechts-
rheinischen Germanen zusammentraf. Die Markomannen wurden
geschlagen und zogen nach Böhmen ab. In dem verlassenen Gebiete,
den agri decumates, dem Zehntland, wie es nach der von den
Römern vorgenommenen Ackerteilung benannt wurde, siedelten sich
römische Veteranen und Gallier an. Nach der Bea\iiÄ^'^^^&»ss%
durch die Römer wurde das Land dvrtcYi Öl^tv ^cää^sö. '^^"ä^^^'ä«:^^^
Geogr, Blätter. Bremen, 1889. ^^
— 222 —
umgeben, welcher vom Kaiser Domitian (81 — 96 nach Christus)
angelegt und unter Kaiser Trajan (98 — 117) beendigt wurde. Der
Pfahlgraben zieht aus dem Württembergischen in gerader Linie bis
vor Walldürn am südöstlichen Odenwald, geht über den Main hinüber
und schliefst dann dei Miltenberg an den Main wieder an. Von
hier bis zum Austritt aus dem Odenwald bildete der Flufs die Grenze
des Römerreichs.
Hinter dem Pfahlgraben zog sich eine Reihe von Befestigungen
her, welche am Neckar bei Neckarburken beginnt und sich auf den
Höhen des rechten Mümlingufers fortsetzt. Diese Anlage stellt sich
als eine Signallinie dar, die aus einer Reihe von Kastellen und
dazwischen liegenden Signaltürmen gebildet wird. Das nördlichste
Kastell liegt bei Lützelbach, dann folgen in der Richtung nach
Süden die Kastelle von Vielbrunn, . Eulbach, Würzberg, Hesselbach,
Schlofsau. Zwischen den Kastellen befanden sich in Abständen von
etwa 1000 Schritten Signalstationen aus Trünunerhügeln bestehend.
Innerhalb des vom Pfahlgraben umzogenen Gebiets herrschte
römisches Recht und römische Sitte. Überall finden sich römische
Grabstätten. Von römischer Kunstthätigkeit geben die bereits
erwähnten Steinbrüche auf dem Felsberg Zeugnis.
Ungefähr ein Jahrhundert ruhte der Angriff der germanischen
Stämme auf das Decumatenland. Ums Jahr 213 erschienen die
Alemannen. Sie wurden zwar von Caracalla geschlagen, aber dem
erneuerten Ansturm unterlag Rom und ums Jahr 250 fiel das ganze
Gebiet in die Hände der Deutschen.
In der Periode der Völkerwanderung wurden die Alemannen
durch die Burgunden verdrängt, die unter dem König Gundihari
(dem Günther des Niebelungenlieds) das Land eroberten und Worms
zur Hauptstadt machten.
Hier möge es gestattet sein, auf die Beziehungen hinzudeuten,
in welchen unser Gebirge zu den Vorgängen steht, die das grofse
Nationalepos schildert. In der Simrockschen Übersetzung des
Niebelungenlieds heifst es im fünfzehnten Abenteuer:
„Da wir uns der Heerfahrt so entledigt selm,
So lafst uns nun Bären und Schweine jagen gehn
Nach dem Odenwalde, wie ich oft gethan''.
Geraten hatte Hagen das, dieser ungetreue Mann.
In den Odenwald ritten die Helden von Worms aus zur Jagd, die
so verderblich werden sollte.
Der Lindelbrunnen bei Hüttenthal (südwestlich von Erbach)
^'Jt als die Stätte, wo Siegfried vom. gnmm.«iift^.%«Ä. dftuTodesstofe
— 223 —
erhtt. Die nahe gelegene, zu Hiltersklingen gehörige Hardt, wird
schon 795 als „3urgundhart" bezeichnet. Der eine Stunde westlich
von Hüttenthal inj Gras-Ellenbacher Wald gelegene „Spessartskopf"
mag die Stelle sein, von der es im achtzehnten Abenteuer des
Niebelungenlieds hei&t:
. Da sprach von Tronje Hagen : „Lieber Herre mein,
Ich wähnte, das Birschen sollte heute sein
Fern im Spechtsharte: den Wein hinsandt ich dort.
Heute gieht es nichts zu trinken, doch vermeid^ ich es hinfort/
Als Attila 436 das burgundische Reich vernichtete, verliefsen
die Burgiinden das Land. Zweifelhaft ist es, wer nun in das Gebiet
zwischeij. Neckar, M^in und Rhein einrückte, nach Rieger waren es
die Chatten (Hessen), welche als Bestandteil und unter dem Namen
der Franken dasselbe in Besitz nahmen.
Nach manGheorlei Wandlungen gehört jetzt der weitaus gröfsere
Teil des Odenwalds zu Hessen, der südliche und südöstliche ist
badis(Ch, der nordöstliche bayerisch.
Wie sich die Fläche des Gebirgs auf diese drei Staaten ver-
teilt und wie die Anbauverhältnisse in jedem der drei Staaten liegen,
ergiebt sich aus nachstehender Zusammenstellung:
Des
Odenwalds
Oed-
und
Unland
Weide
und
Hutungen
Sonstige
landwirt-
schaftlich
genatzte
Fläche
Wald
Sonstige
Fläche
Gesamt-
Äreal
ha
ha
ha
ha
ha
ha
Hessischer Teil
Badischer „
Bayerischer „
209
177
200
305
258
111
70687
27588
9158
66348
45777
14028
5464
1775
810
143013
75575
24307
Summa
586
674
107433
126153
8049
242895
Unser Gebirge nimmt hiernach eine Fläche von 2429 qkm ein.
Hiervon entfallen rund 1262 qkm auf den Wald, 1074 qkm auf
Äcker, Gärten, Wiesen und Weinberge, 80 qkm auf Häuser, Hof-
räume, Strafsen, Wege und Gewässer. Der Wald nimmt nahezu
52 ^/o des gesamten Areals ein, die gröfsere Hälfte des Gebirgs ist
sonach mit Wald bedeckt (siehe die zugehörige Karte).
Wie sich der Wald auf die grofsen Betriebsgruppen Hochwald,
Mittelwald und Niederwald verteilt und in welchem Mafsstabe die
einzelnen Holzarten an dieser Gruppenbildung teilnehmen, ist aus der
umstehenden Tabelle ersichtlich.
224
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Die Waldungen des
Odenwalds setzen sich
hiernach zusammen aus
26113 ha Niederwald
(Stockausschlag), 8887
ha Mittelwald (Oberholz
über Stockausschlag)
und 91 153 ha Hoch-
wald. Der Hochwald
besteht wieder aus
38 686 ha Laubwald
und 52 467 ha Nadel-
wald.
Im Besitze des Staats
befinden sich 11 734 ha,
im Besitze der Gemein-
den und Körperschaften
55 909 ha , und in
demjenigen der Privaten
58 510 ha.
Von dem Privatbe-
sitze gehören in Hessen
15 814 ha , in Baden
8556 ha den Stan-
desherren , zusammen
24 370 ha.
Das Klima setzt der
Waldwirtschaft in kei-
nem Teil des Odenwalds
erhebliche Schwierig-
keit entgegen. Der
Wald gedeiht bis auf
die Gipfel der Berge,
von denen im ürgebirge
die Neunkircher Höhe
mit 590 m, die Tromm
mit 566 m, die Seiden-
bucher Höhe mit 598 m,
der Melibokus mit 519
m und der Felsberg mit
516 TEL ^<ft bemerkens*
— 225 —
wertesten sind. Höher sind die Berge im Buntsandsteingebiet und
sind hier der Katzenbuckel mit 628 m und der Hardberg mit
592 m die hervorragendsten, ersterer ist der höchste Berg im badi-
schen, letzterer der höchste Berg im hessischen Odenwald.
Die Domanialwaldungen und die Standesherrlichen Waldungen
werden konservativ bewirtschaftet. Streuabgaben finden in ihnen
nur in Notjahren statt. Auch die Waldungen der Gemeinden sind
der Bewirtschaftung durch die Staatsforstbehörden unterstellt, sie
finden sich infolgedessen ebenfalls in gepflegtem Zustande. Freilich
sind die Ansprüche, welche an die Gemeindewaldungen gestellt
werden, weit stärker, wie die Ansprüche an die Domanialwaldungen.
Jedes Gesetz, welches der Gemeindekasse Lasten auferlegt, spürt
der Wald. Sei ein Gemeindeschulhaus zu bauen, oder sei eine
Strafse zu chaussieren, der Wald, die grofse Sparkasse der Ge-
meinde, mufs in der Regel die aufsergewöhnlichen Kosten decken.
Auch die Ansprüche auf Streuabgaben sind hier umfassender. Wohl
der Gemeinde, wenn ihr Wald sich infolge tüchtiger und konser-
vativer Bewirtschaftung in solchem Zustande befindet, dafs, er, wenn es
Not thut, neben der regelmäfsigen Jahresfällung zuweilen noch einen
Extrahieb vertragen und so die Mittel für eine Extraausgabe
liefern kann! Leider sind nun, in einer jetzt weit hinter uns
liegenden Zeit, in einem Teile des Odenwalds die Gemeinde-
waldungen unter die einzelnen Gemeindeglieder geteilt worden und
ist dies die Ursache, weshalb namentlich im südöstlichen Teile des
Gebirgs eine so bedeutende Waldfläche sich im Besitze von Privaten
befindet. Den Unsegen, welchen eine solche verkehrte volkswirt-
schaftliche Mafsregel zur Folge hat, kann man in jenem Teile des
Odenwalds recht gründlich kennen lernen. Ist schon im Gemeinde-
wald die kräftige Hand der Staatsgewalt erforderlich, um über-
triebene Ansprüche an seine Leistungsfähigkeit fern zu halten, so
kann man sich denken, wie es dem Privatwald ergeht, der sich im
kleinbäuerlichen Besitze befindet. Der Privatwald ist der freien
Bewirtschaftung des Besitzers überlassen. Lediglich die gänzliche
Ausstockung ohne Zustimmung der Staatsforstbehörden ist verboten.
Befindet sich nun ein solcher Gutsbesitzer in Geldverlegenheit —
und bei wie vielen Landwirten ist diese chronisch — so mufs
natürlich der Wald herhalten, die Sorge zu beseitigen. Es wird
Holz gefällt, so lange es geht, die Umtriebszeit wird mehr und
mehr erniedrigt, Niederwaldbetrieb tritt an Stelle des Hochwald-
betriebs. Der kleine Waldbesitzer überredet sich so gerne, die Streu
sei dem Wald entbehrlich, erst wird uxxt m'^oNi;^'a!öt^Tv'Si\x^\i. ^^x^'ö^^
— 226 —
dann alljährlich. Wo etwas Humus angesammelt ist, wandert diese
Erde als Dünger auf den Acker. Das Holzwachstum verschlechtert
sich, kultivirt wird auch nicht mehr, die Schändung des Waldfes ist
gründlich durchgeführt und wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist,
dann bricht als Strafe für diesen Frevel die ganze Wirtschaft zu-
sammen. Wie hier geschildert, so sieht es nicht überall, aber so
sieht es leider in sehr vielen der kleinen Wirtschaften aus. Eine
Durch Wanderung des südöstlichen Odenwalds erteilt die unzweifelhaft
richtige volkswirtschaftliche Lehre, dafs der Wald nur in der kapital-
kräftigsten stärksten Hand gesichert ist. Diese hat in erster Linie
der Staat, nach ihm die Gemeinde und Standesherrschaft. Es sollte
Grundsatz sein, dafs der Staat ständig an der Arbeit ist, um die
zersplitterten heruntergekommenen Privatwaldungen zu erwerben.
Erfreulich ist es beifügen zu können, dafs namentlich in Hesden
demgemäfs verfahren und der käufliche Waldbesitz für die Domäne
erworben wird. Unter schlecht geführter Privatwaldwirtschaft leidet
übrigens der betreffende untüchtige Wirtschafter nicht allein, sondern
sie wird auch zum Unsegen für die weitere Umgebung. Der Oden-
wald ist von Natur ein so schön geformtes Gebirge, mit so lieblichen
geschützten Thälern, dafs er bei der Nähe so vieler Städte, wie Hanau,
Offenbach, Frankfurt, Mainz, Darmstadt, Worms, Ludwigshafen und
Heidelberg das naturgemäfse Erholungsgebiet für deren Bewohner
sein müfste und gewifslich auch sein würde, wenn die Waldungen
lockende wären. Aber verhauene, ausgeschundene Bauernwaldungen
verunzieren die Berge und bieten dem Erholungsbedürftigen nicht
die Waldesfrische, die er sucht. Hierin wird der Grund zu suchen
sein, weshalb die Zahl der Plätze, die zur Sommerfrische aufgesucht
werden, eine so geringe ist.
Die Umtriebszeit in den Hochwaldungen des Staats und der
Standesherren ist im Laubwald vorwiegend die 120jährige, im
Nadelwald die 100jährige. In den Waldungen der Gemeinden ist
im Laubwald meist die 100jährige, im Nadelwald die SQjährige
eingeführt.
Im Niederwald ist die Umtriebszeit im Grofsgrundbesitz vor-
wiegend die 15jährige. Der Private ist vielfach schon bis zur
11jährigen, ja selbst bis zur 10jährigen heruntergegangen.
Die Buchenhochwaldungen werden auf natürlichem Wege ver-
jüngt, d. h. einige Zeit vor Eintritt des Haubarkeitsalters wird der
Bestand durchhauen, um die verbleibenden Bäume durch Einflufs
der stärkeren Lichteinwirkung zum Samentragen anzuregen. Gleich-
zeitig mit dieser Durchhauung findet die k^n^öidva Einsprengung
— 227 —
der wertvolleren Holzarten, insbesondere von Eiche, Esche, Ahorn
auf die für sie geeigneten Plätze statt, um diesen edlen Hölzern
einen Vorsprung vor der aus dem Samenabfall erwachsenden Buche
zu gewähren. Ist ein Mastjahr gut angeschlagen und der Buchen-
jungwuchs entsprechend entwickelt, so findet allmählicher Abtrieb
der Mutterbäume statt. Auf die beim Aushieb der letzteren sich
bildenden und auf die sonst noch vorhandenen Lücken des Jung-
bestandes werden Nadelhölzer: Fichte, Weifstanne, Kiefer und
Lärche eingepflanzt und wird so der Grund zu einem Mischwald gelegt,
in welchem dem Wirtschafter die Aufgabe zufällt, denjenigen Holz-
arten und denjenigen Baumindividuen in dem dicht aufquillenden
Bestand im Kampfe ums Dasein mit Axt, Säge und Schere zu
Hilfe zu kommen, deren Erhaltung aus finanziellen oder sonstigen
Gründen besonders geboten ist.
Im Nadelwald findet Kahlhieb statt und Vollanbau der Hiebsfläche.
Eine für den Odenwald charakteristische Wirtschaftsform ist
der sogenannte Böderbetrieb, welcher namentlich die Gunst der Privaten
besitzt. Ist ein Hochwaldbestand abgetrieben, so wird das nach
Verwertung und Entfernung der besseren Sortimente zurückgebliebene
Reisig mit dem Bodenüberzug zusammen auf Haufen gesetzt und
geschmort, die Asche über die Fläche gebreitet und diese dann
umgehackt, um ein oder zwei Jahre landwirtschaftlich benutzt zu
werden. Nach Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung wird die
Fläche mittelst Saat oder Pflanzung wieder zu Wald angelegt.
Von besonderer Bedeutung für den Odenwald ist die Nieder-
Waldwirtschaft^ deren Tendenz dort, wo dieselbe rationell betrieben
wird, auf Erzeugung eines möglichst grofsen Quantums wertvollster
Eichenlohrinde gerichtet ist. Für die finanziell vorteilhafteste üm-
triebszeit gilt die 15jährige. Bei einer niedrigeren Umtriebszeit als
diese wird zu wenig Rinde und auch zu schwaches Holz geerntet,
bei höherer Umtriebszeit verliert die Rinde ihr glattes Äufsere, sie
wird rissig und minder wertvoll für die Gerberei.
Die Ernte beginnt, wenn der Saft in lebhaftem Aufsteigen be-
griffen ist und die Blattentwickelung beginnt. In der Regel fällt
dies in die erste Woche des Monats Mai. Rechtzeitig müssen
die Übernehmer der Rindenemte für die erforderlichen Arbeitskräfte
sorgen. In den Gegenden, in welchen die Niederwaldungen gröfsere
Ausdehnung haben, wie z. B. in den Bergen am Neckar, reichen die
in der nächsten Nachbarschaft zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte
nicht aus, es findet dann Zuzug von ausvräxi% ^\.^\.\,.
— 228 —
Männer hauen mit der Axt die Eichenlohden über dem Wurzel-
stock ab und zerhauen dieselben in 125 cm lange Stücke. Burschen
und Mädchen legen je ein solches Stück auf die Stirnfläche eines in
den Boden gerammten Holztrumms von 1 m Höhe, halten dasselbe
mit der linken Hand fest und klopfen mit dem Rücken eines kleinen
Beils den Eichenprügel so lange, bis die Rinde auf einer Seite in
möglichst grader Linie aufgesprungen ist, dann wird die Rinde mit
der Hand abgezogen. Zum trocknen wird dieselbe in Böcke gelegt,
welche leicht aus je zwei Paar in einem Abstand von 1 m von ein-
ander entfernten kreuzweise in die Erde gesteckten Eichenschälprügeln
hergestellt werden. In jeden solcher Böcke wird ein kräftiger Arm
voll Rinde zum trocknen eingelegt. Sobald die Rinde getrocknet ist,
was sich dadurch erkennen läfst, dafs sie nicht mehr zäh ist, sondern
beim Biegen bricht, wird sie zusammengebunden, gewogen und dem
Käufer zum Einscheuern überwiesen. In gröfseren Niederwaldkomplexen
dauert die Schälarbeit meist bis Mitte Juni. Für. die mit der Schäl-
arbeit Beschäftigten ist es die froheste Zeit im Jahr. Die Arbeit in
den Waldbergen mit der prächtigen Fernsicht während der schönsten
Jahreszeit ist lohnend und nicht gerade schwer.
Mit der Niederwaldwirtschaft ist im gröfseren Teile des Oden-
waldes zugleich der Hackwaldbetrieb verbunden. Sobald Holz und
Rinde von der Abtriebsfläche entfernt ist, wird das zurückgebliebene
feinere Reisig nebst dem Bodenüberzug an der am höchsten gelegenen
Stelle der Fläche angezündet. Das Feuer läuft langsam über den
ganzen Abtrieb herunter und verwandelt die auf der Fläche liegenden
organischen Substanzen mehr oder weniger in Asche. Grofse Vor-
sicht ist erforderlich, um zu verhüten, dafs das Feuer in an-
grenzendes noch stehendes Holz überlaufe und dort Unheil stifte.
Nach dem Brennen wird die Asche untergehackt, der freie Boden-
raum zwischen den Wurzelstöcken wird mit Winterkorn oder Heide-
korn übersäet. Als Regel gilt, dafs das Brennen vor Johanni statt-
finden mufs, damit die neuen Eichentriebe vor Winter noch ge-
nügend verholzen können. Die Ausbesserung der Schläge findet in
dem auf den Abtrieb folgenden Frühjahr vorzugsweise mit Eichen-
stummelpflanzen statt, die dann in die Frucht eingesetzt werden.
Der Hackwaldbetrieb ist ein sehr alter, wohl auf ein Jahrtausend
zurückreichender Betrieb. Er entsprang dem Bedürfnisse der in engen
Thälern gelegenen Höfe und Ortschaften nach Heranziehung des
Waldbodens zur Anzucht der unentbehrlichen Brodfrucht, sowie von
Stroh zur Einstreu, welche das beschränkte Feldgelände in aus-
reichendem Matse nicht zu gewähren vermochte. Heute, wo der
— 229 —
Arbeitslohn hoch steht und das Brot billig ist, auch die Kommunikations-
mittel der Art smd, dafs Getreide und Mehl um mäfsigen Preis über-
all hin geliefert werden, liegt die Frage nahe, ob der Fruchtbau im
Walde, der bei harter Handarbeit nur geringe Erträge liefert, noch
am Platze ist und ob die Arbeitskraft der l»eute nicht in nutz-
bringenderer Weise zu verwerten wäre. Dem Holzwuchse bringt die
Hackarbeit den Vorteil de;- Bodenlockerung und der Reinigung von
Unkraut, aber auch den Nachteil, dafs an steilen Hängen der ge-
lockerte Boden leicht von Wasser abgeschwemmt wird. Durch das
Brennen werden organische Stoffe vernichtet, auch werden in den
entstehenden Wirbelwinden die leichteren Aschenbestandteile entführt.
Ein plötzliches Aufgeben des Hackwaldbetriebs, mit welchem die Be-
völkerung verwachsen ist, wäre übrigens ganz unthunlich. Nicht
unwahrscheinlich ist es aber, dafs die Anzucht von Feldfrucht im
Niederwald mehr und mehr nachlassen wird und ganz aufhört, wenn
die Industrie sich mehr ausbreitet und der überschüssigen Volkskraft
lohnenderen Verdienst bietet.
Von alters her sind die Niederwaldbestände gemischt. Neben
Eichen finden sich Hainbuchen, Haseln und andre Holzarten. Die
Tendenz des rationellen Wirtschafters geht dahin, reine ungemischte
Eichenbestände herzustellen. Um dies zu erreichen, werden schon im
fünften Jahre nach dem Abtrieb sämtliche Stockausschläge, welche
nicht von Eichen stammen, weggehauen und wird diese Mafsregel,
wenn nötig, drei Jahre später nochmals vorgenommen. Es hat sich
ergeben, dafs wenn dieses Zurückschneiden der Triebe der Nicht-
eichen, das ist der sogenannten Raumhölzer, durch drei ümtriebszeiten
hindurch energisch durchgeführt wird, die Raumholzstöcke, deren Aus-
rodung in dem steinigen Boden zu hohe Kosten verursachen würde,
absterben und bei fleifsiger Nachpflanzung von Eichen reine Eichen-
bestände erzielt werden.
Die Walderträge sind sehr verschieden. Hochwald liefert im
Naturdlertrag mehr als Niederwald, Nadelholzhochwald mehr als
Laubhochwald. Während in Waldungen auf Urgebirgsboden des nord-
westlichen Odenwalds jährliche Durchschnittserträge von nahezu
acht Festmetern pro ha entfallen und das jährliche Gesamtdurch-
schnittsergebnis aus dem Teile des Odenwalds, welcher dem Ur-
gebirge angehört, sich auf 6^/4 Festmeter pro ha und Jahr stellt,
ergeben die Waldungen des Buntsandsteingebiets im Gesamtdurch-
schnitt nur 2V4 Festmeter Holzmasse pro ha.
Minder ungünstig stellen sich die Eeinerlöse aus Holz im Bvss^-
sandsteingebiet. Während sich der B,^met\ö^ «».ws. ^cJsa. ^^^ ^^
— 230 —
in den hessischen Domanialwaldungen auf Urgebirgsboden im Jahre
1884 — 85 auf 34 Mark stellte, belief sich in demselben Jahre der
Reinerlös aus den in dem Buntsandsteingebiet gelegenen hessischen
Domanialwaldungen auf 31 Mark.
Veranlafst ist ditse relativ bedeutende Höhe der Waldgelderträge
im Buntsandsteingebiet durch die hier im Domanialbesitz befindlichen
gut bestockten Eichenschälwaldungen. Die Eichenschälwaldungen des
Odenwalds liefern den Zentralplätzen der deutschen Lederindustrie,
insbesondere Worms und Heilbronn, ganz vorzugsweise die für
bestimmte Lederarten unentbehrliche Lohrinde erster Qualität. Der
Odenwald ist das wichtigste Produktionsgebiet für deutsche Lohrinde,
die Odenwalder Rinde gilt neben der Rinde von der Mosel für die
allerbeste Ware.
Die Verwertung derselben findet auf dem alljährlich in Hirsch-
horn, Heidelberg und Erbach stattfindenden Rindenmärkten statt.
Im Jahre 1888 kamen in Hirschhorn 49 795 Zentner, in Heidelberg
17 665 und in Erbach 10349 Zentner, zusammen 77 809 Zentner
zum Ausgebot und wurden hierfür 455 631 Mark erlöst. Diese Rinden,
welche öffentlich versteigert werden, stammen aus den Staats-, Gemeinde-,
den Standesherrlichen und einigen wenigen andren Privatwaldungen.
Der kleine Private versteigert in der Regel seine Rinde nicht, sondern
wohnt den Versteigerungen als Zuhörer bei und verwertet dann,
nachdem er sich den Preisstand gemerkt hat, seine Rinde nach
Mafsgabe desselben aus der Hand.
Jene 77 809 Zentner sind der durchschnittliche Ertrag einer
Eichenschälwaldfläche von ungefähr 15350 ha. Bei Unterstellung
einer 15jährigen Umtriebszeit beträgt die jährlich zum Hieb kommende
15350
Fläche — tr~ = 1023 ha. Es werden sonach im Durchschnitt pro ha
ungefähr ^r— — - = 76 Zentner geerntet.
Da nach der oben mitgeteilten Zusammenstellung die Eichen-
schälwaldfläche des Odenwalds 22 880 ha grofs ist, so könnten bei
Annahme gleichen Durchschnittsertags und bei Annahme einer
15jährigen Umtriebszeit auf der jährlichen Schlagfläche von
^^^ = 1525 ha, jährlich 1525X76 = 115 900 Zentner Eichenrinde
geerntet werden. Das wirklich anfallende Quantum wird sich in-
dessen erheblich niedriger stellen, da in den 7530 ha Eichenschäl-
waldungen, welche sich im kleinen Privatbesitze befinden, mit Rück-
sicht auf die meist niedrigere Umtnebsz^it wxvd die schlechtere Be-
— 231 —
schaffenheit dieser Waldungen die Produktion wohl nicht höher als
auf durchschnittlich 40 Zentner Rinde auf einer der 11jährigen Um-
7530
triebszeit entsprechenden jährlichen Hiebfläche von . = 685 ha
veranschlagt werden kann, so dafs das jährliche Ergebnis aus den
kleinen Privatwaldungen auf 685X40=27 400 Zentner Und die
thatsächlich durschschnittlich jährlich aus dem Odenwald zum
Verkauf gelangende Rindenmenge auf 77 809+27 400 = rund 105 000
Zentner veranschlagt werden kann.
Von Interesse ist es, die Frage zu beantworten, bis zu welcher
Höhe sich durch tüchtige Bewirtschaftung die Lohrindenproduktion
des Odenwalds ohne Vergröfserung der Schälwaldfläche wohl steigern
liefse. Es ist hierbei nicht zu übersehen, dafs auch in den Staats-,
Gemeinde- und Standesherrlichen Waldungen der normale Ertrag
bei weitem noch nicht erreicht ist. Die rationelle Forstwirtschaft
ist noch zu jung, als dafs die Ziele, welche sie sich im Eichenschäl-
waldbetrieb gesteckt hat, bereits erreicht sein könnten. In hessischen
Domanialwaldungen werden in guten Lagen bei 15jähriger ümtriebs-
zeit nicht selten Erträge von 160 Zentnern Rinde pro ha ge-
emtet. Ist dieser Ertrag als die obere Grenze des Erreichbaren an-
zusehen, so wird es doch möglich sein, den durchschnittlichen ßinden-
ertrag pro ha Hiebsfläche auf 100 Zentner zu bringen. Es würde
dies bei der jährlichen Hiebsfläche von 1525 ha, einen Ertrag von
152 500 Zentnern ausmachen oder ein Mehrergebnis von etwa
47 000 Zentnern mit einem Geldwert von 262000 Mark gegenüber
dem seitherigen Ertrage.
Erwähnt möge noch sein, dafs der Erlös für Rinde im all-
gemeinen als der Reinertrag des Schälwalds angesehen werden kann,
indem der Wert des Schälholzes die Kosten deckt.
Die Jagdbestände sollten im Odenwald besser sein. In jenem
Teil des Gebirgs, wo der Waldbesitz zersplittert ist, vermag sich
ein guter Wildstand nicht zu entwickeln und zu halten. Auf
gröfseren Hubengütem gehört dem Besitzer des Hofs auch das Jagd-
recht. Es ist darum nicht zu verwundern, wenn jedes Stück Wild;
welches sich auf ein solches Jagdgebiet verirrt, als gute Beute an-
gesehen und wo möglich schon beim Überwechseln über die Grenze
auf dem Anstand erlegt wird. Ähnlich ergeht es, wenn die Gemeinde-
jagden in zu kleine Jagdbezirke eingeteilt sind, was häufig vor-
kommt. Der Stand an Rehen und Hasen ist denn auch im gröfseren
Teile des Odenwalds kein guter. Dagegen beherbergt der 0^%^^
des Mümlingthals gelegene Teil des G^\>\t%a, m YiÄdtievs^ ^'st ^cös.-
— 232 —
gedehnte standesherrliche Besitz dem Wilde genügenden Schutz ge-
währt und insbesondere das nach dem Neckar hin liegende Wald-
land, einen stattlichen Rotwildstand. Unter dem Vordringen von
Sauen hat der Odenwald bis jetzt nicht zu leiden, auch wird ihm
diese Plage wohl erspart bleiben, da es an ausgedehnten Fichten-
und Tannendickungen fehlt, welche den Sauen unzugängliche Schlupf-
winkel bieten.
Dem Gedeihen einer andern Wildart ist gerade der schlecht
bestockte Bauernwald sehr zusagend. Es ist dies das Birkwild,
welches am liebsten seinen Stand an den verlichteten, durch Streu-
rechen geschwächten, verheideten Waldbergen nimmt und im Bunt-
sandsteingebiet des Odenwalds überall dort vorkommt, wo ihm der-
artige Distrikte geboten werden. Auch der Auerhahn hat sich im
Odenwald noch erhalten und hat sich im allgemeinen in der Neuzeit
vermehrt. Insbesondere hat derselbe seinen Stand auf dem Gebirgs-
rücken zwischen Weschnitz und Gersprenz einerseits und Mümling
andrerseits.
Raubzeug kommt überall vor, der Dachs an manchen Orten
in solcher Menge, dafs seine Hegzeit häufig aufgehoben werden mufs,
um seinen Schaden in den Kartoffelfeldern, sowie in Weinbergen und
Maisäckern mehr einzuschränken.
Dafs die Wilderei keine in den Vordergrund tretende Rolle bei
solchen Jagdverhältnissen spielen wird, ergiebt sich von selbst. Die
gefährlichen gewerbsmäfsigen Wilderer bilden sich nur aus bei reichem
Wildstand, insbesondere von Rotwild, Damwild und Rehen. Keines-
wegs soll aber damit gesagt werden, dafs es im Odenwald an Jagd-
frevlern mangele. Das einsam gelegene Bauerngehöft mag häufig
die Versuchung bieten, beim Frühpürschgang , wenn das Wild zu
Holze zieht, in dem nahe gelegenen Buschwald einen Braten zu
ergattern.
Für die Fischerei sind die Bäche und Flüfschen des Odenwalds
sehr geeignet. Insbesondere ist es die Forelle und die Asche, welche
dieselben bevölkern. Nachdem die Fischerei allzulange Stiefkind ge-
wesen ist, nimmt sich die neuere Gesetzgebung derselben an, durch
Verleihung von Prämien für Vertilgung von Fischottern und Fisch-
reihern wird auf Minderung der Fischfeinde hingewirkt, gesetzliche
Schonzeiten sorgen dafür, dafs die Edelfische beim Laichen nicht
gestört werden, das Verderben der Fisch wasser durch schädliche
Abflüsse aus Fabriken ist verboten, künstliche Fischzuchtanstalten
sorgen für Bevölkerung der Wasserläufe. Das Interesse für Fisch-
— 233 —
zucht ist bei den beteiligten Staaten erwacht, der gute Erfolg wird
nicht ausbleiben.
An mineralischen Bodenschätzen ist unser Gebirge reich. Die
Gewinnung von ^Erzen spielt zwar keine hervorragende Rolle im
Odenwald, wennschon auTser an andern Orten bei Pfaffenbeerfurth
Mangan- und Eisenerze in einem gegen 400 Arbeiter beschäftigenden
Bergwerk zu Tage gefördert werden. Wichtiger ist der Gewinn,
welcher durch Ausnutzung des Felsenmaterials, des Syenits, Granits
und Sandsteins erzielt wird.
Die ältesten Sandsteinbrüche befinden sich' längs des Neckars,
wo der billige Wassertransport die Verfrachtung nach den rheinischen
Städtenleicht^ermöglichte. Mit dem Ausbau des^Strafsennetzes und
der Bahnen drangen die Steinbrecher weiter in das Innere des Ge-
birgs vor und legten dort Brüche an, wo der Stein besonders gute
Eigenschaften" zeigte. Die Steine werden an^Ort und Stelle in den
Brüchen meist so zugehauen, wie sie zu Ornamenten, Baikonen,
Fenster- und Thürfassungen , Pfosten]^ u. a. im Plane der Bau-
meister]^vorgesehen sind. Wo ein solcher^Bruch^eröflnet wird, da
kommt neues Leben in die Gegend. Unsre aufblühenden Städte
haben grofsen Bedarf, die Bestellungen gehen nicht aus. Wer Ge-
schick hat in den nächstgelegenen Ortschaften, bildet sich zum
Steinbrecher und Steinhauer aus.'^:_Fremde tüchtige^Arbeiter siedeln
sich an und dienen als Lehrmeister,^ es werden^'in der Nähe der
Brüche Neubauten errichtet, die Geschäftsleute der Stadt kommen
und gehen, der Wohlstand hebt sich.
Während die Sandsteine' des^ Odenwalds schon'Ivon' alter Zeit
her in Benutzung genommen wurden,'^hat sich die Industrie erst in
den letzten Jahren in ausgedehnterem Mafse der Ausbeutung der
Granite und^Syenite zugewendet^ und J zwar sofort in einem solchen
Grade, dafs von einem grassierenden Granitfieber gesprochen werden
konnte.'* .^Die'^ hellen^Granite'^ werden vorzugsweise nur zu Pflaster-
steinen und Randsteinen an Trottoirs verarbeitet, die [dunkelen Syenite
aber,^wie^sie[^sich namentlich in der^^Gegend^von'^Lindenfels finden,
werden geschliffen und sind,^, wenn fehlerfrei, zu [den prachtvollsten
Denkmälern verwendbar. Leider sind tadellose Felsen, d. h. solche
von gleichmäfsig dunkler Färbung ohne helle Adern, recht selten,
so dafs auch der Preis fehlerfreier Felsstücke ein sehr hoher ist.
Derartige Felsstücke werden, um sie besser auszunutzen, jetzt viel-
fach in Tafeln gesägt und nur zu äufseren Verkleidungen verwendet,
ähnlich wie die edlen Hölzer nicht massiv, sondern nur als Fourniere
Verwendung finden. Dem aufmerksamen Besucher unsrer Industrie-
— 234 —
ausstellungen dürften die prächtigen geschliffenen Odenwälder Syenit-
tafehi, welche dem schönsten dunkeln Marmor vergleichbaar sind,
diesen aber in der Dauer unendlich übertreffen, wohl niqht ent-
gangen sein.
Wo Steinbrüche angelegt und die Felsen an Ort nnd Stelle
verarbeitet werden, da fällt dem Besitzer des Grund und Bodens,
dem Steinbruchunternehmer, den Arbeitern und den Fuhrleuten
lohnender Verdienst zu. Wir wollen unserm Gebirge wünschen,
dafs diese an den Odenwälder Grund und Boden gebundene Industrie,
bei welcher der Arbeiter in seinem heimischen Dorfe sefshaft bleibt,
diese naturgemäfse Verbindung ajwischen Landwirtschaft und Industrie,
bei welcher die Familie dem Hauptgewerbe, dem Ackerbau, treu
bleibt und nur die überschüs$ige männliche Arbeitskraft ap die
Industrie abgiebt, zum Segen des Odenwalds auch in Zukunft ei»
gutes Gedeihen haben möge.
Für den Betrieb der Landuiirtschaft ist wie in so manpher
andern Beziehung, die geologische Formation von der eingreifendsten
Bedeutung. Im Urgebirgsboden des nordwestlichen Odenwalds ist
der Boden im allgemeinen kräftig und frisch und liefert bei v^r-^
ständigem Bau gute Erträge. Im Gersprenzthal und an der Berg-
strafse wird, wie bereits oben bemerkt wurde, Weinbau getrieben.
An den untern Hängen und insbesondere auch in den SeitentlpLälern
gedeiht das Obst vortrefflich. Dem Kernobst aus diesen, Lagen
wird nachgerühmt, dafs es sich weit besser über Winter konserviere,
wie das Obst aus der wärmeren. Rheinebene. Hopfen, Tabak, rn^cj
Zuckerrüben werden nur in geringem Mafse angebaut, die Anzucht
von Futtergewächsen und Körnerfrüchten steht im Vordergru^cJ,
Weizen gedeiht auch noch in den höheren Lagen.
Schwieriger ist der Betrieb der Landwirtschaft im BunisaAdr
steingebiet. Der Boden ist matter und trockener und, bedarf starker
Düngung. Der sandige Boden ist leicht beweglich. Der Düpger,
welcher unter schwerer Anstrengung der Zugtiere auf deu Acker
am Berge&hang geschafft worden ist, wird durch den Regen, wieder
abgeschwemmt, die Besserung geht verloren. Weizen und Handels-
ge Wächte gedeihe» nicht mehr, als wichtigste Halmfrucht tritt der
Hafer in den Vordergrund. Die Ernten sind gering, der Betrieb
des Ackerbaus schafft Sorge um Sorge und wenig Gewinn. Selbst
Bauern mit grofsem Grundbesitz, die fleifsig bei der Arbeit sind,
kommen finanziell nicht recht vorwärts. Häufig wird der Fehler
gemacht, dafs der Viehstand im Verhältnis zur Wirtschaft zu zahl-
reicJi ist Überhaupt ist nicht zu verkennen^ dafs maneheß besser
— 235 —
stehen könnte, wenn besser gewirtschaftet würde. Was bei richtiger
Behandlung sichere Erträge liefert, das ist die Wiese und der Wald.
Wo ein Wasser rieselt, da sollte mit Fleifs und Umsicht das Wasser
zur Bewässerung ausgenutzt und eine Wiese hergerichtet werden.
Der Wald des Bauern müfste pfleglich behandelt werden, statt dafs
er ausgeraubt wird. Der Viehstand dürfte nicht übertrieben sein,
sondern im richtigen Verhältnis zur Futterproduktion stehen. Das
Hauptgewicht wäre auf die Anzucht von Jungvieh zu legen, welches
in die Bauernhöfe der Rheinebene leicht Absatz findet, da in dieser
letzteren die Anzucht von Jungvieh nicht ratsam ist, während Ein-
stellen von Milchvieh, das nach dem Abmelken gemästet wird, am
besten rentiert. Der eigentliche Ackerbau müfste von den höheren
und steileren Bergen, wohin er nicht mehr gehört, sich wieder zu-
rückziehen und auf ein thunlichst kleines Mafs beschränken. Gegen-
wärtig ist er zu extensiv betrieben. An seine Stelle könnte in
vielen Lagen der Obstbau auf Grasland treten, dem fleifsig künst-
licher Dünger zuzuwenden wäre. Andre Flächen wären dem Walde
wieder zuzuweisen, der allzusehr zurückgedrängt wurde. Um
Wandel zu schaffen, ist es hohe Zeit, denn die Bauern sind in
diesem Gebirgsteile in schwieriger Lage, grofs ist die Zahl der dem
Verkauf ausgesetzten Güter und ihr Preis beim Übergang in andre
Hand nicht hoch.
In dem nordwestlichen Teile des Odenwalds sind die Wohn-
stääen meist zu geschlossenen Dörfern zusammengedrängt, während
die isolierten Höfe seltener sind, im südöstlichen Teil ist die Hof-
wirtschaft stärker vertreten. Zahlreich sind hier noch die sogenannten
Hubengüter. In dem Thalgrund liegen die Gebäude, an diese stofsen
die Wiesen längs der Wasserläufe an. Den untern Teil der Hänge
nehmen die Äcker ein, die am weitesten abgelegenen Teile deckt
der Wald des Hubenbauern. Eine Reihe solcher Höfe bildet zu-
sammen eine Ortschaft, welche dann eine bedeutende räumliche Aus-
dehnung gewinnen kann. So bilden die beiden in einem Seitenthale
der Mümling nahe bei Erbach gelegenen Dörfer Ober- und ünter-
Mossau, welche zusammen aus 139 bewohnten Häusern bestehen und
990 Einwohner haben, eine zusammenhängende Dorfschaft von
10 Kilometern Länge.
Die Hofraithen der gröfseren Bauern bestehen vielfach aus
stattlichen Wohnhäusern mit prächtigen Wirtschaftsgebäuden, deren
Dächer nach der Hofseite hin weit überstehen. Das Wohnhaus wird
mit Vorliebe von Stein gebaut. Ebenso der untere Teil dft% ^xdr
schaftBgebäudes bis zur Stalldecke, wahiexifli öiet Oö^x^ '^HöOs. %»ä
— 236 —
Holz und Fachwerk aufgeführt ist. Nicht selten aber zeigen auch
die Hofgebäude des Grofsbauern Vernachlässigung und deuten den
Rückgang im- Wohlstand des Bewohners an. Der kleine Mann, der
Kleinbauer und Taglöhner, erbaut sich gern ein Haus, welches Wohn-
und Wirtschaftsraum unter einem Dache um schliefst. Der untere
Stock enthält ebener Erde einen Stall und daneben noch einen zum
Aufbewahren von Wirtschaftsprodukten geeigneten Raum. In die
darüber gelegenen Wohnräume der Familie führt von aufsen eine
untermauerte Steintreppe ohne Geländer, welche sich mit der einen
Längsseite an die Front des Hauses anlehnt. Dieselbe endigt oben
in einer gröfseren Sandsteinplatte, von der man durch die Thüre in
den Wohnraum eintritt. Unter dieser Platte befindet sich der Eingang
in den Stall. Schwer zu verstehen ist es, wie die Kinder über die
Fährlichkeiten einer solchen Bauanlage glücklich hinüberkommen,
ohne bei den ersten Geh- und Kletterversuchen von der Plattform
der Treppe herabzustürzen und Schaden zu erleiden. Auch bei diesen
Häusern der kleinen Leute ist der untere Stock von Stein gebaut,
der darüber befindliche, die Wohnräume der Familie umschliefsende,
ist von Holz und Fachwerk ausgeführt. Dafs die Familie über dem
Stalle im Winter warm wohnt, ist begreiflich, aber ebenso, dafs diese
Wohnräume im Sommer von ungezählten Fliegen bevölkert sind.
Die alte Kleidertracht des Odenwälders ist in raschem Ver-
schwinden begriffen. Noch vor wenigen Dezennien trug der Mann
schwarze Jacke mit Kniehosen und grofsem aufgeknöpftem Schlapp-
hut von Filz oder pelzverbrämter Mütze. Die Frauentracht bestand
in dunkelen halblangen Röcken mit schwarzen Brusttüchern und
einem meist schwarzen anliegenden Käppchen, welches frischen
Gesichtern gut stand. Nun hat auch im Odenwald die AUerwelts-
mode ihren siegreichen Einzug gehalten und bald werden die letzten
Reste einer originellen Volkstracht verschwunden sein.
Die eigentliche gröfsere Fabrikindustrie ist im Odenwald noch
nicht sehr entwickelt, ja vielleicht in einzelnen Zweigen gegen früher
zurückgegangen. Eine Anzahl Fabriken im Mümlingthale fertigten
Tuche von unverwüstlicher Dauer. Der Zug der Neuzeit, welcher
mehr darauf gerichtet ist, billige und moderne als teure und dauer-
hafte Kleiderstoffe zu beziehen, scheint dieser Industrie nicht günstig
gewesen zu sein.
Eine bedeutende Holzindustrie vermochte sich im Odenwald
nicht zu entwickeln. Einesteils nimmt die Buche, welche vorzugs-
welse nur dem Bremiholzbedarf dient, ein zu grofses Gebiet ein,
— 237 —
andernteils ist der Niederwald, welcher der Holzindustrie kein
Material liefert, zu sehr verbreitet. Aber auch der Umstand, dafs
so grofse Waldflächen im kleinen Privatbesitze befindlich sind und
der Staat nur geringen Anteil an dem Waldbesitze hat, steht hindernd
im Wege. Denn während der Staat nach dem Prinzip des höchsten
Waldreinertrags wirtschaftet, welches Prinzip ihn bei der Hochwald-
wirtschaft zur Anzucht von Nutzholz und insbesondere zur Anzucht
wertvoller Starkhölzer führt, wie sie die Holzindustrie bedarf, wirt-
schaftet der Private nach Mafsgabe des augenblicklichen Bedürfnisses
seines Geldbeutels und kommt dabei naturgemäfs nicht leicht zur
Anzucht starker Bäume. Der Odenwald sieht auf den beiden ihn
bespülenden Flüssen, dem Neckar und dem Main, zahlreiche mit Holz-
produkten beladene Flöfse vorübertreiben, er selbst aber liefert ver-
hältnismäfsig wenig Holzprodukte zur Weiterverfrachtung. Die beiden
wichtigsten Holzprodukte, welche ausgeführt werden, sind das sogenannte
Hobelholz, d. h. meterlange etwa 20 cm starke Rundstücke zur Fabri-
kation von Zündhölzern und sogenanntes Pfählholz, das ist ins Schicht-
mafs gesetztes Scheit- und Knüppelholz^ aus welchem Wingertspfähle
gerissen werden. Beide Produkte liefert die Kiefer im 60 — 80jährigen
Umtrieb. Das junge Kiefernholz, welches zu Wingertspfählen weniger
geeignet ist, weil es gedreht gewachsen ist und nicht gerade gerissen
werden kann, findet als Grubenholz (sogenanntes Stempelholz) nach
den Kohlenrevieren an der Saar seinen Abgang.
Aufserdem sind noch einige Fabriken zu erwähnen, welche
Holzwolle produzieren. Es ist dies jenes aus ganz feinen Hobelspähnen
bestehende Material, welches zur Verpackung von getrockneten
Früchten und dergleichen Verwendung findet.
Ein Triftsystem ist im Odenwald nirgends vorhanden. Recht
entwickelt ist an einzelnen Orten die Hausindustrie, Vor allem ge-
niefst die Elfenbeinschnitzerei in Erbach mit Recht einen guten Ruf.
Sie liefert zugleich den Beweis, dafs der Odenwälder zur Ausübung
des Kunsthandwerks Befähigung besitzt. Sodann finden sich in ver-
schiedenen Orten Spielwarenschnitzer, Horndreher, Schmiede und
andre Handwerker, die ihre Produkte nach auswärts verkaufen.
Auch Zigarrenfabrikation bildet hier und da eine Hausindustrie.
Der Verfertiger der Zigarren sucht seine Produkte thunlichst direkt
an den Konsumenten zu verkaufen.
Nicht unerwähnt darf bleiben, dafs der Odenwälder einen leb-
haften Sinn für den Handel hat und dafs selbst aus dfe\!ö.\svxv<£«v ^^'^
G^birgs die Märkte der zunächst geVegexv^iv S^XäÖl^.^ Va ^«^ '^^«ä^».-
Qeogr, Blätter. Bremen, 1889. ^
- 238 —
und Mainebene mit den landwirtschaftlichen zum Marktverkauf ge-
eigneten Produkten ganz regelmäfsig befahren werden.
Dem Vorstehenden soll sich in einem der nächsten Hefte eine
geologische Skizze über den Odenwald anschliefsen , die auf die
neuesten Arbeiten in geologischer Beziehung sich stützt und die
Beziehungen zwischen dem geologischen Boden und den Vegetations-
verhältnissen berücksichtigen wird.
Die Geographie auf der Pariser Allgemeinen
Ausstellung 1889.
Von A. Oppel.
Wir leben in einem Zeitalter der Ausstellungen und der Kon-
gresse. Staaten und Städte, Erdteile und Länder, Gesellschaften,
Vereine und einzelne Personen veranstalten solche. Wer alle diese
Schöpfungen zählen wollte, dessen Aufmerksamkeit wäre das ganze
Jahr hindurch in Anspruch genommen, und wer nur die in sein
Fach einschlagenden alle besuchen wollte, der müfste nicht nur das
ganze Jahr auf Reisen sein, die ihn durch alle Teile der zivilisierten
und halbzivilisierten Welt führen würden, sondern er wäre auch
gezvningen sich zu teilen und seine körperlichen und geistigen
Kräfte in das Ungemessene zu vervielfältigen. Unter diesen Um-
ständen nimmt es nur wunder, dafs nicht schon längst eine Fach-
zeitung entstanden ist, die sich ausschliefslich mit den Ausstellungen
und dem Ausstellungswesen beschäftigt.
Mit der mehr und mehr veraltenden und aussterbenden Form
der Märkte und Messen in ursächlichem Zusammenhange stehend,
haben die Ausstellungen für Gewerbe und Industrie den Reigen er-
öi&iet und allmählich alle diejenigen Zweige und Fächer mensch-
licher Thätigkeit nach sich gezogen, welche über ausstellbare, d. h.
körperliche Gegenstände verfügen, fähig, die Augen zu beschäftigen
und zu fesseln.
Gemäfs ihrer Entstehung dienen die gewerblichen und indu-
striellen Ausstellungen dem Zwecke, die verschiedenen Erzeugnisse
in rorteilhaftestcr Weise bekannt zu machen, die Kauflust zu be-
leben und anzuspornen, die gescliäftiidie T\ia.\iv%\LÄ\t vx heben und
— 239 —
immer lohnender zu gestalten. Das ist das unmittelbare Ziel. Aber
um dies möglichst vollständig zu erreichen, begnügte man sich nicht
damit, die betrefifenden Gegenstände aufzustellen und vorzuführen,
sondern man ging einen Schritt weiter und suchte durch die Art
der Anordnung und der Aufstellung selbst sowie durch anderweitige
Veranstaltungen, die an sich den rein fachmäfsigen Gesichtspunkten
fern stehen, das Interesse in immer weitere Kreise zu tragen und
immer gröfsere Menschenmengen anzulocken. Der Gedanke, auf das
Vergnügungsbedürfnis und den angenehmen Zeitvertreib der Menschen
einzuwirken, war es, der das Ausstellungswesen populär gemacht
und zu seiner Ausbreitung in viel höherm Mafse beigetragen hat,
als es die ursprünglichen Absichten zu thun vermochten. So
sind die Ausstellungen mit ihren verschiedenartigen nebensächlichen
Veranstaltungen und Anhängseln zu Volksvergnügungen, und wenn
man will, sogar zu Nationalfesten geworden. Dafs dies Urteil das
richtige trifft, beweist vielleicht keine Ausstellung mehr als die dies-
jährige „Exposition Universelle" in Paris. Denn von den Millionen,
welche im Laufe dieser Sommermonate das JVIarsfeld und die Inva-
lidenesplanade besucht haben und noch besuchen werden, mögen
sie aus Frankreich oder aus dem Auslande kommen, liefs sich die
Mehrzahl von dem Verlangen nach Abwechselung, nach Zerstreuung,
nach Zeitvertreib leiten. Bei den Franzosen speziell ist es aufser-
dem das Bedürfnis nach patriotischer Aufmunterung und Selbst-
verherrlichung, das immer neue Scharen, Meereswogen gleich, durch
die gewaltigen Räume dieses nationalen Schaustückes führt. Und
anderswo dürfte es kaum anders sein. Denn das Vergnügungs-
bedürfnis hat in dem Menschen ebenso starke Wurzeln wie der
Drang des Lebens überhaupt.
Aber es wäre falsch und ungerecht zugleich, diese Seite des
Ausstellungswesens, weil sie das Bedürfnis der Menge zu befriedigen
sucht, als die wesentliche zu bezeichnen oder gar ihre Richtung als
eine verfehlte anzusehen. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dafs
die modernen Ausstellungen, namentlich diejenigen gröfsern Stils,
vermöge ihres Inhalts wie ihrer Form auch tiefer wirken, nicht nur
das Auge beschäftigen, sondern auch bilden, nicht nur die Zeit
vertreiben, sondern auch den Beobachtungssinn kräftigen, neue
Begriffe und Vorstellungen anregen und dadurch mittelbar zur Volks-
bildung beitragen. Und damit greift das Ausstellungswesen in das
Gebiet der höheren geistigen Thätigkeit, in die Gefilde der Kunst
und Wissenschaft über. Dafs solchgestaltete wiikl\^\vfe ^'<>rt^<5txas%
nur eineai Bruchteil der Besucher zu tei\ vraöi^ N^t^ÄJl^^S^ \sssäci^
— 240 —
und thut der Sache selbst keinen Eintrag. Denn auch hier kann
man sagen: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt".
Fassen wir den allgemein belehrenden Zweck der Ausstellungen
etwas näher ins Auge, so dürfen wir die Frage aufwerfen, welchen
Wissenszweigen kommen sie zunächst zu gute? Die Antwort
lautet: In erster Linie der Wirtschaftskunde und der Kultur-
geschichte. Das läfst sich nicht bestreiten, zumal gegenüber
dem Wesen der grofsen, oder der Weltausstellungen. Wer es sich
zum Ziele gesetzt hat, das wirtschaftliche Leben der Völker, diesen
zwar jungen, aber äufserst bedeutungsvollen und zukunftsreichen
Zweig der modernen Wissenschaft, kennen zu lernen und in seinen
Wurzeln und Verzweigungen zu verstehen, dem kann gar keine
günstigere Gelegenheit geboten werden, als eine allgemeine Aus-
stellung, auf der die verschiedensten Erzeugnisse der verschiedensten
Länder neben einander gereiht, den gegenseitigen Vergleich heraus-
fordern. Zur Wirtschaftskunde aber verhält sich die Kulturgeschichte
wie zur Praxis die Theorie oder vielleicht wie zur Thätigkeit die
reflektierende Betrachtung. Kein Zweifel: eine vollständige Welt-
ausstellung ist ein fast vollständiges Bild der gegenwärtigen Kultur.
Wirtschaftskunde und Kulturgeschichte aber stehen in naher
Beziehung zur Geographie, ja, sie sind, wenn wir diesen Begriff in
seiner weitesten Ausdehnung als Kenntnis der Erde und der Mensch-
heit, sowie ihrer gegenseitigen Bedingtheit auffassen, in ihr ent-»
halten, sie gehen in ihr auf. Und gerade die Wirtschaftskunde ist
es, welche uns den Menschen in seinen unmittelbarsten Beziehungen
zur Erdrinde zeigt, denn es giebt keinen Stoff, den er ihr nicht
entnähme, der nicht die Grundlage seines materiellen Lebens an
seinem Teile ausmachte.
So sind ohne Frage die grofsen Ausstellungen von dem Stile
der „Exposition Universelle" in Paris auch der Geographie, insbesondere
ihrer grofsen Spezialabteilung, der Länder- und Völkerkunde, von
Nutzen. Aber die Geographie ist nicht nur der empfangende Teil,
sie ist auch ein gebender. Denn die heutigen Ausstellungen, eben
weil sie auch belehrend wirken wollen, bedienen sich in immer er-
höhtem Mafsstabe derjenigen Darstellungsmittel, welche die Geo-
graphie zu eigenen Zwecken entweder selbst ausgebildet oder andern
Fächern entlehnt und in ihrer Weise verwendet hat. Ich meine
körperliche Nachbildungen in Form von Oberflächenreliefs und mensch-
lichen Figuren, Karten, Bilder, Photographien, Schriftwerke, stati-
stische Eeihen und Diagramme u. a. Auf keiner Ausstellung hat
man sieb meines Wissens dieser geogiap\i\sc»\i«u Da.tatellungs- und
— 241 —
Anschauungsmittel in ausgedehnterm Mafsstabe und in wirksamerer
Weise bedient als grade bei der „Exposition Universelle" in Paris.
Die Verwendung dieser Mittel ist zwar kein ganz neuer Gesichts-
punkt, aber der vielfältige und fast systematisch durchgeführte Ge-
brauch bildet einen durchaus bezeichnenden Charakterzug der Pariser
Ausstellung. Das Streben, belehrend zu wirken, drängt sich in
einzelnen Fällen dermafsen in den Vordergrund, dafs man sich ver-
sucht fühlen könnte, die betreffenden Teile als Ausstellung für
Landeskunde, nicht aber für Gewerbe und Industrie zu bezeichnen.
Diese beiden scharf ausgeprägten Eigenschaften, einerseits die
Absicht, über Land und Volk zu belehren, anderseits die naturgemäfs
sich ergebende Anwendung zahlreicher geographischen Darstellungs-
mittel, sind es, welche der „Exposition Universelle" einen gewissen
Grad wissenschaftlich-geographischen Wertes sichern, auch wenn
nicht noch besondere Veranstaltungen getroffen worden wären, welche
unmittelbar oder fast unmittelbar in das Fach der Länder- und
Völkerkunde einschlagen. Die Gesamtheit aller der im vorstehenden
angedeuteten Gesichtspunkte dürfte es daher rechtfertigen, wenn im
folgenden, auf Anregung der Redaktion, die Stellung unsrer geo-
graphischen Wissenschaft zum Gegenstande einer Besprechung ge-
macht wird. Dafs diese nur in Form einer Übersicht über die
wesentlichen Erscheinungen gehalten sein kann, ohne die Einzel-
heiten anzuführen, das legt der dafür in Anspruch genommene
Raum von selbst nahe.
Die Pariser Allgemeine Ausstellung hatte bei dem Mangel eines
völlig ausreichenden einheitlichen Raumes, wie bekannt, auf vier
verschiedene Plätze, das Marsfeld, die Invalidenesplanade, den beide
Teile verbindenden Abschnitt des Orsaykais und den Garten unter-
halb des Trocaderopalastes verteilt werden müssen.
Diese für die Besucher sehr fühlbare Trennung der in ihren
äufsersten Diagonalenden fast stundenweit auseinander gezogenen
Anlagen, deren räumliche Entfernungen zwar teilweise durch die
Decauvillebahn gemindert, aber doch wieder durch die zahlreichen
Strafsenüberführungen (hohe Brücken) vermehrt werden, hatte eine
einheitliche und systematische Aufstellung der zusammengehörigen
oder verwandten Gegenstände vereitelt. Zwar ist die Gewerbe- und
Industrieabteilung, zumal diejenige für Frankreich, in dem Haupt-
palaste auf dem Marsfelde vereinigt, und in demselben haben auch
die meisten europäischen Länder sowie einige aufsereuropäische
Platz gefunden. Im übrigen aber sind die für den Geographen be-
sonders anziehenden Länder und SonderausstelUxiv^'eiv xjfe^x -«Sä, ^^s5t
— 242 —
Plätze verstreut. Dies gilt auch von denjenigen Ministerien, welche
in ihren Räumen die Geographie berücksichtigt haben. So hat
das Ministerium für öffentliche Arbeiten sein Gebäude im Trocadero-
garten untergebracht, das Ackerbauministerium auf dem Orsaykai,
das Kriegsministerium auf der Invalidenesplanade, das Unterrichts-
ministerium und das Ministerium des Innern im Palais des arts
liberaux auf dem Marsfelde, das Ministerium für Kolonien auf der
Invalidenesplanade und das Marineministerium teils im Palais des
arts liberaux, teils auf der Invalidenesplanade. Diese bei dem Besuch
recht zeitraubende Anordnung verbietet es selbstredend, bei der
nachfolgenden Übersicht die einzelnen Ausstellungen nach ihrer
räumlichen Lage zu beschreiben, und gebietet die in Betracht kom-
menden Gegenstände nach sachlichen Kategorien zusammenzufassen.
Solcher Kategorien möchte ich drei bezeichnen. Unmittelbar
auf die Geographie bezügliche Gegenstände umfafst die erste Gruppe;
zur zweiten gehören diejenigen, welche in sehr nahen Beziehungen
zur Geographie stehen und zur dritten sind jene zu rechnen, welche
nur mittelbar dafür in Betracht kommen.
Als eigentlich geographische Gegenstände sind 1. der y^Globe
terrestre"^ 2. die Ausstellung für Geographie und Kosmographie,
Anthropologie, Urgeschichte und Ethnographie, 3. die daran sich an-
schliefsende Schweizerische Gruppe, sowie 4. die fachmäfsig geord-
neten kartographischen und statistischen Zusammenstellungen einiger
Ministerien zu bezeichnen.
Der Globe terrestre, ein Privatunternehmen der Herren Villard
und Cottard, ist in einem nahe dem Palais des arts liberaux be-
findlichen Gebäude aufgestellt, das den Grundrifs eines Vielecks und
ein konisches Lichtdach hat. An den Binnenwänden dieses Gebäudes
sind vorwiegend hölzerne Gallerien angebracht, welche von einer
bestimmten Höhe an allmählich nach unten führen. Da von der
obersten Gallerie eine Treppe nach einer mitten über dem Globus
befindlichen ringsum freien Terrasse geht, so kann man* folglich vom
Nordpole bis zum Südpole alle Teile dieser um das millionenfache
verkleinerten Erdkugel mit völliger Mufse betrachten. Man kann
sich also nicht blofs seitlich aufserhalb der Erdoberfläche stellen,
sondern auch seinen Standpunkt über oder unter dem Pole nehmen.
Für das Verständnis gewisser Kartenprojektionen ist das sehr lehr-
reich, zumal sich auch von Zeit zu Zeit die seitliche Perspektive
verändert, wenn der Globus durch eine am Südpol befindliche Kurbel
in langsame Drehung versetzt wird. Das technische Hauptproblem,
die Kugeigestalt herzustellen, ist dadurch gelöst worden, dafs eine
— 243 —
Reihe von Parallelkreisen und Meridianen aus Eisenreifen in gegen-
seitige Verbindung gebracht und dies Gestell mit entsprechend
untereinander zusammengesetzten Deckstücken aus bemalter Lein-
wand, 586 an Zahl, überzogen worden ist. Während nun die
Rundung des Globus nichts zu wünschen übrig läfat, ist die
Zusanmienfügung der einzelnen Deckstücke nicht ganz gelungen,
denn man kann die Verbindungsstellen nicht nur deutlich erkennen,
sondern diese zeigen auch verschiedentliche Risse und Brüche.
Gemäfs des Mafsstabeö 1 : 1 Million beträgt der Äquator des Globus
40 m, der Durchmesser, den man für alle Teile gleich gemacht hat,
12,7 m. Wie bereits angedeutet, ist die Oberfläche nicht in Relief
ausgebildet, sondern es sind die meisten Bezeichnungen mittels Ölfarben
aufgetragen. Das Meer erscheint wie gewöhnlich blau, und zwar
in fünf Schattierungen nach den fünf Tiefenstufen (0 — 2000,
2000—4000, 4000—6000, 6000—8000 und über 8000 m) vom
Hellen zum Dunkeln abgetönt. Diese Stufenleiter zeugt nicht von
glücklicher Wahl und richtigem Verständnis für das Relief der
Tiefsee. Denn es giebt, um nur eines anzuführen, einige Meere,
welche nur einige hundert Meter tief sind und deren charakteristische
Stellung als Randmeere durch Einbeziehung in die Tiefenklasse bis
2000 m vollständig verwischt wird. Die Landoberfläche ist im
allgemeinen mit einem hellbraunen Tone überzogen, aus dem die
Gebirge, in geschickter Weise nach Reliefmanier gemalt, sich deutlich
hervorheben, ebenso die durch weifsliche Färbung bezeichneten
Gletscher- und Eisverhältnisse. Die Vulkane sind durch rote Punkte,
die Flüsse durch blaue Linien angedeutet. Aufser den Oberflächen-
erscheinungen sind auch politische und wirtschaftHche Verhältnisse
berücksichtigt worden, als politische Grenzen durch schwarze Kreuze,
Eisenbahnen durch rote Linien, Telegraphen durch vergoldete Linien,
die grofsen Seeverkehrsrouten durch verschiedenfarbige Linien (Eng-
land blau, Frankreich rot, Deutschland schwarz u. a.), die
wichtigsten Forschungsreisen ebenfalls durch Linien mit verschiedenen
Farben je nach der Nationalität der Reisenden, endlich die Mineral-
lager durch verschiedenfarbige Knöpfe, z. B. die Kohlenlager durch
schwarze, das Eisen durch rote, das Silber durch silberfarbige, das
Gold durch vergoldete u. a. Endlich findet man an den Wänden
und auf den Gallerien des Gebäudes eine Ausstellung von Globen-
karten verschiedener Art, statistische Tabellen u. a.
Die geographische Fachausstellung ist in dem mittleren Teile
des sogenannten Palais des arts liberaux untergebracht. Sie zerfällt
in zwei deutlich unterschiedene Teile. Der ^m^ Aet^^«^ \sss&ü5>^
— 244 —
die Geographie und Kosmographie und ist in einer Doppelreihe von
zimmer artigen Nischen oder Kojen angeordnet, welche den beiden
Seitenwänden des Gebäudes entlang laufen. Als Aussteller finden
sich hier die Ministerien der Marine und des Innern, der französische
Alpenklub, mehrere französische geographische Gesellschaften (von
Paris, Lille, Bordeaux u. a.) und endlich eine grofse Zahl Buch-
händlerfirmen, Kartographen, Lithographen und Privatgelehrte. Die
ausgestellten Gegenstände bestehen aus Globen, kosmographischen
Darstellungs- und Unterrichtsmitteln, plastischen Reliefs in Gyps
und Papiermache, Karten des verschiedensten Mafsstabes und mannig-
faltigen Zwecken dienend, Atlanten für Hand- und Schulgebrauch,
zahlreichen Büchern für alle möglichen Richtungen, Ölbildern, Zeich-
nungen und Photographien, endlich aus statistischen Tabellen und
Diagrammen.
Systematische Gesichtspunkte sind bei dieser Fachstellung nicht
mafsgebend gewesen, sondern man hat die Auswahl der Gegenstände
den einzelnen Ausstellern überlassen. Daher bietet sie ein ebenso
buntes und mannigfaltiges, wie unregelmäfsiges Bild und es kommt
mehr als einmal vor, dafs ein und derselbe Gegenstand mehrfach
vertreten ist. Die geologische Karte von Frankreich z. B. ist vier
mal vorgeführt, nämlich von dem Ministerium des Innern, von dem
Kartenzeichner, von dem Lithographen und von der betreffenden
Verlagsfirma. Mir erscheint dies Verfahren als ein Nachteil ; da der
zur Verfügung stehende Raum ohnehin nicht übermäfsig grofs ist,
so hätte es sich vielmehr empfohlen, die Wiederholungen zu ver-
meiden und etwa ein systematisches Bild von der Entwickelung der
einzelnen Zweige der Geographie und ihrer Darstellungsmittel zu
entrollen. In dem einen Raum hätten beispielsweise die Original-
aufnahmen, in einem andern die stufenweisen Reduktionen, be-
ziehentlich die verschiedenen Arten der Karten aufgestellt werden
können, in andern die Atlanten, die schulgeographischen Sachen,
die Reliefs u. a. Dieser Vorschlag findet seine Begründung in
dem Umstände, dafs, da die Aussteller dieser Abteilung ausschliefslich
Franzosen sind, die von ihnen vorgeführten Gegenstände sich vor-
zugsweise auf Frankreich und seine auswärtigen Besitzungen beziehen,
andre Teile der Erde aber nur in geringem Mafse berücksichtigt
sind, soweit es sich nicht um Darstellung allgemeiner Verhältnisse
handelt. Man hätte dadurch auch die Einfügung von minderwertigen
oder recht mittelmäfsigen Sachen, an denen es durchaus nicht fehlt,
vermeiden können.
Ist es nun gestattet die Fachausstellung für Geographie und
— 245 —
Kosmographie als Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Franzosen
auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Technik zu betrachten
und einen vergleichenden kritischen Mafsstab anzulegen, so möchte
ich im allgemeinen sagen, dafs nicht in allen Teilen den höchsten
Forderungen entsprochen wird. Die aufgestellten Reliefs z. B. sind
fast durchweg mäfsige, ja teilweise minderwertige Leistungen und
können den Vergleich mit den Darbietungen andrer Länder,
insonderheit denen der Schweiz, nicht aushalten. Dasselbe gilt von
den Handatlanten, die, mit Ausnahme des noch nicht vollendeten
Atlas von Vivien St. Martin, in Zeichnung, Kolorit und Druck für
veraltet gelten können und weit hinter unserm Stieler, ja selbst
hinter dem so billigen Andree zurückstehen. Dies Gefühl werden
die Franzosen selbst haben und deshalb hat sich die berühmte
Firma Hachette & Co. entschlossen, noch vor Vollendung des aller-
dings vorzüglichen und äuTsert sorgfältig gezeichneten Vivien einen
Handatlas von mäfsiger Gröfse herstellen zu lassen, von dem bereits
zwei Lieferungen vorliegen. Dieser Atlas, unter Leitung der Herren
Schrader, F. Prudent und E. Anthoine erscheinend (fertig 20 Frcs.),
macht, nach den Probeblättern zu urteilen, einen guten Eindruck
und wird bei gleichmäfsiger Arbeit ohne Zweifel alle übrigen
französischen Werke gleicher Art weit übertreffen. Das ist auch
die Absicht der Verlagsfirma, die sich in der Ankündigung unter
anderm wie folgt äufsert: „Wir bemühen uns der französischen
Kartographie den hohen Rang wiederzugeben, welchen sie im letzten
Jahrhunderte einnahm." Mittelmäfsig sind auch sämtliche aus-
gestellte Schulatlanten, von denen keiner auch nur im entferntesten
unsem bessern Leistungen, etwa denen von E. Debes oder H. Wagner
an die Seite gestellt werden kann.
Doch genug der Einwendungen! Die Gerechtigkeit fordert,
dafs auch das Bessere erwähnt werde. Dahin gehören besonders
einige gröfsere Karten, auf denen durch eine Art Terrainmalerei die
Gebirgsbildung sehr gut hervortritt, die meisten Globen und kosmo-
graphischen Anschauungsmittel, die schönen geologischen und topo-
graphischen Karten und vor allem auch die sehr umfangreichen und
eingehenden Darstellungen über französische Statistik, welche Herrn
Turquan, den Leiter der Statistik im Ministerium des Innern, zum
Verfasser haben. Endlich können auch die allerdings älteren Reliefs
von Levasseur und Fräulein Kleinhans als gute Arbeiten bezeichnet
werden.
In der Mitte des Palais des arts liberaux und durch breite
Gänge von den Kojen für Geographie und Ro^xivo^x^^^^'^ ^^Hx^^ös^-
— 246 —
erhebt sich ein Aufbau aus Holz, der zu ebener Erde und im ersten
Stock die Ausstellung für Anthropologie, Urgeschichte und Völker-
kunde enthält. Bei der Ausführung dieses recht anziehenden Teils
hat man im Gegensatze zu der vorher besprochenen Gruppe sich
teilweise von systematischen Gesichtspunkten leiten lassen. Die
Aufsenwände sind teils mit grofsen farbigen Bildern, mehrere Völker-
typen darstellend, mit ethnographischen und vorgeschichtlichen
Gegenständen, zu hübschen Gruppen angeordnet, sowie mit darauf
bezüglichen Photographien versehen. Betritt man das Innere, so
teilt sich dieser in einen grofsen Mittelraum und in, denselben um-
gebende, halboffene Gallerien. Die Hauptanziehungskraft üben hier
eine Reihe von Gruppen, die, aus bekleideten lebensgrofsen Figuren
bestehend, die Vertreter mehrer vorgeschichtlteher und moderner
Völker in charakteristischen Beschäftigungen darstellen. Man be-
merkt da u. a. ein Samojedenlager (mit Zelt, SchUtten, Ren-
tier u. a.), Negerschmiede aus dem Sudan, chinesische Metall-
arbeiter, Rennjäger in der Steinzeit, altgriechische Töpfer, alt-
ägyptische Weber u. a., meist gute Gruppen, an die sich weiterhin
Darstellungen zur Geschichte der Arbeit anschliefsen. Den übrigen
Raum zu ebener Erde nehmen anthropologische, urgeschichtliche und
ethnographische Darstellungen und Sammlungen ein. Den besten
Eindruck macht hier die von Dänemark angeordnete Gruppe, welche
sich einerseits auf die Urgeschichte dieses Landes, anderseits auf
die Völkerkunde Grönlands bezieht. Die urgeschichtlich-ethno-
graphische Ausstellung ist auf dem ersten Stock des Mittelbaues
weiter fortgesetzt und ausgeführt. Man findet da besonders die
Darstellung anthropologischer Messungsmethoden, mehrere ethno-
graphische Karten, zahlreiche Photographien von Völkertypen u. a.,
die trefflichen Sammlungen des Prinzen Roland Bonaparte, farbige
Gesichtsmasken von Völkertypen und eine grofse und sehr reich-
haltige Kollektivsammlung älterer kunstgewerblicher Arbeiten aus
China und Japan. Auch an diese schliefst sich, ohne deutliche
Trennung, die Ausstellung zur Geschichte der Arbeit.
Die Darbietungen dieser ersten Etage rühren ausschliefslich
von Privatpersonen her; unter ihnen befinden sich auch zwei
Deutsche, nämlich Professor Schafhausen in Bonn, der seine anthro-
pologische Messungsmethode in anschaulicher Weise dargestellt hat,
und unser Dr. Otto Finsch, der eine gröfsere Zahl seiner bekannten
Völkermasken nach Paris sandte.
Dürfen wir auch über die anthropologisch-ethnographische Ab-
teilung ein kurzes Urteil fällen, so kann dies im allgemeinen nur
— 247 —
günstig lauten; denn sie ist reichhaltig und gut aufgestellt. In
richtiger Würdigung der Art der Besucher hat man nach eindrucks-
voller Anschaulichkeit gestrebt, welcher Richtung vor allem die oben
erwähnten Figurengruppen entsprechen, ohne dabei die Forderungen
der etwaigen wissenschaftlichen Besucher aus dem Auge zu verlieren.
Letztere könnten allerdings der Organisation eine schwere Einwen-
dung machen. Diese betrifft einerseits den Mangel einer Unter-
scheidung zwischen den beiden benachbarten Abteilungen (für Anthro-
pologie-Völkerkunde und für Geschichte der Arbeit), anderseits das
Vermengen der Vorgeschichte mit der modernen Völkerkunde, das
zumal auf das gewöhnliche Publikum nur verwirrend wirken kann.
In geringer Entfernung von den eben beschriebenen Räumen
befindet sich die geographische Gruppe der Schweiz, die sich teils
aus offiziellen Einsendungen, teils aus Gegenständen von Privatbesitz
(Buchhändlerfirmen , Kartographen , Privatpersonen) zusammensetzt
und einen recht stattlichen Raum füllt. Wir finden da an den
Wänden die topographische (Dufour) und die geologische Karte der
ganzen Schweiz, jede im Mafsstabe 1 : 100000, zusammengestellt und
in Rahmen eingefafst, femer die Blätter des sogenannten Siegfried-
atlas, 1 : 25000 beziehungsweise 50000 und zahlreiche andre Karten,
Schulatlanten, Bücher, Photographien, Ölgemälde und vor allem eine
Reihe plastischer und farbiger Reliefs, unter ihnen die ausgezeich-
neten Darstellungen der Jungfraugruppe von Ingenieur Simon und der
Monterosagruppe von Ingenieur Imfeid. Letztere, zwar nicht ganz neu,
stellt wohl das beste dar, was heutzutage auf dem Gebiete der geo-
graphischen Reliefs gearbeitet worden ist, eine wahre Muster- und
Meisterleistung. Überhaupt mufs jeder Geograph und jeder Alpen-
freund an der Schweizerischen Gruppe seine wahre und aufrichtige
Freude haben und niemand, der sie gesehen, wird anstehen, ihr von
allen geographischen Darbietungen die Palme zuzuerkennen; sie ist
verdient sowohl* durch die meist vorzügliche Beschaffenheit der aus-
gestellten Gegenstände, wie durch die Planmäfsigkeit der Anordnung.
Frankreich hätte sich ganz entschieden des gleichen Verfahrens be-
dienen sollen, dann hätte auch das grofse Publikum seine Abteilung
mehr gewürdigt, als dies thatsächlich geschieht; denn seine Kojen
machen meist einen etwas vereinsamten Eindruck.
Die Ministerialausstellungen bieten dadurch ein speziell geo-
graphisches Interesse, weil in denselben die Originalaufnahmen und
die Karten grofsen Mafsstabes teils für das ganze Frankreich, teils
für einzelne Gebiete und einige auswärtige Besitzungen vorgeführt
werden. Der Preis von allen beteiligten Mm\s»i^\.\fcTL ^ox^^ ^^so^
— 248 —
Kriegsministeritim zuzuerkennen sein, welches in mehreren Räumen
nicht nur seine gegenwärtig gültigen Karten ausgestellt, sondern auch
solche aus früherer Zeit der allgemeinen Besichtigung zu teil werden
läfst. Dadurch wird vor allem der allmähliche Fortschritt in der
Herstellung der sogenannten Generalstabskarten, der cartes ä
grande echelle, wie sie die Franzosen mit Vorliebe nennen, vor Augen
geführt. Die gegenwärtigen Karten des französischen Generalstabs
— le Service geographique de l'Armee — sind ohne Zweifel tüchtige
und schöne Leistungen, aber ich möchte doch Bedenken tragen, sie
als solche unbedingt ersten Ranges zu bezeichnen und zwar zunächst
mit Hinblick auf die Schweizer Karten gleichen Mafsstabes, die be-
züglich der Plastizität der Gebirge über den französischen stehen.
In demselben Pavillon wie das Ki-iegsministerium hat auch das
Marineministerium — service hydrographique de la marine — seine
Seekarten, die sich, in verschiedenen Mafsstäben, auf alle Teile der
Welt beziehen, zur Schau gestellt, einen Teil derselben aber auch
in einer der Nischen des Palais des arts liberaux untergebracht.
An verschiedenen Stellen des letzteren sind die Aufnahmen und
Karten des Ministeriums des Innern zu sehen, unter diesen vor allem
eine grofse Karte im Mafsstabe 1 : 100000, deren meiste Blätter vom
„Service vicinal" unter der Oberleitung des Herrn Anthoine bei den
Gebrüdern Erhard ausgeführt, fertig vorliegen; etwa ein Achtel des
Ganzen, das südwestliche Frankreich umfassend, befindet sich zur
Zeit noch in Arbeit. Nach dem Muster topographischer Karten an-
gelegt, berücksichtigt dies grofse Unternehmen aufser den gewöhn-
lichen Verhältnissen auch die Verbreitung von Wald- und Kulturland,
welches durch grüne Farbe bezeichnet wird. Der Pavillon des
Ministeriums für öffentliche Arbeiten, im Trocaderogarten, enthält
eine Anzahl wichtiger Karten und Aufnahmen; beispielsweise das
Nivellement von Frankreich (etat d'avancement du Reseau fondamental),
zahlreiche Blätter der genauen geologischen Karte von Frankreich,
1 : 80 000, und mehrere Karten aus dem Gebiete der wirtschaftlichen
Statistik, z. B, über die Mineralproduktion der Erde und Frankreichs.
Das Ministerium für Ackerbau hat es sich angelegen sein lassen,
die in sein Fach schlagenden Gesichtspunkte durch Karten zu er-
läutern; darunter verdienen diejenigen, welche die Verbreitung des
Weinbaues zum Gegenstande haben, besondere Beachtung. Über die
Anstrengungen des Kolonialministeriums werde ich nachher sprechen.
Diesen Abschnitt beende ich mit der Bemerkung, dafs auch das
Unterrichtsministerium etwas für die Geographie gethan hat, insofern
es in seiner weitverzweigten Abteilung nicht nur das Unterrichts-
— 249 —
wesen der Geographie, sondern auch die von ihm veranlafsten wissen-
schaftlichen Reisen, soweit das im Bereiche der Möglichkeit liegt,
zur Anschauung brachte. Bezüglich der ausgestellten Unterrichts-
mittel mufs allerdings bemerkt werden, dafs sich sehr viel in ver-
schlossenen Glasschränken befand, so dafs man nur die Titel sah.
Damit ist die Betrachtung der unmittelbar in das Fach der
Geographie einschlagenden Gegenstände beendet. Zu der zweiten
Kategorie, die sich wieder in mehrere Unterabteilungen zerlegen liefse,
gehört streng genommen die ganze übrige Ausstellung, insofern
kein Land oder Gebiet es verschmäht hat, die geographischen Aus-
stellungsmittel zu benutzen, um die Besucher über die allgemeinen
Verhältnisse zu unterrichten, in einzelnen Fällen sogar geographische
Arbeiten als Ausstellungsgegenstände auftreten. Das Studium dieser
Kategorie ist mit noch mehr Mühe und Zeitverlust verknüpft als das
der ersten, weil alle Räume, mit Ausnahme des Palais des beaux arts
und der Maschinenhalle, durchsucht werden müssen. Daher kann es,
trotz des eifrigsten Nachforschens, geschehen sein, dafs ich den einen
oder andern Gegenstand übersehen habe. Bei einer ziemlich grofsen Zahl
war übrigens eine genaue Besichtigung unmöglich oder sehr erschwert,
weil sie in ungünstiger Weise — meist zu hoch oder in schlechtem
Lichte — untergebracht sind.
Immerhin aber darf die darauf verw'endete Mühe noch als
eine lohnende bezeichnet werden, nicht nur, weil die in unser Fach
gehörenden Gegenstände sehr zahlreich und in grofser Mannigfaltigkeit
vertreten sind, sondern auch, weil sie zur Veranschaulichung der
gröfseren Hälfte der bekannten Erdoberfläche beitragen. Und das
ist bei der heutigen Zersprengtheit der geographischen Werke, haupt-
sächlich der Originalkarten, von nicht zu unterschätzendem Belang.
Denn wer nicht in einem der grofsen geographischen Zentren, etwa
in Gotha, Berlin, Paris oder London lebt, für den hält es schwer,
das Material in einer solchen Ausdehnung zu beschaffen, wie es die
Pariser Ausstellung bietet, ganz zu schweigen von den verhandenen
Vertretern auswärtiger Volkstypen, den zahllosen Erzeugnissen des
Bodens und des Gewerbfleifses.
Ich sagte schon, dafs die gröfsere Hälfte der bekannten Erd-
oberfläche — allerdings in keineswegs gleichartigem Mafse — ver-
treten sei. Und das ist richtig. Denn von den europäischen Staaten
fehlt nur das deutsche Reich, Schweden, die Türkei, Bulgarien und
Montenegro. Streng genommen müfsten unter den fehlenden auch
Andorra und Lichtenstein genannt werden, da nämlich die beidftxs.
Staaten kleinster Gröfse ; San Marino \md^oxia.GO.>m\i^'a.cstÄföt^\^.^^-
— 250 —
teilungen ausgestellt haben. Fast vollständig erscheint der Erdteil
Amerika, denn von diesem haben sich nur Kanada und Costarica,
und in gewissem Sinne auch die niederländischen und englischen
Tropenbesitzungen ausgeschlossen. Dasselbe gilt auch von dem
Erdteil Asien, von dem nur Arabien, Turkestan und die türkischen
Besitzungen vermifst werden. Allerdings darf nicht unerwähnt
bleiben, dafs grofse und darunter sehr leistungsfähige Gebiete in sehr
mangelhafter Weise erscheinen; Indien und China zeigen sich nur
in Form von Kaufbazars, Kaukasien und Sibirien aber sind in der
russischen Abteilung eben nur angedeutet. Was Afrika anbetrifft,
so fehlt von den ausstellungsfähigen selbständigen Ländern der
Orangefreistaat und der Congofreistaat ; die älteren Kolonialländer
aber haben die Ausstellung sämtlich beschickt. Australien hat sich
teilweise tüchtig angestrengt, besonders die Kolonien Viktoria und
Neuseeland. Aus der Südsee endlich findet man noch Tahiti, Hawaii,
Neukaledonien und die neuen Hebriden.
Die Zahl der Gegenstände von geographischem Interesse, welche
die vertretenen Länder nach Paris geschickt haben, ist selbstredend
eine aufserordentlich grofse, und wer sie nach Inhalt und Form
gründlich durchstudieren und sich geistig zu eigen machen wollte,
der müfste während der ganzen Ausstellungsdauer emsig arbeiten.
Auch ist kein inhaltlicher oder formeller Zweig im Prinzip unver-
treten geblieben, wenn sich auch fast in jedem Falle die Ausdehnung
der geographischen Objekte verschieden gestaltet. Von Darstellungs-
mitteln sind Reliefs, Karten des verschiedensten Mafsstabes, darunter
viele in Manuskript, Atlanten, Gemälde, Zeichnungen, Photographien,
statistische Tabellen und Diagramme, Broschüren und Bücher vor-
geführt. Von Naturprodukten sind Mineralsammlungen, Tiere und
Pflanzen, teils in getrocknetem, teils lebendem Zustande zu sehen.
Besonders reichhaltig ist die Völkerkunde bedacht. Denn man kann
nicht nur bekleidete Modellfiguren, Volkstrachten und ethnologische
Sammlungen in Augenschein nehmen, sondern was weit belehrender
und amüsanter ist, man hat auch zahlreiche lebende Vertreter aus-
wärtiger Völkerrassen vor Augen. Da giebt es Japaner, Chinesen,
Indier, Perser, Anamiten, Tonkinesen, Javaner, Neukaledonier, Ägypter,
Berber, Mauren, nordafrikanische Araber und Juden, Neger vom
Senegal, vom Gabun und Congo, Mulatten von den französischen
Antillen und aus Brasilien u. a. Ein wahres lebendes Völker-
museum, in dem keine der Hauptrassen mit Ausnahme der Eskimo,
der Buschmänner und der Dravida vermifst wird. Und sie treten
einem nicht nur in leiblicher Gestall \md oii^m^Aftt Kleidung ent-
— 251 —
gegen, sondern wohnen teilweise auch in ihren charakteristischen
Hütten, Zelten oder Häusern, betreiben da ihre heimischen Ge-
werbe und Hantierungen und sind von ihren eigenen Geräten, Waffen
u. a. umgeben. Aber wo dies nicht unmittelbar der Fall ist,
kann man doch an andern Stellen die Leistungen fremder Völker
in Gewerbe und Industrie vielfach mit Mufse betrachten. Mit einem
Worte, für das Studium der modernen Völker- und Kulturkunde ist
in Paris ein Material geboten, das zwar nicht allumfassend genannt
werden kann, aber doch so vieles und so vielseitiges bietet, wie es
sich sobald, und dem Zentraleuropäer so bequem erreichbar, nicht
wieder bieten dürfte.
Wie schon mehrfach angedeutet, ist das von den beteiligten
Ländern beobachtete Verfahren ein sehr verschiedenes. Einige, wie
Grofsbritannien, Rufsland, Portugal, Italien, Österreich-Ungarn, Bel-
gien und Rumänien haben die geographischen Darstellungs- und Lock-
mittel in sehr geringem Umfange angewendet; andre, wie Griechenland,
Dänemark, Norwegen, die Vereinigten Staaten und Serbien haben etwas
mehr gethan und wieder andre endlich haben sich darin entschieden
Mühe gegeben. Von europäischen Ländern gehören dahin die kleineren
Gebiete, wie Luxemburg, Finnland, San Marino und Monaco, denen
es offenbar darauf ankam, Aufmerksamkeit zu erregen und sich
bekannt zu machen. Luxemburg hat besonders zahlreiche Karten,
meist in sehr grofsem Mafsstabe, physikalischen, geologischen und
wirtschaftlichen Charakters dargeboten ; Finnland hat durch mannig-
fache Karten und zahlreiche Photographien das Land mit seinen
eigenartigen Naturverhältnissen und landschaftlichen Schönheiten,
das Volk nach Typus und Tracht erläutert, San Marino hat durch
grofse Ölgemälde die Lage seines Hauptortes veranschaulicht und
Monaco sich durch eine prachtvolle Sammlung von Photographien
und lebenden Pflanzen der Mittelmeerflora bemerklich gemacht. Die
amerikanischen Republiken spanischer Zunge sind mit Ausnahme
Costarica» vollzählig in Paris erschienen, das sie ja doch als ihr
Kulturvorbild betrachten. Ihre Leistungen sind verschiedenartig ;
einige, wie Kolumbia und Peru, haben sich nicht sehr angestrengt;
andre haben wenigstens versucht, ein Bild von ihrem Land und
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu geben; wieder andre
haben in stattlichen Gebäuden umfangreiche Sammlungen der ver-
schiedensten Art vereinigt. Bei fast allen aber tritt das Streben
hervor, die Besucher mit ihrem Lande bekannt zu machen und seine
Vorzüge in das beste Licht zu setzen. Die Palme gebührt -^^^Jci.
MeidkO; fast gleichwertig erscheinen AigeTitm\^xi xxxvÖl C\ä&. ^^si^sö.
— 252 —
diese drei tritt Brasilien ganz entschieden zurück. Von den asia-
tischen selbständigen Ländern verdient vor allem Japan genannt zu
werden, das sowohl durch seine rein geographischen Anschauungs-
mittel und Produkte, als auch besonders durch die geradezu glänzende
Beschickung mit kunstgewerblichen Artikeln, als Bronzen, Porzellan- *
Sachen, Stickereien und Lackarbeiten ungeteilten Beifall, für manches
unbedingte Bewunderung erntet. Lehrreich und anziehend ist auch
der neuerdings am Trocadero angelegte japanische Garten des Herrn
Casavara. Im Vergleich zu Japan spielen Persien und Siam eine
bescheidene Rolle, immerhin aber sind die Möbel und Hauseinrichtungs-
gegenstände aus Siam der Beachtung wert.
Von den selbständigen afrikanischen Ländern hat Ägypten
stofflich das meiste dargeboten; vor allem durch die rekonstruierte
Strafse aus Kairo mit ihren eingeborenen Insassen und den bekannten
Eseltreibern und Tänzerinnen. Den Schulgeographen konnten die
Proben der von ägyptischen Schülern hergestellten Karten inter-
essieren. Neben Ägypten wäre noch Marokko mit gewerblichen
Artikeln, als Teppichen, Waffen, Sattlerarbeiten und Porzellan, aufser-
dem der Transvaalstaat besonders mit Mineralien und ethnologischen
Gegenständen der eingeborenen Bevölkerung zu bemerken.
Der fünfte Erdteil hatte bezüglich selbständiger Staaten nur
Hawaii aufzuweisen, das durch Reliefs, Karten und Bilder die
eminente vulkanische Thätigkeit seiner Inseln, durch Produkte und
Handfertigkeitsartikel die Leistungsfähigkeit seines Bodens und seiner
Bewohner darthut.
Wie die einzelnen europäischen auswärtigen Staaten, so sind
auch die auswärtigen Besitzungen der europäischen Kolonialmächte
in verschiedenem Grade für die Belehrung der Besucher thätig ge-
wesen. Am wenigsten haben sich die spanischen und britischen
Besitzungen angestrengt. Erstere haben sich fast nur auf den Tabak
beschränkt, von letzteren aber haben nur die australischen Kolonien
gesondert ausgestellt. Das australische Festland hat z. B. neben
zahlreichen Mineralien, Bodenprodukten und Karten eine herrliche
Gruppe von Farren herstellen lassen, die durch die reizvolle Ge-
staltung ihrer Wedel einen ebenso seltenen wie entzückenden An-
blick gewähren. Die physikalischen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse von Neuseeland werden durch eine stattliche Reihe sorgfältig
ausgeführter Karten, der Typus und die Lebensweise der Maori
durch Modellgruppen und Bilder erläutert. Portugal und die Nieder-
lande haben zwar nicht viel Raum für ihre überseeischen Länder
in Anspruch genommen, aber beide, zwmal Holland^ erzielen durch
— 253 —
ein^ gefällige Anordnung von Naturprodukten und ethnographischen
Gegenständen eine gute Wirkung.
Die weitaus gröfste Anstrengung unter allen vertretenen
Kolonialmächten hat natürlich Frankreich gemacht, offenbar mit der
Absicht, für seine Kolonialpolitik Stimmung im eigenen Lande zu
machen. Zunächst nimmt die französische Kolonialausstellung, mit
allem was drum und dran hängt, einen sehr umfangreichen Raum
ein, nämlich fast die volle (östliche) Hälfte der Esplanade des
Invalides. Zugleich hat man sich Mühe gegeben, durch Errichtung
eigenartiger Gebäude, meist im Stile der betreffenden Kolonien und
Anlage von einheimischen Dörfern und Zeltgruppen, gleich von aufsen
einen exotischen Eindruck hervorzurufen. Dafs diese Baulichkeiten
auch von den betreffenden Eingeborenen bewohnt sind, ist schon ge-
sagt; wo dies aber nicht der Fall ist, hat man wenigstens durch
Aufstellung von Wachtposten der bunt zusammengewürfelten Kolonial-
truppe den allgemeinen Charakter der Fremdartigkeit zu wahren
gesucht. Prächtige Gestalten in teilweise malerischer Tracht sind
da zu sehen; besonders Algerien und Tunesien hat treffliche Ver-
treter gesandt.
Mustern wir ein wenig die so färben- und formenreiche Kolonial-
abteilung^ so treffen wir gleich links vom östlichen Eingang der
Esplanade ein marokkanisches Zeltlager; weiterhin folgen Kabylen-
häuser, ein Congodorf aus sorgfältig gebauten Hütten von Pflanzen-
stoffen, eine Senegalniederlassung mit Häusern halb aus Lehm und
halb aus Pflanzenstoffen, fernerhin einige neukaledonische Hütten
mit den betreffenden Insassen und mancherlei Idolen, dann eine
anamitische Hausgruppe mit zahlreichen Handwerken und endlich
ein javanisches Dorf mit den bekannten Tänzerinnen und Musikern.
Vor und zwischen diesen Anlagen, die sich längs der Ostseite der
Esplanade hinziehen, sind die Gebäude der einzelnen Kolonien und
Koloniegruppen errichtet. Dem Quai d'Orsay zunächst steht der
Pavillon für Algerien, von dessen drei Departements jeder einen
besonders abgeteilten Raum einnimmt. Die Ausstellung selbst ist
halb geographisch, halb gewerblich. Dann folgt Tunesien mit einem
sehr hübschen Pavillon und daran sich anschliefsenden Verkaufs-
räumen. Ihnen benachbart sind Madagaskar und das farbenprächtige
Gebäude für Anam und Tonking mit zahlreichen eigenartigen Indu-
strieleistungen. Daran stöfst, von kleinen Baulichkeiten abgesehen,
der Kolonialpalast, der, die kleineren Kolonien umschliefsend, vorzugs-
weise mit Naturprodukten und ethnologischen Sammlungen ^efülli
ist; doch kommen auch solche Sachen voi, öaö Ä^x^xi^^^i^ö'CKcws^ ^vsS.
Qeogr, Blätter. Bremen, 1880. V^
— 254 —
das Marsfeld oder auf den Quai d'Orsay gehört hätten. An den
Kolonialpalast schliefst sich erst ein weiteres Gebäude für Kambod-
scha und Kochinchina und daran die Nachahmung eines Teils der
grofsen Tempelruine von Angkor, ein seltsames Bauwerk, dessen In-
neres eine kleine ethnologische Sammlung birgt. Hinter der Pagode
von Angkor liegt ein kleines Gebäude für Guadeloupe und Martinique
und weiter rückwärts ein solches für Guiana. In eine kritisch ab-
wägende Einzelbeurteilung der in diesen Baulichkeiten zusammen-
getragenen zahllosen Gegenstände können wir hier nicht eintreten;
nur das eine mag gesagt sein, dafs es, zumal im Kolonialpalast,
etwas an Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit fehlt. Der Gegen-
stände sind gar zu viele und unter ihnen sind manche, die entweder
in die Einzelpavillons der betreffenden Kolonien oder in die Industrie-
oder Ackerbauräume hätten verwiesen werden sollen. Weniger wäre
hier also mehr gewesen.
Dem Ende der Übersicht über den geographischen Teil der
Pariser Ausstellung nahe gekommen, möchte ich nicht schUefsen,
ohne als zur dritten Kategorie gehörend noch zweier Veranstaltungen
zu gedenken, die mit unserm Fache in Beziehung stehen. Die eine
ist die Reihe von Baulichkeiten, welche der Architekt Ch, Garnier,
der Erbauer der Grofsen Oper, auf dem Marsfeld nahe dem Seine-
ufer errichtet und als ,jGeschichte der menschlichen Wohnungen^ be-
zeichnet hat. Diese Reihe von einigen 40 Anlagen, die in der
Richtung von Ost nach West angeordnet sind, hat in der Pariser
Presse mancherlei Einwendungen hervorgerufen, gegen die sich
Garnier verteidigt teils durch die Versicherung, dafs er sich bei
der Konstruktion und Rekonstruktion der besten Quellen bedient
habe, teils mit Hinweis auf die Mangelhaftigkeit der ihm zur Ver-
fügung gestellten Geldmittel. Damit giebt er indirekt zu, dafs die
Sache nicht so gut ausgefallen ist, wie es hätte geschehen können
und ich mufs gestehen, dafs ich bei aller Anerkennung der eigen-
artigen Schwierigkeiten keinen günstigen Eindruck davon bekommen
habe. Zunächst stört der unverkennbare Eindruck der Neuheit;
dann stehen die einzelnen Baulichkeiten meist so dicht neben einander,
dafs sie kaum individuell hervortreten, sondern eher wie eine Strafse
aussehen. Der Umstand endlich, dafs in den meisten der Gebäude
Verkäufer sich eingerichtet haben, deren Typus und Beschäftigung,
von einzelnen Fällen abgesehen, mit dem Charakter der betreffenden
Zeiten und Völker nicht übereinstimmen, trägt auch dazu bei, die
Wirkung zu beeinträchtigen.
Ch. Garnier teilt seine „Geschichte der Wohnung" in zwei
— 255 —
Hauptabschnitte : den vorgeschichtlichen und den geschichtlichen.
Ersterer zerfällt wieder in zwei doppelt gegliederte Abteilungen —
Abris naturels en plein air, dans les grottes — habitations construites
sur l'eau, sur terre. Der geschichtliche Hauptabschnitt hat zunächst
drei Unterteile : primitive, arische und üiodern-primitive Zivilisationen.
Zu den primitiven rechnet Garnier die Ägypter, die Assyrier, die
Phönikier, die Hebräer, die Pelasger und die Etrusker. Als Vertreter
der arischen Kultur führt er zunächst die Hindu, die Perser, die
Germanen, die Gallier, die Griechen und Römer mit gewissen zeit-
lichen Beschränkungen — meist bis zum Beginn des Mittelalters —
vor und schliefst Baulichkeiten der Hunnen, der Galloromanen, der
Skandinavier, der Slaven, Russen, Araber und Sudanesen an. Der
modern-primitiven Zivilisation entsprechen altchinesische und alt-
japanesische Wohnungen und solche der Eskimo, Lappen, Indianer,
Azteken, Inkas und der afrikanischen Völker. Auch gegen diese
Einteilung lassen sich schwere Einwendungen erheben. Zunächst
scheint das Einteilungsprinzip falsch zu sein, denn ob geschichtlich
oder vorgeschichtlich, spielt keine Rolle; es kommt bei dem Hause
nicht auf das Alter, sondern auf die Form an. Daher hätte man
nicht historische Gesichtspunkte, sondern konstruktive anwenden
und die verschiedenen Grundformen nach ihrer Entwickelung darstellen
müssen. Dann hätte man das bunte Durcheinander, das sich jetzt
darbietet, vermieden.
Die zweite Veranstaltung, die noch erwähnt werden sollte, ist
die Ausstellung der französischen HandelsJcammern, Dieselben haben
in einem an der Seine gelegenen Pavillon durch grofse Reliefs,
Karten, Pläne, Bilder u. a. eine sehr gelungene Darstellung der
Kanalhäfen gegeben, die zunächst wohl für Seeleute berechnet, auch
dem Geographen gute Dienste leistet, indem sie ihm von den be-
kannten Hafenplätzen des Kanals: Boulogne, Calais, Dünkirchen,
Dieppe, le Havre und Ronen eine eindrucksvolle Anschauung gewährt,
förderlich auch für den, der jene Orte selbst gesehen hat.
Soweit über die Ausstellung selbst ! Aber damit sind die Dar-
bietungen von unmittelbar oder mittelbar geographischem Interesse
noch nicht sämtlich aufgeführt, sondern ich mufs noch dreier Kon-
gresse gedenken, welche ihre Entstehung der Ausstellung verdanken.
Nach der zeitlichen Reihenfolge genannt sind es der „Congres colonial
international" vom 30. Juli bis zum 3. August, der „Congres inter-
national des sciences geographiques" vom 5. bis 10. August und
der „Congrös international de l'intervention des pouvoirs publics
dwH rEmigration et l'Immigration" vom 12. bis 15. August.
^ 256 —
Der geographische Kongrefs, wie wir ihn kurz nennen wollen,
war von der Geographischen Gesellschaft in Paris durch in alle
Welt gesandte Einladungen berufen und unter Leitung der Herren
Graf von Bizemont und Ch. Gauthiot vorbereitet worden. Die
Sitzungen, welche jeden Tag in dem eigenen Hause der Geographischen
Gesellschaft stattfanden, zerfielen in allgemeine und Gruppensitzungen.
Man hatte sieben Gruppen unterschieden, deren Namen und Beschäf-
tigungen unten mitgeteilt werden sollen. Die Teilnahme an dem
Kongresse war eine umfangreiche und bedeutungsvolle. Denn dem
Organisationskomitee hatte sich nicht nur eine grofse Zahl hervor-
ragender Vertreter der Geographie und ihrer Hilfswissenschaften aus
Frankreich zur Verfügung gestellt, insonderheit auch aus den geogra-
phischen Abteilungen der beteiligten Ministerien, sondern auch aus dem
Auslande war eine stattliche Zahl von Abgeordneten von Gesellschaften
und Staaten wie von Privatgelehrten erschienen, so dafs der Kongrefs
in der That dem Namen eines internationalen entsprach. Offiziell
vertreten waren nach meinen vielleicht nicht vollständigen Beob-
achtungen von Europa die Länder Grofsbritannien, Rufsland, Belgien,
die Niederlande, die Schweiz, Spanien, Portugal, Oesterreich-Ungarn,
Italien, Dänemark und Schweden, von Amerika Mexiko, Brasilien,
Argentinien, Nicaragua und Paraguay, aufserdem Ägypten und Japan.
Das Organisationskomitee hatte dafür gesorgt, dafs es den all-
gemeinen und Gruppenvereinigungen an Stoff und Beschäftigung
nicht fehle. Für erstere waren die Tagesordnungen, für die
Nachmittage, mit den zu behandelnden Gegenständen von vornherein
festgestellt. Was die Gruppen anbelangt, so waren, mit einer Aus-
nahme, für jede derselben eine Reihe von Fragen formuliert worden
und zwar in so bedeutender Zahl, dafs dieselben nicht bewältigt
werden konnten, zumal zu dem ursprünglichen Programm nach und
nach viele Gegenstände beigefügt worden waren. Die Verhandlungen
selbst wurden ausschliefslich in französischer Sprache geführt.
Besprechen wir zuerst den Inhalt der allgemeinen Versamm-
lungen, soweit er wissenschaftlicher Natur ist. Die erste derselben
bildete die feierliche Eröffnung, bei welcher der Ehrenpräsident, Herr
von Lesseps, die Aufgaben des Kongresses wie der einzelnen Gruppen
kurz bezeichnete und die Teilnehmer willkommen hiefs. Am 6. August
besuchte man die Ausstellung, am 7. August wurden die Veränderungen
des Oxusbettes und die Frage der unterirdischen Höhlen behandelt,
am 8. August Mitteilungen über F. Nansens Grönlandsreise und
Lumholtz australische Reise gemacht; am 9. August J. Boreliis
Beriebt über seine Reise im Lande der Galla und M. von Dechys
— 257 —
Darstellung des zentralen Teiles des Kaukasus entgegengenommen;
am 10. August Höhneis Vortrag über seine Reise nach dem Kili-
mandscharo und Crampels Beschreibung über seine Reise im Innern
des Ogowegebiets angehört. Den Schlufs bildeten eine vom Grafen
von Bizemont vorgetragene Übersicht über die Arbeiten des Kon-
gresses und die Abscljiedsrede des Präsidenten Daubree.
Die Sitzungen der sieben Gruppen fanden in gesonderten Räumen
jeden Vormittag nach 9 Uhr statt. Die erste Gruppe, mathematische
Geographie (Geodaesie, Topographie, Hydrographie und Kartographie),
behandelte teils in Vorträgen, teils in Diskussionen und kürzeren
Bemerkungen eine grofse Reihe von Gegenständen, die ich nur kurz
erwähne. Es waren die Methoden der Breitenbestimmung, die
Herstellung der Generalstabskarten und die Wichtigkeit photo-
graphischer Aufnahmen, die Frage des Nivellements in Gebirgs-
ländern, die Bestimmung des mittleren Meeresniveaus, die Methoden
zur Bestimmung der Anziehungskraft der Erde und seismische
Beobachtungen, die Tiefseeforschung, meteorologische Beobachtungen
an Bord von Schiffen und Tondinis Vorschlag, den Meridian von
Jerusalem als allgemeinen Anfangsmeridian anzunehmen.
Die zweite Gruppe, physische Geographie (allgemeine Geographie,
Pflanzen- und Tiergeographie, Meteorologie, Klimatologie und
medizinische Geographie) behandelte folgende Gegenstände : Pestepide-
mien, geologische Beschaffenheit der Vogesen und der Alpen, seismolo-
gische Arbeiten in Japan, neue Theorie von der Entstehung der
Kontinente, Niveau- und Klimaschwankungeu an der westafrikanischen
Küste, Erosion und Denudation der Gebirge, Beziehungen zwischen
Bodenfeuchtigkeit und Versumpfung in Soukh-el-Arba.
Die dritte Gruppe (wirtschaftliche und statistische Geo-
graphie) erörterte die Auswanderung nach den Plataländem, besonders
nach Argentinien, die Frage der Fremden in Frankreich, die Beein-
flussung der Wanderungen seitens der Regierungen, die Angelegenheit
der Entwaldung und Wiederbewaldung, die Binnenschiffahrt und das
Kanalwesen in Frankreich, die Saharaeisenbahn und die Stellung
der wirtschaftUchen Geographie überhaupt.
Die vierte Gruppe, welche sich mit geschichtlichen Fragen
zu befassen hatte, empfing Mitteilungen über zahkeiche einzelne
Gegenstände; ich hebe daraus hervor die Ethnographie und Geo-
graphie des Golfes von Gabes, die kartographischen Arbeiten der
Jesuiten in China, die Beziehungen der alten Ägypter zu den
sogenannten Kuschiten, die Reisen der G^\itüÖL^x Ta^tvö \^a.öö. ^^ssos.
— 258 —
Norden, die geographischen Mafse der Alten, die Beziehungen der
Chinesen zu den Völkern des klassischen Altertums und diejenigen
der älteren Mittelmeervölker zu den Nordeuropäern. Endlich sprach
die Gruppe den Wunsch aus, dafs jedes Land ein biographisches
Lexikon seiner Forschungsreisenden herstellen lassen möge.
Die fünfte Gruppe, für Schulgeographie, behandelte den für die
verschiedenen Unterrichtsstufen in Betracht kommenden Lehrstoff,
die Lehrmittel und Lehrmethode, die Frage der Einführung der
Ethnographie in den höheren Unterricht, die Beziehungen zwischen
allgemeiner Erdkunde und spezieller Länderkunde und sprach u. a.
den Wunsch aus, dafs die Geographie an den höheren Unterrichts-
anstalten durch einen besonderen Fachmann vertreten sein solle;
man strebt also auch in Frankreich die Trennung der bisher ver-
einigten Fächer Geschichte und Geographie an.
Der sechsten Gruppe für Beisen und Erforschungen wurden
vorzugsweise Berichte über neue Beisen, Entdeckungen und Beob-
achtungen dargeboten, so über die Tuareg, über den Flufs
Paramanema in Brasilien, die Monumente in Samarkand, über die
Verkehrswege in den portugiesischen Kolonien, Anthropophagen-
stämme in Brasilien und eine neue französische Mission im oberen
Laosgebiete. Aufserdem sprach man sich über die Benennung bei
neuen Entdeckungen und die beste Methode zur Sammlung von
Kartenmaterial aus.
Die siebente Gruppe endlich für Anthropologie, Völker- und
Sprachenkunde hörte Mitteilungen über die Bewohner der Insel
Rote (Sundainseln), Hamy und de la Croixs Reise zu den Bewohnern
des südlichen Tunesien, Rabots Vortrag über die Finnen und Lappen,
Grodekoffs Werk über die Kirgisen u. a.
Der internationale Kolonialkongre/s, dessen wir noch eben ge-
denken wollen, war auf Veranlassung des Handelsministers veranstaltet,
aber von den beteiligten Kolonialmächten nur unvolkommen beschickt
worden ; England z. B. war gar nicht vertreten. Auch hier zerfielen
die Sitzungen in allgemeine und solche der (fünf) Gruppen oder
Sektionen.
Die allgemeinen Versammlungen wurden durch eine längere
Rede des Präsidenten Barbey eröffuet, der sich über die Geschichte
des europäischen Kolonialwesens in sehr guter Weise verbreitet«.
In den übrigen Versammlungen kamen drei Hauptsachen zur Sprache,
nämlich der Einflufs der europäischen Bildung auf die Eingeborenen,
d/e Strafkolonisation und die Reorganisation des französischen
_ 259 —
Kolonialwesens. Letzterer Gegenstand führte zu lebhaften Ausein-
andersetzungen, die schliefslich der Vorsitzende mit dem Hinweise
abschnitt, dafs der Kongrefs ein internationaler sei und sich nicht
auf intern französische Sachen beziehen dürfe.
In den fünf SeMione^i wurde mancherlei behandelt, aber nichts
in gründlicher und abschliefsender Weise. Die erste Sektion:
Population et Produits des Colonies, nahm Mitteilungen über die
Eingeborenen einiger französischer Kolonien (Algerien, Guiana, Ogowe,
Südseevölker) entgegen, erörterte die Frage des Unterrichts der
Eingeborenen und beschäftigte sich vorübergehend mit der Akklimati-
sation. In der zweiten Sektion: Kolonisation, kamen die Regelung
des Grundbesitzes, die Strafkolonisation und die afrikanische Ein-
wanderung zur Frage. Die dritte Sektion : Organisation des Colonies,
erörterte einige allgemeine Gesichtspunkte (Stellung der Kolonie zum
Mutterlande) und einzelne Reformvorschläge. In der vierten Sektion :
Colonisation francaise, wurde über die Landeskunde und Kolonisations-
fähigkeit einiger Gebiete wie Guiana, Senegambien, Algerien und
Reunion vorgetragen. Die letzte (fünfte) Sektion endlich: Coloni-
sation etrangfere, bot Berichte über die niederländischen und portu-
giesischen Kolonien sowie über den Congofreistaat.
Vergleicht man die beiden einander nahestehenden Kongresse
bezüglich ihrer Leistungen miteinander, so hat der geographische
Kongrefs jedenfalls dem Wesen einer internationalen Vereinigung viel
besser entsprochen als der koloniale. Die Behandlung der einzelnen
Gegenstände auf dem ersteren war durchaus ruhig, sachgemäfs und
mitunter auch gründlich, auf dem zweiten vielfach erregt und meist
oberflächlich. Die Franzosen geben das selbst zu. Ich las z. B.
eine Äufserung Henri Magers, des Verfassers des Atlas Colonial, der
den Kolonialkongrefs sehr scharf ins Gebet nimmt und seine
Leistungen als wertlos bezeichnet. Er betont die Notwendigkeit,
demnächst einen Congres colonial national zu berufen, auf dem die
schwebenden Reformfragen gründlich und schonungslos besprochen
werden müfsten.
— 260 —
Die dänische Expedition nach Ostgrönland 1883—85.
Von H. Rink.
Einleitung. Reisebericht. Allgemeine Geographie des Landes. Geologische Verhältnisse.
Glaciale Bildungen. Meteorologische und magnetische Beobachtungen. Wasserstands-
messungen. Meeresströme. Ethnographie : Körpermessungen, Lebensunterhalt, soziale
Verhältnisse , Kunstsinn. Religiöse Begriffe. Geisterbeschwörung. Statistik der Be-
wohner Ostgrönlands. Dialekt und Sagen.
Nachdem die Bearbeitung der Ergebnisse dieser Expedition
vollendet, finden sich in den jüngst erschienenen Bänden ES und X
(nebst Illustrationsband) der „Meddelser om Grönland'' alle die-
selbe betreffenden Berichte und Mitteilungen vereinigt. Indem ich,
dem Wunsche der Redaktion dieser Zeitschrift gemäfs, einen Auszug
aus diesen umfangreichen Bänden zu geben suche, schicke ich die
Bemerkung voraus, dafs verschiedenes vom Inhalte derselben den
Lesern der „Deutschen geographischen Blätter" teils in einer Anzeige,
Bd. X, Heft 2, teils in den Bänden VIII und IX mitgeteilt wurde und
deshalb hier übergangen werden konnte. Es ist dies namentlich mit
dem ersten Abschnitte „Om Osterbygden", von Steenstrup, der Fall;
selbiger war damals aus einem Sonderabdrucke bekannt, jetzt er-
scheint er, um Karten in 7 Tafeln bereichert. Auch aus dem nächsten
Abschnitte, dem eigentlichen Reiseberichte, wurde früher schon
mehreres mitgeteilt. Man wird sich erinnern, dafs Holm mit Garde,
Knutsen und Eberlin 1883 in Westgrönland ankamen, noch in dem-
selben Sommer nach Ostgrönland gingen, ein Depot niederlegten und
darauf in Nanortalik auf der Westküste überwinterten. Im Frühjahr
1884 wurde die eigentliche Reise mit 4 Böten angetreten, und später
teilte die Gesellschaft sich, indem Garde und Eberlin nach Nanortalik
zurückkehrten, wogegen Holm und Knutsen Angmagsalik erreichten
und dort bei den heidnischen Grönländern überwinterten. Im Sommer
188B kehrten letztere zurück, während Garde und Eberlin mit neuem
Vorrat versehen ihnen entgegenreisten und auf der Mitte des Weges
begegneten.
Reisebericht. Als Vorgesetzter der grönländischen Besatzung
und zugleich als Steuerer wurde der Katechet Johannes Hansen,
auch Hanserak genannt, angenommen. Er ist ein Sohnestochters-
sohn des dänischen Gründers der Kolonie Julianehaab, konnte aber
als Halbgrönländer doch kein Dänisch reden. Er besafs die guten
Eigenschaften eines Grönländers vereinigt mit einem hohen Grade
von Willenskraft. Obgleich verheiratet und Vater von vielen Kindern,
beschlofs er doch, auf IV2 Jahr nach der Ostküste zu gehen und
dort die Heiden etwas vom Christentxmi \iöi^iv v\ lassen»
— 261 —
Die Reisegesellschaft bestand aus: 4 Steurem, 20 Ruderinnen,
7 Kajakmännern, 2 Dolmetschen und Gehilfen (Hendrik und Johan
Petersen, Halbgrönländer, aber europäisch erzogen) und den 4 euro-
päischen Reisenden. Die Abreise erfolgte am B. Mai, doch wurde
die Expedition schon im Ikek-Sund, der um die Südspitze nach der
Ostküste führt, für den Rest des Monats durch Eis aufgehalten.
An den hier während des langsamen Vorrückens benutzten Zelt-
plätzen fand man eine steinerne Lanzenspitze, drei Stückchen Bronze
mit feinen Ornamenten, ähnlich denen vom Jüngern Eisenzeitalter,
und grofse ovale Glasperlen, die wahrscheinlich auch altnordischen,
nicht holländischen Ursprungs sind.
Nachdem man Anoritok passiert, traf man viele, ebenfalls
reisende Eingeborene; diese gesellten sich zur Expedition, so dafs
das ganze Gefolge am 6. Juli etwa aus 9 Böten und 20 Eajaken,
mit im ganzen 119 Personen bestand. Am 18. Juli wurde das eine
Boot verabschiedet und nach Nanortalik zurückgesandt, und als man
am 28. Tingmiarmiut erreicht hatte, traten Garde und Eberlin mit
einem Boote und zwei Kajaken dem Plane gemäfs ebenfalls die
Rückreise an. Die Hauptexpedition bestand nun aus Holm, Knutsen,
Johan Petersen, Johannes Hansen, dem Kajakmanne Samuel und
6 Ruderinnen in 2 Böten. Sie waren für 1 Jahr proviantiert und
die Rationen so festgestellt : ^/s Pfd. Schiffsbrot oder ^U Pfd. Fleisch-
zwieback täglich, ^/s Kanne (1 Kanne = ungefähr 2 Liter) Erbsen,
Graupen oder Reis jeden zweiten Tag, 1 Lot Kaffee und VU Lot
(Europäer 2^/3) Zucker täglich für die Person. Dazu kam 1 Pfd.
Butter wöchentlich für jeden der Europäer. Wenn wir hier hinzu-
fügen, dafs diese Rationen später noch verringert wurden, wird der
Leser vielleicht die Zulänglichkeit einer solchen Ernährung für
kräftige Menschen bei anstrengenden Leistungen in einem kalten
lüima in Zweifel ziehen. Es ist jedoch zu bemerken, dafs die
Expedition darauf rechnete, teils durch eigenen Erwerb, teils durch
Kauf von den Einwohnern, sich Nahrungsmittel, und zwar fette
animalische verschaffen zu können, und wir werden sehen, dafs
dieses auch nach Wunsch glückte. Wenn man aber bedenkt, dafs
der Fang ungewifs ist, dafs ab und zu Hungersnot unter den Ein-
wohnern herrscht, so bleibt ja immerhin eine Reise in Fellböten
nach so fernen öden und unbekannten Gegenden auch schon aus
diesem Grunde ein gewagtes Unternehmen. Ein Verzeichnis der
Ladung, welche die Reisenden in den zwei Böten mit sich führten,
dürfte von einigem Interesse sein; sie bestand aus; 7Qft ^^^.
Schiffsbrot, 600 Ptd. FJeischzwieback, n5)E.^.xfli^xiG^tw.^«v^,\^^^^^^^^
Sfii.
— 262 —
Erbsen, 20 Kannen Reis, 125 Pfd. Kaffee, 230 Pfd. Zucker,
320 Pfd. Pemmikan (gedörrtes Fleisch), 160 Pfd. Fleisch (hermetisch
verschlossen), 150 Pfd. Butter, 10 Dosen Melange d'equipage,
7 Dosen trockner Zwiebeln, 40 Pfd. trockner Äpfel, 20 Pfd. trockner
Kartoffeln, 30 Pfd. Chokolade, 50 Dosen konzentrierter Suppe, 9 Kruken
Liebigs Fleischextrakt, 5 Pfd. Thee, 50 Flakons Kaffeeessenz, 12
Flaschen Zitronensaft, 12 Flaschen Portwein, 5 Kannen Salz, 25 Pfd.
Seife, 60 Pfd. Licht, 5 Kannen Essig, 16 Kannen Spiritus, 26 Kannen
Spirituosen, 70 Pfd. Tabak, 60 Pfd. Pulver, 200 Pfd. Blei, 75 Pfd.
Schrot.
Als Kolli für diese Waren dienten 28 Kisten, 20 wasserdichte
Säcke und 17 Fustagen oder Halbanker. Ferner wurden mitgeführt:
12 Kisten mit Waren zum Tausch, Instrumenten, Büchern, Chemi-
kalien, Kleidern u. a. ; endlich kamen hinzu Zelte, Schlafsäcke,
Stiefelsäcke, Kochgeschirr. Das Ganze betrug 100 gröfsere und
viele kleinere Kolli, nach Gewicht 6500 Pfd.
Am 20. August wurde die Dannebrogs-Insel erreicht. Hier
war es, wo Graah nach ausgestandener grofser Mühe und Beschwerde
endlich umkehren mufste.*) Die schlimmste Strecke des ganzen
Weges längs der jetzt bekannten Küste fängt hier in der That erst
an. Es ist schon früher beschrieben worden, wie unsre Reisenden
diese gefährliche Stelle, den Ikersuak-Sund passierten. Alles Ungemach
fand sich hier vereinigt : steile Küste mit Gletscherwänden und ohne
Landungsplatz, Eisberge und Kalbeis von der Landseite, Grofseis
und dennoch Seegang von der Meeresseite, endlich heftiger Nord-
wind mit Schneegestöber, während man wegen des Wellenschlages
den Kompafs nicht benutzen konnte. Kein Wunder war es, dafs,
als endlich das Gebiet von Angmagsalik durch Anwendung der
letzten Kräfte der Ruderinnen erreicht war, der übrige Teil der
ReisCj die noch über einen Monat fortgesetzt wurde, ihnen nur zum
Vergnügen veranstaltet zu sein schien. Hier erreichte man denn
auch den Wohnplatz Tasiusarsuk kitdlek, wo ganz in der Nähe des
Grönländerhauses die Ruine eines ähnlichen Hauses als äufserst
dienlich für die Erbauung der Winterwohnung ausersehen wurde.
Sie bildete gleichsam ein Loch in der Erde, welches mit Leichtigkeit
vollständig ausgegraben werden konnte. Mit Rasen und Steinen,
nebst Treibholz, welches hier reichlich vorhanden, wurde dann das
Gebäude bald vollendet.
*) Vergl Deutsche geographische Blattei "Band \1, S.. 215,
— 263 —
Wir übergehen den Ausflug in diesem Jahre noch, nach Erik des
Roten Insel, dem äufsersten Ziel der Expedition, womit eine Rund-
reise in den Fjorden und nach den zerstreuten Wohnplätzen ver-
bunden war. Überall wurde man aufs freudigste empfangen. Am
30. September kamen sie nach Tasiusarsuk zurück, und am
9. Oktober wurde die letzte Bootfahrt ausgeführt, nämlich nach
dem verlassenen Hause auf der Insel Nunakitit, um Brennholz zu
sammeln. Daselbst hatte im Winter 1881/82 Hungersnot geherrscht,
der mehrere Menschen zum Opfer fielen. Man fand Leichen teils
im, teils aufsen vor dem Hause.
Im Laufe des Winters war der Nordostwind der vorherrschende
und heftigste. Die längste Zeit, in der das Treibeis des Meeres
zusammengefroren ruhig liegen blieb, war im ersten Monat, nämlich
Februar, währenddessen das Wetter sich klar und still bei — 10
bis — 26 ^ C. hielt. Am 27. Februar verschwand es, kam aber
später wieder und hielt sich dann am Lande, bis Ende Juni ein
Nordwestföhn es von der Küste entfernte.
Die obenerwähnte Hoffnung, durch grönländische Produkte die
etwaigen Mängel der Proviantierung ersetzen zu können, ging auf
eine glänzende Weise in Erfüllung. Für den Wintervorrat konnten
eingekauft werden: 13 Säcke Seehundspeck, 12 Bündel getrocknetes
Fleisch (jedes von einem ganzen Seehunde) und 12 unaufgeschnittene
Seehunde, aufser mehrerem, das erst später geliefert wurde. Dann
aber fing der eigene Kajakmann der Expedition, Samuel, im Laufe
des Winters 40 Seehunde, so dafs sogar die Einwohner des Ortes
sich gelegentlich Mahlzeiten bei ihm holten, wenn ihr Fang mifslang.
Dennoch mufs man sich über den aufserordentlichen Verbrauch, den
das kalte Klima erfordert, wundern ; denn zu den Lampen allein können
kaum die 13 Säcke Speck verbraucht worden sein, das übrige,
nebst den vielen Seehunden und dabei die reglementsmäfsige Ration,
mufs alles zur Nahrung gedient haben!
Dafs hauptsächlich die ethnographischen und anthropologischen
Arbeiten die Zeit der Reisenden den Winter über vollständig in
Anspruch nehmen konnten, wird aus den jetzt veröffentlichten
Ergebnissen derselben einleuchten. Zu ihrem grofsen Bedauern
konnte die Expedition aus der Fahrt mit Hundeschlitten keinen
Nutzen ziehen wegen der unter den Hunden ausgebrochenen Seuche.
Am 5. Mai wurde freilich eine Schlittenfahrt versucht, sie mifslang
aber vollständig, die Reisenden wurden nur mit Not vor dem Ein-
sinken durchs mürbe Eis gerettet. Am 9. Juni brachen sie auf
und verliefsen ihr Winterquartier. Sie 'h.^Aieiv «vdö. ^'^XaK. «sS. ^^
— 264 —
Benutzung des einen Bootes beschränkt; dafs sie in diesem ihre
sämtlichen Bedürfnisse nebst den grofsen Sammlungen mit sich
führen konnten, bleibt bewundernswert. Nur mit grofser Mühe
arbeiteten sie sich zwischen dem Treibeis vorwärts, bis endlich am
30. Juni ein orkanartiger Föhn das Fahrwasser längs der Küste
reinigte. Am 4. Juli verliefsen sie den südlichsten Wohnort der
Angmagsalikker und eilten nun erwartungsvoll ihrer Hilfsexpedition
entgegen. Wie es dieser inzwischen ergangen war, wollen wir hier
in aller Kürze berichten.
Als Garde und Eberlin das vorige Jahr am 30. Juli von ihren
Gefährten verlassen worden waren, begaben sie sich zunächst in
den Tingmiarmiut-Fjord, unter anderm um eine angebliche Inschrift
zu untersuchen. Das Resultat war aber in letzterer Beziehung eine
vollständige Täuschung. Man trat denn jetzt die Reise längs der
Küste nach Süden an, um unterwegs womöglich Abstecher zur
Untersuchung der Fjorde zu machen. Das erste wurde, trotz der
gewöhnlichen Hindernisse, von den grönländischen Gefährten mit
frohem Mute ausgeführt, das zweite erregte aber jedesmal ihr
offenbares Bedenken. Wenn man aber frühere Erfahrungen in Er-
wägung zieht, nach denen eine Überwinterung auf dieser öden
Küste sich ja als eine nicht weit entfernte Möglichkeit notwendig
ihrer Phantasie vorspiegeln mufste, kann man sich ja denken, dafs
jenachdem die Jahreszeit fortschritt, diese Versuche, in die Fjorde
einzudringen, ihnen zuletzt zum Schrecken wurden, besonders da
das Kalbeis zusammenzufrieren und ihnen den Rückweg abzu-
schneiden drohte. Am 8. August hatten sie schon 2^ Kälte, und
am folgenden Morgen wurden sie durch in der Nacht gebildetes
Dünneis aufgehalten, passierten aber am 10. glücklich den berüch-
tigten Puisortok-Gletscher. Mehr oder weniger hatten sie doch fort-
während das grofse Treibeis nahe um sich her vor Augen gehabt;
es erwartete sie deshalb ein höchst überraschender Anblick, als sie
am 19. Kap Tordenskjold bestiegen. Statt des ununterbrochenen
weifsen Randes, der den Horizont bisher begrenzt hatte, schwebte
jetzt ein grauer Schein über dem Meere. Erst meinte man, es sei
Nebel, bald aber konnte nicht mehr gezweifelt werden — es war
offenes Wasser, von einem frischen Winde gekräuselt. Damit trat
denn aber auch ein Übelstand ein, indem man in den folgenden
Tagen mit Seegang zu kämpfen hatte. Vom 23. bis 27. wurden
die zwei letzten Fjorde, Igutat und Kangerdluluk, besucht; hier
war man so glücklich 3 Seehunde zu fangen, deren fettes Fleisch
un^er dieser Verzögerung den Rudexinneiv em^w TCiächti^en Trost
— 265 —
gewährte. Ihre Geduld sollte aber noch weiter auf die Probe
gestellt werden. Bald merkte man, dafs es mit der guten Jahres-
zeit aus war, auch fand das Grofseis sich wieder ein. Man hatte
jetzt viel mit Sturm und Kälte zu kämpfen, bald wurde man durch
Seegang, bald durch Eis, sowohl Treibeis als frisch gefrorenes, auf-
gehalten, und so konnte man erst am 27. September das ersehnte
Winterquartier, Nanortalik, auf der Westküste erreichen.
Am 18. Mai des folgenden Jahres begab dieselbe Expedition
sich wieder auf den Weg nach der Ostküste. Sie bestand nun
aus 2 Böten und 4 Kajaken, mit 7 Grönländern, 9 Grönländerinnen,
dem Dolmetscher und den beiden Europäern besetzt. Auf eine sehr
erfreuliche Weise fanden sie die Regel bestätigt, dafs der Nordwest-
wind auf der Westküste, nahe der Südspitze des Landes auf der
Ostküste als westlicher Föhn weht. Ein solcher hatte nämlich eben
jetzt das Eis vom Lande getrieben und ihnen eine eisfreie Rinne
gebahnt.
Li fünf Tagen erreichten sie Kekertatsiak, nördlich von Aluk —
eine Reise, die im vorigen Jahre 37 Tage erfordert hatte. Dafs
alles hier vorzugsweise auf Glück beruht, erfuhr man auch wieder
auf Kekertatsiak, wo der Nordwind, Schnee und Eismassen mit sich
führend, die Reisenden zwanzig Tage lang gefangen hielt. Dennoch
kamen sie am 8. Juli in Tingmiarmiut an, nach einer Reise von
Nanortalik aus in 52, statt im vorigen Jahre in 83 Tagen. Als
sie tags darauf in Umanak anlangten, wo sie mit Holm zusammen-
treffen sollten, von diesem aber noch nichts gehört war, begaben
sie sich am 12. auf eine Exkursion in den Ümanak-Fjord, um eine,
nach Aussage der Grönländer dort vorkommende Ruine zu unter-
suchen: ihr Zweifel an dem Werte dieser Aussage zeigte sich ge-
gründet, denn die Ruine beschränkte sich auf einen kreisrunden
Wall, 7 Fufs im Durchmesser und 2 bis 3 Fufs hoch, an und für
sich recht interessant, aber ohne die geringste Andeutung irgend
einer Beziehung zu den alten Skandinaven. Nach ihrer Rückkehr
von diesem Ausfluge war es denn, am 16. Juli, dafs das glückliche
Zusammentreffen mit der Hauptexpedition stattfand, in deren Gesell-
schaft sie die Rückreise antraten und am 15. August den südlich-
sten Handelsplatz auf der Westküste, Pamiagdluk, erreichten.
Zur allgemeinen Geographie des Landes. Der bezügliche Ab-
schnitt ist von Holm und Garde gemeinschaftlich ausgearbeitet. Zu
den beigegebenen, vorzüglich ausgeführten Karten bemerkt ersterer:
Der Ausgangspunkt, das Winterquatier auf Tasiusarsuk, ist nach
12 Breitenbestimmungen berechnet. DieaeWi^ii gctoÄÄXv «vövi V^^'^ "«sä^
— 266 —
12 bis 20 Sonnenhöhen, 10 bis 15 Minuten vor, und ebenso vielen
nach Mittag und gleich vielen Messungen des obern und des untern
Randes. Mit besonderer Sorgfalt hat dabei die Refraktion unter-
sucht und in Berechnung gezogen werden müssen. Die direkt ob-
servierten Längen sind für die nördliche Karte nur benutzt, wenn
keine andre Ortsbestimmungen von Angmagsalik aus durch Breite
und Azimut vorhanden waren. Die südliche Karte ist durch Breite
und Azimut von Aluk aus (dessen Lage Holm 1881 bestimmte)
nach Norden konstruiert. Die Azimute von Norden und Süden
begegnen einander bei Umanak. Im übrigen sind die Karten wie
diejenige von 1881 aufgenommen; dabei ist nur zu bemerken, dafs
bei der Bestimmung der Entfernungen sehr häufig die Methode an-
gewandt ist, welche darin besteht, den Depressionswinkel zum Meeres-
niveau mit einem kleinen Theodolit und Stamphers Nivellierinstrument
zu messen. Garde fügt hinzu, dafs auch er auf der von ihm speziell
übernommenen Strecke die von Holm beschriebene Methode befolgt
hat, nur dafs wohl noch häufiger die Entfernung des Depressions-
winkels von barometrisch und trigonometrisch gemessenen Höhen
aus bestimmt worden ist. Der leider stark variirende Refraktions-
faktor wurde zu ^/lo angesetzt. Ferner wurden nur relative Längen-
bestimmungen, durch genaue Breiten mit Azimuten zu vorher be-
stimmten, deutlichen Berggipfeln angewandt. Als dieselben bei
Umanak durch Zusammenfügung mit den von Holm konstruierten
kontrolliert wurden, stimmten sie ungefähr bis auf eine Bogenminute.
Ihrem allgemeinen Charakter zufolge zerfällt die von der Expe-
dition bereiste Ostküste in fünf Abteilungen: 1) vom Südende bis
Anarkat in 61 ® 15 ', 2) von da bis Ilcermiut in 62 ® 15 ', 3) von
da bis Igdloluarsuk in 63 ® 32 ', 4) von da bis Inigsalik in 65 ® 30 'j
5) von da ostwärts bis ans Ende in 66 ® nördl. Br. — Es unter-
scheiden sich diese Abteilungen von einander in Beziehung auf die
Höhe ihrer Berge und die Lage, durch welche die höchsten der-
selben im stände sind, als Wälle gegen das, vom Innern nach der
Küste hin sich vordrängende Binneneis zu dienen. Die Strecken
1, 3 und 5 zeichnen sich durch tiefere Fjorde aus, deren Inneres
von 6 bis 7000 Fufs hohen Bergen umgeben ist, zwischen denen es
freilich Klüfte oder schmale Thäler giebt, durch welche das Eis sich
ins Meer ergiefsen kann, während sie aber anderseits die Halb-
inseln zwischen den Fjorden vor Eisbedeckung schützen. In den
Abteilungen 2 und 4 dagegen breitet sich das Binneneis in dem
Grade nach aufsen, dafs es fast überall vom Meere aus sichtbar ist,
an zahlreichen /Stelien die Küste bis an den Meeresrand bedeckt
— 267 —
und diese ganz unzugänglich macht. Daneben bestehen noch andre
Umstände, welche das Reisen hier erschweren, nämlich dafs die
äufsere Küste auch aufserdem schon an und für sich steil, und wenig
oder gar nicht durch Inseln geschützt ist. Anders verhält es sich
mit den Abteilungen 1, 3 und 5, wo es vor den Mündungen der
Fjorde Inseln und Landungsplätze giebt, und im Innern derselben
die Berglehnen und Thäler mehr oder weniger mit Vegetation be-
deckt sind. Dieses ist ja denn besonders mit der ersten und süd-
lichsten der Fall. Hier findet sich der, schon auf frühern Reisen
besuchte Kangerdlugsuatsiak oder Lindenow-Fjord , in welchem die
zuerst von Brodbeck beschriebene skandinavische Ruine, die einzige
auf der Ostküste gefundene, sich befindet. Selbige wurde jetzt ge-
nauer untersucht; sie war 28 Fufs lang, 19 Fufs breit, die Mauern
3 Fufs dick. Sehr schöne Partien befinden sich im Innern, beson-
ders im Tiningnertok, mit üppiger Vegetation und von den höchsten
der gemessenen Berge (7150 und 7340 Fufs) umgeben. Grönland
ist hier auch nur schmal, eine Wanderung von 1^/2 bis 2^/2 Meile
(geographische Meilen, 15 auf einen Breitengrad) über eine Höhe von
3000 Fufs soll zu den nächsten Fjorden auf der Westküste führen.
Weiter längs der Küste nach Norden reisend kommt man an
3 kleineren Fjorden vorüber und erreicht die 2640 Fufs hohe Insel
Iluilek*), deren Gipfel eine prachtvolle Aussicht darbietet, teils nach
Aluk im Süden und Kap Tordenskjold im Norden, teils nach dem
Innern, wo ein, von hohem Gebirge umschlossener, wenigstens 6^/2
Meile tiefer Fjord sich öffnet, der jedoch jetzt wegen Kalbeis unzugäng-
lich schien. Man meint, dafs dieses der von Daneil im Jahre 1652
entdeckte Fjord sei : er wurde deshalb nach demselben genannt. Der
nächste Fjord ist Kangerdluluk , 6 Meilen lang. Etwa 2 Meilen
von der Mündung ist er zwischen zwei mächtigen Bergpartien ein-
geengt. Die nördliche bietet eine, in weiter Ferne durch rötliche
Schichten kennbare Felswand dar, deren Fufs mit einer Vegetation
geschmückt war, die alles andre, was man der Art auf der Ost
küste gesehen, übertraf, hier fanden sich auch alte Hausruinen.
Weiter nach innen sah man aber mehr Schnee und Eis und zu
innerst einen mächtigen Gletscher, der sich zwischen 4 bis 6000
Fufs hohen Felsen in den Fjord ergofs. Sämtliche Fjorde in dieser
südlichsten Abteilung und die nächsten in der folgenden zeichnen
sich durch einen merkwürdigen Parallelismus aus ; ihre Richtung ist
*) Yergl. die Beschreibung dieser Insel im erzählenden Teil des Werks
über die zweite deutsche Nordpolarfahrt S. 11^ un^ 1^^«
— 268 —
0. z. S. ^U S. und wird wiederum von den Seitenarmen und Thälem
in S. z. 0. ^k 0. überschnitten.
Das mit steilen Felswänden ins Meer hinausragende Kap Trolle
entspricht durch seinen öden Anblick ganz dem Charakter der fol-
genden Abteilung der Küste, die damit ihren Anfang macht. Das
Binneneis, welches überhaupt wohl nicht weiter als zu 61 ^ nördl. Br.
nach Süden reicht, zeigt sich hier fast bis zur Aufsenküste ver-
breitet. Der Fjord Anoritok, 4 Meilen lang, hat acht grofse Gletscher
und ist sehr mit Kalbeis und Eisbergen angefüllt. Vor 50 Jahren
war hier noch ein stark bewohnter Platz, auch finden sich hin
und wieder grüne Plätze. Dieses ist aber nicht an dem nächsten
Fjord, Napasorsuak, der Fall, in diesem findet sich fast nur
Schnee und Eis. Darauf folgt der oft genannte Puisortokgletscher
und zuletzt der 5 Meilen lange, ebenfalls sehr eisige Mögen Heinesens-
Fjord, mit welchem dann diese unwirtbare Küstenstrecke endigt.
Der Anfang der dritten Abteilung ist durch die fortlaufende
Reihe von Inseln (Skjaergaard) bezeichnet, welche von hier an die
Küste schützen, und hinter welchen gröfsere Fjorde, namentlich die
von Tingmiarmiut und ümanak ins Land einschneiden. So wie es
hier überall bequeme Landungsplätze giebt, trifft man auch hier die
ersten der jetzigen Bewohner der Ostküste. Die Berge des Innern
erheben sich bis zu 6000 Fufs; von der Naturschönheit dieser
Gegenden gilt, was schon oben im allgemeinen gesagt ist. Auf den
Inseln zerstreut trifft man viele Hausruinen. Nördlich von Umanak
liegt hier auch Graahs Winterquartier, „Nukarfik", dessen eigent-
licher Name jedoch Imarsivik ist.
Nördlich vom 1470 Fufs hohen Kap Mösting fängt der vierte
Hauptdistrikt an. Hier liegen einige niedrige Inseln, die mit dem
dazu gehörenden festen Lande zusammen Igdloluarsuk genannt
werden. Es ist dieses die nördlichste von den südlichen Ostländern
bewohnte Strecke. Hier soll es eine gute Bärenjagd geben, und
man sagt, dafs noch die Reste einer alten Bärenfalle vorgefunden
werden. Mit demselben nimmt das Land wieder den beschriebenen
öden Charakter an: grofse Binneneisgletscher reichen bis zum
Meere hinaus, darunter besonders die sogenannte Kolberger Heide,
aber auch mehrere andre in der Umgebung der Fjorde Umivik und
Pikiutdlek. Hier trifft man auch mehrere vormalige Wohnplätze,
die von den nördlichen Ostländern zum Überwintern benutzt worden
sind, wenn sie von Handelsreisen nach Süden zurückkehrend durch
die kalte Jahreszeit überrascht wurden. Recht bezeichnend ist es
äaSür, dafs diese Häuser aus Stein allein, ohne Rasen aufgeführt
— 269 —
worden sind, da nämlich der Boden gefroren war und sie statt der
Erde eine äufsere Mauer von Schnee zur Dichtung haben anwenden
müssen. EndUch erreichen wir Graahs äuTsersten Punkt, die Danne-
brogs-Insel; auf derselben befinden sich Zeltplätze, die in ähnlicher
Weise benutzt worden sind, nämlich um den günstigen Zeitpunkt
für die Fahrt über den Ikersuak-Eisfjord abzuwarten, denn dieser
bildet die letzte und gefährlichste Schranke, die man zu überschreiten
hat, um zu den hochgepriesenen Wohnsitzen der Angmagsaliker
zu gelangen.
Beim Eintritt in den fünften Hauptdistrikt sehen wir wieder
das Binneneis sich verlieren; nur an einer einzelnen Stelle ist es
noch zur äufseren Küste vorgeschoben, aber dann doch durch eine
Endmoräne vom Meere getrennt. Vor der Küste liegen Inseln von
abgerundeten Formen und verhältnismäfsig gut mit Vegetation
bedeckt. Diese Gegend heifst Inigsalik und wird häufig von den
Angmagsalikern des guten Fanges wegen besucht. Der grofse Eis-
Qord Sermilik geht NO. z. 0.^/4 0. 15 Meilen ins Land hinein. Er
teilt sich in zwei Arme, beide mit kalbenden Binneneisgletschern.
Er ist stets so mit Eisbergen und Kalbeis gefüllt, dafs noch niemand
das Innerste erreicht hat. Holm kam da bis 66® 68' nördl. Br., hat
aber vom Angmagsalik-Fjord aus in 66® 8' nördl. Br. und 1890 Fufs
Höhe den Depressionswinkel zum Innern gemessen. Um Sermilik
herum wohnten im Winter 1884 — 85 auf vier Plätzen 174 Menschen.
Der Sund Ikerasarsuak führt von da nach dem Angmagsalik-Fjord;
dieser geht erst 4 Meilen NNO., dann 5 Meilen NNW. ins Land
hinein, in zwei Arme sich verzweigend, die beide nicht weit von
Sermilik endigen. Das Innerste, Kingorsuak, ist von einer wilden
Gebirgslandschaft mit mehreren Höhen von 6000 Fufs umgeben, hat
recht üppige Vegetation und ist in malerischer Schönheit das beste,
was Holm auf der Reise gesehen hat. Im Winter 1884—85 fanden
sich 225 Menschen auf 7 Wohnplätzen um diesen Fjord herum
verteilt; aufserdem gab es 40 verlassene Wohnplätze. Mehrere
Sunde, darunter der von 2 — 3000 Fufs hohen Seitenwänden ein-
geschlossene Ikerasak, führen zum dritten und letzten Fjord
Sermiligak. Hier war nur ein bewohnter Platz mit 14 Menschen.
An der äufseren Ostseite des Fjords liegen 2000 Fufs hohe, steile
Inseln ohne alle Vegetation. Holm hat die beiden gröfsten Erik
des Roten und Leifs-Insel genannt und auf denselben Warten gebaut,
in welchen Berichte niedergelegt wurden von der Besitznahme des
Landes im Namen des Königs von Dänemark und von dft«Ä<K«w ^^-
nennung nach König Christian dem IX.
Geogr. Blätter. Bremen, 1889. ^^
Obgleich die Reise dei Expedition hier endigte, ist doch eine
Karte von der nächsten Küste, 66^ — ßSVe^ nördl. Br., hinzugefügt.
Aufser den Messungen, die man hierzu noch aus der Entfernung hat
anstellen können, ist diese Karte nach den Berichten der Eingeborenen
entworfen, indem zugleich das Material der deutschen Hansa-Expe-
dition und des dänischen Kriegsschiffes „Ingolf" benutzt wurde.
Zwei Berge sind sowohl von Holm als vom „Ingolf" aus gemessen,
nämlich „Ingolfs Fjeld" und der 2290 Fufs hohe Berg auf Leifs
Insel. Die Eingeborenen haben ihre Berichte durch Karten erläutert,
welche auch wiedergegeben sind, nämlich von Kunak eine und von
Kutuluk eine im Herbst und eine neue vier Monate später. Die Ent-
fernungen sind nach Tagereisen so wie durch Vergleich mit Ent-
fernungen zwischen bekannten Punkten auf der Ostküste bestimmt.
Die so beschriebene Küste hat grofse Fjorde mit davor gelagerten
bedeutenden Inseln. Nur ein gefährlicher Eisfjord, Ikersuak, ist zu
passieren bis zum Kangerdlugsuak, der die nördliche Grenze bildet.
Die früheren Bewohner dieser jetzt unbewohnten Küste lebten mehr
von Narwalen und Bären als von Seehunden, da jene das ganze
Jahr hindurch zu haben waren. Es wird erzählt, dafs eines noch
lebenden Mannes Vater einmal bis Kangerdlugsuak gereist sei; er
fand hier ein verlassenes Haus und frische Schlittenspuren nach
Norden hin. Er legte sich im Hause schlafen, wurde aber plötzlich
durch einen Messerstich geweckt und reiste sogleich eiligst von
dannen, ohne Menschen gesehen zu haben. Der Fjord Nigertusok
soll so starken Nordostwind haben, dafs Steine von einem Kubikfufs
Gröfse durch den Wind fortgeführt worden sind. Die letzten dortigen
Bewohner froren zu Tode, da das Dach von ihrem Hause abgeweht
wurde. Es scheint jedoch, als ob diese Berichte etwas vom Charakter
der Sagenerzählung und der in solchen hervortretenden Neigung zum
Übertreiben angenommen haben. Der kleine Fjord Tugtulik hat
seinen Namen nach dem Vorkommen der Rentiere, die früher
hier häufig gewesen sind. Es soll hier Lachse von fabelhafter Gröfse
geben; auch von einer Bärenfalle, die dem Sagenhelden Kasagsik
zugeschrieben wird, ist hier die Rede.
In 66® 50' nördl. Br. ist ein wenigstens 8 Meilen langer Fjord,
Kialinek, dessen Mündung mit der „Schreckensbucht" der Hansa-
männer zusammenzufallen scheint. Das Vorgebirge Sivinganek
auf der Nordseite würde dann das Kap Hegemann sein. Hier ist
besonders der Narwalfang sehr ergiebig, um dessentwillen auch
hauptsächlich auf der Halbinsel Itivsalik überwintert worden ist.
Sieben Tagereisen von Sermiligak liegt dielti^d k^M^K^.^^ ^<^ ä3ä Sonne
— 271 —
im Sommer nicht untergeht, also wahrscheinlich im 68^ nördl. Br.
Dieser ist der letzte von den Angmagsalikern besuchte Ort ; nördlich
von demselben kommt der breite Kangerdlugsuak-Fjord, der viele
grofse Eisberge aussendet. Weiter nach Norden ist das Land völlig
unbekannt.
Die geologischen Verhältnisse im dänischen Ostgrmland bieten
bei ihrer grofsen Gleichförmigkeit nur weniges von besonderem
Interesse dar, wenn wir die glazialen Bildungen ausnehmen, welche
deshalb im folgenden für sich besonders erwähnt werden sollen.
Die Schwierigkeiten, mit denen die Expedition zu kämpfen hatte,
um ihre Hauptaufgabe zn lösen, liefsen auch nur wenig Zeit und
Ruhe zur Verfolgung geologischer Zwecke übrig. Es war daher sehr
vorteilhaft, dafs aufser Knutsen auch Eberlin an dieser Arbeit teil-
nehmen konnte, weshalb auch der südliche Teil am vollständigsten
behandelt werden konnte. Sie haben jeder für sich ihren Bericht
abgegeben.
Knutsen bemerkt, dafs durchgehends Gneis, Granit und Granit-
breccie, dazu im Süden noch Syenit die gewöhnlichen Gebirgsarten
sind und dafs Diabas und Diorit eben so allgemein als Gänge auf-
treten. Er unterscheidet 3 Teile der bereisten Küste: 1) von Aluk
bis Iluilek, 2) Iluilek bis Umanak, 3) Umanak bis Sermiligak. Die
Grenze zwischen Gneis und Granit ist schwer zu bestimmen; im
Südlichen dürfte man vielleicht annehmen, dafs zu unterst Granit
liegt, dann Gneisbreccie, Gneis und oben Syenit folgt. Von Süden
an gewahrt man: Granit mit Granaten, gestreiften Granit, Gneis
über Granit in 6 bis 800 Fufs Höhe, über letzterem wiederum
Syenit; dann folgen Berge ausschliefslich aus Syenit bestehend bis
über Aluk hinaus. Die Syenitberge zeichnen sich durch senkrechte
Seiten und stark verwitterte Spitzen aus. Weiter nach Norden ver-
schwindet der Syenit. Der Gneis ist sehr gekrollt und verschoben.
Streichen und Fall sind schwer anzugeben, Fragmente von Gneis-
breccie findet man im Granit. Zur Abwechselung kommen braune
Diabasgänge in grofser Menge vor. Ein merkwürdiges Verhältnis
besteht zwischen der Fjord- und Thalrichtung und den mit eruptivem
Gestein gefüllten Spalten. Die Diaklase scheinen mit den Syenit-
ausbrüchen übereinstimmend zu sein. Man findet auch Gänge von
Pegmatit und feinkörnigem Granit im Gneis. Was die zweite Ab-
teilung, von Duilek bis Umanak betrifft, so wird auf Eberlins Bericht
hingewiesen. In der dritten und letzten Hauptpartie treffen wir horn-
blendereichen Gneis mit 4 " mächtigen, prismatiadv cj^^Kt xe^s^SiS^^'s^
Gi^stemgängen. Weiter nordwärts txiSt m^xi ^\^ ^%Tv%^\^^xÄiw5^
— 272 —
gewöimlichen Gebirgsarten. Der Granit ist häaüg voller Brachstücke,
der Gneis sehr gebrochen und gefaltet, auch in feinkörnigen,
quarzreichen Homblendeschiefer übergehend. In den Dioritgängen
kommt Kupfererz vor. Zuletzt, um Sermiligak herum, sieht man
Gneis tmd sehr zerquetsche Gneisbreccie in schwebenden Schichten,
dabei Diabas- und Pegmatitgänge, letztere besonders mächtig.
Eberlin umfafst in seinem Bericht die Südspitze Grönlands bis
60^ 45' auf der West- und 63® 15' auf der Ostküste und hat für
diese ganze Strecke die Karte mit geologischen Signaturen versehen.
Er glaubt auf diesem Gebiet eine nördliche imd eine südliche
Granitzone und dazwischen eine Gneiszone als quer durchs Land
gehend beobachtet zu haben. Der nördliche Granit ist feinkörnig,
hat häufig Hornblende, mitunter Titanit, und zeigte auf einei? Stelle
Avanturinfeldspat. Der Übergang zum Gneis ist ganz eben, der
Gneis ist grau, mit Hornblende und Magneteisen, an einigen Stellen
Dichroit. Der südliche Granit ist reich an Granaten und grobkörnig.
AuTser diesen Zonen, die ineinander übergehen, fanden sich noch
schärfer abgesonderte Partien von Granit und Syenit, die eruptiver
Natur sein müssen. Besonders hervortretend ist der Syenit im
Lindenow-Fjord, wo derselbe den 4000 FuTs hohen Gneis durchdringt
und über demselben bis zu 7300 Fufs Höhe reichende Kuppen bildet.
Gewöhnliche Granitgänge, bis zu 150 Fufs mächtig, sind sehr zahl-
reich; man findet in denselben Granat, Orthit, Andalusit, Turmalin,
Arsenkins, Titanit, Yttrotitanit, Magneteisen, Beryll, Zirkow und
Polymignit. Diabas- und Dioritgänge sind die mächtigsten und
sehr regelmäfsig. Wo sie mit Granitgängen zusammentreffen, über-
schneiden sie dieselben.
Glixciale Bildungen, Diese und besonders das Binneneis tmd
die Eisfjorde sind von den Reisenden an verschiedenen Stellen in
ihren Berichten erwähnt. Sie haben sich, jeder für sich, der Haupt-
sache nach folgendermafsen darüber ausgesprochen:
Holm bemerkt, dafs es auf der Ostküste bis 66 ^ nördl. Br.
im ganzen 4, vielleicht 5 Eisfjorde giebt, welche gröfsere Eisberge
produzieren, nämlich Sermilik, Ikersuak, Pikiutdlek, Igdloluarsuk
und möglicherweise Anoritok. Die Gletscher überhaupt aber, die
ins Meer tauchen, und von denen manche Kalbeis oder kleinere
Eisberge abgeben, sind so häufig, dafs es unmöglich wäre, auch nur
annähernd ihre Zahl anzugeben. Zu den wenigst produktiven tmter
diesen gehören aber die von Graah hervorgehobenen: Puisortok,
Colberger Heide und Puisoitut (K.ag,^ox\,oV^^ d\ft nur wegen ihrer
Lage den Eeisenden gefährlich smA.
— 273 —
Knutsen hat beobachtet, dafs die vom Binneneise entfernteren
Gegenden sich durch alpine, scharfe, auf Verwitterung deutende
Bergformen und grofse Anhäufungen von Schutt oder Geröll aus-
zeichnen. Näher dem Binneneise deuten aber glatte und gescheuerte
Oberflächen darauf hin, dafs das Eis sie früher bedeckte, sich jetzt
aber zurückgezogen hat. Was die Eisfjorde betrifft, so führt er an,
dafs es nach Aussage der Eingeborenen im ganzen 4 bis 5 Fjorde
giebt, welche Eisberge aussenden, nämlich Sermilik, Ikersuak,
Pikiutdlek, Igdloluarsuk und vielleicht einen südlichen. Selbst
hatte die Expedition nur Gelegenheit einige der Eisberge abgebenden
Gletscher in diesen Fjorden von der Ferne aus zu sehen.
Garde hat Gelegenheit gehabt, den Puisortokgletscher, welchen
doch auch er zu den unbedeutendem rechnet, genauer zu beobachten,
und war dabei auch so glücklich, eine gröfsere Kalbung zu sehen.
Dieser Gletscherarm ist 16 500 Fufs breit und hat eine Neigung
von 12 ^. Nach dem äufsern Rande zu urteilen, kann seine Mächtigkeit
kaum mehr als 100 bis 200 Fufs betragen. Die stärkste Bewegung
war kaum 2 Fufs in 24 Stunden, wobei jedoch bemerkt wird, dafs
die Bewegung dieser Gletscher überhaupt gewifs nicht gleichmäfsig,
sondern stofsweise vor sich geht und deshalb, um sicherer bestimmt
werden zu können, ohne Zweifel mehrere Wochen lange Beobachtung
erfordern würde. Anderswo in Grönland gemachte Erfahrungen
deuten auf dasselbe. Die Kalbung wurde in V* Meile Entfernung
gesehen. Von der ganzen Breite löste etwa ^/e sich ab und stürzte
herabgleitend ins Meer. Das gröfste unter den zahllosen Stücken,
in die es zerfiel, zeigte eine Höhe von 35 Fufs über dem Wasser
und als gröfste Länge 150 Fufs. Die EisQorde betreffend schreibt
Garde etwas abweichend, dafs allein im Süden von 63 ® 7 ' nördl. Br.
60 bis 70 gröfsere, wenigstens V4 Meile breite, und 100 kleinere
münden. Gegen die Hälfte derselben stehen mit dem Binneneise in
Verbindung und geben Eisberge, wenn auch nur von mittlerer Höhe.
Geht man bis zu 66 ^ nördl. Br., so hat man 6 Eisfjorde erster
Klasse: Sermilik, Ikersuak, Pikiutdlek, Igdloluarsuk, Tingmiarmiut
und Anoritok. Die meisten Eisberge der Ostküste treiben auf den
Grund und werden aufgelöst, ehe sie um Kap Farwell kommen
können.
Eberlin fügt in seinem geologischen Berichte hinzu, dafs der
allersüdlichste Teil Grönlands, etwa bis zu 60 ^ 45 ' nördl. Br., nie
vom Binneneise bedeckt gewesen ist. Längs der übrigen Küste ist
es früher überall weiter nach dem Meere hin ausgebreitet gewesen.
So gut wie keine Spur einer postglacialen H^bxxxv^ \&\. ^xfi. ^^^ ^^~
— 274 —
küste bemerkt. Es giebt keinen Grund anzunehmen, dafs das Eis
überhaupt seit dem Bestehen der alten Kolonien zugenommen hat.
Das Treibeis, das Grofseis, sowie Eisberge, Alles trägt, im Gegensatz
zu dem, was von andern behauptet worden ist, dazu bei, Lehm, Schutt
und Steine zu transportieren.
Meteorologische Beobachtungen in Nanortalik und Ängmagsalik
verglicJien mit denen von andern Stationen (von V. W. Jantzen, Unter-
direktor des meteorologischen Instituts). Diese Beobachtungen hatten
besonderes Interesse durch Vergleich mit denen von Stykkisholm
auf Island. Man wufste nach vieljähriger Erfahrung hier, dafs
Winddrehungen von Ost nach Süd und West mit häufigen Stürmen
auf Barometerminima deuteten, welche die Dänemarkstrafse hinauf-
wanderten, aber nicht in Westgrönland bemerkbar waren, dafs also
dieser Sund einen Abzugskanal für diese Störungen bildete. Man
hat jetzt Beobachtungen von Nanortalik in den zwei Wintern 1883
bis 1885, und von Ängmagsalik für Oktober 1884 bis Mai 1885.
Es hat sich dabei gezeigt, dafs Nanortalik nahe bei der Bahn jener
wandernden Minima liegt. Im Winter 1883 — 84 gab es in 6 Monaten
66 Sturmtage. In beiden Wintern, also zusammen in 12 Monaten
wehten 80 «/o aller Winde aus NO., N., NW. und W. Nach dem
bekannten Verhältnisse der Windrichtung zum Barometerminimum
mufsten also die atmosphärischen Störungen Osten um Nanortalik
gehen und häufig Sturm verursachen.
Nach den Beobachtungen von Oktober bis Mai in Ängmagsalik
variirte das Thermometer in den 8 Monaten zwischen +9 ** und
-7-25 ® C. Die strengste Kälte herrschte anfangs und Ende Februar
(-rl5 — r25). In der Temperatur der verschiedenen Winde war
nur wenig Unterschied ; die stärksten waren 2 ® — 3 ® wärmer als die
schwachen. Das Barometer bewegte sich zwischen 779 und 707 mm,
oft mit plötzlichen Veränderungen, ganz wie bei Nanortalik. Die
Winde aus NO. und 0. waren die häufigsten, 57 ^/o von allen. Die
8 Monate hatten 56 Sturmtage.
Wenn wir nun den Vergleich mit Stykkisholm anstellen und
den Monat Februar 1885 als scheinbar abnorm ausschliefsen, so
haben in den 7 Monaten 45 von 64 Minima, oder 70 ^/o der auf
dem Atlantischen Meere im Süden von Grönland entstehenden
Minima den Weg zwischen Island und Grönland genommen, dagegen
nur 19 südlich von Island nach Osten.
Grönland bildet demnach eine Art Mauer zwischen Ost und
West, welche die atmosphärischen Störungen in der Regel nicht
überschreiten. ' Föhn wurde in Ängmagsalik aiv 21 Tagen beobachtet.
— 275 —
überwiegend aus N. und NO. (hier über Gebirge kommend), oft bis
zu Sturm steigend, höchste Temperatur +5 ®, relative Feuchtigkeit
der Luft 58 ^/o. Es wird selbstf olglich dabei vorausgesetzt, dafs
dieser Föhn durch Abbiegung des in der Dänemarkstrafse wehenden
Ost- oder Südostwindes entsteht.
Magmtische Beobachtungen sind bei Nanortalik von Garde aus-
geführt worden. Von den vorläufigen Ergebnissen bei der Berechnung
derselben dürfte hier folgendes hervorzuheben sein.
Die magnetischen Konstanten waren am 1. Januar 1885: De-
klination 48® 0.'5 westlich; die Horizontalintensität 0.117 (C. G. S.)}
die Deklination 78« 0'.
Die Deklination nimmt jetzt mit 14 ' jährlich ab. Der normale
tägliche Gang derselben zeigt eine periodische Schwingung mit zwei
gleich grofsen westlichen Minima, 6 Uhr morgens und 6 ühr nach-
mittags, und ein Hauptmaximum 12 ühr mittags. Die tägliche
normale Amplitude ist in den Wintermonaten 5^/2'. Die Pertur-
bationen sind am häufigsten und gröfsten in den Zeiten von 12 mittags
bis 5 nachmittags, und 7 nachmittags bis 1 morgens. Der tägliche
normale Gang der Horizontalintensität zeigt ein Maximum um 6 ühr
nachmittags. Die Perturbationen sind durchgehends negativ des
Nachts, mit Maxima in Zahl und Gröfse um 4 bis 6 ühr morgens,
und positiv des Tages mit Maximum 2 bis 6 ühr nachmittags.
Das Nordlicht ist bei Nanortalik von Garde, und bei Ang-
magsahk von Holm beobachtet worden.
Bei Nanortalik wurde bemerkt, dafs starke Unruhe des Erd-
magnetismus und schnell wechselnde Nordlichter gerne mit einander
wechselten, weshalb oft zwei Beobachter erforderlich waren.
In den 6 Monaten November-April 1883 — 84 war die Zahl
der ganz bedeckten Nächte 60, und der Nächte mit Nordlicht 105.
Im Winter 1884 — 85 waren diese Zahlen 58 und 104. In den ein-
zelnen Monaten wechselt die Zahl der Nordlichtnächte von 14 bis 24.
In beiden Wintern erschienen die Nordlichter überwiegend am nörd-
lichen Himmel, jedoch häufig auch auf dem übrigen, Nanortalik
scheint demnach südlich von der Zone zu liegen, in welcher Nord-
lichter in allen Richtungen gleich häufig sind. Besonders interessant
sind die Messungen der absoluten Höhe des Nordlichts, die Garde
1885 mittels zweier grofser TheodoHte anstellte, welche er für diesen
Zweck im Jahre 1884 erhalten hatte. Nur einigermafsen ruhige
Nordlichter von bestimmter Form eignet^iv ^\c\\ ^ ÖÄfc^<b ^^st^s?^^^.
— 276 —
Am 10. Februar zwischen T'^ 57™ und S'^ 33*" wechselte die Höhe
wie folgt:
Kilometer: 7—15—5—8—2.
Am 11. Februar zwischen 6^ 52*" und 7^ 27™ ebenso:
Kilometer: 2—5—4—3—5—6—7—8—13—8.
Holm hat in Angmagsalik die Nordlichter nach der von Wey-
precht vorgeschlagenen Methode beobachtet und tabellarisch dar-
gestellt. Ihrer Form nach werden sie dabei klassifiziert als I. un-
bestimmter Lichtschein, II. Lichtwolke, lll. Bogen, IV. Bänder,
V. Draperie (Teppich oder Vorhang), VI. Krone, VII. Rauchsäule,
VIII. Strahlenbündel. — In den 7 Monaten Oktober bis April war die
Zahl der Nächte mit beobachtetem Nordlicht 90, der Stunden mit
demselben 366, der ganz bedeckten Nächte 46, der Nordlichte 586. —
Die letzteren sind so verteilt: I. 106, H. 57, HI. 126, IV. 33, V. 127,
VI. 21, VII. 20, Vin. 96, im ganzen 586. Unter den Monaten war der
Februar der an Nordlicht reichste. Eine Tabelle giebt die Lage,
Richtung des mittelsten oder höchsten Punktes und die AmpUtude
der deutlich bestimmbaren Bogen, Bänder und Draperien an. Es
zeigt sich, dafs die Richtung des mittelsten Punktes SO. z. S. und
SSO. war, während die Amplitude zwischen 126 ® und 162 ® varürte.
In Angmagsalik fehlten die notwendigen Mittel zur Messung
der absoluten Höhe. Doch bemerkt Holm rücksichtlich derselben:
Wir haben mehrmals Wolken hinter dem Nordlichte bemerkt. Zu
wiederholten Malen haben wir Draperien und Bänder vom südlichen
Horizont aufkommen und scheinbar nahe über unsern Köpfen mit
grofser Schnelligkeit passieren gesehen, so dafs sie darauf ihre andre,
der ersten entgegengesetzte Seite uns zukehrten. Der allgemeine
Eindruck und besonders die grofse Schnelligkeit deutet darauf hin,
dafs das Nordlicht nicht weit von der Erdoberfläche entfernt
sein kann.
Wasserstand-Messungen sind ebenfalls bei Nanortalik, sowie bei
Angmagsalik vorgenommen. Die Ergebnisse derselben sollen in einer
andern Schrift veröffentlicht werden, nur einige kurze Bemerkungen
werden vorläufig mitgeteilt. Bei Nanortalik wurden zwei Reihen von
Beobachtungen, jede ein halbes Jahr umfassend, angestellt. Nach
der letzten sind folgende Gröfsen berechnet: Gewöhnliche Hafenzeit
Qd 5 h 57*°; durchschnittliche Zwischenzeit von der Kulmination des
Mondes bis zum Hochwasser 0*^ 5^ 37™; Verzögerung der Springflut
1 ^ 12 ^ 13™ ; Unterschied zwischen höchstem und niedrigstem Wasser-
stand: bei Springäut 2.50 m, bei Nippftxit 1.10 vol\ gröfste halb-
— 277 —
monatliche Abweichung in der Zeit (Durchschnittswert) 0^ 47™;
mittlerer Wasserstand 1.50 m.
Als Beitrag zur Erforschung der Meeresströnie düi'fte hier
vielleicht eingeschaltet werden, dafs nach Holms Bericht in den
letzten Jahren folgende Gegenstände bei Angmagsalik auf dem Meere
treibend oder gestrandet gefunden sind : eine gequetschte Schaluppe,
ein paar Bootshaken und einige grofse Ruder, das Stück eines
Schiffswracks, eine Flasche mit öligem Inhalt, zwei Fischerkugeln
aus grünem Glase, eine Kokusnufs, die noch ganz und mit Kern
versehen w^ar, ein Bambustock mit einem Tau, der Körper eines
Moschusochsen, von dem noch etwas Fleisch efsbar gefunden wurde,
endlich ein totes Rentier. Häufig kommen Seehundekörper vor, deren
Speck und Fell abgezogen sind und in denen man Kugeln findet.
Botanische Untersuchungen, Zwei Pflanzensammlungen sind von
der Expedition mitgebracht und an Professor J. Lange abgeliefert,
der dieselben näher untersucht hat. Die eine, durch Eberlin zu-
sammengebrachte, enthielt 130, die andre, von Knutsen, 36 Arten, jene
in BOO, diese in 88 Exemplaren. Beide waren sehr wohl erhalten
und mit Angabe der Standorte und deren Höhe über dem Meere
versehen. Die Untersuchung derselben ergab 6 Abarten als neu für
Grönland, 18 Arten und Abarten als zum ersten Mal von der Ost-
küste gebracht. Obgleich die meisten Pflanzen auf der Westküste
in weit bedeutenderen Höhen gefunden sind, als auf der Ostküste,
hat Eberlin doch 11 Arten höher auf der Ostküste gefunden, und
für 17 Arten überhaupt zum ersten Mal in Grönland die Höhen
angegeben.
Was die ganze Ostküste Grönlands im allgemeinen betrifft, so
beruht ja unsre Kenntnis derselben auf den Sammlungen: Vahls von
60** — 62® nördl. Br., der deutschen Expedition 1869 — 70 im äufsersten
Norden, Nordenskjölds von einem einzelnen Punkte in 65® 35 ' nördl. Br.,
tmd endlich der jetzt hier in Rede stehenden. Obgleich dieses ganze
Material zu spärlich ist, um einen entscheidenden Vergleich zwischen
der Ost- und Westküste darauf zu gründen, dürfte doch ein solcher
Vergleich in einzelnen Punkten schon jetzt von Interesse sein. Es hat
sich dabei unter anderm gezeigt, dafs nur folgende 7 Arten allein im
Osten und nicht im Westen gefunden sind, darunter die ntit * be-
zeichneten 5 Arten nur im äufsersten Norden: Ranunculus glacialis,
* Saxifraga hieracifolia, * S. hirculus, * Arabis peträa, * Draba altaica,
*Polemonium humile, Campanula groenlandica.
Dagegen giebt es eine grofse Anzahl Arten, die auf der West-
küste weit verbreitet und sehr aWgemeiTv, ^^x ^\>i "^Ä-t ^"^Cj^ä^^
— 278 —
doch teils noch nicht gefunden worden, teils sehr selten sind, uiid
einige,, auf der Westküste sehr artenreiche Geschlechter sind auf
der Ostküste nur durch wenige Arten vertreten (die niedern
Kryptogamen sind hier gar nicht mit inbegriffen).
Ethnographie. Der Band X der Meddelser umfafst in sechs
Abschnitten (358 Seiten) die sämtlichen Forschungen der Expedition,
die Einwohner betreffend, Abbildungen folgen dazu in einem Supple-
mentbande. Der wichtigste Abschnitt ist der zweite, der den be-
scheidenen Namen einer „ethnologischen Skizze" trägt, er ist von
Holm ausgearbeitet, indem dieser zugleich ausdrücklich die bedeu-
tende Hilfe hervorhebt, welche er dabei von Knutsen und Petersen
gehabt hat. Schon im Band IX Heft 3 dieser Zeitschrift ist aus den
ethnographischen Beobachtungen mehreres mitgeteilt; wir ergänzen
hier nun jene früheren Auszüge durch weitere Mitteilungen.
Der erste Abschnitt ist der anthropologische, Holm und Garde
haben eine Reihe von Messungen an etwa 100 Individuen angestellt ;
Knutsen hat eine grofse Sammlung schöner Photographien geUefert,
während Eberlin hauptsächhch die Einsammlung der Kranien und
Skeletteile besorgt hat. Das ganze Material ist nach der Rückkehr
dem Anthropologen Dr. Sören Hansen überliefert, welcher dasselbe
bearbeitet hat. Die Bevölkerung der Ostküste bestand aus 245
männlichen und 303 weiblichen Individuen. Dieser Unterschied der
Geschlechter entstammt mehr einer Rasseneigenheit, als den Lebens-
bedingungen, er stimmt auch mit den älteren Berichten über die
noch ungemischte Bevölkerung der Westküste. Die durchschnittUche
Körperlänge war im Norden 1647 mm für Männer, 1551 mm für
Frauen, im Süden ebenso, 1604 und 1529. Die Arme sind kräftiger
entwickelt als die Beine. Der Breitenindex des Kopfes ist an 136
Lebenden und 15 Kranien untersucht, jene zeigten durchschnittlich
76,4 (mesaticephal), diese 72,1 (dolichocephal). Die auf der deut-
schen Nordpolexpedition gesammelten Kranien gaben 73,3. Das
Endergebnis ist demnach: Mesaticephalie mit Tendenz zur Dolicho-
cephalie. Die untere Hälfte des Gesichts ist breit (Index facialis
inferior 85,4), das ganze Gesicht eigentlich mehr elliptisch als oval.
Der Raumgehalt des Kraniums ist zwischen 1655 und 1165,
durchschnittlich 1446 cbcm. Die Hautfarbe des Gesichts ist
gelbbraun, die des Körpers hell olivenfarben. Bei der Geburt zeigt
sich ein in den ersten Lebensjahren sich verlierender blauschwarzer
Flecken über dem Rücken. Bei den Japanern soll ähnliches vor-
kommen ; allein danach darf man doch nicht auf asiatische Herkunft
schhefsen. Ah Hauptresultat stellt sich heraus, dafs die Ost-
— 279 —
grönländer einen reinen Eskimostamm bilden, ohne fremdes Blut,
und kräftiger entwickelt als die Westgrönländer und die meisten
andern östlichen Eskimostämme. Auch Dr. Pansch hat schon aus
den Kranien geschlossen, dafs hier keine normannische Beimischung
zu spüren sei.
Als Einleitung zur ethnologischen Skizze dienen einige Bemer-
kungen über die natürlichen Bedingungen für den Lebensmiterhalt
Das Klima ist im ganzen milder als an der Westküste. Von efs-
baren Pflanzen giebt es aufser 4 Seegrasarten noch 10 andre
Pflanzen, von denen teils die Beeren, teils die Wurzeln, Stengel
oder Blätter gegessen werden. Die Seehunde sind dieselben wie an
der Westküste, nur das Phoca barbata und vitulina an der Ostküste
etwas häufiger sind; dieses ist auch mit dem Narwal der Fall,
welcher die Fjorde im Frühjahr besucht. Die Bären finden sich
mit dem Grofseise ein, von Vögeln und Fischen giebt es verhältnis-
mäfsig nur wenige. Es wurden früher öfters Reisen nach Norden
gemacht, um Bären und Narwale zu jagen ; im Jahre 1882 begaben
sich 30 Menschen in 2 Böten dahin, kehrten aber nicht zurück,
man fürchtete, dafs sie Hungers gestorben sind. Ein drittes Boot
kam zurück, weil der Fang im Sommer nur schlecht gewesen.
Was Kleidung und Schmuck betrifft, so sind die Frauen fast
alle tättowiert, nämlich mit kurzen Strichen bei den Augenbraunen
und ein wenig unterhalb der Nasenwurzel, so wie auch ein paar
kurzen Strichen am Kinn. Die Hauptkleidung der Männer ist ein
langer Seehundsfellpelz, mit der Haarseite nach innen (Anorak),
darüber im Kajak oder bei Regen ein Darmpelz. Im Kajak und
auf Reisen tragen sie ordentliche Beinkleider, auf dem Wohnplatze
aber statt deren die sogenannten Natit, welche eigentlich nur die
Geschlechtsteile bedecken. Kajakpelz und Halbpelz sind gewöhnlich
schön gestickt. Im Sommer tragen sie elegante Mützen aus Fuchs-
pelz mit hinten herabhängendem Schwänze; reich ornamentierte
Augenschirme dienen als Schneebrillen. Die Frauen gebrauchen
Natit wie die Männer, jedoch auch andre Beinkleider, die aber so
kurz sind, dafs sie nicht einmal die Oberschenkel bedecken, weshalb
diese nötigenfalls mit Fell umwickelt werden. Die Amulette tragen
sie nicht, wie die Männer, in Brustriemen, sondern im Haarwulst
oder am Pelze. Perlen wurden früher aus äufserst kleinen Fisch-
wirbeln und aus Zähnen verfertigt.
Die Küperarbeit der Ostgrönländer ist vorzüglich und zugleich
originell, indem die Dauben nicht durch Reifen, sondern durch
schräge eingefügte Holznägel zusammengehalteiv y?^\Ä^«vv^ xäAtäs^^^^^
--- 280 —
der obere Rand mit Knochen beschlagen wird. Die Wasserkübel
dürften wohl etwa V2 Tonne fassen können. Das Trinkwasser wird
im Winter aus Schnee gewonnen. Ältere Leute können sich noch
den Gebrauch der Steinmesser erinnern, von denen auch noch einige
vorhanden sind.
Ein grofses Boot ist 26V2 Fufs lang, am Boden 2^/4, und oben
4V2 Fufs breit, 2V4 Fufs hoch. Die Schlitten sind öVe Fufs lang,
1 V2 Fufs breit und ^U bis ^U Fufs hoch. Die Hunde werden bartarisch
behandelt ; unter anderm wurde ein bissiger Hund erst halb erstickt,
worauf ihm mit einem Stein die Spitzen der Zähne abgehauen
wurden.
Viele, meistens mit Aberglauben verbundene Gebräuche werden
beim Seehundsfange beobachtet, während zugleich mehr gesetz-
mäfsige Regeln für die Teilnahme an einem gemeinschaftlichen
Fange und andre das Eigentumsrecht berührende Fragen gelten.
Wenn ein Mann seinen ersten Klappmützseehund vor dem Ausziehen
aus dem Winterhafen gefangen hat, darf von diesem nicht vor dem
drittfolgenden Tage gegessen werden, selbst nicht, wenn Hungersnot
herrscht. Der Seehund darf auch nicht vor Ablauf einiger
Tage ins Zelt gebracht werden, wenn dieses nicht aus ganz neuen
Fellen besteht. Die Eingeborenen durften nie einen Seehund an die
Reisenden verkaufen, ohne ein Stückchen und besonders von der
Schnautze zu behalten, öfters wurden die Käufer gebeten, die
Köpfe der gegessenen Seehunde wieder ins Meer zu werfen. Der
Tradition gemäfs hat man früher Seehunde in Netzen aus Fischbein
gefangen. Übrigens wird der Seehundfang sowohl im offenen
Wasser als auf dem Eise ganz wie nach alter Sitte auf der West-
küste getrieben.
Die meisten Bären werden gefangen, wenn sie sich in ihre
Schneehöhle für den Winterschlaf begeben, oder wieder aus derselben
hervorkommen. Man läfst die Hunde auf den Bären los und hält
ihn dadurch auf, bis der Jäger kommen kann, um ihn mit der
Lanze zu stechen. Bisweilen kann der Bär aber doch den Jäger an-
greifen und zu Boden schlagen, ihm dann aber nur kleine Bisse oder
Risse zufügen. Alte Bären können indessen gefährlich werden; vor
30 Jahren frafs ein solcher einen Mann, die Gefährten mufsten zu-
sehen, ohne helfen zu können. Als ein Mann den Winter vorher
im Kampfe mit einem Bären seine Lanze zerbrochen hatte, er-
drosselte er denselben mit seinem Riemen. Bisweilen fängt man
den Bären in seiner Höhle, indem man das Dach mit der Lanze
duTchhohit, ohne dafs der Bär deshalb zu entfliehen versucht.
— 281 —
Früher fing man Bären in Fallen, drei solche sind noch bekannt
und werden, als von gewissen Sagenhelden herstammend, erwähnt.
Der Ursprung einer oft besprochenen rätselhaften Ruine bei Nugsuak
an der Westküste kann dadurch recht einfach erklärt werden.
Haifische werden zu Löchern auf dem Eise gelockt und har-
puniert. Ebenso werden Lachse in den Flüssen durch Steindämme
abgesperrt und gestochen ; der Gebrauch der Fischangel ist dagegen
unbekannt. Walfische wurden früher von Böten aus, wie bei andern
Eskimostämmen, gejagt. Früher gab es auch Jagd auf Moschus-
ochsen und Rentiere, diese sind aber gänzlich verschwunden.
Die socialen Verhältmsse sind schon in einem früheren Hefte
berührt. Wenn eine Geburt bevorsteht, gehen alle Männer und
gröfseren Kinder aus dem Hause, die zurückbleibenden Leute
nehmen ihre gewöhnlichen Plätze ein, die Gebärende liegt auf
Hände und Füfse gestützt. Die Nabelschnur wird mit einer Muschel
abgeschnitten oder von der Mutter durchgebissen. Das Kind wird
im Urinkübel gewaschen, worauf die Mutter ihren Finger in Wasser
taucht und es damit um den Mund streicht, zugleich die Namen
der Verstorbenen aussprechend, nach denen es genannt werden soll.
Diese Namen werden jedoch später nicht genannt, sondern im täg-
lichen Gebrauch durch einen andern ersetzt. Die Zeremonie wird
etwas verschieden für Knaben und für Mädchen ausgeführt, um auf
die Bestimmung der erstem als Erwerber hinzudeuten.
Es hängt vom Wohlstand der Eltern ab, in welchem Alter der
Knabe einen Kajak bekommen kann; gewöhnlich ist es im 12. Jahre.
Ein ISjähriger Knabe hatte schon 30 Seehunde, freilich die
meisten derselben im Frühjahre auf dem Eise, gefangen. Sein Vater,
ein mäfsiger Fänger, hatte 2 Frauen und 7 Kinder zu ernähren;
man behauptete, dafs er für jenen Sohn einen Kajak auf einem
andern Wohnplatze gestohlen hatte. Im Hause und Zelte gehen die
Kinder vollständig nackt, bis ihnen, etwa erst im 16. Jahr, die
Natit zum Anziehen gegeben werden.
Die Männer heiraten mitunter schon, ehe sie erwachsen sind,
wenn sie nämlich eine Frau ernähren können, die ihr Hauswesen
besorgen kann. Sie haben mitunter Frauen, die ihre Mütter sein
könnten. Diese frühen Ehen führen oft zu Ehescheidungen. Die
Männer können oft drei bis viermal heiraten, ehe ihnen Nach-
kommenschaft erwächst, und erst dann tritt ein festeres Verhältnis
ein. Nahe Verwandte, wie z. B. Geschwisterkinder, heiraten ein-
ander nicht, deshalb sind die Mitglieder einer Familie über viele
Plätze zerstreut. Tüchtige Fanget lia\ieii ol\. 'ksn^v ^^'ösoä^« ^^^
— 282 —
Beschreibung zweier herrschenden Gebräuche: des Frauentausches
und des Lampenlöschungspiels, stellen leider den sittlichen Zustand
der Ostgrönländer in ein ungünstiges Licht.
Von dem merkwürdigen Kunstsinne, den die Ostgrönländer in
der Ornamentierung ihrer Gerätschaften und Kleider an den Tag
legen, ist schon in einem früheren Artikel die Rede gewesen.
Die religiösen Begriffe stimmen der Hauptsache nach mit
denen, die wir aus den älteren Beschreibungen und den Sagen von
der Westküste her kennen, überein. Wenn jemand stirbt, wird die
Leiche, in ihre besten Kleider gekleidet, durch den Ausgang oder
durchs Fenster hinausgeschleift. Nur ein oder zwei der aller-
nächsten Verwandten besorgen dieses, da solche dadurch „unrein"
werden für lange Zeit, während welcher sie besondere Regeln zu
beobachten haben. Das Meer wird als der schönste Begräbnisplatz
angesehen ; es wurden Beispiele erzählt von Personen, die sich selbst
ins Meer stürzten, als sie dem Sterben nahe waren. Wenn einer
der Vorväter eines Toten im Meere umgekommen ist — und dieses
ist ja das gewöhnlichste — so wird auch die Leiche des Nach-
kommen dem Meere übergeben; die wichtigsten Gerätschaften des
Verstorbenen müssen dabei mitfolgen. Auch die übrigen Haus-
genossen und Verwandte, aufser denen, welche die Leiche berührten,
haben viele Trauersitten zu befolgen.
Holm giebt eine interessante Beschreibung einer Geister-
heschwörung des Angakoks Sanimuinak, welcher er beiwohnte.
Während einer langen Wartezeit lag der Angakok auf der Pritsche
ruhig bis alles geordnet war. Endlich kam er hervoi wie ein
Träumer und legte seine Trommel auf einen flachen Stein auf den
Fufsboden. Ein Mann kam mit einem langen Riemen und schnürte
ihm die Hände bis zum Ellbogen scharf an den Rücken, so dafs die
Hände blau wurden, wobei er stöhnte und atmete, als unterläge er
einer schweren Macht. Darauf wurden alle Lampen gelöscht. Bald
darauf hörte man: „Goi, Goi, Goi!" wie von Geisterstimmen teils
oberhalb, teils von einer andern Seite des Hauses gerufen, während
der Angakok heftig stöhnte. Plötzlich begann ein Fellvorhang vor
dem Ausgange wie vom Winde bewegt zu rasseln. Die Trommel
wurde gerührt, erst langsam, dann schneller. Jetzt folgte ein Lärmen
aller Art, es rasselte, sauste und klapperte, bald wie von Maschinen,
bald wie von grofsen fliegenden Wesen. Pritschen und Fenster
zitterten. Bald hörte man den Angakok einer Macht unterliegen,
er stöhnte, klagte, schrie, flüsterte und lispelte schwach pfeifend.
OÄ mischte sich ein teuflisches schiiaiieiiA^a Ho\mg<ölächter darin.
— 28a —
Stimmen von allen Seiten „Hoi, Hoi, Hoi!" wie in einen fernen
Abgrund sich verlierend. Zugleich wurde die Trommel mit ungemeiner
Fertigkeit gerührt, als schwebte sie im Hause herum, über dem
Kopfe der Zuhörer weilend; dazu erklang ein gedämpfter, wie von
der Unterwelt herrührender Gesang. Endlich wurde es plötzlich still
und der gefürchtete Geist Amortortok kam herein. Dieses Ungeheuer
soll schwarze Arme haben, und der, den es berührt, wird schwarz
und mufs sterben. Es ging mit schweren Schritten herum und rief:
„a — mo, a — mo!" — alle Zuhörer drängten sich in die Ecken.
Darauf kam ein Geist, der wie ein Fuchs schrie. Ein Tartok (Schutz-
geist des Angakok) sagte: „es riecht hier nach Europäern" und
fragte näher nach uns. — Endlich, nach mehreren Formalitäten,
wurde diese Vorstellung geschlossen, und als die Lampen wieder
angezündet waren, sals der Angakok noch da ganz wie vorhin, nur
war er in Schweifs gebadet, und die noch auf dem Rücken gedundenen
Hände waren etwas loser.
An die ethnologische Skizze schliefst sich eine Liste sämtlicher
Einwohner der dänischen Ostküste im Herbste 1884, von Johannes
Hansen, mit Bemerkungen von Holm. Nach derselben gab es:
1
g
'S
§
•5"
Südliche
Nördliche
29
117
23
76
46
129
37
91
32
119
7
28
12
37
Zusammen . .
146
99
175
128
151
35
49
Seit 1822 sind 609 Personen nach der Westküste ausgewandert
und in die Gemeinde Friederichsthal aufgenommen.
Der vierte Abschnitt des zweiten Bandes (Bd. X der „Meddel-
ser") handelt vom ostgrönländiscJien Dialekt und ist vom Verfasser
dieses Artikels nach den Notizen Johannes Hansens zu Kleinschmidts
Wörterbuch zusammengestellt. Der fünfte Band enthält die, schon
in dieser Zeitschrift Bd. IX, S. 238 besprochenen Sagen, Den Schlufs
endlich bildet das Verzeichnis der ethnographischen Sammlung und
die in einem besonderen Bande vereinigten 41 vorzüglichen Tafeln
mit Illustrationen und einer Karte. Diese Tafeln geben, in Ver-
bindung mit den in den Text gedruckten Holzschnitten, das voll-
ständigste Bild jener Sammlung sowie der Einwohner selbst, die
durch Photographien von zahbeichen Individuen in verschieden-
artigsten Stellungen vertreten sind.
— 284 —
Kleinere Mitteilungen.
Aus der geographischen Gesellschaft in Bremen. £inem Briefe des
Herrn Dr. Kükenthal aus Tromsö den 13. September zufolge gedachten
die Herren Dr. Kükenthal und Dr. Walter am 16. September von dort ab-
zufahren und auf der Rückreise nach Jena spätestens am 2. October in Bremen
einzutreffen. Es wird sodann zur Begrüfsung der Herren eine Versammlung
des Vorstandes unserer Gesellschaft und später eine gesellige Zusammen-
kunft im Rathskeller stattfinden. Der eingehende Vortrag des Herrn Dr.
Kükenthal über seine Reise und deren Ergebnisse ist für November oder
Dezember in Aussicht genommen.
Im Laufe dieses Winters sollen wiederum, wie früher, Vorträge
gehalten werden. Ein Cyklus von Vorträgen des Vorstandsmitgliedes Herrn
Dr. Oppel wird eine Reihe von handelsgeographischen Thematen behandeln,
namentlich : 1. Welthandel und Weltwirtschaft, 2. Reis, 3. Baumwolle, 4. Wolle,
5. Taback.
Goldgewinnung in Neuseeland. (Privatbrief Juli 1889.) Auf meiner
letzten Reise besuchte ich Charleston, Westküste der Südinsel, einen alten
Goldplatz, wo einige hundert Leute wohnen, welche ein wahrhaft sorgenloses
und idylUsches Leben führen, wie man es bei Goldsucheransiedelungen zu finden
nicht gewohnt ist. Ein jeder besitzt einige hundert Schritte Seeküste, was
seinen claim konstituiert. Hier wu'd sein Glück ihm täglich von der See
zugeworfen. Alles, was er zu thun hat, ist, wenn die Ebbe eintritt, den Sand
umzuschaufeln und ihn in die künstlich angelegten kleinen hölzernen Kanäle
zu werfen, deren Boden mit Quecksilberplatten belegt ist und worüber ein
beständiger Wasserstrom geleitet wird. Die Goldkörner bleiben dann an den
Platten haften. Frauen und Kinder kommen dann und wann von den unmittelbar
herrlich am Strand gelegenen Wohnungen und nehmen die Platten mit nach
Hause, wo sie abgeschabt werden. Das Gold wird der Bank übergeben, diese
schmelzt es auf chemischem Wege und formiert es zu Stangen, in welcher Form
es dann verschifft wird. Der Bankmauager zeigte mir eine solche Stange von
1000 £ Wert. Wenn er zwei bis drei solcher hat, sattelt er Pferd und Wagen,
steckt den Revolver in die Tasche, bringt seinen Besitz nach dem 18 englische
Meilen entfernten Westport und liefert ihn seinem Chef, den Manager der Bank
an diesem Platz, ab. Diese „Diggers at Charleston'' sind alle wohl auf und haben
Geld. Sie verdienen drei bis vier hundert Pfund per Jahr bei einfachem
Schaufeln vor der Thüre ihrer Wohnung. Diese sind schön gebaut, enthalten
6 — 8 Räume, von hübsch angelegten Gärten umgeben, inwendig modernes
Mobiliar, nicht selten mit Pianino und dergleichen, in der Einöde seltener Luxus.
Die Leute sind mit ihren Familien ein Bild der Gesundheit, da sie immer in
freier Natur sind und stets die frische Seeluft athmen. Die Zeiten, in denen
diese Leute ihr Geld am Wirtshaustisch vergeudeten, sind längst vorbei.
Charleston besitzt vier Hotels, ein Hospital, einen Arzt, einen Pfarrer, eine
Schule mit Lehrer, drei oder vier Kaufläden, Schlachter und Bäcker. Diese
kleine Welt für sich macht einen ungemein wohlthuenden Eindruck, hier ist
wahres Glück und Zufriedenheit einem jeden auf dem Gesichte zu lesen. Fast
beneidete ich den Bankmanager, in dessen Familie ich einige angenehme Abende
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verlebte. Er ist ein noch junger Mann von dreifsig Jahren, hat Frau und
Kinder, alle sind sehr musikalisch. In Pantoffeln tritt er aus der Wohnstube
in sein Kontor, (Stiefel zieht er nur an, wenn er auf Reisen geht) wenn er von
seinem Clerk gerufen wird. Er hat wenig zu thun, dann und wann seinen
Namen zu zeichnen, bezieht ein gutes Salair, das zu verausgaben er keine
Gelegenheit hat. Wagen und Pferd hat er frei, so lebt er am Strand der freien
weiten See zu Charleston. Mein Doktor, ein musikalisches Genie, (Schreiber
reist als Travelling- Agent für Lebensversicherungsgesellschaften stets in Begleitung
eines Arztes) der Charlestoner Doktor und meine Wenigkeit bildeten, so lange
ich dort war, eine heitere Abendgesellschaft in jenem glücklichsten aller glück-
lichen Häuser. Mein Aufenthalt dauerte indes nur fünf Tage ; diese werden mir
stets eine angenehme Erinnerung sein.
Wohin meine nächste Reise geht, steht noch nicht fest, wahrscheinlich
aber wieder nach der Westcoast via Westport nach Reeftown, ebenfalls einem
Goldplatz, aber im Lande gelegen. Hier wird noch Gold gegraben in langen
Tunnels mit grolsartigen Maschinenanlagen, ähnlich wie in Kohlenbergwerken.
Darüber ein andermal mehr. F.
Eskinio-Sagren. Die Herren H. Rink und F. Boas veröffentlichen im
Journal of American Folk-Lore eine Reihe der Gesänge und S a g en, welche
der letztere während seines Aufenthaltes unter den Eskimos des Baffin-
landes gesammelt hat.
Wir geben im folgenden den Inhalt der Sagen nach der englischen Über-
setzung und verweisen hinsichtlich des Urtextes und der Melodie auf den Original-
artikel. Um in das eigenartige Wesen dieser Erzählungen einzudringen, mufs
man sie vom Erzähler im Schneehause selber hören, wo die Umgebung ihren
Reiz erhöht und das Verständnis erleichtert. Die Lampen brennen niedrig.
Der Erzähler streift sein Oberkleid ab und zieht sich in den erhöhten Teil der
Hütte zurück, wo er sich, das Gesicht gegen die Aufsenwand gekehrt, nieder-
lälst. Er zieht die Kapuze über den Kopf, begräbt seme Hände in die
Winterhandschuhe und beginnt nun mit einem leisen Singen, zuerst langsam,
dann mit wachsender Geschwindigkeit in eintönigem Redegesang, bis er in einen
der Gesänge übergeht, welche häufig in die Erzählungen eingestreut sind. Diese
sind schwieriger wiederzugeben, da die Sätze abgebrochen sind und die Worte
vielfach in übertragenem Sinne gebraucht werden. Der Vortragende setzt zudem
bei der Zuhörerschaft voraus, dafs sie mit dem Gegenstande des Gesanges ver-
traut und deshalb im stände sei, den gröfseren Teil des Inhalts zu ergänzen.
Wo es Wohlklang und Tonfall erfordern, sind die Worte bisweilen zu
blolsen Ausrufen abgekürzt oder durch veraltete Affixe verlängert, deren Sinn
der gegenwärtigen Generation unverständlich ist, während gelegentlich auch
Worte der besonderen Angekoksprache oder Zaubersprüche eingefügt sind. Es
ist begreiflich, dafs hierdurch der wörtlichen Übersetzung viele Schwierigkeiten
erwachsen und zwar in den weniger bekannten Dialekten noch mehr als im
Grönländischen.
Die nachfolgende Erzählung rührt von einem alten Eskimo, namens
Pakak, aus dem Cumberlandgolfe her. Der Gesang ist zweifellos von beträcht-
lichem Alter, insbesonder der Schlufs, welcher sich fast mit denselben Worten
bei den Eskimos in Grönland wiederfindet.
TJuügumissuitok heiratete einen Hund. "Eonea 'ä^c^Vä nixxx^^ ^^a «qI^«^-
halb der Hätte bei dem Hunde schlafend gebunden. ^\^ ^^^^^"^ "^^"^^ ^{Jff^.^«^^
Geogr. Blätter. Bremen, 1889.
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die eine Hälfte waren Hunde, die andre Adlet. Die Kinder wuchsen auf. Sobald
ihr Grofsvater einen Seehund gefangen hatte, lud. er ihn auf seinen Kajak und
trug ihn zu ihnen. Seine Enkel waren sehr gefräfsig, daher erwählte er eine
Insel zu ihrem Aufenthalte und trug sie hinüber, seine Tochter, den Hund und
die Kinder.
Ihr Vater, der Hund, schwamm täglich zur Hütte des alten Mannes hin-
über und holte Fleisch in einem Paar Stiefeln, welche er über seinen Nacken
hing. Eines Tags füllte sie der Vater mit Steinen anstatt mit Fleisch und so
zogen sie den Hund in die Tiefe. Nachdem er ertrunken war, fuhr der Grofs-
vater fort den Kindern Nahrung zu senden. Die Mutter sagte indessen zu ihren
Kindern: „Pafst eurem Grofsvater auf, wenn er in seinem Kajak ausfährt und
greift ihn an.'' Sie töteten ihn. Dann suchte sie ihre Kinder auf, und nachdem
sie für sich eine Schuhsohle geschnitten hatte, verwandelte sie selbige schnell
in ein Boot und befahl ihnen, darin über den Ozean zu fahren. Sie sang:
„Angnaijaja. Wenn ihr auf die andre Seite gekommen seid, werdet ihr viele
kleine Dinge machen. Angnaija.'^
Nachstehend lassen wir eine ausführlichere Erzählung desselben Gegen-
standes folgen:
Savikong (d. i. der Messermann), ein alter Mann, lebte allein mit seiner
Tochter. Ihr Name war Niviarsiang (d. i. das Mädchen), da sie aber keinen
Gatten nehmen wollte, wurde sie auch Uinigumissuitung (d. h. die welche keinen
Gatten zu nehmen wünscht) genannt. Sie wies alle Freier zurück, doch zuletzt
gewann ein weifs und rot gefleckter Hund, dessen Name Ijikang (das mächtige
Auge) war, ihre Neigung und sie heiratete ihn.
Sie hatten zehn Kinder, von denen fünf „Adlets" und fünf Hunde waren.
Die Beine der Adleten waren Hundebeine und mit Ausnahme der Fufssohlen
überall behaart, der obere Teil ihrer Körper war menschlich gestaltet. Als die
Kinder aufwuchsen, wurden sie sehr gefräfsig, und da der Hund Ijikang niemals
jagte, sondern seinen Schwiegervater für die ganze Familie sorgen liefs, hatte
Savikong viel Mühe sie zu füttern. Aulserdem machten die Kinder viel Lärm
und Unruhe, so dafs schliefslich der Grofsvater, der beständigen Plagereien und
Unruhe müde, die ganze Familie in sein Boot nahm und sie auf einer kleinen
Insel absetzte. Er gab Ijikang den Auftrag alle Tage zu kommen, um Fleisch
zu holen.
Niviarsiang hing ein Paar Stiefel über seinen Nacken und er durchschwamm
den schmalen Kanal, welcher die Insel vom Festland trennte. Aber Savikong,
anstatt ihm Fleisch zu geben, füllte die Stiefel mit schweren Steinen, welche
Ijikang ertränkten, als er versuchte zur Insel zurückzukehren.
Niviarsiang gedachte den Tod ihres Gatten zu rächen. Sie sandte die
jungen Hunde nach des Vaters Hütte und hiefs sie, seine Hände und Füfse ab-
nagen. Zur Vergeltung warf Savikong seine Tochter über Bord, als sie zufällig
in seinem Boote war, und schnitt ihr die Finger ab, als sie sich verzweifelnd
ans Boot klammerte. Als diese ins Meer fielen wurden sie in Seehunde und
Wale verwandelt. Zuletzt gestattete er ihr, wieder ins Boot zu klettern.
Fürchtend, ihr Vater möchte beabsichtigen, ihre Kinder zu töten oder
zu verstümmeln, befahl sie den Adleten ins Binnenland zu gehen, wo sie die
Begründer eines zahlreichen Volkes wurden. Für die jungen Hunde machte sie
ein Boot, indem sie zwei Stöckchen in die Sohle eines ihrer Stiefel befestigte,
damit sandte sie die Tiere über das Meer. Sie sang ^Angnaijaja. Wenn ihr
aaf der andern Seite angelangt seid, werdet iVit VieVft Wcwi^ ^^0[i^\i ^wI«x\K%'8sol
Angnaija. ^
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In Grönland und dem nördlichen Teile von Baffinland werden die Kinder,
welche in unsrer Erzählung Adlet heifsen, Erkigdlit genannt. Es ist von Inter-
esse zu wissen, dafs die Labrador-Eskimo die Indianer des Innern Adlet nennen,
während sie bei den Stämmen der Westküste der Hudsonbai Erkigdlit heifsen.
In Baffinland und Grönland ist die historische Bedeutung des Ausdruckes voll-
ständig verschwunden, er bedeutet jedoch einen fabelhaften Stamm mit Hunde-
beinen und einem menschlichen Körper. Es ist schwierig. Gründe für die An-
wendung jener verschiedenen Ausdrücke für beide, die Indianer und die erwähnten
Fabelwesen anzugeben.
Rink giebt einen Abrifs der Sage, wie er sie in West-Grönland hörte
(Rink „Tales and Traditions of the Eskimo, S. 471) :
„Eine Frau, die mit einem Hunde verheiratet war, gebar zehn Kinder.
Als sie gröfser geworden waren, befahl sie ihnen, ihren (der Mutter) Vater zu
zerreifsen, worauf sie die Kinder in zwei Teile sonderte und sie von Hause fort-
sandte, damit sie hinfort ihren Unterhalt sich selber suchten. Fünf von ihnen,
die ins Land gesandt waren, wurden Erkileks, den fünf übrigen gab sie die
Sohle eines alten Stiefels und setzte sie auf das Meer, wo sie sich schnell aus-
dehnte und ein Schiff wurde, in welchem sie abfuhren, worauf sie Europäer
wurden."
J. Murdoch berichtet ein Bruchstück derselben Sage von Point Barrow,
Alaska. Er sagt (American Naturalist, 1866 S. 594): „Vor langer Zeit wurde
ein Hund, Aselu, an einen Stock gebunden, er zerbifs den Stock und lief in
das Haus, wo er Gemeinschaft mit einer Frau machte, welche darauf Menschen
und Hunde gebar".
Auffallend ist, dafs nach Petitot (Monographie des Esquimaux Tschiglit,
S. 24) die Mackenzie-Eskimos eine von den obigen gänzlich verschiedene Dar-
stellung dieses Gegenstandes besitzen sollen. Er teilt folgende Überlieferung
mit : Im fernen Westen auf einer grofsen Insel erschuf der Biber zwei Menschen.
Auf der Jagd nach Schneehühnern kamen diese an das Ufer eines Flusses. Sie
gerieten in Streit über die Schneehühner und trennten sich. Der eine wurde
der Stammvater der Eskimos, der andere der der Seetiere, welche wiederum
die Stammväter der Europäer sind. Die Erkigdlit sind nach seiner Erzählung
aus den Eiern der Läuse hervorgegangen.
Wahrscheinlich ist dieses nur ein sehr unvollkommenes Bruchstück der
vollständigen Sage, wie sie bei den Mackenzie-Stämmen erzählt wird.
Der Vollständigkeit halber fügen wir hier, die in manchen Einzelheiten
abweichende Darstellung der Sage ein, welche Holm von Angmagsalikern an
der Ostküste Grönlands mitgebracht hat (Holm, den ostgronlandske Expe-
dition. 1888).
In alten Zeiten lebte hier ein Ehepaar, welches eine Tochter hatte. Diese
hatte viele Männer gehabt, aber da sie keinen Mann lange haben konnte, sagte
der Vater zu ihr: Du kannst keinen Mann behalten, daher ist es besser, dafs
Du Dir den Hund zum Gatten nimmst. Als sie eines Tages erwachten, sahen
sie, dafs der Hund losgekommen war und beim Hausgange lag. Sie banden
ihn wieder fest aber am nachten Morgen war der Hund abermals los und ins
innere des Ganges gekommen. Sie legten ihn wieder an^s Seil. Es wurde Abend
und wieder Morgen und da sahen sie "den Hund im Hause neben dem Eingange
sitzen. Am Abend seizten sie ihn wieder fest und da sie am. w^^\ä\ät!l "\L<5ft^5s^
erwachten^ sahen sie den Hund neben der SchVafeleW^ «vVl^ti, N^Sä^««^ ^^Ä.^<ik ^ss.
gebunden und ab sie am nächsten Morgen exvjacYiUTi, \a^ öäy ^xmsA ^'^^'^ ^'^'^
— 288 —
Mädchen, die keinen Mann behalten konnte. Der Hund wurde nochmals ange-
bunden, aber als es Abend wurde und die Lampen ausgelöscht waren, hörten
sie etwas rascheln und jemanden schreien und zündeten die Lampe an. Da
sahen sie, dafs der Hund das schreiende Mädchen aus dem Hause schleppte.
Die Tochter wurde schwanger und gebar eine ganze Menge Kinder auf
einmal. Da es den Eltern schien, dafs die Kinder gar zu viel äfsen, setzte der
Vater das Mädchen und alle Kinder auf einer Lisel aus, wohin er ihnen Essen
brachte. Wenn er dieses that, hatte er den ganzen Kajak vorne und hinten
beladen und die Kinder kamen zum Strande nieder und holten alles vom
Kajak herunter. Wenn der Grofsvater nicht zu ihnen kommen konnte, kam der
Hund mit ein Paar Stiefeln geschwommen, die mit Speck, Fleisch und andern
Lebensmitteln gefüllt wurden.
Als der Hund dergestalt eines Tages zu ihnen hinüber kam, waren Steine
in die Stiefel zwischen die Lebensmittel gelegt worden. Es fehlte daher nicht
viel, so wäre er nicht hinübergekommen, aber mit Hilfe eines Zauberwortes
glückte es ihm. Er sagte den Kindern: „Wenn euer Grofsvater das nächste
Mal kommt, sollt ihr ihn auffressen, weil er mir Steine zwischen die Speisen
gethan hat."
Als der Grofsvater das nächste Mal mit Speisen zu ihnen herüber kam,
gingen die Kinder zum Kajak hinunter und nahmen sie entgegen. Er sagte:
„Ihr Elenden seid wohl hungrig?" Die Mutter hatte ihnen gesagt, sie sollten
den Grofsvater fressen. Als die Kinder die Speisen verzehrt hatten beleckten
sie den Kajak und frafsen den auch. Darauf packten sie den Grofsvater an
und verspeisten ihn ebenfalls, worauf die Mutter sie in die Welt hinaus senden
wollte, damit sie sich selbst versorgten. Sie nahm eine Stiefelsohle, setzte
einige Kinder hinein, schob sie ins Meer hinaus und sagte: „Euer Vater kann
nichts für Euch thun, deshalb müfst ihr lernen Euch selbst zu versorgen." Diese
wurden Kavdlunak^er. Die anderen Kinder setzte sie auf das Blatt eines Pfeiles,
das auf dem Wasser lag, und schofs ihn in's Land hinein. Diese kamen in das
Innere des Landes wo kein Wasser ist und wurden Timersek'er und Erkilik'er.
Die Kavdlunak'er kamen in ein Land, wo sie sich selbst Eisen, Schiffe
und Holz bereiten lernten. Sie konnten Alles. Die Timersek'er kommen im
Herbst zum Meere nieder um Seehunde zu fangen. Die Leute können sie dann
pfeifen und donnerh hören und rufen ihnen zu: „Ihr müfst Euern Vettern
nichts Böses thun."
Als die Kavdlunaker hierher wollten, konnten sie wegen des Eises nicht
herankommen. Das Eisen kommt deshalb von Süden her. Sie bereiten das
Eisen in grofsen mit Thran gefüllten Töpfen, in denen sie Menschen auskochen.
Zuerst werden sie weifs, dann rot, hernach schwarz nnd so werden sie zu Eisen
und Klingen. Das Eisen kam zuerst hierher, als das Land in Stücke zerissen
war und so blieb wie es jetzt ist.
Vieles von den abweichenden Einzelheiten dieser verschiedenen Dar-
stellungen derselben Sage wird man ohne Zweifel auf Rechnung des jeweiligen
eingebornen Erzählers setzen müssen. Der Kern der Legende ist jedenfalls am
reinsten in dem von Boas übermittelten Gesänge der Baffin-Eskimos enthalten,
schon weil das feste Gefüge eines Liedes willkürlichen Änderungen am ersten
Widerstand leistet. Es ist eine interessante Thatsache, sagt Boas, dafs die
Eskimos von Grönland bis zum Mackenzie denselben Ausdruck Kavdlunaker für
die Weifsen anwenden, mit denen sie verhältuifemäCsig spät bekannt worden,
and dafs sie über ihren Ursprung eine Legeii^^ \i^?>\l7.^\i, ^\^ l^^ä^w^ ^^-^
— 289 —
hohem Alter ist. Es bieten sich hierfür zwei Erklärungen dar, entweder ent-
stand die Sage erst nach Berührung der Eskimos mit Weifsen, oder eine ältere
Sage wurde auf die Weifsen angewendet, nachdem die Eskimos sie zuerst kennen
gelernt hatten. Das letztere ist das wahrscheinlichere und scheint auch darin
Bestätigung zu finden, dafs der ursprüngliche Gesang nicht direkt auf die
Weifsen hinzeigt, obgleich der Schlufs leicht dahin gedeutet werden kann.
Der ausführlichere zweite Bericht unsrer Erzählung zeigt eine bemerkens-
werte Übereinstimmung mit der Sedna-Sage, welche Boas in Petermanns Mit-
teilungen 1887 veröffentlichte. Die Verwandlung der abgeschlagenen Finger in
Seetiere i.st in beiden dieselbe. Auch Petitots Erzählung deutet eine Beziehung
zwischen den Seetieren und den Weifsen an.
Es würde von Interesse sein zu erfahren, wie dieselbe Legende in Alaska
erzählt wird. Man würde hierdurch vielleicht Aufschlufs über ihre Geschichte
bekommen.
Des weiteren veröffentlicht Herr Boas eine Art Fabel, Gespräch zwischen
Rabe, Möve und Eskimo, deren Wert — der Inhalt hat wenig Bedeutung —
nur im rythmischen Vortrage zum Ausdruck kommt, wobei durch geschickt ge-
wählte Worte die Stimmen der Tiere nachgeahmt werden.
Zwei kurze Lieder sind nach Boas Ansicht erst in neuerer Zeit entstanden,
das eine behandelt den Aufbruch zur Sommerreise an den Nettiling See, das
andi*e die Sehnsucht der Frau nach ihrem von der Jagd zurückerwarteten
Manne und einer guten Mahlzeit. H. A.
Französische Weine. Mit Unterstützung des K. K. österreichischen
Ackerbauministeriums unternahm der Ökonomierat Hermann Göthe im Sommer
des Jahres 1888 eine Reise nach Frankreich, um den dortigen Weinbau kennen
zu lernen. Dem über diese Reise erstatteten, bei Carl Gerold in Wien erschienenen
Bericht entnehmen wir folgende über den französischen Weinbau und besonders
die Beziehungen zwischen Bodenbeschaffenheit und Güte der Weine Aufschlufs
gebende Stellen: Die weltberühmte edelste Rotweintraube, die man bei uns
„Burgunder" nennt, heifst in der Bourgogne „Pinot" ; sie wird vorzugsweise an
den Abhängen der Hügelkette der Cote d'Or gepflanzt, die sich 60 km lang von
Dijon über Gevrey, Nuits und Beaune bis nach Santenay hinzieht — im Mittel
450 m breit und 250 m über dem Meere. Die Güte der dort erzeugten Weine
wird dem Lande zu einer wahren Goldquelle, wie auch der Name Cote d'Or
besagt. In den ebenen Lagen der Bourgogne pflanzt man vorzugsweise die
Gamaytraube, von geringerer Güte zwar, aber auch von gröfserer Ertrags-
fähigkeit. Die ganze Bourgogne hat etwa 36 000 ha Weingärten, von denen
3500 ha mit Pinot, die übrigen mit Gamay bepflanzt sind; innerhalb der
Bourgogne hat das Arrondissement Beaune mit 18 000 ha die gröfste Weinbau-
fläche. Von den Weingärten der Bourgogne sind bereits 4000 ha durch die
Reblaus zerstört, weitere 18 000 fangen an, in der Ertragsfähigkeit zurückzugehen.
An die Cote d'Or schliefst sich nach Süden die Weinlandschaft „Beaujolais" an
(Name von dem Orte Beaujeu), welche die östlichen Abhänge und Thäler des
CharoUais-Gebirges von Macon an über Belleville bis Villefranche umfafst. Klima
und Boden sind verschieden von dem der Bourgogne; das Klima ist rauher
wegen der mehr gebirgigen Natur des Bezirks, der Boden wird durch Ablagerungen
von verwittertem Granit, Gneis und Porphyr, dem Grundstock des ChavoUssi^-
gebirges, gebildet, während in der Bovirgogne ^a\V}ooÖL«ö. m\\. ^^O^^^^Äfc^^^^^-
mengnngen von Thon, Mergel, Kies, Eise» u. a. ^ox\^ftTttÄc\v\.. \av ^^^xv^^^s»^
— 290 —
pflanzt man auch den Pinot nur vereinzelt, die vorherrschende Rebe ist der
Gamay mit seinen verschiedenen Spielarten. Infolgedessen sind die Weine des
Beaujolais billiger, aber auch gerade wegen ihi*er Billigkeit sehr geschätzt —
man braucht nur an den Macon zu erinnern. In der Landschaft „Lyonnais",
deren Berge sich bis zu 1500 m erheben, ist ein bestimmter Weinbaucharakter
nicht mehr zu finden. Grofse zusammenhängende Weinbergflächen giebt es nicht,
vielmehr wechseln die Weingärten beständig mit Feldern andrer Bepflanzung.
Das grofsartigste Weingebiet Frankreichs ist die grofse, 150000 ha Weingärten
umfassende Ebene an der Südwestküste, von der Garonne durchflössen. Die
ganze Ebene erhebt sich nur sehr wenig und sehr allmählich über die Meeres-
oberfläche. Dies gilt besonders von dem Landstriche zwischen Garonne und
Ozean, das Medoc genannt, wo die kostbarsten Bordeauxweine erzeugt werden.
Sein Boden ist reiner Alluvialboden aus Sand oder sandigem Thon, gemischt
mit Kieselgeröll auf einer festem Kies- oder Schotterunterlage; die Bewohner
nennen den Boden „palus". Darin befinden sich etliche etwa 15 m hohe
hervorragende Anschwemmungen, die Schlösser und Weingärten tragen — so
Chäteau-Lafitte, Chäteau-Margaux, Chäteau-Latour sowie Saint Julien, Saint
Estephe u. a. — bekanntlich die Marken der edelsten Medocweine. Herr
Göthe schreibt die Vortrefflichkeit der im Medoc auf ärmlichem Boden erzeugten
Weine vorzugsweise dem eigentümlich milden und gleichmäfsigen Klima, in
zweiter Linie dem Festhalten an nur wenigen von alters her gebräuchlichen
Traubensorten zu ; die „Lage" kann hier bei der allgemeinen geringen Erhebung
über die Meeresfläche kaum in Betracht kommen. Auf dem rechten Ufer der
Garonne zieht sich von Langon bis Blaye eine Hügelkette aus Lehm- oder
Kalkboden (letzterer z. B. bei Saint Emilion) hin, „Cotes" genannt und ebenfalls
mit Wein bepflanzt. Die Weine der Cotes stehen zwar den edelsten Medoc-
weinen an Güte nach, übertreffen sie aber manchmal im Alkoholgehalte. Aufser
dem üblichen Rotwein erzeugen die Cotes auch edle Weifsweine, so bei Cadillac,
Barsac, Sauternes u. a. Gegenüber auf dem linken Ufer der Garonne
erstreckt sich von Langon bis Bordeaux eine ziemlich flache Niederung auf
sehr schotterigem Untergrunde, die den Namen „Graves" führt und sehr kräftige
dunkelfarbige Rotweine erzeugt. In der Giionde wurde man zum erstenmal,
und zwar schon im Jahre 1869 auf die grofse Widerstandskraft amerikanischer
Reben gegen die Reblaus aufmerksam, und seitdem befafst sich besonders
Professor A. MiUardet in Bordeaux mit der Züchtung und Veredlung ameri-
kanischer Reben. Zum Schlüsse noch eine statistische Bemerkung. Frankreich
hat in den letzten zehn Jahren von den 2 346 000 ha Weinland, die es noch
1877 besafs, über 400000 ha durch die Reblaus verloren; davon sind aber jetzt
bereits 166 517 ha mit amerikanischen Reben neu angepflanzt.
Die Anden-Eisenbahn. Ober den Stand dieses Unternehmens wird das
folgende berichtet: Der Plan einer südamerikanischen Oberlandbahn zwischen
Buenos Aires und Valparaiso war schon vor mehr als 20 Jahren aufgetaucht.
Auf argentinischer Seite sind bereits 1030 km von 5 ' 6 " (1676 mm) Spurweite
in Betrieb und auf chilenischer Seite wurden 133 km mit einer Spurweite von
4 ' 8V2 " (1435 mm) durch die Regierung ausgeführt. Das zwischen Mendoza
und Santa Rosa noch fehlende Glied von etwa 240 km, die eigentliche Anden-
bahn, wird jetzt, wie die Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen
mitteilt, von der Firma Clark & Comp, in Londoiv mil M^^iets^ur gebaut. Die
ersten 90 km sind nahezu vollendet; auf 40 km Aie^t ^c\\ot^ ^^"a ^^\«\s^, "Sxä
— 291 —
die weitere Strecke wurde der frühere, mit einem Steigungsmaximüm von nahezu
4 °/o bearbeitete Plan aufgegeben, dagegen aus Gründen der Ersparnis und der
Sicherheit das wiederholt ausgeführte und vom Verein deutscher Eisenbalm-
verwaltungen prämiirte System Abt anzuwenden beschlossen. Bei einem Minimal-
radius von 122 m soll die Steigung auf den Adhäsionsstrecken 2,5 <*/o und auf
den Zahnstrecken 8 **/o nicht überschreiten. Die zur Verwendung kommende
Zalinschiene erhält drei Lamellen mit der bekannten verschränkten Zahnung.
Die Lieferung derselben wurde der Firma Rinecker, Abt und Comp, in Würz-
burg übertragen. Das Gebirge wird unter dem Uspallatapafs (auch Cumbre-
pafs genannt) mit einem etwa 5 km langen Tunnel auf 3185 m Meereshöhe
durchbrochen. Dieser Pafs, welcher schon seit Jahrhunderten einem hoch-
entwickelten Verkehr dient, liegt 3967 m über Meer, südlich von dem 6834 m
hohen Aconcagua, nördlich von dem 6178 m hohen Tupungato, auf ungefähr
33 Grad südlicher Breite. Im Vergleich hiermit sind die Erhebunngen unserer
Alpenbahnen verhältnismäfsig gering; der Gotthardtunnel liegt auf 1154,55 m,
auch die Rigibahn erreicht nur 1753,66 m über Meer. Die Vollendung der
ganzen Bahn ist bis zum Jahre 1892 zu erwarten.
Goldgrewinnung in Alaska« Nach einem von der Weser - Zeitung,
No. 15330, gebrachten Artikel scheint die Goldgewinnung im südöstlichen Alaska
einer erheblichen Steigerung entgegenzugehen. Li dem vergangenen Jahr hat
sich in Portland, Oregon, die Alaska Gold-Kompanie gebildet, welche mit be-
deutenden Mitteln die Ausbeutung der auf der Douglas-Lisel im Gastineau-Canal
entdeckten Goldlagerstätten unternehmen will. Von dem Ertrage der Minen
verspricht man sich ausserordentliches, da sie sowohl was Ausdehnung und
Reichhaltigkeit des Quarzes anlangt, wie hinsichtlich der Leichtigkeit imd Billig-
keit der Bearbeitung desselben alle anderen Goldgraben der Welt übertreffen
sollen (?). Als besondere Vorzüge werden gerühmt: ihre Lage unmittelbar am
tiefen Wasser, billige und reichliche natürliche Betriebskraft, gute und billige
einheimische Arbeitskraft und ein gemässigtes Klima, welches auf 340 Arbeits-
tage im Jahre rechnen lässt. Letztere Angabe dürfte jedoch nur mit wesent-
lichen Einschränkungen Gültigkeit haben, da die Winter in diesem Teil von
Alaska, wenn auch im ganzen mild, so doch langdauernd und reich an Nieder-
schlägen sind. A. K.
Geographische Litteratur.
Europa.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von
Prof. Kirchhoff. Band 4, Heft 1: Haus, Hof, Mark und Gemeinde Nordwest-
falens im historischen Überblick, von J. B. Nord hoff, Professor an der
Königlichen Akademie zu Münster. Stuttgart, J. Engelhardt, 1889.
„Der lange Nordweststrich Westfalens, welcher sich von der Lippe bis
zur Hunte und den friesischen Grenzmooren, im ganzen zwischen alten Heide-
zonen, Mooren oder Niederungen hinzieht, stellt wie in seiner Lage so auch in
seiner Geschichte, in dem Charakter der Bewohner, der germanischen ürtüm-
lichkeit, dem Mehrteile des Bodens und der Ai*t des Anbaues eine nähero
Zusammengehörigkeit dar und demgemäfs einen deutlichen Gegensatz gegen
die südlichen und östlichen Quartiere des Landes. Einst ging dea&^w H.^d?^\.-
masse in das Fürstentum Münster auf, und zviai ^et ^e\OMi"aA£^^^^^^^''C'^
bßzirk in das Hocbatift, das Emsland und ^e BüdYiaXiV^ ö.^^ ^^q^^^^vlc^^^^^
— 282 —
Beschreibung zweier herrschenden Gebräuche: des Frauentausches
und des Lampenlöschungspiels, stellen leider den sittlichen Zustand
der Ostgrönländer in ein ungünstiges Licht.
Von dem merkwürdigen Kunstsinne, den die Ostgrönländer in
der Ornamentierung ihrer Gerätschaften und Kleider an den Tag
legen, ist schon in einem früheren Artikel die Rede gewesen.
Die religiösen Begriffe stimmen der Hauptsache nach mit
denen, die wir aus den älteren Beschreibungen und den Sagen von
der Westküste her kennen, überein. Wenn jemand stirbt, wird die
Leiche, in ihre besten Kleider gekleidet, durch den Ausgang oder
durchs Fenster hinausgeschleift. Nur ein oder zwei der aller-
nächsten Verwandten besorgen dieses, da solche dadurch „unrein"
werden für lange Zeit, während welcher sie besondere Regeln zu
beobachten haben. Das Meer wird als der schönste Begräbnisplatz
angesehen ; es wurden Beispiele erzählt von Personen, die sich selbst
ins Meer stürzten, als sie dem Sterben nahe waren. Wenn einer
der Vorväter eines Toten im Meere umgekommen ist — und dieses
ist ja das gewöhnlichste — so wird auch die Leiche des Nach-
kommen dem Meere übergeben; die wichtigsten Gerätschaften des
Verstorbenen müssen dabei mitfolgen. Auch die übrigen Haus-
genossen und Verwandte, aufser denen, welche die Leiche berührten,
haben viele Trauersitten zu befolgen.
Holm giebt eine interessante Beschreibung einer Geister-
beschwörung des Angakoks Sanimuinak, welcher er beiwohnte.
Während einer langen Wartezeit lag der Angakok auf der Pritsche
ruhig bis alles geordnet war. Endlich kam er hervor wie ein
Träumer und legte seine Trommel auf einen flachen Stein auf den
Fufsboden. Ein Mann kam mit einem langen Riemen und schnürte
ihm die Hände bis zum Ellbogen scharf an den Rücken, so dafs die
Hände blau wurden, wobei er stöhnte und atmete, als unterläge er
einer schweren Macht. Darauf wurden alle Lampen gelöscht. Bald
darauf hörte man: „Goi, Goi, Goi!" wie von Geisterstimmen teils
oberhalb, teils von einer andern Seite des Hauses gerufen, während
der Angakok heftig stöhnte. Plötzlich begann ein Fellvorhang vor
dem Ausgange wie vom Winde bewegt zu rasseln. Die Trommel
wurde gerührt, erst langsam, dann schneller. Jetzt folgte ein Lärmen
aller Art, es rasselte, sauste und klapperte, bald wie von Maschinen,
bald wie von grofsen fliegenden Wesen. Pritschen und Fenster
zitterten. Bald hörte man den Angakok einer Macht unterliegen,
er stöhnte, klagte, schrie, flüsterte und lispelte schwach pfeifend.
O/i mischte sieb ein teuflisches schiiaiieiiA^a Ho\mg<ölächter darin. '
— 28a —
Stimmen von allen Seiten „Hoi, Hoi, Hoi!" wie in einen fernen
Abgrund sich verlierend. Zugleich wurde die Trommel mit ungemeiner
Fertigkeit gerührt, als schwebte sie im Hause herum, über dem
Kopfe der Zuhörer weilend; dazu erklang ein gedämpfter, wie von
der Unterwelt herrührender Gesang. Endlich wurde es plötzlich still
und der gefürchtete Geist Amortortok kam herein. Dieses Ungeheuer
soll schwarze Arme haben, und der, den es berührt, wird schwarz
und mufs sterben. Es ging mit schweren Schritten herum und rief:
„a — mo, a — mo!" — alle Zuhörer drängten sich in die Ecken.
Darauf kam ein Geist, der wie ein Fuchs schrie. Ein Tartok (Schutz-
geist des Angakok) sagte: „es riecht hier nach Europäern" und
fragte näher nach uns. — Endlich, nach mehreren Formalitäten,
wurde diese Vorstellung geschlossen, und als die Lampen wieder
angezündet waren, sals der Angakok noch da ganz wie vorhin, nur
war er in Schweifs gebadet, und die noch auf dem Rücken gedundenen
Hände waren etwas loser.
An die ethnologische Skizze schliefst sich eine Liste sämtlicher
Einwohier der dänischen OstMste im Herbste 1884, von Johannes
Hansen, mit Bemerkungen von Holm. Nach derselben gab es:
es
Rüdliche
Nördliche
29
117
23
76
46
129
37
91
32
119
7
28
12
37
Zusammen . .
146
99
175
128
151
35
49
Seit 1822 sind 609 Personen nach der Westküste ausgewandert
und in die Gemeinde Friederichsthal aufgenommen.
Der vierte Abschnitt des zweiten Bandes (Bd. X der „Meddel-
ser") handelt vom ostgrönländischen Dialekt und ist vom Verfasser
dieses Artikels nach den Notizen Johannes Hansens zu Kleinschmidts
Wörterbuch zusammengestellt. Der. fünfte Band enthält die, schon
in dieser Zeitschrift Bd. IX, S. 238 besprochenen Sagen, Den Schlufs
endlich bildet das Verzeichnis der ethnographischen Sammlung und
die in einem besonderen Bande vereinigten 41 vorzüglichen Tafeln
mit Illustrationen und einer Karte. Diese Tafeln geben, in Ver-
bindung mit den in den Text gedruckten Holzschnitten, das voll-
ständigste Bild jener Sammlung sowie der Einwohner selbst, die
durch Photographien von zahbeichen Individuen in verschieden-
artigsten Stellungen vertreten sind.
— 294 —
darunter 4500 Chinesen und 41 900 Maoris. Ende 1887 wurde sie auf 645 330
Personen geschätzt, welche zumeist auf der Nord- und der Mittel-Insel, ungefähr
zu gleichen Teilen, wohnen. Abgesehen von der Maoris-Bevölkerung war das
Zahlenverhältnis der Frauen zu den Männern wie 85,9o : 100, ein ähnliches
Mehr in der Zahl der Männer zu den Frauen besteht in allf^n australischen
Kolonien. Etwas über die Hälfte der Bevölkerung von 1886 war in der Kolonie
geboren. Dem Religionsbekenntnis nach überwiegen die Angehörigen der Kirche
von England, der Presbyterianer, der Wesleyanischen Methodisten und der
Katholiken ; Juden giebt es nur 1550. Im Jahr 1886 waren von den 307 000 männ-
lichen Weifsen der Bevölkerung 70 **/o und von den Frauen 64V2*^/o unverheiratet.
Die Fruchtbarkeit der Ehen — 5,3i Kinder auf eine Ehe — ist die gröfste in
den englisch-australischen Kolonien, dagegen war die Geburtsziffer im Jahre 1887
erheblich niedriger als im Jahre 1880 und niedriger auch als in England und
Schottland während der letzten 35 Jahre. Grölsere städtische Mittelpunkte wie
in den andern englisch-australischen Kolonien giebt es in Neu-Seeland nicht,
die bedeutendsten Städte sind Auckland, welches mit Vorstädten 57 000 Ein-
wohner zählt, Wellington 30 000, Christchurch mit Vorstädten 45 000, Dunedin
mit Vorstädten 46 000 Einwohner. Die Gesamtzahl der Einwanderung 1876
bis 1887 betrug 161 000 Personen, die Mehrzahl kam aus England und den
englisch-australischen Kolonien. Bemerkenswert ist, dafs unter den Ziffern der
Fremden, welche sich in dem Zeitabschnitt 1878 — 87 in Neu-Seeland haben
naturalisieren lassen, diejenigen der Deutschen die gröfste ist, nämlich 659;
Schweden wurden 211, Dänen 336, Norweger 156, Chinesen 140 naturalisiert,
die Ziffern aller übrigen Nationen blieben unter 100. Die Zahl der Maoris ist
in steter Abnahme, die Geburtsziffer niedrig, die Sterblichkeit im jugendlichen
Alter grofs. Dies ist umsomehr zu bedauern, als, wie der Bericht ausdrücklich
ausspricht, die Maoris, körperlich wie geistig begabt, sich schnell in die Zivili-
sation einleben. In der Schiffahrt nach und von der Kolonie überwiegt natürlich
bei weitem die britische Flagge, 29 °/o, nach der Zahl der Schiffe waren englische,
73^0 englisch-australisch-koloniale, nur 10 ^o w^aren fremde Schiffe. Unter
diesen letzteren überwiegen die amerikanische, deutsche, norwegische und
schwedische Flagge. Bemerkenswert ist die Steigerung der direkten Einfuhr
aus Deutschland von einem Wert im Betrage von 44 549 £ 1886 auf 68 532 £
1887. Die wichtigsten Ausfuhrartikel der Kolonie sind Wolle (1887 für
3 321 000 £), Gold (in der Abnahme, 1887 für 747 000 £), Hafer (1887 für
279 000 £), gefrorenes Fleisch (1887 für 455 000 £) Kauri Gummi (Harz von
der Kaurifichte, 1887 362 000 £) und bearbeitetes Holz (1887 für 127 108 £).
Dagegen wurde von dem berühmten neuseeländischen Flachs nur für 25 000 £
im Jahre 1887 ausgeführt. Die Länge der 1887/88 in Betrieb befindlichen
Eisenbahnen war 1753 miles, die Zahl der Passagiere 3 451 000. — Die in
einem Anhang gegebene chronologische Übersicht der wichtigsten Ereignisse in
der Kolonie ist ein guter Nachweis.
Meereskunde.
R. Handbuch der Ozeanographie. Band IL Die Bewegungen
des Meers. Von Dr. Otto Krümm eL Stuttgart. Verlag von J. Engelhom. 1887.
Vor fünf Jahren erschien der erste Teil dieses Handbuchs. Der Verfasser, Prof.
Georg von Boguslawski, Sektionsvorstand im Hydrographischen Amt der
Admiralität and Eedakteur der „Annalen der Hydrographie'', hatte damals ange-
kündigt, dafs der zweite Teil binnen Jahtesimt iv«k.Ci\\iQ\^«vi ^qI\ä. Allein bald
darauf erlag Bognslawaki dem schweren Leiden, vieXcYi^^ '^^flv ^^\\. >asi^«t^ Isä^
— 295 —
heimgesucht hatte. An seiner Stelle übernahm zunächst Professor Zöppritz die
l^eiterführung des begonnenen Werks, und als auch dieser im März 1885 starb,
wurde sie dem Professor Krümmel in Kiel übertragen und von diesem glücklich
zum Abschlufs gebracht. Während der erste Band die räumliche, physikalische
und chemische Beschaffenheit der Ozeane, ihre Einteilung, Gliederung und
Bodengestaltung; den Salzgehalt und das spezifische Gewicht des Seewassers;
die Farbe, das Leuchten und die Durchsichtigkeit ; endhch die maritime Meteoro-
logie und die Temperaturverteilung in den Meeren zum Gegenstande hatte,
behandelt der zweite Band in vier Kapiteln die Bewegungen des Meers. Die
beiden ersten Kapitel sind den schwingenden Beilegungen, den Wellen und den
Gezeiten gewidmet, das dritte der Vertikalzirkulation der Ozeane, das vierte
den Meeresströmungen. Nur ein kleiner Teil dieses Stoffs, nämlich das
Kapitel |,über die Vertikalzirkulation und die Einleitung zu den Gezeiten,
im Ganzen etwa 60 Seiten, ist noch von Zöppritz bearbeitet. Alles Übrige
rührt von Krümmel her. Von einer Besprechung dieser fleifsigen Arbeit in ihren
Einzelheiten müssen wir absehen, sie würde zu weit führen, wenn man sich
nicht auf willkürliches Herausgreifen des einen oder des andern Punktes be-
schränken wollte. Im ganzen kann das ürteü über diesen Band nur günstig
lauten. Die Literatur, namentlich die neuere, ist eingehend berücksichtigt, soweit
sie überhaupt Berücksichtigung verdient. Die Anordnung ist übersichtlich. Die
geschichtlichen Einleitungen zu jedem Abschnitt enthalten alles wesentliche.
Die Darstellung der verschiedenen Theorien ist ausführlich und verständlich,
ihre Kritik gröfstenteils überzeugend und doch mit Mals und Vorsicht gegeben.
Rätsel und „ungelöste Probleme" bleiben allerdings noch überall, und der
Verfasser hätte einen überschriebenen Abschnitt jedem Kapitel hinzufügen
können, wie er es bei den Gezeiten gethan hat. Das Lob einer fleiCsigen, nach
Möglichkeit vollständigen Gelehrtenarbeit, welches der zweite Band beanspruchen
kann, gebührte auch dem von Boguslawski verfafsten ersten Bande. Aber bei
diesem musste man damit, wie wir früher an einer andern Stelle hervorgehoben
haben, nicht unerhebliche Mängel in den Kauf nehmen. Den ersten Band zu
lesen, war gerade kein Genufs. Unter der Menge von Einzelheiten litt die Über-
sicht. Zahlreiche Bausteine waren zusammen getragen, aber nicht in einander
gefügt, und es entstand kein Bau vor dem Auge des Lesers. Die Anhäufung
von Zahlen und Daten wirkte stellenweise geradezu ermüdend. Erläuternde
Figuren und graphische Darstellungen fehlten fast ganz. Dabei litten
Satzbildung und Schreibweise an einer, gelinde gesagt, starken ünbeholfen-
heit, besonders unleidlich wirkte die Angewohnheit, die Titel der citirten
Schriften nicht unter den Text zu stellen, sondern sie in Klammern gefafst in
denselben und zwar zuweilen mitten in die ohnehin schon langen Sätze zu
schieben. Von diesen Mängeln ist der zweite Band fast ganz frei. Vielleicht
hätte manches noch etwas zusammengedrängt und kürzer gefafst werden können,
indessen soll damit kein Vorwurf erhoben werden. Das alphabetische Sach- und
Namenregister, das dem ersten Bande fehlte, ist auch für diesen jetzt nach-
geholt. Der Plan des ganzen Werks war ursprünglich umfassender. Aufser dem,
was dasselbe jetzt bringt, sollten noch das Tier- und Pflanzenleben im Meere,
femer der Einflufs der neueren ozeanischen Forschungen auf das Kulturleben
der Menschheit, endlich die ozeanographischen Institute behandelt werden.
Krümmel hat diese Gegenstände ausgeschieden, weil er einerseits niclal -^^s^Si^
die volle Sachkunde und Erfahrung für ihre BekwoÄVxxxi^ ^ö^-säI-ä, \sä.^ ^'^^ ^'^*
selben anderseits schon in anderen Teilen des SaiMXie\^«t\Ä^oTL\SxOD5a^^
— 296 —
männern bearbeitet worden waren. Man kann sieb damit einverstanden erklären,
obgleich einzelnes davon wohl zu einer vollständigen Ozeanographie gebort.
Eine Bearbeitung dieser Kapitel in gleicher Ausführlichkeit würde übrigens einen
dritten Band von annähernd demselben Umfange wie die vorliegenden ausgefüllt
haben. Das Feld maritimer Forschungen ist von Deutschland erst spät betreten
worden. Die Verhältnisse, welche dem in früherer Zeit entgegenstanden, sind
zu bekannt, um hier noch einmal erörtert zu werden. Auch die Literatur,
welche sich mit dem Meere befafst, konnte sich mit der anderer Nationen nicht
messen, denen wir sonst in der Pflege und Förderung der Wissenschaften
mindestens gleich standen. Das ist nun besser geworden, und seit Deutschland
in die Arbeit auf der See mit eintrat, ist mit Eifer geschafft und schon vieles
beschafft, wenn auch nicht alles von gleichem Werte. Es ist erfreulich zu
sehen, wie oft in dem vorliegenden Handbuch auf neuere deutsche Arbeiten,
sowohl auf dem theoretischen Gebiet, wie auf dem der Beobachtung und Samm-
Ixmg von Thatsachen. Bezug genommen worden ist. Das wird hoffentlich so
weiter gehen, damit wir auch auf diesem Gebiete in die Reihe einrücken und
einen gleichen Rang mit den übrigen seefahrenden Nationen beanspruchen
dürfen.
Ethnologie.
Internationales Archiv für Ethnographie, unter Mitwirkung
bedeutender Fachgelehrter herausgegeben von J. D. E. Schmeltz, Konservator am
ethnographischen Reichsmuseum in Leiden. Verlag von P. W. M. Trap in Leiden.
Von dieser so inhaltsreichen mit wertvollen Illustrationen ausgestatteten Zeit-
schrift liegen uns wieder mehrere umfängliche Hefte vor, welche an grölseren
Aufsätzen enthalten : Band II, Heft I und H : v. Luschan, das türkische Schatten-
spiel, mit Tafel I — IV. Schurtz, das Wurfmesser der Neger, mit Tafel V und
Abbildungen im Text. Parkinson, Beiträge zur Ethnologie der Gilbert-Insulaner,
mit Abbildungen im Text. Heft IH : Fortsetzung des Aufsatzes von v. Luschau
und' Schlufs des Aufsatzes von Parkinson und F. Driessen, Tie and Dye work
at Semarang, mit Abbildungen. Heft IV : Schlufs des Aufeatzes von v. Luschan
und: Dr. Schellong, das Barlumfest der Gegend vom Finschhafen, mit einer Tafel.
Neben den gröfseren Aufsätzen ist der Inhalt der sechs anderen Rubriken:
Notizen und Briefwechsel, Sprechsal, bibliographische Übersicht, Museen und
Sammlungen, Bücherschau, endlich Reisen und Reisende, Ernennungen und
Nekrologe durchweg sehr mannichfaltig. Hochbedeutend für die Ethnographie
der mittelamerikanischen Indianer ist das mit Illustrationen ausgestattete um-
fangreiche Supplementheft des ersten Bandes : die Ethnologie der Indianerstämme
von Guatemala von Dr. Otto StoU, der wohl wie wenige andere vor ihm, durch
seinen längeren Aufenthalt in der Republik und durch seinen Beruf als Arzt,
Gelegenheit hatte, die Indianer Guatemalas zu studieren. Das Werk, welches
dem deutschen Altmeister der Völkerkunde, unserem jetzt wieder auf einer
Forschungsreise begriffenen Landsmanne Geheimen Rat Professor Bastian in
Berlin gewidmet ist, hat folgenden Inhalt : Voi-wort, Aussprache der indianischen
Worte, Litteratur, Einleitung, soziale Organisation, die Religion, das Kriegswesen,
Technologie, Handel. Dem im 1. Heft des 2. Bandes seitens der Redaktion
ausgesprochenen Dankeswort an alle Mitwirkenden möchten wir unsrerseits
Worte der Anerkennung für die bisherigen trefflichen Leistungen und der Er-
mutigung zum Fortschreiten auf der erfolgreich betretenen Bahn hinzufügen.
Andrerseits] ist eine kräiügQ Unterstützung des Verlegers der kostspieligen
Zeitschrift durch ein zahlreiches Abonnement dxmgenöieÄ 'Sitl^iTt^^TDi?», ^«scs^
anders das Unternehmen gedeihen und sicli vjeitet a.uaÖLe\Äiexi ^o^.
«*« *• Deutsche »*"* ™-
Geographische Blätter.
Herausgegeben von der
Geographischen Gesellschaft in Bremen.
Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse :
Dr. M. Lindeman^ Bremen, Mendestrasse 8, erbeten.
Der Abdruck der Original-Aufsätze, sowie die Nachbildung von Karten
und Illustrationen dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung mit
der Redaktion gestattet.
Zur Entdeckungsgeschichte und Landeskunde
in Neuguinea.
Von A. Oppel.
I.
Die langsame Erschliefsung Neuguineas ist bedingt durch die Natur der Sache und
die Eigenart der Eingeborenen. I. Zur Entdeckungsgeschichte. 1. Das Niederländische
Neuguinea. Der Bochussenflufs. Arimoa-Inseln. Wandammenküste. Mac Cluergolf.
Die Südküste. 2. Das britische Neuguinea. Der Chesterflufs. Der Maikafsa. Der
Flyriver. Der Airdriver. Hallsund. St. Josephsflufs. Das Owen Stanleygebirge.
Der Kemp Welshflufs. Die Wilnebai. Die d'Entrecasteaux- und Luisiaden-Inseln.
Neuguinea, eine der gröfsten Inseln der Erde, ist zwar schon
seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts sowohl seiner Lage nach als
auch in seiner Eigenschaft als Insel bekannt, gehört aber doch bis auf
den heutigen Tag zu den wenigen Teilen der bewohnten Erdober-
fläche, die den verschiedenen Versuchen der Kulturvölker, das Land
zu erforschen und mit den Eingeborenen in dauernde Beziehungen
zu treten, den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt haben.
Denn noch vor wenigen Jahrzehnten hatte man erst die Küsten
kennen gelernt, und auch diese vielfach nur flüchtig oder von weitem
gesehen. Und abgesehen von einigen schwachen Anfangs versuchen
seitens der Holländer, hatten die beiden Mitpioniere in der Er-
schliefsung fremder Länder, der Handel und die Mission, sich von
Neuguinea ferngehalten, geschweige denn, dafs es einer europäischen
Macht eingefallen wäre, die Hand nach diesem später begehrenswert
gewordenen Gute auszustrecken.
Auf den ersten Blick will es wunder nehmen, dafs Neuguinea
so lange sich wie eine uneingenommene Feste behaupten konnte.
Denn die grofse und fruchtbare Insel befixvd^^. «vöa. m 9s«v^^ V^sää.'^-
Oeogr. Blätter, Bremen, 1889. ^^
■ — 298 —
wegs entlegenen Weltgegend, sie ist vielmehr von mehreren Seiten
aus ohne besondere Schwierigkeit zu erreichen, und in der That
wurde sie ja auch früher als manche andre. Insel der Südsee entdeckt,
weil man von den südostasiatischen Inseln oder von Australien her-
kommend, unbedingt auf sie stofsen mufste.
Sieht man aber näher zu, so wird man bald finden, dafs sowohl
für die langsame und schwerfällige Aufhellung und Feststellung der
Küstenlinien als auch für die lange Unnahbarkeit des Innern, deren
Bann erst vor wenigen Jahren gebrochen ist, schwerwiegende Gründe
vorliegen. Diese werden sowohl aus der Natur des Landes als aus
der Eigenart und der Kulturstufe der Eingeborenen ersichtlich.
Was zunächst den Verlauf der Küstenlinie anbelangt, so bietet
diese nach den neueren und neusten Untersuchungen wohl zahlreiche
gröfsere und kleinere Buchten dar, aber diese sind sowohl im Süden
als im Norden vielfach von Korallengebilden umsäumt, welche in
früherer Zeit von den Seefahrern mehr gemieden wurden, als dies
jetzt, wo man ihre verhältnismäfsige Unschädlichkeit kennt, der
Fall ist. Die älteren Seefahrer hielten sich daher bei ihren For-
schungen in einer gewissen respektvollen Entfernung von der Küste
und konnten also die zahlreichen Mündungen gröfserer Flüsse, die
thatsächlich vorhanden sind, nicht auffinden. Damit war ihnen die
Möglichkeit, in das Innere einzudringen, abgeschnitten. Den Land-
weg aber einzuschlagen, war einerseits durch den Umstand, dafs die
älteren Forschungen zur See gemacht wurden, anderseits durch die
hohen Küstengebirge oder durch sumpfige Beschaffenheit sowie die
dichten Wälder der mit jenen abwechselnden Tieflandstrecken aus-
geschlossen.
Ein weiteres Hindernis schien das Klima zu bieten. Denn
wenn dies auch, wie man jetzt weifs, im Durchschnitt den Weifsen
nicht gefährlicher ist, als das andrer längst von Europäern be-
wohnter Tropengegenden, so waren doch die Besiedelungsversuche
der Holländer z. B. an der Westküste fehlgeschlagen und dieser
Mifserfolg genügte, um weitere Anstrengungen zu unterlassen. Dazu
kommt, dafs Neuguineas Natur in der That wenige Lockmittel enthält.
Gold ist wohl vorhanden, aber die Gegenden, wo es sich findet,
enthalten es entweder in nicht bedeutender Menge oder sind sehr
entlegen. Ferner bieten die riesigen Wälder wohl ungeheuren Reich-
tum an nutzbaren Hölzern dar, aber solche konnte und kann man
sich auch aus andern Gegenden und in bequemerer Weise verschaffen.
Nutzpflanzen aber von besonderer Eigenart, die anderswo nicht zu
ßnden wären, bat Neuguinea nicht aufz\iw^\aftii. Die Tierwelt endlich
— 299 —
zeichnet sich zwar durch gewisse Spezialitäten, namentlich unter
den Vögeln aus, aber um diese zu erhalten, bedurfte es nicht unbedingt
langwieriger, kostspieliger und mühevoller Reisen in das Innere.
Nicht geringer war das Hemmnis, welches von den Einge-
borenen ausging. Diese sind zwar vermöge des Umstandes, dafs sie
bis in unsre Zeit auf der Kulturstufe der Steinzeit verharrt haben,
ein ungewöhnlich anziehender Gegenstand des Studiums und ein
unentbehrliches Requisit der modernen Völkerkunde, aber gerade
wegen ihrer Zurückgebliebenheit konnten sie auf den Handel, zumal
dieser lange Zeit nur die Holländer nach der Insel führte, wenig
Anziehungskraft ausüben. Zudem standen sie in dem — allerdings
nicht begründeten — Rufe, die schlimmsten Kannibalen zu sein.
Letzteren hatten sie sich dadurch erworben, dafs sie sich den mehr-
maligen Annäherungsversuchen besonders der Holländer, an einigen
Stellen wenigstens, sehr wenig zugänglich, anderwärts geradezu feind-
selig und mordlustig bewiesen.
Die neueren Forschungen und Erfahrungen haben nun zwar
gelehrt, dafs der Charakter der Papuas lange nicht so schlimm ist,
wie man früher annahm, aber die mit ihrer Kulturstufe verknüpften
Unzuträglichkeiten im Hinblick auf Entdeckung und Erforschung
bleiben doch bestehen. Dafür nur wenige Andeutungen ! Das Steinbeil,
das Hauptwerkzeug der Papua Neuguineas genügt wohl, um kleinere
Urwaldflecken zu lichten und für den Plantagenbau zu klären, aber es
reicht nicht hin, um wirkliche Verkehrswege durch die weiten Strecken
des Innern zu bahnen. Zudem ist die Bevölkerung an sich schwach
und auf enge Gebiete verteilt. Die einzelnen kleinen Gruppen, auf
sich beschränkt, haben kaum Verkehr mit ihren unmittelbaren Nach-
barn, geschweige denn, dafs sie mit ferner wohnenden Stämmen in
Beziehungen getreten wären. Die Folge dieser Vereinsamung oder
vielleicht auch die Ursache derselben, ist eine aufserordentliche Zer-
splitterung der Sprachen. In der That giebt es kein zweites Beispiel
dafür, dafs ein Volksstamm, der nach Körperbildung, Kulturstufe und
geistigem Charakter ein untrennbares Ganze bildet, sich in sprach-
licher Beziehung in solchem Mafse zerteilt erwiese, wie dies bei den
Papua von Neuguinea der Fall ist. In Kaiser Wilhelmsland z. B.
hat man beobachtet, dafs fast jedes Dorf seine eigne, durch besondern
Wortschatz charakterisierte Sprache hat und dafs die verbreitetsten
Idiome sich höchstens auf eine Entfernung von 25 km ausdehnen.
Infolge des unentwickelten Verkehrs und der sprachlichen Zer-
splitterung können aber die Eingeborenen den Fotack\xxv%^x<sva«^^^^
weder aJs Fährer noch als Dolmetsclier neiiXieu^N^et\.^T^\fcXÄ\Ä\^'N&*^^^
— 300 —
und da die Leute durch Ackerbau, Fischfang und Jagd nicht mehr an
Lebensmitteln gewinnen, als sie selbst brauchen, so giebt es auch
keine irgendwie beträchtlichen Vorräte, die den Fremden abgetreten
werden können; die letzteren müssen also bei ihren Vorstöfsen fast
allen Proviant mit sich führen. Die Fortbewegung dieser und andrer
Ausrüstungsgegenstände bietet aber wiederum die gröfsten Schwierig-
keiten, weil es für Landreisen an entsprechenden Transportmitteln
fehlt. Denn die Eingeborenen selbst sind nicht gewöhnt, auf längere
Zeit schwere Lasten zu tragen. Tiere aber, die sich hierfür ver-
wenden liefsen, giebt es in Neuguinea nicht, da sich die Viehzucht
der Papua nur auf Schweine, Hunde und Hühner bezieht.
Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, um darzuthun,
weshalb es so lange nicht gelingen wollte, in das Innere der Lisel
einzudringen, oder richtiger gesagt, weshalb man Jahrhunderte hin-
durch gar nicht den Versuch dazu machte. Erst als man die
Mündungen einiger grofser Flüsse gefunden hatte, wurde es möglich,
den Bann zu brechen. Von epochemachender Bedeutung war hierfür
die Entdeckung des an der Südküste mündenden Flyriver, dessen
Wasserstrafse, zuerst von dem Italiener d'Albertis und von englischen
Missionären verfolgt, tief in das Herz der Insel führt. Aber dieser
vom Standpunkte einer ersten Entdeckung unzweifelhaft grofse Erfolg
hat doch nicht diejenigen Folgen nach sich gezogen, die man davon
erwarten durfte. Denn die Fahrten der ersten Reisenden sind wohl
wiederholt worden, aber sie haben zur weiteren Aufschliefsung der
Binnengebiete bisher wenig beigetragen, da eben keine Ausflüge in
das Land gemacht wurden.
Ahnlich steht es auf der Nordseite. Hier wurde der ansehn-
liche Kaiserin Augustaflufs von deutschen Reisenden gefunden und
tief in das Innere verfolgt. Aber auch in diesem Falle mufste man
sich darauf beschränken, die neue Wasserstrafse mit ihrer unmittel-
baren Umgebung zu beobachten und zu untersuchen, weiterreichende
Vorstöfse dagegen unterbUeben. In weit geringerem Mafse hat der
ebenfalls der Nordküste angehörende Rochussenflufs zu Aufschlüssen
^ber das Innere geführt.
Während aber die grofsen Flüsse der Erforschung des Innern
noch nicht diejenigen Dienste geleistet haben, die man davon
unstreitig erwarten darf, sind neuerdings in den Küstengebirgen
zwei ansehnliche Erfolge errungen worden, welche einigermafsen für
jene Enttäuschung entschädigen. Ich meine die Bereisung des Fini-
sterregebirgea durch Herrn H. ZöUer und (ieüo^^^w und die nach
— 301 —
vielen vergeblichen Versuchen geglückte Besteigung des Owen Stanley-
gebirges durch Sir William Mac Gregor.
Diese erfreulichen Ereignisse legen es nahe, einen Rückblick
auf die Bemühungen um Neuguinea zu werfen und die dadurch ge-
wonnenen Ergebnisse zu überschauen. Wenn ich mich nun, einer
Anregung der Redaktion folgend, dieser Aufgabe unterziehe, so sei im
Voraus bemerkt, dafs die nachstehenden Seiten nicht den Zweck
haben, eine erschöpfende und in alle Einzelheiten gehende Darstellung
von der Entdeckungsgeschichte und von der Landeskunde Neuguineas
zu geben. Dazu würde der zur Verfügung stehende Raum nicht
ausreichen. Sodann ist der Verlauf der Entdeckungen bereits von
andrer Seite verfolgt und in leicht zugänglicher Weise dargestellt worden;
ich erinnere beispielsweise an den Aufsatz von C. R. Markham, Pro-
grefs of discovery on the coasts of New Guinea with bibliographical
Appendix by E. C. Rye (Supplementary Paper of Royal Geogr. Soc.
London , Vol. L part. 2) und an eine ähnliche Arbeit von 0. Bau-
mann in den Mitteilungen der Wiener Geogr. Ges. (Jahrg. 1882).
Wer genauere Mitteilungen wünscht, als Markham und Baumann
bieten, der sei auf zwei holländische Werke verwiesen, die zwar in
erster Linie die Reisen der Niederländer berücksichtigen, aber doch
auch diejenigen der Forscher andrer Nationalität, mit in Betracht
ziehen. Diese Werke sind: P. A. Leupe, de Reizen der Nederlanders
naar Nieuw Guinea en de Papoeschen eilanden in de 17de en 18de
ceuw ('sGravenhage, M. Nyhoff, 1875) und A. Haga, Nederlandsch
Nieuw Guinea en de Papoeschen eilanden. Historische Bydrage.
'sHage, 1884. Eerste Deel 1500—1817. Tweede Deel 1818—1883.
Ferner gedenke ich auch über die Reisen und Forschungen
unsrer deutschen Landsleute nicht ausführlich zu berichten, denn
einerseits sind diese als bekannt vorauszusetzen, anderseits haben
die Deutschen Geographischen Blätter bereits öfter kürzere und
längere Mitteilungen darüber gebracht. Aufserdem ist das Original-
material, in den Veröffentlichungen der Neuguineagesellschaft enthalten,
leicht zugänglich, ebenso wie die anderwärts niedergelegten Berichte
der betreffenden Forscher.
Was mir zu thun übrig bleibt, besteht bezüglich der Ent-
deckungsgeschichte in einer übersichtlichen Zusammenstellung der-
jenigen Reisen, welche seit 1883, wo die oben genannten Schriften
abschliefsen, in den nichtdeutsclien Teilen von Neuguinea gemacht
worden sind. An diese Übersicht will ich dann einige Bemerkungen
knüpfen, welche sich auf die Fortschritte in den einzelnen Zwei^^^w
der Landeskunde sowie auf die Anfange dei ILoXom'a^XAöTi \kcä^ ^m«-
— 302 —
Mission beziehen. Diese Auseinandersetzungen werden aber nicht nur
die Anteile der Niederländer und der Engländer, sondern das ganze
Neuguinea berücksichtigen. Als Grundlage kann die beizugebende
Karte von Neuguinea dienen, die mit Benutzung des besten mir
zugänglichen Quellenmaterials zusammengestellt worden ist**)
I. Zur Entdecknngsgeschichte.
Vorbemerkung. Wie allgemein bekannt, ist durch diplomatische
Abmachungen seitens der drei beteiligten Mächte England, Nieder-
land und Deutschland die Insel Neuguinea in drei Bezirke oder
Interessensphären geteilt worden. Dem Königreich der Niederlande
fällt der ganze Westen mit den daran sich schliefsenden Inseln zu.
Die Grenzlinie, im allgemeinen dem 141 ® W. L. Gr. entlang laufend,
beginnt im Norden bei dem Kap Bonpland — nach Hagas Karte
bei 140^ 48' — und endet an der Südküste mit einem „Wapenbord"
genau auf 141®. Nach der planimetrischen Berechnung von
B. Trognitz in Gotha umfafst der niederländische Anteil 382 140 qkm
oder 48,6 ®/o der ganzen Insel, während auf den englischen Teil
28,3 ®/o, auf den deutschen aber 23,i ®/o kommen.
1. Das Niederländische Neuguinea.
Seit dem Erscheinen des für die Entdeckungsgeschichte des
niederländischen Anteils grundlegendem Werke von A. Haga ist auf
diesem Gebiete nicht viel Bemerkenswertes geschehen, und also der
Stand der Kenntnisse nicht wesentlich über den des Jahres* 1883 hin-
ausgerückt worden.**) Die Unternehmungen, über die ich zu berichten
habe, bewegen sich sämtlich an der Küste, deren Verlauf, wie Hagas
Karte zeigt, noch an verschiedenen Stellen näher untersucht und
festgestellt werden mufste. Solches geschah auch. Dagegen verlautet
nichts von einem tief ins Innere reichenden Vorstofse.
Und doch wäre ein solcher an einer bestimmten Stelle von
besonderem Interesse gewesen. Nahe der Nordspitze des eigentlichen
Rumpfes von Neuguinea, d. h. bei Kap D'Urville, hatte nämlich der
*) Da einige für die Herstellung der Karte wichtige Materialien, wie z. B.
über das Finisterregebirge und das Owen Stanleygebirge, jetzt noch nicht zu-
gänglich siiid, so wird dieselbe erst dem zweiten Teile dieses Aufsatzes beige-
geben werden.
**) Wie mir mitgeteilt wird, machte man vor einigen Jahren in den
Niederlanden den Versuch, die Mittel zu einer gröfseren Expedition, welche das
niederländische Neuguinea erforschen sollte, zusammenzubringen, aber da keine
genügende Summe einkam, so verwandte man das gesammelte Geld zu Forschungen
im malayiscben Archipel.
— 303 —
französische Seefahrer Dumont d'Urville die Mündung eines grofsen
Flusses entdeckt, der sich in mehreren Armen in das Meer ergiefst.
Dieser, ursprünglich Amberno genannt, wurde später zu Ehren des
Gouverneurs von Niederländisch-Indien Rochussen mit dessen Namen
belegt. Der erste Versuch, den Rochussen stromaufwärts zu fahren,
war im Jahre 1871 von den Niederländern P. van der Grab und
J. E. Teysman gemacht worden. Vier Jahre später kam von A. J. Lange-
veldt van Hemert an dieselbe Stelle, aber es gelang ihm ebensowenig
wie seinen Vorgängern, eine wesentliche Aufklärung über den Rochussen-
flufs mit nach Hause zu bringen. Etwas günstigeren Erfolg hatte
die Reise des Residenten von Ternate, D. F. van Braam Morris, mit
dem Dampfer „Havik" im Jahre 1883. Unter seiner Leitung wurde
zunächst festgestellt, dafs der Rochussen unter 137® 55' 53" östl.
L. Gr. und 1^ 25' 30" s. Br. mündet. Darauf ging der „Havik"
stromaufwärts, mufste aber wegen zu reifsender Strömung die Fahrt
schon bei 2 ® 20' einstellen, so dafs in gerader Richtung von der Küste
landeinwärts nur eine Entfernung von etwa 100 km zurückgelegt
wurde. Bei der Havik-Insel, dem südlichst erreichten Punkte, war
der Rochussen oder wie ihn die Eingeborenen nennen, der „Mamberan"
zwischen 400 und 500 m breit. Da sich der Flufs hier schon in
einem gebirgigen Lande bewegt, so hat man es ohne Zweifel mit
einer Wasserader zu thun, die sich den beiden bekannten Haupt-
flüssen Neuguineas, dem Flyriver und dem Kaiserin Augustaflusse
in würdiger Weise anreiht. Um so mehr ist zu bedauern, dafs zur
Aufklärung seines Laufes nichts weiter geschehen ist, seitdem van
Braam Morris an Ort und Stelle war. Ja, selbst die Mündungs-
verhältnisse sind noch nicht genügend aufgeklärt. Dafs der Maraberan
vor der Mündung sich teilt, ist wohl gewifs. Aber ob, wie die
älteren Karten annehmen, alle die in den Seitengebieten des Kap
D'Urville mündenden Wasseradern als Zweige des Mamberandeltas
aufzufassen seien, scheint doch recht zweifelhaft.
Die Küstenstrecke östlich des Mamberandeltas wurde im Herbst
1887 von dem niederländischen Residenten F. S. A. de Clercq be-
endet und die betreffende Fahrt bis zu den Arimoa- oder Kumamba-
Inseln ausgedehnt, die etwa 100 km östlich von Kap D'Urville
liegen. Am 21. Oktober ging er an Land und wurde von den
Eingeborenen freundlich aufgenommen. Nach den Angaben derselben
heifsen die drei Inseln Liki, Lansutu und Armofin, also wesentlich
anders als bisher auf den Karten gelesen wird.
Auf der gleichen Reise hatte de Clercq noch einige andx^
Küßtengegenden besucht; es waren besoiiÖLCt^ öaä ^xväSvöcÄT^ kaar
— 304 —
buchtungen der Geelvinkbai, die, bisher nur teilweise genügend be-
kannt, genauer untersucht worden. Zuerst wandte sich de Clercq
nach der Wandammenküste, welche den südlichen Saum einer zwischen
dem Ostende des Macluergolf und 'der Insel ßoon tief einschneidenden
bisher unbenannten Bucht bildet. Darauf begab er sich zu der
östlich der Insel Roon gelegenen, noch tiefer als die erste ein-
schneidenden Bucht, und landete auf dem Teile der Küste, welche
als Jauer oder Ja-oer bezeichnet wird. Jauer gegenüber, auf der
andern Seite der Bucht, befindet sich die kleine Insel Moor. Diese,
bei den Eingeborenen Nuto Rutumordjo genannt, zählt, nach de Clercqs
Bericht, in neun Kampongs etwa 2000 Einwohner. Die benachbarten
Eilande dagegen, ßatewo, Utaina und die Harlem-Insel wurden unbe-
wohnt gefunden.
Gegenüber der mehrfach erwähnten Insel Roon schneidet von
Westen her der Macluergolf oder Telok Berau tief in den westlichen
Teil von Neuguinea und spaltet diesen dermafsen in zwei Halbinseln
von ungleicher Gröfse, dafs sie nur durch eine schmale scharnier-
artige Landenge mit einander zusammenhängen. Die Landenge war
durch die mehrmaligen Reisewege unsres Landsmannes A. B. Meyer
an einigen Stellen besucht worden. Da wurde vor mehreren Jahren
von dem Kapt. John Strachan, der sich seit 1856 mit der Unter-
suchung der Westküste Neuguineas befafst hatte, die Behauptung
aufgestellt, er habe eine Wasserstrafse gefunden, welche den Macluer-
golf mit der Geelvinkbai verbinde, demnach müsse die bisherige
Halbinsel des äufsersten Nordwestens als Insel von dem Hauptkörper
Neuguineas abgelöst werden. Da Strachan die Stelle, wo er jene
Strafse entdeckt haben wollte, nicht genauer bezeichnet hatte, so
mufste man sich einweilen mit seiner Angabe zufrieden geben oder
abzufinden suchen. Die Möglichkeit der von ihm behaupteten Ab-
sonderung war ja nicht unbedingt ausgeschlossen, da Meyer seiner
Zeit wohl den nördlichen Teil der Landenge, aber nicht deren Süden,
zumal in der Richtung auf die Wandammenküste, untersucht hatte.
Bald aber wurde von mehreren Seiten Strachans Aufstellung scharf
angegriffen und zuletzt als unhaltbar nachgewiesen. Aber diese
Mühe war eigentlich nicht nötig gewesen, denn es stellte sich heraus,
dafs Strachan gar nicht an Ort und Stelle gewesen war. Er hatte
eben nur eine Vermutung ausgesprochen, diese aber in die Form
einer thatsächlichen Beobachtung gekleidet.
Die Südwestküste Neuguineas, welche sich von der Südspitze
der Halhinsel Kowiai bis zur Prinz Friedrich Heinrich-Insel erstreckt,
jst meines Wissens in den letzten Jahien x\ikv Tiv^^eNsÄ ^Ss^^tL^c^lÄft-
— 305 —
lieber Erforschung nicht besucht worden. Dagegen war dies bei
der Südkäste der Fall, welche von der genannten Insel bis zum
141 ^ ö. L. Gr. reicht. Während nämlich der niederländische Kon-
troleur J. van Oldenburgh mit dem Dampfer „Batavia", von Westen
her kommend, Ende 1880 und Anfang 1881 die ganze südliche
Strecke befahren und kartographisch aufgenommen hatte, führte der
Australier Robert Drew aus Sydney im Jahre 1883 dieselbe Reise
in umgekehrter Richtung aus. Nachdem er bei dieser Gelegenheit
auf englischem Gebiete den Chesterflufs entdeckt und 25 miles weit
verfolgt hatte, fand er bei 8 ^ 10' s. B. eine Insel, die er Discovery-
Island taufte. Dieselbe liegt 130 miles westlich von Deliverance-Insel.
2. Das britische Neuguinea.
Vorbemerkung. Das britische Gebiet auf Neuguinea ist durch
Königliche Verordnung vom 27. Oktober 1888 als Kronbesitzung
erklärt und zugleich in drei Bezirke geteilt worden. Der westliche
Bezirk, welcher unter die Kontrolle des Mr. Milman, des britischen
Residenten auf Thursday Island (Torresstrafse) gestellt ist, erstreckt
sich von dem niederländischen Wapenbord bis zum Airdriver unter
7® 45' s. Br. und 144^ 15'' ö. L. Gr. Der mittlere Bezirk reicht
vom Airdriver bis zur Toulon-Insel unter 10^ 26' s. Br. und 149®
12* ö. L. Gr. nahe der Amazonbai. Der bekannteste runkt ist
hier Port Moresby. Der östliche Bezirk endlich umfafst die Ost-
spitze mit den benachbarten Inseln, den Luisiaden und den
d'Entrecasteaux.
Innerhalb des von mir zu besprechenden Zeitraumes ist das
britische Neuguinea viel häufiger der Gegenstand von Reisen und
Forschungen gewesen als der viel gröfsere niederländische Anteil.
Dafür giebt es mehrere Gründe. Zunächst entfaltet hier die Londoner
Mission, welche seit einer längeren Reihe von Jahren die Arbeit an
der Südküste begonnen hat, ehe jemand an deren Besitzergreifung
dachte, eine ziemlich lebhafte Thätigkeit. Leute wie Chalmers,
Macfarlane, Beswick u. a. haben sich grofse Verdienste um die Auf-
klärung der sehr launisch ausgezackten Küstenlinie erworben.
Aufserdem ist zu der englischen Mission noch eine französische hin-
zugekommen, die sich ebenfalls bemüht, das Wissen über Land und
Leute zu bereichem. Aber das lebhafteste Interesse für Südn^fu-
guinea wurde doch durch gewisse politisch-nationale Strömungen in
Australien wach gerufen. Die junge Kolonie Queensland wünschte
nämlich ihr ohnehin so grofses Gebiet auf Neuguinea a\3ÄT»ÄfiJK»s£«s.^
und aJs die Erfolge der deutschen ?ie\xgvimfta%^^^^d^^l\.n ^sstO^ ^^
— 306 —
Expedition von Finsch, laut wurden, verbreitete sich der Eifer über
das übrige Australien. Die Folge war die Aussendung einer ziemlich
grofsen Zahl von Reisenden, . die sich meist nicht lange in dem
fremden Lande aufhielten, so dafs die Ergebnisse in keinem rechten
Verhältnisse zu der Zahl der Expeditionen steht. Immerhin sind
aber durch das Zusammengreifen der Missionen, der australischen
und englischen Reisenden einige Fortschritte zu verzeichnen, die
abgesehen von der endlich gelungenen Ersteigung des Owen Stanley-
berges hauptsächlich in der Aufklärung über die Mündungsverhält-
nisse der vorhandenen Flüsse bestehen.
Beginnen wir die im Laufe der letzten Jahre gewonnenen
Fortschritte vom äufsersten Westen des britischen Anteils zu mustern,
so ist zunächst noch einmal Robert Drews zu gedenken, der von
der Torresstrafse kommend 30 miles westlich von der Mündung des
Maikassa (Baxter) einen ansehnlichen Flufs entdeckte, denselben
Chesterriver benannte und auf eine Strecke von 25 miles strom-
aufwärts verfolgte.
Was den eben erwähnten Maikassa anbetrifft, so hat derselbe
zu mehrfachen Besprechungen und Vermutungen Anlafs gegeben,
insbesondere wegen seines Verhältnisses zu dem Flyriver. Von
Macfarlane und Octavius Stone im J. 1875 bei 9® 8' s. Br. und
142^ 12' ö. L. Gr. gefunden, wurde er zugleich von seinen Ent-
deckern 91 miles weit ins Innere verfolgt und als Baxterriver be-^
zeichnet. Man vermutete in ihm einen nach Süden gerichteten
Mündungsarm des Flyriver. Nachdem das Problem mehrere Jahre
geruht, wurde es von dem Kapt. Strachan 1884 im Auftrage der
Melbourner Zeitung „Age" wieder in Angriff genommen. Sirachan,
derselbe, der später den ominösen Verbindungskanal zwischen dem
Macluergolfe und der Geelvinkbai entdeckt haben wollte, machte zwei
Reisen. Nach seinen Berichten befuhr er auf der ersten den Mai-
kassa 120 miles stromaufwärts und sah eine Reihe beträchtlicher
Nebenflüsse, mufste sich aber wegen der feindseligen Haltung der
Eingeborenen wieder zurückziehen. Dann, mit zwei Landsleuten,
Namens Kerry und Poett, an den Baxter zurückgekehrt, untersuchte
er die vorher entdeckten Zuflüsse, besonders den von ihm als Prince
Leopoldriver bezeichneten, auf dem er auch den Thalweg nach der
Seeküste einschlug. Dieser dann in östlicher Richtung folgend, fand
er die Mündungen fünf kleiner Flüsse, deren Verlauf und Umgebungen
näher erforscht wurden.
Strachan fafste die gewonnenen Ergebnisse dahin zusammen,
dafs der Prince Leopoldriver eine Abzweigung des Maikassa und
— 307 —
. folglich einer von dessen Mündungsarmen sei. Prince Leopoldriver
und Maikassa umschliefsen eine, wahrscheinlich von vielen Kanälen
durchschnittene Insel, Strachan-Island, und nehmen zahlreiche Zu-
flüsse auf, von denen einige mit dem Flyriver in Verbindung stehen.
Strachans Aufstellungen begegneten aber bald lebhaften Zweifeln.
Insbesondere war es der damalige Spezialkommissär des britischen
Gebietes, welcher Strachans Angaben über den Maikassa als sehr
unzuverlässig erklärte ; eine Verbindung dieses Flusses existiere nicht.
Daher wird die Maikassafrage so lange eine offene bleiben, bis es
gelingt, die mafsgebenden Wasserläufe südlich der Flymündung bis
zu ihrem Ursprünge zu verfolgen.
Der Flyriver selbst ist seit den epochemachenden Fahrten von
d'Albertis zwar einige Male wieder besucht worden, aber die dabei
gewonnenen Ergebnisse nehmen sich recht bescheiden aus. Der
Missionär Macfarlane erschien 1883 im Mündungsgebiete, aber nur um
farbige Glaubenssendlinge, sogenannte teachers, in Kiwai und an einigen
andern Punkten unterzubringen. Im Jahre 1885 kam eine austra-
lische Expedition, die sich eigentlich nach dem Airdriver hatte
l3egeben sollen, aber dort wegen ungünstiger Windverhältnisse nicht
einlaufen konnte, mit dem Deutschen Haacke und fuhr den Flufs
aufwärts unter Kapitän Everill bis zur Einmündung des Bonito bis
7 ® 35' s. Br. und 140® 50' ö. Länge. Darauf ging sie auf diesen
über und folgte ihm bis 6® 30', während ein Boot noch bei 5®
35' Br. bei 141 ^ 40' L. hinaufging.
Seitdem ist, meines Wissens, auf und am Fly nichts weiter
geschehen. Betrachtet man auf der Karte das Verhältnis der beiden
Hauptflüsse Neuguineas, des Fly und des Kaiserin Augusta, so liegt
es nahe, anzunehmen, dafs eine den letzteren hinaufgehende Expe-
dition die Wasserscheide bald erreichen werde. Aber die Aussichten,
dafs eine solche Unternehmung in nächster Zeit vom deutschen
Gebiete aus unternommen werde, sind so gering wie möglich, da
die Neuguineagesellschaft den Entschlufs gefafst hat, die wissen-
schaftliche Erforschung bis auf weiteres einzustellen, um alle Kräfte
auf die wirtschaftliche Nutzbarmachung ihres Besitzes zu verwenden.
Während also der Fly etwas vernachlässigt wurde, wandte
sich eine grofse Aufmerksamkeit dem eigenartigen Mündungssystem
des Airdriver zu. Das Astuarium desselben ist schon lange be-
kannt, es wurde nämlich von Kapt. Blackwood und seinem Begleiter,
dem Naturforscher Yukes, auf der mit dem Schiffe „Fly" unter-
nommenen Reise, wobei der danach benannte Flufs entdeckt wurde,
aufgefunden, aber trotz mancher Versuche vj^x tdätv X^w'^'^ TjK^X. ^o^^et
— 308 —
die Umgebung der Küste nicht vorgedrungen. Auch der um die *
Kenntnis von Südostneuguinea so verdiente Missionär J. Chalmers,
welcher seit 1874 die Missionshauptstation in Port Moresby leitete,
konnte auf seinen zahlreichen bis zur Ostspitze ausgedehnten Fahrten
nicht tiefer eindringen als seine Vorgänger.
Erst dem im Auftrage einer Sydneyer Firma hinausgehenden
Th. Bevan war es beschieden, 150 km in direkter Entfernung
von der Küste landeinwärts zurückzulegen. Er fand heraus, dafs
der sogenannte Airdriver kein selbständiger Flufs, sondern nur
eine Verzweigung eines gröfseren Flusses sei. Dieser, als Douglas-
' river bezeichnet, war es, den Bevan 150 km stromaufwärts fuhr
und bis an den dort hervortretenden Gebirgsrand schiffbar fand.
Auf dem Oberlaufe des Douglas, dem Philpriver, wurde der nörd-
lichste Punkt bei 6« 39' Br. und 144 ^ 11' ö. L. erreicht. Auf
der Rückfahrt, die, in einer anderen Verzweigung ausgeführt, den
Reisenden bis zur Deceptionbai brachte, zeigte sich in der Nähe
von Bald Head ein neuer grofser Flufs, der zu Ehren des fünfzig-
jährigen Regierungsjubiläums der Königin Viktoria den Namen „Jubilee-
river" erhielt. Nachdem Th. Beva^ diesen auf eine Strecke von
200 km verfolgt hatte, stiefs er abermals auf eine Wasserader, die
er „Stanhoperiver" taufte. Der Stanhoperiver aber bildet mit
dem Jubileeriver ein gemeinsames Delta. Endlich aber macht es
den Eindruck, dafs alle die vorhergenannten Wasseradern nur Teile
eines gemeinsamen grofsen Deltas sind, das den Küstensaum zwischen
dem 144® und 145® ö. L. einnimmt.
Diese Wahrnehmung wird übrigens, auf Grund einer Be-
obachtungsfahrt, auch von Chalmers und J. M. Hennesy im grofsen
und ganzen bestätigt. Sie meinen, dafs die Küsten des Papuagolfes
von einer zusammenhängenden Deltalandschaft gebildet werden, zu
der nach Chalmers auch der Wickhamflufs zu rechnen ist.
Nachdem Th. Bevan die oben mitgeteilten ansehnlichen Erfolge
errungen, rüstete er sich Ende 1887 zu einer neuen Fahrt, die ihn
auf dem Jubileeriver weiter landeinwärts als das erste Mal führte.
Daran knüpften sich genaue Untersuchungen an der jenen Flüssen
entsprechenden Küste. Durch diese konnten die früheren Beobach-
tungenln der Weise präzisiert werden, dafs das ausgedehnte Delta
sich von Orokolo, 145® 10' ö. L., nach Osten jedenfalls bis Mitchell
Land, bei 144 o 10', vielleicht sogar bis zum Delta des Flyriver
erstreckt. Eine stark gebirgige Insel, welche in den Aird Hills bis
400 m ansteigt, wird von den Armen des Douglas umschlossen.
— 309 —
Eine weitere Reise, welche Th. Bevan ausführte, ergab die
Entdeckung mehrerer neuer Wasseradern, so des Aiwairiver (im
Jubileeriversystem), des Merewetherriver und des Georgeriver, doch
unterliefs es Bevan, die letzteren zwei landeinwärts zu verfolgen.
Dagegen wurden unter Beihilfe von Hemmy an der Küste karto-
graphische Aufnahmen gemacht.
Ostlich von dem grofsen Delta treten die gebirgigen, zum teil
ziemlich hohen Erhebimgen des Innern näher an die Küste heran
und, da überhaupt die Breite der Insel nach Osten hin abnimmt,
so darf man gröfsere Flüsse nicht mehr erwarten. Dagegen beweist
sich die Küstenlinie selbst als reich bewegt, mit vielen Landvor-
sprüngen und Meereseinbuchtungen ausgestattet. Eine der beträcht-
licheren Baien ist der sogenannte trichterartige Hall Sund, in dessen
breitem Eingange die kleine Yule-Insel lagert. Auf dieser haben sich
französische Missionäre festgesetzt. Dafs in den Hall Sund zwei kleine
Wasserläufe, Hilda und Ethel genannt, münden, ist schon länger
bekannt. Dagegen entdeckten die Missionäre einen ansehnlichen
Flufs, der, bei den Eingeborenen Paimono heifst, von ihnen aber als
St. Josephsflufs bezeichnet vnirde. Die Missionäre Verius und Couppe
verfolgten ihn nach Norden bis zu 8^ 32'; sie bemerkten, dafs der
sehr mündungsreiche St. Joseph, dessen Ursprung an dem Mount
Yule liegen soll, mit den obenerwähnten Flüssen Hilda und Ethel
ein gemeinsames Delta bilde. Das Land am St. Joseph ist gut be-
völkert; die Missionäre begegneten auf ihrer Reise 15 Dörfern mit
etwa 2000 Einwohnern.
Vom Hall Sund der Küste weiter nach Osten folgend, erreichen
wir Port Moresby, das, bekannt als Hauptstation der Londoner Mission,
überhaupt wohl der am häufigsten besuchte Teil des ganzen britischen
Neuguinea und zugleich der Ausgangspunkt für die Touren nach dem
Owen Stanleygebirge ist. Diese stattliche Gebirgskette wurde von
dem englischen Kapitän Owen Stanley, als er im Jahre 1849 in
Begleitung des Naturforschers Macgillivray der Südostküste mit
den Schififen „Rattlesnake" und „Bramble" entlang fuhr, zuerst ge-
sehen und nach seinem Entdecker benannt. Zugleich wurde die
Höhe der von den Schiffen aus sichtbaren Gipfel bestimmt, unter
ihnen der hauptsächlichste zu 12 800 F. engl.
Dafs das Owen Stanleygebirge eine grofse Anziehungskraft auf
die Reisenden ausüben werde, war vorauszusehen. Denn es vereinigt
eine ansehnliche Höhe mit einer für Neuguinea verhältnismäfsig be-
quemen Küstennähe. Daher hat es auch eine ziemliche Reihe von
Leuten verschiedener Art, als Touristen, Nat\M:a\\«v\a^TCLTc^5St.jQ^^^^
— 310 —
und wirkliche Forscher, angelockt. Der Umstand aber, dafs man
genau 40 Jahre brauchte, um die höchste Spitze zu erklimmen, zeigt
wiedenmi auf das deutlichste , mit welchen Schwierigkeiten und
Hemmnissen die nach dem Innern Neuguineas gerichteten Unter-
nehmungen verknüpft sind. Denn die direkte Entfernung von Port
Moresby, in der Luftlinie gemessen, beträgt kaum mehr als 100 km.
Der erste Europäer, welcher von der Küste in das Innere vor-
drang, war der Naturaliensammler Andreas Goldie, der im Jahre 1879
auf dem bekannten Missionsschiff „Ellengowan*', zugleich mit Rev.
W. Lawes nach Port Moresby gekommen war. Doch bewegte sich
Goldie vorzugsweise in den Umgebungen der Küste, eifrig mit
Sammeln beschäftigt. Unter seinen Entdeckungen spielt neben der
Auffindung des nach ihm benannten Goldieriver, der in die Reds-
carbai mündet, der Nachweis von goldhaltigem Quarz und von
Alluvialgold insofern eine Rolle, als daraufhin eine Truppe Gold-
gräber sich unter einem gewissen Borston nach Port Moresby auf-
machte, ohne aber die gehofften Schätze bergen zu können.
Nach A. Goldie bewegten sich die Missionäre J. Chalmers und
Lawes mehrfach im Hinterlande von Port Moresby. J. Chalmers
verfolgte 1879 den Laioki oder Goldie eine Strecke weit. Mit Lawes
zusammen bestieg er die Veriataberge, welche eine herrliche Aussicht
auf das Laiokibecken gewähren. Bald aber mehrten sich die Unter-
nehmungen. Im Jahre 1883 kam, im Auftrage der Melbourner Zeitung
„Argus", William E. Armit mit seinem Begleiter Denton. Der letztere
starb bald. Armit selbst vermochte nicht viel auszurichten. Die
von ihm hergestellte Karte stellt zunächst den Weg von Port Moresby
am Laioki entlang bis Narianuma dar. Ferner erreichte er die
Wasserscheide zwischen dem Laioki und den Quellbächen des Kemp
Welshflusses in einer Höhe von 553 m. Armits Nachfolger waren
G. E. Morrison und H. 0. Forbes, ihre Erfolge unbedeutend. Morrison,
bekannt durch seine Parforcewanderung durch den australischen
Kontinent vom Karpentariagolfe bis nach Melbourne, wollte 1883
die östliche Halbinsel durchqueren, legte aber nur 100 miles land-
einwärts zurück und kehrte dann um, weil er, mit den Eingeborenen
in Streit geraten, von diesen verwundet worden war. Der Natur-
forscher H. 0. Forbes, im Spätherbste 1885 nach Port Moresby ge-
langt, kam von da aus nur bis an den Fufs des Gebirges, wo er,
aus Mangel an Geldmitteln, die Weiterreise einstellte.
Etwas mehr Erfolg hatte der von der Geographischen Gesellschaft
in Melbourne ausgesendete W. R. Cuthbertson. Dieser erstieg 1887 den
Mount Obree und iestimmte mittels KocVittieTmom^t^tÄ dessen Höhe
— 3ii —
zu 2300, während man dieselbe früher zu 3223 m angenommen
hatte. Sein Nachfolger, D. Livesay, wollte wie Morrison quer durch
das Land gehend, die Nordostküste erreichen. Aber nachdem er
vom Veinouriflusse (Redscarbai) aus in nordwestlicher Richtung vor-
dringend die Wasserscheide bei einer Höhe von 1800 — 2100 m ge-
wonnen und, wie er glaubte, auch einen brauchbaren Weg nach
Osten gefunden hatte, schlug er diesen nicht ein, sondern kehrte
nach Port Moresby zurück.
Nach so viel fehlgeschlagenen Versuchen ist es nur erfreulich
zu berichten, dafs schliefslich die Ersteigung der höchsten Spitze
des Owen Stanleygebirges in diesem Jahre (1889) gelang. Der der-
zeitige Administrator des britischen Gebiets, Sir William Mac Gregor,
errang diesen Erfolg. Am 19. April 1889 von Port Moresby in
Begleitung seines Sekretärs, Cameron, und 14 Farbigen aufbrechend,
fuhr er zunächst den Vanapaflufs aufwärts, wobei mehrfach Strom-
schnellen überwunden werden mufsten. Als die Bootreise nicht weiter
fortgesetzt werden konnte, holte Cameron, nach Port Moresby
zurückkehrend, Verstärkungsmannschaften und Proviant nach. Und
als diese angekommen, begann Mac Gregor nach afrikanischer Weise,
das heifst durch Verteilung der Lasten auf die Begleitmannschaft,
am 17. Mai zu Fufse vorwärts zu gehen. Er kreuzte den Mount
Gleason, den Mount Gunbar und Mount Beiford, beim St. Josephs-
flusse, und schlug bei Mount Musgrave sein Lager auf. Hier liefs
er den gröfseren Teil seiner Leute zurück, um mit 11 Mann dem
Hauptberge zuzustreben. Nachdem er den Mount Musgrave bis
7000 F. engl., sowie die Mount Knutsford Range erstiegen, wandte
er sich nach Westen und hatte am 9. Juli den Fufs des Owen
Stanleygebirges erreicht, dessen Spitze am 11. und 12. Juni erklommen
wurde. Der Rückweg nach Port Moresby wurde in 13 Tagen ausge-
führt. Die Reise war in gesundheitlicher Hinsicht ziemlich begünstigt,
denn von der ganzen Kolonne starb nur ein Eingeborener.
Von den Ergebnissen dieser jedenfalls interessatiten Tour ist
bisher nur wenig bekannt geworden. Danach ist der Hauptberg
13 121 F. hoch. Nördlich davon wurde ein fast ebenbürtiger Gipfel
gesehen, zu 12 500 F. hoch bestimmt und als Mount Albert be-
zeichnet. Die von Mac Gregor durchreisten Landstriche sind durchaus
von Bergen erfüllt, ebene Flächen aber ausgeschlossen. In geologischer
Beziehung fand sich viel zersetzter Schiefer, Granit und Quarz, aber
keine Spur von Gold. Eingeborene wurden an zwei Stellen ange-
troffen, sie benahmen sich „aufserordentlich freundlich". Es waren
wohlgebaute starke Männer, aber keine Ftauew öäJö^x» \^\^\äq^
— 312 —
waren unbewaffiiet und mit sorgfältigen Haarfrisoren versehen, die
dazu verwendeten Muscheln stammen nach Mac Gregor von der
Ostküste, woraus hervorgehen würde, dafs zwischen der Küstenbe-
völkerung und den Gebirgsbewohnern Tauschverkehr stattfindet.
Die Plantagen, denen die Expedition begegnete, waren eingehegt
und trugen Yams, Kartoffeln, Zuckerrohr und Tabak in Fülle.
Was die Flora und die Fauna anbetrifft, so konnte Mac Gregor
mehrere neue und interessante Arten mitbringen, z, B. mehrere
schöne gelbe Rhododendronarten, eine Zahl Gräser, und mehrere
neue Tiere, darunter eine Art Bär.
Bei Gelegenheit der Owen Stanleyunternehmungen war des
Kemp Welshflusses Erwähnung gethan. Dieser, in die Hoodbai
mündend, war schon 1880 von Rev. Thomas Beswick 18 miles
landeinwärts verfolgt. Im Jahre 1886 erforschten dann Dr. Clarkson
und Hunter das Gebiet an seinem Oberlaufe bis in die Gegend des
Mount Obree. Die Wasserscheide in der Höhe dieses Berges wurde
im folgenden Jahre, von Port Moresby aus, von Harding und Hunter
bei 1500—1800 m Höhe erreicht.
Damit sind die wichtigeren Leistungen im britischen Neu-
guinea zur Kenntnis gebracht, es wäre höchstens noch zu sagen,
dafs an der Milnebai einige kleine Funde iu Form von zwei Flüfschen,
Davadava und Hadava, gemacht sind und zwar von dem seitdem
verstorbenen P. Scratchley.
Aus unsrer Übersicht geht hervor, dafs die Nordostküste, das
heifst von der Milnebai bis zum Mitrafels, seit Finsch Zeiten, welcher
der unmittelbare Nachfolger J. Moresbys war, nicht wieder besucht
worden ist. Dagegen war dies neuerdings bei den nahe der Küste
befindlichen d'Entrecasteaux-Inseln der Fall seitens des Herrn Basil
Thomson, der in Begleitung des britischen Kommissärs von den
Luisiaden herkommend, sich einige Zeit auf der Gruppe aufhielt,
um hauptsächlich geologische und ethnographische Studien zu machen ;
doch findet sich unter seinen Beobachtungen — soweit diese ver-
öffentlicht sind, — wenig Neues.
313
Über Landwirtschaft und Kolonisation im
nördlichen Japan.
Von Paul Grahner.
Die ersten Bemühungen der japanischen Regierung zur Kolonisation von Hokkaido.
Versachsfarm. Einführung von Vieh und Saatgut. Fabrikanlagen. Einwanderung.
Bodenbeschaffenheit. Fruchtbäumc. Seidenraupenzucht. Pferdezucht. Landwirt-
schaftliche Schule. Farmsoldaten. Hanfbau. Die Ainos. Zuckerrübenbau bei
Monbetsu. Anbau von Indigo, Gerste, Mais, Hirsearten, Buchweizen, Bohnen, Bataten,
Raps. Arbeiterverhältnisse.
Monbetsu*), den 28. August 1889.
Hokkaido ist die nördlichste Insel von Japan, fast gänzlich
unkultiviert; mein Bericht wird hauptsächlich eine Beschreibung
der verschiedenen Unternehmungen und Anlagen der japanischen
Regierung zu Gunsten der Landwirtschaft seit der Wiederaufrichtung
des Reiches unter dem jetzigen Kaiser, enthalten.
Obgleich auch vor jener Zeit die Insel Jesso unter der Herrschaft
der japanischen Regierung war, so war diese doch weit entfernt
einige Versuche zu machen, das Land zu kultivieren und aufzu-
schliefsen. Nur die alten Bewohner in der Nähe von Hokodate, der
südlichsten Hafenstadt von Hokkaido, bauten so viel Gemüse, als für
den Ortsbedarf erforderlich war. Mit diesen Ausnahmen waren Fisch-
fang und Gewinnung von efsbarem Seegras die einzigen Gewerbe,
welche betrieben wurden.
Am Ende des Jahres 1869 wurde die Abteilung für Kolonisation
errichtet, nicht nur zum Zwecke die Landwirtschaft zu befördern,
sondern auch Ansiedler zu veranlassen, nach der Insel zu kommen,
um verschiedene Gewerbe und Handel zu betreiben. Ein ganzes
Kontingent von Angehörigen verschiedener ehemaliger Feudalherren,
in Gemeinschaft mit Bauern und Handwerkern, wurde übergeführt
und an verschiedenen Plätzen angesiedelt. Zur damaligen Zeit war
die Insel weder vermessen noch kartographiert. Durch eine Kaiserliche
Bestimmung vom Jahre 1869 wurde der Name der Insel, „Jesso", in
Hokkaido verändert, sie wurde in Provinzen und 86 Bezirke ein-
geteilt.
Im Jahre 1869 wurde die Abteilung für Kolonisation eingesetzt
und ein Bureau für die Aufschliefsung von Hokkaido in Tokio er-
*) Monbetsu ist ein kleiner Hafenort an der Nordküste der Insel Hok-
kaido (Jesso). Er ist von hohen Bergen umgeben, anmutig an einem Meer-
busen des Grofsen Ozeans gelegen und zählt etwa 1000 Einwohner.
Geographische Bl&tter. Bremen, 1889. '^
— 314 —
öffiiet; in demselben Jahre wurden Filialen in Hokodate und Nemuro
errichtet. Graf Kuroda, der erste Gouverneur von Hokkaido, wurde
vom Kaiser beauftragt, die Art und Weise der Landwirtschaft in
Amerika und Europa zu studieren.
1871 wurde die Abteilung ,für Kolonisation in Sapporo er-
richtet, welches zu gleicher Zeit der Sitz der Provinzialregierung
wurde. In demselben Jahre engagierte Graf Kuroda den General
Capron, Vorsteher der landwirtschaftlichen Schule zu Washington
und drei andre Herren, auch kaufte er landvm-tschaftliche Maschinen,
Bäume, Pflanzen und alle möglichen Sorten Samen.
General Capron wurde als erster Ratgeber angestellt, ver-
schiedene andre wurden mit Vermessung der Insel, mit der Aus-
wahl von Land und mit Erteilung von Anweisungen im Gebrauch
von Maschinen betraut. Im Jahre 1871 wurde eine Versuchsfarm
in Tokio errichtet, wohin alle fremden Viehrassen, Samen und
Pflanzen geschickt wurden, um festzustellen, ob dieselben sich in
Japan beziehungsweise Hokkaido akklimatisieren lassen. Nachher
wurden sie auf den Farmen Nanay bei Hokodate und bei Sapporo
verwendet. Ebenfalls wurden in Tokio junge Leute in der Hand-
habung der Viehzucht, in der Art und Weise wie in fremden Ländern
Landwirtschaft betrieben wird, unterrichtet. Sodann wurden diese
jungen Leute nach Hokkaido geschickt. 1873 sandte die Behörde
einen Viehstand, bestehend aus Pferden, Rindvieh, Schafen, Schweinen
und verschiedenem Saatgut , ferner eine Anzahl der in Tokio einge-
übten Schüler nach Nanay, wo die Regierung eine Musterwirtschaft
errichtete. 1874 wurde Graf Kuroda Vorsteher der Kolonisations-
abteilung und dann wurde keine Änderung eher wieder getroffen
als im Jahre 1882, wo die Kolonisationsabteilung aufgehoben und
statt dessen drei Präfekturen in Sapporo, Hokodate, Nemuro errichtet
wurden. Die Einrichtungen . in Tokio wurden dann dem Kaiserlichen
Hausministerium überwiesen und die Farmen in Nanay und Sapporo,
die landwirtschaftliche Schule, Mehlmühle, sowie alle andern Unter-
nehmungen und Fabrikanlagen dem Ministerium für Handel und
Landwirtschaft unterstellt.
Im Jahre 1886 wurden die drei Präfekturen von Sapporo, Hoko-
date und Nemuro wieder abgeschafft und eine neue Verwaltung unter
dem Namen einer Provinzialregierung in Hokkaido eingerichtet, die
Farmen sowie alle Unternehmungen wurden der Provinzialregierung
von Hokkaido unterstellt.
Jedoch übergab man die Mehlmühlen, Eisengiefserei, Maschinen-
fahnk an Privatpersonen oder Aktiengesellschaften. — Vor der Er-
— 315 —
richtung der Kolonisationsabteilung waren sehr wenige Städte oder
Dörfer auf der Insel, ausgenommen Hokodate, Tukujama, Esaschi
und die ursprünglichen Niederlassungen der Ainos.
1886 wurde die erste Sendung von mehreren Hunderten von
Einwanderern (Japaner) in Tokio versammelt und auf Kosten der
Regierung in die Umgegenden von Hokodate, Nemuro und Soja ge-
bracht ; seit dieser Zeit sind mehrmals gröfsere Kontingente von Ein-
wanderern nach der Insel geschafft und an verschiedenen Orten an-
gesiedelt worden. In den letzten Jahren wanderte eine bedeutende
Anzahl Einwanderer auf ihre eignen Kosten ein, auch mehrere frühere
Feudalherren erwarben sich als Pacht oder Eigentum grofse Flächen
Landes. — Vor der Einsetzung der Kolonisationsabteilung war sehr
wenig Land unter Kultur auf der Insel: ungefähr 290 ha Reisland
und 680 ha pflügbares Land, zusammen 970 ha. Dieses kultivierte
Land war nur in der Umgebung von Hokodate. Alles mögliche wurde
versucht, um das brauchbare Land unter Kultur zu bringen ; während
des 13jährigen Bestehens der Kolonisationsabteilung wurden 9777 ha
Land kultiviert und auf der ganzen Insel bebaut. In den letzten
Jahren ist sehr viel Land kultiviert worden, so dafs alles zusammen
sich auf etwa 17 393 ha beläuft. Dieses Ackerland befindet sich
hauptsächlich in der Nähe von Sapporo und Monbetsu. Ganz Hok-
kaido, die umliegenden kleinen Inseln mit einbegriffen, mifst ungefähr
36 882 englische Quadratmeilen, etwa der vierte Teil des Flächeninhalts
von ganz Japan. Es sind bis jetzt etwa 349 englische Quadrat-
meilen, alle grofsen Weideplätze mit einbegriffen, in Kultur gebracht,
also weniger wie 1^/q des ganzen Flächeninhaltes. — Die Boden-
verhältnisse sind zum grofsen Teil sehr gut, von landwirtschaftlichen
Produkten, die auf Hokkaido am besten gedeihen, werden alle Weizen-
sorten, Gerste, Hafer, verschiedene Sorten Bohnen, Hirse, Hanf,
Buchweizen und Mais, ferner Kartoffeln und verschiedene Sorten
Rüben, seit kurzem auch Zuckerrüben angebaut und ist das Resultat
ein zufriedenstellende's gewesen, ferner werden mancherlei Garten-
pflanzen, verschiedene Sorten Gemüse in genügender Anzahl für den
Lokalbedarf erzeugt. Die Farmen wurden meistens nur mit der Hand
bearbeitet, Pflüge und andre landwirtschaftlichen Geräte sind bis
jetzt sehr wenig in Gebrauch gewesen, die Pferde wurden nur zum
Lasttragen verwendet. Als Dung werden hauptsächlich nur mensch-
liche Exkremente und Pferdemist angewendet. Auch Fischguano
wird verwendet, jedoch nur in geringer Menge. Früher gab es sehr
wenig Fruchtbäume auf Hokkaido, nun importierte die Kolonisations-
abteilung eine grofse Anzahl Fruchtbä.\itne notsv^^xx^^'WÄäxxsnS^^^'«:^
— 316 —
Auslande; von diesen gedeihen Äpfel und Weinreben am besten
und werden von den Einwohnern am meisten geschätzt. Man dachte
der Lackbaum würde so hoch im Norden nicht gedeihen und die
wenigen Bäume, welche zuerst gepflanzt worden waren, sind wieder
zu Grunde gegangen. Jedoch im letzten Jahre wurden junge Lack-
bäume angezapft und der Ertrag war ganz zufriedenstellend. Die
Menge des Saftes ist freilich geringer als die, welche die im Süden
gedeihenden Bäume liefern.
Seidenraupenzucht war ein ferneres Unternehmen der Regierung
und Einrichtungen zur Brut von Seidenraupen wurden in Sapporo,
Nanay und Nemuro ins Leben gerufen, auch eine Seidenweberei
wurde in Sapporo errichtet. Die Seide ist von guter Beschaffenheit,
ja sie ist im Vergleich zu der, welche im Süden Japans gewonnen
wird, vorzüglich und einige Probeposten sind im letzten Jahre aus-
geführt worden; deshalb vermehrt sich die Seidenraupenzucht ganz
beträchtlich. Es wird beabsichtigt, diesen so wichtigen Industriezweig
auch ferner zu fördern. — Die Maulbeerbäume, auf welchen die
Seidenraupen gezüchtet werden, findet man wild wachsend auf der
ganzen Insel, jedoch sind dieselben nicht von so guter Beschaffenheit
wie diejenigen im Hauptlande. Es wurden Bäume vom Hauptlande
und aus China importiert, aber nach 4 oder 5 Jahren waren sie bereits
sämtlich eingegangen, weil das Klima ihnen nicht zusagt. Deshalb
bemüht man sich jetzt, die einheimischen Bäume durch bessere
Pflege und entsprechende Düngung zu verbessern.
Die ersten Versuche, die Pferdezucht auf der Insel zu heben,
wurden im Jahre 1872 gemacht und verschiedene Stationen errichtet,
welche mit amerikanischen und ausgesuchten japanischen Pferden
besetzt wurden. Die Resultate sind zufriedenstellende gewesen. Im
vorigen Jahre wurden die Farmen für Pferde-, Rindvieh- und Schweine-
zucht in Makomanei, Isari, Nanay und Nemuro errichtet, wo die
besten japanischen Viehstämme mit fremden gekreuzt wurden. Den
Bauern wurde die unentgeltliche Benutzung der Hengste, Bullen und
Eber freigestellt, auch wurden in den verschiedenen abgelegenen
Distrikten Deckhengste und Bullen zum unentgeltlichen Gebrauch
stationiert.
Eine landwirtschaftliche Schule wurde in Sapporo errichtet; vor
dieser Zeit war eine landwirtschaftliche Schule in Tokio, in welcher
zwar Landwirtschaft das hauptsächlichste Lehrfach war, jedoch
auch Unterricht in der englischen, deutschen, französischen und
rassischen Sprache erteilt wurde.
— 317 —
Zuerst wurden zwei amerikanische Professoren engagiert,
späterhin wirkten an dieser Schule sieben fremde Lehrer ver-
schiedener Nationalitäten. Die Schule war von ungefähr 100 Schülern
besucht, welche unter der Bedingung von der Regierung unterhalten
wurden, dafs sie noch 5 oder 10 Jahre in Hokkaido als Beamte
thätig seien, nachdem sie ihre Studien vollendet hatten. Nach der
Fertigstellung der landwirtschaftlichen Schule in Sapporo wurden
die besten Schüler ausgewählt und dorthin, zu gleicher Zeit mit den
Professoren, versetzt. Mit dieser Schule ist eine Farm von etwa
60 ha verbunden, auf welcher die Schüler praktischen Unterricht in
allen Fächern der Landwirtschaft erhalten.
Sogenannte Farmsoldaten wurden zuerst im Jahre 1873 nach
der Insel versetzt und zwar 198 Familien aus den verschiedenen
Provinzen des Hauptlandes nach Kotoni, nicht weit von Sapporo
und bis 1880 wurden 3 fernere Gesellschaften, bestehend aus 311
Familien nach der Insel gebracht und an verschiedenen Orten ange-
siedelt. Im Jahre 1884 wurden 78 Soldaten, 1885 213 Soldaten,
1886 345 und 1887 256 Soldaten, sämtlich mit Familien, nach der
Insel gebracht. Die Mannschaften sind in Regimenter, bestehend
aus 2 oder 4 Kompanien geteilt , jede Kompanie ist 160 — 230
Mann stark. Bis jetzt sind 1401 Mann mit ihren Familien in sechs
verschiedenen Ortschaften angesiedelt, dieselben werden von 74 Offi-
zieren und 54 Unteroffizieren befehligt. Jeden Monat werden die-
selben mehrere Male zum Exerzieren eingezogen. Die übrige Zeit
wird dem Ackerbau und der Landwirtschaft gewidmet. Diese Mann-
schaften und ihre Familien werden gänzlich auf Kosten der Re-
gierung nach der Insel gebracht, jedes Familienhaupt erhält ein
Haus, sowie die notwendigen Möbel, Hausgerätschaften, landwirt-
schaftliche Geräte, Sämereien und eine Anzahl von Maulbeerbaum-
Schöfslingen und Obstbäumen. Die notwendigen Pferde zum Betrieb
der Landwirtschaft wurden ihnen überwiesen, die daraus ent-
stehenden Kosten haben sie nach und nach abzahlen müssen.
Zwei Anstalten sind errichtet worden, in welchen der rohe Hanf
marktfertig bereitet wird. Hanfbau und Seidenraupenzucht sind
augenscheinlich die hauptsächlichsten Produkte , jedoch werden,
wie gesagt, aufser diesen alle Cerealien und verschiedene Gemüse-
arten angebaut. Der Versuch der Regierung, diese Farmsoldaten auf
der Insel anzusiedeln, hat sich entschieden als erfolgreich erwiesen.
Die ursprünglichen Bewohner, der Volksstamm der Aino, lebte
hauptsächlich von der Jagd und vom Fischfang; die Regierung hat
sich nun bemüht, dieselben zur Bodenkultur zxi x^T^xÄaÄ'sfcw. "^^a
— 318 —
sie ah Kleinigkeiten besafsen, hatten sie gegen Felle von den Japanern
eingetauscht oder von letzteren als Lohnzahlung erhalten, wenn sie
zum Fischen sich an japanische Kaufleute verdungen hatten. Nach
1869 wurden sie jedoch durch den Einflufs der Japaner von ihren
Fisch- und Jagdbesitzungen verdrängt und gerieten oftmals in groCse
Not. Während der Zeit der Präfekturen von 1882 — 1886 wurde
ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Sie wurden mit Geld unter-
stützt, um ihr Elend zu mildern. Mehrere Schulen wurden einge-
richtet, in welchen den Kindern Schreiben und Lesen der ja-
panischen Sprache gelehrt wurde, sie selbst haben keine eigene
Schriftsprache ; auch wurde ihnen Anweisung im Ackerbau erteilt.
Im Jahre 1886 ßei der Einsetzung der Provinziabegierung von
Hokkaido wurde die Unterstützung der Ainos mit Geld eingestellt,
jedoch fuhr man fort, sie mehr und mehr mit dem Ackerbau be-
kannt zu machen; am Ende des Jahres waren die Ainos in 11 Distrikte
eingeteilt und von ihnen 305 ha Land kultiviert, auf welchem Weizen,
Hirse, Bohnen und verschiedene Gemüsearten angebaut wurden.
Die Bemühungen, die Ainos zur Bodenkultur anzuhalten, währen fort.
Ende 1886 betrug die Zahl der Ainohäuser auf der ganzen Insel
3600, genaue Zahlen der Einwohner sind nicht zu erlangen. Nimmt
man durchschnittlich für jeden Haushalt vier Personen, so würde die
Gesamtzahl der Ainobevölkerung 14400 Köpfe betragen. Alle früheren
Versuche einer Volkszählung werden als ganz unzuverlässig bezeichnet,
jedoch der allgemeine Eindruck ist der, dafs sie allmählich verschwinden.
Mein Aufenthaltsort ist Monbetsu, welches im Osten am Stillen
Ozean gelegen ist. Meine Aufgabe ist hier, deutschen Zuckerrübenbau
einzuführen. Monbetsu mit umliegenden Ortschaften hat ein Areal von
etwa 6000 ha und zwar vorzüglichen Boden, gröfstenteils ist es milder
tiefgründiger Lehm und milder humoser Thonboden. Da die hiesigen
Bauern sich bis jetzt auf die Bodendüngung noch nicht verstanden
haben, so befindet sich das Land gröfstenteils in einem sehr hungrigen
Zustande. Das geerntete Stroh wurde verbrannt, die Pferde während
des Winters in den Wald gejagt, wo sie unter dem Schnee sich das
Futter suchen mufsten und wenn im Frühjahr das Arbeiten auf dem
Felde begann, so wurden sie wieder eingefangen. Doch gewifs sehr
traurige Zustände. Pflüge sind gröfsenteils erst seit vorigem Jahr
eingeführt, Eggen und Walzen, auch Kühe wurden im vorigen Jahre
vom Hauptlande hierhergebracht und von der Regierung den Bauern
zum teil geborgt, zum teil geschenkt.
Die Zuckerrüben sind sehr gut gediehen, auch die klimatischen
Verbältnisse eignen sich trefflich zum Rübenbau^ qualitativ lassen
— 319 —
die Rüben infolge des hungrigen Bodens noch etwas zu wünschen
übrig, doch glaube ich bestimmt, dafs die Qualität sich nach und
nach bessern wird. Indigo wird hier in einem sehr grofsen Mafs-
stabe gebaut, im letzten Jahre 400 ha, aufserdem baut man hier
Gerste, die auf Hokkaido als Brotgetreide nach dem Reis eine grofse
Rolle, namentlich bei der ärmeren Bevölkerung, spielt. Die Gerste
wird meist durch Stampfen in eine Art Grütze verwandelt und für
sich allein oder mit andern Halmfrüchten, wie Reis oder Hirse, zu-
sammen gekocht und zur täglichen Nahrung gebraucht. Roggen
und Hafer haben bis jetzt hier gänzlich gefehlt und sind seit vorigem
Jahre von mir eingeführt worden. Weizen wird wenig angebaut,
da er nicht wie in Europa als Brotfrucht dient. Vielerlei Hirse-
sorten werden angebaut, z. B. Kolbenhirse, gewöhnliche Rispenhirse,
Hahnenfufshirse u. a., sie dienen als Nahrung. Mais ist eine sehr
verbreitete Frucht und wird überall angebaut, aber stets in be-
schränktem Mafsstabe. Die japanischen Maisarten sind kleinkörnig
und haben gelbe und dunkelrote Färbung. Der grofskörnige Mais
ist aus Amerika eingeführt worden. Die Fruchtkolben werden, im
halbreifen Zustande entweder mit Wasser gedämpft oder auf Holz-
kohle geröstet, gegessen, die reifen Körner gemahlen und zu ver-
schiedenen Zwecken benutzt. Buchweizen ist ziemlich verbreitet,
seine Aussaat fällt in den August und die Ernte auf Oktober. Die
Körner werden zur Grütze, besonders aber zu Nudeln verwandt,
letztere werden in Japan in grofsem Mafse verzehrt. Sojabohne,
unter den Hülsenfrüchten die verbreitetste , dient in verschiedener
Zubereitung als Nahrungsmittel. Sie wird in allen japanischen Haus-
haltungen ohne Ausnahme in Form von trockenem Gemüse, in Form
von Sauce, von weifsepa Käse (Tofu) und aufserdem meist zu jeder
Mahlzeit genossen. Ich glaube noch niemals eine japanische Mahl-
zeit gehabt zu haben , bei welcher die Sojabohne in Form von
weifsem Käse (Tofu) gefehlt hätte. Buschbohne wird besonders hier
in Monbetsu in sehr ausgedehntem Mafse angebaut und grofse Schiffs-
ladungen gehen von hier nach dem Hauptlande, sie ist von roter
Farbe und wird zur Bereitung von Kuchen verwandt.
Batate ist von den Knollengewächsen das beliebteste Nahrungs-
mittel des japanischen Volkes.
Die Kartoffel ist erst in neuerer Zeit nach Japan eingeführt
worden ; sie wird nicht in so grofser Ausdehnung angebaut wie die
Batate.
Von Ölfrüchten wird hier nur Raps angebaut, derselbe gedeiht
sehr gut.
— 320 —
Futterbau fehlt gänzlich und habe ich es mir als eine Haupt-
aufgabe gestellt, denselben hier einzuführen, Klee und alle Grasarten
werden ganz vorzüglich gedeihen. Die Arbeitskräfte, die zum Ackerbau
gebraucht werden, bestehen in der Regel aus den Familienmitgliedern.
Landwirtschaftliche Lohnarbeiter, welche ihr Leben durch ihrer Hände
Arbeit fristen, giebt es auf dem Lande fast gar nicht, da die hiesigen
Wirtschaften fast alle nur aus kleinen Parzellen bestehen.
Die Lohnarbeiter, welche keinen eignen Grund und Boden be-
sitzen und nur von ihrer Hände Arbeit leben, gehen in die Nähe
der Städte, wo sie Arbeit finden. Diese Leute sind geschickt und
können zu technischen Arbeiten ebenso gut gebraucht werden wie
zu landwirtschaftlichen, doch sind sie sehr träge und dabei schlau
und richten ihre Leistungen nach dem Arbeitgeber ein. Versteht
derselbe nichts von seiner Arbeit, so leisten sie auch wenig, im ent-
gegengesetzten Fall sind auch die Arbeitsleistungen besser. Der
Bildungsgrad dieser Leute ist kein geringer ; die Leistungsfähigkeit
ist im ganzen im Verhältnis zu derjenigen deutscher Arbeiter gering,
doch mufs man dabei den verschiedenen Körperbau berücksichtigen.
In der Genügsamkeit übertreffen die japanischen Arbeiter die deutschen
bei weitem.
Die Republik Chile im Jahre 1889.
Von Dr, !!• Polakowsky«
Allgemeine geographische Verhältnisse von Chile. Vier Zonen. Zensus. Die neueste
Botschaft des Präsidenten der Republik. Die sogenannten freien Einwanderer.
Ministeriaiberichte. Kupfer und Salpeter. Wanderlust der Chilenen. Kriegswesen.
Öffentliche Werke. Die Handelsflotte.' Justiz- und Unterrichts wesen. Schulwesen.
Finanzen. Grund und Boden. Handelsverkehr. Ausfuhr- und Einfuhrgegenstände.
Eisenbahnen. Landwirtschaft. Telegraphen. Gesundheitspflege. Neue Ansiedlungen,
besonders in Araukanien. Deutsche Kolonisten.
Infolge des Pacifischen Krieges (in Deutschland meist Salpeter-
krieg genannt) von 1879 — 83^), welcher Krieg Chile aufgezwungen
wurde und den dasselbe siegreich gegen Peru und Bolivia führte,
reicht das Gebiet Chiles vom Kap Hom (55^ 59' s. Br.) bis zu
17 ^47 's. Er. Von Inseln gehören zu Chile aufser den in der Nähe
der Küste belegenen zahlreichen Archipelen und einzelnen Eilanden
noch alle im Süden der Magellansstrafse und des Feuerlandes ge-
legenen. Von der grofsen Feuerland-Insel gehört die westliche Hälfte
*) Man lese über diesen Krieg: Diego Barros Arana, Eist, de la Guerre
da Pacifiqne. Paris, Dumaine. 2 Bde. 1881 and 1882, und: FaTsc. Ahuma-
da Moreno^ Guerra del Pacifico. Valparaiso, Impr. del Progreso. Bisher sind
von 1884—88 5 Bde. (in Folio) erschienen.
— 321 —
zu Chile. Der südlichste Punkt des ganzen Gebietes der Republik
sind die kleinen Jslas de Diego Ramirez. Von ferner gelegenen
Inseln sind die von Juan Femandez, die von San Felix und die
Oster-Inseln (Hs. de Pascua) zu nennen. (Man vergleiche hier und
für die folgenden Angaben die Blätter 92 und 94 der neuesten Aus-
gabe von Stielers Handatlas, Gotha, Justus Perthes. Diese Blätter,
gezeichnet von 0. Koffmahn, sind 1888 neu bearbeitet.)
Nach dem Friedensvertrage mit Peru (20. Oktober 1883), welcher
am 28. März 1884 ratifiziert wurde, gehört die ganze Provinz von
Tarapacä, vom Thale und Rio de Camarones bis zum Rio Loa, de-
finitiv zu Chile, und die peruanischen Provinzen Tacna und Arica
bis zum Rio Sama, von seiner Quelle bis zur Mündung (unter
17** 57' s. Br.), stehen bis zum März 1894 unter chilenischer Ver-
waltung. Dann findet ein Plebiszit der Bewohner dieser Provinzen
statt und entscheidet dieses, ob die Provinzen bei Chile bleiben,
oder an Peru zurückfallen werden. Es ist anzunehmen, dafs das
erstere der Fall sein wird.
Durch den am 24. November 1884 ratifizierten Waffenstillstands-
vertrag von unbestimmter Dauer, welcher einem Friedensvertrage
gleich zu achten ist, imtersteht das frühere Bolivianische Küstenland
(Antofagasta) südlich vom Vulkan Tüa und dem Rio Loa bis zum
23** s. Br. der politischen Verwaltung Chiles. Man kann dieses
Gebiet heute als einen integrierenden Teil Chiles bezeichnen, da es
diese Provinzen sicher nie herausgeben wird.
Die Lage und die Konfiguration des Landes ist die denkbar
günstigste, alle Klimate sind vorhanden. Die mit zahlreichen Gipfeln
(meist vulkanischer Natur) gekrönten Andes halten wie eine Riesen-
mauer auswärtige Feinde, Seuchen und die Heuschrecken von Chile
fern. Wie wenig indessen die chilenischen Andes bis heute wirklich
genau durchforscht sind, zeigt die Reise Paul Güfsfeldts.^) Auffallend
ist, dafs man die Resultate dieser Reise in Chile selbst noch wenig
kennt, sie selbst in offiziellen Publikationen ignoriert. So bringt
die so wertvolle neueste statistische Synopsis^), erschienen Mitte 1889,
noch gerade wie die Mitte 1887 erschienene als Höhenangaben für
den Pico de Aconcagua 6835 und für den Volcan de Maipo 5947 m.
*) P. Güfsfeldt, Reise in den Andes von Chile und Argentinien. Berlin,
Gebr. Paetel, 1888.
^) Synopsis estadistica y geogräfica de Chile en 1888. Santiago» 1889.
unverständlich ist es, wie auf der „Neueste Karte von Amerika" von C. F. Baur
Chile als nur bis Antofagasta reichend gezeichnet werden koi\3a.tÄ. ^^«^ "^s^
dies entschieden.
— 322 —
Bekanntlich ist die Höhe dieser Berggipfel von Güfsfeldt auf 6970
beziehungsweise 5313 m festgestellt worden. Viel besser steht es
um unsre genaue geographische Kenntnis der Küsten und Archipele
des Landes, Dank der Thätigkeit des Hydrographischen Amtes Chiles,
an dessen Spitze noch immer Dr. Francisco Vidal Gormaz steht.
In dem Anuario Hidrografico de la Marina de Chile, von dem bis
jetzt 13 Bände mit zahlreichen Karten erschienen sind, ist eine
Fülle des besten geographischen, historischen und rein nautischen
Materials aufgestapelt.
Nur ein kleiner Teil des Territoriums ist genau vermessen,
die in der folgenden Tabelle enthaltenen Gröfsenangaben der ver-
schiedenen Provinzen sind also nur als Schätzungen zu betrachten.
Bei der Bevölkerungsangabe ist der letzte Zensus vom 26. No-
vember 1885 zu Grunde gelegt und ist die durchschnittliche jährliche
Bevölkerungszunahme (zwischen dem Zensus von 1875 und 1885)
für drei Jahre hinzugerechnet worden.
Territorium von Magallanes. . . .195 000 qkm, 2 641 Einwohner
Provinz Chiloe 10 340 „ 76 482
„ Llanquihue ... 20 260 „ 68 580
Valdivia 21536 „ 62 090
Cautin 8100 „ 34 292
Malleco 7 400 „ 61277
Bio-Bio 10 769 „ 114 345 „
„ Arauco 11000 „ 75 867 „
„ Concepcion ... 9 155 „ 204 645 „
Nuble 9 210 „ 154 367
Maule 7 591 „ 126 048
„ Linares 9 036 „ 113 670
„ Talca 9 527 „ 137 476
Curicö 7 545 „ 102 510
Colchagua 9 829 „ 158 332
O'Higgins .... 6 537 „ 90 270
Santiago 13 527 „ 358 449
„ Valparaiso 4 297 „ 212 810 „
„ Aconcagua ... 16 126 „ 149 460 „
„ Coquimbo.... 33 423 „ 184 256
Atacama 73 500 „ 66 067
„ Antofagasta ... 187 000 „ 34 645
„ Tarapacä 50 000 „ 46 439
Tacna . . . . ...22500 „ 30408
Im ganzen 753216 c^km, 'i?^^^^^^ ¥.\\mohner.
»1
9?
— 323 —
Die reinen Araukanen, die nicht mitgezählt wurden, werden
auf 50 000 geschätzt ; den Teil der Bevölkerung, der sich der Zählung
auf irgend eine Weise entzogen hat, berechnet das Statistische Amt
auf 15 ^/o der Gesamtbevölkerung. Rechnet man diese Zahlen hinzu,
so erhält man für Ende 1888 eine Bevölkerung von 3 115 815.
Das lange Küstenland kann nach seinen natürlichen Reich-
tümern und seiner Industrie in vier Zonen oder Regionen geteilt
werden: 1) Die Bergbauzone umfafst die Provinzen Tacna, Tara-
paca, Antofagasta und die Nordhälfte von Atacama. Hier finden
sich Guanolager an der Küste, ungeheure Lager von Salpeter (sal-
petersaures Natron) und Borax mit Jodsalzen durchsetzt auf den
Hochebenen, sodann Kupfer-, Silber- und Goldminen in den Gebirgen,
besonders in der südlichen Hälfte. 2) Die Bergbau- und Ackerbau-
zone umfafst den südlichen Teil von Atacama und die Provinzen
Coquimbo und Aconcagua. Der Bergbau herrscht hier noch vor,
es finden sich reiche Lager von Kupfer-, Silber-, Eisen-, Mangan-
und Bleierzen, Zinnober, Quarz, Lapis Läzuli u. a. In den bewässerten
Teilen gedeiht der Ackerbau. 3) Die Ackerbauzone reicht von der
Provinz Valparaiso bis zum nördlichen Teile von Chiloe. Hier herrscht
Überflufs an Wasser und Holz, das Klima ist sehr gesund und für den
Ackerbau günstig; kultiviert werden Getreide und alle europäischen
Gemüse. Auch guter Rotwein wird im nördlichen Teile erzeugt. Stein-
kohlenlager sind an der Küste von Arauco und Concepcion und werden
dieselben seit kurzer Zeit in von Jahr zu Jahr steigendem umfange
abgebaut. 4) Die Wälder- und Fischfangszone reicht von 43® 30'
bis zur Südspitze des Landes. Aufserordentliche Reichtümer sind
hier noch zu heben.*) Weite Ebenen im südlichen Teile eignen sich
vorzüglich zur Vieh-, besonders zur Schafzucht.
Nach dem Zensus von 1885 konnten 355 183 Männer und
279 444 Frauen lesen und schreiben ; nur lesen konnten 45 332 Männer
und 51 304 Frauen. Von den 600 634 Kindern unter 13 Jahren
konnten 177 562 lesen, 142 003 schreiben. Die Schulen besuchten
94 890. Wie schon die obige Tabelle zeigt, verteilt sich die Be-
völkerung sehr ungleichmäfsig über das Land. In dem kalten, mit
dichten Wäldern bedeckten Magellansterritorium kommen 0,01 Be-
wohner auf den qkm (die 2000 Feuerländer sind dabei nicht berück-
sichtigt), und in den Vegetation«- und wasserlosen Hochebenen von
Antofagasta 0,13. Die dichteste Bevölkerung findet sich in der
*) Siehe meine Arbeit: Das Magellansterritorium in Revue GoIq^^^ \3ßL-
temationale. 1887. Tom. II.
— 324 —
Provinz Valparaiso, wo 272,2 auf den qkm kommen. Die gröfste
Anzahl der Fremden wohnt in den beiden nördlichsten Provinzen
und in den Provinzen Valparaiso (8623), Antofagasta (6519), Atacama
(6321) und Santiago (5265). Von Angehörigen fremdet Rassen wohnten
1885 in Chile nur vier Afrikaner, 1164 Chinesen (fast sämtlich in
dem früher peruanischen Tacna) und 51 Japaner. Unter den Fremden
finden sich : 34 901 Peruaner, 13 146 Bolivianer, 9835 Argentiner,
6808 Deutsche, 5303 Engländer, 4198 Franzosen, 4114 Italiener,
2508 Spanier, 1275 Schweizer, Summa der fremden Bevölkerung:
87 077 gegen 26 752 im Jahre 1875. Diese enorme Zunahme er-
klärt sich durch die Annexion der drei Nordprovinzen, wo 51 880
Fremde wohnen. Was das Wachstum der verschiedenen Kolonien
der europäischen Grofsmächte in Chile seit 1875 betrifft, so nimmt
Deutschland die vierte Stelle , hinter Italien , Spanien und Oster-
reich ein.
Chile hat von 1881 an, wo die der Unabhängigkeit folgenden
furchtbaren Bürgerkriege ein Ende nahmen, durch seinen Mangel
an Revolutionen, seine ehrlichen und meist hochbegabten Präsidenten
und Minister, seine unabhängige Justiz und seine weise Organisation
und Administration eine bevorzugte Stellung unter den Republiken
des früheren spanischen Amerika eingenommen. Auch heute gilt
Chile als das Modell einer Republik, als der Beweis, dafs die His-
panoamerikaner bereits reif zur Selbstregierung sind. Rechnet man
hierzu die Fruchtbarkeit und den Reichtum des Landes, die schönen
Transportmittel und die Tapferkeit der chilenischen Soldaten, so
erklärt sich die Blüte dieses Landes. Die heutigen inneren Zu-
stände und der in den letzten Jahren erlangte gewaltige Fortschritt
des Landes ergiebt sich aus der letzten Botschaft des Präsidenten
der Republik, D. Manuel Balmaceda, und aus den amtlichen Be-
richten, welche die Minister dem Kongresse von 1889 vorlegten.
Alle diese Berichte füllen stattliche Bände von 500 — 800 Seiten mit
reichem statistischen Material.
Der Präsident teilt mit, dafs Chile und Argentinien im letzten
Jahre einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen und eine Übereinkunft
bezüglich der praktischen Durchführung des Grenzvertrages von
1881 getroffen hätten. Noch sei es notwendig einen auf dem Prinzipe
der Gleichberechtigung ruhenden Handelsvertrag mit Argentinien ab-
zuschliefsen und sei die Regierung des Nachbarstaates bereitwilHg
auf diese Idee und Anregung Chiles eingegangen. Die Einladung zu
dem amerikanischen Kongresse in Washington (w:elcher im Oktober
1889 eröffnet wurde) habe Chile aiigeTvomm^iv, doch sagt der Prä-
— 325 —
sident, dafs die Regierung Chiles der Regierung von Washington
erklärt habe, dafs die Vertreter Chiles sich nur an der Diskussion
von Handelsangelegenheiten und ökonomischen Fragen beteiligen
würden.^) Ein grofser Teil der Presse Chiles und der Argentina
spricht sich nicht günstig über den genannten Kongrefs aus, man
erkennt, dafs der Hauptzweck desselben ist: den Exporthandel der
Union nach den Ländern des spanischen Amerika auf Kosten des
europäischen Handels zu heben ; Chile und die Argentina werden sich
aber keine Vorschriften machen lassen, woher sie ihre Waren be-
ziehen sollen.
Das bereits angedeutete Abkommen mit der Regierung der
Argentina bezweckt die definitive Feststellung der Grenze vom
52 ° s. Br. an bis etwa zum 44 ®. Beide Regierungen haben beschlossen,
gemäfs Artikel 1 und 4 des Grenzvertrages von 1881 wissenschaftliche
Kommissionen zu ernennen, welche die Grenze an Ort und Stelle
definitiv markieren sollen. Zu Vorarbeiten für diese für die Geographie
hochwichtigen Studien sind dem Präsidenten vom Kongresse Chiles
Fonds bis zur Höhe von 50 000 Pesos zur Verfügung gestellt worden
und hat derselbe zunächst den durch seine Arbeiten im Anuario Hi-
drografico de la Marina de Chile rühmlichst bekannten Fregatten-
kapitän D. Ramon Serrano Montaner ausgesandt. Herr Serrano hat
das besonders schwierige Gebiet zwischen dem 51 und 52° s. Br.
bereist, nachdem er vorher alles bisher von chilenischen und argen-
tinischen Reisenden über diese Gegend publizierte Material gesam-
melt hatte. Er hat verschiedene in den Pacifischen Ozean mündende
Flüsse bis zu ihrer Quelle verfolgt, dieselben entspringen aus Seen,
welche zwischen den Vorbergen des Ostabhanges der Anden liegen.
Augenblicklich ist Herr Serrano mit der Herstellung einer Spezial-
karte dieses Gebietes beschäftigt.
Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten berichtet weiter
ausführlich über den im August 1888 in Montevideo eröffneten Süd-
amerikanischen Kongrefs. Derselbe beriet über Internationales Pri-
vatrecht und war von Brasilien, Chile, Argentinien, Peru, Bolivia,
Paraguay und Uruguay beschickt. Der Kongrefs arbeitete bis Fe-
bruar 1889. Man einigte sich über ein gemeinsames Handelsrecht,
Gesetze über das litterarische uud Kunsteigentum, die Prozefsordnung,
über Bestimmungen bezüglich der Handels- und Fabrikmarken und
über eine Patentordnung. Dagegen konnten die Vertreter Chiles
^) Bekanntlich soll auch über die Beilegung eventueller Differenzen zwiackeiL
den einzelnen Staaten durch Schiedsspruch ^eihaii^^X. ^^t\«<cl.
— 326 —
dem vereinbarten Zivilrechte, dem Strafrechte und dem Gesetze über
die Ausübung der freien Gewerbe ihre Zustimmung nicht erteilen,
da dieselben sehr von den bisher in Chile gültigen bewährten Ge-
setzen abwichen. Die vereinbarten Gesetze, die übrigens zur faktischen
Einführung noch von den Kongressen der betreffenden Staaten an-
genommen werden müssen, sind mit einer interessanten Denkschrift
der beiden Vertreter Chiles auf S. LXXIII bis CCXIV der Memoria
de Relacion. Exterior. abgedruckt. Durch Gesetz vom 12. Juli 1888
wurde das Territorium von Antofagasta zur Provinz erhoben.®) Den
Protest Bolivias wies Chile mit Recht zurück, da nach dem ge-
nannten Vertrage von 1884 (1. c. p q XXIV) das früher bolivianische
Küstenland „dem politischen und administrativen Regimente, welches
das chilenische Gesetz feststellt, unterworfen bleibt."
Die auf die neuen Kolonien in Araukanien bezüglichen Angaben
des Ministers werde ich zum Schlüsse bei eingehenderer Betrachtung
dieser Kolonien verwerten. Hier nur einige Worte über die soge-
nannten „freien Einwanderer", Handwerker und Fabrikarbeiter, denen
gegenüber die Regierung keinerlei Verpflichtungen eingeht. Dieselben
geniefsen nur den Vorteil, die Reise nach Chile ungefähr für die Hälfte
des gewöhnlichen Fahrpreises machen zu können und dürfen sie
in Chile bis zu ihrer definitiven Plazierung die Staatsbahnen gratis
benutzen. Iri den ersten fünf Monaten des Jahres 1889 sind über
2000 dieser „freien Einwanderer" angekommen und fanden dieselben
bald und leicht Arbeit. Wie ich aus den Zeitungen ersehen habe,
bestand die grofse Mehrzahl derselben aus Italienern, Franzosen und
Spaniern. — Die Regierung will diesen Zuflufs in gewissen Zwischen-
räumen hemmen, damit keine wesentliche Herabminderung der landes-
üblichen Arbeitslöhne eintrete. Als ein interessantes und für die
Zukunft der „freien Einwanderung" durchaus nicht günstiges Er-
eignis ist die Thatsache zu betrachten, dafs sich bereits im Juli 1889
Schriftsetzer und Buchdrucker aus Valparaiso und Santiago direkt
und persönlich an den Präsidenten der Republik wandten mit der
Beschwerde, dafs ihnen durch die „freien Einwanderer" eine sie
ruinierende Konkurrenz gemacht werde, da dieselben billiger arbeiteten
als die Chilenen. Die Leute erbaten den Schutz des Präsidenten
gegen ihre neuen Konkurrenten und dieser versprach ihnen — die
') Alle Gesetze und Dekrete, welche sich auf die Umgrenzung aller Pro-
vinzen, Departements und Subdelegationen des ganzen Landes beziehen, sind in
einem sehr interessanten und auch für den Geographen wichtigen zweibändigen
Werke des Herrn Annibal Echevenria y Reyes: Geografia Politica de Chile.
Santiago, Impr. Nacion. 1889, abgedruckt.
— 327 —
Sache im Ministerrate zur Sprache zu bringen! Die Regierung hat
überhaupt den völlig unberechtigten Ansprüchen der arbeitenden
Klassen in Chile gegenüber in neuester Zeit grofse Schwäche be-
wiesen. Man spürt die Vorboten einer sozialen Revolution und sucht
nach den richtigen Mitteln zur Bekämpfung derselben. Können die
chilenischen Handwerker und Arbeiter die Konkurrenz mit ihren eu-
ropäischen Kollegen nicht ertragen, will man die Herstellung billigerer
und besserer Ware nicht, so hätte man die ganze „freie Einwanderung"
nicht anregen sollen. Hoffentlich wird die Regierung mit Umsicht
und Energie wenigstens die seit Mitte 1888 eingewanderten Hand-
werker und Fabrikarbeiter gegen den Brodneid und Fremdenhafs der
chilenischen Kollegen schützen. Von weiterer Auswanderung deutscher
Handwerker nach Chile ist vorläufig abzuraten.
Den „Geistlichen Angelegenheiten" widmet der 558 Seiten starke
Bericht des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, zu dessen
Ressort auch Kultus und Kolonien gehören (eine ganz sonderbare
Zusammenstellung), nur eine halbe Seite. Es wird darin gesagt, dafs
die Verhandlungen mit dem Kardinalstaatssekretär des Papstes über
Amtshandlungen der Priester auf den Friedhöfen (die nach den neuen
Gesetzen verboten sind) noch nicht zum Abschlüsse gelangt seien.
Von den 250 000 Pesos,') welche das Budget für Neubau und Re-
paraturen von Earchen festsetzt, sind bis zum 1. Juni 219 000 aus-
gegeben worden. Dies der ganze Bericht. Um die Interna der
Kirche kümmert sich der Staat gar nicht.
Dem grofsen Berichte des Ministers sind die an denselben ge-
richteten Jahresberichte der verschiedenen Gesandten Chiles beigelegt.
Der Gesandte in Paris, D. Cdrlos Antunez, sagt in seinem so wert-
vollen und umfangreichen Berichte, dafs das Buch von Charles
Wiener : Chili et Chiliens ®) mit Subvention der chilenischen Regierung
erschienen sei, um Propaganda für das Land zu machen. Er erklärt
weiter, dafs grofse Summen zur Bezahlung der Dienste, welche die
Presse und andre Mittel der Publikation leisten können, für den-
selben Zweck notwendig seien. — Ich halte dies für überflüssig und
hochbedenklich. Geachtet sind in wissenschaftlichen und mafsge-
benden Kreisen nur absolut unabhängige und dabei kompetente
Federn. Die bezahlten Ergüsse andrer Federn werden nicht be-
achtet oder von der Wissenschaft und den Behörden bekämpft, be-
') 1 Peso = 4 Jt
^) Siehe meine Besprechung in Petermanns Mitteilungen 1889. Litteratur-
bericht S. 98 Nr. 1676.
— 328. —
sonders wenn dieselben zur Auswanderang von Menschen und Ka-^
pital (unter Verbreitung falscher, oder übertrieben optimistischer,
oder einseitiger Angaben) dienen sollen! Aus einer Stelle des Be-
richtes von Don Guillermo Matta, zur Zeit Gesandter Chiles in
Buenos Aires (früher in Berlin) , geht hervor , dafe dieser Diplomat
ungefähr dieselbe Ansicht von dem Werte derartiger bezahlter Pu-
blikationen hat. Chile hat eine solche Art der Agitation aber
faktisch nicht nötig. Es ist viel, viel mehr Gutes als Schlechtes
über das heutige Chile zu sagen und wenn man das Schlechte be-
rührt, unangenehme Wahrheiten sagt, müssen sich die Herren nicht
wie verzogene Kinder gebärden.^)
Acht Ärzte, sieben Architekten und Ingenieure, neun Maler,
Bildhauer und Musiker und zwei Politiker studierten auf Kosten der
Regierung in Europa und zahlte diese hierfür eine jährliche Sub-
vention von im ganzen 29 100 Pesos.
Interessant sind die Angaben im Berichte des Herrn Autunez
über das jüngste Schwanken der Kupferpreise und den berüchtigten
Pariser „Kupferkrach''. Das chilenische Kupfer war im August 1887
auf den nie dagewesenen niedrigen Preis von 38 & 10 sh, pro Ton
gesunken und war deshalb der Export Chiles von 40 875 (im Jahre
1878) auf 26 733 Tons (1887) zui-ückgegangen. Vom September 1887
an stieg der Preis des Kupfers und wurden im September 1888 pro
Ton 100 £ gezahlt, was gleichfalls nie vorher der Fall gewesen war.
Der Export stieg auf 30 000 Tons. Bis zum 20. März 1889 ging
der Preis aber wieder auf 40—41 £ zurück. Diese starken Preis-
schwankungen, unter denen natürlich Konsumenten und Produzenten
gleich litten, waren die Folge der Operationen des „Kupferringes".
Vor 35 Jahren betrug die jährliche Kupferproduktion der Erde
durchschnittlich 45 000 Tons, davon kamen ^/s auf Chile. Heute
werden etwa 220 000 Tons produziert und kommen davon nur 12 ®/o
auf Chile. Diese enorme Produktion rührte von den Minen in Nord-
amerika und am Bio Tinto (Spanien) her.
Die Ausfuhr des Chilesalpeters ist durch den stets wachsenden
Konsum geregelt und wurden im letzten Jahre 760 000 Tons expor-
tiert und 700 000 Tons konsumiert. Mitte 1889 lagerten in Europa
etwa 81000 Tons. Es konsumierten im Jahre 1888:
Deutschland und Holland 282 100 Tons
Frankreich 156 500 „
England 104 100 „
*) Man lese meine Arbeit : Zur Kolonisation und Kartographie von Chile
im „Qlobua% 1889. Nr. 18 und 19.
— 329 —
Belgien 83 800 Tons
Vereinigten Staaten 65 000 „
Wiederausfuhr nach andern Ländern 8 500 „
Der Preis betrug 1888 = 11 bis IIV2 £ und Mitte 1889 =
10 £ 15 sh, und 2 d. pro Ton. Der gröfste Teil des Salpeters,
etwa 65 000 Tons, lagerte Mitte 1889 in Hamburg. Die Salpeterlager
Chiles werden fast ausschliefslich von 15 Gesellschaften bearbeitet,
die sämtlich ihren Sitz in England haben. Diese Gesellschaften und
drei Banken, die nur in Salpeter arbeiten, und die Salpeterbahnen
Tarapacas besafsen ein Betriebskapital von 8 570 000 £, Die Aktien
und Obligationen dieser Institute repräsentieren heute zusammen
einen Wert von 14 294 000 £, Da die Gesellschaften aber ihre
guten Einnahmen bisher nur für hohe Dividenden und nicht zur
Amortisation des Anlagekapitals verwerten, so ist ein Rückgang des
Wertes der Aktien zu befürchten und unvermeidlich, wenn nicht
Produktion und Konsum von Jahr zu Jahr steigen. Trotzdem ist
es zu beklagen, dafs deutsches Kapital fast gar nicht an dieser In-
dustrie beteiligt ist.*) Die Salpeterpapiere sind fast sämtlich in Händen
von Engländern. Der chilenische Fiskus ist noch Besitzer von
67 Salpetergruben und von grofsen salpeterhaltigen Terrains.
Zur Vermehrung der schon ansehnlichen Kriegsflotte sind im
Jahre 1888 in Bau gegeben worden: in Frankreich ein Panzerschiff
von 7000 Tons und 12 500 Pferdekräften und zwei Kreuzer von je
2080 Tons und 5400 Pferdekräften. In England werden zwei
Torpedofänger von je 700 Tons und 4500 Pferdekräften gebaut.
Weiter ist kürzlich der Bau von zwei Küstenwachtschiffen an eine
französische Gesellschaft vergeben worden.
Einigen auf die Auswanderung der Chilenen bezüglichen Be-
trachtungen im Berichte des Gesandten Chiles in Buenos Aires
mufs ich noch einige Worte widmen. Don Guillermo Matta meint,
dafs die Wanderlust der Chilenen zum Teil durch die Konfiguration
des Landes bedingt sei. Der Blick und Sinn des durch die Berge
und den Ozean eingeengten Bewohners sehnen sich nach dem
Aufenthalte in freien, weiten Ebenen und gingen deshalb viele Chilenen
nach der Argentina. Herr Matta konstatiert nun, dafs der Chilene
dort mit dem französischen, italienischen und deutschen Arbeiter
nicht konkurrieren könne, da letztere von Jugend an durch Schule
'*') Diese Bemerkung des geehrten Herrn Verfassers beruht auf einem
Irrtum, da bekanntlich ein bremisches Handelshaus, J. Gildemeister und Kom-
pagnie in Iquique, in sehr bedeutendem Umfang an der Ausbeutung der
chilenischen Salpetergruben beteiligt ist. \^\<^ ^<&\*d2s^jv.^\s..
Geogr. Blätter, Bremen^ 1889. '^\.
— 330 —
und Haus an Sparsamkeit und Ordnung gewöhnt seien und der
Chilene viel gröfsere Ansprüche an das Leben stelle. Was er ver-
diene, gebe er aus und er kehre so arm nach Chile zurück, wie er
sein Vaterland verlassen. Matta bezeichnet als das beste Mittel zur
Bekämpfung der für Chile sehr nachteiligen Wanderlust der chi-
lenischen Arbeiter die Aufklärung über Lohn-, Arbeits- und Be-
köstigungsverhältnisse in den Nachbarländern. Und zwar müsse
diese Aufklärung in besonderen Unterrichtsstunden in den Elementar-
schulen erteilt werden, damit die heranwachsende Generation er-
kenne, dafs die Existenzbedingungen für einen Chilenen in Peru,
Bolivia und Argentina nicht besser (oft viel schlechter) als in Chile
seien. — Diese Ideen verdienen auch für Deutschland Beachtung.
Nur durch derartigen Unterricht in den Elementarschulen ist die oft
erschreckliche Unwissenheit unsrer auswandernden beziehungsweise
auswanderungslustigen Bevölkerung zu bekämpfen.
Aus dem Berichte des Ejriegsministers hebe ich nur folgende
Daten hervor. Durch Gesetz vom 31. Dezember 1888 wurde die
Höhe des stehenden Heeres auf 5885 Mann festgesetzt. Faktisch
zählte das Heer am 1. April 1889 aber nur 4789 Mann. Die Sol-
daten werden in Chile auf eine bestimmte Zeit angeworben und hält
es schwer, die erwünschte Anzahl zu gewinnen. Das Pionierbataillon
hat im Jahre 1888 fleifsig an dem Bau der Eisenbahnen in Arau-
kanien mitgearbeitet. Die kleine Friedensarmee soll als Stamm zur
Ausbildung eines gröfseren Heeres im Kriegsfp.lle dienen. Daher ist
auch die Anzahl der Offiziere grofs. Es giebt : 9 Generale, 26 Oberste,
85 Oberstleutnants, 136 Majors, 291 Hauptleute, 163 Leutnants und
233 Unterleutnants. — Starke Strandbatterien werden im Eingange
verschiedener Häfen errichtet. Die schweren Geschütze für diese
Strandbatterien sind bei Fdr. Krupp bestellt worden.
Zur Nationalgarde, die im Kriegsfalle durch Beschlufs des
Kongresses ganz oder teilweise mobil gemacht wird, gehören alle
waffenfähigen Chilenen, die nicht durch Spezialgesetz vom Militär-
dienste befreit sind. Die Zahl dieser Mannschaften betrug Ende 1888 :
7800 Mann Artillerie, 39 000 Mann Infanterie und 1730 Mann Kavallerie.
Nach dem Berichte des Marineministers zählte die Kriegsflotte
des Landes 123 Ejriegsoffiziere , 140 Verwaltungsoffiziere und 1285
Matrosen, Maschinisten u. a. Der Minister führt aus, dafs diese Anzahl
von Mannschaften viel zu gering sei: da die meisten Leute sich nur für
ein Jahr anwerben lassen und noch viele in dieser Zeit desertieren,
so fehlt es an tüchtig ausgebildeter Mannschaft. 68 ®/o der Leute
wurden im letzten Jahre neu angeworben. Am 1. Juni 1889 bestand
— 331 —
die Flotte aus 3 Panzerschiffen, 3 Korvetten, 2 Kanonenböten,
2 Kreuzern, 1 Küstenwacht schiff, 2* Schulschiffen, 3 Rekognoszier-
schiffen, 3 Pontons und 10 Torpedoböten. In dem zu erweiternden
und durch einen Wellenbrecher zu schützenden Hafen von Talcahuano
wird seit Oktober vorigen Jahres an einem Trockendock (für die
gröfsten Kriegsschiffe ausreichend) gearbeitet. Die Kosten sind auf
488 000 £ geschätzt und ist die Arbeit an Herrn Luis Dufsaud
als Unternehmer vergeben.
Die Laguna de Yichuquen (etwa unter 34^ 50' s. Br.) soll
mit dem Meere durch einen Kanal verbunden und zu einem ge-
waltigen Kriegshafen (der aber auch Handelsschiffen in Friedens-
zeiten geöffnet sein soll) umgeschaffen werden. Der Eingang zu
diesem Hafen, der durch mächtige Forts gedeckt werden soll, liegt
bei dem kleinen Hafen Llico. Die Kosten sind auf 7 388 123 Pesos
chilenisches Papiergeld (ä 26 pence engl.) geschätzt. Llico wird
auTserdem mit der Stadt Curicö durch eine 130 km lange Eisenbahn
verbunden, deren Kosten auf 432 000 £ geschätzt sind.^®) Durch
diese Bahn und den neuen Hafen wird ein Stück der neutralen Hoch-
ebene des Landes in direkte Verbindung mit der Küste gebracht.
Der Mangel eines guten Hafens auf der weiten Strecke zwischen
Valparaiso und Talcahuano machte sich schon längst und in unan-
genehmer Weise bemerkbar. — Für die Kriegsflotte war der Besitz
eines solchen Hafens, wo dieselbe jederzeit Schutz finden und von
wo sie Ausfälle machen kann, dringend notwendig, wie der Präsident
in seiner Botschaft näher ausführt. Er kündigt weiter an, dafs zur
Sicherheit und Belebung der Schiffahrt an der chilenischen Küste
noch weitere 60 — 70 Leuchttürme errichtet werden sollen. Zur
Verstärkung der Mannschaft soll der Sold erhöht und die Anzahl der
Schüler in der Marine- und Matrosenschule vermehrt werden.
Die Handelsflotte zählte 1888 = 39 Dampfer und 150 Segel-
schiffe von zusammen 86 412 Tons. Die Tonszahl hat sich in den
letzten 10 Jahren verdoppelt. — Die Gestalt des Landes bedingt
einen gewaltigen Seeverkehr. Es liefen im Jahre 1888 in die Häfen
der Republik 10 371 Schiffe von in Summa 9 070 851 Tons ein.
Im Kriegsfalle wird es der Regierung nicht an Mannschaften fehlen,
da die Handelsflotte und ein grofser Teil der Fischer ihre Arbeit
^^) Genaue Beschreibung (mit zahhreichen Karten, Profilen u. a.) des ge-
planten Kriegshafens bei Llico findet sich im 13. Band des Anuario Hidrografico
und besonders im Boletin del Ministerio de Industria y Obras publicas^
Anno m, Mayo de 1889. Santiago.
— 332 —
einstellen mufs. Die Leute sind aber nicht für den eigentlichen
Kriegsdienst ausgebildet und fügen sich schwer der Disziplin.
Der Minister der Justiz und des öffentlichen Unterrichts teilt
mit, dafs das Bergwerksgesetz in dem Sinne abgeändert sei, dafs
das Recht der Ausbeutung der Minen gegen Zahlung einer bestimmten
Summe erteilt wird. Besitzer der Minen bleibt inmier der Staat.
Auch im Zivilrecht ist eine wesentliche Reform beabsichtigt. Bisher
sprachen Friedensrichter, die keine Juristen waren, gratis Recht in
Streitsachen bis zu 200 Pesos. Die Parteien waren gezwungen sich
an diese Friedensrichter zu wenden. Jetzt sollen diese Ämter durch
ganz unabhängige, etwas rechtskundige Personen bekleidet werden.
Der Präsident sagte in seiner letzten Botschaft, dafs die Regierung
beabsichtige, die Standesbeamten zu Friedensrichtern zu ernennen
und Gehalt und Anzahl derselben vermehren wolle.
Die gegen die Standesämter und die Zivilehe gerichtete,
von der klerikalen Partei zuerst mit grofser Heftigkeit betrie-
bene Opposition hat sich im letzten Jahre weniger bemerkbar
gemacht. Das Gesetz über die Zivilehe in Chile leidet aber an
einem grofsen Mangel. Die Priester sind berechtigt Trauungen vor-
zunehmen, ohne vorherige Ziviltrauung. Der Staat dagegen erkennt
nur die vor dem Standesamte geschlossenen Ehen als giltig an. Es
giebt nun noch immer Paare, die sich nur von dem Priester trauen
lassen und ist dann zuweilen der Fall vorgekommen, dafs einer dieser
Ehegatten eine andre Ehe vor dem Standesbeamten einging. Die Ge-
setze erlauben in diesem Falle die Bestrafung wegen Bigamie nicht.
An der Universität von Santiago waren 1889 immatrikuliert:
570 Studenten der Jurisprudenz, 321 Mediziner, 80 Mathematiker,
158 Studenten der schönen Künste und 46 Pharmazeuten, im ganzen
1175. Die Theologen werden in Seminaren ausgebildet, die allein
unter Aufsicht der Bischöfe stehen. Die Juristen müssen fünf und
die Mediziner sechs Jahre studieren, ehe sie zur Prüfung zugelassen
werden. Der gesamte Unterricht an allen Staatsschulen, auch an
der Universität, ist unentgeltlich. Das als Musterinstitut in ganz
Südamerika bekannte Instituto Nacional (unsern Gymnasien ent-
sprechend) war 1889 von 1200 Schülern besucht. Die Schüler, die
bei ihrer Aufnahme schon den Elementarunterricht absolviert haben
müssen, brauchen sechs Jahre, um dieses Institut, oder die übrigen
gleichartigen Lehranstalten (Lyceen) des Landes, durchzumachen.
Die übrigen 25 Lyceen wurden zusammen von 3866 Schülern be-
sucht. — Aufserdem existieren 20 Privatinstitute für den höheren
Unterriebt Die Mehrzahl derselben wird von Geistlichen geleitet
— 333 —
und steht unter Aufsicht der römischen Kirche. An den Staats-
schulen wird kein Religionsunterricht erteilt, was bedenklich und
nur zur Stärkung und Verbitterung der klerikalen Partei beizu-
tragen scheint.
Für den öffentlichen Unterricht wurden 1888 verausgabt
4 957 436 p. Im Jahre 1878 belief sich diese Ausgabe auf nur
1 083 944 p. und ist dieselbe seitdem von Jahr zu Jahr gestiegen.
Die Gesamtzahl der Schulen betrug 1509, darunter waren 1029
Staatsschulen.
Von der Gesamtbevölkerung Chiles wohnen 1 062 544 in
Städten mit Staatsschulen, 1 464 775 auf dem Lande, wo die Ent-
fernungen bis zur nächsten Staatsschule oft grofs sind. Der Minister
fuhrt dies an, um zu zeigen, dafs es wohl möglich und sehr heilsam
wäre, den Schulunterricht für die Stadtbevölkerung obgliatorisch zu
machen. An den Mittel- und Elementarschulen des Staates wirkten
1888 540 Lehrer und 984 Lehrerinnen. Viele dieser Schulen —
besonders auf dem Lande — dienen für beide Geschlechter. (Ge-
mischte Schulen.)
Die Privatschulen (an denen natürlich Schulgeld bezahlt werden
mufs) waren von 26 051 Kindern besucht. Merkwürdig und für
uns unverständlich ist die grofse Differenz zwischen der Anzahl der
an den Staatsschulen angemeldeten und dort eingeschriebenen Kinder
und der Zahl der dem Unterricht faktisch leidlich regelmäfsig bei-
wohnenden. Die erstere Zahl betrug 51 609, die letztere nur 35 540.
Bei den gemischten Staatsschulen waren aufserdem eingeschrieben
32 776 Kinder, es kamen aber faktisch nur 22 012 zum Unterrichte.
Günstige Wirkung von den grofsen Opfern, welche die Regierung
und die reichen gebildeten Leute (die oft auf ihre Kosten ganze
Schulen einrichten und erhalten) seit zehn Jahren für Hebung des
Unterrichtes bringen, kann Chile erst haben, wenn der Schulbesuch
an allen Orten, wo eine Staatsschule vorhanden ist (und für einen
bestimmten Umkreis, etwa von 3 km), obligatorisch wird. Dafs
das im spanischen Amerika durchführbar ist, zeigt das Beispiel
der Republik Costarica. Leider widerstrebt der falsche Freiheits-
drang der Chilenen jedem noch so heilsamen Zwange. Zudem macht
die klerikale Partei, welche den herrschenden Liberalen keine Erfolge
gönnt, prinzipiell jedem Vorschlag der Regierung Opposition. Die
Verhandlungen der chilenischen Deputirtenkanmier, die früher für
den Politiker und Gesetzgeber hochinteressant zu lesen waren.^ sinkeri
seit 1883 mehr und mehr zu ödem G^ZÄiik.^ wxA ns^'^ät^'^^^^I^^
„ 334 —
persönlichen Angriffen, wodurch kostbare Zeit verloren geht, herab.")
Die Regierung wird hier nur dadurch Wandel schaffen können, dafs
sie einem Teile der mehr oder weniger berechtigten Forderungen
der Klerikalen zustinmit. Zudem sind die Liberalen unter sich
gespalten und bekämpft ein Teil derselben die heutige Regierung
mit derselben Erbitterng, mit der sie die von D. Domingo Santa Maria
(1881—86) bekämpft hat. ^2)
Die finanzielle Lage des Landes ist sehr günstig. Die Gesamt-
einnahmen des Staates betrugen 1888=50 182 614, die Ausgaben
46116 329 p., es blieb also ein Überschufs von 4 066 284 p.
Obgleich in den letzten Jahren einige bedeutende Unterschleife bei
der Marine und dem Zollamte von Valparaiso nachgewiesen worden
sind, ist die Finanzverwaltung des Landes doch im ganzen als eine
vorzügliche und durchaus ehrenhafte zu bezeichnen. Von den Ein-
nahmen kommen auf: Einfuhrzölle 13 040 338 p., Zuschlag auf die-
selben 6167 818 p., Salpeterausfuhrzoll 12 548 000 p., Zuschlag
auf denselben 5 290 989 p., Jodexportzoll 54 186 p., Zuschlag auf
denselben 24130 p., Lagerzoll 163 546 p., Hafenzoll 69 691 p.,
Eisenbahnen 6 694 750 p., Münze 74 598 p., Verkauf von Briefmarken
476 581p., Verkauf von Telegraphenmarken 127149 p., Verkauf von
Nationaleigentum 714870 p., Besitzsteuer 461873 p., Erbschaftssteuer
Ü15811 p., Landwirtschaftssteuer 1 139612 p., Stempelsteuer 503173p.,
Guanoverkauf 115 222 p., Zinsen und Wechseldiskont 558 757 p.
Am 31. Dezember 1887 fanden sich in den Staatskassen
22 277 710 p., wovon 16 492 905 in Papier; am 31. Dezember 1888
= 28 767 773 p., davon über 27V3 Million Papier. — Die Gesamt-
einnahmen in den ersten vier Monaten des Jahres 1889 betrugen
16 087 680 p., die aufserordentUchen Ausgaben 1888 = 15 498 665 p.
Die ordentlichen Einnahmen werden für 1889 auf 52 180 000 p.
geschätzt ; die Ausgaben auf 59 561 885 p. und zwar verteilen sich
dieselben in folgender Weise.
") In letzterer Zeit ist durch eine Einführung einer etwas verständigeren
Geschäftsordnung einige Abhülfe geschaffen.
**) Chile ist seit Jahren eifrig bemüht, sein ünterrichtswesen nach deutschem
Muster zu organisieren. Es sind zu diesem Zwecke zahlreiche deutsche Lehrer
für die Universität, die neu errichteten Seminare und verschiedene Fachschulen
angestellt worden, worüber die Berichte des chilenischen Gesandten in Berlin
Auskunft geben. Von Chilenen, welche die deutschen ünterrichtsverhälinisse
mit Eifer und Verständnis und sicher zum grofsen Vorteile ihres Landes studiert
haben, nenne ich : D. Valentin Letelier (Las Escuelas de Berlin. Santiago, 1885. —
La Instrucc. secund. y üniversit. en Berlin. Santiago, 1885) und Claudio Matte
{Nnevo M^todo para la ensenanza simultänea de la Lectura y Escritura para
Jas escuelas de Chile. Leipzig, Brockhaua, IBBft.^
7) 7)
— 335 —
Ordentliche AoTserordentliche
Ausgaben Ausgaben
Ministerium des Innern 3 817 411 p. ^3) 601 918 p.
Auswärtigen u. a. . . . 1 212 361 „ 300 000 „
der Justiz und Unterrichts 5 829 943 „ 3 420 000 „
„ Finanzen 4 585 578 „ 8 108 120 „
des Krieges 5 774 710 „ 2 337 000 „
der Marine 4 342 403 „ 1 800 000 „
„ Industrie und Bauten 1 914 997 „ 8 846 027 „
Zusammen 27 487 404 p. 25 413 066 p.
Dazu kommen für Post und Telegraphie 1 008 685 und für
Eisenbahnen 5 652 828 p. — Die Einnahmen für 1890 werden auf
nahezu 56 Millionen geschätzt, die Ausgaben (nach der Botschaft
des Präsidenten) auf 64 Millionen. Es erklärt sich dieses Defizit
durch die grofsen Kosten, welche die Wasserbauten bei Llico und
Talcahuano (siehe oben) und die neuen Eisenbahnen erfordern. Der
Präsident sagte in seiner Botschaft über die Finanzlage des Landes :
„Die innere Schuld des Landes ist auf 23 834 180 p. herabgemindert,
von denen 2 600 125 mit 3 °/o verzinst werden und 3 696 700 p.
mit 6 ^/o. Der Rest von 17 537 355 p. wird durch uneinlösbare
Rentenbriefe (censos irredimibles) repräsentiert. An Papiergeld des
Staates befinden sich 23 065 916 p. im Umlaufe und sollen von den-
selben in jedem Monat 125 000 verbrannt und dafür 100 000 in
Silberpesos geschlagen oder in Silberbarren deponiert werden. Die
auswärtige Schuld beträgt 39 748 000 p."
„In Ausübung der Ermächtigung, welche der Kongrefs am
8. Januar 1888 zum Abschlüsse einer Anleihe von 3 Millionen Jß
erteilte, ist die Ausgabe von IV2 Million £ unter den günstigsten
Bedingungen, welche die Republik bisher erlangt hat, durchgeführt
worden. Diese 1^/2 Millionen werden, dem Plane der öffentlichen
Bauten gemäfs, zur Bezahlung der Materialien benutzt, welche aus
dem Auslande für die Erbauung der Eisenbahnen eingeführt werden."
„Mit den l^/a Millionen £ der genannten Anleihe und mit den
25 Millionen p. , welche in den Staatskassen verfügbar sind,
können alle angefangenen Arbeiten vollendet und die Kosten
der neuen Kriegsschiffe, Küstenbefestigungen und der Waffen für
das Heer bezahlt werden. Auch können die Bahnen von Melipilla
(in der Provinz Santiago) nach Quilpu6 (dicht bei Valparaiso) und
nach San Antonio (einem kleinen Hafenort) und der Kriegshafen
") Die Centavos lasse ich in den einzelneii knfi$\i«vi ^ws».
— 336 —
von Llico dafür erbaut werden. — Die einzigen wichtigen öffent-
lichen Bauten, die durch diese Anleihe nicht vollendet werden können,
sind die Eisenbahnen von Cabildo nach San Marcos und von la
Serena nach Tarapacä. (San Marcos liegt in der Provinz Coquimbo,
Cabildo in Aconcagua.) Aber das Produkt des Salpeterverkaufes
wird die völlig genügenden Geldmittel zur Ausführung auch dieses
Werkes des Fortschrittes und der nationalen Sicherheit liefern.
Zur Ergänzung dieser Angaben in der Botschaft führe ich
einige speziellere Daten aus dem Berichte des Finanzministers an.
Es zirkulierten am 31. Dezember 1888 = 23 687 916 p. in Papier-
geld des Staates, daneben aber noch 17 671 686 p. in Papiergeld
der Banken und 4 634 286 p. in kleineren Silbermünzen und Scheide-
münze. Das Staatspapiergeld hat sich seit 1882 um 3 552 084 p.
vermindert, dagegen ist das der Privatbanken um 5 784 845 p. ver-
mehrt worden. — Ehe nicht die Ausgabe von Papiergeld beschränkt
und mehr Metallgeld geschlagen wird, ist an eine Hebung des Kurses
des Papierpeso (dessen Wert im Auslande in den letzten Monaten
zwischen 2 sh, 3 d. und 2 sh. 6 d, schwankte) nicht zu denken.
Bis Ende 1888 sind 4 312 084 p. Staatspapiergeld verbrannt worden.
Die Metallvorräte der Regierung repräsentieren einen Wert von
2^/2 Millionen in Papier. Trotz der Yergröfserung dieses Baarbe-
standes sei — wie der Minister sagt — der Kurs des chilenischen
Papieres im Auslande nicht gestiegen. Er erhofft eine Besserung
nur von einer Zunahme des Exportes oder von einer Preissteigerung
der chilenischen Exportartikel auf dem europäischen Markte. In
ähnlichem Sinne spricht sich der Präsident in seiner Botschaft aus,
er fügt hinzu, dafs die kleine Wertsteigerung des chilenischen
Papiergeldes, welche sich im Jahre 1887 bemerkbar machte, durch
den Rückgang der Kupferpreise und die schlechte Ernte des letzten
Jahres (1888/89) wieder geschwunden sei.
Das Staatseigentum wurde Ende 1888 zu einem Werte von
125 801 571 p. geschätzt. Davon kommen auf Eisenbahnen
40 385 876 p., auf das rollende Material derselben 7 372 308 p. und
auf Grundbesitz 67 260 253 p.
Das dem Fiskus gehörige Urland war bisher in grofsen Par-
zellen und ohne Kosten an die Nachsuchenden abgetreten worden.
Viele der Inhaber dieser Ländereien (besonders in den Salpeter-
distrikten) verpachteten nun einzelne Parzellen an kleine Industrielle,
welche den Boden auszubeuten suchten, und erzielten so hohe Ein-
jiahmen. Nach dem neuen Gesetze vom 22. August 1888 mufs für
Staatsländereien eine ihrem umfange eivtepxeeVvcvvöi^ ^swckoä ^^a-Lahlt
— 337 —
werden und werden dieselben nur immer auf neun Jahr zur Benutzung
oder Verpachtung abgetreten. Diese Konzessionen können nach Ab-
lauf der neun Jahre, und zwar für denselben Inhaber, erneuert werden.
Auch alle vor dem August 1888 erteilten Konzessionen sollen nur
für neun Jahre Giltigkeit haben.
In der Münze wurden 1888 geschlagen : 43 170 p. in Gold
(Coudores ä 10 p.) zum Feingehalte von 9/10 und 128 574,6 p. in
Silber (und Scheidemünze^*) zum Feingehalt von 500/1000.) — Diese
Summen sind, wie jeder einsehen wird, lächerlich gering.
Der Handelsverkehr des Landes hat 1888 wieder einen be-
deutenden Aufschwung genommen. Derselbe betrug (Export und
Import zusammengenommen) in Summa 133 807 633 p. gegen
108 180 820 p. im Jahre 1887. — Davon kommen 60 717 698 p.
auf den Import und 73 089 935 p. auf den Export. Hier ist zu
bemerken, dafs der faktische Import entschieden bedeutender als der
in der offiziellen Statistik angegebene ist. Was durch Schleich-
handel und Bestechung der Zollbeamten importiert wird, kann natür-
lich in der Handelsstatistik nicht aufgeführt werden. In Valparaiso
ist der Sitz des Departements für Handelsstatistik. Diese Handels-
abteilung des grofsen statistischen Amtes der Republik giebt alle
Jahre, eine sehr sorgfältig und durchaus wissenschaftlich aus-
gearbeitete Estadistica Comercial de la Republica de Chile heraus.
Von dem Totalhandel des Jahres 1888 gingen über 55^/4
Millionen p. über Valparaiso, über 25 Millionen über Iquique, über
15^/2 Millionen über Pisagua, über 9^/4 Millionen über Coquimbo.
Am unbedeutendsten ist der über Ancud (24 862 p.) und Melipulli
oder Puerto Montt (14 802 p.) gehende Handel. — 43 509 940 p.
des Imports gingen allein über Valparaiso. Die wichtigsten Import-
artikel pro 1888 waren: Rindvieh 3 954 490 p. , Steinkohlen
3 387 633 p., raffinirter Zucker 3 430 099 p., Rohzucker 1 878 971 p.,
Kasimir 1 572 221 p., leere Säcke 1 617 814 p., weifse Baumwoll-
gewebe 1 867 627 p., geblümte Baumwollgewebe 1 894 821 p.
Von den Exportartikeln kamen auf: Produkte des Bergbaues
63 206 930 p., Produkte des Ackerbaues 8 784 363 p., Manufaktur-
waren 48 812 p., verschiedene Artikel 110031 p., Baar- (Metall-)
Geld 300 875 p.
Unter den Produkten des Bergbaues, die zum Exporte gelangten,
smd zu nennen : Salpeter (33 866 196 p.), Kupfer in Barren (13 878 439 p.),
**) Die Scheidemünze besteht aus Nicke\ wn^ Y^u^l«^ \öA 'l\:^\^^'^'!sö^
Stücke von 2'/t, 2 und 1 Centavo.
— 338 —
Steinkohlen (1 314 259 p.), Silberkuchen und Silberbarren (7 723957 p.)
und Golderze (1 213 834 p.) — Der Weizenexport ging von 5 663333
im Jahre 1887 auf 4 548 829 p. im Jahre 1888 zurück. AuTserdem
wurden exportiert: Gerste für 773 477 p., Sohlleder für 1 122 624 p.,
Bohnen für 60 658 p., Rohwolle für 436 212 p., Weizenmehl für
235 496 p. und Honig für 99 616 p. Vom Exporte gingen fast
20 Millionen über Iquique, 14^/2 Millionen über Pisagua und
12^/3 Millionen über Valparaiso.
Die Zolleinnahmen betrugen 37 592 143 p. Davon kommt die
eine Hälfte auf Import-, die andre auf Exportzölle, die nur noch
von Salpeter und Jod erhoben werden. Von den inArica erhobenen
Zöllen erhält Chile — dem Waffenstillstandsvertrage mit Bolivia
gemäfs — nur 25 ^/o. Von dem Reste erhält Bolivia 35 ®/o (es
betrug dies von 1885 — 88 inklusive 1 823 308 p.) und der Rest von
40 ^/o wird zur Tilgung einer Anleihe benutzt, welche Bolivia vor
vielen Jahren in Chile machte und für welche nie ein Centavo Zinsen
oder Amortisation gezahlt worden ist. Chile benutzte seine
kriegerischen Erfolge, um seinen Landsleuten auf diese Weise wieder
zu ihrem Gelde zu verhelfen, was entschieden so verständig wie
gerecht ist.
Zur Hebung der Provinz Tacna empfiehlt der Minister den
Bau einer Eisenbahn nach Corocoro und weiter nach La Paz und
Oruro. Es dürfte dieser Schienenweg auch die beste und billigste
Art der Verbindung des zentralen Bolivia mit dem Ozeane sein.
Die Provinz kann aufserdem zu einem Zentrum tropischen Acker-
baues durch Bewässerungsanlagen gemacht werden und zwar kann
man dazu den Rio Mauri benutzen: es würden so heute öde und
wertlose Landstriche, die so ausgedehnt wie fruchtbar und wasser-
arm sind, durch Ausgabe von 2 bis 3 Millionen Pesos in Zuckerrohr-
und Baumwollfelder verwandelt werden können. Chile würde dann
auch Tropenkultur betreiben und — wie kein andres Land —
fast alle Produkte der Welt, sowohl aus dem Mineral- wie Pflanzen-
reiche, selbst erzeugen.
Der Handelsminister führt eingehend aus, dafs die Zukunft
beziehungsweise die baldige Tilgung aller Schulden Chiles, von einer
Steigerung des Exports und Konsums des Salpeters, dessen Lager
fast unerschöpflich sind,^^) abhänge. Wird mehr produziert als
konsumiert, so sinken die Preise. Es soll deshalb eifrig Propaganda
'^ S. Quill. E. BilJinghurst, Ealudio aobie la Geografia de Tarapacä,
Santiago, El Progreso, 1886.
— 339 —
gemacht werden, um den Salpeter als Düngmittel in China einzu-
führen und auch den Absatz desselben in Europa zu vermehren.
Zur Erleichterung der Produktion beziehungsweise des Transports
des Salpeters nach den Häfen, sollen noch einige Eisenbahnen in
den Salpetergegenden erbaut werden. An Guano wurden im letzten
Jahre 55 922 000 kg von den Lagern bei Pabellon de Pica, Punta
de Lobos und Islas de Lobos de Afuera verladen, nachdem der
Export die sechszehn vorhergegangenen Monate der niedrigen Preise
wegen fast ganz unterbrochen war. Im Jahre 1889 steigerte sich der
Export und werden nach den mit einer englischen und einer fran-
zösischen Gesellschaft abgeschlossenen Verträgen alle Vierteljahr
28 000 t ausgeführt. Jede Tonne Guano brachte dem Staate 1886
einen Reingewinn von 3 £ 1 sh, 9 d.] im Jahre 1888 betrug der-
selbe 2 £ 12 sk 10 d.
Die durchschnittliche jährUche Produktion Chiles an Getreide
wird von der Synopsis estadictica auf 10 Millionen hl Weizen und
3 Millionen hl Gerste und Hafer geschätzt. Vom Weizen werden
etwa 2 MilKonen hl (ein Teil als Weizenmehl) exportiert. Von den
verschiedenen Weinarten gelangen jährlich 300000 1 zum Export.
Alle Jahre werden im Lande über 500 000 Kälber und gegen 2 Millionen
Schafe und Ziegen geboren. Unter den Weizen exportierenden Ländern
der Welt nimmt Chile die fünfte Stelle ein. Der Bergbau produziert jähr-
lich ungefähr 800 000 Ztr. Kupfer, 160 000 kg Silber, 500 kg Gold,
20 Millionen t Steinkohlen und 12 Millionen Ztr. Salpeter. —
Der Fabrikbetrieb ist dagegen noch wenig entwickelt. ^^) Es giebt
nur drei Zuckerraffinerien und drei Zuckerfabriken im Lande. Zahl-
reiche und nach den neuesten Fortschritten der Technik eingerichtete
Brauereien und Eisfabriken finden sich an verschiedenen Stellen
des Landes. In Santiago ist eine Tuchfabrik, welche rein wollene
Waren erzeugt, eine andre befindet sich in Tome. Fabriken für
Halbporzellan und feine Tonwaren giebt es in Penco und Lota.
Fabrikbesitzer, welche neue Erfindungen ausnutzen oder bisher im
Lande unbekannte Industrien einführen, erhalten leicht das aus-
schliefsliche Privilegium für das ganze Land.
Vom Importe kamen im Jahre 1887 (die speziellen Zahlen für
1888 sind noch nicht publiziert) auf Nahrungsmittel über 10 Millionen,
auf Gewebe aus Seide, Leinfaser, Baumwolle und Wolle fast
*•) Sehr eiDgehende Angaben über den Stand der Fabriken finden sich in
der wertvollen Zeitschrift: „Boletin de la Sociedv^d d^ YQT£i«o\.^ "^iJöT^ ^ ^^^^
welcher je^^ der 6. Band erscheint.
— 340 —
11^/2 Millionen, auf Rohmaterialien, Tiere und Pflanzen nahezu
6^/4 Millionen, auf Kleider, Schmucksachen und Gegenstände für den
persönlichen Gebrauch über 2^/2 Millionen, auf Instrumente und Werk-
zeuge für Industrie und Handwerk über 5^/2 Millionen. Vom Importe
kamen 1887 aus England für 20 463 B84, aus Deutschland für 11 631 891,
aus Frankreich für 5 500 949 p. Es folgen weiter der Bedeutung
nach: Die Vereinigten Staaten mit etwa 3^/* Millionen, Peru,
Argentinien, Brasilien, Italien u. a. Gegen 1886 zeigt der deutsche
Import die stärkste Zunahme von allen europäischen Staaten, nämlich
39,3 ®/o. Der Englands nahm um 21,6 ®/o zu, der Frankreichs nahm
um B,o®/o ab.
Exportiert wurden nach England für 56 898 407 p., (fast
12 Millionen mehr als im Jahre 1886), nach Deutschland für
4 751 990 p. (319 242 p. weniger als im Vorjahre) und nach Frank-
reich für 4 295 055 p. (982 832 p. mehr als im Vorjahre). Der
deutsche Handel ist seit etwa sieben Jahren stetig auf Kosten des
französischen gewachsen. In neuester Zeit werden aber von Franzosen
und einflufsreichen Chilenen Anstrengungen zur Hebung des fran-
zösischen Imports gemacht und mufs der deutsche Handel und die
deutsche Industrie bestrebt sein, durch gute und prompte Lieferung
seine hervorragende Stellung zu behaupten.
Das Ministerium für Industrie und öffentliche Bauten giebt
alle Monate ein starkes Heft seines Boletin heraus und scheint also
ein spezieller Bericht dieses Ministers dem Kongresse nicht mehr
vorgelegt zu werden. Chile hat in den letzten zehn Jahren gewaltige
Summen für Eisenbahnen ausgegeben und soll dies auch, wie aus
dem obigen Bericht des Finanzministers zu ersehen, für die nächsten
Jahre geschehen. Es liefse sich darüber streiten, ob die Regierung
nicht richtiger gehandelt hätte, die grof^en Überschüsse des Staates,
welche Überschüsse eine Folge der natürlichen Reichtümer des
Landes und der ehrenvollen Verwaltung der Staatsgelder sind, zunächst
zur Tilgung der ganzen inneren Schuld und des gröfsten Teils des
Papiergeldes zu benutzen, statt eine neue Anleihe zur Erbauung
neuer Eisenbahnen zu machen. Bedenklich ist aber auch der von
der Regierung beliebte Modus durchaus nicht, da der Weit der
Staatsbahnen allein viel gröfser als die ganze äufsere Schuld ist.
Die Regierung glaubt — und sicher mit Recht — dafs die neuen
Bahnen zur wesentlichen Hebung des Exports des Landes beitragen
werden und so der Wert des chilenischen Papiergeldes im Auslande
steigen wird. Im Lande selbst gilt bekanntlich Zwangskurs für
das Papiergeld.
— 341 —
Von Staatsbahnen waren Anfang 1889 im Betriebe zehn Haupt-
linien und zwei Zweigbahnen, deren Gesamtlänge 1198 */io km
betrug. Aufserdem sind 1558 km Privatbahnen im Betrieb, von
denen besonders die 440 km lange von Antofagasta über Calama
nach den Boraxlagem von Ascotan und der bolivianischen Grenze
und über diese hinaus nach den reichen Silberminen von Huanchaca
hervorgehoben zu werden verdient. — Wegen des Baues von zehn
neuen Linien schlofs die Regierung 1888 mit einer amerikanischen
Gesellschaft einen Vertrag ab (der auch vom Kongrefs genehmigt wurde);
darnach verpflichtete sich diese Gesellschaft, die Bahnen für
£ 3 542 000 zu erbauen. Wie die Leser aus den Zeitungen ersehen
haben werden, stellte sich diese amerikanische Gesellschaft, die noch auf
keine nennenswerte selbständige Leistung sich stützen konnte, bald als
zahlungs- und leistungsunfähig heraus und brach im August 1889
zusanmien. Es ist völlig unverständlich, wie die Regierung sich
mit solcher Gesellschaft bei einem solchen Riesenwerke einlassen
konnte! Ein neuer Vertrag mit Herrn Jul. Bernstein und einem
Konsortium wird jetzt verhandelt. Die im Bau begriffenen zehn neuen
Bahnen haben zusammen eine Länge von 982 km.
Die Nationalgesellschaft für den Ackerbau unterstützt die
Regierung mit 20 000 p. jährlich. In Santiago giebt es eine land-
wirtschaftliche Hochschule und aufserdem praktische Ackerbauschulen
in sieben verschiedenen Städten. Für diese Schulen giebt der Staat
im Jahre 1889 100000 p. aus und aufserdem sind 6000 p. zur
Hebung der Fischzucht bestimmt; praktische Bergmannsschulen bestehen
in Copiapo, Serena und Santiago.
Nach dem Bericht des Ministers des Innern gab es Anfang
1889 = 496 Postämter; expediert wurden 40 656 860 Briefe, Postkarten,
Drucksachen u. a. In den Postämtern werden Spareinlagen ange-
nommen und auch von Chilenen geschriebene und in Chile gedruckte
Bücher verkauft.
Zahlreiche neue Telegraphenlinien sind im Bau oder projektirt,
viele ältere sollen einer gründlichen Reparatur unterworfen werden.
Südwärts gehen die Telegraphenleitungen zur Zeit nur bis zur Stadt
Castro; im Interesse der Schiffahrt soll aber ein Kabel von Punta
Arenas in der Magellansstrafse nach Puerto Montt mit mehreren
Zwischenstationen gelegt werden.
Es giebt 160 Telegraphenstationen; die Länge der Telegraphen-
linien beträgt 10 657 885 m, der Wert dieaei Lim^xi \%\. ^x&^«Ä^^Si ^,
— 342 —
geschätzt. Bezahlte Telegramme wurden 1888 463 934 befördert,
daneben 77 099 der Regierung gratis. Durch starke Regen und
Überschwemmungen waren mehrere Linien unterbrochen. Die Ein-
nahmen betrugen 136 473 p., die Ausgaben 259 919 p. für Personal
und Lokale und 122 77B für Reparaturen, Apparate und neue Linien.
Die West Coast Telephone Company hat die Konzession für den
Bau einer Telegraphen- und Telephonleitung zwischen Valparaiso
und Santiago erhalten. Verschiedene andre Privatgesellschaften
sind um die Konzession zur Erbauung weiterer Linien eingekommen.
Am 8. Februar 1889 ist die Linie Arica-La Paz (Bolivia) dem
Verkehr übergeben worden. Diese über 400 km lange Leitung
übersteigt die Andes in einer Höhe von 14 500 F. Mit Argentinien
besteht nur eine telegraphische Verbindung durch den Pafs von
Uspallata. — Post und Telegraphen sollen in Zukunft einer gemein-
samen Behörde unterstellt werden.
Durch Gesetz vom 11. Januar übernahm der Staat die
Schulden aller Munizipalitäten der Republik mit Ausnahme der
von Valparaiso und Santiago. Die Regierung zahlte für diese
Schulden der kleinen Städte 1 441 035 p., dieselben so vollständig
tilgend. Der erste Band des grofsen Zensus (der alle zehn Jahre
aufgenommen wird) soll bald ^scheinen. Durch Gesetz vom 12. Juli
1888 wurde die Provinz Antofagasta aus den Departements Anto-
fagasta, Tocopilla und Taltal geschaffen, von denen das letztere von
der FtOYinz Atacama abgezweigt wurde.
50 000 p. sind im Budget für 1889 zur Gründung zweier
neuer Ortschaften an der Südküste der Republik bestimmt. Die
erste soll auf der Isla de los Leones an der Mündung des Stromes
Buta Palena errichtet werden. Genannter Strom wurde 1885 von
Ramön Serrano Montaner untersucht (Anuar. Hidrogr. de la Marina
de Chile Tom. XI) und weiter und spezieller 1886 und im Jahre 1887.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in zwei schönen Karten
niedergelegt, welche dem Berichte des Ministers beigegeben sind.
Die Kordillere der Andes teilt sich in dieser Gegend in drei grofse
Züge, welche der genannte Strom durchbricht, zwischen dem neutralen
und dem östlichen Gebirgszuge liegt ein sehr ausgedehntes Längs-
thal, welches sich weit nach Nord und Süd über den See hinaus
fortsetzt, aus welchem der Rio Buta Palena entspringt. Dieses Thal
eignet sich vorzüglich zur Viehzucht und zum Ackerbau. Die
Wälder an der Seite des Stromes sind verschieden von denen der
Küste. Die Mehrzahl der Bäume ist sehr ähnlich der amerikanischen
Fichte oder der Cypresse und liefert ein vorzügliches und leichtes Bau-
— 343 —
holz. ^') Der Transport wird dadurch erleichtert, dafs das Holz flöfsbar ist.
Hinter den ersten Stromschnellen wird die Schiffahrt auf dem
Strome schwierig, besonders weiter im Innern, wo er den Namen
Carrileuf führt; da indessen das Terrain eben ist, können leicht
Wege zu beiden Seiten des Stromes angelegt werden. Das Thal
liegt 400 — 500 m über dem Ozeane; das Klima ist gemäfsigt und
wenig regenreich, wesentlich von dem der Küste verschieden. Die
Kolonisten erhalten einen Bauplatz, ein kleines Terrain auf der Insel
und ein gröfseres im Thale im Innern des Landes. Beim Inten-
danten von Llanquihue sind bereits viele Gesuche uin diese Kolonie-
loose eingelaufen.
Die zweite Ortschaft soll auf der Halbinsel Tierra del
Rey Guillermo begründet werden und den Namen Muüoz Gamero
erhalten, auch soll dieser Name auf die ganze Halbinsel übertragen
werden. Es ist dies die einzige ebene, zu einer Kolonie passende
Gegend an der Westküste Patagoniens südlich von Taitao. Hier
kann Viehzucht in grofsem Umfange getrieben werden. Die Teilung
des Mstgellansterritoriums in zwei Departements (Punta Arenas
und Palena) wird angeregt.
Vier der von Privatgesellschaften in Bau genommenen Privat-
bahnen sind von der Regierung garantiert und werden dieselben sub-
ventioniert. Es findet sich darunter die Bahn von Pampa Alta nach
der Grenze von Bohvia, für welche die Regierung 6®/o Zinsen auf
20 Jahre für ein Kapital von 3 472 000 p. garantiert hat. Da der
Frachtverkehr auf dieser seit 1888 fertigen Bahn aber ganz gewaltig
ist, rentiert dieselbe an sich und braucht die Regierung keine Sub-
vention (Zinsen) zu zahlen. Weiter ist die transandinische Bahn (vom
Städtchen los Andes nach Mendoza) zu nennen, deren Bau Juan
Clark & Company übernommen haben. Hier hat die Regierung
5 ®/o für 20 Jahre für eine Summe von 5 Milüonen p. über den
Voranschlag der Kosten des Riesenbaues übernommen. Die Arbeiten
auf dieser Bahn (chilenische Seite) begannen am 5. April 1889.
Sieben neue Hospitäler in kleineren Städten sind im Bau und die
Pläne zu acht weiteren sind in Arbeit. Die Pockenimpfung ist noch
nicht obligatorisch. Da aber die Zahl der Personen, welche sich impfen
lassen, von Jahr zu Jahr zunimmt, so vermindert sich auch die Zahl
der Todsfälle durch Pockenkrankheit. Im Interesse der öffentlichen
Hygiene, für die bisher wenig Aufmerksamkeit und Verständnis vor-
^^) Vielleicht handelt es sich um den Libocedrus chilensis. Endl. S. Anuar.
Hidrogr. Tom. XI.
— 344 —
handen war, ist in den letzten drei Jahren — infolge der furcht-
baren Choleraepidemien — viel geschehen. In Santiago besteht ein
Oberaufsichtsrat der öffentlichen Hygiene und in den Hauptstädten
der Provinzen sind Provinzialräte derselben Art eingerichtet. Im
letzten Jahre ist kein einziger Cholerafall vorgekommen, dagegen
fordert die Trunksucht, welche in Chile (auch in den höheren Gesell-
schaftskreisen) mehr und mehr um sich greift, viele Opfer. Sie hat
die kräftige Bevölkerung Araukaniens dezimiert, so klagt der Minister.
Der Alkoholgenufs soll durch Gesetze eingeschränkt werden. Zur
Verbesserung des Trinkwassers verschiedener Städte sind im letzten
Jahre 1 Million p. verausgabt worden.
Ich schhefse hiermit meinen Auszug aus dem hochinteressanten
Berichte des Ministers D. Ramön Barros Luco vom 1. Juni 1889,
der als ein litterarisches Meisterwerk zu bezeichnen ist.
Wir gehen jetzt zur spezielleren Betrachtung der neuen
Kolonien in Araukanien über. Es ist zunächst als eine falsche
Annahme zu bezeichnen, dafs Chile nicht genügend Raum für einen
gröfseren Zuflufs von Einwanderern biete. Chile ist viel gröfser als
das deutsche Reich, und in dem schmalen Küstenlande ist noch
reichlich Platz für mindestens 10 Millionen Menschen. Grofs und
mannigfaltig sind die Vorteile, welche Chile und seine Regierung
dem neuen Einwanderer bietet: die Regierung schenkt ihm ein
relativ grofses und wertvolles (siehe die Ergebnisse der letzten
Subhastationen im Kolonialgebiete) Landgut, der Boden ist durch-
schnittlich als guter Mittelboden zu bezeichnen, die Landgüter sind
so abgeteilt, dafs es keinem an Wasser und Holz gebricht. Ver-
kehrswege sind heute als gut zu bezeichnen, die Absatzverhältnisse
sind durch die neuen Eisenbahnen vorzügliche geworden. Das
Klima ist angenehm und sehr gesund, der Ansiedler kann dieselben
Kulturen wie in Europa betreiben. — Die Regierung und der gröfste
Teil der einflufsreichen und wahrhaft gebildeten Männer des Landes
interessiert sich lebhaft für die neuen Kolonien und sucht die
europäische Einwanderung in jeder Weise zu fördern. Leider finden
sich diese Gesinnungen bei der Mehrzahl der mittleren und unteren
Hassen nicht, dieselben erblicken in den Kolonisten nur „Fremde"
und mit Unrecht von der Regierung protegierte Eindringlinge und
Konkurrenten.
Als Mängel dieser neuen Kolonie waren bisher zu bezeichnen:
die Unsicherheit für Person und Eigentum und die ungenügende
Anzahl von Schulen , Lehrern , Kirchen , Priestern , Ärzten und
Hospitälern im Kolonialgebiete', in dieser Beziehung hat sich aber
— 345 —
seit Mitte 1888 viel geändert und gebessert, und ist als sicher
anzunehmen, dafs diese Mängel bald völlig beseitigt und überwunden
sein werden. — Auf den noch immer in vollem Umfange ausgeübten
grofsen Einflufs des Kolonialdirektors, der seine fast unbegrenzte
Macht oft mifsbraucht, und dadurch die Existenz der Kolonisten
und der Kolonien schwer schädigt, ja in Frage stellt, komme ich
noch zum Schlüsse zu sprechen.
Die Versuche der chilenischen Regierung, europäische Kolonisten
anzusiedeln sind sehr alt. 1842 trat die Regierung einem Engländer
A. Dow 250000 Quadrat-Cuadras (ä 125,0 m) im damals noch wenig
durchforschten und nicht vermessenen Gebiete von Valdivia unter
der Bedingung ab, dort 10 000 Einwanderer anzusiedeln. Dieses
Unternehmen scheiterte, da die Verbindung zwischen Europa und
Chile damals eine sehr ungenügende war und der Unternehmer
aufserdem von den Kolonisten verlangte, dafs dieselben ihm für
50 Jahre einen Teil ihrer Ernte überliefsen. — Durch Gesetz vom
18. November 1845 wurde der Präsident der Bepublik ermächtigt,
6000 Quadrat-Cuadras der Staatsländereien an Einheimische und Fremde
zu überlassen, welche sich daselbst ansiedeln und ein nutzbringendes
Gewerbe betreiben wollten. Zugleich erhielt die Regierung das
Recht, diese Kolonisten durch Werkzeuge und Sämereien im Land-
baue zu unterstützen und sie zugleich im ersten Jahr zu unterhalten.
Auf Grund dieses Gesetzes interessierte sich ein deutscher
Ingenieur, Bernhard Philippi, für die Einführung deutscher Kolonisten.
B. Philippi war einige Zeit hindurch Gouverneur des Magellans-
territoriums gewesen, sodann nach Deutschland zurückgekehrt und
1848 ernannte ihn die Regierung zu ihrem Einwanderungsagenten,
sie beauftragte ihn, 200 katholische Familien mit für das Land
nutzbringenden Kenntnissen nach Chile zu bringen. Diese ersten
Kolonisationsversuche stiefsen auf grofse Schwierigkeiten, da das
Besitztum der damals in und um Valdivia ansässigen Chilenen nicht
gehörig begrenzt und die Staatsländereien nicht vermessen waren.
Die Chilenen präsentierten von den Eingeborenen ausgestellte Besitz-
titel und konnte so die Regierung den Kolonisten nur wenige und
meist sehr schlechte Ländereien anweisen ; bessere mufsten dieselben
den Chilenen abkaufen. Es wurde deshalb in Deutschland dringend
(und mit Recht) vor der Auswanderung nach Chile gewarnt. Der
erste Transport deutscher Kolonisten: 70 Männer, 10 Frauen und
5 Bander, kam erst 1850 im Hafen von Corral (bei Valdivia) an.
Die denselben vom Agenten Phihppi in Deutschland gemachten Ver-
sprechungen konnten nicht gehalten werdew \xw4. \%5ü — %k^ Nx'äxä-
Geogr. Blätter. Bremen, 1889. ^
— 346 —
portierte die Regierung den gröfsten Teil dieser Kolonisten nach dem
Gebiete am Golfe von Reloncavi, wo heute Puerto Montt steht. Hier
besiegten deutscher Fleifs und deutsche Geduld die unendlichen
Schwierigkeiten, welche die dichten Urwälder den Kolonisten ent-
gegenstellten.
Diese kurzen Daten über die Ansiedlung der ersten deutschen
Kolonisten zeigen, dafs das Gros der Chilenen — wie noch heute —
den Ansiedlem feindlich gesonnen, die Regierung aber nach Kräften
bemüht war, den Leuten zu helfen und die ihnen gemachten Zusagen
zu halten. Bis zum Jahre 1872 gab die Regierung für die Kolonisten
in Llanquihue 129 300 p. aus, es waren 196 deutsche Familien fest
angesiedelt. Der Handel dieser Kolonien betrug 1865 — 71 über
2 ^/s Millionen p., welche dem Staate 258 865 p. einbrachten. Vor-
her waren diese Küsten und Gebiete fast unbewohnt, der Handels-
verkehr gleich Null. In den Jahren 1882 — 86 betrug der über
den Hafen von Melipulli (Puerto Montt) gehende Handel etwa
6 200 000 p., heute zählt die Provinz Llanquihue 62 000 Einwohner.
Auch Valdivia verdankt seinen Aufschwung den deutschen
Kolonisten, wie die chilenischen Minister amtlich anerkannt haben.
Die Deutschen schufen erst Handwerk und Lidustrie daselbst, und der
Handel, der 1850 gleich Null war, betrug 1872: 586 764 p. in
Produkten und Waren, die von andern Häfen Chiles nach Valdivia
kamen ; für 550 730 p. Waren und Produkte wurden nach andern
Häfen Chiles exportiert ; für 46 154 p. kamen vom Auslande, und
für 151 558 p. wurden nach dem Auslande ausgeführt. Nach der
amtlichen Handelsstatistik Chiles betrug die Einfuhr ausländischer
Waren in Valdivia 1884 = 318 546 p., davon kamen für 309 945 p.
aus Deutschland. Nach dem Ende 1888 erschienenen Bande der
genannten Statistik wurden 1887 in Valdivia für 359 029 p. Waren
eingeführt und kamen diese Waren sämtlich aus Deutschland. Ein
besserer Beweis für die Behauptung, dafs die deutschen Kolonien
in Chile nicht nur diesem Lande, sondern auch Deutschland grofsen
Nutzen gebracht haben, ist wohl nicht denkbar. — Der Gesamt-
handel (mit dem In- und Auslande) Valdivias betrug in den Jahren
1882—1886 über 28 Millionen p. „Dies zeigt die Gröfse der kommer-
ziellen Macht der deutschen Kolonie von Valdivia" , schreibt der
Chilene J. Perez Canto in einer sehr wertvollen Arbeit „Studien über
Einwanderung und Kolonisation".^®)
»'
^ Im Boletin de la Sociedad de Fomento Fabrü, Santiago de Ch.
JWo, K 1888,
— 347 —
Zunächst will ich nun einige Angaben über den heutigen Stand
der neuen Kolonien in Araukanien nach dem Berichte des General-
inspektors derselben, Herrn Drouilly, vom 27. April 1888 geben.
Herr Drouilly erklärt, dafs die Cholera, welche Chile 1886 — 87
schwer heimsuchte, und der Wechsel des Generalagenten in Europa
die Ursache gewesen seien, dafs 1887 nur 49 Familien nach den
chilenischen Kolonien gingen. — In den zehn Kolonien waren 830
Familien mit 3716 Personen angesiedelt und hatten dieselben 1887
ausgesät: 6172 Fanegas (ä 137 hl) Weizen, 3522 F. KartoflPeb,
1180 F. Hülsenfrüchte und 328 F. Gerste. Geemtet wurden im Februar
und März 1889 = 71 078 F. Weizen, 23 000 F. Kartoffek, 7412 F.
Hülsenfrüchte und 2556 F. Gerste. Die Kolonisten besafsen 2500
Ochsen, 1640 Kühe, 1884 Kälber, 897 Pferde, 3280 Schweine,
682 Schafe und 21 154 Hühner, Enten U; a. Das bestellte Terrain
war 4946 ha grofs. — Wenn diese Angaben auch sicher etwas op-
timistisch sind, so zeugen sie doch für die Fruchtbarkeit *des
Bodens und den Fleifs der Kolonisten.
Den Hektoliter Weizen können die Kolonisten jederzeit mit
3 p. in der nächsten Stadt verkaufen und repräsentiert die ganze
Ernte, einschliefslich des verkauften Viehes und der Erträge der
Handwerke und Industrien, welche verschiedene Kolonisten betreiben,
eine Gesamteinnahme derselben für das letzte Jahr von etwa
400000 p.
Über die heutige Lage der neuen Kolonien ist nach den letzten
amtlichen Berichten folgendes zu melden. Die an die Kolonien an-
grenzenden Ländereien waren bisher in grofsen Parzellen öffentlich
an den Meistbietenden verkauft worden. Es war dadurch die An-
siedelung ärmerer Chilenen unmöglich gemacht, wenigstens konnten
dieselben nicht unabhängige Grundbesitzer in Araukanien werden.
Die Regierung hat nun endlich begonnen kleinere Landstücke zum
Verkaufe zu stellen. Nach dem Berichte des Ministers waren Mitte
1888 344 kleinere Landgüter, deren Wert auf zusammen 105 876 p.
geschätzt worden, vermessen und wurden dieselben später versteigert.
Sie hatten zusammen einen Umfang von 11093 ha; von diesen
wurden faktisch 325 verkauft (10 578 ha) und erzielten einen Preis
von 767 767 p., also die enorm hohe Summe von 72 p. 58 cent.
pro ha. Die Regierung hatte bisher die freie und unentgeltliche
Bebauung der Staatsländereien im Kolonialgebiete den Chilenen
gestattet, durch Ministererlafs vom 8. März 1889 wurde aber allen
Beamten der Regierung untersagt, auf Staatsländereien Rq,\!l t»^
schlagen oder Aussaaten zu machen.
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Nach dem Berichte des Generaldirektors, Herrn Drouilly, kamen
in der Zeit von April 1888 bis April 1889 == 331 Familien (sämtlich
Europäer), aus 1589 Personen bestehend, an. Darunter waren nur
6 deutsche, aber 159 englische, 100 französische, 39 spanische und
13 schweizer Familien. Die neuen Kolonisten wurden zum teil über
die alten Kolonien verteilt, wo sie in erster Linie die von früheren
Kolonisten verlassenen Landgüter erhielten. Aufserdem wurden zwei
neue Kolonien Lautaro und Imperial (in der Nähe der Ruinen des
alten Imperial) begründet.
In Summa gab es am 30. April 1889 in den neuen Kolonien
1037 Familien (4967 Personen), die sich in verschiedener Weise
verteilen. Alle Jahre wird eine durchaus vertrauenswürdige
Statistik über Aussaat und Ernte aller Kolonisten und ihren Besitz
an Vieh publiziert. Danach wrörde im September/Oktober 1888 aus-
gesjit: 6369 Fanegas (ä 137 hl) Weizen, 3834 F. Kartoffehi,
1697 F. Hülsenfrüchte und 263 F. Gerste. Geerntet wurde:
67 853 F. Weizen, 27 652 F. Kartoffehi, 7118 F. Hülsenfrüchte und
1967 F. Gerste. Die Kolonisten besafsen 3066 Ochsen, 2213 Kühe,
2541 Kälber, 1354 Pferde, 3653 Schweine und 1356 Schafe.
Aufserdem erwachsen den Kolonisten Einnahmen durch Verkauf von
Nutz- und Brennholz, Holzkohlen, Gemüse u. a.
Die Kolonisten haben in Summa 56 300 ha erhalten und zwar
vollständig gratis! Sie bilden im Departement Traiguen, wo fast
die Hälfte aller Kolonisten lebt, den 15. Teil der Gesamtbevölkerung.
Herr Drouilly führt dies in seinem Berichte aus, um zu zeigen, wie
ungerecht die Eifersucht weiter Kreise in Chile gegen die „fremden
Kolonisten" ist. Man hat überhaupt fast ^allgemein eine wahrhaft
kindische Angst, keine „fremden Zentren" im Lande entstehen zu
lassen. Deshalb werden in jeder Kolonie Leute verschiedener
Nationalität angesiedelt, zu Beamten werden nur Chilenen ernannt,
den Kolonisten wird keine Spur von Selbstverwaltung gelassen;
dadurch wird die erste Einrichtung derselben sehr erschwert. In
Viktoria ist jetzt ein katholischer Priester, und ein Ordensbruder
besucht regelmäfsig einige der übrigen Kolonien, ein evangelischer
Prediger besucht die Kolonien, um die notwendigsten Amtshandlungen
zu besorgen. Schulen sind jetzt genügend vorhanden, leider fehlt
es aber noch an Lehrern. Weder chilenische Ärzte noch Lehrer
sind für das einsame Leben in den Kolonien zu haben, was von
geringem Interesse und VerstSlidnis für die seitens der Regierung
voll gewürdigte Wichtigkeit dieser Kolonien zeugt.
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Die Sicherheit für Personen und Eigentum der Kolonisten, die
sich von 1884 — 88 verschlechterte, hat sich im letzten Jahre
gebessert: Polizei und Gerichte sind vermehrt und sind energischer
eingeschritten. Leider wird die Thätigkeit der Beamten dadurch
erschwert, dafs die Chilenen selten gegen ihre Landsleute vor Gericht
Zeugnis ablegen und falsche Zeugnisse leicht zu haben sind. Vier
Mitglieder einer Räuberbande, die mehrere Kolonisten ermordet
hatten, sind endlich ergriffen und zum Tode verurteilt worden.
Der Sitz des Generaldirektors ist seit Ende 1888 Traiguen.
Ausgegeben wurden für die Kolonien im letzten Jahre 142 484 p.
Davon kommen 72 801 auf Verwaltungskosten, Vermessungen, Trans-
port u. a. und 69 682 p. auf Auslagen (Ochsen, Saatgut, Nägel,
Bretter, Ackergerät und Subvention während des ersten Jahres) für
die Kolonisten. Letztere müssen in fünf Jahi*en zurückerstattet werden,
ehe die Kolonisten den Besitztitel für ihr Landgut erhalten; in den
ersten drei Jahren nach ihrer Niederlassung brauchen dieselben keine
Rückzahlung zu machen. Zinsen sind für diese Vorschüsse nicht
zu zahlen. Jetzt sollen die Besitztitel schon an solche Kolonisten
erteilt werden, die fünf Jahre ansässig sind und zwei der fünf Raten
zurückbezahlt .haben. Der Rest der Vorschüsse wird als Hypothek
auf das Landgut eingetragen. Jeder Kolonist erhielt für sich 40 ha
und 20 ha für jeden erwachsenen Sohn.
362 Kolonisten, die meist unverheiratet und keine Landbauern
waren, haben die Kolonien (seit 1883) wieder verlassen und sich
meist in den benachbarten Städten angesiedelt. 18 742 ha sind an
Eingeborene definitiv übergeben, welche die besten Ländereien seit
längerer Zeit bewohnen und bebauen, und 5159 ha sind an solche
Araukanen überwiesen, die sich, zur festen Ansiedelung entschlossen,
bei der Regierung gemeldet haben. Es sind auf solche Weise
7590 Araukanen (3659 Männer und 3931 Frauen) auf dem Gebiete
nördlich von Cautin angesiedelt worden. Dieselben wohnen in fünf
gröfseren Gruppen vereinigt, deren Lage auf einer dem Berichte des
Ministers beigegebenen Karte genau bezeichnet ist.
Leider erlauben sich einige Chilenen Vergewaltigung der Arau-
kanen, indem sie das denselben zugewiesene Land bestellen. Die
Behörden sind nach Kräften bemüht, die Eingeborenen hiergegen zu
schützen. Dieselben haben sich den Bestimmungen der Behörden
und der mit der Verteilung des Landes betrauten Kommission ohne
Widerstand und ohne Protest gefügt. — Es hat böses Blut gemacht,
dafs auch durch die letzten Versteigerungen nicht für ärmere Chi-
lenen gesorgt worden ist. Reiche Stadt\)^vjo\ixv^T ^ünö^^'vv \»^'s.^tä^^'^
— 350 —
die in der Nähe der Stadt Traiguen belegenen Landloose in die Höhe
und die Armen gingen leer aus. Viele Chilenen müssen als Knechte
bei Kolonisten arbeiten, die nichts von der Landwirtschaft verstehen
und trotzdem ein reiches Landgut von der Regierung geschenkt
bekommen haben. Ich führe dies zur teilweisen Erklärung der
Erbitterung der im Kolonialgebiete wohnenden Chilenen gegen die
Regierung, die Kolonisten und Herrn Drouilly an.
Dafs die Regierung Herrn Drouilly nicht bereits längst (wenig-
stens interimistisch) von seinem Posten abberufen und eine spezielle
und strenge Untersuchung seiner Amtsthätigkeit angeordnet hat, ist
sehr zu tadeln. Die Klagen über Herrn Drouilly waren Mitte dieses
Jahres ganz allgemein.
Der Minister hatte die Kolonien Anfang März 1889 besucht.
Er sagt in einer amtlichen und publizierten Note: „Ich fand, dafs
die Beamten und Agenten des Fiskus in jenen Gegenden, zum grofsen
Schaden der administrativen Moralität und mit ernsthcher Schädi-
gung unsres Interesses für die Kolonisation, Handel trieben." Mit
Recht tadelt es die „Epoca" (vom 22. März 1889), dafs der Minister
diese Thatsachen nur tadelnd konstatiert und nicht bestimmt, dafs die
Schuldigen bestraft oder wenigstens aus ihren Stellungen entfernt
werden sollen.
Zwanzig aus den Kolonien fliehende europäische Familien kamen
im April 1889 in Santiago an. Auch ihre Klagen waren furchtbar.
Die Zeitungen aller Parteien forderten eine energische Untersuchung.
Seitdem ist es aber ganz still m der chilenischen Presse über die
so hochwichtige Angelegenheit der tyrannischen und willkürlichen
Herrschaft des Herrn Drouilly geworden. Derselbe ist noch im Amte
und von einer gegen denselben eingeleiteten Untersuchung verlautet
nichts.
In einer gröfseren in der „Deutschen Kolonial-Zeitung" Jahrgang
1886 Seite 377 abgedruckten Arbeit: „Die Kolonisation von Arau-
kanien", habe ich die Geschichte der ersten Jahre dieser neuen
Kolonien gegeben und auch die Bedingungen angeführt, welche Chile
den Kolonisten bis März 1886 stellte. Das bisher gratis überlassene
Land sollten die Kolonisten bezahlen. Es heifst in der Anzeige
No. B der Generalagentur der Regierung von Chile vom 1. März
1886 : „2. Abtretung von 20 oder 40 ha guten Kulturlandes in den
Kolonien, für welche der Preis nächstens von der Regierung fest-
gesetzt werden wird, oder Gratiskonzession für bewaldetes, noch
urbar zu machendes Land." Ich schrieb damals: „Im Interesse
Chiles und der deutschen Auswandexei vfäx^ zxx vj^^clien.^ dafs die
— 351 —
Regierung von Chile auf diese Forderungen und Ansichten des Herrn
Davila-Larrain nicht eingeht, sondern die früher festgestellten Be-
dingungen weiter gelten läfst (d. h. das Land unbedingt gratis
übergiebt)."
Dieser Wunsch ging bald in Erfüllung. Bereits in Anzeige 7
aus Basel vom 5. Juli 1886 offeriert derselbe Herr Davila-Larrain:
„Gratis-Konzessionen von 40 ha guten Kulturlandes in den Kolonien."
und in der Anzeige No. 1 des neuen Generalagenten D. Isid.
Erräzuriz aus Paris vom 15. Juni 1887 wird den Kolonisten geboten :
„Einräumung von 40 ha guten Kulturlandes für einen FamiUenvater
und 20 ha extra für jeden seiner Söhne, welcher das 12. Altersjahr
überschritten hat." — Dieser fortwährende Wechsel in dieser
wichtigsten Bedingung kann nicht scharf genug getadelt werden.
Er erregt geradezu Mifstrauen!
In der Anzeige vom 12. Juni 1887 wird auTserdem gesagt:
„Das Land, welches die Kolonien von Chili umgiebt, hat beim letzten
Verkaufe im Dezember 1885 einen Durchschnittspreis von 192 Frcs.
10 cm. pro ha erreicht. Die Loose von 40 ha, welche die Regierung
von Chile den Kolonisten schenkt, besitzen demnach einen Wert
von wenigstens 7684 Frcs. Um eine solche Konzession bewirtschaften
zu können, ist es unumgänglich notwendig, dafs der Kolonist in
landwirtschaftlichen Arbeiten wohl bewandert ist, und aufserdem die
nötigen Hilfsmittel, welche auf mindestens 1000 Frcs. zu schätzen
sind^ mit sich nimmt. Wir sind daher entschlossen, die Aufnahme
als Kolonisten von nicht Ackerbau treibenden Leuten oder auch von
solchen, welche den Ackerbau kennen, jedoch nicht genügend Kapital
besitzen — zu verweigern."
Freie Auswanderer bezahlen den vollen Preis der Reise von
Liverpool oder Bordeaux nach Valparaiso = 252 Jfe. pro Platz
ni. Hasse. Kolonisten zahlen nur 200 Jk. Passage für die er-
wachsene Person, und zwar nur die Hälfte bar und sofort bei der
Einschiffung. Die andre Hälfte brauchen die Kolonisten erst nach
drei Jahren mit den übrigen Vorschüssen zurückzuzahlen. — Diese
Bedingungen galten bis Juli 1888. Da erhtten dieselben in dem
Texte der von Herrn Opitz und mir herausgegebenen Generalkarte
Chilis^^ eine kleine Abänderung. Es wird darin gefordert, dafs der
^') Mapa de la Bepublica de Chile dibuj. y pnblic. segun los mapas, datos
i publicac. de A. Pissis, A. Fetermann, C. Martin u. a. por C. Opitz y
Dr. H. Polakowsky, Leipzig, 1888. 1 : 2 500 000. — Die Ka-vt^ \&i w>l ^'^'«iv^sö.
der Begienmg von Chile herausgegeben und deaha\Jö mOoX. "üql Ya.\3&K0u
— 352 —
Kolonist „aufserdem die nötigen Hilfsmittel, welche mindestens auf
einige hundert Mark zu schätzen sind, mit sich nimmt."
Was die heute giltigen Bedingungen betrifft, so werden keine
Kolonisten mehr angenommen. Handwerker, Ackerbauer und Arbeiter
köimen als „freie Einwanderer" nach Chile gehen und zahlen die-
selben 10 £ pro erwachsene Person Passage, welche Gelder ihnen
die Agentui' eventuell vorstreckt.
Die Periode der Errichtung der europäischen Ackerbaukolonien
im alten Araukanien ist also bereits abgeschlossen. — Die armen
Ackerbauer, die jetzt nach Chile gehen, müssen als Tagelöhner bei
den grofsen Haziendenbesitzern arbeiten. Derartige Stellungen finden
sie sehr leicht, doch begeben sie sich in eine Abhängigkeit, da die
Grofsgrundbesitzer mit diesen Leuten meist Verträge abschliefsen,
welche an die berüchtigten brasilianischen Parceriaverträge erinnern.
Salanga.
Von Ernst Hartert.
Die Kulieinwanderang. Die Chinesen bilden die Melirzahl der Bevölkerung von
Salanga. Die siamesische Verwaltung von Salanga. Ein Deutscher als Verwalter
der Insel. Seeräuber. Fahrt von Pcnang nach Salanga. Kwala Muda. Inseln
über Inseln. Leuchtende Algen. Die Bucht von Salanga. Kapitän Weber.
Beschreibung der Insel. Die Haupstadt Tongkah. Die Gewinnung des Zinns.
Vegetation. Die Vogelwelt.
Ungefähr wöchentlich geht von Penang ein von einem ma-
layischen Kapitän geführter kleiner Dampfer ab, der an der Ma-
lakkaküste hinauf nach der kleinen Insel Salanga, auf Seekarten
auch als Junh Ceylon bezeichnet, fährt, um mit Zinn beladen zurück-
zukehren. Reiche Zinnminen birgt der südliche Teil dieser Insel,
und jeder Dampfer bringt eine Menge chinesischer Kuhs dorthin,
deren mancher bei der anstrengenden Arbeit in dem feuchtheifsen
Thale und bei den nicht gerade seltenen Choleraepidemien sein Leben
läfst. Noch gröfsere Menschenmassen werden fortwährend in die
Minendistrikte von Perak auf der Halbinsel Malakka und in die
Tabaksgegenden Ostsumatras eingeführt und in beiden Gegenden
zeugen die vielen Gräberfelder von der Sterblichkeit, in Sumatra zu-
mal auf neu eröiGEneten Pflanzungen. Trotz dieser Thatsachen schätzen
sich die Chinesen glücklich, aus ihrem entsetzlich übervölkerten
Vaterlande fort sein und arbeiten zu können — mit Ausnahme der-
jenigen Leute, die durch falsche Vorspiegelungen von Agenten ver-
Jockt werden (wie dies ja auch bei uns g^sdoi^YÄ)^ o^^x nqvi Schulden-
— 353 —
last gedrückt, sich förmlich verkauft hatten — und ihre Ein-
wanderung wird auch von den Europäern begünstigt und veranlafst,
da sie die einzigen sind, die dort . überhaupt arbeiten, denn die
Malayen sind jeder tüchtigen Arbeit abhold. In Salanga freilich
haben die Chinesen meist selbst die Minen in Händen, müssen aber
hohe Abgaben an die siamesische Regierung zahlen. Die eingeborene
Bevölkerung ist hier fast ganz siamesisch gewesen, nur an den
Küsten wohnten einzelne Malayen. Nunmehr sind eine solche Menge
Chinesen hingezogen, dafs schon vor 6 Jahren ihre Zahl 40500
betrug, die der Siamesen nur noch etwa 1 500 und die der Ma-
layen 500, ein Verhältnis, das sich noch mehr zu Gunsten der
Chinesen geändert hat. Über die erste Einwanderung der Chinesen
ist mir nichts bekannt geworden, aber es ist mir nicht unwahr-
scheinlich, dafs sie auch hier gewaltsam, wie in Perak eindrangen,
denn ein eigentlich freundliches Verhältnis zmschen ihnen und
den ruhigen im Innern der Insel lebenden, anscheinend sehr gut-
artigen Siamesen besteht keineswegs. Mancher Seeraub, gar manche
blutige Greuel haben auf der Insel stattgefunden, aber die reichen
Einkünfte aus den Zinnminen machen die Insel zu einem Edelstein
in der Krone des Königs von Siam und lenkten die Aufmerksamkeit
seiner Beamten auf sich. So wurde denn schon vor vielen Jahren
eine geordnete Verv/altung eingeführt, eine Polizeitruppe aus Ben-
galen, Siamesen und Malayen stationiert und ein Kriegsschiff in der
Bucht von Tongkah vor Anker gelegt.
Der eigentliche siamesische Name der Insel ist Puket, wovon
auch der Gouverneur, der Rajah, seinen Titel „Phya Puket" erhalten
hat. Dieser ist meistens nicht zu Hause, sondern lebt ruhig und
üppig genug in Penang, die Verwaltung der Insel aber hat that-
sächlich sein Beamter, ein Deutscher, Kapt. Joh. Weber, in Händen,
der einzige Europäer, der die Insel bewohnt. Ohne von dem ziem-
lich ungesunden Klima irgendwie zu leiden, lebt er mit seiner Frau,
einer Engländerin, und seinen Kindern seit etwa 15 Jahren in
seinem Reiche, wo er die Macht eines Königs hat und derartig
stramm und erfolgreich gebietet, dafs vor wenigen Jahren der König
von Siam es wagen konnte, der früher übel berüchtigten Seeräuber-
insel seinen Besuch zu machen. Nur im vorigen Jahre nahmen die
Seeräuber wieder zu und vier Piraten wurden gefangen und in Kedah
hingerichtet. — Überaus lieblich ist die Fahrt von Penang nach
Salanga. Entlang dampfend an der von Kokospalmen umsäumten
Malakkaküste passiert man die waldumschlosÄ^w^ ^&&ft&sisv% ^^%
Mudi^usses, Kwala Muda, •— der Mund des Mxxda, öi^ii'^^^'^«^^ -*- ^^^^^
— 354 —
deutlicher, verschwommener werden die sonnigen Hügel des lieblichen
Pulu Pinang, klarer treten die wenig bekannten Berge in Kedah
hervor, um bald wieder zu verschwinden. — Zahllose, dicht be-
waldete, unerforschte Eilande, abwechselnd mit felsigen Klippen,
treten in den Gesichtskreis, verschwinden wieder und über dem
tiefblauen Meere, in dem man hier und da wohl eine kleine, bunt-
farbige, giftige Seeschlange und zartgefärbte Quallen erblickt, brennt
die heifse tropische Sonne.
Aber wie prächtig erst die Nacht! In dem angenehmen Ge-
fühle einer wohlthuenden Temperatur kann man Stunde auf Stunde
daliegen, ohne die Augen zu schliefsen, versunken in den Anblick
des reichen Sternenhinunels. Noch immer passiert man Inseln, die
schwarzen Ungetümen gleich im Meere stehen.
Überall zieht der Dampfer eine leuchtende Bahn in die Flut,
wie fast stets in diesen Gewässern, aber in der Nähe der Felsen
ist das ganze Meer von zahllosen grünen Algen erfüllt, die ein
wunderbares, grünlich - phosphorisches Leuchten hervorbringen , so
dafs der Felsen oft umgürtet ist von einem glänzenden Kranze, und
das dann wieder verschwindet und dem gewöhnlichen allabend-
lichen Leuchten Platz macht, sobald jene Algen mit der Nähe der
Felsen verschwinden. Dafs diese Algen, wie der biedere braune
Kapitän behauptete, mit dem Fucus saccharinus, dem agar-agar
(auch akka-akka) der Malayen identisch sei, woraus man an Stelle der
Gelatine die trefiFlichsten Puddings und Gelees bereitet, dürfte trotz
der Behauptung der Eingeborenen, „die es doch wissen müfsten",
irrtümlich sein. Dieser Fucus saccharinus ist allerdings an diesen
Felsen, besonders bei Salanga, Pulo Pangkor und Dinding bei Perak
sehr häufig und wird nicht nur von Siamesen, Chinesen, Malayen
und Europäern vielfach benutzt, sondern auch nach China aus-
geführt.
Auch die schöne tropische Nacht entschwindet und bald ist
unser Ziel erreicht. Ungemein lieblich ist die Einfahrt in die Bucht
von Tongkah, der Zinnminenstadt. An einer waldigen, mit Kokos-
palmen umsäumten Insel dahindampfend, blickt man in eine von
Mangrovewald umsäumte Bucht, hinter der sich hohe Berge erheben,
eine ruhige, sonnige, von kleinen Böten belebte und mit einem
stolzen Kriegsdampfer geschmückte Bucht. Bald schiefst hinter den
Böten und Dschunken ein grofses europäisches Boot hervor, in dem
wir unter schattendem Segeldach einen Europäer gewahren, den
Kapitän Webei^ der uns in seinem Reich willkommen heifst und in
sein gastfreies Haus abholt.
— 355 —
Da wo die Malakka-Halbinsel das Knie macht und statt ihrer
bisherigen Richtung von N. nach S. nach SO. zu verläuft, sendet sie
noch einige Trümmer in das Meer, einen kleinen Inselarchipel, dessen
gröfste Insel Salanga ist, unter 98^ 24' ö. L. und 7^ 50' 12" n. Br. Gr.
gelegen. Sie ist von N. nach S. etwa 7 Meilen lang und von ver-
schiedener, bis zu 3V4 Meilen betragender Breite. Tongkah ist in
jeder Hinsicht die Hauptstadt der Insel, wie sich denn überhaupt
die Bevölkerung der Hauptsache nach ganz nach dem südlichen,
zinnreichen Teile der Insel hingezogen hat. Die Küsten zeigen
auTserordentlich verschiedene Formation, hier zerrissene, senkrecht
ins Meer abstürzende Felsenwände , da sandige Dünenberge und
dort Mangrovesümpfe. Im allgemeinen ist die Westküste felsig,
hier und da mit Sanddünen abwechselnd, während der gröfsere Teil
der Ost- und Südküste sich flach ins Meer senkt und mit unzugäng-
lichem Mangrovesümpfe bedeckt ist. Während natürlich die hohen
Ufer bei Flut und Ebbe fast das gleiche Ansehen haben, werden an
den Flachufern weite Watten bei der Ebbe frei, welche von zahl-
reichen Chinesen wimmeln, die in ihrer bekannten Liebhaberei für
im Wasser lebendes Getier hier eine reiche Ernte für die Tafel
halten. Scharen von Sumpf- und Wasservögeln, zumal im Winter
viele Wanderer aus Nordostasien, teilen sich mit ihnen in den Raub.
Das Innere der Insel ist flach und vielfach sumpfig, mehrere
ungefähr von Nord nach Süd verlaufende Hügelketten durchziehen
sie, meist nicht über 100 bis 150 m, im Kau Maitoo Sibsong aber,
wie angegeben Avird, etwa 550 m erreichend. Die Bergpartien
waren früher alle gut bewaldet, aber in neuer Zeit sind sie, in den
südlichen Teilen zumal, durch Axt und Feuer vernichtet und die
Gegend bietet in den trockenen Monaten ein ödes, armseliges
Büd dar.
AuTser dem Zinn ist mir kein nennenswertes Produkt der Insel
bekannt.
Die Gewinnung des Zinns geschieht auf dieselbe einfache Art
wie in Larut und Perak auf der Halbinsel Malakka. Die zinn-
fohrende Schicht liegt auf einer Unterlage von fettem Thon und ist
von sehr verschiedener Mächtigkeit, ebenso wie die überlagernde
noch spätere Alluvialschicht.
Zuerst wird nun mit einfachen breiten Hacken die überlagernde
Erde gelockert und fortgetragen und aus den so entstandenen meist
5 bis 25 Fufs und noch tieferen Löchern wird die zinnführende
Sandmasse heraufbefördert und ausgewaschen. Det Tx^xis^^^^ ^-
schieht aof die aiiereinfachste Art. übet dex S>di\3Jii«t ^\xätl^^^»sv
— 356 —
oder eine Art Joch, das aber immer etwas elastisch ist, woran (wie
bei uns in den Marschen die Milcheimer) flache Körbe hängen, auf
denen die schwere Erde liegt, läuft der Kuli in einem Halbtrabe
auf langen hühnersteigartig behauenen Stämmen oder Laufbrettern
hinauf und wirft die Zinnerde in breite hölzerne Rinnen, in denen
sie vom Wasser überströmt wird. Da der Zinnsand über doppelt
so schwer ist, als die beigemischten Thon- und Mergelteile, so
bleibt er in den Rinnen zurück , während jene fortgeschwemmt
werden. Das Wasser wird durch chinesische, höchst sinnreich kon-
struierte Wasserräder und unendlich lange Kettenpumpen herauf-
befördert.
Das Ausschmelzen des so gewonnenen Zinnsandes geschieht in
grofsen Windöfen mit Holzkohlen. Grofse Blasebälge helfen die
Glut schüren. Die magische Beleuchtung des glühenden Metalls, die
infernalische Hitze und die schweifstriefenden, gelbbraunen Gestalten
vor dem Feuer bringen ein Bild hervor, das lebhaft an einen Be-
such in der Unterwelt erinnert. Das geschmolzene Zinn wird in
gleichgrofse Formen gegossen, die den Transport und das Abwiegen
ungemein erleichtern. Alles Zinn von Tongkah geht zunächst nach
Penang.
Der Boden der Insel ist keineswegs unfruchtbar. Kokos- und
Arekapalmen gedeihen gut, eme Art in der Reife grünschaüger, sehr
saftiger Orangen wird in grofsen Gärten gezogen, die Chinesen
bauen mit einigem Fleifse und reichlicher ürindüngung ihre Lieb-
lingsgemüse. Zahlreiche Rotans geben ein ganz vortreffliches Material
zu Stöcken, Bamburohr gedeiht in seltener Pracht. Vergeblich
habe ich mich nach dem König der malayischen Fruchtbäume, dem
Durio zibethinus, umgesehen. In den tiefgelegenen Strichen wird
auch Reis in nassen Kulturen und etwas Zuckerrohr gepflanzt.
Im Innern der Insel fielen mir viele Bäume von Morinda citri-
folia auf, auch sah ich die Jangus und Amra der Malayen, erstere
von höchst sonderbarem, scharfem Geschmack, letztere sauer und
zum Reis gekocht genossen.
Eine gewisse Bekanntschaft mit dem Namen der Insel ist bei
den Ornithologen zu finden. Wiederholt ist die Insel von Omi-
thologen besucht worden und im Jahrgang 1882 des Journals für
Ornithologie befindet sich eine von Dr. Müller verfafste, eingehende
Arbeit über die Vögel von Salange, auf den sehr reichhaltigen
Sammlungen Kapitän Webers basiert, der auch zugleich ein tüchtiger
Jäger und Naturfreund ist. Es werden dort nicht weniger als 155 Arten
von Vögeln aufgezählt. Ein besoiiÖL^i^^ \öi^x^%^^ \i\^\.%\. iia Tier-
— 357 —
weit aus dem Grunde dar, weil die Insel am Grenzgebiete der von
Wallace aufgestellten „indo - malayischen Subregion" liegt. Zu
den im Journal für Ornithologie aufgezählten Vögeln beob-
achtete ich bei flüchtigem Besuche auf der Insel noch Leptoptilus
argala, Leptoptilus javanicus, Otogyps calvus, Corvus macrorhynchus,
Phalacrocorax carbo et pygmaeus, Plotus melanogaster , Ardea
purpurea, Totanus calidris, Numenius phaeopus und Gallinago stenura.
Ein Specht, Gecinus Weberi, ward bisher noch nirgend anders ge-
funden.
Die Tierwelt ist in neuester Zeit bei weitem nicht mehr so
reich wie früher. Durch die schon erwähnten Waldverwüstungen
und die zahlreichen Brände haben die Vögel sich mehr zurück-
gezogen, einzelne Arten, wie die prachtvolle Irena, war früher gemein
und jetzt ist sie eine Seltenheit, mehr noch zeigt sich dies bei den
Insekten.
Eine Zukunft wird Salanga so lange haben, wie die Zinnlager
reichen Ertrag liefern und die Zinnpreise hoch genug bleiben, um
daran stark zu verdienen. Sollten einmal die Zinnlager plötzlich
ausgebeutet sein, so würde die Insel der Vergessenheit anheimfallen,
was wir dem freundlichen Eilande nicht wünschen möchten.
Erinnerungen aus Grönland.
Von Signe Rink.*)
1. Der Grönländer von der Wiege bis zum Grabe.
Die Wiege des Grönländers ist die eigentümliche Amaut, worin
das Kind von der Mutter oder von andern auf dem Rücken getragen
wird. Wenn das neugeborene Kind, hermetisch eingepackt, wie ein
kleines Bündel in der Seehundsamaute liegt, sieht es auf dem
Rücken der Mutter aus wie ein veritabler kleiner Seehund. Die
Amaut ist eine Bekleidung für den Oberkörper aus Seehunds- oder
Rentierfell, reich gestickt mit Leder und Perlen; sie schliefst sich
an den Vorderkörper der Trägerin fest an, ist aber auf dem Rücken
so übermäfsig weit, dafs dort Platz für das Kind bleibt. Um die
*) Diese Mitteilungen dürften mit Interesse gelesen werden, weil sie auf
langer sorgfältiger Beobachtung beruhen; die Verfasserin brachte einen Teil
ihres Lebens in den dänisch-grönländischen Kolomei^ tax. "^V^ ^^\\J^\wn.,
— 358 —
Taille der Mutter wird über die Amaut ein Gärtel geschnürt, welcher
dem Kinde zur Pufsstütze dient, da es sonst hindurch fallen würde.
Die Amaut ist ein bequemes und kleidsames Gewand, worin
das Kind an die Luft getragen wird, wenn die Mutter sich öffentlich
zeigt, welches in der Regel schon in den ersten Wochen nach
ihrer Niederkunft geschieht, falls sie nicht durch Krankheit daran
verhindert wird.
Nach und nach, wenn das Kind wächst und Kopf und Hände
aus der Offiiung am Halse herausstreckt, bildet es zusammen mit
der Mutter eine ganz andre Figur, als vorhin; die Art und Weise
das Umganges der Beiden wird auch eine ganz andre; — durch
einen kleinen Fulsstofs in den Rücken der Mutter giebt das Kind zu
erkennen, dals es ihre besondere Aufmerksamkeit wünscht, — sei
es nun, dafs es ihr Gesicht sehen, ihre Stimme hören, oder ihre
Hand fühlen möchte. Die Mutter gehorcht sofort dem kleinsten
Wink, sie reicht sogleich ihren blofsen Arm mit dem weifsen Ellen-
bogenärmel und dem rotbunten Muffchen ihrem kleinen Schatze hin
und wendet ihr freundliches Antlitz um zu einer Unterhaltung,
welche beiden Teilen gleich viel Vergnügen macht.
Man sagt, die Grönländer werden weifs geboren mit einem
kleinen braunen Fleck auf dem Rücken, welcher schnell dem ganzen
Körper die braune Farbe mitteilt. Von der angeborenen Wei&e
ist aber doch nicht viel zu sehen.
Die kleinen braunen, oft sehr fetten Beine sind die Glieder,
welche zuerst mit dem Nationalkostüm beehrt werden, (sogar viel
früher, als das lange Kleid von europäischem Schnitt und Stoff
abgelegt zu werden pflegt) und man sieht häufig, dafs die stolze
Mutter diese mit Lederstickerei verzierten Körperteile, zur Unter-
haltung der übrigen Hausgenossen oder der zufällig anwesenden
Gäste, vorzeigt. Bis das Haar so weit gewachsen ist, dafs es in den
kleinen chinesischen (um nicht zu sagen grönländischen) Zopf auf dem
Scheitel zusammen gebunden werden kann, ist es Mode, auf dem
Zopfe des Kindes allen erdenklichen Luxus von Rüchen, Schleifen,
Rosetten, Mützen und Tüchern — eins über das andre — aufzu-
türmen; aber dies kleidet diesen kleinen flachen und, in der Regel,
ausdruckslosen Gesichtern nicht übel.
Die Kinder bekommen oft bis ins dritte und vierte Jahr die
Brust, und es ist daher nicht ungewöhnlich, dafs das neugeborene
Kind seine Kost mit einer älteren Schwester oder einem Bruder
teilen mufs, welche auf ihren eigenen Beinen angelaufen kommen
und sieb zu ihrer Ration melden.
— 359 —
Im jüngeren Alter sind die Grönländerkinder eigensinnig,
launisch und unartig. Fällt es z. B. einem kleinen Kinde, welches
angefangen hat auf eigene Hand auszugehen, ein, dafs es nun
keinen Schritt weiter gehen will, wenn nicht seine eigene Mutter
kommt, so wird kein Lockmittel es zur Vernunft bringen; es hat
sich vorgenommen liegen zu bleiben, mit Füfsen und Händen um
sich schlagend, und wenn es auch eine ganze Stunde währen sollte,
hält es an zu schreien „anänaga" — „anänagu" — „meine Mutter,
meine Mutter soll kommen" bis es dem Ersticken nahe ist. Bis-
weilen schreit der kleine Laban sich in den Schlaf. (Laban ist ein
sehr gewöhnlicher Name in Grönland.) Doch werden Kinder ver-
hältnismäfsig früh artig und besonders unbedingt gehorsam, eine
Eigenschaft, welche sie durchs ganze Leben behalten, vereint mit
grofsem Respekt vor Älteren und Vorgesetzten. Die grönländischen
Kinder erziehen sich selbst und üben sich fast unbewufst in den
Fertigkeiten, welche später, bei Ausbildung ihres ernsten Berufes,
von ihnen gefordert werden: die Knaben, indem sie Steine und
Pfeile werfen, laufen, kämpfen und sowohl auf leblose Gegenstände,
als auf kleine Vögel zielen, welche oft als Beute durch den Spielzeug-
pfeil des fünf- oder sechsjährigen Jägers fallen.
Kleine Mädchen waschen Zeug am Bache, nähen Häute und
Lappen, schneiden kleine Tiere auf und reinigen sie, z. B. Kaul-
quappen, Dorsche oder irgend einen Vogel; es fällt keiner sechs-
jährigen Grönländerin ein, ihr „uUo" (das krumme Messer der Frauen)
oder andre Gerätschaften anders zu handhaben, als die sechzehn-
jährige, ohne dafs diese ihr je Anweisung darin gegeben hat.
Spiele heifsen „ögapuk" und in dieser egapuks-Periode fangen
Kinder, besonders kleine Mädchen, schon an, sehr liebenswürdig zu
werden.
Etwa im Alter von acht Jahren wird der Knabe besonders in
den von der grönländischen Kolonie entfernter liegenden Grönländer-
plätzen zu seinem Fängerberuf auf der See erzogen. Der Vater
hat für den kleinen Sohn ein Miniaturkajak verfertigt, worin er
ihn zur Probe auf die See mitnimmt; zuerst rudern sie nur in der
Bucht umher, später wagen sie sich um die nächste Klippe herum,
und schliefslich geht es ganz hinaus in die See, bis sie das Land
aus dem Gesichte verlieren. Und der Miniaturmann, der schon
durch die instinktive Selbsterziehung jede Bewegung kennt, die er
zu machen hat, findet sich gleich zurecht, selbst wenn er die
ersten Male auch fühlt, dafs ein Steinkajak, welches er sich selbst
auf dem Lande baute und das von keiner Welle bew^^ ^woxÄfe^
— 360 —
etwas andres ist, als das kleine Boot aus Fellen, welches die
geringste Bewegung der Brandung umwerfen würde, kennte nicht
er, der kleine Mann, schon ein wenig die Kunst, die Zunge grade
im Munde zu halten, oder hätte er nicht den Vater zur Seite, um
ihn den Rest der Balancierkunst zu lehren.
Der Kleine ist in allen Stücken ausgerüstet wie der erwachsene
Mann und es fällt ihm auch nicht einen Augenblick ein, sich nicht
für einen Erwachsenen anzusehen, den der Ernst kennzeichnet.
Aber wenn er nach beendigtem Exerzitium an der Seite seines
Lehrers und Meisters von der zuströmenden Welle ans Land gesetzt
ist, so ist es auch sofort vorbei mit der Mannhaftigkeit. Wohl
hebt er sich mit echtem Kajakmann-Gestus aus seinem Fahrzeug
empor, steckt mit ernster Miene den Arm in die ÖJBFnung desselben,
um das Kajak über die Wassergrenze hinüber zu bringen, wo der
Alte für das Übrige sorgt, wenn aber dann die Mutter, welche
vom Hause aus diesen Augenblick erwartet hat, herbeigelaufen
kommt und vor „ihrem Stolz" — dem künftigen grofsen Fänger —
niederkniet, oder, sich niederhockend, ihm ihren Rücken anbietet,
um darauf nach Hause zu reiten, so bedenkt sich das Naturkind
keinen Augenblick, das Anerbieten anzunehmen. Und in der
nächsten Stunde, wenn die Kajakkleider abgelegt sind, sieht man
den „ernsten Mann" wieder ganz erfüllt vom Kinderspiel. Das eine
ist ihm ebenso natürlich wie das andre, und die Schmeichelreden
der Alten haben keinen sonderlichen Eindruck gemacht. Es hat in
der Hütte nämlich Komplimente über ihn geregnet.
Die kleinen Mädchen, welche inzwischen neugierig umher-
standen und ihren Kameraden kichernd bewunderten, fühlen
sich selbst nicht weniger erwachsen, indem sie ihren Vorbildern
„neviarsiakkeme", den jungen Mädchen nachahmen. Sie sind jetzt
auch ganz so gekleidet wie diese; und da die Tracht von nun an,
ganz geringe Modifikationen ungerechnet, nicht verändert wird,
verdient sie wenigstens eine flüchtige Beschreibung.
Zuerst die Frisur! Das Haar der Grönländerinnen, welches
in der Jugend stark und glänzend, in der Regel schwarz ist, wird
von allen Seiten emporgekämmt zu einer Spitze auf dem Scheitel
und dort von Mädchen mit einem roten Bande, von Frauen mit
einem blauen und von Witwen mit einem schwarzen oder weifsen
Bande umwunden. Diese Sitte, welche sich über das ganze Land
verbreitet hat, ist von den Herrnhutern eingeführt, deren Damen
sich durch die Farbe ihrer Haubenbänder zu kennzeichnen pflegen.
— 361 —
Dann kommt der Anorak! Nimmt man die jetzt gebräuch-
lichen Jersey-Damenjacken, welche über den Kopf zu ziehen sind,
fafst sie mit buntem Bande unten, an dem Hals und an den Händen
ein und befestigt im Nacken lieber noch eine kleine Kapuze daran,
so hat man den Anorak, die Bekleidung des Oberkörpers. Reich
bestickte Beinkleider bedecken die Beine von der Hüfte bis ans
Knie, wö die langen, auch reich bestickten, weifsen, blauen oder
roten Pelzstiefel, welche sich dem Beine anschmiegen, die Toilette
vollenden.
Der Mann trägt auch den Anorak, aber mit einer Kappe im
Nacken, welche grofs genug ist, um über den Kqpf gezogen zu
werden, wenn das dicke und struppige Haar, welches immer um
die Ohren und über die Stirn herabhängt, gegen Sturm und Kälte
nicht Schutz genug gewährt. Seine Beinkleider sind länger, seine
Stiefel kürzer und seine ganze Person ist weniger bestickt.
In der vorher beschriebenen Weise verfliefst die Zeit während
der Periode des Schulbesuchs bis zur Konfirmation, nur dafs die
Knaben mehr .und mehr vom Jäger- und Fischerleben in Anspruch
genommen werden.
Die Konfirmation wird nach europäischer Sitte an den von
der Kolonie isolierten Plätzen durch einen Katecheten vorbereitet,
bis die Kinder eine Zeitlang vor dem festlichen Tage nach der
Kolonie kommen, um zum Schlufs mit ihren Kameraden Unterricht
von dem dänischen Prediger zu empfangen. Die heilige Handlung
wird unter den gewöhnlichen Zeremonien in der Kirche vollzogen
und die Konfirmanden sind geputzt wie bei uns. Besonders die
Mädchen nehmen sich hübsch aus in ihren weifsen Festpelzen von
etwas andrem Schnitt, als der des Anoraks, da jene gestickt und
mit langen PerKransen besetzt sind.
Die Konfirmation ist eine Grenzscheide des Lebens. Nun ist
man erwachsen. Man spielt nicht mehr wie lünder, aber man
setzt die intime Bekanntschaft fort ; man trifft sich täglich auf dem
„Koloniewege" und am Hafen, wenn Kajaks und Frauenböte ans
Land legen; man spaziert zusammen im Mondschein, singt und
tanzt auf den Felsen so lange, bis eines schönen Tages geflüstert
wird, dafs Mads und Else nun „nulliagsiaret" (auf dem Wege, eins
zu werden), mit andren Worten, verlobt sind. Hat dann Mads
erst einige Seehunde gefangen, so wird es eines Tages heifsen:
„Mads und Else sollen kalipukkes" (vereint werden). Und hat das
Gerücht wahr gesprochen, was es sicherlich hat, so wissen wir
(denn wir bekommen es nicht zu sehen, meiQa.wd Vi^'ötKßcii* ^'s. i»w
Oeogr. Blätter, Bremen, 1889. ^^
— 362 —
sehen), dafs Elses Eigentum, d. h. ihre Spanschachtel mit Nähsachen
und einigen wenigen Luxusgegenständen, ihr Kopfkissen, ihr Krumm-
messer und vielleicht ein Anzug aus der Hütte ihrer Eltern in die
hrer Schwiegereltern gebracht \vird, bei denen der Sohn gern bleibt,
bis er so wohlhabend wird, dafs er sich ein eigenes Haus bauen kann.
Die Schwiegermutter überläfst oft — doch nicht immer —
ihren Platz der jungen Frau, früher unter gemssen Formalitäten,
welche jedoch jetzt nicht mehr beobachtet werden. Dies thut sie
als Zeichen ihrer Zufriedenheit damit, dafs der Sohn eine „Wahl*'
getrojßfen hat. Und, mag es nun aus dem Herzen kommen, oder
nur ein Geb]:auch sein, nun wird die neue Tochter vom Morgen
bis zum Abend gepriesen in Redensarten und Aussprüchen, wie : „Ja,
nun brauche ich mich nicht mehr um meines Sohnes Zeug zu be-
kümmern, denn Else ist ungewöhnlich tüchtig mit der Nadel" oder
„Ich komme wahrlich nie mehr an den Bach, denn der Eimer ist
kaum leer, so hat Else ihn schon wieder gefüllt" , oder auch : „Else
brennt vorzüglich KaJBFeebohnen". Im ganzen ist die junge Frau, die
nun ihr rotes Band mit dem blauen vertauscht hat, eine Zeitlang
Gegenstand der höchsten Bewunderung aller, besonders der Jungen,
„kussannavigpuk" (wie reizend sie sich ausninmit) heifst es gern.
Die Grönländerinnen haben selten weniger als vier und selten
mehr als sechs Eander. In der ersten Zeit der Ehe ist die Frau
sehr aufmerksam und sorgt besonders dafür, ihres Mannes Garderobe
(sowohl das Kajak- als das Hauszeug) in bester Ordnung zu halten,
und sie versorgt ihn auch, so lange sie nicht zu sehr durch Kinder
in Anspruch genommen ist, mit verschiedenen Luxusgegenständen
in Form von Stiefel- und Pelzstickereien. Aber hierauf mufs er
später meistens verzichten. Überhaupt erschlafit die Grönländerin
verhältnismäfsig früh in ihrem Beruf, wodurch auch der Mut des
Mannes allmählich geknickt wird, obgleich er selten oder nie seinen
Erwerb ganz aufgiebt, ehe Krankheit ihn auf das Lager oder ein
Sturm ihn auf den Grund des Meeres legt. Wird er vom Lager
weggetragen, so geht der Weg nach dem Kirchhof,' wo er dann
niedergesenkt wird in das oft mit unglaublichen Anstirengungen
gegrabene Grab. Auf den entlegenen Grönländeransiedlungen wird
noch oft die alte Sitte befolgt, in der harten Frostzeit die Toten
unter Steinhaufen am Fufse eines Felsen zu begraben; aber in der
Kolonie, wo der Pastor selbst zugegen ist, bietet er alles auf, um
die zu Stein gefrorene Erde zu einem ordentlichen Grabe aushauen
zu lassen. Die Grönländer halten ihre Gräber nicht sichtbar in
Ehren, wohl aber im stillen ; sie werden rasend, wenn daran gerührt
— 363 —
wird (z. B. von fremden Naturforschern, welche sich in der Hinsicht
mitunter Freiheiten nehmen, um Altertümer zu suchen), aber sie
pflegen und schmücken die Gräber nie, und ein grönländischer
Kirchhof ist daher ein strenges und scharfes Bild der Vergänglichkeit
und des Vergessens.
2. Ber Kajakmanii.
Wenn eine grönländische Mutter einen Sohn geboren, weifs sie,
dafs sie der Welt einen Kajakmann geschenkt hat und deshalb
beginnt sie instinktmäfsig sogleich ihn für seinen Beruf zu erziehen —
ihn zu dressieren. Ihr Schofs stellt ein Kajak vor, worin sie das
Kind übt in Stellungen, die es beizeiten gelenkig und geschmeidig
machen sollen.
Betrachtet den einjährigen Wicht, die Striche seiner kleinen
Haube tief über die Stirn niederhängend, den die Mutter, indem sie
sein Händchen nach hinten zieht, schon in den Ruderbewegungen
übt, während sie selber aufmerksam den Erzählungen der heute
erlebten Seeabenteuer seines Vaters lauscht!
Dieser Kleine ist der Kajakmann.
Seht dann den sechsjährigen Knaben in der Bucht, wie
gewandt er den Kaminstock seiner Mutter als Ruder hantiert, oder
sein zugespitztes Stückchen Schwimmholz als Pfeil über die Scheeren
hinaussendet !
Dieser Knabe ist auch der Kajakmann.
Schaut ferner den wasserdicht gekleideten Burschen von zehn
Jahren mit dem wirklichen Kajakruder, der, noch ein wenig unsicher
in seinen Bewegungen, aber mit vollem Vertrauen auf seine Ge-
schicklichkeit in die See sticht — in die wirkliche See, an der
Seite des wettergebräunten Seehundfängers.
Betrachtet endlich den dunklen Punkt da draufsen, wo kohl-
schwarze Wolken wie zerrissene Gewänder umherflattern und sich
in die hohen Wellen zu tauchen scheinen. Seht, wie er kämpft
in seinem kleinen Fellboot! Bald bemerkt Ihr ihn auf dem Gipfel
der Wasserberge, bald in den tiefen Wellenthälern, — bald den
Oberkörper so weit vorüberbeugend, dafs das Gesicht beinahe seine
arbeitenden Hände berührt, dann sich soweit zurücklehnend, als ob
sein Nacken über den Stern hinüberreichen sollte — alles, um die
widerstrebenden Wogen zu durchbrechen — allein in der Arbeit,
in der Gefahr, ja selbst im Tode, wenn dieser ihn überraschen sollte.,
was er oft thut.
— 364 —
Das Gesicht des jungen Kajakmannes ist von der „Kapitäkke",
der Sturmkappe aus Fell, dicht umrahmt und die Handgelenke sind
ebenso hermetisch von den wasserdichten Pelzärmeln umschlossen,
während der untere Rand des Pelzes festgeschnürt ist, nicht um den
Leib des Mannes, sondern um den Holzring, der das Kajakloch, aas
dem sein Oberkörper hervorragt, umgiebt; auf diese Weise sind
Mann und Kajak dermafsen verbunden, dafs man ersteren nicht aus
dem Wasser ziehen könnte, ohne dafs das letzteres folgte. In dieser
Verbindung beruht seine Sicherheit, seine Rettung beim Seegang ; kein
Tropfen Wassers kann eindringen, sein Kajak zu füllen, selbst wenn
die Wellen ihm über den Kopf schlagen, und ihn auf Augenblicke
zu begraben scheinen. Dunkel oder leuchtend erheben sie sich
vor und hinter ihm, während er, durch tiefe Thäler hindurch,
von einem Wellengipfel zum andern hinübergleitet. Die Fahrt ist
äufserst beschwerlich, aber ungern will er seine Beute, den gefangenen
Seehund, den Haifischen überlassen, um so mehr, da er fühlt, heute
das Meisterstück seines langen Kajaklebens ausgeführt zu haben.
Schwer genug war es, an und für sich, dem Tiere die Harpune
einzuwerfen, geschweige denn die hüpfenden Bewegungen der Fang-
blasen auf dem bewegten Meere zu beobachten. Dieser ballonartige
weifse Fellgegenstand ist mit der Harpune an die Fangleine befestigt
und mufs von seinem Platz auf dem Kajak losgemacht werden in
demselben Augenblick, wo harpuniert wird, denn, wenn dies nicht
glückt und die Leine vorher ausläuft, zieht das verwundete Tier zu,
so dass das leichte Boot kentert; ist aber die Blase erst glücklich
ausgeworfen, so ist der Fänger vollkommen unabhängig von dem
Gegenstande seiner Verfolgung und braucht nun nur die grofse
schaukelnde Blase zu beobachten. Er weifs, dafs der Seehund ein-
mal in der Nähe derselben auftauchen wird ; wenn dies geschieht,
wird er ihm den Spiefs in den Leib schleudern bis er ihn so ab-
gemattet hat, dafs er an ihn heranrudern und ihm den Todesstofs
mit dem Lenzer, dem eigentlichen Schlachtmesser, versetzen kann.
Unterm Entern hat das zweiblättrige Ruder sich lose quer
über dem Kajak liegend geschaukelt, da der Mann für dasselbe keine
Hand übrig hatte. Wäre dies ihm nmi weggeglitten dort mitten
auf der See — was dann? — Dies that es aber nicht, thut es
unbegreiflicherweise nie. Der Grönländer in seinem Kajak ist der
gewandteste aller Gewandten.
365
Kleinere Mitteilungen.
§ Ans der geo^aphischen Gesellschaft in Bremen« Wie bereits früher
in dieser Zeitschrift mitgeteilt wurde, werden im Laufe des Winters 1889 — 90 in
der Gesellschaft von dem Vorstandsmitgliede Herrn Dr. Oppel Vorträge
über handelsgeographische Gegenstände gehalten. Der erste dieser Vor-
träge fand am 14. November abends in der „Union" und zwar über das Thema :
Weltwirtschaft und Welthandel, statt. Der Vortrag bot gewissermafsen eine
Einleitung, einen allgemeinen Oberblick über das Gebiet, aus welchem dann später
einzelne besonders wichtige Zweige der wirtschaftlichen Thätigkeit näher be-
leuchtet werden sollen. Der Redner verbreitete sich zunächst über die Be-
deutung seines Themas und legte besonders die Beziehungen zwischen National-
ökonomie (oder Wirtschaftslehre) und Geographie dar. In der Weltwirtschaft
kämmen die Wechselbeziehungen zwischen den geographischen und den wirt-
schaftlichen Verhältnissen nicht blofs in Bezug auf die höher entwickelten Völker,
sondern auch in Beziehung auf die noch in dem niedrigsten Stadium der Ent-
wickelung begriffenen in Betracht. Während auf andern Gebieten des Kultur-
lebens, so namentlich auf dem politisch-nationalen, dem künstlerisch-wissenschaft-
lichen die grofse Masse des Volks keine schöpferische Thätigkeit ausüben, sondern
nur in rezeptiver Weise mitwirken könne, sei auf dem wii*tschaftlichen Gebiete
jeder einzelne selbstthätig. Die wirtschaftliche Thätigkeit, die Arbeit sei von
grofsem Einflufs auf die Bildung von Standes- und Volkseigenthümlichkeiten,
deren viele nur aus jener zu erklären seien. An eigens zum Zweck seiner Vor-
träge angefertigten kartographischen Darstellungen der Welt und insbesondere
von Europa zeigte nun der Redner, wie sich zur Zeit die verschiedenen Ent-
wickelungsstadien auf die die Erde bewohnenden Menschen räumlich verteilen:
auf der niedrigsten Stufe stehen die umherschweifenden Fischer- und Jäger-
völker des inneren Australien, von Süd- und Nordamerika bis zu den Polar-
regionen. Die nächstfolgende Stufe ist die des primitiven Bodenbaues, für den
eigenen Bedarf, unter dem Wechsel der Wohnplätze, vertreten hauptsächlich
auf den Südsee-, den Sundainseln und in Afrika; die dritte Stufe ist die von
der Natur des Bodens als Steppe abhängige Viehzucht der Nomaden, wie wir
sie in einem grofsen Teil von Asien und in Nordafrika finden. Die Oasenwirt-
schaft bildet den Übergang zu der höheren Stufe, der von festen Ansiedelungen
aus betriebenen Viehzucht. Weiter waren auf den Karten dargestellt: die
Verbreitung der bei festen Wohnsitzen Ackerbau treibenden Völker, Gebiete,
welche in manchen Teilen der Erde noch bedeutend ausgedehnt werden können,
die grofsen Seefischereigebiete, endlich die Teile der Erde, wo in Industrie und
Handel die am höchsten ausgebildete wirtschaftliche Entwickelung erreicht ist;
es sind dies Europa, Amerika, Indien und Ostasien. Auf der Karte von Europa
waren die bezüglichen Verhältnisse noch klarer hervorgehoben und besonders
Weinbau, Bergbau u. a. unterschieden. Der Vortrag fand den lebhaftesten
BeifaU.
Am 9. Dezember erstattete Herr Professor Kükenthal Bericht über
seine diesjährige Reise ins Eismeer. Da im ersten Hefte des nächsten Bandes
dieser Zeitschrift ein ausführlicher Bericht des Hetm Prof. Kükenthal über
seine Reise erscheinen wird, so gehen wir hier auf dw\NQt\.T^^mOöLV ^^'^^'«. ^^».,
— 366 —
Am 19. Dezember trug Herr Dr. Oppel über den Reis vor. Der
Redner hatte zur Veranschaulichnng eine vollständige kleine Ausstellung
arrangirt, welche mit gröfstem Interesse von den Anwesenden besichtigt
wurde. Sie enthielt zunächst eine gröfsere Anzahl Karten , welche die
für den Anbau und Verbrauch des wichtigen Nahrungsmittel besonders in
betracht kommenden Länder, sowie die Handelswege darstellen, femer statistische
Diagramme, Tafeln und Abbildungen, selbst japanische, welche die Hauptarten
des Reises und die Art und Weise seines Anbaues darstellten, Proben von
Reispflanzen und des daraus gewonnenen Fabrikats, namentlich Kömer, Mehl,
Stärke, Papier, auch Reisschnaps und Reiskuchen, wie solcher in Afrika mit
Honig vermischt gebacken wird. Der Redner begann seinen Vortrag mit der
Erzählung einer madegassischen Sage, welche die für die malayischen Völker
wichtigsten Nahrungsmittel, das Huhn imd den Reis, in symbolischer Weise
hervorhebt und wandte sich dann einleitend zu der Frage des mutmafslichen
Alters der Reiskultur; man dürfe annehmen, dafs der Reisbau in Ostasien
mutmafslich 4000 Jahre zurückreiche; dabei trete die wunderbare Erscheinung
hervor, dafs der Reis meist nicht wie andere Halmfrüchte im Fruchtwechsel,
sondern seit undenklichen Zeiten auf den gleichen Feldern gebaut werde. Er
besprach sodann die vielerlei Arten der tropischen Sumpfpflanze, von der man
als Kulturgewächs vier: Oryza praecox, sativa, montana und glutinosa unter-
scheide. Hauptbedingungen für das Gedeihen der Reispflanze seien Wärme
(im Durchschnitt 20 ° C.) und Feuchtigkeit ; mittelst künstlicher Überschwemmung
werde das Gebiet des Reisbaues bedeutend ausgedehnt. Von zwei Zentren,
China und Indien, sei der Reisbau, wahrscheinlich schon sehr früh, weiter-
getragen worden, einesteils nach Japan, Korea, den Philippinen, Annam und
Tonking, andernteils nach Birma, Siam, dem malayischen Archipel, Ostafrika,
Vorder- und Zentralasien und selbst nach Europa (Spanien, Italien). Nach
Amerika sei der Reis von zwei Seiten, aus Indien und aus Spanien, gekommen.
Der Redner zeigte sodann eingehend mit Hülfe von Abbildungen die verschiedene
Art und Weise des Reisbaues in seinen verschiedenen, bei den niedriger stehenden
Völkem einfachen, bei den Kulturvölkern mannichfachen Stadien und verbreitete
sich darauf über die bei den verschiedenen Völkern gebräuchlichen Bereitungs-
weisen der Reisspeise, den mit der Zuthat des Kari (curry) gekochten Reis der
Malayen, den Pillaw der Perser u. A. ; auch des Reisweins (Saki) der
Japaner gedachte der Redner und hob die Rolle hervor, welche der Reis in
Sage und Sprüchwort, in Sitte und Lebensanschauung, ja selbst als Opfer bei
den verschiedenen Völkern spiele. Auf einer Karte demonstrierte der Redner
nunmehr die Handelswege, welche der Reis aus den ostasiatischen Ländern
nach verschiedenen Richtungen, vornehmlich aber nach Europa einschlägt.
Die Karte bezeichnete Europas wichtigste Reishäfen, darunter obenan Bremen;
statistische Diagramme ergaben die Einfuhrziffern der verschiedenen europäischen
Reishandelsplätze, woraus die stets wachsende Bedeutung Bremens in diesem
Artikel sich ergab. Die Industrie der Reisschälmühlen begann in Bremen noch
einige Jahre vor dem selbständigen direkten Import des rohen Reises aus Ost-
indien und sei es hoch anzuerkennen, dafs gerade unsere Stadt durch den
Unternehmungsgeist ihrer Kaufleute in der Einfuhr des wichtigen Nahrungs-
mittels, das einen höheren Nährwerth habe als die Kartoffel, vorangegangen
sei. Ein weiterer Aufschwung des Bremer Reishandels sei zu wünschen und
zn erwarten. Zum Schlafs sprach der Redner allen denen, welche ihm bei
— 367 —
Vorbereitung seines Vortrags durch Auskunft und Darbietung von Ausstellungs-
objekten zur Hand gegangen seien, den herzlichsten Dank aus. Die Versammlung
zollte dem Redner für seinen interessanten, eine Fülle von Belehrung bietenden
Vortrag lebhaften Beifall. — Die ferneren Vorträge werden andere gleich wichtige
Bremer Handelsartikel als: Baumwolle, Wolle und Tabak behandeln.
Polarregrionen* Professor Dr. Mohn in Christiania stellt in einem durch
das Oktoberheft des „Scottish Geographical Magazine" veröfTentlichten Aufsatz:
Die physischenVerhältnissedesBarentsmeeres, die Ergebnisse der
neueren Forschungen bezüglich dieses Teils des Eismeeres zusammen. Gelegen
zwischen Spitzbergen und Nowaja weist das Barentsmeer merkliche Unterschiede
gegen benachbarte Meeresgebiete auf. Zwischen Jan Mayen und Norwegen, ferner
zwischen Norwegen und Spitzbergen finden sich Tiefen bis zu 2000 Faden,
während der Meeresboden des Barentsmeeres nirgends 300 Faden tief ist. Die
Grenze der grofsen Tiefen im westlichen Teile des nördlichen Ozeans und den
Untiefen des Barentsmeeres ist eine Linie, die man sich von West-Spitzbergen
nach Tromsö gezogen denkt. Hier ist ein submarines Plateau, das an seiner
Westkante schroff in die Tiefen des nördlichen Ozeans abfällt, während es nach
Ost«n einen verhältniTsmäfsig flachen Seeboden bildet, allmählich gegen die
Küsten von Norwegen, Rufsland, Nowaja Semlja und Spitzbergen ansteigt und
sich nordostwärts verlängert, bei 100 Faden Wasser zwischen Spitzbergen und
Nowaja Semlja. Auch das angrenzende sibirische Eismeer hat geringe Tiefen.
Das Barentsmeer hat mithin seine gröfsten Tiefen in seinem westlichen Teile.
Eine Depression von bis zu 200 Faden Tiefe reicht von Westen her östlich in
die Mitte des Barentsmeeres, etwa bis zur Länge von Vardö hinein; der
Meeresboden weiter östlich hat Tiefen von 100 — 200 Faden, im Durchschnitt
wiegt die 100 Fadentiefe vor. Die 100 Fadenlinie läuft sehr nahe der norwe-
gischen Küste; hier fällt der Boden rasch von der Küste zur Tiefe ab. Von
Kola, an der Murman-Küste, läuft die 100 Fadenlinie gerade nach Nowaja
Semlja und setzt sich in einer wellenförmigen Linie nach dem Norden dieser
Doppelinsel fort. Weiterhin finden wir sie in höheren Breiten wieder. Sie
umschliefst die Bäreninsel und reicht bis zu den Bänken von West-Spitzbergen.
Auf der östlichen Ebene des Barentsmeeres, wo die Tiefen meist ein wenig
über 100 Faden sind, werden schwache Erhebungen und Depressionen ange-
troffen. Die Beschaffenheit des Seebodens ist sanft gewellt. Bezüglich der
Ablagerungen auf dem Boden des Barentsmeeres haben wir einige Aufschlüsse
durch die norwegische Expedition in den nordatlantischen Ozean erhalten. Die
Proben bestehen aus einer besonderen Art von Lehm, die von der auf dem
Boden des tiefen nördlichen Ozeans abweicht. Der Hauptbestandteil ist Quarz
und es findet sich wenig kohlensaurer Kalk. In dem Lehm finden sich Schalen
einer Foraminiferenart, daher haben unsere Zoologen diesem Boden den Namen
Rhabdaminalehm gegeben. Die Farbe desselben ist dunkelgrün. Vermutlich
stammen diese Ablagerungen von den Quarzfelsen der umgebenden Küsten,
durch Flüsse, Gezeiten, Strömungen und Treibeis wurden sie über den Meeres-
boden zerstreut. Der Salzgehalt dos Barentsmeeres ist etwas schwächer, als
der des norwegischen Meeres, besonders an der Oberfläche. Die Temperaturen
des Barentsmeerwassers sind im südlichen Teile verschieden von denjenigen im
nördlichen Teile. Die durchschnittliche Jahrestemperatur der Oberfläche i&t
6® C. beim Nordkap, 4** an der Murmanischen ISjölb.V^, ^ctö. ^^ 'lxiV^ Ci. -^jsi.
— 368 —
der Westküste von Nowaja Semlja und 1° C. bei der Bären-Insel. Im Monat
August — dem wärmsten für Oberflächentemperaturen — ist die normale
Temperatur 9° C. bei Söröen (Hammerfest), 8® zu 6° und darunter an der
Murmanischen Küste, 5° zu 1° bei Nowaja Semlja, 2° bei der Bären-Insel
und 1° beim Südkap von Spitzbergen. Im März — dem kältesten Monat für
Oberflächentemperaturen — ist die Meerestemperatur 2,*° C. beim Nordkap,
1,4° in Vardö, 0° zu — 2° auf Nowaja Semlja, ein wenig über 0® bei der
Bären-Insel und 1° am Südkap von Spitzbergen. Im ganzen Jahr wie in den
wärmsten und kältesten Monaten ist das Oberflächenwasser am wärmsten an
der Küste von Finmarken und am kältesten im Meer zwischen Spitzbergen
xmd Nowaja Semlja. In der Tiefe von 100 Faden finden wir 4 ° C. bei Hammer-
fest, 3° beim Tana-Fjord, 2° bei der Fischer-Halbinsel (Rybatschi-Ostrow),
2® bei Kola und 0° längs einer Linie, welche Süd-Nord vom 70. zum 75.
Breitengrad und Ost-West längs des letzteren ParaUels läuft. Gleiche Kurven
zeigen die anderen Isothermen vom 1° bis 4°. Am Boden des Meeres, von
den verschiedenen Tiefen abgesehen, ist die Temperatur wie folgt verteilt.
Nahe der Küste von Finmarken ist sie von Vardö bis Hammerfest über 4°
und weiter westlich 5°, von hier ab nimmt die Temperatur gegen 0. und N.
hin ab. Die Strömung läuft im Barentsmeer als Kegel längs der Küste von
Finmarken und der Murmanischen Küste ostwärts, im östlichen Teil des Barents-
meeres nördlich und im nördlichen Teil, zwischen Nowaja Semlja und Spitz-
bergen, westlich. Längs der Ostküste von Spitzbergen setzt die Strömung
südwärts. Die warme atlantische Strömung, ein Zweig des Golfstroms (dieses
Wort in seinem weitesten Sinne verstanden) läuft längs der Küsten von Fin-
marken, biegt bei ihrem Verlassen der Murmanischen Küste nordwärts aus
und wendet sich darauf westlich gegen die Bären-Insel. Sie erfüllt die See bis
auf den Boden mit ihrem wärmeren Wasser. Am wärmsten ist letzteres in
dem nach Osten gelegenen südlichen Zweig; allmählich wird es durch das
benachbarte eiskalte Wasser, mit welchem es sich mischt und das von Norden
her südwärts und westwärts getrieben wird, abgekühlt. Die Oberfläche des
Meeres zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja ist immer mit Treibeis be-
deckt. Die gröfseren Tiere in der See, welche Gegenstand des Fanges sind,
leben von kleineren Tieren. Die Entwickelung und das Vorhandensein dieser
kleinen Organismen ist grofsenteils von der Temperatur des Wassers abhängig,
ihr Vorhandensein an bestimmten Punkten und zu bestimmten Zeiten hangt
von den ozeanischen Strömungen ab. Diese sind gewöhnlich so stark und die
bewegende Kraft der kleinen Tiere ist so schwach, dafs diese den Bewegungen
der Strömungen folgen müssen. Die auf oder nahe dem Meeresboden lebenden
Tiere bekommen ihre Nahrung durch die Strömungen zugeführt. Zum Schluüs
hebt Professor Mohn die Bedeutung hervor, welche regelmäfsig angestellte For-
schungen der Meerestemperaturen und Strömungen in Verbindung mit dem
Studium der Verbreitung des Tierlebens im Meere haben würden, indem er
nachweist, mit welchen Mitteln und Personal dieselben zu betreiben und
welcher Nutzen namentlich auch in wirtschaftlicher Beziehung, für die Fischerei,
davon zu erwarten sei.
Togelleben auf den ostfriesischen Inseln« Im natorwissenschalt-
üchen Verein zu Bremen machte kürzlich Herr Dr. Schauinsland,
Direktor der sted^bremischen Sammlungeii iu\ '^«Äx^^'fc^OmÄXidÄ und Etlmo-
— 369 —
graphie, einige Mittheilungen über seinen Besuch der Vogelkolonien auf
den ostfriesischen Inseln. Die überwiegende Mehrzahl jener Schwimm- und
Sumpfvögel, welche namentlich im Winter und im Frühjahr in so grofsen
Schwärmen unsre Küsten besuchen, brütet nicht bei uns. Im hohen Norden,
in Skandinavien, auf den Faröern, den Shetlands-Inseln, Island, Spitzbergen,
Grönland und vielleicht auch auf noch nördlicher gelegenen, bis jetzt uner-
forschten Gebieten bauen sie ihr Nest. Hier an steil ins Meer abfallenden Küsten
finden sich die „Vogelberge", jene Klippen, welche zur Brutzeit von Millionen
von Seevögeln bevölkert sind. In unsern südlichen Gegenden haben wir nur
an einer Stelle — in Helgoland — Gelegenheit einen Vogelberg, wenn auch
nur in kleinem Mafsstabe, kennen zu lernen.*) Dort im Nordwesten der Insel
brüten auf den fast senkrecht aus dem Meere aufsteigenden Klippen unter dem
Schutze der englischen Regierung einige Hundert Lummen. Wenn auch im
Vergleich zu den Polargegcnden die Zahl der bei uns nistenden Seevögel un-
bedeutend ist, so kommen dennoch auf den Inseln an unsrer Nordseeküste
einige ganz stattliche Vogelkolonien vor, namentlich auf Sylt, Langeoog, Borkum
und vor allem auf der kloinen holländischen Insel Rottum, woselbst die Kolonie
verpachtet ist. Viele Tausend Eier kommen von dort jährlich auf das Festland
zum Verkauf und werden von Bäckern, Konditoren u. a. gerne mit ziemlich hohen
Preisen bezahlt. Namentlich ist es die Silbermöve, welche auf den Inseln
kolonienweise nistet. Auf Langeoog darf die Anzahl der dort brütenden Möven
vielleicht auf annähernd 5000 Paare geschätzt werden. Aufserdem sind es die
verschiedenen Arten der zierlichen Seeschwalben, welche ebenfalls in bedeutender
Menge dicht beisammen brüten und auch Austemfischer, Regenpfeifer und Strand-
Käufer brüten dort in anselmlicher Zahl. Während von entenartigen Vögeln
allein auf Sylt die Eiderente brütet, ist auf den übrigen Inseln die schöne
Brandente ein häufiger und kolonien weise nistender Brutvogel; sie nistet ganz
entgegen den sonstigen Gewohnheiten ihres Geschlechts in Erdhöhlen, namentlich
benutzt sie zu diesem Zwecke verlassene Kaninchenröhren. — Auf einigen
Inseln werden die Brutvögel von der Regierung intensiv geschützt, so namentlich
auf Sylt, Langeoog und Borkum ; auf andern dagegen werden von den Insula-
nern leider die Vogelnester in so frevelhafter Weise geplündert, dafs dort das
Vogelleben eher ab- wie zunimmt. — Der Vortragende hatte von der preulsi-
schen Regierung die Erlaubnifs erhalten, sowohl die Kolonie zu betreten als
auch Eier derselben zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu entnehmen. Er
hofft durch eine im grofsen Mafsstabe an vielen verschiedenen Orten durchgeführte
Untersuchung der allerfrühesten Entwickelungsvorgänge, einige bis jetzt noch
immer dunkle Punkte in der Entwickelungsgeschichte der Vögel, die bis jetzt fast
nur allein an dem Hühnchen eingehend studiert ist, klarzustellen uud somit
einige Streitfragen, deren Lösung von bedeutender theoretischer Wichtigkeit ist,
definitiv zum Abschlufs zu bringen.
§ Die Am -Inseln« In der kürzlich ausgegebenen 1. Lieferung des
23. Bandes der Tijdschrift voor indische Taal-, Land- en Volkenkunde ver-
öffentlicht Baron G. van Hoevell eine ausführliche Beschreibung der Aru-
Inseln, welche, südlich von West - Neu - Guinea gelegen, aus einer grofsen
♦) An der englischen Nordseeküste, nicht viel nÖTdWcYv^T sA^a 'ÄOi^gj^Xwv^, «^ ^«as.
BM8-Rock unweit Berwick, ßnd&t sich bekanntlich ancl[i ein© gtofe%ftNo^%V^Q\c>Ti\^. \i.^^^-
— 370 —
Zentralinsel und einer Anzahl kleinerer Inseln bestehen und neuerdings
von Wallace, Riedel und Rosenberg besucht und geschildert wurden.
Baron van Hoevell wurde im März 1888 von der niederländischen Kolonial-
regierung nach den Inseln geschickt, um die Handelsverhältnisse zu. studieren ;
sein Besuch war nur kurz, doch hat sich der Verfasser nach allen Richtungen
umgesehen und bietet der unter Berücksichtigung der eben erwähnten Reise-
werke geschriebene Aufsatz manche neue Auffassung zur Geographie und
Ethnographie der in vieler Beziehung so merkwürdigen Korallenfels-Inseln und
ihrer nach der Meinung Hoevells nicht zu den Papuastämmen gehörenden,
sondern ein Mittelglied zwischen diesen und den Malayen bildenden Be-
völkerung. Wir entnehmen dem umfangreichen Berichte des Baron van Hoevell
einige den besonderen Zweck seiner Sendung betreffende Notizen. Die kleineren
Inseln an der Ostseite der grofsen Zentralinsel, die sogenannten Achterwal-
Eilande, bieten auf den sie umgebenden Riffen den Haupterwerb der Insulaner,
die Perlmuschel- und die Tripang- (Holothurien-) Fischerei. Die Hauptzeit der
Perlmuschel- (Margarita magnifica-) Fischerei ist von Februar bis Mai; Vor-
bedingung für das Tauchen nach Perlmuscheln ist ruhiges Wasser, weshalb die
Fischerei nicht nur beim Ostmonsun, sondern auch bei heftigen Regengüssen
im Westmonsun unmöglich ist. Die Fischerböte, Prauwen, sind mit 8 Tauchern
besetzt, diese tauchen in Tiefen von 8 — 12 Faden und bleiben in der Regel
30 — 50 Sekunden unter Wasser. Die Bewohner von Watulei sind als die stärksten
Taucher bekannt, einer von ihnen bleibt bis zu IV2 Minuten unter Wasser.
Das Gewerbe ist immer ein mühseliges und schweres, zumal die Taucher durch-
aus nicht jedesmal mit Perlmuscheln wieder emporkommen. Die Fahrzeuge,
deren aus gespaltenem Bambu bestehende Segel mit allerlei Figuren geschmückt
sind, haben am Vordersteven zwei hervorstehende Balken, welche die aus
dem Wasser auftauchenden Fischer erfassen. Leider fallen von Zeit zu
Zeit einzelne Taucher den Haien zum Opfer; obwohl nun die Taucher
keinerlei Furcht vor den Angriffen dieser Ungetüme zeigen, halten sie es doch
für gut, das Tauchen nicht eher zu beginnen, als bis von jeder Prauw
dem Geist der See, Waer Kola, ein Opfer gebracht ist. Die ergiebigsten
Perlmuschelbänke an der Ostseite der Inseln finden sich bei der Jedan- und
bei der Karawaira-Gruppe, bei Barakan und bei den in der Nachbarschaft von
Krei gelegenen Inseln; im Norden und Westen der Hauptinsel liegen die
wichtigsten Bänke bei Ngoba und Toba, bei Merang und Pulu Babi, vor dem
Kreek von Wanumbai und an der Ostseite von Trangan. Die Perlmuschel-
schalen von den Aru-Inseln sind auf den Märkten sehr geschätzt, während die
Perlen ihrer Qualität nach denen von Ceylon nachstehen. Das Gewicht der
Schalen wechselt zwischen 2 und 6 Katties. Die dafür gezahlten Preise sind
grofsen Schwankungen unterworfen, 1885 war der Preis noch 100 Gulden für
das Pikul, 1888 im Durchschnitt nur 75 Gulden. Die Ausbeute der Arunesischen
Perlmuschelbänke hat sich neuerdings nicht unerheblich gemindert, sie betrug
1859 3000 Pikul, 1887 dagegen nur 1330^'2 Pikul. Von Tripang werden ver-
schiedene Arten gefischt, die Ananas-Tripang, mit einer sehr stachlichen Oberhaut,
scheint die beste; auch dieser Fang hat beinahe um die Hälfte gegen früher
abgenommen, doch ist der Preis, 25 — 30 Gulden für das Pikul, unverändert
geblieben. Neben der Fischerei bildet auf den gröfseren Ani-Inseln die Jagd auf
Paradiesvögel einen Erwerb; die gesuchten Arten, der kleine rote und der
grofse Paradiesvogel, werden seltener und so ial es mc\i\. ^\xxv^^\ -üol n^ehmen,
— 371 —
wenn für die prächtigen farbenreichen Bälge bedeutend höhere Preise gezahlt
werden, ols zu Wallaces Zeiten. Der Fang von Schildkröten zur Gewinnung
des Schildpatts ist so gering, dafs er nur als gelegentlicher Nebenerwerb
erscheint. Die Ausfuhr der Aru-Inseln bezifferte sich im Jahre 1887 auf
167 636 Gulden und zwar bestand sie aus Perlen 6950 G., Perlmuscheln
106 440 G., Tripang 32 750 G., Vogelnestern 4250 G., Paradiesvögeln, zwei Arten,
15 720 G., Schildpatt 1 476 G. und Haifinnen 50 G. Die Einfuhr betrug dem
Werte nach im ganzen 168 889 G., Reis, Tabak, Kleidungsstücke, Manufaktur-
nnd Eramwaren bildeten die Hauptartikel.
§ Die Lachsfischereien im Amnr. Ein aus Blagowjescht datierter Brief
der Zeitschrift der Pariser Handelsgeographischen Gesellschaft, veröffentlicht in
No. 4 des 11. Bandes, enthält interessante Einzelheiten über den Reichtum des
Amur an Lachsen und Lachsforellen, sowie über die in diesem Strom betriebenen
Fischereien und die Fischbereitung in dem am Amur unweit seiner Mündung
gelegenen Hafen Nikolajewsk. Der Lachs tritt nicht vor dem 12. bis 16. August
in den Strom ein, dann kommt er bis zum 10. oder 15. September zu drei
verschiedenen Malen, nur kurze Zeit, 2 — 3 Tage, in grofsen Mengen ; die Fische
steigen, wenn sie nicht im untern Teile des Stromes gefangen werden, den
Hauptstrom und gewisse Nebenflüsse bis in deren Quellgebiete hinauf, wo sie
dann oft bei niedi'igem Wasserstande eine Beute der Bären. Füchse und andrer
wilden Tiere werden. Um von der Mündung des Amur bis nach Albasia zu
gelangen, 2500 Werst, braucht er etwa 2 Monate; vielleicht geht er noch weiter
stromaufwärts, doch hört die Fischerei, weil sich später Eis im Strome zeigt,
oben auf und läfst sich daher nicht bestimmen, wie weit stromauf der Zug des
Lachses reicht. In Blagowjescht ist ein bedeutender Verbrauch an gesalzenen
Lachsen, da viele Arbeiter benachbarter Goldminen in dieser Stadt zusammen-
strömen. Der Briefsteller schätzt den jährlichen Fang an Lachsen im Amur
von Albasin bis zur Mündung und bei Sachalin auf 1 Million Stück. Oberall
am Strome sind Fischereistationen, wo die Eingeborenen dem Fang des Lachses,
der Lachsforelle, des Störs und andrer Fische obliegen. Die Fischhändler in
den gröfseren Städten kaufen den Fisch von den Eingeborenen zum Preis von
6 — 8 Rubel für 100 Pud (ä 16 Va kg), um ihn gesalzen oder geräuchert in den
Handel zu bringen. Die amerikanische Bereitung des Fisches und die Ver-
sendung desselben in Konservebüchsen kennt man noch nicht.
Hensens Plankton-Expedition. In einer Zuschrift an die Redaktion
von Petermann's Mitteilungen, welche im geographischen Monatsbericht des
Heftes XII, 1889 dieser Zeitschrift, S. 296, abgedruckt ist, äussert sich Pro-
fessor Krümmel in Kiel, einer der Teilnehmer dieser Expedition, u. a. wie
folgt: „Naturgemäfs werden sich die Ergebnisse der eigentlichen Plankton-
fischerei erst nach Vollendung der sehr mühsamen Auszählungen der einzelnen
Fänge scharf präzisieren lassen, doch kann schon heute gesagt werden: der
offiie Ozean ist im Vergleich zu Ostsee und Nordsee sehr arm an treibenden
organischen Wesen. Relativ reich waren anach^Tveivd ^\^ '^iVt^Sietv ^V?>x^^^wt
Strdmim^ („Stromstriche'^), am ärmsten das stTom\pae^Ä.T^«iÄ^^mfe«t, \i^x^^^^-
— 372 —
grönland- und Labradorstrom zeigen eine abweichende Zusammensetzung der
Planktonformen, so dafs anzunehmen ist, dafs die vom Golfstrom in die Polar-
räume geführten Lebewesen dort absterben. — Die Langsamkeit unsers Schiffes
zwang uns, die Arbeiten an jedem Halteplatz in See auf das Notwendigste zu
beschränken, um die Fahrt in der ganzen geplanten Ausdehnung ausführen,
also auch im südlichen Äquatorialstrom noch arbeiten zu können. Die Tiefsee-
forschung ist dabei, als das Zeitraubendste, am meisten zu kurz gekommen.
Doch habe ich auf dem gröfsten Teil des durchlaufenen Gebiets die Tempera-
turen in 200 und 400 m, seltener in gröfseren Tiefen, mit ümkehrthermometer
bestinmit. Die Durchsichtigkeit des Wassers ei-wies sich im Sargassomeer am
gröfsten ; einmal sahen wir die weifse Scheibe noch in 67,5 m Tiefe. Die Wasser-
farbe habe ich regelmäfsig nach einer von Prof. Forel mir gütigst mitgegebenen
sehr praktischen Farbenskala abgeschätzt: das transparente, reine Blau der
Sargassosee ist = 0, das Grün der Nordsee = 14 dieser Skala; alles atlan-
tische (von mir gesehene) Wasser südlich 40^ N. B. ist fast blau (3 bis 0), das
Golfstromwasser von der Neufundlandbank bis zur Irmingersee hin ca. 9, also
bläulichgrün; am Äquator im relativ kalten Wasser ging das blaue Wasser des
Guineastroms (1 — 2) schroff über in das blaugrüne (5 — 7) Wasser des südlichen
Äquatorialstroms; der Brasilienstrom (Ascension bis C. Roque) ist wieder fast
blau (0 — 2). Der Ostgrönlandstrom ist olivengrün, der Labradorstrom nördlich
der Neufundlandbank ostseegrün. — Dafs regelmäfsig die Oberflächentempera-
turen und das spezifische Gewicht beobachtet wurden, versteht sich von selbst. —
Meine meteorologischen Aufzeichnungen ergänzen das Schiffsjournal durch Be-
obachtung der obern Wolken, die besonders nahe dem Äquator meine Aufmerk-
samkeit fesselten und Abercrombys Angaben bestätigten, sowie auf die Messung
der Windstärke mittels Schalenkreuz - Anemometer. Doch kamen stürmische
Winde nur zweimal für kurze Zeit vor, weshalb wir auch höhere Wellen als
solche von 6 bis 6,5 Meter (Biskayagolf) nicht sahen. — Die Landaufenthalte
waren immer nur sehr kurz; die Fahrt von Parä in den Amazonas mifslang
eine Tagereise von letzterer Stadt durch Ungeschicklichkeit unsrer Lotsen. —
Im ganzen trägt die Fahrt den Charakter einer ausgedehnten Rekognoszierung ;
doch gewähren die 160 Planktonstationen jedenfalls ein angenähert zuverlässiges
Bild von der Menge und Artung der im Ozean treibenden organischen Wesen;
genauere Untersuchung erfordern aber ebenso gewifs noch die eigentlichen
polaren Strömungen.«
Geographische Litteratur.
Europa.
Von den „Europäischen Wanderbildern", der bekannten bei
Orell Füfsli u. Cie. in Zürich erscheinenden Samlung lokalgeographischer Hefte,
liegt wieder eine ansehnliche Reihe vor. Wie ihre Vorgänger, machen auch die
neu erschienenen Bändchen sowohl durch ihre Handlichkeit und gute Aus-
stattung wie durch die Zuverlässigkeit ihrer Mitteilungen und die Schönheit
und Klarheit ihrer zahlreichen Bilder, meist Holzschnitte, einen ansprechenden
Eindruck. Die Mehrheit bezieht sich awi öli^ ^cYvTim \md zwar auf deren
— 373 —
grofsartigste Partien, so die Nr. 143—146 (Martinach und die Drausethäler),
147, 148 (Chamonix und den Montblanc), 149, 150 (das Rhonethal von Wallis
bis zum Genfer See). Alle die eben genannten Bändchen hat F. 0. Wolf ver-
falst. Nr. 155 behandelt das Thal von Poschiavo und die Kuranstalt Le Prese,
Nr. 160 endlich die neuerdings sehr in Aufnahme gekommene Kuranstalt Wald-
haus-Flims in Graubünden; beide haben Dr. E. Killius zum Verfasser. Von
den anderen Heftchen stellen Nr. 151 die ungarischen Ostkarpathen, Nr. 152
Meran, Nr. 156, 157 den Kurort Gielshübl-Puchstein bei Karlsbad, Nr. 161—163
die Hauptstadt Frankreichs, Paris, dar.
Im Anschlufs an die „Europäischen Wanderbilder" wollen wir bemerken,
dafs von den längst bewährten Baedekerschen Reisehandbüchern, »die
Schweiz nebst den angrenzenden Teilen von Oberitalien, Sa-
voyen und Tirol" (Leipzig, Karl Baedecker, 1889) bereits in der dreiund-
zwanzigsten Auflage erschienen ist, gewifs ein vollgültiger Beweis für die vor-
zügliche Brauchbarkeit des Führers, der schon so vielen Tausenden die Wege
in die landschaftlichen Schönheiten wie in die gewerbfleifsigen Städte der hel-
vetischen Republik gezeigt hat. Wie stets, ist auch diesmal die Redaktion mit
Erfolg bemüht gewesen, das Handbuch auf der Höhe der Zeit zu halten und,
wer genauer zusieht, wird die bessernde Hand an vielen Stellen herausmerken.
Bekanntlich haben die Baedekerschen Handbücher nicht nur für die Reisenden,
sondern auch für die Geographen einen hohen Wert, denn sie bieten nicht nur
zahllose, und durchweg zuverlässige Mitteilungen über die speziellen Verhältnisse
von Land und Leuten, sondern sie enthalten auch eine stattliche Zahl zum
Teil sehr detaillierter Karten, die von der trefflichen geographischen Anstalt
von Wagner und Debes mit bekannter Sorgfalt und in grofser Schönheit her-
gestellt sind. A. 0.
Litteratur der Landes- und Volkskunde des Königreichs
Sachsen. Von P. E. Richter. Kommissionsverlag von A. Huhle, Dresden,
1889. Die von P. E. Richter in Verbindung mit mehrern anderen Gelehrten
zusammengestellte bibliographische Arbeit über das Königreich Sachsen, als
Jubiläumsschrift zur Wettinfeier erschienen, ist ein ebenso mühevolles wie ver-
dienstliches Unternehmen. Es enthält etwa 6000 Titel von selbständigen Werken,
Zeitschriftartikeln u. s. w., welche zu sechs Hauptgesichtspunkten angeordnet
sind. Diese sind: I. Bibliographie der landeskundlichen Litteratur und Ge-
schichte der Landeskunde, H. Landesvermessung, Karten, Pläne und Ansichten
(chronologisch), HI. Landeskundliche Gesamtdarstellungen und Reisewerke über
das ganze Gebiet (chronologisch), IV. Landesnatur, V. Bewohner, VI. Zusam-
menfassende Landeskunde einzelner Bezirke und Ortsohaftskunde. Jeder dieser
Hauptgesichtspunkte zerfällt wieder in zahlreiche, gut gegliederte Unterab-
teilungen, deren Titel anzugeben hier aber zu weit führen würde. Den Be-
schlufs bildet ein sehr ausführliches Register, das die Benutzung des Buches
wesentlich erleichtert und auch seinerseits Zeugnis ablegt von der grofsen
Sorgfalt, die auf das Buch von seinen Verfassern verwendet worden ist. A. 0.
Island und die Faröer. Von Alexander Baumgartner S. J.
Mit Titelbild, 36 Textabbildungen, 16 Tonbildern und einer Karte. Freiburg
i. Breisgau, 1889. Herdersche Verlagshandlung. In dem vorstehenden, gut
ausgestatteten Buche schildert der durch aeiüft B.^\a^\i^^0Kt«^"'Q3i% '^^'ö^vi^-
— 374 —
lands bekannte Verfasser, ein Vertreter der Gesellschaft Jesu, eine Reise, die
ihn im Jahre 1883 über Kopenhagen nach den Faröern nnd nach Island fahrte.
An und für sich besteht in der geographischen Litteratur zwar kein Mangel an
Werken über Island. Aber da einerseits der Verfasser seine Erlebnisse und
seine Beobachtungen an Land und Leuten in gewandter und anziehender Weise
zum Ausdruck zu bringen versteht, und andrerseits da er aufser mit der viel
beschriebenen Natur Islands sich auch eingehend mit der Geschichte und dem
geistigen Leben der Bewohner beschäftigt, so wird das Buch neben den älteren
Werken seine Stelle behaupten. Doch wird man bei der Lektüre nicht ver-
gessen dürfen, dafs der Standpunkt Baumgartners eben der eines propagan-
distischen Jesuiten ist. Die beigegebene Karte rührt von F. Poestion her; die
Illustrationen aber sind teils anderen Werken entnommen, teils eigens für den
vorliegenden Zweck hergestellt. A. 0.
§ Vogelschaukarte der badischen Schwarzwaldbahn von J. Weber.
Verlag von Orell Füssli, Zürich. Die in Farben ausgefühiie Karte der wegen ihrer
landschaftlichen Schönheit berühmten Schwarzwaldbahn giebt ein getreues Bild
des Verlaufs der Bahnlinie, der Lage und Gröfse der Ortschaften, der Thäler
und Höhen, ja auch der Bewaldung und überhaupt Bodenkultur des ganzen
Gebiets und ist somit den zahlreichen Touristen eines unserer schönsten Wald-
gebirge auf das wärmste zur Benutzung zu empfehlen.
§ Reise- undWander karte für das Salzkammergut, Salzburg
und Ost-Tirol. Mit Angabe der Hauptanstiegsrichtungen der häufig bestiegenen
Bergspitzen, unter Mitwirkung des deutschen und österreichischen Alpenvereins,
bearbeitet von G. Frey tag und H. Hefs. Verlag und Druck von G. Freytag
und H. Berndt in Wien. Durch die Eintragung der Anstiegsrichtungen vermag
der Tourist mit dieser Karte, ohne Zuhülfenahme eines Reisehandbuchs, sich
darüber ein Urteil zu bilden, von welchem Punkte die Besteigung eines Berges
am besten ausgeführt wird. In der Karte, deren Schrift klar und deutlich
und auf welcher Berge und Tiefland durch Farben unterschieden sind, haben
alle touristisch wichtigen Details Aufnahme gefunden, und wird der billige
Preis, 3 M, ihre Verbreitung fördern.
§ Charles Marvin, the region ofthe eternal fire: anaccountofa
joumey to the Petroleum region of the Caspian in 1883. Populär edition. London.
W. H. Allen & Co. 1888. Der bekannte Reisende ' schildert uns in dieser
populären Ausgabe seines grofsen Werkes unter Beigabe von Ansichten, Karten
und Plänen seine Reise nach Süd-Rufsland, der Krim, dem Kaukasus und vor
allem Baku, die Petroleumregion und die zu staunenswerter Bedeutung ent-
wickelte Petroleumausbeute. Die lebhafte, man möchte fast sagen dramatische
Darstellung giebt dem an bedeutungsvollen Thatsachen reichen Buche einen
weiteren Reiz.
Anleitung zurdeutschenLandes-undVolksforschung. Im
Auftrage der Zentralkommission für wissenschaftliche Landeskunde von Deutsch-
land herausgegeben von Alfred Kirchhoff. Mit einer Karte und 58 Ab-
bildungen im Text. Stuttgart. Verlag von J. Engelhorn. 1889. 8®, 680 S.
Die von dem Geographentage eingesetzte Zentralkommission für wissenschaftliche
Landeakunde von Deutschland hat in dem NotVie^eiLden. Werke eine Anleitung
— 375 —
veröffentlicht, welche als eine willkommene Ergänzung der allgemeinen ähnlichen
Werke von Neumayer, Kaltbrunner und Richthof en' angesehen werden
mufs. Wer auf irgend einem Forschungsgebiete mit Erfolg thätig sein will,
mufs wissen, auf welche Fragen er eine Antwort suchen soll, welche Mittel am
besten zu diesem Ziele führen, und inwieweit er bei seiner Arbeit an bereits
vorliegende Ergebnisse von Vorgängern anschliefsen kann. In dieser Bezie-
hung bietet nun das vorliegende Werk eine treffliche Anleitung. Das Buch
zerfällt in 12 Abschnitte. Professer A. Penck behandelt den Oberflächenbau,
Regierungsbaumeister G. Becker die Gewässerkunde, Dr. M. Eschenhagen den
Erdmagnetismus, Dr. R. Afsmann das Klima, Prof. 0. Drude die Pflanzen-
verbreitung, Prof. W. Marshall iiie Tierverbreitung, Dr. 0. Zacharias das
Einsammeln von zoologischem Material in Flüssen und Seen, Prof. J. Ranke
somatisch-anthropologische Beobachtungen, Dr. Fr. Ka uff mann die Dialekt-
forschung, Dr. N. Jahn Volkstümliches in Glaube und Brauch, Sage und
Märchen, Prof. A. Meitzen Beobachtungen über Besiedelung, Hausbau und
landwirtschaftliche Kultur und endlich Dr. W. Götz die Wirtschaftsgeographie.
Die Bearbeitung dieser einzelnen Spezialgebiete ist natürlich je nach dem Bearbeiter
und dem Stoffe eine verschiedene ; teils stellen die Autoren die Punkte, bei
denen die Einzelforschung noch besonders erforderlich ist, in den Vordergrund
der Behandlung, teils führen sie die vorhandene Litteratur mit kritischen
Bemerkungen an, teils geben sie einen systematischen Oberblick des betreffenden
Gebiets. Bei aller wissenschaftlichen Gründlichkeit sind dabei alle Abschnitte
in einer für jeden Gebildeten verständlichen Form geschrieben, gilt es doch als
Hauptaufgabe des Buches, „jeden Vaterlandsfreund, nicht blofs den auf seinem
besonderen Arbeitsfelde heimischen Gelehrten dadurch zu wirksamer Anteil-
schaft an dem Ausbau deutscher Landes- und Volkskunde zu gewinnen." Dem
Herausgeber gebührt für die mühsame Leitung, die Begrenzung und Gliederung
des Planes, sowie für die Auswahl der geeigneten Mitarbeiter, volle Anerkennung.
Die äufsere Ausstattung des \^rtvollen Buches macht der um die Herausgabe
der von der Zentralkommission für deutsche Landeskunde veröffentlichten Schrif-
ten so sehr verdienten Verlagsbuchhandlung alle Ehre; wir wünschen dem
Werke den besten Erfolg. W. W.
§ Statistisches Jahrbuch tür das deutsche Reich. Herausgegeben
vom kaiserlichen Statistischen Amt. Zehnter Jahrgang 1889. Berlin 1889.
Puttkammer & Mühlbrecht. Auch dieser Band des statistischen Jahrbuchs ver-
folgt, wie die früheren, den Zweck, die hauptsächlichen Ergebnisse der Reichs-
statistik in kurzen Übersichten und so weit möglich, in vergleichbaren Jahres-
reihen zur allgemeinen Kunde zu bringen. Die älteren Nachweisungen werden
seit dem Erscheinen des 9. Bandes statt in Jahreszahlen in Durchschnittszahlen
für Jahrfünfte gegeben. Der vorliegende Band behandelt : 1. Flächeninhalt, Stand
der Bevölkerung ; 2. Bewegung der Bevölkerung ; 3. Bodenbenutzung und Ernten ;
4. Viehstand ; 5. Bergwerks-, Salinen- und Hüttenbetrieb ; 6. Gewerbe ; 7. Handel
des deutschen Zollgebiets mit dem Auslande ; 8. Verkehr und Verkehrsstrafsen ;
9. Geld- und Kreditwesen, Preise; 10. Verbrauchsberechnungen; 11. die Wahlen
zum deutschen Reichstag; 12. Justizwesen; 13. Medizinal- und Veterinär-
wesen; 14. Kriegswesen; 15. Finanzwesen; 16. Kranken- und Unfallversicherung
der Arbeiter; 17. öffentliche Armenpflege. Den Schlufs des Bandes bilden drei
Karten, welche die Kriminalität der strafmündigeu 7.m\\iC^o^^\^Äi^ ^<yi^ "^«vOöä
— 376 —
nach dem Durchschnitt der fünf Jahre 1883/87 darstellen. Die erste dieser
Karten bezieht sich auf Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze über-
haupt, nach dem Orte der That. Von der mindesten bis zur höchsten Zahl der
von 10 000 Personen begangenen Verbrechen und Vergehen sind in Farben neun
Gebiete veranschaulicht. Die niedrigsten Ziffern — 12 — 39 — finden wir über
das ganze Reich verteilt, sehr ungünstig sind sie in den östlichen Grenzgebieten
des preufsischen Staats und teilweise auch in Bayern. Die den angrenzenden
Bezirken nicht zugerechneten Grofsstädte von über 100 000 Einwohner sind
besonders dargestellt. Darnach ist das ungünstigste Verhältnifs, — 200 und mehr
Verurteilte auf 10000 Personen — in Breslau, Königsberg und Dajizig ; es folgen
Hamburg mit 160 — 199, Chemnitz, München, Leipzig, Nürnberg mit 130 — 159,
Berlin, Bremen, Hannover, Altona mit 110 — 129, während Dresden, Stuttgart,
Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Strafsburg u. a. geringere Zahlen aufweisen.
Die zweite Karte illustriert die Prozentsätze der gefährlichen Körperverletzungen ;
die ungünstigen Ziffern fallen wiederum auf Bayern und den ganzen Osten
von der russischen bis zur österreichischen Grenze. Was endlich die dritte
Karte, die Diebstähle in den verschiedenen Gegenden Deutschlands betrifft, so
ist das Prozentverhältnis im Westen am günstigsten, im Osten am ungünstigsten.
Besonders in den an Polen grenzenden Gegenden Preufsens sind auf weiten
Strecken die ungünstigsten Verhältnisse, nämlich 70 und mehr Verurtheilte
von 10 000.
Polarregionen.
Expedition danoise. Observations f aites a Godthaab. Avec
un Appendice. Tome IL 2"^® Livraison. (vergl. Band XI. dieser Zeit-
schrift Heft 3 u. 4, S. 350.) Nach und nach werden die Publikationen, welche uns die
Resultate der Polarstationen des Jahres 1882/83 mitteilen, immer vollständiger
und es sind schon jetzt nicht mehr viele im Rückstande. So liegt uns denn
auch heute die 2. Lieferung des 2. Bandes der dänischen Station zu Godthaab
vor, während wir schon im Vorjahre Gelegenheit hatten, die erste Lieferung einer
genaueren Besprechung zu unterziehen. Ebenso reichhaltig wie jener ist auch
der neue Teil des Werkes. — Zunächst finden wir die Fortsetzung der meteo-
rologischen Daten, nämlich Beobachtungen über die Temperatur und die Wind-
verhältnisse zu Godthaab selbst, bearbeitet von W. Paulsen. — Weiterhin folgen
die Beobachtungen der „Dymphna", welche bekanntlich ihren Stationsort nicht
erreichte und während des Jahres 1882/83 in der Karasee im Eise trieb, bearbeitet
von Kapt. Hovgaard. Als di'itten Teil finden wir wieder eine Anzahl interessanter
Daten über die Beobachtungen an einigen andern Orten der grönländischen Küste,
namentlich diejenigen, welche von der Holmschen Expedition in Ostgrönland ge-
sammelt wurden, sowie jene über die Erscheinung des Polarlichtes in Grönland,
woran sich noch Mitteilungen über Ebbe und Flut an verschiedenen Punkten
Grönlands anschhefsen. — Zunächst ist bei der Zusammenstellung der Tem-
peratur darauf hingewiesen, dafs sich die dänische Polarstation auf einen etwa
26 m über den Meeresspiegel sich erhebenden kleinen Hügel befand, während
die permanente Station des meteorologischen Instituts etwa 70 m vom
Fufse des Hügels entfernt liegt. Zwischen den Temperaturen, welche an beiden
Orten beobachtet wurden, zeigen sich erhebliche von der Lage abhängige Unter-
schiede. Aus der äufserst reichhaltigen Sammlung von Zusammenstellungen
können wir hier nur auf die allgemeinerer Natur eingehen und mag deshalb die
Tabelle der Temperaturmittel iux das Polwiahr folgen.
— 377 —
Mittel der Temperatur zu Godtiiaab 1882/83.
ühr
Herbst
Winter
Frühling
Sommer
Jahr
1
2,02
— 10,98
— 4,49
4-3,63
— 3,47
2
2,00
11,00
— 4,42
3,51
— 3,48
3
2,07
— 11,05
— 4,49
3,47
— 3,54
4
— 2,17
10,95
— 4,51
3,55
— 3,52
5
— 2,21
— 10,97
4,45
3,67
3,49
6
2,21
— 10,86
4,33
3,80
3,40
7
— 2,16
10,87
— 4,20
3,99
— 3,31
8
— 2,08
— 10,82
4,06
4,47
— 3,12
9
— 1,95
— 10,71
— 3,72
4,95
— 2,86
10
— 1,79
10,66
— 3,48
5,52
2,60
11
1,59
— 10,72
3,44
5,90
— 2,46
Mittag
— 1,51
— 10,80
3,32
5,97
2,42
1
— 1,50
— 10,85
— 3,27
6,08
— 2,39
2
— 1,60
10,91
3,18
6,15
— 2,38
3
— 1,70
10,97
— 3,02
6,09
2,40
4
1,77
— 10,97
3,18
6,08
2,46
5
— 1,86
10,80
— 3,31
5,74
— 2,56
6
1,92
10,85
— 3,52
5,49
2,70
n
t
— 1,98
— 10,91
3,68
5,12
— 2,86
8
2,00
— 10,93
3,92
4,64
— 3,05
9
1,99
10,90
4,00
4,14
— 3,19
10
2,02
10,97
4,10
3,86
— 3,31
11
2,09
10,97
-4,21
3,73
— 3,38
Mitternacht
2,14
11,04
-4,25
3,73
— 3,43
Mittel
1,93
10,89
3,86
4,72
2,99
Maximum
— 1,50
10,66
3,02
6,15
— 2,38
Minimum
— 2,21
11,05
— 4,51
3,47
— 3,54
Die Unterschiede, welche die Angaben von der permanenten Station kenn-
zeichnen, sind ebenfalls eingehend tabuliert und findet sich dafür:
Unterschiede der Temperatur an den beiden Stationen zu Öodthaab.
Max.-Min, an der Max.-Min. an der
1882
8 Uhr am.
2 Uhr pm.
9 pm.
Polarstation
permanenten Station
August
+ 0,6
+ 0,8
-0,2
4,4
6,7
September
0,0
+ 0,3
-0,4
2,8
4,6
Oktober
-0,2
0,0
0,6
2,5
4,1
November
— 0,6
0,3
0,3
3,4
5,0
Dezember
-0,7
-0,8
-0,4
3,5
5,7
1883
Januar
-0,4
0,3
0,5
4,4
5,0
Februar
-0,1
+ 0,3
-0,2
4,9
5,8
März
0,0
+ 0,4
0,3
6,3
7,6
April
+ 0,2
+ M
— 0,6
3,7
6,8
Mai
+ 0,4
+ 1,3
-0,4
3,4
5,2
Juni
+ 0,4
+ 0,7
-0,2
4,5
5,7
JuU
+ 0,6
+ 0,8
+ 0,1
5,0
6,2
August
+ 0,4
+ 0,9
-0,2
6,3
7,3;
ich führe dieselben hier an, weil durch sie eine Vergleichung mit den. wi^^<b^
angegebenen Temperaturen für einen längeren Bfto\i^^\AA>XL^^x^>Xx^x«fi^ ^^"«^ ^'^'^"
Geogr. Blätter. Bremen, 1889, ^
— 378 —
mauenten Station ermöglicht wird. Diese eben erwähnten Tabellen, welche sich
aber nicht nur auf Godthaab, sondern auch noch auf „Ivigtut", „Jacobshavn",
„Upernivik" und „Stykkisholm** erstrecken, werden vom gröfsten Interesse für
die Beurteilung der klimatischen Verhältnisse jener Gegenden.
An diese tabellarischen Angaben schliefst sich eine spezielle Ausführung
des Wettercharakters in jedem einzelnen Monat des in Frage stehenden Zeit-
raumes, wodurch der innere Zusammenhang der in den nackten Zahlen gege-
benen Daten eingehend erläutert wird.
An das Kapitel über die Lufttemperatur schliefst sich, wie schon erwähnt,
die Bearbeitung der Windbeobachtungen. Die Instrumente für Auf zeich
nung der Richtung und Stärke dieses Elementes werden ihrer Konstruktion nach
erläutert, sie bestanden aus gewöhnlicher Windfahne und aus Robinsonschen
Anemometern, deren Konstanten zum Teil auf der deutschen Seewarte bestimnit
worden waren. Nur zur Kontrolle und Vergleichung kam auch ein Anemometer
nach Hagemannscher Einrichtung regelmäfsig zur Verwendung. Über den all-
gemeinen Charakter der Windverhältnisse geben am besten wohl wieder die
nachfolgenden Tabellen Aufschlufs.
Relativzahlen für Richtung und Stärke des Windes in Godthaab für 1866 — 83,
(Halbe Beaufort Skala.)
N— NO 0-SO S— SW W— NW
Richtung Stärke Richtung Stärke Richtung Stärke Richtung Stärke Calmen
Januar
42,3
4,3
28,5
3,7
11,8
5,2
7,9
4,2
9,5
Februar
43,0
4,3
23,6
4,1
15,2
5,3
11,0
4,6
7,2
März
42,8
4,3
22,4
4,0
18,1
4,9
7,8
4,2
8,9
April
43,9
3,8
16,8
3.1
18.5
4,0
6,0
3,2
14.8
Mai
36,5
3,3
13,0
2,9
25,0
4,0
8,3
2,8
17,2
Juni
27,1
3,1
7,5
2,9
32,9
3,8
14,4
2.9
18,1
Juli
17,8
3,2
8,8
2,7
38,5
3,8
• 15,2
2,9
19,7
August
23,3
3,0
9,6
3,3
35,7
3,8
10,3
2,8
21,1
September
26,3
3,4
15,7
3,3
33,9
.4,0
6,2
2,8
17,9
Oktober
30,7
4,0
23,2
3,0
26,8
4.4
5,7
3,9
13,6
November
30,4
3,7
29,3
3,6
25,3
4,5
3,5
3,4
11,5
Dezember
38,3
3,9
26,8
3,9
16,1
5,0
6,4
4,6
12,4
Aufser den Aufzeichnungen während des Jahres 1882/83 finden wir auch
hier wieder eine Reihe von Angaben, welche sich auf längere Beobachtongs-
reihen an anderen Orten der Grönländischen Küste erstrecken und die eingehende
Aufschlüsse über Stärke und Richtungides Windes zu Godthaab, Jacobshavn und
üpemivik geben.
Die Bearbeitung ist eine äufserst eingehende. Von grofsem Interesse
dürften die aus den längeren Beobachtungsperioden abgeleiteten Daten über die
Stürme und die warmen Winde sein. Als Resultat aus den 10 Jahren 1874
bis 1883 findet sich die Anzahl der stürmischen Winde aufs Jahr berechnet in
den einzelnen Strichen der Windrose und ihre Verteilung im Jahre:
Godthaab Jacobshavn Upernivik Godthaab Jacobshavn Upernivik
Nu. NNO
0,9
0,6
0.1
Januar
0,6
1.1
1,4
NO a. ONO.
0,7
0,6
0,1
Februar
0,7
0,5
1.4
n. OSO
0,3
1,8
0,1
März
1,5
1,0
2,0
SO a. SSO
1,0
4,2
0,4
April
0,7
0,5
0,4
Sa. SSW
0,7
0,1
3,7
Mai
0,8
0.6
0,3
379
Godthaab Jacobshavn üpemivik
Godthaab Jacobshavn üpernivik
SWu. WSW
5,2
0,7
9,8
Juni
0,0
0,4
0,6
W u. WNW.
0,0
0,0
0,1
Juli
0,1
0,2
1,5
NW u. NNW
0,0
0,2
0,0
August
0,6
0,6
1,8
Im ganzen
8,3
8,1
14,3
September
0,9
0,6
1,1
Oktober
0,2
1,2
1,8
November
1,0
0,8
0,9
Dezember
1,2
0,6
1,1
In dieser Zusammenstellung sind alle Winde, welche über 20 m Ge-
schwindigkeit hatten oder deren Stärke 5—6 der 6teiligen Beaufortskala übei>.
trifft, als stürmische angesehen worden. — Die Stürme wehen demnach in
Godthaab zumeist aus S, in Jacobshavn aus SO und in üpernivik aus SW und
es vertheilen sich dieselben auf die Jahreszeiten wie folgt:
Winter Frühling Sommer Herbst Jahr
Godthaab 2,5 (2,3) 3,0 (2,0) 0,7 (0,5) 2,1 (1,9) (6,7)
Jacobshavn 2,2 (2,1) 2,1 (1,8) 1,2 (1,0) 2,9 (2,3) (7,2)
üpernivik 3,9 (2,4) 2,7 (2,0) 3,9 (3,2) 3,8 (3,1) (10,7)
Die in Klammern beigesetzten Zahlen bezeichnen die Zahl der Tage, an
denen es während der einzelnen Jahreszeiten und im ganzen Jahre stürmisch
weht. — Die Betrachtungen über die warmen Winde finden ihre statistische
Aufzählung in nachstehendem Schema, welches für die jedesmaligen 3 Winter-
monate des Jahres 1880 bis 1884 gilt:
Ivigtut. Jacobshavn
Windricht. Temperatur Anzahl d. Beob. Windricht. Temperatur Anzahl der Beob.
OSO
7,00
18
i.n 18
SO
3,7
51
OSO
1,7 . 6
SSO
1,2
17
SO
0,2 38
s
0,9
Godthaab
3
S
— 0,5 5
üpemivik
indiichi
t. Temperatur Anzahl d. Beob.
Windricht.
Temperatur Anzahl d.
NO
0,^7
8
0,02 7
ONO
3,1
7
OSO
— 0,6 5
--1,1
2
SO
0,2 5
so
-0,2
5
SW
— 0,2 7
SSO
0,5
9
S
0,1 4
s
1,4
32
Es sind in dieser Zusammenstellung alle Fälle aufgezählt, in welchen die
während des Yorherrschens der betreffenden Windrichtung beobachtete Tem-
peratur ganz erheblich über die der umgebenden Tage anstieg. — Paulsen
fafst die in dieser Bichtung gesammelten Daten dahin zusammen, dafs er sagt:
„Pour trouver dans quelles conditions se produisent en Groenland ces vents
comparativement chauds, nous avous examin6 T^tat du baromtoe et celui de
Pan^mometre durant les susdites p^riodes ä temp^ratures hautes qu' ont pr6-
sent^es les hivers depuis 1874 jusqu' ä 1884.
Par ces recherches nous avous trouve que les p6riodes durant lesquelles
des vents d^une temp^rature notablement 61ev6e soufflent sur la c6te occiden-
tale du Groenland ne s^ouvreut que quand des dSpressions barom^triques sur
la mer ä l'ouest du Groenland s'approchent dudit littoral, et c^'^xi ^-«fetÄis.NsÄ
vents doux accompagnent ces d^pressions da\xa\c\ix ^fe^\^c««i^xy\» ^««äX'^^^'^^-
380
Nach einer speziellen Ausführung der hierher gehörigen Fälle wird die
Existenz föhnartiger Winde an der grönländischen Küste als unbestreitbar
feststehend anzusehen sein, ist ja doch auch die orographische Bildung der
fraglichen Gegend sehr geeignet für das Zustandekommen solcher Erscheinungen,
wozu noch als Hauptkriterium das ausnahmslose starke Heruntergehen des
Feuchtigkeitsgehaltes der Luft schwer in die Wagschale fällt.
Es folgen nunmehr die tabellarischen Obersichten über die Bewölkung
nach Stärke, Richtung und Form der Meteore, an welche eine weitere Diskussion
sich nicht knüpft. Ferner Tabellen der Bodentemperatur in 1 und 1,5 m
Tiefe, der Temperatur des anstehenden Gesteins in 0,16 = 0,31 und 0,63 m
Tiefe, der Temperatur des Meeres und seines Salzgehaltes.
Auszugsweise mögen hier nur die Monatsmittel dieser Elemente folgen,
da dieselben klimatologisches Interesse haben.
(Die Ablesungen wurden zumeist um 8 Uhr morgens gemacht und die
Gesteinstemperaturen beziehen sich auf 6 Ablesungen am Tage.)
tempwatürin Gesteinstemperatnr in Meeres- .^f^,:
Im
1,5 m
0,16 m
0,31 m
0,63 m
ratur
des
Meeres.
1882 August
6,36
5,48
—
—
+ 3,82
3,21^/0
September
4,56
4,36
—
+ 2,71
3,13
Oktober
1,60
1,88
—
+ 1,09
3,08
November
0,23
0,63
— 5,69
— 5,39
— 4,76
+ 0,25
3,27
Dezember
— 0,27
0,15
7,67
— 7,13
— 6,25
— 0,70
3,36
1883 Januar
— 0,66 -
-0,07
— 9,87
— 9,46
— 8,68
— 1,33
3,36
Februar
— 1,25 -
-0,37
— 14,76
— 14,36
— 12,77
— 1,26
3,32
März
— 0,53 -
-0,37
-5,85
6,12
— 6,49
0,71
3,40
April
0,13 -
-0,13
— 4,28
4,73
— 4,89
— 0,48
3,37
Mai
0,20 -
-0,08
3,02
2,47
1,95
+ 0,49
3,27
Juni
0,28 -
-0,05
4,38
3,99
3,60
+ 1,48
3,11
JuU
4,75
3,43
8,38
7,71
7,15
+ 2,48
3,06
August
8,66
6,08
8,45
8,09
7,97
+ 3,71
3,03
Den zweiten Abschnitt des Heftes bildet wie schon erwähnt die Bearbeitung
der auf der .Dymphna'' während ihrer Trift in der K a r a s e e gesammelten
Beobachtungen, welche trotz der Schwierigkeiten, mit denen man zu
kämpfen hatte, nahezu vollständig sind, sich aber allerdings nicht auf denselben
Ort beziehen. Hier mögen dieselben nur in gedrängter tabellarischer Kürze
Platz finden, da auch der Diskussion in der Publikation selbst nur ein verhält-
nismäfsig geringer Raum gewidmet ist.
Luftdruck
1882 August 758,27 ^^^f^^^^'
September 59,99 „
Oktober 62,13 „
November nizvoüständig
K a r a s e e.
Mittl. Wind-
T«m.»*v»r. stärke nach
Lufttemp. Beaufort
(0-12)
2,96 ^* Abl.)^^*^ 1>'^ «™*^ *8i.)
-11,25 , 2,2 .
Mitü. Himmels-
bedecknng
(0-10)
7.0 (6mal t&gl.)
7,7 .
7.1 .
Tmvo\lstäii6dg \iaNo^\m<^^ Tav^oU&taadig
— 381 —
Mittl. Wind- »r..! tt- i
o+ö^Tr/. r.o^\. Mittl. Himmels-
Luftdruck Lufttemp. Beaufort Bedeckung
(0-12) (0—10)
Dezember 63,10 stündl. Abi. — 18,50 stundl. Abi. 1,7 stundl. Abi. 7,0 stündl. AbL
1883 Januar 54,85 „ — 28,43 „ 1,2 „ 4,7 ,
Februar 57,33 „ —18,67 , 1,6 ^ 6,4 ^
März 53,13 , —19,28 „ 1,1 „ 5,5 ,
Aprü 67,82 , —12,38 , 1,6 , 5,6
Mai 61,34 («^Si*^^* - 9,51 («%*f8^> 1,1 (6nial tgL) 7,5 (6m»l tägL)
Juni 57,78 , -0,50 / 1,2 , 7,4 ,
Juli 55,09 „ -1,70 , 1,1 „ 8,3 ,
August 58,67 , -0,16 , 1,2 , 7,9
September 55,77 „ —0,79 „ 2,4 „ 7,3 „
Die Extreme des Luftdruckes waren 782,7 am 5. April und 729,0 am
4. März. Die der Lufttemperatur fanden statt : das Maximum mit 12 ^,1 am
3. August 1882 und das Minimum mit — 47^,9 am 24. Januar.
In der Karasee wurden auch Messungen des Niederschlages, der
Temperatur des Meereswassers und derjenigen des Schnees und
Eises in verschiedenen Tiefen gemacht. Die letzteren dürften von allgemeinem
Interesse sein und ich werde dieselben deshalb auszugsweise hierhersetzen:
Von den 19 Tagen, an denen die Schneetemperatur gemessen wurde,
folgen die beiden Reihen vom 6. Februar und 4. März, da diese die voll-
ständigsten sind.
Lufttp. cm 5 cm 10 cm 20 cm 50 cm 100 cm 110 cm 130 cm 130 cm Tiefe
Febr. 6 —34,7 —33,8 —28,5 —23,9 —19,5 —15,8 —10,0 —9,3 —8,3 —7,8
März 6 —19.4 —17,2 —17,6 —17,6 —16,8 —11.0 —8,3 —7,1 —6,0 —4,8
Die Temperatur im Eise fand sich:
Lufttp. cm 25 cm 50 cm 100 cm 150 cm 200 cm 250cm 300 cm Tiefe
März 18 — 29,6 — 26,8 — 20,5 — 18,0 — 14,5 — 12,6 — 11,0 — —
27 — 8,2 — 12,0 —,14,5 — 15,3 — 14,4 — 12.7 — 10,6 — —
31 — 17,7 — 14,2 — — 11,0 — 10,5 — 8,9 — 7,6 — 6,2 — 4.6
April 10 — 10,6 — — — — — — 7,8 — 6,2 — 2,9
11 —5,0 — — — — — —7,1 —5,8 — 2,5
12 — 2,2 — — — — — — 6,8 — 5,8 — 2,8
19 — 1,4 — 4,8 — — 6,0 — 7,6 — 8,0 — 6,2 — 5,6 — 3,2
24 — 4,7 — 5,2 — — 5,4 — 6,0 — 6,4 — 6,0 — 5,0 — 3,6
Die Messungen der Meerestemperatur in verschiedenen tiefen scheinen
auf eine in etwa 25 — 40 m Tiefe vorhandene wärmere Strömung an der
Südküste von Nowaja Semlja schliefsen zu lassen.
Im dritten Abschnitte sind die Beobachtungen zu Nennortalik und Ang-
magsalik an der Süd- und Ostküste Grönlands behandelt, und zwar der meteo-
rologische Teil von Williaume-Jantzen , die Porlarlichtbeobachtungen von
Garde (Nennort.), Paülseu (Godthaab) und G. Holm (Angmag.), während die
Ebbe- und Flutbeobachtungen zu Nennortalik und einigen Punkten der Ostküste
wiederum von 0. Crone der Rechnung unteiworfen wurden.
Die Beobachtungen des Porlarlichtes erstrecken sich in Nennortalik auf
die Winter 1883—84 und 1884—85, in Godthaab auf 1882—83 und in Ang-
magsalik auf den Winter 1884 — 85. — Das Interessanteste dieser Beobachtung«»,
sind die vielfachen Höhenmessungen, welche besageiv, Öi«Xä ^"^ ^^T'\ä^Ä's»'s^5ss%^»3XKt-
382
worfenen.Polarlichterscheinungen sich in Höhen zwischen etwa 2 und 48 km
befanden haben. Die gröfsten £B5hen wurden in Godthaab mit 45 und
47 km gemessen, während die erstere und letztere Station nur weit ge-
ringere Höhen giebt. Es mag das aber im wesentlichen seinen Grund in
der Länge der zur Verfügung stehenden Basis haben, welche in Godthaab bei
weitem am gröfsten war (8 km). Paulsetif welcher sich eingehender mit
der Diskussion der Beobachtungen befafst hat, stellt verschiedene Vergleiche
mit der Edlundschen Theorie an und ebenso zieht er auch die in Spitzbergen
und an andern Orten gesammelten Beobachtungen mit in seine interessanten
Betrachtungen.
Die üntersuehungen C. Crones über die Ebbe und Flut sind wiederum
nach der Harmonischen Analyse durchgeführt und nachdem für Nennortalik die
Konstanten soweit wie möglich abgeleitet sind, giebt der Verfasser eine kleine
Tabelle über die Gezeitenerscheinung an verschiedenen Punkten des nord-
amerikanischen Archipels.
Ort.
Breite.
Länge.
Distanz d.
Syzig. V.
Maxim, d.
Gezeiten.
Zurückblei-
ben d. Hoch-
wassers ge-
gen d. Mond.
Meridian-
pas.
Zeit d.Hoch-
wassers.
Differenz zwischen
Hoch- n. Niedrigwasser
bei Hoch- bei Nipp-
flnt. flut.
Tg. Std.
Std. Min.
m
m
Nennortalik .
60° 8'
3h Im
1 16,6
5 34
Mittag
2,52
1,00
Godthaab . . .
64^1'
3h27 „
1 11,4
6 34
lh27mpm.
3,66
1,78
Kingua Fjord
66036'
4h29 „
1 19,2
5 28
Ih25 „
6,14
2,90
Port Leopold
74° 0'
6h 4 „
2 2,2
11 40
9hl5 „
1,60
0,84
Bechy Island
74^43'
6h 8 „
1 22,3
11 58
9h37 „
1,64
0,80
Die Fortbewegung der Flutwelle längs der grönländischen Küste spricht
sich recht deutlich in der letzten Tafel des Abschnittes aus; dort finden wir:
Eintritt des Anzahl der
Hafenzeit Hochwassers Beobachtungen
6ühr34M. lühr27M.pm. —
Ort
Godthaab
Nennortalik
Kumak (bei Ikek)
Nunatsuk
Kekertatsiak
Inugsuit
Karra akungnak
Kiatak (bei ümivik)
Nuerniagartek
Putulik (b. Pikiutdlek) 65 <> 0'
Isortup nua 65° 5'
Tasiusarsik kitdlek 65 <> 37 '
Breite
64» 11'
60« 8'
59» 55'
60° 4'
m^ 10'
61° 41'
61 48'
64« 19'
64 <> 49'
5
4
4
4
4
4
3
3
4
3
4
»
34
50
42
21
34
6
56
50
18
55
6
»
Mittag
11 Uhr 10 M. am.
10
10
10
10
10
9
10
10
10
59
38
48
19
57
24
fi
5
3
13
3
1
5
2
1
79
(bei Angmagsalik)
Als eine recht wichtige und angenehme Zugabe müssen die beiden
Orientierungskarten von Grönland und der Karasee besonders hervorgehoben
werden, da die vielen in der Abhandlung vorkommenden Punkte der dortigen
Küste bei der wechselnden Schreibweise der Inuitnamen nur so richtig zur
Anschauung kommen können, und anderseits durch die Verzeichnung der
Pankte, auf welche sich die Beobachtungen der „Dymphna" beziehen, diese erst
eigentUcben Wert und Bedeutung erhalten. 1^. A,
— 383 —
„Proceedings of the Canadian Institute, Toronto April 1889.*
Das Heft enthält zwei, die Eskimos betreffende Artikel: 1) Eskimo of
Hudson's Strait. By F. F. Payne. 2) The Eskimo race and
langnage. ByA. F. Chamberlain. Diese beiden Abhandlungen haben
sich auf dem genannten Gebiete insofern verschiedene Aufgaben gestellt, uls
der Verfasser der erstem eine einfache Schilderung seiner Erlebnisse oder nur
ganz gelegentlich gemachte Beobachtungen während eines Aufenthalts unter
den Eskimos geben will, wogegen Chamberlain eine gedrängte üebersicht unsrer
Kenntnisse von der Verbreitung und Sprache sämtlicher Eskimostämme mit
den daraus zunächst gezogenen Schlussfolgerungen liefert. F. F. Payne hat
sich 13 Monate in Labrador auf einer Observationstation bei Kap Prince of
Wales an der Südseite der Hudsonsstrafse aufgehalten. An demselben Orte
wohnte eine Anzahl Eingebome, die nur wenig von civilisirten Fremden be-
einflusst gewesen waren. Während die Einwohner auf der Nordseite der Strafse
häufigen Verkehr mit fremden Seefahrern haben, waren bei Kap Prince of Wales
manche Individuen fast noch nie mit „Weissen** zusammengetroffen. Die Winter-
wohnplätze auf dieser Küste sind auf hervorspringenden Landspitzen angelegt,
vor welchen Stürme und Strömungen häufig Oeffnungen im Eise bilden und
dadurch Gelegenheit zum Seehundfang geben. Dieselben Stürme bringen regel-
mässig aus Nordwest viel Schnee, so dass Berichterstatter, als er nach einem
Schneesturm ein Dorf besuchte, die „Iglus" (Häuser) ganz unter Schnee be-
graben fand; nur die Löcher, die zu den Eingängen und den Fenstern aus-
gegraben waren, bezeichneten die gleichsam unterirdischen und deshalb auch
selbstfolglich wohl geschützten Wohnungen. Gegen Ende des März nimmt der
Seehundfang ab, und Hunger, öfters wirkliche Hungersnot steht vor der Thür,
bis etwa im Laufe des April mildere Witterung eintritt, während doch das Eis
gröfsere Schlittenfahrten für das Aufsuchen des Seehundes zuläfst. Ende Mai
schmelzen die Schneehäuser zusammen, man sucht die Zelte hervor, und jetzt
beginnt das gewöhnliche nomadisirende Sommerleben. In der letzten Hälfte
des September und bis die See Ende November sich mit Eis belegt, werden die
Walrosse gejagt, wonach die Kajakke für den Winter verwahrt werden. Dann
folgt wiederum eine magere Zeit, bis am Ende des Decembers das Eis hinlänglich
sicher wird und statt der undichten „Wigwams« wiederum Schncehäuser gebaut
werden können. Ob hier, ähnlich wie in Baffinsland, eine Art Erdhütten mit
Felldach als Übergang zwischen Zelt und Schneebaus benutzt werden, ist aus
der Beschreibung nicht ganz klar. Der Verfasser bemerkt, dafs der Mangel an
Fürsorge doch keineswegs diese Eskimos zu den Zeiten des Überflusses träge
oder gleichgültig macht, wie ja sonst anderswo behauptet worden ist. In
mechanischer oder künstlerischer Arbeit zeigen die Eingebornen auf der Nord-
seite der Strafse gröfsere Tüchtigkeit, natürlich wegen des Handels mit den
Fremden. Seehunde werden selten bei den Athmungslöchern, vielmehr am meisten
in den offenen Spalten gefangen, indem die Harpune mit der Leine von der
Eiskante aus geworfen wird. Eine Hauptbelustigung bildet das Ballspiel, wozu
ein aus Walrofsblase verfertigter Fufsball benutzt wird. Auch wiU man be-
obachtet haben, dals mitunter ein grosses Schneehaus für gemeinschaftliche
Spiele erbaut wird. Mit den Indianern des Binnenlandes, „Udlern*, wie sie hier
bezeichnet werden, stehen die Eskimos, ihrer eigenen Aussage nach, in der
freundlichsten Beziehung. Für europäische Lebensmittel haben sie ^ar kÄvaA"^
Geschmack^ liehen aber umsomehr den Tabak, ^o m^ ^^ wqä ^^\^"^"v^«s^ ^'^j^
— 384 —
Eskimos an anderen Orten, und in Grönland aus Sagen bekannt ist, giebt es
auch hier bösartige Individuen, die ihrer Umgebung gefährlich werden. Geht
dieses bis zu einem gewissen Grade, so wird man durch Beratschlagung einig,
den Bösewicht aus dem Wege zu schaffen. Dabei soll dann die recht merk-
würdige Sitte herrschen, dafs der Ausführer des Urteils die Versorgung der
Nachgelassenen des Verbrechers übernimmt. Unter den religiösen Gebräuchen
scheinen Opfer hier mehr als gewöhnlich vorzukommen. Namentlich waren
Opfergaben nicht allein auf Gräbern, sondern auch bei einer von den Fremden
erbauten Warte, und in einem Paar von Schiffbrüchigen nachgelassenen Kanonen
bemerkt worden. Der Verfasser sagt ausdrücklich, dafs er sich auf keine all-
gemeine Beschreibung der Eskimos einlassen, sondern nur wo möglich das
Interessanteste seiner eigenen Erlebnisse mitteilen will, und für diese Schilderung
aus einer so wenig bekannten Lokalität muls man ihm dankbar sein. Der
Eingebomen gedenkt er noch zum Schlüsse mit freundlichen Worten.
In seinem Artikel über die Rasse und die Sprache der Eskimos giebt
Chamberlain erst eine Obersicht über die Verbreitung derselben und die,
von verschiedenen Verfassern aufgeführten zahlreichen Stämme, in welche man
sie geteilt hat, nebst den verschiedenen Deutungen des Namens „Eskimo^.
Hierauf folgt eine umfassende Zusammenstellung der verschiedenen, über den
Ursprung der Eskimos aufgestellten Theorien. Der Hauptsache nach geht die-
selbe nur auf eine unparteiische Wiedergabe der, bekanntlich sehr von ein-
ander abweichenden Meinungen über diese Frage hinaus. Indem er jedoch
zuletzt zu dem Resultate kommt, dafs die Vermutung eines amerikanischen
Ursprunges nachgerade die überwiegende geworden ist, erklärt der Verfasser
sich auch als ein Anhänger derselben, und zwar mit dem Zusätze, dafs nicht
allein die asiatischen Eskimos im Tschuktschen-Lande, sondern möglicherweise
noch andere nordasiatische Stämme amerikanischen Ursprungs sein dürften.
Der Verfasser geht darauf zu den, für diese ganze Untersuchung so sehr
wichtigen sprachlichen Verhältnissen über. Rücksichtlich der Quellen zur
Kenntnis der Eskimosprache weist er auf Pillings eskimoische „Bibliography'
hin und erwähnt, dals letztere Vokabularien umfafst, die von 60 verschiedenen
Eskimo-Gemeinschaften herrühren, dafs einige davon allerdings nur kurze Listen,
andere dagegen, so wie die von Fabricius und Petitot wirkliche Diktionare sind.
Dieses dürfte doch jedenfalls Mifsverständnis verursachen können, weshalb
Referent sich eine Bemerkung erlauben mufs. Das Wörterbuch von Fabricius
(Grönland, dänisch), höchst wertvoll für seine Zeit, ist seit 1871 durch Klein-
schmidts „Grönlandske Ordbog" ersetzt worden ; mit der grönländischen Gram-
matik Kleinschmidts (Berlin 1851, deutsch) zusammen gehöii; es zu den Werken
ersten Ranges über Sprachen primitiver Völker überhaupt. Nach demselben
kommt Erdmanns labradorisch-deutsches Wörterbuch (Budissin 1864) ; was aber
Petitots Beitrag betrifft, so mufs man bedenken, dafs selbiger das Resultat des
kurzen Zusammenlebens mit „wilden'' Eskimos ist, wogegen jene auf über
hundertjährige Mission und Kolonisation in Grönland und Labrador gegründet
sind. Petitots Arbeit ist, danach zu urteilen, sehr verdienstvoll, aber im Ver-
gleich mit den Schriften Kleinschmidts und Erdmanns kann sie weder in
Beziehung der Zahl noch des richtigen Verständnisses der aufgesammelten
Wörter den Namen eines eigentlichen eskimoischen Lexikons verdienen. Cham-
berlaJns darauf folgende vergleichende Wörtersammlung nimmt 43 von den
77 Seiten der Abhandlung ein. In derseWiftn sm^ ^^V\mo\^OcÄ I)\a.lekte erst
— 385 —
unter sich, dann mit indianischen und zuletzt mit turanischen Sprachen ver-
glichen. Obgleich unsere Quellen zur nötigen Auffassung der eskimoischen
Wörter für die meisten der Dialekte ja sehr unvollkommen sind, kann eine
solche vergleichende Zusammenstellung für künftige Forschungen als Grund-
lage nicht entbehrt werden, und der Verfasser hat mit dem gröfsten Fleifse
diese äufserst mühsame Arbeit vollführt. Zur Stütze seiner oben angedeuteten
Vermutung, dafs gewisse nordasiatische Stämme amerikanischen Ursprungs sein
dürften, hebt er zum Schlüsse die Ähnlichkeit hervor, welche er zwischen
vielen Wörtern der eskimoischen und der turanischen Sprachen gefunden hat.
H. Rink.
Afrika.
Die neueste Afrikalitteratur hat uns u. a. zwei Werke geliefert, die insofern
einen gemeinsamen Berührungspunkt haben, als sie mittelbar oder unmittelbar
auf diejenigen Vorgänge Bezug haben, die jetzt alle Welt beschäftigen und von
der Tagespresse in breitester Weise behandelt werden. Das eine dieser Werke,
dessen erste Hefte bereits früher kurz besprochen wurden, betitelt sich: Dr.
W. Junckers Reisen in Afrika. Wien und Olmütz 1889, Verlag von
Eduard Hölzel, und erscheint in Lieferungen, von denen die ersten 19 vorliegen
und den ersten Band der ganzen Veröffentlichung ausmachen. Derselbe bezieht
sich auf die Reisen, welche Dr. W. Juncker während der Jahre 1875 — 1878 in
einem Teile der Libyschen Wüste, durch die arabischen Länder des ägyptischen
Sudan und in denjenigen äquatorialen Negerländern ausführte, die sich an den
Quellflüssen des oberen Nils ausbreiten. Demnach ist es keine zusammen-
hängende Reise, die uns der verdienstvolle Landsmann G. Schweinfurths vor-
führt, sondern vielmehr eine Reihe von Expeditionen, deren natürlicher Mittel-
punkt in den meisten Fällen Chartum war. Nachdem er nämlich die Lybische
Wüste besucht, um sich mit der bekannten Depressionsfrage zu beschäftigen,
ging er zunächst durch das Barakathal nach Kassala, in die Provinzen Taka
und Quedaref, nach dem blauen Nil und nach Chartum. Von da machte er
einen Abstecher nach Sennar und nach dem Sobat, sodann einen gröfseren
Ausflug nach Ladö und Mäkarakä, nach Kabaj^ndi und nach dem Rohl. Darauf
ging er nach der Mudirije Bahr el-Ghazal und durch das Mittu-Mädiland nach
Gosä., weiterhin zu den Sileibergen und nach Kalika, um nach einem zweiten
Aufenthalt in Ladö nach Chartum zurückzukehren. Dieser erste Band darf
nach Inhalt, illustrativen und kartographischen Beigaben und äufserer Aus-
stattung als eine wahrhafte Bereicherung der geographischen Litteratur ange-
sehen werden. Die Karten, von dem bekannten Gothaer Kartographen
Dr. B. Hassenstein gezeichnet, stellen sowohl das ganze Reisegebiet Junckers,
wie auch einzelne Abteilungen desselben dar und zeichnen sich, wie nicht
anders zu erwarten, durch Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Schönheit aus. Die
zahlreichen Bilder, von den Herren R. Buchta, L. H. Fischer, Fr. Rheinfelder
u. a. gezeichnet und in der photographischen Anstalt von Angerer und Göschl
hergestellt, sind meist klar und anschaulich und dienen, von einigen Ausnahmen
abgesehen, wirksam zur Ergänzung des geschriebenen Wortes. Dieses selbst
von W. Juncker verfafst und von R. Buchta mit mancherlei Bemerkungen ver-
sehen, zeichnet sich durch grofse Mannigfaltigkeit des Lihalts wie durch Leb-
haftigkeit der Form aus. Abgesehen von den rein wissenschaft\k.\^fc\v.'^\i3bK^'w2ö^^
welche unter die eigentliche Reisebeschreibung emg^t^^iT^wV ^\xv^^ ^^-m^os^^^o^öRJeÄ«^
— 386 —
erster Band dadurch ein besonderes Interesse, dafs er den Zustand des ehe-
maligen ägyptischen Sudans und der äquatorialen Provinzen vor dem Ausbrechen
des Aufstandes schildert, der den Verlust dieser Gebiete für Ägypten zur Folge
hatte. In die neueste Zeitgeschichte aber greift es insofern ein, als Juncker
über sein Zusammentreffen mit unserem vielbesprochenen Landsmann Dr. Emin
Pascha berichtet. Wir verweisen in dieser Beziehung besonders auf Seite 558 ff.
Das zweite mit der Zeitgeschichte eng verknüpfte Werk heifst : In
Deutsch-Afrika während des Aufstandes. Reise der Dr. Hans
Meyerschen Expedition in üsambara. Von Dr. Oscar Baumann. Wien und
Olmütz 1890. Eduard Hölzel. Der vielgereiste Dr. H. Meyer hatte sich be-
kanntlich mit Dr. Baumann, dem früheren Begleiter von Professor 0. Lenz zu
einer gründlichen Erforschung des Kilimandscharogebirgs verbunden und beide
hatten ihre Reise, mit 200 Trägern, unter günstigen Aussichten angetreten.
Schon waren sie bis nach üsambara vorgedrungen, als sie, von ihrer Begleit-
mannschaft treulos verlassen, in Buschiris Gefangenschaft gerieten und, nur
mit knapper Not entkommend, wenig mehr als das nackte Leben retteten. So
gingen u. a. die gesamten naturhistorischen und ethnographischen Sammlungen,
sowie die neuesten photographischen Aufnahmen verloren. Durch die Inter-
vention des englischen Generalkonsuls Colonel C. B. Evan Smith in Sansibar
gelang es dagegen die geraubten Tagebücher und Schriften Dr. Baumanns
wiediBr zu beschaffen. Auf Grund dieser hat letzterer den vorliegenden Reise-
bericht erstattet, der nach Inhalt und Form vieles Anziehende bietet. Eine
recht schätzenswerte Zugabe zu der Erzählung der dramatischen Vorgänge
bietet das VI. Kapitel des Buches, welches „Handel und Plantagenbau im
tropischen Afrika" betitelt ist und sich nicht nur auf Ostafrika beschränkt,
sondern auch die Erfahrungen des Verfassers im Kongogebiet und in West-
afrika mit berücksichtigt. Für Kauf leute und Pflanzer, welche sich für afrikanische
Angelegenheiten interessieren, bietet dieses Kapitel vieles Wertvolle. Aufser
einer Anzahl, teilweise nach Photographie gezeichneter Bilder enthält das Buch
noch eine ebenfalls wertvolle Originalkarte von üsambara, die von Dr. Baumann
nach eigenen Aufnahmen während der Expedition konstruiert und gezeichnet,
seitens der Perthesschen Anstalt in Gotha aber in mustergiltiger Weise herge-
stellt worden ist
Als ein Ergebnis der österreichischen Kongoexpedition stellt sich die
Karte des mittleren Kongo dar, auf Grundlage der Originalskizzen auf-
genommen von Dr. 0. Baumann, mit Benutzung der vorhandenen Quellen
entworfen und gezeichnet von Paul Langhans. 1:400 000. (Mafsstab der
Nebenkarte 1 : 200 000.) Die Karte ist auf zwei Blätter verteilt. Das eine
enthält zwei Abschnitte: Leopoldsville-Ngato und Tschumbiri-Bunga ; das
zweite bietet ebenfalls zwei Abschnitte : Bunga-Bungata und Lutanga-Losengo.
Die Nebenkarten beziehen sich auf den Stanley-Pool, Kwamouth, die Äquator-
station, üranga, die Stromeuge bei Ngome u. a. Nach Lage der Sache kann
die Baumann-Langhanssche Karte zwar nicht überall endgiltige Resultate bieten,
aber sie zeigt doch den derzeitigen Stand der Angelegenheit und kann als Grund-
lage für weitere Arbeiten dienen. A. 0.
Ägypten, einst und jetzt. Von Dr. Friedrich Kayser. Zweite
erweiterte und völlig durchgearbeitete Auftage. Mit Titelbild, 118 Illustrationen
j'm Text, 17 TonhMern und einer Karte. ¥i^\\iX3LY^ Vki ^\^\^%^t3l \^^.
— 387 —
Herdersche Verlagshandlung. Das in zweiter Auflage vorliegende, ansprechend
ausgestattete Buch giebt eine übersichtliche Darstellung von Land und Be-
völkerung des alten wie des modernen Ägypten und kann denen, welche sich
in verhältnismäfsig kurzer Zeit eine solide Kenntnis vom Lande der Phara-
onen in historischer wie in geographischer Beziehung zu eigen machen wollen,
mit gutem Gewissen empfohlen werden.* Denen, die tiefer eindringen wollen,
giebt es dadurch nützliche Hinweise, dafs am Schlüsse die wichtigsten Er-
scheinungen der neueren ägyptologischen Litteratur aufgezählt sind. Bezüglich
der Darstellung selbst mag bemerkt werden, dafs dem alten Ägypten wie über-
haupt der Geschichte ein breiterer Raum zuerteilt worden ist als den gegen-
wärtigen Zuständen. Von den zahlreichen Bildern sind viele anderen Werken
z. B. denen von Ebers entnommen, einige aber auch speziell hergestellt worden.
A. 0.
Süd-Amerika.
Informe de la Direccion General de Estadistica 1888. Guate-
mala. 8 ^. — Der Jahresbericht des Statistischen Bureaus in Guatemala ist für das
Jahr 1888 etwas umfangreicher geworden als für vorhergehende Jahre. (Vergl. den
Bericht über die Statistik von 1887 im Heft 1. 1889 dieser Zeitschrift S. 73 u. ff)-
Er erhält einen besondern Wert dadurch, dafs dem tabellarischen Teile eine
Einleitung (S. 6 — 44) vorgedruckt ist, welche dem Einwanderer einige not-
wendige Kenntnisse über Guatemala und seine Einrichtungen vermitteln soll, —
Zunächst werden diejenigen Einwanderer berücksichtigt, welche kein oder sehr
wenig Kapital mitbringen. „In Guatemala gedeihen alle bekannten wichtigen
Getreidearten, Gemüse und Früchte. Die Ländereien brauchen nicht gedüngt
zu werden; dies geschieht nur, um reichlichen Ertrag an Viehfutter oder ge-
wissen Gemüsearten zu erzielen. Etwas mehr als die Hälfte des Areals ist nicht
kultiviert, da hierzu die Arbeitskräfte fehlen. Ein thätiger Einwanderer würde
gratis einige Hektaren Land erhalten, die er mit Mais, Bohnen, Ayote, Güisquil
(einheimische Gemüse) u. a. bepflanzen könnte und ohne weitere Arbeit, als die
Erdoberfläche 6 cm tief zur Legung der Sämereien zu ritzen, würde er in sechs
Monaten genug ernten, um reichlich leben zu können, während ihm die Anlage
von Pflanzbeeten für Kaffee und Geflügelzucht zu einem Vermögen verhelfen
würde, da bei persönlicher Arbeit die Produktionskosten hierfür geringe wären,
während Kaffee und Geflügel hoch im Preise stehen." *) — Soweit die armen
Einwanderer. Für solche, die mit Kapital als Landbauer und Viehzüchter ein-
wandern wollen, sind die nötigen Andeutungen in besondem Kapiteln: Kaffee»
Kakao, Weizen, Reis, Kautschuk, Weinrebe, Rindvieh, Pferde, Schafe, Schweine,
Viehfutter, Kohle und Brennholz, gesalzenes Fleisch. Daran schliefsen sich Bemerkun-
gen über die Vorteile, welche Guatemala dem Einwanderer gewährt, über Steuern^
Einfuhr und Ausfuhr, Staatshaushalt, Verkehrswesen (Post, Telegraph, Eisenbah-
nen), Unterricht, Bibliotheken, Religionswesen, die Armee, Mafs und Gewicht,
Münzwesen, Preise der wichtigsten Konsumartikel. Dann folgen einige primitive
geographische Notitzen, einige Artikel der Konstitution oder der Gesetzbücher,
soweit sie für Einwanderer wichtig sind, (über Abtretung von Regierungsländereien,
*) Es versteht sich von selbst, dafs die diesfälligen Versicherungen der „In-
forme" nur mit verschiedenen Einschränkungen angenommen werden dürfen^ welclsA
den mittellosen Einwanderer einstweilen beinabie, wivöl i^^x tKjL ^«vsvKts^^^^^^
BJiBBchJiefsen. ^^V>j
— 388 —
Arbeitergeseize, Minengesetze, Gesetze betreffend Einwanderer, besondere Be-
schlüsse, die Einwanderung nach einzelnen Teilen des Landes zu lenken und
um einzelne Produktionszweige zu heben.) — Darauf folgt das statistische Ma-
terial, dem wir folgende Daten entnehmen : Bevölkerungszuwachs im Jahre 1888
32.883 E. Bevölkerung am 31. Dez. 1888 : 1.427.116 E. — Während bei den
Ladinos (Mischlingen) die Zahl der illegitimen Geburten hinter derjenigen der
legitimen nur wenig zurückbleibt, sie häufig erreicht oder seihst namhaft über-
schreitet, ist dies bei den Indianern nicht der Fall, und die unehelichen Gebur-
ten stellen sich zu den ehelichen in den eigentlichen indianischen Gebieten des
„Altos* im Verhältnis von 1:15. — Die Kriminalstatistik weist nach, dafs
die Mehrzahl der Verbrechen von Männern der niedersten, jeden ünterichtes
entbehrenden Volksklasse begangen wurde. Von ethnologischem und national-
ökonomischem Interesse ist die Seltenheit des Kindesmordes (1 Fall), Eltemmordes
(1) und der Selbstmordversuche (2). — Die Handelsstatistik weist folgende
Ziffern auf: Gesamnitwert des Exports: Pesos 7.293.977 gegen 9.039.391 des
Vorjahres; des Imports: Pesos 5.459.569 gegen 4.241.408 des Vorjahres. —
Die Hauptwerte des Exports entfallen auf Kaffee^) $ 6.595.141), Zucker
($ 308.829), Rindshäute ($ 142.532) Kautschuk^) ($ 884.48). — Für den Import
ist die Reihenfolge der Länder folgende : England $ 1.442.569 Vereinigte Staa-
ten 814.785, Südamerika 727.446, Deutschland 657.634, Frankreich 434.588, Zen-
tralamerika 406,953, Spanien 137.341. — Ihnen folgen nach den Importwerten
mit Summen unter $ 100.000: Belgien, Schweiz, China, Belize, Mexiko, Japan,
Italien, Antillen. — Schiffsbewegung: 408 Dampfer und 35 Segelschiffe,
mit 547.911 Tonnen liefen die Häfen des Landes (San Jose, Champerico, Ocös,
Livingston) im Berichtsjahre an. Aufser den regelmäfsig verkehrenden N. A.
Dampfern wurde die Westküste vorwiegend von deutschen, die Ostküste von
englischen Schiffen bedient. 0. St.
Australien und Polynesien.
§ Hawaiian Almanac and Annual for 1888 and 1889. Honolulu-
Press Publishing Company. Durch die Güte eines Mitgliedes unserer Gesellschaft
in Honolulu erhielten wir die beiden letzten Jahrgänge dieses Almanachs, der sich
als ein „Handbook of information" bezeichnet und dies in der That ist, da er
nach allen Richtungen: Geschichte, Geographie, Handel und Schiffahrt, Land-
bau und Industrie, staatliche Verhältnisse u. a. der Hawai-Inseln umfassende
Auskunft giebt. In früherer Zeit war Honolulu bekanntlich ein Ausgangs- und
Abladehafen der Walfänger. Später begann der Zuckerrohrbau, welcher noch
immer, gestützt auf die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten, gedeiht; unter
den Plantagenbesitzern finden wir manche deutsche Namen verzeichnet.
*) Es sei dem Referenten hier die Bemerkung erlaubt, dafs der Artikel
„Wachstuch", welchen das diplomatisch - statistische Jahrbuch des Gothaischen
Hofkalenders unter der Ausfuhr von Guatemala aufführt (S. 573 des Jahrg.
1889) auf Kautschuk und zwar als Rohprodukt zu beziehen ist. Der Irrtum
rührt wohl daher, dafs in Zentralamerika der aus dem Aztekischen entlehnte Name
,hule" für den Rohkautschuk gebraucht wird und dafs davon abgeleitet „ahu-
lado" für Wachstuch gebildet wird. Hule und ahulado sind aber zwei
^'anz verschiedene Dinge.
') Gesamtproduktion im Jahre 188S-. b%^.44Q Q.mivV'aX^^.
— 389 —
Handelsgeographie.
§Aus See nach Bremen-Stadt. Wegweiser für Schifisführer.
Herausgegeben auf Veranlassung der Handelskammer zu Bremen. Nebst 2 Blatt
Karten und Pläne. Bremen, Druck von Carl Schünemann, 1889.
Die immer mehr sich bahnbrechende Überzeugung, dafs es um die auf
den Handelswaren lastenden Transportkosten zu ermäfsigen, von höchster
Wichtigkeit sei, die Seeschiffahrt soweit wie möglich in das Land hineinzuziehen,
und dafs dies insbesondere dann erforderlich sei, wenn der Warenversender
oder -Empfänger, der Kaufmann, selbst seinen Sitz nicht unmittelbar an der
See hat, ist für die Freie Hausestadt Bremen die Veranlassung gewesen, trotz
der bedeutenden Höhe der hierzu erforderlichen Summen sich zu der Korrektion
der ünterweser, d. h. zur besseren Schiffbarmachung des Weserstromes bis zur
Stadt Bremen aufwärts für Seeschiffe, za entschlief sen. Allerdings steckte hierbei
die Grenze des technisch Erreichbaren den Bestrebungen ein Ziel. Die gröfsten
und tiefstgehenden Schiffe der transozeanischen Fahrt bis zur Stadt Bremen
hinaufzuziehen, erschien nach Lage der Verhältnisse von Anfang an unmöglich ;
dieselben werden nach wie vor in den der See näher gelegenen Weserhäfen
den Endpunkt ihi-er Reisen erreichen. Durchführbar aber erscheint die Er-
schliefsung des Weserstromes bis zur Stadt Bremen aufwärts für die übrigen See-
schiffe, insbesondere für die Schiffe der sogenannten europäischen Fahrt, und ge-
rade diese Schiffahrt ist es, welche die möglichste Ermäfsigung aller Kosten imd
Spesen mehr noch als die grofse Schiffahrt erheischt und welche den mit den
Weserhäfen im Wettbewerb stehenden Häfen an Elbe und Rhein ein so grofses
Übergewicht vor jenen verleiht. Diese Schiffahrt verlangt eine solche Fahrtiefe,
dafs Schiffe von etwa 5 m (= 167» Fuls engl.) Tiefgang sicher verkehren
können, und diese Tiefe soll auf dem Weserstrom bis Bremen aufwärts
durch die Korrektion der Unterweser beschafft werden. Freilich werden die
Korrektionsarbeiten, mit denen bereits im Sommer 1887 begonnen worden ist,
noch einige Jahre in Anspruch nehmen, bis dieses Ziel voll und ganz erreicht
sein wird; sie sollen nach dem Bauplan im Jahre 1893 beendet sein. Aber
schon die bisherigen Arbeiten haben das Fahrwasser der ünterweser bedeutend
verbessert. Dasselbe ermöglicht schon jetzt unter den gewöhnlichen Verhältnissen
Schiffen von reichb'ch 37« m Tiefgang überall eine sichere Fahrt \md es ist
nicht daran zu zweifeln, dafs der Strom demnächst für Schiffe von 4 m
(= 13 Fufs engl.) Tiefgang zu jeder Zeit sicher zu befahren sein wird. Dabei
ist zu bemerken, dafs im nächsten Winter das Fahrwasser durch Eisbrech-
dampfer auch bei Eisgang wird offen gehalten werden.
Es ist also schon jetzt der Wesertrom der Seeschiffahrt in weit höherem
Mafse erschlossen, als es bisher der Fall war, und es erschien daher schon im
gegenwärtigen Augenblicke wohl angebracht, durch eine gedrängte Zusammen-
stellung alles dessen, was bei der Befahrung dieses Stromes zu wissen not-
wendig und wünschenswert ist, den beteiligten Kreisen der Schiffer und Rheder
die Orientierung in den neu geschaffenen Verhältnissen zu erleichtern. Dieses
ist der Zweck der 130 Seiten umfassenden Schrift, deren Inhalt wir hier näher
angeben. Dem Vorwoi*t und einem Kalendarium folgen eine Anleitung zur
Befahrung der Weser von ihrer Mündung bis Bremerhaven und von da bis
Bremen, ferner einige nautische Tafeln von allgemeiner Bedeutung nebst An-
leitung zum Gebrauch derselben, auch eine Tabelle der Rook^'Ä&'aÄirLK^^fiL. "»».
der Weser für 1889. Ein besonderer Abschmll ial ^«oi ^\%\i^e>ÄssBs.\. ^^ ^^^
— 390 -^
ünterweser, der bekanntlich unter Mitwirkung der Seewarte trefflich geordnet
ist, gewidmet. Den übrigen Inhalt der Schrift bilden eine Reihe von gesetzlichen
Bestimmungen, Regulativen und Verordnungen, deren Wortlaut jederzeit zur
Hand zu haben, für den Schiffer wie für alle direkt oder indirekt an der
Schiffahrt Beteiligten von Wichtigkeit ist. Die beigegebenen 2 Blatt Karten und
Pläne sind von allgemeinem Interesse : Blatt 1 enthält eine Karte der ünter-
weser von Bremen bis Bremerhaven, Mafsstab 1 : 100 000. in ihrem jetzigen
natürlichen und dem künftigen korrigierten Lauf, ferner eine Karte der Aufsen-
weser. Blatt 2 enthält Pläne der Weserhäfen, namentlich : von Geestemünde
und Bremerhaven, von Brake, Vegesack und von Bremen. Dem letzteren sind
Querschnitte des Nord- und des Südkais des neuen Freihafens in Bremen,
sowie eine Skizze der Eisenbahnverbindungen desselben mit dem Haupt-, dem
Güter-, dem Weserbahnhof, sowie mit dem Bahnhof Neustadt, beigegeben. Die
kleine vielfach nützliche Schrift soll mit den sich als nötig ergebenden Zu-
sätzen und Veränderungen alljährlich neu erscheinen.
§ Die Seehäfen des Weltverkehrs, dargestellt von Josef Ritter von
Lehnert, k. k. LinienschifPskapitän, Joh. Holoczek, k. k. Korvettenkapitän,
Dr. C. Zehden und Dr. Th. Cicalek, Professoren an der Wiener Handels-
akademie. Unter Redaktion von A. Dorn. Wien, volkswirthschaftlicher Ver-
lag von A. Dorn. Das auf 50 — 60 Lieferungen zu je 2 Bogen berechnete
Werk hat den Zweck durch Illustration, Plan und Wort alle für den
internationalen Verkehr in Betracht kommenden Häfen nach ihrer Lage,
Geschichte, Bevölkerung, Einrichtungen, Entwicklung und kommerziellen
Bedeutung zu schildern. Die Einteilung des Stoffes entspricht der natür-
lichen geographischen Gliederung der Küstengebiete. Der I. Band beginnt
mit der Darstellung der Häfen des Mittelmeerbeckens, einige 30 Häfen werden
hier berücksichtigt. Hieran schliefsen sich die Häfen der atlantischen Kontinental-
küste von Europa und der Ostsee, ferner die zahlreichen Häfen von Grofs-
britannien und Irland. Der U. Band ist den Darstellungen der Häfen von
Amerika, Asien, Afrika und Australien gewidmet. Von beiden Bänden Hegen
uns die ersten 3 Lieferungen vor: der Text ist an wissenswerten Thatsachen
reich und in der Form ansprechend; Pläne der Häfen sind wohl in so grofser
Zahl, Vollständigkeit und guter Ausführung in keinem anderen populären
Werke der Art vorhanden und sonach darf man sagen, dafs das Werk sowohl
zum Selbststudium wie als Nachschlagebuch eine weite Verbreitung verdient
und in jetziger Zeit stetig fortschreitender Entfaltung de«* Weltverkehrs wohl
auch finden wird.
Ethnologie.
§ Ethnologische Beiträge zur Kenntnis des Karolinen-Archipels von
J. S. Kubary. Veröffentlicht im Auftrage der Direktion des Königlichen
Museums für Völkerkunde zu Berlin, unter Mitwiikung von J. D. E. Schmeltz,
Konservator am ethnographischen Reichsmuseum in Leyden. I. Heft mit
15 Tafeln. Leyden, Trap (Kommission : Winter in Leipzig). 1889. Die von
unserm ethnologischen Altmeister Bastian verfafste Einleitung, sowie das Vor-
wort des früheren Direktors des Museums Godeffroy in Hamburg bekunden
genugsam die Bedeutung und den Wert der vorliegenden Publikation. Im
Jahre 1868 begann Kubary, ein Pole von Geburt, seine Reisen und grofsartige
SammeJtbätJgkeit, lange Zeit für das Museum G^o^^^yo^ , «^iaict \md noch jetzt,
— 391 —
nach Auflösung dieser berühmten Sammlung, für das Königliche Museum der
Völkerkunde in Berlin. Mit aufsergewöhnlicher Beobachtungsgabe ausgerüstet,
hat Kubary fast 20 Jahre hindurch auf jener vom Weltverkehr abgeschnittenen
Inselflur, ein einsamer Wanderer, im Interesse ethnologischer und naturhisto-
rischer Forschung gelebt und gearbeitet. Mit unermüdlicher Ausdauer hat er,
trotz zahlreicher Widerwärtigkeiten und unter Entbehrung aller und jeder An-
nehmlichkeiten des Lebens, gleich einer Biene die Bausteine zusammengetragen,
aus denen das Gebäude einer Ethnologie des Karolinen-Archipels dereinst haupt-
sächlich konstruiert werden kann und so den vaterländischen Museen vielleicht
die letzten Reste einer untergehenden Kultur erhalten. Das Berliner Museum,
für welches, wie bemerkt, Kubary jetzt sammelt und arbeitet, hat nun auch für
die Veröflentlichung der wertvollen Manuskripte Kubarys Sorge getragen. Drei
gröfsere Arbeiten Kubarys, welche sich auf die Pelau-Inseln beziehen, sind bereits
veröffentlicht. Die im vorliegenden Heft begonnene Publikation der ethno-
graphischen Beiträge von den Karolinen wurde durch das Entgegenkommen des
Verlegers des „internationalen Archivs für Ethnographie" ermöglicht und dadurch
erleichtert, dafs Herr Schmeltz die Redaktion übernommen hat. Das vorliegende
Heft I enthält: das einheimische Geld der Insel Yap und auf den Pelau-Inseln.
Der Hausbau der Yap-Insulaner. Über die Industrie und den Handel der Ruk-
Insulaner. Notizen über einen Ausflug nach den westlichen Karolinen. — Die
folgenden Hefte werden in sehr eingehender Weise die Industrie der Pelauaner
in ihren verschiedenen Zweigen behandeln und hoffen wir später näher über
das ganze bedeutende Werk berichten zu können.
Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala von
Dr. Otto Stoll, mit zwei Tafeln und drei Illustrationen im Text. Die vor-
stehende Arbeit des durch sein Buch über Guatemala und andere Arbeiten
vorteilhaft bekannten Dr. 0. Stoll ist als Supplement zu Band I. des „Inter-
nationalen Archivs für Ethnographie" (Redaktion : Conservator J. D. E. Schmeltz •
in Leiden) erschienen. Sie bietet auf Grund eigener Beobachtungen und daran
geknüpfter Studien eine umfassende Darstellung der Indianerstämme Guatemalas
und gliedert sich in sechs Hauptabschnitte. Diese betreffen die soziale Organi-
sation, die Rehgion, das Kriegswesen, die Technologie, den Handel und die
Schiffahrt. Die beigegebenen Farbetafeln, sehr sauber ausgeführt, enthalten
Bilder von Geräten, Kleidungsstücken, Waffenteilen, Idolen, das naturgetreue
Konterfei einer Indianerin u. a. Bilder und Text vereinigen sich zu einer sehr
respektablen Leistung, für die man dem Verfasser dankbar sein muTs. A. 0.
§ Das kurz vor Schluss dieses Hefts unserer Zeitschrift ausgegebene 5. Heft
des Bandes H des „internationalen Archivs für Ethnographie" enthält fünf
grössere Aufsätze und drei Tafeln Abbildungen. Wir heben besonders die
Abhandlung von Grabowsky über den Tod, Begräbnis, Todtenfeste bei den
Dajaken und den Aufsatz von Bahnsen über südamerikanische Wurfhölzer
hervor. Möge die treffliche Zeitschrift auch ferner sich entwickeln und zahlreiche
Freunde und Leser gewinnen!
Hydrographie.
Georges Pouchet, Exp6riences sur les courants de l'Atlantique Nord.
Paris 1889. Es ist bekannt, dafs der jetzige Fürst Albert von Monaco eine ReibÄ
von Untersuchungen über den Golfstrom teils. aeWi^t oa^^'eixj^Ä^,, \ä^^ ss^^sä^^Ja.
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nnterstützt hat, ebenso ist auch der Verfasser der vorliegenden Arbeit schon
vielseitig auf dem Gebiete der Ozeanographie bekannt. Derselbe hat jetzt eine
eingehende Darlegung der Resultate der Fahrten der „Hirondelle^' (Jacht des
Fürsten von Monaco) gegeben, welche derselbe in den Jahren 1885, 86 und 87
ausgeführt hat. Die Kosten dieser Unternehmungen hat zum grofsen Teil die
Munizipahtät von Paris getragen, welche mehrmals beträchtliche Summen zu
diesen Zwecken votierte. Die Arbeit beginnt mit einer Zusammenstellung der
wesentlichsten Litteratur über die nordatlantischen Strömungen und geht nach
einer kurzen Einleitung, in welcher die Bedeutung der Meeresströmungen und
namentlich die Ausdehnung und Gliederung der atlantischen Strömungen all-
gemein dargelegt werden, zur Schilderung der einzelnen Kampagnen über.
Erst die Reise, welche der Fürst von Monaco allein ausführte, erstreckte sich
bis etwa 4° Grad nördlich von der Insel Corvo (Azoren), von wo die Abreise
erfolgte. — Es wurden im ganzen 179 Gefäfse mit eingeschlossenem Dokumente
abgelassen. Diese Schwimmer waren aber nicht von gleicher Konstruktion,
sondern bestanden zum Teil aus Metallkugeln (zu Halbkugeln fest zusammen-
geschraubt), aus Fässern und zum gröfsten Teile aus flaschenähnlichen Glas-
geßlfsen. — Die Konstruktion und die Gründe für diese werden eingehend
auseinandergesetzt und durch Abbildungen erläutert. — Von 179 Schwimm-
körpern wurden wiedergefunden: 11 auf den Azoren, 5 an der portugiesischen
Küste, auf Madeira und den Canaren, während 3 an die Westgestade des
Atlantik getrieben wui'den und zwar einer nach Martinique und 2 nach der
Insel Bahama. Aus diesen Daten werden die Strömungsrichtungen abgeleitet,
welche namentlich bezüglich der 3 letzten zu recht interessanten Resultaten
führen. — Die zweite Reise, im Jahre 1886, verlief, soweit sie hier in Betracht
kommt, nahezu auf dem 20° westl. L. von Paris von 42° nördl. Br. bis
50° nördl. Br. Es wurden nur gleichgestaltete Schwimmkörper benutzt und
zwar solche von flaschenähnlicher Form. Von den in den Tagen vom 29. August
bis 5. September ausgeworfenen 500 Stück Flaschen wurden im ganzen 37
wieder eingeliefert. Ebenso wie für die frühere Reise sind auch hier die speziellen
Daten für dieselben angegeben. — Die am Anfang und am Ende der Reise ab-
gelassenen Flaschen gingen fast sämtlich verloren, die übrigen wurden, wie es
den Anschein hat, alle nach Osten getrieben, denn die Fundorte liegen etwa
zwischen Kap Finisterre und dem Kanal ;'^die Schnelligkeit der Trift findet sich
im Durchschnitt zu nahe 6,5 Meilen per Tag. — Die meisten Flaschen, nämlich
1000, wurden auf der Fahrt des Jahres 1887 ausgeworfen und zwar auf einer
Route, welche in den Tagen vom 19. Juli bis 1. August zwischen Corvo und
der Bank von Neufundland, und in den Tagen 22. und 23. August auf 32° bis
28° westl. L. von Paris und 49° nördl. Br. zurückgelegt wurde. — Von den
auf letzterer Strecke abgelassenen 65 Stück ist noch keine aufgefunden worden,
während von den 935 übrigen betreffs 44 wieder Meldungen eingegangen waren. —
Dieselben haben zweierlei Richtungen verfolgt. Die in den ersten Tagen ab-
gelassenen Flaschen trieben nach Südost, die der letzten Tage nach Nordost,
dazwischen findet sich eine Zone, welche für etwa 10 bis 12 Flaschen bald die
eine, bald die andre Trift aufweist. An diese mit grofser Ausführlichkeit ge-
gebenen Schilderungen der drei Reisen schliefst sich als Schlufskapitel eine
historische Übersicht der bis jetzt vorhandenen Arbeiten über den Golfstrom.
Anschliefsend an die Arbeiten J. G. Kohls werden diejenigen der nach
Franklin folgenden Forscher kritisch bele^ichtet. D^tsl Werke sind zwei Karten-
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beilagen angehängt, von denen die erstere die Messungen der Oberfläclien-
temperaturen des Meeres während eines Teiles der „Mission de Laponie" von
1881 giebt, während die andre die Besteckzeichnungen der drei Fahrten der
„Hirondelle" veranschaulicht und die allgemeinen Züge der Flaschentriften
skizziert. — Die Ausstattung des Werkes, welches auf Kosten der Munizipalität
von Paris herausgegeben worden ist, ist eine ganz vortreffliche. L. A.
Verschiedenes.
Geographische Abhandlungen. Herausgegeben von Dr. Albrecht
P e n c k (Professor der physikalischen Geographie an der Universität Wien). Band
in. Wien, Eduard Hölzel, 1889. Bereits im XI. Bande dieser Zeitschrift ist aus-
führlich auf dies wertvolle von Professor Penck geleitete neue Sammelwerk der
„Geographischen Abhandlungen" hingewiesen. Seitdem ist dasselbe rüstig fort-
geschritten und heute liegt schon der dritte Band abgeschlossen vor. Pencks
„Geographische Abhandlungen" haben in den Fachkreisen nicht nur eine sehr
rege Teilnahme, wie das ja bei den zur Zeit herrschenden Strömungen auf dem
Gebiete der wissenschaftlichen Erdkunde erklärlich ist, sondern von der mafs-
gebenden Kritik auch eine grofse Anerkennung gefunden. Wie die beiden ersten
Bände behandelt auch der vorliegende dritte Band Gegenstände der physikalischen
Geographie. Das erste Heft (238 Seiten) enthält eine umfassende Monographie
von Dr. W. Sievers (Privatdozent der Geographie in Würzburg) über: „Die
Cordillere von M6rida nebst Bemerkungen über das karibische Gebirge,*
mit einer geologischen Karte und 15 Profilen in Farbendruck. Die Arbeit ist
die Frucht einer einjährigen Reise in Venezuela, welche der Verfasser von Ende
Oktober 1884 bis Mitte November 1885 mit Unterstützung der geographischen
Gesellschaft in Hamburg ausführte. Nach einer Einleitung über das Historische,
die Litteratur und die Karten des Gebiets behandelt der Verfasser die Ober-
flächenformen, die Einwirkungen des fliefsenden Wassers, das Klima, die Vege-
tation und Agrikultur und die Bevölkerung. Mitteilungen über die Handels- und
Verkehrswege, Viehzucht, Industrie, die Lage der Ortschaften und die Ausfuhr
des Hafens Maracaibo beschliefsen diese für die wissenschaftliche Erforschung
Südamerikas wichtige Schrift. — Das 2. Heft (71 Seiten) bringt eine historische
Studie des aufserordentlich fleifsigen Professors Dr. Siegm. Günther (in
München) über :JohannesKepler und den tellurisch-kosmischen Magnetismus.
Wir lernen hier, dafs Kepler nicht nur ein grofser Astronom war, sondern dafs
derselbe auch in der Geschichte des Erdmagnetismus einen ehrenvollen Platz
einnimmt. Dem Geographen wird insbesondere der erste Abschnitt, welcher die
Entwicklung von der Lehre vom Erdmagnetismus in der Zeit vor Kepler dar-
stellt, willkommen sein. — Im 3. Heft (116 Seiten) behandelt der hervor-
ragende russische Meteorologe Alexander Woeikof den Einflufs einer
Schneedecke auf Boden, Klima und Wetter. Zum erstenmal wird
hier in umfassender Weise der Schnee als ein klimatisches Element nachgewiesen.
Obgleich das Studium der Schneebedeckung erst begonnen hat, so gelangte
Prof. Woeikof doch schon zu einer langen Reihe von wichtigen und interessanten
Schlüssen, für die wir jedoch auf die wertvolle Arbeit selbst verweisen. Nur
sei noch hervorgehoben, dafs der Verfasser nach Karten verlangt, welche uns
die mittlere Schneegrenze in den verschiedenen Monaten zeigen und solche.,
welche den augenblicklichen Zustand der Dinge xxä kcÄOa.^TicQCCL'^ \s«sl%^s^.
Geogr. Blätter. Bremen, 1889. *^
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§ Verhandlungen des achten deutschen Geographentages zu
Berhn am 24., 25. und 26. April 1889. Herausgegeben von dem ständigen
Geschäftsführer des Zentralausschusses des deutschen Geographentags, Haupt-
mann Georg KoUm. Mit neun Figuren im Text. Berlin 1889. Verlag von
Dietrich Reimer. Der Schriftführer der Bremer geographischen Gesellschaft,
Herr Dr. W. Wolkenhauer, welcher als deren Delegierter an dem 8. deutschen
Geographentage teilnahm, hat bereits in einem längeren durch Heft 2 des
Bandes XH dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz den Verlauf und die
Ergebnisse, die Verhandlungen und die Beschlüsse des 8. deutschen Geographen-
tags näher gewürdigt. In dem vorliegenden gegen 300 Seiten starken, von der
bekannten Verlagsfirma wie stets trefflich ausgestatteten Bande liegt nun zu-
nächst ein an 50 Seiten starker Bericht über den ganzen Verlauf der Tagung
vor; derselbe umfafst: 1. die Vorbereitung; 2. die Protokolle über die sechs
Sitzungen, endlich verschiedene Mitteilungen betreffend die Ausflüge, die Aus-
stellung, die Finanzen, das Verzeichnis der Teilnehmer u. a. Im zweiten Teil
finden wir die Ansprachen: 1. des Ministers Dr. von Gofsler, 2. des Geheimen
Rats Dr. Hardeck-Karlsruhe und des Professors Freiherrn von Richthofen. Der
dritte Teil enthält die sämtlichen gehaltenen Vorträge welche, 16 an der Zahl,
sich über sehr verschiedene Themata verbreiten und ein wertvolles Material
nach vielen Richtungen hin bieten.
§ E. G. Ravenstein, the laws of emigration (second paper).
London 1889. Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, zunächst die Ergebnisse
der neueren Volkszählungen der wichtigsten Länder Europas, der Vereinigten
Staaten von Amerika und Kanadas in der Richtung der Verteilung der Be-
völkerung nach ihren Geburtsstätten darzulegen und sucht sodann daraus ge-
wisse Gesetze abzuleiten, nach denen die Wanderungen der Bevölkerungen vor
sich gehen. Zur weiteren Erklärung sind sechs Karten und eine Anzahl Tabellen
beigegeben. Jene Gesetze der Wanderungen sind u. a. die folgenden : Schlechte
oder drückende Gesetze, schwere Besteuerung, ein ungünstiges Klima, ungünstige
soziale Verhältnisse, Zwangsmafsregeln durch Sklaverei oder erzwungene Ver-
setzung erzeugten und erzeugen noch Ströme der Wanderung. Doch keiner der
so erzeugten Ströme kann sich an Volumen mit demjenigen messen, der aus
dem Wunsche der meisten Menschen, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern,
entspringt. So treibt der Bevölkerungsüberschufs aus einem Teil eines Landes
in den andern, wo die Entwickelung von Handel und Industrie oder die Mög-
lichkeit neues produktives Land zu erwerben, mehr Beschäftigung und Arbeit
bietet. Angenommen nun, dafs in einer Provinz ein Überschufs, in einer
andern ein Mangel an Arbeit vorhanden, während die dazwischen liegenden
Provinzen lohnende Beschäftigung für alle ihre Bewohner bieten, so wird der
Arbeiter nicht, Arbeit suchend, durch die dazwischen liegenden Provinzen hin-
durch nach jener Gegend ziehen, wo Mangel an Arbeit ist, sondern der Mangel
an Arbeit wird aus der nächsten Nachbarschaft gedeckt werden und seine
Wirkung wird sich stufenweise, von Provinz zu Provinz, bis in die entfernteste
fühlbar machen. Die Masse der Wanderer wandert nach den Untersuchungen
des Verfassers nur kurze Strecken, der Strom der Wanderung verliert an
Stärke im Verhältnis zu seiner Entfernung von der Gegend, wo Bedarf an Arbeit
ist, dabei erzeugen allerdings sogenannte Absorptionszentren, wie der Verfasser
8Je nennt, besondere Strömungen. Jeder ßtai^Le ^\,Tom cfL«vi%\. wolOc\. «vcä
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Rückströmung. Das Wachstum grofser Städte in älteren Ländern geschieht
hauptsächlich durch Zuzug vom Lande; in sich würden solche Städte nur
langsam an Volkszahl wachsen, vielleicht eher zurückgehen. Ungefähr die Hälfte
der Einwohnerschaft der grofsen Städte ist nicht an ihrem Wohnort geboren,
wie folgende Angaben zeigen : von 1000 Bewohnern waren in der Stadt geboren :
in Antwerpen 661, London 629, Hamburg 543, Kopenhagen 524, Glasgow 513,
Mailand 484, Rom 446, Christiania 425, Budapest 424, Berlin 4^, Stockholm
416, Paris 349, Wien 345. Das von dem Verfasser mit grofsem Fleifs und
Gründlichkeit bearbeitete Thema ist, zum Teil Ivegen mangelhafter statistischer
Daten, ein sehr schwieriges ; aus der vorliegenden Arbeit ist zu entnehmen, dafs
noch manche volks- und weltwirtschaftlich bedeutungsvolle Vorgänge auf
diesem Gebiet in ihrem Wesen, ihren Ursachen und Wirkungen der Beleuchtung
und Erklärung bedürfen. Mit der Zunahme von Handel und Industrie, mit der
Erleichterung und Vervielfältigung der Beförderungsmittel haben sich natürlich
auch, wie der Verfasser andeutet, die Wanderungen der Bevölkerungen gemehrt,
sie haben aber auch einen ganz andern Charakter angenommen, wie das sehr
schnell klar werden würde, wenn man z. B. Zwecke und Ursachen der Wanderung
der Passagiere eines nach Newyork bestimmten Segelschiffs vor 30 Jahren mit
den Absichten vergleichen könnte, in denen heutzutage so Viele im Salon-
dampfer nach Newyork fahren. Um nur Eins zu erwähnen, so gehen in jedem
Frühjahr aus Deutschland auf unsern Schnelldampfern Tausende von Arbeitern
nach den Vereinigten Staaten, um im Herbste, wenn manche Arbeiten ruhen,
mit ihrem Verdienste wieder nach Deutschland zurückzukehren. Die Leichtig-
keit, schnell und billig den Ozean zu kreuzen, hat diese periodischen Massen-
Rückwanderungen von Arbeitern erst ermöglicht.
Atlanten.
Haar dt, V. V.; Physikalisch-statistischer Schulatlas zum Selbststudium
und für den Unterrichtsgebrauch bearbeitet. Wien, Eduard Hölzel, 1889. Preis
2 fl. Lx dem vorliegenden Atlas hat der durch seine vortrefflichen Schulwand-
karten wohlbekannte Kartograph diejenigen Momente der physikalischen Geo-
graphie kartographisch dargestellt, welche auf einer höheren Stufe des Geographie-
unterrichts durchaus berücksichtigt werden müssen, wenn derselbe den gegen-
wärtigen Anforderungen genügen soll. Der Atlas enthält 14 Karten in der
Gröfse 35 und 29 cm. Die 5 ersten Karten behandeln die Erde, nämlich die
Verbreitung des Regens, die Vegetationsgebiete, die Tierregionen und die Ver-
breitung der Völker und Religionen auf der Erde ; die Karten 6 — 9 enthalten
eine Höhen-, Regen-, Völker-, Bevölkerungsdichtigkeitskarte von Europa; die
letzten 5 Karten beziehen sich auf Österreich-Ungarn. Den einzelnen Karten-
blättern ist mit Ausnahme der Karten 5, 6, 10 und 14 auch ein recht brauch-
barer Text beigegeben. Die Ausführung der Karten ist lobenswert und ich
empfehle deshalb den Atlas bestens. W. W.
Dubois, M. Geographie 6conomique de la France. — Geographie
economique de TEurope. — Geographie ^conomique del'Afrique, l'Asie,
rOc6anieetrAmerique. Paris, G. Masson, editeur. — In der VQYt<b^<^ ijsa^ ^^son.
erstgenannten Werke spricht sich der Veriaaa^x yq. \X%.t^t^ ^cJ^$«ctOsÄaÄöi^*s«-
Weise über die Beziehungen zwischen Geograp\Äe uxiöi ^^^^io^Tv^iJsX^^st^^^ «^^'
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„Die „Geographie economique", die Handelsgeographie, besteht nicht in der
Aufzählung der Objekte des Ackerbaus, der Industrie und des Handels eines
Landes, vielmehr hat sie die Erkenntnis der Hülfsquellen und der Bedürfnisse
eines jeden Gebiets, sowie das Verständnis der Vorteile und der Schattenseiten
zu lehren, .welche aus den orographischen, hydrographischen, klimatischen,
botanischen, zoologischen Bedingungen des Grebiets, seiner Küstenbeschaffenheit
und seiner Weltstellung entspringen." Diesen Gesichtspunkten gemäfs sind
alle drei Werke gestaltet und streng durchgeführt. So finden wir bei Europa
nach einer Einleitung einen allgemeinen Abschnitt, welcher in acht Kapiteln
Lage und Ausdehnung, Ozeane und Binnenmeere, das Bodenrelief, die Gewässer
und Seen, die Beschaffenheit der Küsten, das Klima, die Flora und Fauna, Rassen
und Völkerschaften behandelt; überall werden die Beziehungen zwischen den
wirtschaftlichen Thatsachen, Leistungen und Bedürfnissen und den geographischen
und ethnographischen Vorbedingungen klargelegt. Gern folgt man der sorg-
fältig abwiegenden und durchdachten Darstellung. Die deutsche handels-
geographische Litteratur hat so vollständige, streng durchgeführte Werke unseres
Wissens bis jetzt noch nicht aufzuweisen, wenn auch einzelne Materien vielleicht
noch ausführlicher behandelt wurden.
Zur Besprechung liegen noch vor:
Forschungen zur Deutschen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von
Professor Dr. Kirchhoff. Vierter Band, Heft 2: der Rhein in den Nieder-
landen, von Dr. H. Blink, mit einer Karte. Stuttgart, J. Engelhorn, 1889.
Refeen im Kongolande. Ausgeführt im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft
in Deutschland. Von Dr. Richard Büttner. Mit einer Karte von Dr. R.
Kiepert. Leipzig, J. C. Hinrichs, 1889.
Essays relating to Indo-China. 4 Bde. London, Trübner & Co., 18bö u. 1887.
Die Besprechungen werden in einem der nächsten Hefte erfolgen.
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Druck von Carl SchünemaTiti, Bt^m^xv.
BanaXürTafe
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— 388 —
Arbeitergeseize, Minengesetze, Gesetze betreffend Einwanderer, besondere Be-
sclilüsse, die Einwanderung nach einzelnen Teilen des Landes zu lenken und
um einzelne Produktionszweige zu heben.) — Darauf folgt das statistische Ma-
terial, dem wir folgende Daten entnehmen : Bevölkerungszuwachs im Jahre 1888
32.883 E. Bevölkerung am 31. Dez. 1888 : 1.427.116 E. — Während bei den
Ladinos (Mischlingen) die Zahl der illegitimen Geburten hinter derjenigen der
legitimen nur wenig zurückbleibt, sie häufig erreicht oder seihst namhaft über-
schreitet, ist dies bei den Indianern nicht der Fall, und die unehelichen Gebur-
ten stellen sich zu den ehelichen in den eigentlichen indianischen Gebieten des
„Altos* im Verhältnis von 1:15. — Die Kriminalstatistik weist nach, dafs
die Mehrzahl der Verbrechen von Männern der niedersten, jeden ünterichtes
entbehrenden Volksklasse begangen wurde. Von ethnologischem und national-
ökonomischem Interesse ist die Seltenheit des Kindesmordes (1 Fall), Eltemmordes
(1) und der Selbstmordversuche (2). — Die Hand eis Statistik weist folgende
Ziffern auf: Gesammtwert des Exports: Pesos 7.293.977 gegen 9.039.391 des
Vorjahres; des Imports: Pesos 5.459.569 gegen 4.241.408 des Vorjahres. —
Die Hauptwerte des Exports entfallen auf Kaffee^) $ 6.595.141), Zucker
($ 308.829), Rindshäute ($ 142.532) Kautschuk«) ($ 884.48). — Für den Import
ist die Reihenfolge der Länder folgende: England $ 1.442.569 Vereinigte Staa-
ten 814.785, Südamerika 727.446, Deutschland 657.634, Frankreich 434.588, Zen-
tralamerika 406,953, Spanien 137.341. — Ihnen folgen nach den Importwerten
mit Summen unter $ 100.000: Belgien, Schweiz, China, Belize, Mexiko, Japan,
Italien, Antillen. — Schiffsbewegung: 408 Dampfer und 35 Segelschiffe,
mit 547.911 Tonnen liefen die Häfen des Landes (San Jose, Champerico, Ocös,
Livingston) im Berichtsjahre an. Aufser den regelmäfsig verkehrenden N. A.
Dampfern wurde die Westküste vorwiegend von deutschen, die Ostküste von
englischen Schiffen bedient. 0. St.
Australien und Polynesien.
§ Hawaiian Almanac and Annual for 1888 and 1889. Honolulu-
Press Publishing Company. Durch die Güte eines Mitgliedes unserer Gesellschaft
in Honolulu erhielten wir die beiden letzten Jahrgänge dieses Almanachs, der sich
als ein „Handbook of information" bezeichnet und dies in der That ist, da er
nach allen Richtungen: Geschichte, Geographie, Handel und Schiffahrt, Land-
bau und Industrie, staatliche Verhältnisse u. a. der Hawai-Inseln umfassende
Auskunft giebt. In früherer Zeit war Honolulu bekanntlich ein Ausgangs- und
Abladehafen der Walfänger. Später begann der Zuckerrohrbau, welcher noch
immer, gestützt auf die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten, gedeiht; unter
den Plantagenbesitzern finden wir manche deutsche Namen verzeichnet.
*) Es sei dem Referenten hier die Bemerkung erlaubt, dafs der Artikel
„Wachstuch", welchen das diplomatisch - statistische Jahrbuch des Gothaischen
Hofkalenders unter der Ausfuhr von Guatemala aufführt (S. 573 des Jahrg.
1889) auf Kautschuk und zwar als Rohprodukt zu beziehen ist. Der Irrtum
rührt wohl daher, dafs in Zentralamerika der aus dem Aztekischen entlehnte Name
,hule" für den Rohkautschuk gebraucht wird und dafs davon abgeleitet „ahu-
lado" für Wachstuch gebildet wird. Hule und ahulado sind aber zwei
ganz verschiedene "Dinge.
') Gesamtproduküon im Jahre 1888*. 58^.440 QmxvVÄX^^,
— 389 —
Handelsgeographie.
§Aus See nach Bremen-Stadt. Wegweiser für Schifisführer.
Herausgegeben auf Veranlassung der Handelskammer zu Bremen. Nebst 2 Blatt
Karten und Pläne. Bremen, Druck von Carl Schünemann, 1889.
Die immer mehr sich bahnbrechende Oberzeugung, dafs es um die auf
den Handelswaren lastenden Transportkosten zu ermäfsigen, von höchster
Wichtigkeit sei, die Seeschiffahrt soweit wie möglich in das Land hineinzuziehen,
und dafs dies insbesondere dann erforderlich sei, wenn der Warenversender
oder -Empfänger, der Kaufmann, selbst seinen Sitz nicht unmittelbar an der
See hat, ist für die Freie Hansestadt Bremen die Veranlassung gewesen, trotz
der bedeutenden Höhe der hierzu erforderlichen Summen sich zu der Korrektion
der ünterweser, d. h. zur besseren Schiffbarmachung dos Weserstromes bis zur
Stadt Bremen aufwärts für Seeschiffe, za entschlief sen. Allerdings steckte hierbei
die Grenze des technisch Erreichbaren den Bestrebungen ein Ziel. Die gröfsten
und tiefstgehenden Schiffe der transozeanischen Fahrt bis zur Stadt Bremen
hinaufzuziehen, erschien nach Lage der Verhältnisse von Anfang an unmöglich ;
dieselben werden nach wie vor in den der See näher gelegenen Weserhäfen
den Endpunkt ihi'er Reisen erreichen. Durchführbar aber erscheint die Er-
schliefsung des Weserstromes bis zur Stadt Bremen aufwärts für die übrigen See-
schiffe, insbesondere für die Schiffe der sogenannten europäischen Fahrt, und ge-
rade diese Schiffahrt ist es, welche die möglichste Ermäfsigung aller Kosten imd
Spesen mehr noch als die grofse Schiffahrt erheischt und welche den mit den
Weserhäfen im Wettbewerb stehenden Häfen an Elbe und Rhein ein so grofses
Übergewicht vor jenen verleiht. Diese Schiffahrt verlangt eine solche Fahrtiefe,
dafs Schiffe von etwa 5 m (= 167» Fuls engl.) Tiefgang sicher verkehren
können, und diese Tiefe soll auf dem Weserstrom bis Bremen aufwärts
durcli die Korrektion der ünterweser beschafft werden. Freilich werden die
Korrektionsarbeiten, mit denen bereits im Sommer 1887 begonnen worden ist,
noch einige Jahre in Anspruch nehmen, bis dieses Ziel voll und ganz erreicht
sein wird; sie sollen nach dem Bauplan im Jahre 1893 beendet sein. Aber
schon die bisherigen Arbeiten haben das Fahrwasser der ünterweser bedeutend
verbessert. Dasselbe ermöglicht schon jetzt unter den gewöhnlichen Verhältnissen
Schiffen von reichlich 3V2 m Tiefgang überall eine sichere Fahrt \md es ist
nicht daran zu zweifeln, dafs der Strom demnächst für Schiffe von 4 m
(=13 Fufs engl.) Tiefgang zu jeder Zeit sicher zu befahren sein wird. Dabei
ist zu bemerken, dafs im nächsten Winter das Fahrwasser durch Eisbrech-
dampfer auch bei Eisgang wird offen gehalten werden.
Es ist also schon jetzt der Weser trom der Seeschiffahrt in weit höherem
Mafse erschlossen, ah es bisher der Fall war, und es erschien daher schon im
gegenwärtigen Augenblicke wohl angebracht, durch eine gedrängte Zusammen-
stellung alles dessen, was bei der Befahrung dieses Stromes zu wissen not-
wendig und wünschenswert ist, den beteiligten Kreisen der Schiffer und Rheder
die Orientierung in den neu geschaffenen Verhältnissen zu erleichtern. Dieses
ist der Zweck der 130 Seiten umfassenden Schrift, deren Inhalt wir hier näher
angeben. Dem Vorwort und einem Kalendarium folgen eine Anleitung zur
Befahrung der Weser von ihrer Mündung bis Bremerhaven und von da bis
Bremen, ferner einige nautische Tafeln von allgemeiner Bedeutung nebst An-
leitung zum Gebrauch derselben, auch eine Tabelle do^Tt ^^OöW'^aÄ^rL&^^Ä. "»sv
der Weser für 1889. Ein besonderer Abschmll ial ^em ^\^^^^^^^. ^^ ^^^
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